falsche chronologie im weltgedächtnis

  • die durchnummerierung von werken einer gattung erleichtert (vor allem nichtmusikern) die schnelle identifizierung eines stückes.
    allerdings entspricht manchmal die reihenfolge (der veröffentlichung) nicht der entstehungschronologiie. so ist z.b. beethovens 2. klavierkonzert eigentlich sein 1., oder schumanns 4. sinfonie eigentlich seine 2.
    wer kennt noch solche fälle, und wo waren die umarbeitungen früher entwürfe doch so gravierend, dass man von einem neuen werk sprechen könnte?

  • Du sprichst ein Problem an, das ich auch schon oft bedauert habe - wenn es doch bloß alles so übersichtlich wäre, wie es eine simple Werknummerierung eigentlich erhoffen ließe :no:


    Bei Chopins Klavierkonzerten verhält es sich meines Wissens genauso: Das heute als Nr. 2 bekannte Werk entstand zuerst - und dabei hat der Mann doch eh nur 2 Klavierkonzerte geschrieben (hier lag es wohl mal wieder am Verleger, der das später entstandene Werk eben zuerst veröffentlichte) :motz:

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Ulli hatte sich ja neulich schonmal über die Nicht-Chronologizität ( :rolleyes: ) der Beethovenschen Opuszahlen (die das jedoch gar nicht beanspruchen) beschwert...
    Deutlich früher als die Opuszahl 49 sind diese beiden Sonaten entstanden. Bei den späten Quartetten ist die Entstehungsreihenfolge
    op.127, op.132, op.130 (mit op. 133), op.131, op.135, nachkomponiertes Ersatz-Finale zu op. 130.


    Schumann hat etliche seiner Werke überarbeitet, die zusätzlichen Variationen der Sinfonischen Etüden werden ja heute oft gespielt; 4 Lieder wurden aus der Dichterliebe entfernt, angeblich auch Klavierwerke wie Davidsbündlertänze, Fantasie usw. überarbeitet (hier weiß ich aber keine Details).


    Brahms' Trio op.8 wird heute normalerweise in einer stark überarbeiteten Fassung, die über 20 Jahre nach dem Original entstand, gespielt.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • ich glaube, brahms hat sein op. 50 für das erste streichquartett reserviert, um eine besonders runde nummer für eine besonders zentrale gattung zur verfügung zu haben. somit dürften opp. 51ff vor op. 50 fertig gewesen sein.

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  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    ich glaube, brahms hat sein op. 50 für das erste streichquartett reserviert, um eine besonders runde nummer für eine besonders zentrale gattung zur verfügung zu haben. somit dürften opp. 51ff vor op. 50 fertig gewesen sein.


    Fragt sich nur, warum die Quartette dann letzlich doch die nicht besonders runde Nummern 51 erhielten ?(:hahahaha:


    Ergänzung: Eine andere Sache ist, dass der junge Brahms angeblich eine unbestimmte Anzahl von Quartetten (manchmal wird behauptet, es ca. ein dutzend gewesen) geschrieben, aber wieder vernichtet hatte, weil sie ihm nicht gut genug waren.


    :hello:


    JR

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  • Zitat

    Original von observator
    die durchnummerierung von werken einer gattung erleichtert (vor allem nichtmusikern) die schnelle identifizierung eines stückes.
    allerdings entspricht manchmal die reihenfolge (der veröffentlichung) nicht der entstehungschronologe. so ist z.b. beethovens 2. klavierkonzert eigentlich sein 1., oder schumanns 4. sinfonie eigentlich seine 2.
    wer kennt noch solche fälle,


    Na ich:


    Die Zauberflöte [KV 620] gilt [galt] gemeinhin als Mozarts letztes Bühnenwerk. Tatsächlich ist es La Clemenza di Tito KV 621, die wurde am 06. September 1791 uraufgefürt, die Zauberflöte erst am 30.09.1791.


    Zitat

    und wo waren die umarbeitungen früher entwürfe doch so gravierend, dass man von einem neuen werk sprechen könnte?


    Kraus: Er arbeitete auf Anraten Haydns seine grandiose cis-moll-Sinfonie in eine schwächere c-moll-Sinfonie [1783] um und widmete sie dann dem Wüstling :D Das Menuett wurde entfernt [in der c-moll würde es tatsächlich nicht passen] und tauschte einige musikalische Themen aus... zwei völlig unterschiedliche Werke. Die ursprüngliche cis-moll-Sinfonie erscheint mir persönlich "moderner" zu sein.


    :hello:


    Ulli


    P.S. Du hast ein "i" vergessen.
    P.P.S. Und im Knöchelverzeichnis werden [wurden] dauernd die Knochen neu sortiert...

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo Ulli,


    Du wirfst eine Frage auf, die ich mir auch immer wieder mal gestellt habe:


    Wenn der Titus am 06.09.1791 uraufgeführt wurde, ist er doch definitiv nicht die letzte Mozart-Oper, da die UA der Zauberflöte ja erst knapp 4 Wochen später, am 30.09.1791 folgt und somit die letzte Oper sein müsste.


    Im Köchelverzeichnis ist es aber genau umgekehrt und der Titus trägt die höhere KV-Nummer.


    Das würde ja bedeuten, dass Köchel sich hier nicht nach den UA-Daten gerichtet hat (wie sonst immer), sondern wohl davon ausging, dass die Komposition der Zauberflöte zum Zeitpunkt der Titus-Produktion und -Uraufführung bereits (vollständig) abgeschlossen war und man mit der UA halt nur warten musste, bis die lästige Prager Pflichtübung Anfang September über die Bühne gebracht worden war - oder wie soll man die umgekehrt proportionale KV-Nummerierung dieser beiden Opern sonst verstehen???

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    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

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  • Morgen,


    das Köchelverzeichnis sortiert grundsätzlich nach dem Vollendungszeitpunkt, nicht nach der Uraufführung und richtet sich dabei grundsätzlich nach Mozarts eigenem Verzeichnüß.


    Diesem folgend wurde im Jullius die "Zauberflöte" und den 5ten Sept. "La CLemenza di Tito" vollendet.


    Grund für die Verwirrung ist, dass Mozart am 28ten Sept. den Priestermarsch und die Ouvertüre zur Zauberflöte nachträgt, was in seinem Verzeichnis einzigartig ist. Die Zauberflöte war als in sich geschlossenens Werk im Juli 1791 vollendet, denn die für die Handlung wichtigen Teile waren alle vor dem Titus fertiggestellt. Auch wenn Ouvertüre und Priestermarsch erst etwa drei Wochen nach dem Titus eingetragen und vollendet wurden, war doch der Hauptteil bereits fertiggestellt. Ich finde das logisch.


    Interessant ist der Aspekt, dass Mozart die Zauberflöte auch ohne die Ouvertüre [und den Priestermarsch] als [in sich geschlossenes] vollendetes Werk ansah, sonst hätte er es kaum als vollendet in sein Verzeichnis eingetragen. So gesehen wäre die Ouvertüre zur Zauberflöte austauschbar, kaum vorzustellen!


    Ich habe noch einen anderen interessanten Lösungsansatz: Mozart war gar nicht damit beauftragt, die Zauberflöte komplett zu komponieren. Möglich wäre immerhin eine ursprünglich geplante Zusammenarbeit mit F. X. Gerl, Henneberg usw. analog dem Stein der Weisen. Vielleicht hat Mozart erst nach Ende Juli durchgesetzt, dass ER die Zauberflöte vollständig schreibt oder Schikaneder hatte Brassel mit Gerl und Henneberg und hat den Auftrag an Mozart erweitert? Wer weiß? Jedenfalls würde dies die exklusiven Nachträge vom 28. September 1791 erklären. Beim Don Giovanni hat Mozart [angeblich] auch die Ouvertüre erst eine Nacht vor der UA komponiert, aber hier hat Mozart das Gesamtwerk nicht in seinem Verzeichnis zerlegt...


    Ich kann heute Abend noch einmal bei H. C. Robnis Landon nachschlagen. Dort steht wortwörtlich "Nicht ... sondern ... war Mozarts letzte Oper". Ich weiß nur nicht mehr wie herum. Anhand der Schriften und Wasserzeichen hat Landon einiges ans Tageslicht befördert, was zur Klärung der Sache beträgt.


    Viele Grüße
    Ulli

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  • Ein "herrliches" Durcheinander existiert auch bei den Scarlatti-Sonaten. Alle paar Jahr (Jahrzehnte) ein neues Werkverzeichnis, könnte man meinen. Das meistverbreitete von Kirkpatrick ist nicht durchgehend chronologisch.


    Übrigens ist es wie verhext: So gut wie immer wenn ich in mein CD-Archiv eine neue Scarlatti-Sonate eintragen möchte, ich habe sie dort nach der K-Nummer geordnet, ist nur die L-Nummer angegeben. Furchbar!


    Thomas

  • Hallo Thomas,


    bitte um kurze Aufklärung: Was verbirgt sich hinter K und L???


    K = Kirkpatrick?


    Im übrigen stelle ich mir die Erstellung eines Werkverzeichnisses bei Scarlattis Domenico auch ziemlich schwer vor:
    Hunderte Werke der gleichen Gattung - da muss man ja irgendwie irgendwann mal durcheinander kommen :]

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  • Hallo MarcCologne,


    ja, K steht für Kirkpatrick. Es ist das am weitesten verbreitete Verzeichnis. L steht für Longo.


    Es gibt aber auch noch, allerdings selten, ein P. Das ist dann das Verzeichnis bzw. die Sammlung von Pestelli.


    Gruß, Thomas

  • Zitat

    Original von Ulli


    Ich habe noch einen anderen interessanten Lösungsansatz: Mozart war gar nicht damit beauftragt, die Zauberflöte komplett zu komponieren. Möglich wäre immerhin eine ursprünglich geplante Zusammenarbeit mit F. X. Gerl, Henneberg usw. analog dem Stein der Weisen. Vielleicht hat Mozart erst nach Ende Juli durchgesetzt, dass ER die Zauberflöte vollständig schreibt oder Schikaneder hatte Brassel mit Gerl und Henneberg und hat den Auftrag an Mozart erweitert? Wer weiß? Jedenfalls würde dies die exklusiven Nachträge vom 28. September 1791 erklären.


    Salut,


    in Ergänzung dazu - ich hatte heute Zeit, nachzudenken:


    Der nachkomponierte Priestermarsch könnte sogar eine ganz besondere Bedeutung bei dieser Theorie haben: Wenn man nämlich die Vorbilder oder Vorgänger der Zauberflöte, hier mal den Stein der Weisen, hinzuzieht, wird man schnell feststellen, was an dieser 1790er Schikanederoper beonders ist: Sie hat nämlich zwei Ouvertüren, d.h. je eine vor jedem Akt. Und der nachkomponierte Priestermarsch ist ebenfalls zumindest der Beginn des 2. Aktes! D. h., Mozart hat beide Akteinleitungen zum Schluß komponiert. Dabei darf nicht übersehen werden, dass es noch ein ziemlich dramatisches Ouvertürenfragment KV 620a gibt, welches [bisher] als "Versuch" zur Zauberflötenouvertüre dargestellt wurde und einer der beiden "Stein-Ouvertüren" sehr ähnelt.


    Außerdem ist auffallend, dass Mozart - seit er sein Verzeichnüß führt [02.1784] - stets bei Opern ausschliesslich die Ouvertüren incipiert. Nicht so bei der Zauberflöte: Hier notiert er die Anfangstakte der Introduzione, eine Beizechnung übrigens, die ebenso bei der N° 1 des Stein der Weisen wiederzufinden ist.


    Unter Berücksichtigung obiger Theorie könnte das erwähnte Fragment KV 620a daher sogar als Ouvertüre zum 2. Akt gedacht gewesen sein - sie mußte eben zugunsten des Priestermarsches weichen, nachdem klar war, dass Mozart allein die Zauberflöte komponierte und somit ein mögliches Gerangel um die Komposition der Ouvertüren entfiel.


    Dafür gibt es ein weiteres Indiz: Die Arie "Rivolgete" KV 584 trägt Mozart noch vor Vollendung der Cosí KV 588 in sein Verzeichnis ein, als Eine Arie, welche in die Oper Cosí fan tutte bestimmt war. Das geschieht im Oktober 1789. Erst nach Vollendung der gesamten Oper trägt er diese unter Incipierung der Ouvertüre im Jenner. 1790 ein. Das sagt mir eigentlich ziemlich klar, dass Mozart zunächst gar nicht beabsichtigt oder den Auftrag nicht hatte, die Ouvertüre[n] zu komponieren.


    Habe ich das gut ausgedacht?


    :hello:


    Ulli

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  • Hallo Ulli,


    Zitat

    Ich habe noch einen anderen interessanten Lösungsansatz: Mozart war gar nicht damit beauftragt, die Zauberflöte komplett zu komponieren. Möglich wäre immerhin eine ursprünglich geplante Zusammenarbeit mit F. X. Gerl, Henneberg usw. analog dem Stein der Weisen. Vielleicht hat Mozart erst nach Ende Juli durchgesetzt, dass ER die Zauberflöte vollständig schreibt oder Schikaneder hatte Brassel mit Gerl und Henneberg und hat den Auftrag an Mozart erweitert?


    Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass Mozart die Zauberflöte nicht komplett selber schreiben sollte - dafür ist nach Ende Juli 1791 einfach schon zuviel von der Oper durch ihn komponiert worden. Deine Theorie wäre sicher bedenkenswert, wenn zu diesem Zeitpunkt beispielsweise nur Musik des Ersten Aktes vorgelegen hätte.
    Aber da Ende Juli (wenn ich Deinen Darstellungen richtig folge), anscheinend nur noch die Ouvertüre und der Priestermarsch fehlen, wäre das ja ein bissel wenig, um noch einen zweiten Komponisten einzubeziehen.
    Schikaneder wusste, glaube ich, ganz gut, dass er Mozart ohne Weiteres auch mit der Komposition einer ganzen abendfüllenden Opera beauftragen konnte und nicht auf eine "Behelfslösung" mit mehreren beteiligten Komponisten zurückgreifen musste, was ja oft auch eine Frage der drängenden Zeit bis zur Premiere war - für das Projekt Zauberflöte hatte man ja anscheinend sogar so viel Zeit, dass Wolfgang noch den Titus in Prag bequem dazwischen schieben konnte.
    Und so komponierte er eben alle Vokalnummern und während die Sängerinnen und Sänger dann schon mal üben konnten, stürzte er sich auf die Komposition des Titus.
    Die reinen Instrumentalnummern seiner Opern (und das waren ja häufig in der Hauptsache nur die Ouvertüren) lieferte Mozart ja sowieso gern etwas später nach.
    Evtl. hatte er vor dem Eintreffen des Prager Opernauftrages sogar noch mit der Ouvertürenkomposition begonnen, diese dann aber erstmal wieder zurückgestellt und in dieser Form nicht wieder aufgegriffen und fertiggestellt (das wäre dann 620a).
    Nach der Rückkehr aus Prag komponierte er dann die beiden noch fehlenden Instrumentalnummern, die er -wohl aufgrund des unüblichen großen Zeitabstandes zu den restlichen fertigen Teilen der Zauberflöte- in seinem Verzeichnüß gesondert eintrug.


    Das wäre meine Theorie zur etwas chaotischen Chronologie bei Mozart und seinen Opern Zauberflöte und Titus.


    Wat meinste denn dazu, mon cher? :hello:

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  • Seinem Erstlingswerk gab Satie die Opuszahl 62 mit auf den Weg. Jedoch nicht um das Werk besser verkaufen zu können. Es war eins seiner vielen noch folgenden Spässe... ;)

  • Salut Marc,


    alles schön und gut; doch erklärt es nicht, warum Mozart die Ouvertüre und den PM nachträglich in sein Verzeichnis eintrug, unabhängig davon, dass er ja eh die Ouvertüren immer als letztes Komponierte. Wie gesagt hat er ansonsten die Opern immer erst nach Vollendung eingetragen und dann ausschließlich die Ouvertüre anskizziert. Warum trägt er eine unvollendete Zauberflöte "als vollendet" ein, die mit der Introduzione beginnt?


    Zudem: Wann Mozart was von der Zauberflöte komponiert hat, kann eh nur vermutet werden, Anhaltspunkte [die etwas beweisen würden] gibt es kaum.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)