BEETHOVEN, Ludwig van: Streichquartett cis-moll op. 131

  • Liebe Musikfreunde,


    nun möchte ich hier ein weiteres Streichquartett Beethovens vorstellen, und zwar das in cis-moll op. 131. Es gehört nicht zu den Galitzin Quartetten, sondern ist Fürst von Stutterheim, dem Kommandeur eines Infanterieregiments in Iglau - und Vorgesetzten Beethovens Neffen Karl - gewidmet. Allerdings empfinde ich eine besondere musikalisch-gefühlsmäßige Nähe zu den vorherkomponierten Quartetten opp. 132 und 130.


    Sofort nach Beendigung des letztgenannten Quartetts, und somit der Galitzin-Trias, Ende 1825 begann Beethoven die Komposition des cis-Moll-Streichquartetts. Trotz Krankheit beendete er diese Komposition bereits im Juli des folgenden Jahres, ungeduldig erwartet von den Musikern „seines“ Schuppanzigh Quartetts. Zu Lebzeiten Beethovens wurde das Quartett mehrmals privat gespielt, eine öffentliche Aufführung ist nicht belegt. Kurz nach dessen Tod erschienen im Schott-Verlag die Stimmenausgabe und die Partitur.


    Bereits im Hinblick auf die in diesem Forum besprochenen Werke Beethovens op. 127 und besonders op. 132 erwähnte ich den fortschrittlichen Umgang mit den bisher bestehenden musikalischen Formen und Gewohnheiten. Op. 130 und 131 sollen da noch eine Steigerung sein; wie ich finde, hat Beethoven hier den Höhepunkt der allmählichen Auflösung von Strukturen und Änderungen bisheriger Hörgewohnheiten (so vermute ich) erreicht. Dies gilt, wie noch zu zeigen ist, auch für weitere Parameter bzw. Gesichtspunkte.


    Betrachten wir hier die formelle Satzstruktur und schauen uns die vorangegangenen Quartette in chronologischer Reihenfolge an: Op. 127 hat, wie damals üblich, vier Sätze, op. 132 fünf, op. 130 sechs und op. 131 sieben. Aber – handelt es sich, besonders im letztgenannten Quartett, überhaupt noch um „Sätze“ im traditionellen Sinn? Beethoven tat dies, wie es überliefert ist, wohl nicht. Er sprach bzw. schrieb dabei von „Stücken“.


    Während bisher die meist vier Sätze in der Regel zwar dem Gesamtwerk dienten, gleichzeitig aber auch eher in sich geschlossene eigene Organismen darstellten, kann man dies wohl nicht so in diesem Sinn von allen sieben Sätzen Beethovens cis-Moll-Quartetts sagen. Nicht nur die kürzeren zeigen hinsichtlich der Formalität weniger Geschlossenheit auf. Ich möchte die Beschreibung keinesfalls auf die Spitze treiben, habe aber, um es plastischer auszudrücken, bei den „Sätzen“ (ich verwende aus Gewohnheit auch hier weiterhin die Bezeichnung „Satz“) ein wenig den Eindruck von Bausteinen, was ebenso für die beiden Schwesternwerke gilt. Ich komme auch deshalb auf dieses Bild, da Beethoven seine „Stücke“ teilweise als „Bausteine“ behandelte. So war im op. 132 ein Allegro-Teil ursprünglich als eigener Satz geplant (also war an insgesamt 6 Sätze gedacht), bevor sich Beethoven entschloss, diesen Teil in das „Alla marcia“ zu integrieren (so besteht dieses Quartett nun aus 5 Sätzen).


    Oder sehen wir uns das „Alls danza tedesca“ in op. 130 an. Es war ursprünglich für das op. 132 geplant, wurde dann kurz umtransponiert und verschoben. Auch der fast spontane Austausch des Finales von op. 130 ist ja durch das betreffende Thema (Große Fuge) hier ja bereits bekannt.


    Der formale Aufbau des cis-moll-Quartetts also:


    1. Adagio ma non troppo e espressivo
    2. Allegro molto vivace
    3. Allegro moderato
    4. Andante ma non troppo e molto cantabile
    5. Presto
    6. Adagio quasi un poco andante
    7. Allegro


    Wie ich gelesen habe, wollte Beethoven das Quartett ursprünglich ohne Pausen zwischen den einzelnen Sätzen gespielt wissen. Wie in den Konversationsheften zu ersehen ist (das Studium der Hefte lohnt sich sowieso, da es einen guten Einblick in die Person Beethovens gibt) hat sich Beethoven gegenüber dem Drängen des ihm sehr nahe stehenden Zweiten Violinisten des Schuppanzigh Quartetts Karl Holz auf eine einzige Pause, und zwar nach dem Presto eingelassen. Holz machte somit halbwegs erfolgreich darauf aufmerksam, dass der Komponist Stimmöglichkeiten zwischen den Sätzen sowie die Gefahr der Ermüdung der Zuhörer beim Durchspiel berücksichtigen solle.


    Da ich mich entgegen meinem Vorhaben mit dem formalen Aufbau zu lange aufgehalten habe, werde ich die Einführung dabei belassen und die einzelnen Abschnitte, sofern dies noch nicht durch jemand anders geschehen ist, als Grundlage für weitere mögliche Beiträge kurz skizzieren.


    Wie ich in diesem Forum als auch an anderen Stellen vernommen habe, scheint dieses Quartett verhältnismäßig beliebt zu sein – wahrscheinlich mehr als die anderen späten Quartette, und dies teilweise bei Liebhabern der etwas älteren Musik, wie den Werken der Wiener Klassik. Dies erstaunt mich etwas, da das op. 131 ja wohl (s.o.) das formell freieste, revolutionärste und vielleicht modernste Streichquartett oder überhaupt Werk Beethovens (neben op. 130 incl. der großen Fuge) ist.


    Für mich selber ist dieses Streichquartett eines der komplettesten, faszinierendsten und tiefsten Musikwerke überhaupt. Immer, nachdem ich es gehört habe, stelle ich fest, dass dies mein Lieblingswerk ist (so geht es mir allerdings noch bei 4 oder 5 anderen Werken).


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Zitat

    Original von Uwe Schoof
    Während bisher die meist vier Sätze in der Regel zwar dem Gesamtwerk dienten, gleichzeitig aber auch eher in sich geschlossene eigene Organismen darstellten, kann man dies wohl nicht so in diesem Sinn von allen sieben Sätzen Beethovens cis-Moll-Quartetts sagen. Nicht nur die kürzeren zeigen hinsichtlich der Formalität weniger Geschlossenheit auf. Ich möchte die Beschreibung keinesfalls auf die Spitze treiben, habe aber, um es plastischer auszudrücken, bei den „Sätzen“ (ich verwende aus Gewohnheit auch hier weiterhin die Bezeichnung „Satz“) ein wenig den Eindruck von Bausteinen, was ebenso für die beiden Schwesternwerke gilt. Ich komme auch deshalb auf dieses Bild, da Beethoven seine „Stücke“ teilweise als „Bausteine“ behandelte. So war im op. 132 ein Allegro-Teil ursprünglich als eigener Satz geplant (also war an insgesamt 6 Sätze gedacht), bevor sich Beethoven entschloss, diesen Teil in das „Alla marcia“ zu integrieren (so besteht dieses Quartett nun aus 5 Sätzen).


    Ich fürchte zwar ich verstehe hier mal wieder miß, aber anders als beim B-Dur-Quartett habe ich hier nie den Eindruck von wenig Geschlossenheit oder gar Beliebigkeit in der Reihung der Sätze (es wäre beim B-Dur evtl denkbar z.B. Sätze 2 u. 4 vertauschen, hier natürlich nichts dergleichen). Im Gegenteil finde ich die Abfolge als eine zwar einzigartige, aber schlüssige Entwicklung.
    Auch die einzelnen Sätze selbst wirken auf mich eher "geschlossener" als z.B. die Kopfsätze der a-moll- und B-Dur-Quartette.


    Der Aufbau ist nicht ganz so ungewöhnlich wie es scheinen mag und es ist ja auch keine suitenhafte Reihe wie bei op. 130, denn zwar ist dieser Anfang:


    1. Adagio ma non troppo e espressivo cis-moll
    2. Allegro molto vivace D-Dur


    ziemlich ungewöhnlich, ein langsamer fugato-Satz, der viel zu lange und komplex ist, um irgendwie als Einleitung gedeutet werden zu können und dann ein knapper schneller Satz von etwas schwebendem Charakter.


    3. Allegro moderato ist nur eine kleine rezitativartige Überleitung


    4. Andante ma non troppo e molto cantabile A-Dur ist ein Variationensatz


    5. Presto E-Dur ist ein ziemlich normales Scherzo


    6. Adagio quasi un poco andante gis-moll kann man als kurze langsame Einleitung für das Finale
    7. Allegro cis-moll sehen.


    Man hat also: langsamer fugato-Satz/schneller Satz als "Kopfsatz"(1) - Überleitung - langsamer Variationensatz (2) - Scherzo (3)- langsame Ein/Überleitung- schnelles Finale (4); d.h. mit etwas Mühe ein quasi-viersätziges Werk


    Zitat


    Wie ich gelesen habe, wollte Beethoven das Quartett ursprünglich ohne Pausen zwischen den einzelnen Sätzen gespielt wissen.


    Zwischen den ersten 4 Sätzen wären Pausen unmöglich, auch nach dem Variationensatz sollte es im Idealfall nicht mehr als ein langes Luftholen sein.


    Zitat


    Dies erstaunt mich etwas, da das op. 131 ja wohl (s.o.) das formell freieste, revolutionärste und vielleicht modernste Streichquartett oder überhaupt Werk Beethovens (neben op. 130 incl. der großen Fuge) ist.


    vielleicht, aber die Musik selbst ist m.E. ziemlich eingängig. Ich glaube ich habe das Stück in der sehr süffig-romantischen Streichorchesterfassung unter Bernstein (aus dem Radio mitgeschnitten) kennengelernt und war sofort fasziniert, da war ich ca. 17. Manchmal ist es ein Vorteil noch nicht so stark an gewisse Formalitäten (ist das nun eine Sonatensatz, warum kommt denn jetzt kein Satz vom typ X) gewohnt zu sein...


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo, Uwe!


    Vielen Dank für den thread!


    Ich trau mich einfach mal, etwas zu schreiben:


    Das mit der Satzfolge sehe ich ähnlich wie Johannes.
    Zu Beginn stehen Präludium und Fuge in umgekehrter Reihenfolge - also Fuge und Postludium. Mit einer so intensiven, "tiefen" Adagio-Fuge zu beginnen finde ich fast so "unerhört" wie die Große Fuge als Finale von op. 133.
    Wenn ich mich recht erinnere, hat Beethoven direkt nach op. 133 mit op. 131 begonnen - Fuge folgte also auf Fuge, eine Art übergeordneter Bezug, der die beiden Quartettwerke ideell verklammert.
    Der folgende Variationssatz (einer der großartigsten, die es gibt!) hat eine kurze Einleitung, ebenso wie das Finale.


    Die Pause nach dem Scherzo müßte eigentlich auch nicht sein, so "auffordernd" im Auftakt, wie der Satz endet, muß es eigentlich doch gleich weitergehen...
    Allerdings finde ich das Scherzo nicht "ziemlich normal" (JR), sondern für mich ist hier ein "Höhepunkt der Änderungen der Hörgewohnheiten" (US) erreicht. Diese Zäsuren, das Pizzicato, die Synkopen, alles schon dagewesen - aber dennoch, das klingt doch sehr "anders", besonders das "Flirren" kurz vor Ende des Satzes (das hat es so davor bestimmt noch nicht gegeben).


    Der kurze Satz vor dem Finale mutet sehr archaisch an. Wenn ich mich recht erinnere, ist er ein verk(n)apptes Menuett - ein Rückverweis also auf längst vergangene Strukturen (wie auch in den Diabelli-Variationen).


    Das Revolutionäre an diesem Werk ist für mich also nicht, daß Beethoven das alte Satzgefüge zerstört (das ist etwas versteckt immer noch vorhanden), sondern daß er die einzelnen Bestandteile völlig neu "bewertet" und interpretiert.


    Aber diese ganze Diskussion um die Form ist angesichts des Inhalts, also der Musik, die dieses Werk bietet, irgendwie nebensächlich...


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Zitat

    Original von Pius
    Das mit der Satzfolge sehe ich ähnlich wie Johannes.
    Zu Beginn stehen Präludium und Fuge in umgekehrter Reihenfolge - also Fuge und Postludium. Mit einer so intensiven, "tiefen" Adagio-Fuge zu beginnen finde ich fast so "unerhört" wie die Große Fuge als Finale von op. 133.


    Ich frage mich tatsächlich, ob es irgendeine konkrete Inspiration oder einen Vorläufer für einen solchen Anfang gibt; ich glaube nicht. Die Sätze gehören auch nicht wirklich zusammen, der Tonarten- und Stimmungskontrast ist zu stark. Am nächsten kommt vielleicht noch (wobei ich hier zweifle, ob Beethoven die kannte) eine Sinfonie wie Haydns "la Passione" Nr 49, obwohl es dort keine richtige Fuge am Beginn ist und der schnelle folgende Satz in der gleichen Tonart steht.


    Zitat


    Die Pause nach dem Scherzo müßte eigentlich auch nicht sein, so "auffordernd" im Auftakt, wie der Satz endet, muß es eigentlich doch gleich weitergehen...


    Bei mir steht zwar eine Fermate auf dem letzten halben Takt Pause, aber dann "attaca", d.h. eine wirkliche Pause soll nicht gemacht werden.


    Zitat


    Allerdings finde ich das Scherzo nicht "ziemlich normal" (JR), sondern für mich ist hier ein "Höhepunkt der Änderungen der Hörgewohnheiten" (US) erreicht. Diese Zäsuren, das Pizzicato, die Synkopen, alles schon dagewesen - aber dennoch, das klingt doch sehr "anders", besonders das "Flirren" kurz vor Ende des Satzes (das hat es so davor bestimmt noch nicht gegeben).


    Das Flirren ist das "sul ponticello" (am Steg), was ich u.a. neulich bei der Haydn #97 etwas vermißt habe, weil es mit vollen Orchester natürlich nicht ganz so flirrend klingt wie mit Quartett und exakt diese Stelle in op.131 ist es, bei der ich diesen Effekt zum ersten Mal wahrgenommen habe. IIRC gibt es bei Bartok mal ein ganzes Scherzo mit dieser Spielweise. Und in Vivaldis Winter am Anfang, also das gab es schon vorher.
    Ich meinte mit "normal" hauptsächlich, dass es sich um einen formal relativ normalen Satz handelt, gewiß ist es kein 0815-Scherzo. Es ist überdies mit dem 2. Satz aus op. 130 AFAIK das einzige Scherzo im 2/2 bei Beethoven.

    Neulich fand ich im Netz einen interessanten Text von Ben Zander zu Beethovens 9.; es gibt hier eine schwer zu deutende MM-Angabe für den Mittelteil des 2. Satzes, es ist unklar, ob Beethoven halbe (zu langsam) oder ganze (zu schnell) Takte so schnell wie einen Takt des molto vivace (Takt=116) haben wollte, oder ob die Zahl ganz falsch ist. Zander plädiert für die sehr schnelle Option, was ungefähr dem üblichen tempo für dieses Scherzo entspricht. man versuche mal sich die Stelle aus der 9. so vorzusingen....?!?


    Zitat


    Der kurze Satz vor dem Finale mutet sehr archaisch an. Wenn ich mich recht erinnere, ist er ein verk(n)apptes Menuett - ein Rückverweis also auf längst vergangene Strukturen (wie auch in den Diabelli-Variationen).


    Trotz 3/4 höre ich hier, u.a. wg. des doch recht langsamen tempos eigentlich kein Menuett.


    Zitat


    Das Revolutionäre an diesem Werk ist für mich also nicht, daß Beethoven das alte Satzgefüge zerstört (das ist etwas versteckt immer noch vorhanden), sondern daß er die einzelnen Bestandteile völlig neu "bewertet" und interpretiert.


    Aber diese ganze Diskussion um die Form ist angesichts des Inhalts, also der Musik, die dieses Werk bietet, irgendwie nebensächlich...


    Ist sie das wirklich? Die Form insgesamt ist ja ein Teil der Musik. Für die Wirkung finde ich zB nicht unerheblich, dass man, obwohl die Sätze deutlich als solche erkennbar sind ca. 40 min pausenlose Musik vor sich hat...


    viele Grüße


    JR

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  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Neulich fand ich im Netz einen interessanten Text von Ben Zander zu Beethovens 9.


    Hallo JR,
    ist hier off topic, aber kannst du mal den Link nennen? Kann den Text mit Google nicht finden.
    Beethovens Metronomangabe im Trio der Neunten hat mitnichten was mit normalen Aufführungen zu tun, sie impliziert ein unglaublich schnelles Tempo. Hans Zender hat das mal (vermutlich bisher als einziger) vorgeführt, die Überleitung zum Trio mit dem Accelerando wirkt perfekt, aber dann... das Horn scheint sich schier zu verschlucken. Norrington dreht den Spieß um und machts im halben Tempo, was mich allerdings noch weniger überzeugt.
    Es ist die einzige Metronomangabe Beethovens, die ich geneigt bin anzuzweifeln. Sonst funzt nämlich alles astrein (man muß sich nur trauen).


    Gruß, Khampan

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  • Zitat

    Original von Khampan


    ist hier off topic, aber kannst du mal den Link nennen? Kann den Text mit Google nicht finden.
    Beethovens Metronomangabe im Trio der Neunten hat mitnichten was mit normalen Aufführungen zu tun, sie impliziert ein unglaublich schnelles Tempo. Hans Zender hat das mal (vermutlich bisher als einziger) vorgeführt, die Überleitung zum Trio mit dem Accelerando wirkt perfekt, aber dann... das Horn scheint sich schier zu verschlucken. Norrington dreht den Spieß um und machts im halben Tempo, was mich allerdings noch weniger überzeugt.


    Das halbe tempo würde auch das accelerando vorher unverständlich machen. Allerdings scheint mir ein accelerando auch beim extrem schnellen Tempo für den presto-Abschnitt seltsam, denn man empfindet doch eher Takte als Schläge und da ändert sich gar nichts. Irgendwo hab ich mal den Vorschlag gelesen, es könne ein Diktatfehelr sein (Halbe=160 gemeint, Halbe =116 aufgeschrieben und später bestand dann Unklarheit ob Halbe oder Ganze =116) Aber das scheitnt mir sehr unplausibel, der taube Beethoven muß die Sachen aufgeschrieben und schriftlich überprüft haben. Außerdem bin ich gar nciht sicher, ob sein Metronom nicht bei 152 aufhörte...


    Zitat


    Es ist die einzige Metronomangabe Beethovens, die ich geneigt bin anzuzweifeln. Sonst funzt nämlich alles astrein (man muß sich nur trauen).


    Es gibt schon noch ein paar mehr nicht unproblematische. Eine weitere in der 9. scheint eine einfacher Schreibfehler zu sein, beim 6/8 alla marcia Abschnitt im Finale ist punktierte Halbe=84 gemeint, nicht punktierte Viertel.


    Googlen nach "Zander Beethoven 9" ergibt


    "http://www.benjaminzander.com/news/detail.asp?id=158"


    viele Grüße


    JR


    (kann evtl. in einen thread zur 9. oder so verschoben werden)

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  • Hallo, Johannes!


    Hier ist wirklich nicht der Ort, um über Beethovens Neunte zu diskutieren. Macht bitte dort weiter!


    Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Ich frage mich tatsächlich, ob es irgendeine konkrete Inspiration oder einen Vorläufer für einen solchen Anfang gibt; ich glaube nicht.


    Ich glaube auch, daß Beethoven hier Neuland betreten hat.
    Von der (gefühlten) Wirkung her, die der Beginn des Quartetts macht, kann ich es noch mit Haydns Quartett op. 51 vergleichen - aber das ist freilich etwas ganz anderes.



    Zitat

    Das Flirren ist das "sul ponticello" (am Steg), was ich u.a. neulich bei der Haydn #97 etwas vermißt habe, weil es mit vollen Orchester natürlich nicht ganz so flirrend klingt wie mit Quartett und exakt diese Stelle in op.131 ist es, bei der ich diesen Effekt zum ersten Mal wahrgenommen habe. IIRC gibt es bei Bartok mal ein ganzes Scherzo mit dieser Spielweise. Und in Vivaldis Winter am Anfang, also das gab es schon vorher.


    Ich bin nicht sicher, ob wir die selbe Stelle meinen. IMO klingt das nicht nach Vivaldi, sondern eher nach Ligeti...


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Hallo!


    Ich habe drei Aufnahmen, ABQ, Emerson und Talich, etwas quer gehört.


    Die Fuge war bei Talich am langsamsten, bei Emerson am schnellsten. So langsam - als würde die Zeit stillstehen - wie bei Talich klingt es am eindrucksvollsten. Es ist schon einleuchtend, warum langsame Sätze sonst in der Mitte des Werks stehen; dieser erste Satz von op. 131 würde sicher als Binnensatz weniger "ungewöhnlich" sein.


    Das Scherzo ist bei Emerson eine Minute kürzer als bei den anderen beiden. Sie gehen an die Grenzen des spielbaren, der Satz wirkt als kühnes Wagnis, unglaublich mitreißend. Die anderen enttäuschen - Talich, da sie blaß bleiben und ABQ, da sie (vielleicht um Originalität bemüht) Passage zu Passage stilistisch anders auffassen, wirkt unschön.


    Die mitreißende Kraft des Finales bringen alle drei überzeugend wieder, am meisten aber wieder Emerson - hervorragend.


    Dem Variationssatz werde ich mich nochmal separat widmen.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • In diesem Quartett taucht übringens auch die von Uwe anderswo erwähnte "Viertonreihe" auf, nämlich im Thema des Eingangssatzes und die chromatischen cantus-firmus-artigen langen Noten im Finale sind auch damit verwandt. Das Finale ist überhaupt ein interessanter Satz; da der traditionelle Kopfsatz fehlt, der erste vollwertige Sonatenhauptsatz, sehr wuchtig und kraftvoll, allerdings geht ihm am Ende mehr oder minder die Luft aus, die Hauptmotive erscheinen in langsamen Tempo und der folgende Schluß wirkt, obwohl in Dur endend, nicht recht wie ein erfolgreich bewältigtes per aspera ad astra. Damit wäre dieses Stück von den späten das Einzige ohne "positiven Schluß"
    Der Variationensatz ist sehr vielgestaltig, mit häufigen Tempo- und Taktwechseln. Er ähnelt m.E. von anderen derartigen Sätzen am meisten dem Schlußsatz von op.109,einschließlich einer letzten Variation, in der durch fast klangflächenähnliche Tonreptitionen "die Zeit stehenbleibt" (auch wenn der Effekt in op.109 oder 111 stärker ist). Im Quartett folgt dann nach kadenzartigen Figurationen der einzelnen Instrumente eine "Reprise" des Themas, aber nun (ähnlich wie in op.18,5) mit einer etwas überdreht wirkenden Form: Thema in den Mittelstimmen, dazu Triller in der Vl. 1 und eine tanzbodenartige Begleitung im Cello.


    Ich habe jetzt drei Einspielungen gehört, Hagen, Juilliard und Yale Quartett.
    Die Hagens haben mit Abstand den langsamsten ersten Satz (über 8 min, etwa 2 min schneller als zB das Melos Q., Juilliard ca. 6:35, Yale 7:20), was aber tatsächlich sehr wirkungsvoll ist (obwohl ich glaube, dass das schnellere Tempo "richtiger" ist) Dafür sind sie im Variationensatz am schnellsten (obwohl hier die Unterschiede angesichts der Tempowechsel und fehlender Metronomziffern erstaunlich gering sind, knapp 14 min des Hagen gegenüber 15:35 des Juilliard ist die Spannweite meiner Aufnahmen)
    Im Scherzo sind mir Yale mit etwas unter 5 min eigentlich schon zu schnell; der Reiz liegt hier für mich weniger in einem (zu) hohen Tempo als im Auskosten der Kontraste, der plötzliche poco adagio-Haltepunkte usw. Die beiden anderen liegen bei ca. 5:30, da werden zB Feinheiten in der Artikulation deutlich, die bei dem Yale-tempo schlecht hör/spielbar sind. Die "sul ponticello"-Stelle kommt übrigens kurz nach der letzten prägnaten pizzicato-Stelle, auch dieser Effekt kommt mir beim Yale zu kurz.


    Alle drei sind jedenfalls hörenswert, aber Hagen und Juilliard ziehe ich dem Yale hier doch vor. (Vielleicht auch eine Sache der Aufnahmetechnik, aber dei Dynamik des Hagen-Q. ist wesentlich weiter und differenzierter als der beiden anderen)


    viele Grüße


    JR

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  • Hallo!


    Beim Variationssatz tue ich mir schwer, die Struktur zu durchschauen.
    Der Satz beginnt logischerweise mit dem A-dur-Thema (von der Grundtonart wird auch in den Variationen nicht abgewichen).
    Dann folgt die erste Variation, die diffuser als das melodisch-prägnante Thema ist und dieses etwas relativiert.
    Darauf folgt dann die zweite Variation, die stilistisch an op. 18 erinnert.
    In der dritten Variation scheint ein noch weiterer Rückgriff in die Vergangenheit zu folgen, der polyphone Klang alter Musik wird in die (damalige) Moderne übertragen.
    Dann verliere ich mich langsam. Die vierte Variation ist die mit den kurzen Staccato-Pizzicato-Passagen?
    Und dann? In einer Quelle habe ich gelesen, es gibt sechs Variationen, die andere sprach von sieben - oder war da die Coda mitgerechnet?
    Jedenfalls scheint Beethoven mit fortschreitender Variationszahl die Strukturen weiter aufzubrechen. Etwas über eine Minute vor Schluß erscheint dann plötzlich wieder das Thema, das dann die anschließende Coda beherrscht.


    Kann mir jemand bei der Abgrenzung der Variationen helfen (am besten mit Zeitangaben)?


    Viele Grüße,
    Pius.

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  • Zitat

    Original von Pius
    Beim Variationssatz tue ich mir schwer, die Struktur zu durchschauen.
    Der Satz beginnt logischerweise mit dem A-dur-Thema (von der Grundtonart wird auch in den Variationen nicht abgewichen).
    Dann folgt die erste Variation, die diffuser als das melodisch-prägnante Thema ist und dieses etwas relativiert.


    Ich finde die charakteristischer als das Thema ;) Sie beginnt jedenfalls gut hörbar mit einem doppelt punktierten Motiv in den 3 unteren Stimmen, auf das die 1. Vl antwortet. Im weiteren wird allerdings, da hast Du recht, einiges in kleine Noten aufgelöst.


    Zitat


    Darauf folgt dann die zweite Variation, die stilistisch an op. 18 erinnert.


    Piu mosso 4/4 (ziemlich viel schneller bewegt!) mit einer "Schrumm-schrumm"-Begleitung, auch recht gut zu identifizieren


    Zitat


    In der dritten Variation scheint ein noch weiterer Rückgriff in die Vergangenheit zu folgen, der polyphone Klang alter Musik wird in die (damalige) Moderne übertragen.


    andante moderato e lusinghiero 4/4
    Sie beginnt zuerst mit einem punktierten Motiv, imitierend in den beiden unteren Stimmen, dann folgt ein Triller-Motiv, das wie ein typischer Fugenthemenkopf wirkt.


    Zitat


    Dann verliere ich mich langsam. Die vierte Variation ist die mit den kurzen Staccato-Pizzicato-Passagen?


    Nein, zuerst kommt noch eine 4. (Adagio 6/8) sehr melodische, mit pizzicato (aber ohne staccato)


    Dann kommt die 5. (allegretto 2/4) eine ganz seltsam "statische", fahl klingende und unmelodische Var. Ob das nächste (adagio ma non tropp e sempilce 9/4 zuerst mit den wiederholten Viertelnoten (Pause) da da Da da da Da da da..., dann mit dem Doppelschlag im Cello (dadeldudeldam) noch als Var. oder als Coda bezeichnet werden sollte, kann man wohl diskutieren. M.E. ist der Anfang noch eine Variation (von ein oder zwei Überleitungstakten abgesehn, bleiben bisher alle Var. im 32-Taktschema des Themas), dann ungefähr ab dem ersten der improvisatorisch wirkenden Soli (Vl. 1, Viola, Cello, Vl. 2, Vl. 1) könnte man es wohl Coda nennen. Denn die "Reprise "des Themas, zu der die Passage hinführt, ist ja auch nicht vollständig.


    Zitat


    Kann mir jemand bei der Abgrenzung der Variationen helfen (am besten mit Zeitangaben)?


    die DG-Aufnahme des Melos-Q. verteilt den Satz auf tracks (aber nicht für alle Var.):
    Var.1 ca. 1:10
    Var.2 ca. 2:30
    Var.3 ca. 3:22
    Var.4 ca. 4:50
    Var.5 ca. 6:57
    Var.6 ca. 8:00
    "allegretto" ca. 11:17 (12 Takte vor der "Reprise"


    (die sind aber ziemlich flott, knapp unter 13 min)


    viele Grüße


    JR

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  • Hallo,


    nun habe ich wieder ein wenig Zeit und Ruhe, um mich den Streichquartetten Beethovens zu widmen. Um nicht von Aspekt zu Aspekt zu springen und die Übersicht zu gefährden, werde ich meinen Antwortbeitrag zur „Geschlossenheit“ des Werkes später nachholen. Hier möchte ich, auch wenn es bereits geschehen, ebenfalls auf den Variationensatz eingehen und mich beteiligen:


    Zitat

    Beim Variationssatz tue ich mir schwer, die Struktur zu durchschauen.


    Bei den späten Streichquartetten Beethovens, und auch hier, ist dies wirklich nicht so einfach; im Vergleich zu dem Variationensatz des Es-Dur-Quartetts op. 127 allerdings scheint mir dieser aus op. 131 etwas übersichtlicher bzw. einprägsamer.


    Wie bereits erwähnt, verwendet Beethoven hier ziemlich zuverlässig das 32-Takte-Schema, harmonisch folgendermaßen aufgebaut (in etwa):


    8 Takte: T / D / D / T / T / SD / D-T / D. Diese 8 Takte werden in gleicher harmonischer Folge (nur leicht verändert) wiederholt. Dann folgt die zweite Hälfte des Themas mit wiederum 8 Takten: D / D / T / T / SD-D / SD / T-D / T. Diese 8 Takte werden ebenfalls bei gleich bleibender Harmonik leicht verändert wiederholt (T = Tonika, D = Dominante, SD = Subdominante).


    Wie ich meine, prägt sich dieses Schema, besonders auch wegen der verhältnismäßig einfachen rhythmischen Struktur, zumindest in den ersten 3 Variationen, einigermaßen gut ein. Die Übergänge von der 3. zur 4. sowie von der 4. zur 5. Variation sind m.E. allerdings in der Tat sehr fließend; die Trennungspunkte zwischen den Variationen sind für mich im Moment des Spielens schwer auszumachen, oder was meint Ihr? Erst zwei, drei oder vier Takte später stellt sich das Gefühl der Orientierung bei mir (nachträglich) wieder ein. Vielleicht ist dies je nach Interpretation auch verschieden; ich werde zukünftig darauf besonders achten. Insgesamt stimme ich aber hiermit, wie auch für den Vaiationensatz des op. 127, überein:


    Zitat

    Jedenfalls scheint Beethoven mit fortschreitender Variationszahl die Strukturen weiter aufzubrechen


    Bei der Stelle „Adagio ma non troppo e semplice“ habe ich das ziemlich eindeutige Gefühl, mich in einer weiteren Variation zu befinden. Das liegt wohl daran, dass ich mich harmonisch sehr eindeutig „im selben Raum befindlich“ fühle wie in der Themavorstellung. Vielleicht liegt das auch an der regelmäßigen Viertelpause am Beginn jeden Taktes, was eine ähnliche Wirkung wie beim Thema die Achtelpause zu Beginn jedes Taktes hat.


    Einen Durchgang später kann ich ebenfalls kaum noch ein Anzeichen von Variation, zumindest nicht in dem bisherigen Schema, erkennen oder fühlen (JR spricht von Coda, was ich ebenfalls so nachvollziehen kann). Dieser Ausklang ist für meine Empfindung rassig und wunderschön.


    Zitat

    Der Variationensatz ist sehr vielgestaltig, mit häufigen Tempo- und Taktwechseln


    Auf kleinstem Platz wechseln hier nicht nur Tempo und Rhythmus, sondern auch Tonarten und Artikulation unglaublich häufig, ohne dass die Einheit und Konstanz in der Empfindung verloren gehen. Für mich gehört dieser Schluss dieses Variationensatzes zum Faszinierendsten in der Musik überhaupt. Auch der Übergang zum Presto ganz am Schluss ist fantastisch.


    Zum Schluss möchte ich noch eine interessante Stelle erwähnen, nämlich das dialogische Zusammenspiel von jeweils zwei Instrumenten. Am Beginn des Variationssatzes führen die beiden Violinen einen Dialog, wobei sie sich taktweise abwechseln; nein, sie führen einen „Monolog“, da sie sich lediglich ergänzen. Besonders rasant ist dann das Zusammenspiel der beiden tiefen Streicher in der dritten Variation, die nach einigen Takten in das Spiel der beiden Violinen übergeht, um dann wieder zu ihnen zurückzukehren. Dort artikulieren sie dann mit Staccato, Trillern, Vorschlägen u.s.w. Das ist ein hervorragender Übergang von der eher zärtlichen in eine kraftvolle, robuste Atmosphäre (in der die Zartheit aber dennoch weiterhin existent ist).


    Übrigens: meine schnellste Aufnahme des Variationensatzes ist die vom Ungarischen Quartett: 11`58! Die Vier sind überhaupt ziemlich schnell.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • ich bin gerade dabei, die Gesamtaufnahme des Guarneri Quartets (Philips=Brilliant=Eloquence) durchzuhören. Eine Beurteilung wird im Sammelthread folgen.


    Op. 131 gefällt mir von den Guarneris eigentlich sehr gut, der Kopfsatz zählt mit 6:23 untypischerweise sogar zu den schnelleren Einspielungen.


    In diesem Kopfsatz gibt es allerdings eine Textabweichung, bei der ich hochgeschreckt bin, die aber exakt so in der Online-Partitur und auch in der Erstausgabe steht:
    Takt 24, das Cello spielt die ersten drei Noten des Fugenthemas (Intervallfolge normalerweise große Terz - kleine Sekunde) abweichend als kleine Terz - große Sekunde. Der strittige Ton ist das d (statt zu erwartendem und üblicherweise auch gespieltem dis), es ist in der Partitur unzweideutig mit Auflösungszeichen versehen.
    Die Stelle ist ab Beginn je nach Tempo bei 1:15 - 1:20.
    Ich kenne Aufnahmen von Melos, Emerson, Smetana, Takacs u.a. und habe diese Stelle nie anders als mit "dis" gehört.


    Frage: gibt es noch andere, die "d" spielen, und vor allem: weiß jemand über die Quellenlage bescheid?
    Gibt es das Autograph? Sollte auch im Autograph das Auflösungszeichen stehen, dann hätte das Guarneri Quartet wider alle scheinbare musikalische Logik recht. Falls nicht, dann würde ich diese Aufnahme, so leid es mir tut, in die Tonne hauen. Drüber hinweghören kann ich leider nicht.


    Online-Partituren gibt es hier: wewewe dlib.indiana.edu/variations/scores/bhp9444c/


    Gruß,
    Khampan

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  • Zitat

    Original von musicophil
    Lieber Khampan,


    Eventuell kannst Du das doch nachfragen bei dem Beethoven-Haus?l


    äh, kriegt man von denen Antwort?! In einem anderen Fall habe ich nur Schweigen als Reaktion bekommen, verspüre daher wenig Lust auf weitere Versuche.


    Die Guarneri-Variante mit dem "d" ergibt für mich weder thematisch noch harmonisch einen Sinn.
    Thematisch: die drei Töne H-d[is]-e bilden den Themenkopf einer Fuge, bei zwar einige Male der Anfangston verändert ist, nie aber die charakteristische kleine Sekunde.
    Harmonisch: aus einem üblicherweise gespielten H-Dur-Septakkord (wir befinden uns richtig in E-Dur) wird durch das fragliche Auflösungszeichen ein verkürzter E-Dur-Septakkord, was eine Modulation nach A-Dur impliziert, die aber nicht stattfindet.
    Was also soll dieser Versuch, streng nach Noten zu spielen (Idee des Produzenten?)...


    ?( Khampan

  • Hallo Khampan,


    Zitat

    Khampan: Frage: gibt es noch andere, die "d" spielen,


    Gerade habe ich in einige Einspielungen kurz reingehört und kam zu folgender Beobachtung in Takt 24:


    Das "DIS" spielen: Alban Berg Quartett, Talich Quartett, Melos (alte Aufnahme; die neue finde ich gerade nicht), Hollywood String Quartet.


    Das "D" spielt neben den von Dir genannten Guarneris noch das Ungarische Streichquartett.


    Dabei ist zu bemerken, dass gerade die Guarneris und Ungarn sich auch in der Frage der Expositionswiederholung von op. 130 komponistenloyal verhalten haben.


    Nun zur Frage der Wirkung:


    Zitat

    Was also soll dieser Versuch, streng nach Noten zu spielen (Idee des Produzenten?)...


    Ich bin da nicht ganz Deiner Meinung. Für mein Empfinden klingt die Verminderung gut und stimmig; sie ist natürlich markant und reibt. Ich werde versuchen, mir darüber genauer klarzuwerden. Natürlich ist auch das "DIS" sehr gut und stimmig.


    Ich bin auch gespannt, ob einige Fakten herauszubekommen sind. Ich werde wohl erst Anfang nächsten Jahres wieder im Bonner Beethovenmuseum sein und dann etwas suchen können.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Zitat

    Original von Uwe Schoof
    Das "D" spielt neben den von Dir genannten Guarneris noch das Ungarische Streichquartett.


    Dabei ist zu bemerken, dass gerade die Guarneris und Ungarn sich auch in der Frage der Expositionswiederholung von op. 130 komponistenloyal verhalten haben.


    danke daß du nicht khampanloyal geschrieben hast :O
    Inzwischen ist diese Wiederholung ja relativ selbstverständlich (wenngleich die Emersons und Takacs wie immer mit dem copy-and-paste-Knopf herumpfuschen), aber im Fall der Ungarn eine echte Sensation.



    Zitat

    Für mein Empfinden klingt die Verminderung gut und stimmig; sie ist natürlich markant und reibt. Ich werde versuchen, mir darüber genauer klarzuwerden. Natürlich ist auch das "DIS" sehr gut und stimmig.


    na gut, vielleicht habe ich mich zu sehr daran gewöhnt, diesen Takt 24 als E-Dur zu hören, und er ist es in Wirklichkeit noch gar nicht (erst T. 25). Ich bin sehr gespannt, ob du das herauskriegen kannst.
    Davon hängt ab, welche Aufnahmen ich in die Tonne hauen muß.


    Gruß,
    Khampan

  • Liebe Forianerinnnen und Forianer,


    ich habe in den letzten Tagen anlässlich meiner Neuanschaffung der späten Beethoven-Quartette mit dem Takacs-Quartett ein Vergleichshören zu op. 131 veranstaltet. Dabei waren:


    - Busch-Quartett, 2. März 1936
    - Budapester Streichquartett, 4.-6. Dezember 1951
    - Amadeus-Quartett, Juni 1963
    - Alban-Berg-Quartett, (P) 1982 (Studioaufnahme bei EMI)
    - Emerson String Quartet, März 1994
    - Takacs Quartett, Nov 2003 oder Mai 2004 oder Juli 2004


    Eines vorweg: Das in diesem Thread bereits diskutierte, von Beethoven offenbar notierte "d" in Takt 24 der Cellostimme wird nur von Amadeus-Quartett gespielt. Alle anderen Ensembles dieses Vergleich spielen "dis".


    Niemand arbeitet den funèbre-Charakter des ersten Satzes so deutlich heraus wie das Busch-Quartett. Dennoch werden die sforzati des Fugenthemas sehr deutlich gespielt. Auch im 2. Satz bleibt es bei einem verhaltenen Grundton. Ein Ereignis der 3. Satz in seiner Einfachheit und Zurückhaltung (Choralstelle!). Fast schüchtern beginnt beim Busch-Quartett der 4. Satz, für den sie sich unter den hier verglichenen Ensembles die längste Zeit nehmen. Das Thema klingt dadurch herrlich entspannt, und es klingt nicht im mindesten schleppend, auch nicht in der sehr langsam genommenen fünften Variation (Alleretto). Der bisher äußerst stimmige Eindruck setzt sich auch im 5. Satz fort - natürlicher Schwung dominiert. Im 6. Satz ist das Busch-Quartett wieder das langsamste Ensemble, durch die große Innenspannung wirkt es aber nicht langsam. Im 7. Satz ist das Busch-Quartett interessanterweise am schnellsten! - Insgesamt also eine Einspielung der Extreme bzgl. Tempo. Aber insgesamt ist diese Einspielung sehr stimmig. Es ist eine abgedroschene Phrase, aber die Musik scheint hier zu sich selbst zu kommen. Zusammen mit der Einspielung des Takacs-Quartetts hat mich diese am meisten überzeugt.


    Das Budapester Streichquartett: Im ersten Satz hört man hier, dass die Musik alla breve notiert ist, die sforzati sind allerdings teilweise nur erahnbar. - Trotz fast gleicher Spielzeit klingt der 2. Satz hier deutlich schneller als beim Busch-Quartett, was daran liegt, dass die Ungarn die Ritardandi stärker ausspielen. Das Thema der Variationen im 4. Satz wird recht flott genommen - entgegen der Tempovorschrift "Andante ma non troppo e molto cantabile". Seit Harnoncourt wissen wir wieder, dass "Andante" damals kein langsames Tempo war, sondern zu den schnellen Tempi gezählt wurde. "Andante ma non troppo" bedeutet also: langsamer als andante. (Nur das Busch-Quartett scheint hier das richtige Tempo genommen zu haben.) Trotzdem klingt es beim Budapester Quartett stimmig. Auch der 5. Satz ist wunderbar rund dargestellt. Im letzten Satz fehlen die Zuspitzungen. - Insgesamt eine Einspielung, die die Extreme meidet und die Musik uneitel, klangschön und ebenmäßig darstellt - dabei in keiner Weise langweilig ist! Es ist schade, dass diese Einspielung es gegen spektakulärere Versionen schwer hat.


    Das Amadeus-Quartett geht diese Musik für meinen Geschmack zu diesseitig an. Schon im ersten Satz hören wir recht kräftige Töne, allerdings mit für die Verhältnisse dieses Quartettes angenehm wenig Vibrato. Im 2. Satz könnten sie mehr überzeugen, wenn die Piani wirklich als solche spielten und bei Crescendi nicht so schnell ins Forte kämen. Ansonsten vibriert diese Musik beim Amadeus-Quartett - unaufdringlich mitreißend! Auch im 3. Satz sind die Piani zu fett. Der 4. Satz ist leider viel zu unbekümmert. Sie spielen die Musik so, dass man nur die vordergründige Einfachheit hört. Trotz der zweitlängsten Spieldauer (nur das Busch-Quartett braucht länger) wirkt es nicht tief. Dieser Eindruck setzt sich in den Sätzen 5 und 6 fort. Im letzten Satz gelingt ihnen allerdings eine dramatische und zupackende Darstellung. - Insgesamt fehlen dieser Interpretation wesentliche Dimensionen. Zu vordergründig, zu diesseitig wird diese Ausnahmemusik gespielt.


    Auch das Alban-Berg-Quartett spielt den ersten Satz mit einem eher diesseitigen Ton. Sie finden eine gute Antwort auf die Frage, wie man die Musik mit Geschmack "molto espressivo" spielen kann. Im zweiten Satz spielen sie allerdings ihren Charme voll aus und sind sehr partiturtreu in der Wiedergabe der notierten Dynamik. Im Variationensatz werben sie geradezu für diese Musik: eine freundliche Darstellung. - Insgesamt ist dies die wohl optimistischste Wiedergabe dieser Musik, die die positiven Züge offenlegt.


    Das Emerson-Quartett bietet wieder ein Beispiel seiner Nervenkunst. In den ersten fünf Sätzen legen sie das schnellste Tempo dieses Vergleichs vor. Es klingt zwar nie hektisch, aber auch nie wirklich ruhig. Schon im 1. Satz durchschreiten sie Extreme des Ausdrucks, im 2. Satz vorwärtsdrängend, was hier hilft, die Struktur des Satzes zu erhellen. Dieser Eindruck setzt sich in den übrigen Sätzen fort: Musik auf der Schneide des Messers, stets in Hochspannung. Aufregend anzuhören, aber: Ist es das, was Beethoven in op. 131 meinte?


    Das Takacs-Quartett nimmt den 1. Satz sehr zurückhaltend (langsamste Version!), quasi als Grabmusik. Das "molto espressivo" geht bei ihnen nach innen. Obwohl bei ihnen der alla-breve-Charakter verloren geht, fand ich ihren verinnerlichten, geradezu asketischen Zugang sehr berührend. Der 2. Satz behält viel von dieser Zurückhaltung, weniger vom Tempo her, als von Dynamik und Artikulation. Die Musik wirkt unwirklich, wird nicht richtig greifbar - faszinierend! Genauso hebt der 4. Satz an: quasi immaterieller Ton. Berückend schön in der 5. Variation (Allegretto)! - Insgesamt eine verletzliche Darstellung der Musik. Vielleicht treffen sie damit genau den Kern der Musik? Für mich zusammen mit dem Busch-Quartett die beste Interpretation.


    Ich bevorzuge unter diesen Einspielungen diejenigen mit dem Busch-Quartett und mit dem Takacs-Quartett. Ich möchte auch nochmal nachdrücklich für die ebenmäßige Darstellung durch das Budapester Quartett werben. Das Alban-Berg-Quartett bietet eine alternative Sicht auf das Werk mit viel Licht und Optimismus. Das Emerson-Quartett bleibt dem Hörer ebenso wie das Amadeus-Quartett die Offenlegung der Tiefen des Werkes schuldig.

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  • Werte Leser,
    Die Einleitung über diese konzentrischen Kreise der Fuge, leise, verschlungen, ist schon ein Hammer.
    Der zweite Satz ist ein Paradebeispiel dafür, wie Beethoven einen wunderbaren Melodieeinfall varriert und verarbeitet. Die Grundmerlodie ist immer da, aber sie wird zerlegt, entwickelt, Stücke als Anknüpfungspunkte neu gestaltet.


    Der dritte Satz ist eine wirkliche Überleitung zum Variationssatz.


    Und dieser nimmt sich Zeit, Musik zu entwickeln. Vieleicht vereint er ja , vom Stil her, die Eingangsfuge mit einer Verarbeitung von Melodie.


    Das Presto ist absollut ein Beispiel für eine Kompositionskunst, von der auch heutige "Musikgestalter" einfach nur lernen können. Fetzig, impulsiv, null Langeweile.
    Im sechsten Satz nimmt Beethoven dann das Tempo wieder heraus, auch hier das Gerüst eine wunderbare Melodie, mit der Funktion, zum fullminaten Finale überzuleiten. Heute wäre diese Melodie alleine ein Hit! Was macht Beethoven? Baut sie als Überleitung ein!


    Und dann dieser impulsive Schlußsatz. Hier entwickelt sich die Musik scheinbar wieder von selber, gehalten an den Eckpunkten von der impulsiven Grundmelodie. Auch in diesem Satz finden wir die Art von Komposition, wie sie bis heute versucht wird, aber unerreicht bleibt.


    Fantastisch, ein Traum von Musik.



    Viele Grüße Thomas

  • Ich muss mich wirklich wundern, dass ich noch nichts vom Juilliard String Quartett gehört habe, das ich vor einigen Jahren in der Düsseldorfer Tonhalle mit sämtlichen Beethovenschen Streichquartetten gehört habe.
    Dieses großartige Streichquartett hat die 16 Quartette in sechs Konzerten aufgeführt, jeweils 8 in einem Halbjahr, ohne dass jedoch im gesamten Ablauf ein Unterbruch festzustellen gewesen wäre. Und ich persönlich hatte das Glück, den besten Platz in der gesamten Tonhalle innezuhaben, Reihe 5, Platz 15. Als ich nämlich am ersten Konzertabend vor Konzertbeginn meine Blicke an die Kuppel schweifen ließ, stellte ich fest, dass ich nicht nur in der Mitte der 5. Reihe saß, sondern auch exakt mitten unter dem Mittelpunkt der Kuppel. Besser geht es nicht.


    Ich bin nun nicht in ersten Linie ein Kammermusikfan, aber diese Session hat mich überzeugt von dieser Art Musik, zumal ich wenige Monate vor Beginn dieser Musikreihe zufällig bei einer einwöchigen Klassenfahrt nach Berlin in einem Plattenshop unter dem Ostberliner Fernsehturm die Gesamtaufnahme der Streichquartette mit eben diesem Juilliard String Quartett käuflich erworben hatte und die ersten 9 Quartette noch vor der Heimfahrt anhören konnte.


    Ich kann antürlich mit meinen Vorrednern nur d'accord gehen, dass das op 131 ganz herausragend ist.


    Liebe Grüße


    Willi ^^

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Sagitt meint:


    In diesen Tag erschien der Film "Saiten des Lebens", bei dem op. 131 eine zentrale Rolle spielt. Leider im Film nicht in einer besonderen Aufnahme gewürdigt.


    Ich höre gerade die Version von Artemis.


    Dazu die Rezension: "Kaum ein Streichquartett spielt heute enthusiastischer, differenzierter und spannender. Sei es Beethoven, Schubert oder Ligeti: wenn Natalia Prischepenko, Heime Müller, Volker Jocobsen und Eckart Runge den Bogen ansetzen, rückt das Publikum an die Stuhlkante." vom Deutschlandfunk.


    Ohne in diesem Bereich vertiefte Kenntisse zu haben, wäre sicher die Interpretation von Artemis angemessener gewesen, auch angesichts des Inhalts: hinter der Fassade harmonischen Quartettsspiels tobt das Leben. Am Ende trifft man sich wieder bei gemeinsamer Kunst.

  • Sagitt meint:
    Ohne in diesem Bereich vertiefte Kenntisse zu haben, wäre sicher die Interpretation vo Artemis angemessener gewesen, auch angesichts des Inhalts: hinter der Fassade harmonischen Quartettsspiels tobt das Leben.Am Ende trifft man sich wieder bei gemeinsamer Kunst.

    Hallo Sagitt,


    Schön, das dich Op.131 mit dem Artemis Quartett so beeindruckt. das Zitat des Deutschlandfunkes trifft genau das, was ich bei jedem Quartett von Beethoven, gespielt vom Artemis, empfinde, diese ungeheure Kraft, die im Ausdruck liegt.


    Herzliche Grüße Thomas