Es gab im Hamburg großartige Vertreterinnen der Susanna wie Anneliese Rothenberger, Edith Mathis oder Hellen Kwon, auch solche der Gräfin wie Elisabeth Grümmer, Gundula Janowitz, Charlotte Margiono oder Soile Isokoski, allerdings vor dem Jahr 2000. Die nachfolgenden Aufführungen waren bezüglich der Gräfin eher schwach besetzt, allein Hayoung Lee hielt als Susanna das Fähnlein der Gesangskunst weiter hoch. Die gestrige Aufführung war allerdings, insgesamt gesehen, also auch die Inszenierung und die Spiellust des Ensembles einbeziehend, eine der besten der vielen gesehen Figaros. Vor allem die Frauenrollen waren mit (wieder) Hayoung Lee als Susanna, Olga Peretyatko als Gräfin, Maite Beaumont als Cherubino, Katharina Kammerloher als Marcellina und Narea Son als Barbarina sehr gut anzuhören, bei einer ausgeprägten Spiellust. Die Spielfreude übertrug sich auch den Grafen Almaviva, mit dem Alexey Bogdanchikov großen Eindruck hinterließ. Alin Ancas Figaro fiel dagegen etwas ab, das mag auch an seiner Kostümierung gelegen haben (dazu später). Als Don Basilio fiel Thomas Ebenstein positiv auf, aber auch bei den anderen Herren gab es keine Schwachpunkte (Peter Galliard als Don Curzio, Alexander Roslavets als Don Bartolo und Roger Smeets als Antonio).
Zum Gesanglichen: Olga Peretyatko machte aus der sonst eher elegisch zelebrierten Kavatine „Porgi amor…“ eingangs des zweiten Aktes etwas Furioses, fast im Sinne des italienschen Belcanto mit einzelnen, bis zur Schärfe neigenden Ausbrüchen, die aber nicht unkontrolliert waren, sondern das Eruptive und Unberechenbare, welches die Gräfin Amalviva vor ihrer Hochzeit als Rosina (bei Rossini) wohl noch hatte, spüren ließen. In der großen Arie „Dove sono…“ im dritten Akt gelangen ihr mit goldfarbenem Timbre berückende Töne, auch harmonierte ihre Stimme wunderbar mit der etwas helleren von Hayoung Lee, deren Rosenarie im vierten Akt einer der gesanglichen Höhepunkte dieser Aufführung war. Was beide Sopranistinnen schafften, gelang auch der Mezzosopranistin Maite Beaumont als Cherubino, nämlich neben einem schönen Klang mit der Stimme auch die im Gesangstext steckende Emotion auf den Zuhörer zu übertragen.
Das Bühnenbild bestand aus einem sich nach hinten verjüngenden Metallgerüst, welches vor der Pause vollständig mit Notenblättern ausdekoriert war. Die Kostüme des Ensembles waren dem Rokoko verhaftet, allerdings mit Ausnahmen ebenfalls mit (Mozart’schen) Noten bedruckt, während dem hohen Paar (Graf und Gräfin) richtige klassische Kostüme zugebilligt waren. Figaro, der ja auch versucht, Strippen zu ziehen, wirkte durch diese Kostümierung im Vergleich mit dem Grafen etwas unterbelichtet. Insgesamt passte die, bei manchen wie dem Don Basilio oder auch dem Cherubino auch leicht ins Groteske (aufwattierter Beckenbereich) gehende Kostümierung aber auch zur Inszenierung des Stücks, die alle Sängerinnen und Sänger auf der Bühne beließ, zum Beispiel als Zuschauer oder auch mimische Kommentatoren des Geschehens. Dadurch blieb die Aufführung sehr kurzweilig, auch während der vielen Rezitative, die bei anderen Aufführungen die Aufmerksamkeit etwas durchhängen ließen. Jedenfalls war ich bisher in noch keiner Figaro-Aufführung die gesamte Zeit von dem, was auf der Bühne vor sich ging, so gefesselt, wie gestern Abend. Das hatte aber auch mit der gesanglichen Leistung zu tun, die zumindest in der zuletzt 2015 gesehenen Premierenbesetzung deutlich schwächer gewesen war. Das Publikum war im Übrigen begeistert von der Inszenierung und der Aufführung.