dass es für das Forum dienlicher und - was seine Außenwirkung anbelangt - nützlicher wäre, über die musikalischen Werke zu schreiben und zu diskutieren, anstatt sie einfach nur aufzulisten
Ermutigt durch diese Äußerung, der ich nur zustimmen kann, starte ich diesen Thread, auch wenn ich befürchte, dass niemand sachdienlich darauf antworten wird.
In dem Buch "Mozarts Musiksprache", das ich andernorts hier bereits vorgestellt habe, gibt es einen Abschnitt über ein bestimmtes Motiv, das bei Mozart öfter auftaucht. (Gunthard Born; Mozarts Musiksprache - Schlüssel zu Leben und Werk; ISBN 3-463-40001-4; Kindler Verlag, S. 188 ff.)
Die Notenbeispiele dazu habe ich selbst rausgesucht, oder mit meinem Notensatzprogramm rekonstruiert, sie sind teilw. auch im Buch abgedruckt oder dort in Klammern erwähnt. ("G" steht für "Don Giovanni", die erste Nummer steht für die Nummer in der Oper, die zweite Nummer steht für die Taktzahl. "G 13.177" würde demnach bedeuten, dass es sich um Takt 177 im Stück Nr. 13 handelt).
Ich möchte auch darauf hinweisen, dass "Die neue Mozart-Ausgabe" dankenswerterweise ihre Partituren online (mit kritischem Bericht!) zur Verfügung stellt.
Die des "Figaro" findet sich etwa hier: http://dme.mozarteum.at/DME/nma/nma_cont…tion&l=1&p1=-99
Die des "Don Giovanni" findet sich hier: http://dme.mozarteum.at/DME/nma/nma_cont…tion&l=1&p1=-99
Die von "Cosi fan tutte" gibt es hier: http://dme.mozarteum.at/DME/nm…06&gen=edition&l=1&p1=-99
Die der "Zauberflöte" hier: http://dme.mozarteum.at/DME/nm…73&gen=edition&l=1&p1=-99
Darin sind alle Regieanweisungen enthalten, auch werden die Takte hier numeriert, was das Suchen und Finden doch erleichtert, und - besonderes für Anfänger hilfreich! - die Instrumentenbezeichnungen (inkl. deren Stimmung) findet sich laufend immer am Anfang jedes Notensystems.
Hier also die entsprechende Passage aus dem Buch:
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Aus solch kurzen Figuren des Wegziehens eines Schleiers baute Mozart ein äußerst charakteristisches „Enthüllungsmotiv“ auf, dem er die Enthüllung wichtiger Begebenheiten übertrug. Es erscheint in Don Giovannis Arie „Meta di voi qua vadano“, wo er die Bauern seines wütenden Verfolgers Masetto in die Irre weist (G 17.38): „Wenn ihr unter einem Fenster Liebesgeflüster – fare all´ amor – hört, dann habt ihr ihn.“ Mit Zweier-Notengruppen, die durch einen Bindebogen hervorgehoben sind, wird schon das Versteck des gesuchten Schurken enthüllt, der Vorhang weggezogen, hinter dem er sich mit seiner Eroberung verbirgt. Die zwei gestoßenen Sechzehntel davor beschreiben, so wird man sehen, nichts anderes als das Zupacken mit beiden Händen, wonach das Tuch jedesmal ein weiteres Stück wegrutscht.
Diese Figur der Tonsprache darf man ganz buchstäblich in das Wort „enthüllen“ der Wortsprache übersetzen; das folgende Beispiel aus dem ersten Finale des Don Giovanni beweist es. Im Terzett richtet Elvira an Anna und Ottavio die Worte: „Jetzt heißt es Mut haben, liebe Freunde, und seine [Giovannis] Missetaten enthüllen – scoprir“ (G 13.177). Wieder einmal ist ein anschaulich nachgezeichnetes Bild zur Metapher für einen abstrakten Begriff geworden.
Jeder Musikfreund kennt dieses „Enthüllungs“-Thema natürlich aus der Kleinen Nachtmusik (K. 525; I. 15). Mit viel Witz setzte Mozart es in diesem „klassischen“ Stück vermeintlich absoluter Musik ebenfalls ein, um auf eine bevorstehende „Enthüllung“ hinzuweisen. Aus heutiger Sicht scheint hier der Literat dem Musikus zu weit vorausgeprescht zu sein. Ihm aber war vielleicht noch d´Alemberts Frage an alle „Musik, die bloß für die Instrumente ist“, im Ohr: „Sonate, was willst du mir sagen?“ Auch Marpurg hatte 1757 geklagt: „Und diese alle, und ihre Teile, was führen sie zur Überschrift? Nichts als Allegro und Adagio. Schildern wir denn in der Musik weiter nichts mehr, als die Freude und die Traurigkeit?“ (zitiert bei Schleuning). Was sonst soll sie denn schildern können, fragt man auch heute. Also redet diese Musik weiter nur mit sich selbst und wartet darauf, daß jemand wieder ihre Sprache lernt, um mitzuhören.
Ein Wort aus diesem Text können wir nun lesen. Wie die Kenner früher wußten, kann ein Motiv des Aufdeckens, noch dazu im piano, nur als Vorstufe für ein besonderes Ereignis, ein neues Thema dienen. Nur die Hörer „mit den langen Ohren“ wurden also durch den folgenden vollen sforzato-Akkord unvorbereitet erschreckt – sozusagen zur Strafe für ihre Unwissenheit.
Einer Enthüllung im ursprünglichen Wortsinne wohnen wir im ersten Figaro-Akt bei. Im Terzett Nr. 7 erzählt der Graf Susanne und Basilio, wie er am Vortag den Pagen in seinem Versteck erwischt hat, „indem ich ganz sachte den Teppich vom Tisch hob“ (F 7.129). Das demonstriert er mit dem nächstbesten Stück Stoff, das vor ihm auf dem Sessel liegt. Daß sich unter diesem Kleid schon wieder Cherubin verbirgt, weiß nur Susanne.
Für sie ist die Spannung unerträglich, wenn der Graf aufreizend langsam den Sessel freilegt. Musikalisch tut er das, abgesehen vom Tempo, mit fast dem gleichen Enthüllungsmotiv wie oben. Hier aber kann man in Zeitlupe verfolgen, wie Mozart sich dieses Wegziehen des alles zudeckenden Stoffes im Detail vorgestellt hat: Nachdem das Tuch ein Stück verrutscht ist (gebundene Halbe), greifen beide Hände wieder nach (zwei Viertel) und ziehen es nach kurzem Ausholen (Pause) wieder ein Stück weiter (gebundene Halbe). Diese Information sollte jenen Musikern zu denken geben, die ihren Ehrgeiz darin legen, den ersten Satz der Kleinen Nachtmusik so gleichmäßig wie ein Uhrwerk abschnurren zu lassen. Und wenn sie sich im Allegro der Don Giovanni-Ouvertüre einmal wieder an Mozarts Temponahme erinnern würden, könnte auch dort wieder ein „Enthüllungsmotiv“ zum Vorschein kommen.
Damit ist der Vorhang zu Mozarts Vorratsschrank voller „Zieh“-Figuren noch immer nicht ganz offen; eine weitere bildhafte „Vorhang“-Schilderung gibt dafür den Hinweis. Sie erscheint zu Beginn des zweiten Figaro-Aktes im Vorspiel zur Kavatine der Gräfin „Porgi amor“. Einige Themen aus dem Stück rufen bereits ihre bedrückte Stimmung wach, doch dann erscheint wieder eine ganz eigenständige Figur, die sich nur als eingefangenes Bühnenereignis verstehen läßt (F 11.10). Mit zwei ausholenden Zugbewegungen nach der Art des „Enthüllungsmotives“ wird diesmal langsam (larghetto) am Vorhang gezogen, und dann (im zweiten Takt) reiben sich, wie die Stoffbahnen, die Synkopen der Violinen sanft an den normal betonten Baßnoten, bis die ganze Szene sichtbar ist. Eng aneinander im Sekunden- (und Nonen-) Abstand streifende Töne dürfen bei diesem Bild nicht fehlen.
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Ich finde diese Erklärungen ziemlich einleuchtend, vor allem wegen der unterschiedlichen Beispiele.
Natürlich interessiert mich das Thema sehr, und so habe ich - wozu auch der Autor des Buches rät - mich mit der Partitur des Figaro auf "Entdeckungsreise" begeben. In der Arie Nr. 13 (Venite, inginocchatevi), die mich momentan am meisten interessiert, bin ich schon fündig geworden. Allerdings ist es hier etwas schwieriger, weil man hier nicht bestimmte Takte losgelöst vom Rest analysieren kann. Konkret geht es um folgendes: in der Arie taucht ein bestimmtes Motiv gleich 4x auf, und zwar dieses, in diesem Fall von Fagott und 1. Violinen vorgetragenes Thema:
Ein zweites Mal taucht es z.B. hier auf:
Das Interessante dabei ist, dass diese Melodie die ersten drei male immer nur vom Orchester intoniert wird - erst beim 4. mal singt Susanna unisono mit und scheint dieser Linie nun eine konkrete Bedeutung zu geben: "Se l'amano le femine, han certo il lor perché." singt sie da leise zur Gräfin. Ich vermute, dass Mozart bewusst dieses Motiv schon vorher ohne konkrete Bedeutung verwendet hat, als ob Susanna sich das nur denkt, und erst am Schluss bekommt die Melodie dann auch einen "Sinn".
Aber zurück zum Enthüllungsmotiv.
Diese gerade erwähnte Melodie wird unterschiedlich eingeleitet. Zuerst eher ruhig, dann zweimal mit gestoßenen, energischeren 16tel Noten, und dann, wenn sie leise zur Gräfin spricht, taucht dieses Motiv in den Streichern (F 13.90-93) auf:
Ich denke, dass es sich da ebenfalls um ein - wenn auch nicht ganz so deutlich herausgestelltes - "Enthüllungsmotiv" handelt: das Crescendo und der plötzliche Schluss deuten ebenfalls darauf hin.
Ich aber frage mich: WAS wird an dieser Stelle enthüllt? Denn die Melodie, die dann folgt, hat man schon dreimal, ebenfalls mit vorausgehendem Crescendo, gehört.
Interessant ist auch, WANN diese Begleitung einsetzt. Susanna singt zuerst: "Mirate il bricconcello, mirate quanto è bello! Che furba guardatura, che vezzo, che figura!", und wiederholt das dann, und ab da, wo sie anfängt es zu wiederholen, fängt auch diese Begleitung an.
Vielleicht hat jemand eine Idee dazu?
LG,
Hosenrolle1