Hallo,
warum dieser neue Thread?
1. Wie im Thread "Wieso und wodurch…" Beitrag Nr. 389 dargelegt und nachgewiesen, handelt es sich bei diesem Thema um eine höchst individuelle Angelegenheit. Deshalb soll es in diesem Thread hier nicht genügen zu schreiben, diese Musik ist für…emotional - das Mitglied könnte beschreiben, welche Stelle und was emotional bewegt, andernfalls der Beitrag keinen weiteren Sinn ergäbe.
2. Der Thread lautet "Musik die emotional stark bewegt" - er lautet nicht "Musik die emotional ist".
Es kommt also in diesem Thread nicht darauf an ob der Komponist stark emotional bewegt war, als er das Werk schrieb und dies auch zum Ausdruck bringen wollte, also z. B. Dvorak mit dem Englischhorn-Motiv "Aus der neuen Welt" oder Mozart mit der Wahl der Soloinstrumente Flöte und Harfe in seinem Konzert KV 299; es kommt auch nicht darauf an ob der Interpret eine besonders emotionale Sicht des Werkes bringen wollte - Nein, es soll ausschließlich darauf ankommen ob die ausgewählte Musik beim Hörer starke Emotionen weckt. (Die im Forum auch geäußerte Meinung, der Hörer habe sich gefälligst an dem zu orientieren, was der Komponist in seiner Musik ausdrücken wollte, hat hier nichts zu suchen.)
3. Es geht auch nicht um "Gänsehautstellen", die oft zusätzlich außermusikalischen Ursprung haben; die Musik (also auch text- und/oder progammgebundene) und nur sie soll Auslöser sein. Deshalb sollte es auch keine allzu strengen Grenzen geben, welche Art von Musik eingestellt wird, das Kriterium sollte nur sein - gute Musik, also Trivialmusik ausgeschlossen. Und ob es sich nun noch um klassische Musik oder schon um Jazz o. ä. handelt, sollte egal sein.
4. Es hat sich gezeigt, dass kaum ein ganzes Werk emotional stark bewegt, es sind einzelne Stellen. Diese Stellen exakt zu definieren erfordert Geschick und etwas sprachliche Ausdrucksfähigkeit.
5. Emotionen verbal auszudrücken und auch noch schriftlich nieder zu legen ist schwierig. In Fachpublikationen wird die - berechtigte - Meinung vertreten, dazu bedürfe es keiner musikspezifischen Fachtermini, im Gegenteil: Nicht Jede(r) kann mit "Tritonus" oder "Dominantseptakkord" oder "Mollakkord auf der 3.Stufe" etwas anfangen. Aber wenn geschrieben wird, diese Harmonik oder diese Akkordfolge oder dieser Zusammenklang von Horn und Harfe oder dieser sehr ausgeprägte (stark synkopierte?) Rhythmus bei der zuvor exakt definierten Stelle - damit kann Jede(r) etwas anfangen, nachhören und sich fragen ob dies auch starke Emotionen bei ihr/ihm auslöst.
Es mag sein, dass eine unklare Definition des Threads die Diskussion in Gang bringt. Ich finde es allerdings gut, wenn das Thema des Threads die Diskussion anregt und nicht die Diskussion darüber, über was sich eigentlich ausgetauscht werden soll.
Folgende Gründe können zum Flop des Threads werden:
a) Generell kein Interesse an Emotionen.
b) Kein Interesse wegen 2.
c) Bedenken 4. + 5. nicht gerecht werden zu können - die habe ich auch, was mich aber nicht davon abhält, dennoch zu posten - ich rechne mit der Nachsicht der …
d) Wegen 3. ist durchaus damit zu rechnen - und es müsse damit umgegangen werden können - dass keine Reaktionen kommen, weil es eben nur bei… "auslöst"
e) Es werden unbekannte Werke ausgesucht, die nachzuhören und dann zu posten für Mitglieder u. U. nicht lohnend erscheint, weil dazu eine CD zu kaufen wäre. Genau dies sollte aber kein Grund sein, dieses Musik nicht auszuwählen, denn: Genau diese unbekannte Stelle könnte einem Mitglied doch bekannt sein und damit zu dem "ins Wasser geworfenen Stein werden, der einen Wellenkreis auslöst".
f) 5. könnte zum Problem werden, weil Bedenken entstehen können, Emotionen "auszubreiten" könnte als Distanzlosigkeit ausgelegt werden, man würde sich zu sehr "outen". Dem halte ich entgegen: Ich kann von meinem/n Diskussionspartnern/innen nur soviel Reaktion/Feedback erwarten, als ich selber bereit bin, mich einzubringen. Und: Wenn auf einen ersten "schaumgebremsten" Beitrag eine Reaktion kommt, dann kann das ja nach Belieben vertieft werden.
Und um c) bis f) gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen, mein 1. Beitrag zum Thema.
Schuberts "Dona nobis pacem" aus seiner 6. Messe in Es-Dur D950
Im "Agnus Dei" und dort bei dem 1.Choreinsatz "Dona nobis pacem" bewegt mich die (ungewohnte?) Harmonikwendung vor dem Horneinsatz und bei der Motivwiederholung durch das Horn - ein Eindruck, dies kann nur ein innerer Frieden sein oder ein Frieden im Jenseits. Dabei meine ich, die ungewohnte Harmonikwendung könnte daran liegen:
Das "Agnus Dei" vor dem ersten "Dona nobis" erklingt überwiegend in ziemlich düsterem Moll (auch die kleine Chorfuge für mich die "Welt" ausdrückend) und endet in einem befriedigend klingenden Dur-Akkord, der aber zugleich nach Auflösung strebt. Die Auflösung zur Gundtonart des Werkes Es-Dur kommt zwar sofort im 1. Akkord von Dona nobis, der Akkord erklingt aber nicht auf der Tonika stehend, sondern auf der Terz und diese Wendung empfinde ich ungewohnt und weckt bei mir den Eindruck von einer anderen Welt.
Auch die Chorwiederholung mit der etwas abgeänderten (aber für mich bleibend) ungewohnten Harmonik setzt sich so fort und auch die dritte Dona nobis-Harmonikwendung.
Das hat nun nichts mehr direkt mit meiner starken Emotion zu tun, dennoch meine ich es erwähnen zu müssen: Schubert hält sich genau an den kath. Messtext, in dem das Dona nobis Bestandteil des Agnus Dei ist. Die Bachsche Struktur, dem Dona nobis einen eigenen Chorsatz zu geben, finde ich dem Text angemessener. Nach der Schubert-Bearbeitung des Dona nobis-Themas im Chor, Orchester und den Solisten, erklingt das Originalthema nochmals in den Solis und dem Chor, dies wäre für mich der richtige Schluss des Werkes, "in einer anderen Welt endend". Nachdem Schubert aber für die Vertonung den Text nicht trennt, muss er nun noch mal das Moll-Agnus-Dei bringen und dann erneut das Dona nobis, für das er aber nun nicht das Originalthema verwendet (?), sondern eine neue, ziemlich bombastisch klingende Phrase (wohl den damaligen Konventionen entsprechend?), die für mich die starke Emotion leider nicht zu Ende bringen lässt.
Noch eine Randbemerkung zur dritten, ebenfalls vom Chor vorgetragenen Dona nobis-Harmonikwendung gleich zu Anfang: Diese Harmonikwendung, allerdings in D-Dur und die Akkorde ergänzt jeweils um ein E, verwendet Morten Lauridsen (siehe seinen Thread) in seinem "Lux aeterna" und macht diese Akkordfolge und Harmonikwendung zum Bindeglied der ganzen Komposition (die m. E. ungerechter Weise hier im Forum etwas "unter die Räder geriet") - auch in einer anderen Welt!
Viele Grüße
zweiterbass