Liebe Musikfreunde,
nun möchte ich hier ein weiteres Streichquartett Beethovens vorstellen, und zwar das in cis-moll op. 131. Es gehört nicht zu den Galitzin Quartetten, sondern ist Fürst von Stutterheim, dem Kommandeur eines Infanterieregiments in Iglau - und Vorgesetzten Beethovens Neffen Karl - gewidmet. Allerdings empfinde ich eine besondere musikalisch-gefühlsmäßige Nähe zu den vorherkomponierten Quartetten opp. 132 und 130.
Sofort nach Beendigung des letztgenannten Quartetts, und somit der Galitzin-Trias, Ende 1825 begann Beethoven die Komposition des cis-Moll-Streichquartetts. Trotz Krankheit beendete er diese Komposition bereits im Juli des folgenden Jahres, ungeduldig erwartet von den Musikern „seines“ Schuppanzigh Quartetts. Zu Lebzeiten Beethovens wurde das Quartett mehrmals privat gespielt, eine öffentliche Aufführung ist nicht belegt. Kurz nach dessen Tod erschienen im Schott-Verlag die Stimmenausgabe und die Partitur.
Bereits im Hinblick auf die in diesem Forum besprochenen Werke Beethovens op. 127 und besonders op. 132 erwähnte ich den fortschrittlichen Umgang mit den bisher bestehenden musikalischen Formen und Gewohnheiten. Op. 130 und 131 sollen da noch eine Steigerung sein; wie ich finde, hat Beethoven hier den Höhepunkt der allmählichen Auflösung von Strukturen und Änderungen bisheriger Hörgewohnheiten (so vermute ich) erreicht. Dies gilt, wie noch zu zeigen ist, auch für weitere Parameter bzw. Gesichtspunkte.
Betrachten wir hier die formelle Satzstruktur und schauen uns die vorangegangenen Quartette in chronologischer Reihenfolge an: Op. 127 hat, wie damals üblich, vier Sätze, op. 132 fünf, op. 130 sechs und op. 131 sieben. Aber – handelt es sich, besonders im letztgenannten Quartett, überhaupt noch um „Sätze“ im traditionellen Sinn? Beethoven tat dies, wie es überliefert ist, wohl nicht. Er sprach bzw. schrieb dabei von „Stücken“.
Während bisher die meist vier Sätze in der Regel zwar dem Gesamtwerk dienten, gleichzeitig aber auch eher in sich geschlossene eigene Organismen darstellten, kann man dies wohl nicht so in diesem Sinn von allen sieben Sätzen Beethovens cis-Moll-Quartetts sagen. Nicht nur die kürzeren zeigen hinsichtlich der Formalität weniger Geschlossenheit auf. Ich möchte die Beschreibung keinesfalls auf die Spitze treiben, habe aber, um es plastischer auszudrücken, bei den „Sätzen“ (ich verwende aus Gewohnheit auch hier weiterhin die Bezeichnung „Satz“) ein wenig den Eindruck von Bausteinen, was ebenso für die beiden Schwesternwerke gilt. Ich komme auch deshalb auf dieses Bild, da Beethoven seine „Stücke“ teilweise als „Bausteine“ behandelte. So war im op. 132 ein Allegro-Teil ursprünglich als eigener Satz geplant (also war an insgesamt 6 Sätze gedacht), bevor sich Beethoven entschloss, diesen Teil in das „Alla marcia“ zu integrieren (so besteht dieses Quartett nun aus 5 Sätzen).
Oder sehen wir uns das „Alls danza tedesca“ in op. 130 an. Es war ursprünglich für das op. 132 geplant, wurde dann kurz umtransponiert und verschoben. Auch der fast spontane Austausch des Finales von op. 130 ist ja durch das betreffende Thema (Große Fuge) hier ja bereits bekannt.
Der formale Aufbau des cis-moll-Quartetts also:
1. Adagio ma non troppo e espressivo
2. Allegro molto vivace
3. Allegro moderato
4. Andante ma non troppo e molto cantabile
5. Presto
6. Adagio quasi un poco andante
7. Allegro
Wie ich gelesen habe, wollte Beethoven das Quartett ursprünglich ohne Pausen zwischen den einzelnen Sätzen gespielt wissen. Wie in den Konversationsheften zu ersehen ist (das Studium der Hefte lohnt sich sowieso, da es einen guten Einblick in die Person Beethovens gibt) hat sich Beethoven gegenüber dem Drängen des ihm sehr nahe stehenden Zweiten Violinisten des Schuppanzigh Quartetts Karl Holz auf eine einzige Pause, und zwar nach dem Presto eingelassen. Holz machte somit halbwegs erfolgreich darauf aufmerksam, dass der Komponist Stimmöglichkeiten zwischen den Sätzen sowie die Gefahr der Ermüdung der Zuhörer beim Durchspiel berücksichtigen solle.
Da ich mich entgegen meinem Vorhaben mit dem formalen Aufbau zu lange aufgehalten habe, werde ich die Einführung dabei belassen und die einzelnen Abschnitte, sofern dies noch nicht durch jemand anders geschehen ist, als Grundlage für weitere mögliche Beiträge kurz skizzieren.
Wie ich in diesem Forum als auch an anderen Stellen vernommen habe, scheint dieses Quartett verhältnismäßig beliebt zu sein – wahrscheinlich mehr als die anderen späten Quartette, und dies teilweise bei Liebhabern der etwas älteren Musik, wie den Werken der Wiener Klassik. Dies erstaunt mich etwas, da das op. 131 ja wohl (s.o.) das formell freieste, revolutionärste und vielleicht modernste Streichquartett oder überhaupt Werk Beethovens (neben op. 130 incl. der großen Fuge) ist.
Für mich selber ist dieses Streichquartett eines der komplettesten, faszinierendsten und tiefsten Musikwerke überhaupt. Immer, nachdem ich es gehört habe, stelle ich fest, dass dies mein Lieblingswerk ist (so geht es mir allerdings noch bei 4 oder 5 anderen Werken).
Uwe