Mahlers Musik - geliebt oder gehasst ?

  • Auch die 7. empfinde ich nicht so, selbst wenn der erste Satz auch ein "Nachtstück" sein mag, nicht nur die mittleren.


    Hallo Johannes,


    gestern wieder habe ich sie mir angehört und finde den ersten Satz auch eher dunkel, mystisch als deprimierend. Doch bei Mahler höre ich immer die Kindertotenlieder und das färbt irgendwie ab.

  • Was ist denn an den ersten 4 Sinfonien dominierend depressiv?


    Wer hat denn das behauptet?


    Gerade in den letzten Beiträgen war primär von der 6. und 7. Sinfonie die Rede!


    Hättest Du meine Überlegungen gelesen, wäre Dir ja vielleicht aufgefallen, dass ich gerade versucht habe zu betonen, dass die Partituren sehr unterschiedlich zum Klingen gebracht werden können! Niemand wird bestreiten, dass Mahler seiner Partitur eine ‚message’ eingeschrieben hat, dass er etwas mitteilen wollte. Deshalb kann ich die Partitur natürlich als historische Quelle lesen und versuchen, etwas darüber herauszufinden, was der Komponist denn seinen Hörern mitteilen wollte. Es gibt viele Äußerungen von Gustav Mahler selbst, von seiner Frau Alma und von Freunden und Zeitgenossen, die dabei weiterhelfen können. Danach macht es Sinn, die Unsicherheiten und Ängste, von denen Maher auch in Zeiten gepeinigt wurde, in denen er Glück und Erfolg genießen konnte, hörbar zu machen - auch in den ersten vier Sinfonien klingen sie immer wieder an - sogar noch in den fast zwanghaften Bemühungen um das große Finale. Aber die ganze Tiefe dessen, was in den Noten und hinter den Noten steht, enthüllt sich offenkundig nicht allein dadurch, dass man möglichst viele Quellen liest und auswertet, die uns die Intentionen und Botschaften des Komponisten fassbar machen.


    Die Frage nach dem Sinngehalt der Komposition greift meiner Meinung nach einfach zu kurz, wenn sie nicht darauf rechnet, dass in der Komposition ein offenes Sinnpotential enthalten ist, von dem sich erst in der Aufführung der Partitur durch die Musiker und im Hören jedes einzelnen Zuhörers etwas offenbart. So werden wir nie alles erfahren und erkennen können über die VI. oder VII. Sinfonie von Gustav Mahler. Unsere Geschichte mit einem solchen musikalischen Kunstwerk ist unabschließbar weil das Kunstwerk selber nicht abgeschlossen ist – immer auch über sich selbst hinausweist! Seine Vollendung liegt in den Händen seiner Interpreten und in den Köpfen und Herzen seines Publikums und: sie geschah und sie geschieht in jeder Zeit neu.


    Wenn also Cartman die Musik als "Zum Von-Der-Brücke-Springen" empfindet, dann ist das dieser Musik durchaus wesenhaft!


    Hoffen wir, dass Cartman nicht auf die Idee kommt, tatsächlich von der Brücke zu springen!


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!


  • Wer hat denn das behauptet?


    Wenn also Cartman die Musik als "Zum Von-Der-Brücke-Springen" empfindet, dann ist das dieser Musik durchaus wesenhaft!


    Hoffen wir, dass Cartman nicht auf die Idee kommt, tatsächlich von der Brücke zu springen!


    Cartman hat es allgemein über die Musik Mahlers behauptet; erst als ihm sekundiert wurde, kamen die 7. und 6. ins Spiel. Vorher klang es nicht so, als ob es auf die meisten Werke nicht zuträfe. Und typischerweise sind 1.,2.,4. und. 5. die Sinfonien, die ein Einsteiger als erstes kennenlernt. Davon sind die ersten beiden mehr oder minder traditionelle "per aspera ad astra", die 4. ein gebrochenes Idyll, die 5. wohl ein gebrochenes per aspera ad astra. Keine davon ist in toto m.E. "depressiver" als Schuberts Unvollendete.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Seelenruhe ist sowieso ein passender Begriff für die frühen Synfonien. Sicher, das ist traurig und melancholisch, aber eben mit großer Würde und Getragenheit. Da bekommt die Traurigkeit Größe und Schönheit. Dies gipfelt natürlich im Adagietto, aber auch in der 3. sind viele Momente der absoluten Ästethik.
    Es ist schade, dass er diese Erhabenheit, diese Abgeklärtheit, dieses Über-den-Dingen-Schweben ncht in seine späteren Werke hat hinüberretten können.
    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

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  • Lieber Klaus,


    habe ich unabsichtlich was Nettes über Mahler gesagt? (Scherz).
    Ich muss mich aber für meine Undeutlichkeit entschuldigen, hier war Schubert gemeint.


    Es ist schon so, wie ich schon angedeutet habe, bei Mahler schwingt immer etwas Unheilvolles mit, auch im Adagietto und dessen Wahl als Filmmusik im Tod von Venedig hat doch diese Ambivalenz aufgezeigt.
    Sind nicht die bedrückenden, dumpfen Hörnerklänge bei Mahler allgegenwärtig?


    Viele Grüße
    hami1799

  • Sind nicht die bedrückenden, dumpfen Hörnerklänge bei Mahler allgegenwärtig?


    Im adagietto nun garantiert nicht :D Da spielen nur Streicher und Harfe (und m.E. auch sonst nicht).

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  • im adagietto nun garantiert nicht


    Richtig, aber trotz F-Dur und einschmeichelnder Melodik ist es - mein persönliches Empfinden - kein heiteres Stück. Erhaben, gewaltig aber immer mit einem eigentümlich düsteren Unterton.


    Sicher hört ein analytischer Hörer das anders.

  • Ich weiß schon, was Hami mit den bedrückenden Hörnerklängen meint, ganz gleichgültig welche Instrumente sie hervorrufen. Und das ist auch nicht ganz falsch, obwohl ich glaube, dass die filmbilder da im Zusammenhang zu dominant sind, nur gehört, wirkt alles ein wenig anders.
    Aber hinter dem bedrückenden empfinde ich eben diese Größe, mit fällt da kein anderer Begriff ein. Vielleicht auch noch Stolz, Stolz auf das Bedrücktsein, auf die Tiefe der eigenen schmerzvollen Gefühle.
    Vielleicht hole ich zu weit aus, aber arbeitet nicht auch das Christentum mit ähnlicher Symbolik, ein Mensch, der im Tode und Leiden überhöht wird? Haben wir da nicht eine sehr ähnliche Metapher?
    Schönen Restsonntag!
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Lieber Klaus,


    Du rennst offene Türen ein. Es gab Zeiten, wo es nur Mahler für mich gab und ich konnte auch die Kindertotenlieder ohne in Schwermut zu verfallen ertragen. Ich kann das - obwohl persönlich nicht betroffen -
    jetzt nicht mehr, was aber letztlich bedeutet, dass es niemandem anders als Mahler gelingt, der unsäglichen Tragik des Verlustes eines geliebten Kindes so fürchterlich eindringlich eine Stimme zu verleihen.


    Grüße
    hami1799

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  • Davon sind die ersten beiden mehr oder minder traditionelle "per aspera ad astra", die 4. ein gebrochenes Idyll, die 5. wohl ein gebrochenes per aspera ad astra. Keine davon ist in toto m.E. "depressiver" als Schuberts Unvollendete.


    Solche pauschalen Etikettierungen bringen meiner Meinung nach nicht weiter - eigentlich nie! Bei Mahler schon gar nicht! Aber offenbar scheint es ein starkes Bedürfnis zu geben, Musik als möglichst eindeutig zu hören!
    Viele Menschen hören die Ouvertüre zur Entführung aus dem Serail als unbeschwert heitere Lustspiel-Eröffnung. Harnoncourts Feststellung, in ihr werde hörbar, dass an diesem Ort geschlagen und gefoltert werde, wird sie nicht erreichen. Und so hören sie dann auch das "Hier" in "Hier soll ich denn sehen" anders als es Harnoncourt versteht. Da klingt für sie keine Unsicherheit und kein Grauen auf.
    Und gleich noch ein Beispiel von Mozart: in welcher älteren - also in den ersten 60 Jahren der Geschichte der Schallplatte eingespielten - Aufnahme von Paminas g-moll Arie aus der Zauberflöte hat man Todesnähe gehört? Selbst eine - ich blieb mal bei Sopranen, von denen ich die Partie einst kennen gelernt habe - Beilke oder Grümmer - war nichts davon zu ahnen. Erst als ich Evelyn Lear unter Böhm gehört habe (Die Schallplate gibt davon allenfalls eine Ahnung), erschauerte ich angesichts dieser Todesnähe...


    Zurück zu Mahler!


    Du hörst in vielen der Sinfonien ein mehr oder minder traditionelles "per aspera ad astra"-Muster - wie gebrochen auch immer...


    Man kann aber selbst in diesen von Dir genannten Sinfonien auch die Verzweiflung darüber hören, dass das per aspera ad astra" nicht mehr funktioniert, das Dunkel, die Untiefen und Abgründe dieser Welt nicht mehr überwunden werden können und aller optimistische Finaljubel zwanghaft gerät.


    Darum kommt man nicht weiter, wenn man nicht anerkennt, dass jede Komposition ein offenes Sinnpotential enthält.
    Die Interpretation einer Partitur kann per se nie ganz fertig sein. Das Notenblatt bedarf der Aneignung durch den Menschen, um daraus Klang, Gefühl, Einsicht und Deutung zu machen. Und an diesem Prozess sind die Musiker genau so beteiligt wie die Hörenden!


    Jetzt wäre ich schon fast auf dem Weg zu Grundfragen der Ästethik und Musikphilosophie. Aber das würde denn doch diesen Thread sprengen. Dass aber das Diskutieren über Mahlers Sinfonien dorthin führt, ist wahrlich kein Zufall!


    Casruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Während ich an meinem vorherigen Beitrag gefeilt habe, ist die Diskussion ein gutes Stück weiter gegangen. Dazu würde ich gern auch noch Einiges sagen, aber ich verzichte mal darauf, weil ich eigentlich doch die Höreindrucke und beschriebenen Deutungen alle für absolut wirklich, für begründet und für valide halte - auch wo sie sich widersprechen.


    Das ist es! Genau das!


    Darum habe ich weiter oben schon gesagt:


    "....Unsere Geschichte mit einem solchen musikalischen Kunstwerk ist unabschließbar weil das Kunstwerk selber nicht abgeschlossen ist – immer auch über sich selbst hinausweist! "


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Das wäre zu bedauern.


    Ich bin nicht ganz sicher, wie Du das meinst!


    Hast Du denn kein Interesse, mal nach dem Grund unserer Hör-Wahrnehmungen und Musik-Verständnisse zu fragen?
    Sicher ist es unterhaltsam ,


    • sich darüber auszutauschen, wie man Mahler hört und was man dabei empfindet,
    • noch einmal klarzustellen, dass man HvK (Namen auszuschreiben, dauert einfach zu lange) immer schon nicht mochte,
    • ein ums andere Mal zu unterstreichen, dass man Peter Hoffmann für einen guten Tenor hält
    • und aufzuschreiben was man gerade hört...


    Das alles muss kurz sein, weil lange Beiträge eh keiner liest und man sonst ja nicht schafft, in allen Thread seine Meinung zu sagen.


    Aber ist da nicht auch das Bedürfnis, mal grundsätzlicher zu fragen und diesen Fragen dann auch nachzugehen? ? ? ?


    Ich jedenfalls fühle bei einigen Themen dieses Bedürfnis, weil es mich nicht befriedigt, nur auf die Oberfläche der Kunstwerke und auf meine oberflächlichen Eindrücke von diesen Kunstwerken zu schauen. Ich denke, dass ich gerade im Austausch mit anderen tiefer in die Welt der Musik eindringen und mein Verhältnis zu dieser Welt der Musik genauer ergründen kann.
    Würde man aber eigene Threads einfädeln, die solche Fragen thematisieren, würden sie vermutlich kaum Resonanz finden. Das Dikutieren über Mahler-Erfahrungen und Mahler-Deutungen schien mir genau der richtige Thread, das mal zu versuchen und nicht theoretisch sondern möglichst konkret auf das Beispiel bezogen zu tun.
    Aber ich hatte denn doch den Zweifel, ob es nicht den Thread sprengen würde.
    Deshalb habe ich es gelassen.
    Gut finde ich das nicht!


    Vielleicht ja ein ander Mal?


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


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  • Aber ich finde manche seiner Sachen affektiert, verkopft, übertrieben und ich weiß nicht was noch alles. Ich mag das dann einfach nicht.


    die eigentliche Orchestermusik gerät dadurch manchmal ins Hintertreffen, wird zur Begleitung.


    Aber für mich ist es verkopft, sophisticated und Elfenbeinturmmäßig.


    "Wenn ich mal vorhaben sollte von einer Brücke zu springen um mich umzubringen und noch unentschlossen sein sollte, dann werde ich Mahler hören. Dann springe ich bestimmt.", pflegte ich früher zu sagen.


    Seelenruhe ist sowieso ein passender Begriff für die frühen Synfonien. Sicher, das ist traurig und melancholisch, aber eben mit großer Würde und Getragenheit. Da bekommt die Traurigkeit Größe und Schönheit. Dies gipfelt natürlich im Adagietto, aber auch in der 3. sind viele Momente der absoluten Ästethik.


    Lieber Klaus, lieber Cartman,


    ich verfolge die Diskussion mit Interesse, kann Euch aber nicht so recht folgen. Mein Mahlerbild und meine Eindrücke beim Hören sind anders.


    "Von der Brücke springen": Am ehesten noch beim Finale der 6. Aber wo sonst?


    Adagietto: Das ist ein Liebeslied. Mahler hatte Alma kennengelernt und ihr vorher bereits ein Gedicht gesendet ("Wie ich dich liebe, du meine Sonne, ich kann mit Worten dir's nicht sagen. Nur meine Sehnsucht kann ich dir klagen. Und meine Liebe meine Wonne!"). Passt genau auf das erste Thema in den Violinen. Als Mahler es komponiert hatte, sendete er die Noten gleich an Alma, welche sofort verstand ... Vielleicht hilft das beim Hören. Dass dieser Satz innerlich mit dem Rückert-Lied "Ich bin der Welt abhanden gekommen" verwandt zu sein scheint, fügt der Musik mindestens eine zweite Dimension hinzu.


    Die ersten Sinfonien - traurig und melancholisch? Na, ich weiß nicht. Der Beginn der ersten Sinfonie, das ist doch die Erschaffung der Welt aus dem Nichts. Ein ganz hoher Ton, ein ganz tiefer Ton - das spannt eine ganze Welt auf. Dazu erklingen Naturmotive (fallende Quarten - tatütata rückwärts), diese Quartketten werden dann im letzten Satz ganz am Schluss zum Triumphchoral - geniale Metamorphose übrigens, ein wahrhaft symphonischer Plan, wunderbar umgesetzt). "Wie ein Naturlaut" schrieb Mahler in die Partitur. Bis das ganze zum Thema wird ("Ging heut morgen übers Feld" - aus den "Liedern eines fahrenden Gesellen", beginnt auch mit einer fallenden Quarte), dauert ein wenig. Mahler: "Eine Sinfonie, das heißt für mich: eine ganze Welt schaffen" (oder so ähnlich, ich finde das Zitat gerade nicht).


    Das mit der "ganzen Welt" wird in der 3. Sinfonie dann ja noch sinnfälliger: "Was mir das Felsengebirge erzählt/Der Sommer zieht ein", "Was mir die Blumen erzählen", "Was mir die Tiere erzählen", "Was mir der Mensch erzählt", "Was mir die Engel erzählen", "Was mir die Liebe erzählt" - diese Vertonung von der unbelebten Natur bis zum Göttlichen ist ein ganzes Weltenpanorama. Was daran ist traurig und melancholisch?


    Es ist - nach Jahren der Mahlerverehrung und der mittlerweile erfolgten Abkühlung sei diese Bemerkung erlaubt - auch groß im Scheitern. Natürlich kann man musikalisch nicht wirklich eine Welt schaffen. Aber Mahler kommt dem so nahe wie nur irgend möglich. Und die Transzendenz, die Mahler stellenweise im dritten Satz sowie im ganzen letzten Satz der 9. Sinfonie in Notenzeilen bannt, die scheint mir wirklich nicht von dieser Welt. Das finde ich immer noch unglaublich.


    :hello:

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  • Ach herrje, lieber Caruso41


    wie unverständlich man sich doch ausdrücken kann.


    Was Du da anführst, interessiert mich außerordentlich. Deutsch war eben noch nie meine Stärke.
    Ich meinte, es wäre bedauerlich, wenn diese Grundfragen den Rahmen des Threads sprengen würde, eben weil die Musik Mahlers diese geradezu herausfordern.


    Hoffentlich dann ein ander Mal
    hami1799

    Einmal editiert, zuletzt von hami1799 ()

  • Dass dieser Satz innerlich mit dem Rückert-Lied "Ich bin der Welt abhanden gekommen" verwandt zu sein scheint, fügt der Musik mindestens eine zweite Dimension hinzu.


    Nun, das war es doch was ich meinte.

  • Lieber Wolfgang!


    Wenn ich das lese, was du schreibst, dann entsteht in mir ein großes Fragezeichen. Ich bin einfach nicht in der Lage, die Musik so zu hören, wie du es anscheindend tust. Du hörst Quartenketten, hast im Hinterkopf, wann und warum jemand etwas geschrieben hat. - Versteh mich bitte nicht falsch, ich finde so etwas verwunderlich. Ich selber nehme mir oft vor, beim Hören auf bestimmte Dinge zu achten, aber dann reisst es mich eigentlich immer nach kurzer zeit mit und ich versinke im Gefühl - oder in der Langeweile.
    Daher bin ich natürlich kaum in der Lage, objektiv zu reflektieren, bin auf mich selbst zurückgeworfen und damit dazu gezwungen, meinen eigenen Emotionen zu vertrauen. Und da sind wir wieder bei mahler: Dann ist das Adagietto traurig - auch wenn es nicht so gemeint ist. (Der Regisseur, ich glaube visconti, hat es aber wohl auch ähnlich angewandt).


    Und mit dem Welt erschaffen hat er sich ja vielleicht etwas viel vorgenommen und deshalb zu viel in die Werke eingebaut.
    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Solche pauschalen Etikettierungen bringen meiner Meinung nach nicht weiter - eigentlich nie! Bei Mahler schon gar nicht! Aber offenbar scheint es ein starkes Bedürfnis zu geben, Musik als möglichst eindeutig zu hören!


    Bei allem Respekt, die Behauptungen, auf die ich reagiert habe, nämlich, dass Mahlers weitgehend depressive Musik sei und immer solch einen Unterton habe, sind noch weit pauschaler und plakativer! Und dass die "Auferstehungssinfonie" dem "Aus Nacht zum Licht" Vorwurf beinahe aufs Jota folgt, kann man m.E. kaum bestreiten. Natürlich sollten das keine abschließenden Verdikte über die Sinfonien sein, aber es sind erstmal brauchbare und sehr plausible Einordnungen. In der Tat ist die "Gebrochenheit" des Idylls der 4. vielleicht schon zuviel Interpretation.


    Es ist ein Unterschied, ob man Musik "eindeutig" hören soll oder ob man völlig beliebig alles Mögliche reinhören darf und sollte. Weil sie Kindertotenlieder und Winterreise komponiert haben, soll nun ALLES bei Mahler und Schubert einen morbiden Unteron haben, den Eindruck gewinne ich manchmal. Nun, das halte ich für Voreingenommenheit und eine Reduzierung der Musik auf etwas Eindeutiges.



    Zitat

    Und gleich noch ein Beispiel von Mozart: in welcher älteren - also in den ersten 60 Jahren der Geschichte der Schallplatte eingespielten - Aufnahme von Paminas g-moll Arie aus der Zauberflöte hat man Todesnähe gehört?


    Es ist aber vom Libretto her völlig eindeutig, dass Pamina Selbstmordabsichten hegt, oder? Das legt keine Interpretation in die Musik hinein. Ob und in welchen Interpretationen man das nun hört und wie man das interpretatorisch besonders deutlich machen kann, ist eine andere Sache, die ich nicht zu beurteilen wage.



    Zitat

    Du hörst in vielen der Sinfonien ein mehr oder minder traditionelles "per aspera ad astra"-Muster - wie gebrochen auch immer...


    Man kann aber selbst in diesen von Dir genannten Sinfonien auch die Verzweiflung darüber hören, dass das per aspera ad astra" nicht mehr funktioniert, das Dunkel, die Untiefen und Abgründe dieser Welt nicht mehr überwunden werden können und aller optimistische Finaljubel zwanghaft gerät.


    Ja? Erläutere das doch mal anhand der 1. oder 2. Sinfonie konkreter, woran man merkt, dass es "zwanghaft" ist. Das fiel neulich bei einem scheinbar klaren Beispiel wie Schostakowitschs 5. erstaunlich schwer.
    Klar: Dadurch dass die 2. mit einer "Todtenfeyer" anhebt und mit jüngstem Gericht und Auferstehung endet, ist der Finaljubel (anders als bei Beethoven 5 und 9) in gewisser Weise "nicht von dieser Welt".
    Die 1. ist, wie Wolfram schon angedeutet hat, ähnlich wie die 3. anfangs eine Natur/Frühling/Sommer-Sinfonie. Das ist semantisch ungefähr so eindeutig wie es das bei Musik ohne Text sein kann: Vogelrufe, militärischer Weckruf, Gesellenlied usw. (Das bedeutet keine ungetrübte Heiterkeit, das findet man in Brahms 2. aber auch nicht.)
    Das per aspera... ist hier im Grunde auf den letzten Satz beschränkt, der ja in einer der frühen Fassungen einen Untertitel der Art "Vom Inferno ins Paradies" aufwies.

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  • schon richtig, hier ist immer nur vom Traurigen die Rede. Da gibt es wirklich genug anderes. Allein der Scherz mit dem Frere Jaques als Trauermarsch ist schon richtig komisch und auch sonst kommen immer wiederdie Ländler ins Spiel und so manch derbes Zwischenspiel. Aber Hallo!
    Aber, und das wurde m.E. früher hier behauptet, wie ich meine zu recht: Mahler ist dann besonders gut, wenn es gedrückt ode melancholisch wird!
    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

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  • Es ist aber vom Libretto her völlig eindeutig, dass Pamina Selbstmordabsichten hegt, oder? Das legt keine Interpretation in die Musik hinein.


    Lieber Johannes!


    Offenbar ist eine Kommunikation zwischen uns beiden richtig schwierig.
    Du stellst Fragen, von denen ich vorher gesagt habe, dass ich sie so eigentlich nicht beantworten kann.


    Man kann den Text Schikaneders natürlich so verstehen, dass Pamina Selbstmordabsichten hat. Und dennoch haben Generationen von Sopranen die Arie so gesungen, dass man wohl ihre tiefe Trauer aber kaum Todesnähe heraushören konnte. Deshalb war ja mein Argument, dass sich musikalische Kunstwerke erst in der Aufführung durch die Musiker und im Hören des Publikums vollenden. Dieses Argument macht ja alles Argumentieren, ob der Komponist in seiner Partitur dieses oder jenes Gefühl ausgedrückt und diese oder jene Botschaft mitgeteilt hat, eigentlich zu einem Spekulieren, das bis zu einem gewissen Grade an der Sache vorbei geht.


    Ja? Erläutere das doch mal anhand der 1. oder 2. Sinfonie konkreter, woran man merkt, dass es "zwanghaft" ist.


    So ist denn auch diese Frage für mich überhaupt nicht zu beantworten.
    Ich habe schließlich auch gar nicht gesagt, dass der Finaljubel der zweiten zwanghaft sei.Vielmehr habe ich darauf hingewiesen, dass man ihn als zwanghaft hören kann. Da musst Du doch zugeben, dass das was ziemlich Anderes ist.
    Somit sehe ich es auch nicht als meine Aufgabe zu begründen, was denn einen Hörer dazu bringen könnte, das Finale als zwanghaft zu empfinden.


    Allerdings sehe ich schon gute Gründe dafür!
    Die liegen zunächst doch in der formalen Struktur dieses Satzes. Man könnte darauf hinweisen, dass man diesen Satz, der sich formal einfach nicht schließt und in dem dennoch der Anschein erweckt wird, dass hier ein Finale entfaltet wird, wie es seit Beethoven hehrster Brauch ist, als zwanghaft empfindet.
    In der Musikwissenschaft sind die formalen Probleme dieses Satzes ja wieder und wieder thematisiert worden. Zu Recht!
    So unterschiedliche Autoren wie Bekker, Geck und Schmidt haben gar bestritten, dass man den Satz als Finale verstehen kann und ihn eher als Sinfonische Dichtung in der Tradition Liszts gesehen. Interessanterweise wird auch immer wieder darauf verwiesen, dass es Parallelen zu Strauss' Tod und Verklärung gibt.
    Auf jeden Fall ist der Auferstehungsjubel nicht formal eingebunden und beherrscht. Da kann man denn doch etwas "Aufgesetztes", "Zwanghaftes" hören. Oder?
    Gerade das Finale der 2. Sinfonie ist somit ein starkes Beispiel dafür, dass musikalische Kunstwerke letztlich unabgeschlossen sind, erst in der Aufführung (also durch die Interpretierenden) und in der Aufnahme (also durch die Rezipierenden) vollendet werden.


    Ich habe Aufführungen des Werkes gehört, in denen ich nie auf die Idee gekommen wäre, der Finaljubel habe es Zwanghaftes.
    Ich habe aber auch Aufführungen gehört, in denen ich das Gewollte, das Zwanghafte, diese Flucht in den Dionysischen Rausch als fast schmerzhaft empfunden habe!


    Ja, es ist nicht einfach, sich über das Hören und Verstehen von Mahler-Sinfonien auszutauschen.


    Dass wir es dennoch versuchen hat immer auch etwas mit Selbsterkundung zu tum. Wir sollten deshalb nicht den Anschein erwecken, es sei möglich, objektive Befunde unseres Studierens und Hörens vorzutragen!


    Gerade beginnt wieder ein herrlicher Frühlingstag! Es soll sogar warm werden. Da dürften sich denn alle einig sein:


    Oh what a beautyful morning


    Sonnige Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


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  • Ach herrje, lieber Caruso41


    wie unverständlich man sich doch ausdrücken kann.


    Was Du da anführst, interessiert mich außerordentlich.


    Liebe Hami,


    da bin ich ja froh! Ich hatte auch den Eindruck, Du wärest durchaus an eingehenderen Diskussionen und nicht nur an einem Austausch von fixen Dreizeilern interessiert. Nur Dein "Das wäre zu bedauern" schien mir in eine andere Richtung zu weisen. Ich hatte es auf meine Bemerkung bezogen, eine grundsätzlichere Reflektion könne möglicherweise den Thread sprengen!


    Alles bestens!


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


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    2 Mal editiert, zuletzt von Caruso41 ()

  • Liebe Forianer,


    mit grossem Interesse habe ich gerade die Diskussionn in diesem Thread verfolgt und da ich gerade im wohlverdienten Urlaub bin, kann ich diesmal nur kurz etwas zu meinem Beitrag "Zum Von-Der-Bruecke-springen" beitragen:
    Bevor ich vor 1 1/2 Jahren bewusst begann Mahler zu hoeren, kannte ich lediglich die Kindertotenlieder, Sinfonie Nr. 2 (Stokowskis alte Mono-Aufnahme) und Sinfonie Nr. 1, die ich live in Frankfurt (Abbado) und spaeter auch im Radio (live-Konzert, Maazel) hoerte. Erst Maazels Muenchner Konzertmitschnitt und ein kurzer Vortrag eines Kollegen aus dem Peters-Musikverlag ueber Sinfonie Nr. 6 haben langsam mein Interesse geweckt. Sinfonie Nr. 6 habe ich mir dann mit Bernstein zugelegt und danach Vaters Plattenschrank nach anderen Aufnahmen durchforstet.
    Ich will natuerlich nicht das Klischee vom immer depressiv wirkenden Gustav Mahler aufrecht erhalten, aber die ersten Begegnungen liessen mich ueberwiegend diesen Aspekt wahrnehmen. Erst spaeter wurde mir bewusst, dass da eben mehr zu finden und zu hoeren ist.


    Mit den besten Gruessen aus Teneriffa :hello:
    vom
    Cartman,
    der
    a) immer noch nicht von der Bruecke gesprungen ist :jubel: und
    b) nach seiner Rueckkehr sicher noch etwas zu diesem Thread beizutragenn hat

  • Warum könnte man das Finale der 2. Sinf. als zwanghaft empfinden?


    Liebe Forianer,


    ich bitte zu entschuldigen, dass ich mit meiner Perspektive auf obige Frage das Feld des Objektiven und formal Nachweisbaren verlasse.
    Als großer Bewunderer und Liebhaber der Werke Mahlers, ist es seine Zweite, mit der ich seit jeher hadere und tatsächlich erklärte ich mir dies stets mit einer gewissen Zwanghaftigkeit. Fast scheint mir, als wäre diese dem Werk bereits durch seine Entstehungsgeschichte eingeschrieben.


    Bekanntermaßen rang Mahler selbst lange vergeblich um einen adäquates Finale, bis er bei der Trauerfeier Hans von Bülows eine Eingebung erhielt. Dennoch empfinde ich den Schlusssatz der Zweiten weniger als inspiriert, sondern vielmehr, als wolle Mahler letztlich - konfrontiert mit dem Rätsel Tod - bei sich selbst Trauer- und Überzeugungsarbeit leisten, indem er die inneren Zweifel und Zerissenheiten durch wuchtige Affirmation des Auferstehungsgedankens übertönt.

    "Geduld und Gelassenheit des Gemüts tragen mehr zur Heilung unserer Krankheiten bei, als alle Kunst der Medizin." (W.A. Mozart)

  • Mit den besten Gruessen aus Teneriffa
    vom
    Cartman,
    der
    a) immer noch nicht von der Bruecke gesprungen ist und...


    Wer in Teneriffa das Leben genießt, wird auch in Zukunft nicht von der Brücke springen - selbst wenn er zwölfmal hintereinander das Finale der 6. Sinfonie in der Aufnahme Klaus Tennstedts gehört hat!


    Genieße Teneriffa! Vielleicht mit dem dritten Satz aus Mahlers 4. Sinfonie in der Aufnahme von Michael Tilson Thomas!


    Gruß


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


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  • ich bitte zu entschuldigen, dass ich mit meiner Perspektive auf obige Frage das Feld des Objektiven und formal Nachweisbaren verlasse.
    Als großer Bewunderer und Liebhaber der Werke Mahlers, ist es seine Zweite, mit der ich seit jeher hadere und tatsächlich erklärte ich mir dies stets mit einer gewissen Zwanghaftigkeit. Fast scheint mir, als wäre diese dem Werk bereits durch seine Entstehungsgeschichte eingeschrieben.


    Besten Dank, lieber Lynkeus, und herzlich willkommen im Forum!
    Ich denke, dass wir einen interessante Diskussionen haben werden. Das Argumentieren kann natürlich nicht auf Analysen verzichten - aber welche Wahrheit liegt denn schon auf dem "Feld des Objektiven und formal Nachweisbaren " ? ? ?


    Willkommen!



    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Zitat CARUSO41: Wer in Teneriffa das Leben genießt, wird auch in Zukunft nicht von der Brücke springen - selbst wenn er zwölfmal hintereinander das Finale der 6. Sinfonie in der Aufnahme Klaus Tennstedts gehört hat!


    Wohl wahr, zumal meine Phase des ernsthaft Von-der-Brücke-springen-Wollens endgültig vorbei sein dürfte. (Aber darüber will ich mich hier nicht weiter auslassen. Dafür wären andere Foren der richtige Platz.) Kein Grund zur Panik also, lieber CARUSO41.
    Die Aufnahme mit Tennstedt, die Du erwähnst, kenne ich übrigens und bin sehr angetan davon. Auch denke ich, dass ich sie mir mehrmals anhören könnte, ohne dabei Schaden zu nehmen (Kicher).
    Bis auf Sinfonie Nr. 9 und den fertiggestellten Satz der Nr. 10 habe ich mir die Solti-Aufnahmen zu Gemüte geführt und finde sie äußerst gelungen. Die "fehlenden" Werke werde ich noch hören, wenn ich Muse dazu habe. Allerdings zögere ich noch, mich an die Lieder zu wagen. Aber auch das wird noch folgen. Es bleibt also noch viel zu entdecken und es bleibt - hoffentlich - noch spannend.


    Es grüßt
    der CARTMAN (wieder in der Heimat)