Unvollendete Werke geniessen einen Bonus

  • Zitat

    Original von Ulli


    Es gibt m. E. mehrere 'romantische Gedanken', wozu u.a. auch die Besessenheit von der Fertigstellung bzw. auch (folgernd) die Angst vor der Nichtfertigstellung gehört (z.B. Mahler).


    Stimmt, daß sind irgendwie zwei Seiten einer Medaille. Tatsache ist aber doch, daß es z.B. von Beethoven nur ein paar echte Fragmente, also völlig unfertige Skizzen gibt, bei denen sich gar nicht die Frage nach einer Aufführung stellt. Mozarts Fragmente haben meist ziemlich konkrete Hintergründe. Bei Schubert hat es vermutlich mit "Krisen" oder jedenfalls dem Suchen nach eigenem Stil usw. zu tun. Und wohl auch mit einem sehr schnellen Komponieren. Wo Beethoven Skizzen gemacht hätte, schrieb Schubert mal schnell einen kompletten Satz oder einen halben und verwarf den dann.


    Zitat


    Haydn hat aber die beiden Sätze veröffentlicht und damit einen öffentlichen Schlußpunkt gesetzt, ein Ende also. Die Sätze sind ja in sich vollendet und selbst keine Fragmente, sondern nur das geplante Quartett. So gesehen wäre Mozarts 'Kleine Nachtmusik' ob des fehlenden zweiten Menuetts ebenfalls ein Fragment.


    Das sehe ich anders (abgesehen davon, daß das Menuett ja einfach verlorengegangen ist). Eine Serenade könnte auch 7 Sätze enthalten, oder eben nur 4 und wäre dennoch eine vollständige Serenade. Warum Haydn die Sätze veröffentlicht hat, weiß ich natürlich nicht. Die Tatsache, daß er es für nötig hielt, als "Entschuldigung" eine Liedzeile über seine Altersschwäche hinzuzufügen, spricht aber dagegen, daß er hier etwas als vollendet ansah. (Besonders populär ist das Stück natürlich auch nicht.)


    Die Argumentation, daß uns Schubert 8 oder Bruckner 9 "vollendet" vorkommen, wurde m.E. von Ben Cohrs in den entsprechenden thread erfolgreich zerlegt (wenn auch vielleicht etwas ungnädig). Da uns die Werke seit Jahrzehnten unvollständig (und oft mit entsprechendem Kommentar, sie seien ja eigentlich vollendet) präsentiert werden, ist es ja gar kein Wunder, daß wir das so erleben.
    Aber die Popularität einer unvervollständigten Bruckner 9 gegenüber einer komplettierten Version ist was anderes als Alfreds Behauptung, unvollendete Stücke genössen einen Bonus gegenüber vollendeten.
    Zwar ist Schuberts h-moll klar populärer als die Große C-Dur, aber das gilt zum einen bei Bruckner 9 (oder Mahler 10 usw.) gar nicht, zum anderen liegt es vielleicht auch daran, daß die C-Dur ein gewaltiger Brocken ist, nicht so offenbar romantisch-dramatisch wie die h-moll usw. (Und sie ist ja auch nur geringfügig weniger populär, so wie die Eroica wohl ebenfalls etwas weniger als 5. oder 6.)


    off topic:
    Köchelnummern kann ich mir leichter merken (ebenso Beethovens Opuszahlen) als laufende Nummern, außer bei Opern ;). Aber das ist bloße Gewohnheit (inwiefern sollte 21 leichter merkbar sein als 467, weil es eine Ziffer weniger ist? :hahahaha: ). Ist aber sinnvoller, dann weiß man auch ungefähr, welche anderen Werke in dieser Zeit entstanden. Bei den Mozart-Konzerten weiß ich inzwischen meistens auch die laufenden Nummer, bei Beethovens Sonaten muß ich manchmal abzählen. Ebenso bei Mozarts Quartetten. 16. Quartett? keine Ahnung? KV 428 Es-Dur?


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Der Unvollendetheits-Bonus ist weder beieinflusst durch die Ursachen der Unvollendetheit, noch durch die Größe des Fragments, noch durch seine Art und seine Qualität. Er ist meines Erachtens rein zufällig.


    Beispiel Mozart:


    Das Requiem profitiert davon, sein erstes Hornkonzert KV 412 & 514 (386b), das vielleicht sein letztes Konzert ist, nicht, derweil das Concertantenfragment für Violine, Viola und Cello KV Anh. 104 /320e und das Doppelkonzertfragment für Violine und Klavier KV 315f als definitiv nicht letzte Werke komplett wegfallen, wobei letzgenannte in der Zusammenstellung ihrer Soloinstrumente in Mozarts Gesamtwerk einzigartig sind.
    D. h. Mozart hat mehr als ein Fragment hinterlassen, wobei durchaus das ein oder andere dabei ist, das mindestens so interessant wie das Requiem wäre, die aber so gut wie nicht zur Kenntnis genommen werden.


    Ähnlich verhält es sich auch mit anderen bekannten Komponisten, wobei bei denen manchmal sogar das wirklich letzte ignoriert wird und man lieber auf Gängigeres, auch wenn es um einige jahre früher entstanden ist, zurückgreift.
    Beispiel Schubert. Seine 8. in h-moll hat schon als letztes Werk herhalten müssen, genauso, wie sein Schwanengesang, dagegen wird seine große D-Dur Sinfonie, die ja nun wirklich das allerletzte war, gar nicht erwähnt.


    Ganz interessant auch Bruckner:
    Einerseits beklagen die Brucknerfreunde, dass ihr Idol als - entschuldigt bitte den Ausdruck - Depp dargestellt wird, andererseits behandeln sie ihn aber im Hinblick auf seine 9. Sinfonie genau als solchen, in dem sie diese Sinfonie entweder Fragment sein lassen oder es mit nicht zum veröffentlichen vorgesehenen Material vervollständigen. Dass dabei die völlig klare Anweisung des Komponisten ignoriert wird, im Falle der Nichtvollendung des letzten Satzes das Te Deum herzunehmen, interessiert scheinbar niemanden. Stattdessen wird das Werk lieber als Fragment gehalten oder mit einem Satz ergänzt, der in dieser Form von Bruckner nicht gewollt war.
    Sosehr ich die seriöse, nicht spirituelle Spielbarmachung des letzten Satzes von Bruckners 9. respektiere und als Wissensergänzung schätze, letztendlich haftet auch ihr der Fauxpas an, Bruckner nicht für voll zu nehmen.


    Nebenbei sei´s bemerkt, ich persönlich bin bei der alten Zählung der Schubert-Sinfonien geblieben, weil ich eine Unlogik nicht gegen eine andere austauschen wollte und mir seine E-Dur Sinfonie als Nr. 7 in wenigstens zwei unterschiedlichen Orchestrierungen vorliegt, wobei eine jede eindeutig nach Schubert klingt.


    Aber die Durchnummerierung einer Reihe von Werken ist sowieso so eine Sache, denn letztendlich sagt sie nichts über den Entstehungszeitpunkt eines Werkes aus, genausowenig wie sie etwas über die eigentliche Anzahl aussagt.
    So ist Beethovens 2. Klavierkonzert auch älter, als das 1. und Mozart hat auch deutlich mehr, als 41 Sinfonien komponiert.
    Und von Mendelssohn-Bartholdy ganz zu schweigen, bei dem in Sachen Nummerierung so gut wie gar nichts stimmt.



    Viele Grüße
    John Doe

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Köchelnummern kann ich mir leichter merken (ebenso Beethovens Opuszahlen) als laufende Nummern, außer bei Opern ;).


    Für den Werkbeinamenhasser Pius wäre das doch der Idealfall:


    Wolfgang Amadé Mozart (1756-1791): Oper Nr. 8 d-moll KV 527


    8)

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Für den Werkbeinamenhasser Pius wäre das doch der Idealfall:


    Wolfgang Amadé Mozart (1756-1791): Oper Nr. 8 d-moll KV 527


    8)


    Macht sinn, wobei die Problematiker in diesem Fall (wenn man das ganze laut ausspricht), sobald die 527 erklingt, zwar dann die Nummer wissen, aber schon wieder vergessen haben von wem das Werk ist :D :D


    Bei Mozart plädiere ich schlicht für die reinen Nummer (hier also: 527), das ist völlig ausreichend ;)


    :hello:


    Peter

  • m.E. hat eigentlich nur ein einziges unvollendetes Werk einen "Bonus", nämlich Mozarts Requiem. Und davon ist ja inkl. Süßmayr relativ viel da und der Bonus rührt wohl ebenso von den düsteren Legenden, die es umgeben. (Sonst wäre es nicht so viel populärer als die c-moll-Messe, die ja ebenfalls den Bonus der Unfertigkeit aufweist. Und daß diese beiden die Salzburger C-Dur-Messen bei weitem überragen ist eh unstrittig)
    Mit Bonus meine ich hier, daß es tatsächlich überproportional geschätzt wird, man immer wieder versucht hat, Passagen, die sehr wahrscheinlich von Süßmayr stammen, doch Mozart zuzuschreiben (in einem Konzertführer las ich mal über das Benedictus? die Aussage, wenn Mozart das nicht geschrieben habe, sei der, der es komponiert habe, der wahre Mozart usw.). Öfters liest man Äußerungen von Hörern, die mit Mozart kaum etwas anfangen können, außer mit dem Requiem. (Tovey hat mal sinngemäß geschrieben, daß jemand, der Beethovens 4. nicht ähnlich hoch schätze wie die 5. auch von der 5. nur die Oberfläche wahrgenommen habe; so ähnlich geht's mir mit den "Mozart fad - Requiem toll"-Hörern)
    Ich will das Requiem nicht abwerten, aber m.E. ist es nach den ersten beiden grandiosen Sätzen stellenweise ziemlich durchwachsen (wer auch immer dafür verantwortlich ist).


    Lieber Johannes,


    Wie viel vom Mozart-Requiem tatsächlich mozartisch ist, ist umstritten. Selbst der diesbezüglich sehr kritische Benjamin-Gunnar Cohrs, der immer wieder betonte, endlich von einem "Requiem-Fragment" zu sprechen und nicht von einem fertigen "Requiem" schreibt in seinem Artikel "Wolfgang Amadé Mozart: Requiem d-moll KV 626 (unvollendet)", dass im Requiem immerhin "zwei Drittel wirklich gesichert vorliegen".


    Selbst Passagen, die von Süßmayr stammen, stammen oft mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit von Mozart, Süßmayr arbeitete hier mit Skizzen oder anderen Notizen Mozarts, Konstanze spricht von "Zettelchen" des Meisters. Wenn man wirklich annimmt Mozarts Arbeit beschränkt sich nur auf die tatsächlich von ihm geschriebenen Stellen, wäre das, so meine ich, ein sehr ignoranter Zugang zum Requiem (-Fragment).


    Süßmayr, obwohl routiniert, wäre niemals im Stande gewesen, das Requiem so zu vollenden. Dass Süßmayr mit Mozart-Material arbeitete und womöglich sogar nach direkter Absprache mit Mozart, sieht man v.a. in der Sequenz, die (und das sagt auch die moderne Mozart-Forschung) wohl fast gänzlich "mozartisch" ist (wenn man davon absieht, dass die von Mozart geplante Amen-Fuge am Ende des Lacrimosa fehlt).


    Mozarts Einfluss ist aber auch deutlich in den späteren Abschnitten hör- und spürbar: (nur einige Beispiele:


    • Am Offertorium arbeitete Mozart bis zum Ende, sogar die Schlussfuge "Quam olim Abrahae" stammt von Mozart, Süßmayr vervollständigte das Hostias nach Mozarts persönlicher Anweisung "Quam olim da capo". Nichtsdestotrotz ist das Offertorium wohl nicht in dem hohen Maße mozartisch, wie die Sequenz
    • Die Melodie des Sanctus ist eine Dur-Variante des Dies Irae in Vergrößerung
    • Die Intervallschritte des Osanna entsprechen denen des Recordare, bzw. ist das Thema eine Variante der Schlussfuge des Offertoriums, der schon oben genannten "Quam olim Abrahe"
    • Im Agnus Dei zitiert des Chor-Bass deutlich das Hauptthema aus dem Introitus


    Das von dir angesprochene Benedictus weist ebenfalls einiges Mozart-Material auf: so ist etwa der Beginn ein Thema, das Mozart seiner Schülerin Barbara Ployer ins Heft notierte. Gegen Ende taucht eine Figur auf, die bereits sehr ähnlich im Introitus bei den Worten "Et lux perpetua" auftaucht.


    Die kritische Neuausgabe der Mozart-Süßmayr-Fassung von Franz Beyer ist für mich deshalb (wegen obiger und anderer Tatsachen) die einzige Alternative zur ursprünglichen Mozart-Süßmayr-Fassung. Beyer ist der einzige, der Süßmayr nicht vernichten will. Er erkennt, dass Süßmayr mit Mozart-Material und Requiem-Skizzen des Meisters arbeitete.


    Christoph Wolff schreibt dazu in seiner Studie Mozarts Requiem: "Dieses unschätzbare historische Dokument aber stellt nicht nur die einzig erhaltene und zugängliche Quelle der Neukomposition Süßmayrs dar, sondern darüber hinaus die einzige Quelle überhaupt, die die Chance in sich birgt, von Mozart stammendes musikalisches Gedankengut aufzudecken."


    Wolff bestätigt also, dass viele der von Süßmayr hinzugefügten Stellen von Mozart stammen (natürlich indirekt). Es ist mir daher völlig unverständlich, warum Druce das Sanctus und das Benedictus vollkommen streicht. Cohrs schreibt weiterhin: "Das stärkste Argument pro Mozart ist hierbei die Verwendung von Motiven aus früheren Teilen, um stärkere innere Einheit zu schaffen - eine Technik, die Süßmayr selbst nicht beherrschte, wie aus den von ihm überlieferten Kompositionen deutlich wird."


    Allerdings ist in den Teilen nach der Sequenz m.E. deutlich zu hören, dass Süßmayr zwar mit Mozart-Material arbeitet, aber die konkrete Umsetzung und die Verbindung dieser Motive oft Unterschiede zum Meister erkennen lässt. Vieles ist nicht sicher, beispielsweise könnte Mozart selbst den Schluss gänzlich anders gestaltet haben, wenn ihm nur genug Zeit geblieben wäre. Aber das bleibt Spekulation.


    Warum du nur die ersten beiden Sätze des Requiems als "grandios" einstufen kannst, verstehe ich persönlich nicht. Vielleicht haste die falsche Interpretation (oder vl. die für dich falsche Fassung??). Ich persönlich liebe die Aufnahme unter Harnoncourt (ich weiß schon Ulli... ;) ) mit Schönberg-Chor, Concentus Musicus, Schäfer, Fink, Streit und Finley. Manno, niemals habe ich das Dies Irae so gewaltig und apokalyptisch gehört wie da, einfach grandios!! :thumbsup: Die gesamte Einspielung ist ein Hit, Harnoncourt schafft ein gewaltiges Requiem der Angst vor dem Tod, ein dunkles, angsterfülltes nachdenkliches, verschleiertes Requiem. Es gibt wahrscheinlich kein Werk, das so oft "ver-romantisiert" wurde, wie dieses Requiem. (An die lausigen softy-Dies Irae - Sequenzen erinnere ich mich mit Grausen...) Die Augenblicke der verzweifelten Suche nach Gnade und Erlösung sind so berührend wiedergegeben, dass ich jedes Mal heulen muss. :angel: Abgerundet mit einem perfekten Chor, einem grandios spielenden Concentus und mit einem perfekt homogenen Solisten-Quartett ist diese Einspielung eine Perle.


    Harnoncourt hat übrigens zur Frage, warum gerade das Requiem solch magische Anziehungskraft ausübt, folgendes geschrieben: "Mozarts Musik und seine Biographie sind sonst immer auffallend unabhängig voneinander. Der große Künstler schafft traurige oder heitere Werke, wie immer er sich auch persönlich fühlen mag; (...) Das Requiem scheint die einzige Ausnahme zu sein: So sind in der furchterregenden, angstmachenden Dies Irae-Sequenz die persönlichen Wendungen in einer derart ergreifenden Art komponiert, dass der Ich-Bezug unüberhörbar ist. (...) Diese Identifikation spürt wohl jeder Hörer, sie mag der letzte Grund für die unglaubliche Wirkung des Werkes sein."


    Ich hoffe, ich konnte dir ein wenig helfen. Für mich persönlich ist nämlich neben den beiden fantastischen ersten Sätzen v.a. die Sequenz die wunderbarste, grandioseste und gewaltigste Sequenz, die jemals geschrieben wurde und so auch Mitgrund, warum ich dieses Werk so abgöttisch verehre.


    Liebe Grüße :hello:

    Komponiert ist schon alles - aber geschrieben noch nicht. (W.A. Mozart)

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  • Kein Widerspruch bei der Sequenz. Da habe ich mich oben entweder ungenau ausgedrückt, oder ich nannte nur Introitus/Kyrie, weil meines Wissens nur diese komplett, einschließlich Orchestrierung von Mozart stammen. Bei der Sequenz bis zum Lacrimosa stammt meines Wissens der Satz von Mozart, die Instrumentierung von Süßmayr, wobei einzelne Sachen, wie das Posaunensolo auf Mozart zurückgehen.
    Aber ich habe mich niemals so intensiv mit der Quellenlage befasst, sondern halt vor vielen Jahren mal was in Beiheften oder Konzertführern darüber gelesen. Und damals (der Stand, der in solchen Texten referiert wird, ist ja selten der aktuelle) galt eben das Benedictus wohl als inauthentisch.


    Es gibt ja noch einen langen thread zum Requiem. Hier ging es ja nur um einen Beliebtheitsbonus aufgrund der Enstehungsgeschichte. Selbstverständlich ist das Requiem nicht hauptsächlich deshalb berühmt, sondern weil es selbst in der Gestalt, in der es vorliegt, ein beeindruckendes Werk ist.
    Dennoch: ich schätze, dass es mindestens doppelt so oft aufgeführt und eingespielt wird wie die c-moll-Messe. Die ist zwar auch fragmentarisch, aber die erhaltenen Teile sind von Mozart komplett ausgearbeitet. Und selbst wenn das Requiem origineller sein mag und nicht so viele deutliche Anleihen bei barocken Vorbildern macht, ist es sicher nicht doppelt so gut wie die Messe. Die hat demnach offenbar keinen oder kaum Fragmentbonus. Diese Bevorzugung des Requiems ist daher m.E. schon ein wenig auf die Entstehungsumstände zurückzuführen.

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  • Es gibt ja noch einen langen thread zum Requiem. Hier ging es ja nur um einen Beliebtheitsbonus aufgrund der Enstehungsgeschichte. Selbstverständlich ist das Requiem nicht hauptsächlich deshalb berühmt, sondern weil es selbst in der Gestalt, in der es vorliegt, ein beeindruckendes Werk ist.
    Dennoch: ich schätze, dass es mindestens doppelt so oft aufgeführt und eingespielt wird wie die c-moll-Messe. Die ist zwar auch fragmentarisch, aber die erhaltenen Teile sind von Mozart komplett ausgearbeitet. Und selbst wenn das Requiem origineller sein mag und nicht so viele deutliche Anleihen bei barocken Vorbildern macht, ist es sicher nicht doppelt so gut wie die Messe. Die hat demnach offenbar keinen oder kaum Fragmentbonus. Diese Bevorzugung des Requiems ist daher m.E. schon ein wenig auf die Entstehungsumstände zurückzuführen.


    Hallo Johannes,


    Da hast du vollkommen Recht.


    Ich verstehe auch nicht, warum die Messe bei den Aufführungen so weit hinter dem Requiem steht. Beide haben Fragment-Charakter, aber, wie du richtig sagst, sind die Teile der Großen Messe von Mozart selbst komplett ausgearbeitet (wiewohl beispielsweise Maunder im ersten Credo-Satz noch einige Lücken sieht). Das ist womöglich auch ein Mitgrund, warum über die Messe nicht so viel diskutiert wird. Der Fassungen-Streit beim Requiem währt ja schon über 200 Jahre, weil ja u.a. nicht klar ist und war, was nun genau von Mozart ist.


    Gerade den barocken Einfluss liebe ich bei der Messe sehr. Ich würde nicht einmal sagen, dass die Messe deshalb weniger originell ist, weil Mozart diesen barocken Einfluss m.E. sehr originell und einzigartig einarbeitet. Trotzdem gibts auch viele Versuche die fehlenden Teile der Messe zu ergänzen, aber das würde hier den Rahmen sprengen.


    Ich glaube auch (wie du), dass vieles schon mit der Entstehung zu tun hat.


    Fragmentarische Werke üben oft eine fast magische Anziehung aus (auch auf mich, ich interessiere mich sehr für solche Werke, egal aus welcher Entstehung). Legendenbildung ist da oft sehr unterstützend. Man denke nur, um ein weiteres Beispiel zu nennen, an die Geistervariationen von Schumann. Auch da haben Legenden (angeblich war ja Schumann zu diesem Zeitpunkt bereits in geistiger Umnachtung) sehr zur Popularität des Werks beigetragen, egal ob Fragment oder nicht.


    Für mich sind Fragment-Werke an sich schon interessant, allerdings bin ich oft weitgehend Purist, besonders was das Requiem und die c-moll-Messe angeht, aber ich versuche auch hier ein offenes Ohr für neue Forschungsergebnisse zu haben.


    Nochmal zum Benedictus des Requiems: Alle Fassungen (außer Beyer) komponieren dieses um oder (wie Druce) streichen dieses sogar gänzlich. Was mir, wie oben bereits angeführt, vollkommen unverständlich ist, v.a. wegen der mozartschen Motive.


    PS: was die Große Messe anbelangt, würde ich übrigens die Gardiner-Aufnahme empfehlen, er erfasst das Ganze "barocker" als beispielsweise Harnoncourt, den ich beim Requiem sehr schätze.


    Liebe Grüße :hello:

    Komponiert ist schon alles - aber geschrieben noch nicht. (W.A. Mozart)

  • Allerdings ist in den Teilen nach der Sequenz m.E. deutlich zu hören, dass Süßmayr zwar mit Mozart-Material arbeitet, aber die konkrete Umsetzung und die Verbindung dieser Motive oft Unterschiede zum Meister erkennen lässt.

    Hallo,
    wen es interessiert gäbe es dies oder besser gesagt "fern"bezüglich auf Youtube die Missa Solemnis (in D) vom Süßmayr unter Muti. Was das jetzt damit zu tun haben soll?
    Es war das bedeutenste geistliche Werk Süßmayrs und dessen Entstehung in der Zeit nach dem Requiem stattfand. Diese Messe gehörte angeblich sogar zu den meist aufgeführtesten Messen Wiens bis ins weite 19. Jhdt.
    Sie gibt zum. einen Eindruck davon - auch wenn es sich natürlich nicht um ein Requiem handelt - inwieweit das Potential Süßmayrs bzgl. geistlicher Werke ging.
    Viele Kritiker Süßmayrs haben kurioserweise noch nie ein geistliches Werk von ihm gehört, selbst wenn sie mit ihrer Kritik recht haben sollten, würde diese aber dann nur auf blosse Mutmassungen und Spekulationen begründet liegen.
    Es ist ausser Frage das er niemals die Qualität Mozarts nur annähernd erreichen konnte, doch diese Messe bezeugt meiner Meinung nach das er damals eine sehr gute Lösung zur Komplettierung des Requiems war und der von manchen hypothetisch (und auch von Constanze) bevorzugte Eybler auch nicht über ihn zu stellen wäre. Zudem war ja natürlich auch der Vorteil das Süßmayr sehr gut die Handschfrift Mozarts imitieren konnte (inwieweit das Constanze überhaupt bewusst war kann man spekulieren) Auf jeden Fall eine gute Möglichkeit das jeder für sich selber einen Eindruck über die Messe machen kann (leider wurde sie ja bis heute nie auf CD eingespielt)
    lg
    Thomas

    „Eine Erkenntnis von heute kann die Tochter eines Irrtums von gestern sein.” (Marie von Ebner-Eschenbach)