Der Musiker Gräber

  • Emmy Loose - * 22. Januar 1914 Karbitz - † 14. Oktober 1987 Wien


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    Flankiert von großen Namen ist Emmy Loose in der Mitte zu sehen - ein Bild aus glücklicher Zeit.


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    Zum heutigen Todestag von Emmy Loose


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    Der Geburtsort von Emmy Loose, der kleine Ort Karbitz bei Aussig, hat seinen Standort nicht verändert, heißt aber heute Chabařovice und liegt in Tschechien, landschaftlich gesehen in Nord-Böhmen.


    In der Öffentlichkeit ist über ihre Kindheit und Familienverhältnisse nichts bekannt, aber mit künstlerischen Ambitionen war sie in ihrer Familie nicht allein; da ist noch die jüngere Schwester, die auch Berufssängerin war, sich aber mehr der etwas leichteren Muse widmete, sie nannte sich Friedl Loor (1919-2017).


    Emmy Loose studierte am Konservatorium in Prag und debütierte 1939 am Staatstheater Hannover als Blondchen in »Die Entführung aus dem Serail« - es sei hier vorweggenommen, dass sie später diese Rolle 143 Mal an der Staatsoper Wien sang.
    Ein Gastspiel als Ännchen im »Freischütz« hatte sie an die Wiener Staatsoper gebracht, wo sie am 18. Juni 1941 in der Premiere unter Hans Knappertsbusch sang und dann noch in einigen Folgevorstellungen.1942 wurde Emmy Loose Ensemblemitglied und behielt diesen Status bis 1976.
    1942 waren das dann Rollen wie: Musetta in »La Bohemé«, Nuri in »Tiefland«, Adele in »Die Fledermaus« und die Gretel in »Hänsel und Gretel«.
    1943 ging es dann weiter mit: Barbarina, Blondchen, Esmaralda ... aber auch schon mit der Gilda in »Rigoletto«.
    Wegen nun massiver Kriegseinwirkungen wurden Mitte 1944 alle Theater geschlossen, aber in der Literatur ist zu lesen, dass es immer wieder vereinzelte Vorstellungen gegeben habe und die letzte Aufführung an der Wiener Staatsoper sei am 5. Januar 1945 gewesen.
    Wie dem auch sei, am 12. März 1945 gingen hier auf brutale Weise die Lichter aus und dann war hier definitiv Schluss.


    Erstaunlicherweise wurde in Wien schon zum 1. Mai 1945 - das war immerhin noch vor dem offiziellen Kriegsende - an der Wiener Volksoper, die für ein Jahrzehnt als Ausweichquartier diente, »Die Hochzeit des Figaro« gegeben; in diesem Stück hatte sich Emmy Loose von der Barbarina zur Susanna hochgearbeitet. Manche Vorstellungen, wie beispielsweise »Cosi fan tutte« fanden im Redoutensaal der Hofburg statt.
    Die Wiener Staatsoper nahm schon am 6. Oktober 1945 wieder ihren Spielbetrieb mit »Fidelio« auf; in diesen Oktobervorstellungen sang Emmy Loose unter Josef Krips die Marzelline. In »Martha« vom September bis Weihnachten die Lady Harriet Durham.


    Das waren für alle Beteiligten schwere Zeiten, aber obwohl die Welt brannte und das Großdeutsche Reich in Schutt und Asche lag und Not auf breiter Front herrschte, wurde hier fast durchweg musiziert; Emmy Loose hatte Glück, dass sie überhaupt ihren Beruf ausüben konnte.
    Sie hatte sich aufs leichte Sopranfach spezialisiert, das in Opern neben den spektakuläreren Titelpartien auch gebraucht wird, aber schließlich die Lady Harriet Durham ja auch eine Titelrolle.


    Wenn man an der Wiener Staatsoper singt, sind die Salzburger Festspiele nicht weit, also sang sie auch hier das Blondchen in der »Entführung«, auch beim ›Glyndebourne Festival‹, dem ›Maggio musikale Florenz‹ und bei den Festspielen von ›Aix-en-Provence‹.
    Sie gastierte ausgiebig in den Musikzentren Europas, also an der Mailänder Scala, Covent Garden London, Teatro Liceo Barcelona ... aber auch in Südamerika am Teatro Colón Buenos Aires.
    Ihr Repertoire war umfangreich; an der Wiener Staatsoper war sie in mehr als vierzig Rollen einsetzbar und absolvierte 1.369 Vorstellungen an diesem Haus; 215 Mal war sie Papagena, wobei in einer Kritik zu lesen ist: »hat sich in jahrelanger Papagena-Tätigkeit eine seltene Fertigkeit darin erworben, wirklich mit geschlossenen Füßen wie ein Spatz zu hüpfen ...« 134 Mal gab sie das Blondchen.
    Anton Dermota, auch ein Urgestein der Wiener Staatsoper, beschreibt seine langjährige Kollegin in seiner Biografie so:


    »Wenn vom Wiederbeginn der Wiener Opernkunst die Rede ist, so darf meine liebe Kollegin Emmy Loose nicht vergessen werden. Ihre quicklebendige Despina, ihr köstliches, frisches Blondchen, ihre muntere Papagena, ihre zu Herzen singende Zerline waren wesentliche Beiträge zum Wiener Mozartstil. Als Kollegin zeigte sie stets Temperament und geistige Beweglichkeit, als Künstlerin besaß sie viel gesunden Ehrgeiz, der sie befähigte, ihr Fach sehr zu erweitern: Ännchen, Olympia, Martha, Sophie lauten ein paar Stationen ihrer künstlerischen Entwicklung. Ihr allzu früh verstorbener Gatte, Dr. Kriso, war ein hochgeschätzter, von vielen Ensemblemitgliedern ständig konsultierter Laryngologe und als solcher unser Helfer in allen Sängernöten.«


    Auf dem Grabstein finden sich keine Lebensdaten, aber es gibt Quellen die aussagen, dass die Ehe 1952 geschlossen wurde und Dr. Kriso 1961 starb.
    Emmy Loose war 1954 zur Kammersängerin ernannt worden und erhielt zehn Jahre später die Mozart-Medaille; das war wohl jeweils zu den runden Geburtstagen der Sängerin.
    Diesen Auszeichnungen folgte das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse 1965 sowie Ehrenmedaille in Gold 1979.


    Nach Beendigung ihrer Bühnenlaufbahn war sie noch an der Wiener Musikschule und an der Sommerakademie in Salzburg pädagogisch tätig. Es ist ganz interessant mal einen Blick auf die Liste der dort Unterrichtenden zu werfen, da ist zu lesen, für Gesang stehen:
    Susanne Anders, Liselotte Egger, Rut Jacobson, Viorica Krauss-Ursuleac, Paula Lindberg, Emmy Loose, Heinrich Pflanzl, Hetty Plümacher und Ellen Repp zur Verfügung.
    Da war also eine illustre Gesellschaft von Lehrenden beisammen.


    Das künstlerische Wirken von Emmy Loose ist auf vielen Tonträgern dokumentiert, ob auch ihr Grab erhalten werden kann, war nicht zu ermitteln.


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    Aufnahme vom Sommer 2022


    Praktischer Hinweis:
    Friedhof Hietzing, Maxingstraße 15, 1130 Wien. Man geht vom Tor 2 aus auf das etwa 80 Schritte entfernte Kreuz zu und von dort aus etwa die gleiche Strecke weiter geradeaus bis zum Gräberfeld 26 und biegt rechts ab, wo man unmittelbar zum Gräberfeld 39 kommt, wo sich noch im Sommer 2022 der Grabstein befand.


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    Ein markanter Punkt, wenn man das Gräberfeld 39 sucht


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  • Giuditta Pasta - * 26. Oktober 1797 Saronno - † 1. April 1865 Como


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    Zum heutigen Geburtstag von Giuditta Pasta


    Der Geburtsort von Giuditta Pasta liegt 30 Kilometer von Mailand entfernt und von Saronno nach Blevio, wo die Diva Ihre Villa hatte, ist es etwa genau so weit.

    Ihr Mädchenname war Negri; als sie 1816 den Juristen und Tenor Giuseppe Pasta heiratete, wurde sie Giuditta Pasta und im Laufe der nächsten Jahre zu einer der berühmtesten Sängerinnen ihrer Zeit; in den frühen 1830er Jahren hatte sie ihren künstlerischen Höhepunkt erreicht.


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    Blick über den Friedhof in Blevio


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    Die letzte Ruhestätte der Giuditta Pasta von oben gesehen


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    Ein Blick ins Innere


    Angiola Maria Constanza Giuditta Negri - früher musste bei der Namensgebung die ganze Verwandtschaft berücksichtigt werden - war die Tochter von Rachele Ferranti und dem Apotheker Carlo Antonio Negri. Die familiären Gründe sind nicht allgemein bekannt, aber Giuditta wuchs bei ihrer Großmutter mütterlicherseits auf, die zusammen mit ihrem Sohn Filippo in Como lebte. Filippo entdeckte das musikalische Talent seiner Nichte und wusste es einzurichten, dass das Mädchen vom Domkapellmeister unterrichtet wurde. Hieraus resultierte ein erster öffentlicher Auftritt in der Kirche Santa Cecilia in Como; Giuditta war da gerade mal 12 Jahre alt.
    Zwei Jahre nach diesem Auftritt in der Kirche zog sie mit Onkel Filippo nach Mailand um, wo sie am Konservatorium eine fundierte musikalische Ausbildung erhielt. Ihre Lehrer waren dort Bonifazio Asioli und Giuseppe Scappa. Unter Scappas Schülern war auch der Tenor und Jurastudent Guiseppe Pasta; die beiden fanden zueinander und heirateten im Januar 1816.
    Giuseppe Scappa hatte gerade die Oper »Lopez de Varga« geschrieben, die im Karneval 1916 in Mailand aufgeführt wurde; in diesem Stück gab Giuditta Pasta ihr Debüt im Teatro degli Accademici Filodrammatici. Im gleichen Jahr gelang ihr noch der erste Sprung nach Paris; der Komponist und Kapellmeister Ferdinando Paër hatte sie in seiner Oper »Il principe die Taranto« am Théátre Italien in Paris als Rosina eingesetzt. Es waren ihre Anfängerjahre als Opernsängerin, wo sie auch noch andere Rollen sang. 1817 singt sie wieder in Paris und hat im Folgenden sogar noch ein Engagement am King´s Theatre in London. Für ihre Auftritte gab es zwar höflichen Applaus, sie konnte gefallen, löste aber keine Beifallsstürme aus. Im März 1818 war außerhalb der Bühne eine Hauptrolle zu absolvieren - sie wurde Mutter einer Tochter, Clelila wurde geboren.


    Und dann kamen endlich auch Hauptrollen auf der Bühne. Im Herbst 1818 trat sie im Teatro San Benedetto in Venedig in Pacinis »Adelaide e Comingo« auf. In den nächsten beiden Jahren singt sie sich an kleineren und mittleren Häusern durch viele italienische Städte.


    In der Saison 1820/21 sang sie in Venedig zwei Uraufführungen, die gut gelangen, besonders Stefano Pavesis »Arminio«.
    Auguren hatten offenbar von diesem Ereignis positiv nach Paris und London berichtet und den Boden für einen triumphalen Empfang bereitet; man kann sagen, dass nun ihre Berühmtheit begann.
    Es wurde vordem von Kritikern ja viel an ihrer Stimme herumgemäkelt, aber man geht davon aus, dass sie in den Jahren zwischen 1817 und 1821 viel an ihrer Stimme gearbeitet hat; da keine Tonträger vorhanden sind, ist man auf die Berichte sachkundiger Stimmkenner aus dieser Zeit angewiesen; da ist vor allem John Ebers, Förderer der italienischen Oper am King´s Theatre London zu nennen, aber auch der französische Schriftsteller, der sich Stendhal nannte und unter anderem auch Musikfreund war. Folgt man den diversen Beschreibungen der Stimme Pastas, so kommen immer wieder Aussagen wie: sehr eigenwillig, nicht von genuiner Klangschönheit ...


    Bei Ebers findet sich: »technisch zunächst von Unsicherheiten durchsetzt, in der Tiefe mit ›verschleierten‹ oder ›rauen‹ Tönen und mit einen ›soprano sfogato‹ typischen Timbrewechsel zwischen dem hohen Sopranregister und der mittleren und tieferen Lage, jedoch immer dramatisch fesselnd.«
    Schon in ihren Anfangsjahren stellten Kritiker fest, dass Giuditta Pastas Stimme schwer zu beschreiben ist; Stendhal meint, dass gerade die Töne, welche für Pasta im Randbereich liegen metaphysisch anmutende Naturphänomene sind, die Zuhörende wie einen Blitzschlag träfen.
    Irgendwie erinnert das an die Callas unserer Tage, da gab es auch Sängerinnen, die genauer und auch schöner sangen, aber die Callas war ein schwer zu beschreibendes Phänomen, und unverwechselbar.
    Begeistert schreibt Stendhal: »... wie Madame Pasta portamento zu singen weiß, wie sie ihre Skalen und Übergänge nuanciert, wie sie eine lange Phase zu akzentuieren, zu verbinden und mit Ebenmäßigkeit zu halten versteht ...« Stendhal stellt auch fest, dass die Pasta mitunter ein Rezitativ interessanter zu gestalten wusste als die nachfolgende Arie.
    In einem nüchternen Lexikontext wird festgestellt, dass sie einen Stimmumfang von zweieinhalb Oktaven zur Verfügung hatte.


    Einen eigenen Eindruck kann man sich nicht verschaffen, aber dass es sich bei Giuditta Pasta um eine Singdarstellerin ersten Ranges handelt ist durch ihre internationalen Erfolge eindeutig bewiesen; und dass die Herren Bellini und Donizetti extra Werke für sie schrieben ist genug Beweis, dass sie eine Ausnahmekünstlerin war. Rossini hatte ja in Isabella Colibran seine eigene Muse, aber Giuditta Pasta begab sich als ›Rossini-Desdemona‹ nach Paris, um hier ihre internationale Karriere zu beginnen, zumindest stellt es sich in der Rückschau so dar. John Ebers sieht Pastas Rückkehr nach Paris so:
    »Pasta trat auf, was man aber auch als Debüt bezeichnen könnte, so wenig hatte der Empfang, den man ihr bereitete, mit dem früherer Jahre zu tun. Die Weiterentwicklung von Madame Pasta ist ein prominentes Beispiel dafür, was harte Arbeit und emsige Weiterbildung bewirken können.«


    In einer Master-Arbeit über Gepflogenheiten an italienischen Opernhäusern wird 2014 dargestellt, dass zwischen 1838 und 1845 insgesamt 342 neue Opern aufgeführt wurden; zu dieser Zeit war zwar die Karriere der Pasta am Auslaufen, - 1835 trat sie letztmals an der Mailänder Scala auf - aber diese Zahlen zeigen, welche Mengen singbares Material da zu bewältigen war. In Giuditta Pastas Biografie tauchen Opern und Rollen auf, die heute nur noch der Musikwissenschaft bekannt sind.
    Einige wenige Ereignisse sollten jedoch angeführt werden. Als im Sommer 1825 im Théâtre-Italien in Paris Rossinis Oper »Il viaggio a Reims« uraufgeführt wurde, war das eine Besetzung der Superlative mit zehn Hautrollen und den Gesangsstars der damaligen Zeit, natürlich war auch die Pasta dabei.
    Von November 1826 bis März 1827 wirkt sie am Teatro San Carlo in Neapel, wo sie unter anderem auch in der Uraufführung von Giovanni Pacinis Oper »Niobe« sang. Die damals aber schon sehr Erfolgsverwöhnte, konnte die gewohnten enthusiastischen Begeisterungsstürme in Neapel nicht entfachen, weil man dort den reinen schönen Gesang mehr schätzte als den dramatischen Auftritt. Zu Pastas Ehrenrettung sei aber der englische Musikkritiker Henry Fothergill Chorley zitiert, welcher der Meinung war, dass niemand die große Arie »Il soave e bel conteno« jemals besser gesungen habe als Madame Pasta.
    Nach dieser Kritik ihrer sängerischen Leistung kann man noch auf eine Kritik in der »Times« hinweisen, wo Pasta mit dem großen Schauspieler Edmund Kean verglichen wird.


    1827 bis 1828 lässt sich die Pasta wieder in London hören, wo sie auch mit der fast zehn Jahre jüngeren Henriette Sontag zusammentrifft, die am Anfang ihrer großen Karriere steht.
    Giuditta Pasta gab damals nicht nur Konzerte in London und anderen englischen Städten, sondern auch in Irland und Schottland.
    Im Februar/März 1829 trat sie am Kärntnertortheater in Wien auf, wo sie von Kaiser Franz I. zur Kammersängerin ernannt wurde. Etwas später stand sie am gleichen Ort als Imogene in Bellinis »Il pirata« mit dem seinerzeit wohl größten Tenor Giovanni Battista Rubini auf der Bühne, den eine besondere künstlerische Beziehung mit Vincenzo Bellini verband. Eine ähnliche Verbindung ergab sich dann schließlich auch zwischen Giuditta Pasta und Bellini, für den sie in den kommenden Jahren zur wichtigen Muse wurde.


    Aber dann war da auch noch Gaetano Donizetti, der mit Bellini ständig im Wettkampfmodus war, wer denn der legitime Nachfolger Rossinis sei. Nachdem Donizetti bereits 34 Opern geschrieben hatte, gelang ihm erst mit »Anna Bolena« der Durchbruch. Er hatte der Pasta die Rolle auf den Leib geschrieben und man geht davon aus, dass Giuditta Pasta nicht unerheblichen Einfluss auf die Komposition nahm, denn Donizetti war während der Komposition Gast in Pastas Villa, direkt am Comer See gelegen; aus heutiger Sicht saßen da zwei junge Leute beisammen - beide 1797 geboren - die erprobten was wie wirkt ...
    und wie das wirkte, neben Signora Pasta standen noch Giovanni Battista Rubini und Filippo Galli auf den Brettern.
    Als das Werk fertig war, kam es am 26. Dezember 1830 mit triumphalem Erfolg im Teatro Carcano in Mailand - das in Opposition zur Scala von einer Gruppe Adeliger geführt wurde - zur Aufführung.
    Die Konkurrenz schlief nicht, schon am 6. März 1831 brachte Bellini am gleichen Ort seine Oper - auch Melodramma genannt - »La sonnambula« (Die Nachtwandlerin) zur Uraufführung. Es war die erste Zusammenarbeit Bellinis mit der Primadonna Giuditta Pasta, die beiden hatten sich im Jahr zuvor am Comer See kennengelernt. Auch in diesem Falle trugen die Pasta und der Tenor Giovanni Battista Rubini wesentlich zum Aufführungserfolg bei; zumindest ist in den Annalen von einer bejubelten Aufführung die Rede.


    Bellini ist bestrebt einen solchen Erfolg zu wiederholen oder gar noch zu steigern. Er hatte von Alexandre Soumets Drama Norma gehört, das im April 1831 am Pariser Odéon-Theater erfolgreich aufgeführt wurde. Drei Monate später beschließt er den Stoff für eine Oper zu verwenden. Bellini weiß, dass sich Giuditta Pasta in Paris aufhält und bittet sie brieflich sich diese Tragödie im Theater anzusehen, denn wenn die Oper zustande kommen sollte, würde er sie als Norma sehen. Die Pasta ist von der Figur der Norma begeistert und von Bellinis Partitur auch; sie arbeiten zusammen am Klavier und man darf vermuten, dass an einer der berühmtesten Arien der Operngeschichte - ›Casta Diva‹ - entsprechend gefeilt wurde.


    Als nun mit »Norma« an der Scala am 26. Dezember 1826 die Saison 1831/32 eröffnet werden soll sind die Erwartungen hoch. Die besten verfügbaren Protagonisten sind aufgeboten; Bellini erwartet nach dem erst kürzlich errungenen Erfolg mit »La sonnambula«, in Mailand triumphal gefeiert zu werden. Die Premiere gerät wider Erwarten zum Fiasko; Bellini drückt das mit Worten aus, die nicht übersetzbar sind; wie konnte das geschehen?
    Giovanni Pacini, dessen Werke vordem an allen großen Theatern Italiens aufgeführt wurden, war durch die erfolgreichen Rivalen Donizetti und Bellini in den 1830er Jahren etwas ins Abseits geraten und hatte sich den »Misserfolg« Bellinis erkauft, indem er Claqueure in der Scala untergebracht hatte. Schon die nächste Aufführung, die zwei Tage später über die Bühne ging, wurde weit freundlicher aufgenommen und in dieser Saison wurde »Norma« dann 39 Mal gespielt.
    Einen wirklich großen Erfolg konnte Giuditta Pasta in der Rolle der Norma im Sommer 1832 in Bergamo feiern. Ein Jahr später gibt man »Norma« auch am Haymarket Theatre London; dann erobert sich das Stück die Welt und gerät dann allerdings mit dem Ende der Belcanto-Ära in Vergessenheit. Aus dem Dornröschenschlaf wird ›Casta Diva‹ erst wieder von Maria Callas erweckt - Maria Callas und Giuditta Pasta müssen sich auf der Bühne sehr ähnlich gewesen sein.
    In »Ugo, conte di Parigi«, einem Donizetti-Werk, das im März 1832 in der Scala uraufgeführt wurde, sang Pasta die Bianca, eine Prinzessin von Aquitanien und ihre Opern-Schwester wurde von Giulia Grisi dargestellt, der Tenor Domenico Donzelli gab den Grafen Ugo, das waren schon Aufführungen auf höchstem Niveau.
    Die letzte Rolle, die Bellini für Giuditta Pasta schrieb war die Titelrolle in »Beatrice di Tenda«, eine Oper die am 16. März 1833 im Teatro La Fenice mit etwas Mühe aus der Taufe gehoben wurde. Da gab es im Vorfeld schon Unstimmigkeiten zwischen Bellini und dem Librettisten Romani, so dass die Premiere zweimal verschoben werden musste; noch bevor sich der Vorhang hob war die Stimmung schlecht, auch die als zu hoch empfundene Gage der Pasta war Gegenstand von Betrachtungen. Die Uraufführung war ein Fiasko und die Oper galt schließlich als durchgefallen; man hörte das Werk dann später noch in Mailand, London, Paris und Wien, bevor es in Vergessenheit geriet. Erst 1961 trat die australische Sängerin Joan Sutherland erfolgreich in die großen Fußstapfen der Giuditta Pasta.


    Giuditta Pasta hatte den Zenit ihres künstlerischen Tuns erreicht und begann ihn zu überschreiten. Im Frühjahr 1833 stand sie zusammen mit der berühmten Maria Malibran auf der Bühne; Anfang 1835 trat sie letztmals an der Mailänder Scala auf. Nachdem Bellini im September 1835 überraschend gestorben war, zog sie sich von der Opernbühne zurück.
    1837 dann noch einige Konzerte mit Ausschnitten ihrer bekannten Rollen am Haymarket Theatre sowie Covent Garden in London, wobei der stimmliche Verfall nun eindeutig hörbar war. Trotzdem sang sie noch von 1838 bis 1841 in Petersburg, Moskau, Warschau, Tilsit, Riga, Berlin, Leipzig ...


    Ab 1840 lebte Giuditta Pasta in der Villa Roccabruna in Blevio, die sie bereits 1827 gekauft hatte und durch ihren Onkel im neoklassischen Stil umbauen und erweitern ließ, damit ausreichend Platz für illustre Gäste war. Sie gab ihrem Besitz den Namen »Villa Roda«.
    Schräg gegenüber, auf der anderen Seeseite, in Moltrasio, residierte Bellini in der Villa Passalacqua, unweit seiner Geliebten, das war Giuditta Turina, eine verheiratete Frau.
    Da hatte der Komponist also engen Kontakt zu zwei verheirateten Giudittas, aber die Beziehung zu Giuditta Pasta war wohl rein beruflicher Art.
    In der Literatur ist häufig zu lesen, dass Bellini zur Villa Roda herüber gesegelt sei, und die Story wird noch romantisch aufgehübscht; »man munkelt«, so heißt es da, die Sängerin habe eine Kerze ins Fenster gestellt, um zu zeigen, dass sie anwesend ist.


    Giuditta Pasta war eine große Künstlerin, allein die Kunst rechtzeitig nach so vielen umjubelten Auftritten aufzuhören, beherrschte sie nicht. Sie soll in 63 Rollen aufgetreten sein, 1.240 Opernaufführungen absolviert und 860 Konzerte gesungen haben, wobei auch viele Konzerte in Häusern prominenter Mitglieder der Gesellschaft stattfanden.


    Als ihr Gatte Giuseppe 1846 starb, der die Karriere seiner Frau stets als Sekretär, Manager und Finanzverwalter begleitet hatte, zog sie sich weitgehend aus der Öffentlichkeit zurück. Gefiel sich dann aber zwei Jahre später als Revolutionärin und stellte bei der Märzrevolution 1848 den gegen Österreich Protestierenden ihren Palazzo in Mailand zur Verfügung und begann während der Dankesfeier zur Vertreibung der Österreicher spontan »Il Canto degli Italiani« zu singen, wobei sie die Trikolore schwenkte. Ihre Aktivitäten musste sie dann mit einem Exil in Lugano büßen.
    Als die nun über Fünfzigjährige im Juli 1850 in London nochmals einen letzten öffentlichen Auftritt wagte, muss das ein Desaster gewesen sein.
    Die damals 29-jährige Pauline Viardot-Garcia - also auch eine der ganz Großen - war bei diesem Konzert anwesend und soll Tränen in den Augen gehabt haben.
    Eine Kostprobe ihres künstlerischen Könnens ist auch heute noch verfügbar, nämlich die von Giuditta Pasta komponierte und ihrer Tochter gewidmete Arie »Invito alla Campagna«; das Werk kam bei den besagten Londoner Konzerten, die in Covent Garden und Hayermarket stattfanden, zur Aufführung und wird auch in unseren Tagen noch zu Gehör gebracht.


    Privat hatte Giuditta Pasta 1861 noch den Tod ihres Schwiegersohns Eugenio Ferranti zu verkraften. Nach dem Tod ihrer Mutter und ihres Mannes lebte Giuditta Pasta in der Villa Trempo in Blevio, zog aber aus gesundheitlichen Gründen 1864 nach Como, wo sie ein Jahr später an Bronchitis starb. Die Vereinigung Italiens erlebte sie nicht mehr.


    Zusammenfassend kann man feststellen, dass Giuditta Pasta zu ihrer Zeit die herausragende Sängerin war, wobei dieser Status noch durch den Umstand gefestigt wurde, dass die um elf Jahre jüngere Maria Malibran 1836 auf tragische Weise ums Leben kam und die vierzehn Jahre jüngere Mailänderin Giulia Grisi einiges von der Pasta lernen konnte.
    Giuditta Pasta hatte das unwahrscheinliche Glück, dass sie mit so herausragenden Komponisten wie Rossini, Donizetti und Bellini ganz eng zusammenarbeiten konnte.
    Als sie sich wegen stimmlicher Probleme in den 1830er Jahren von der Bühne zurückzog, hatte sich ihr künstlerisches Umfeld verändert - Bellini war unerwartet gestorben, Rossini zog sich als Opernkomponist zurück und Donizetti wechselte ins französische Fach.


    Praktische Hinweise:
    Frazione Girola, 1, 22020 Blevio CO, Italien. Von der Hauptstraße aus führt ein enges Sträßchen nach unten, direkt ans Friedhofstor, am gegenüberliegenden Ende des Friedhofs befindet sich das Mausoleum.


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    Anmerkung:
    Wer wirklich alles über das Leben der Giuditta Pasta wissen möchte, kann das in englischer Sprache erschienene Buch von Kenneth Stern lesen, der in akribischer Arbeit alles Erdenkliche zusammengetragen hat und auf 584 Seiten darbietet.

  • Hermann Levi - * 7. November 1839 Gießen - † 13. Mai 1900 München


    Zum heutigen Geburtstag von Hermann Levi - ein ganz besonderer Grabbesuch


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    Wenn man von der Ludwigstraße kommend links emporsteigt, kommt man zu dieser namenlosen Grabstätte


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    Ein Blick in die Landschaft unmittelbar bei der letzten Ruhestätte von Hermann Levi


    Hermann Levi war der Sohn eines hessischen Landesrabbiners und sein Großvater war auch Rabbiner und dessen Vater auch ... ein Erbe, das weit zurückreichte. Hermanns Mutter, Henriette Mayer, stammte aus einer wohlhabenden Familie in Mannheim und die bei ihrer Eheschließung 26-Jährige, musste sich erst an die bescheidenen Verhältnisse des Rabbiner-Haushalts in Gießen gewöhnen. Auch vom Umfeld her war es für Henriette eine Umstellung, denn aus Gießener Sicht bedeutete Mannheim damals die große Welt.


    Hermanns Vater war ein hochstudierter Mann und Mutter Henriette soll eine ausgezeichnete Pianistin gewesen sein; sie pflegte die Hausmusik und besorgte die musikalische Erziehung ihrer Kinder. Nach einjähriger Ehe kam Sohn Wilhelm zur Welt, der später Musik studierte und Sänger wurde; drei Jahre danach kam Tochter Emma zur Familie und nach wiederum drei Jahren wurde der zweite Sohn Hermann geboren. Hermann hatte wohl einen gewaltigen Teil Erbmasse von seiner Mutter mitbekommen, aber er konnte sich später an seine Mutter nicht mehr erinnern, sie starb 1842, kurz nach der Geburt ihres vierten Kindes, als Söhnchen Hermann kaum drei Jahre alt war.


    Hermanns außergewöhnliche Musikalität wurde schon im frühen Kindesalter bemerkt; in seiner Heimatstadt galt er als musikalisches Wunderkind. Mit sechs Jahren spielte er öffentlich ein Klavierkonzert von Hummel und wurde am zweiten Flügel von seinem älteren Bruder Wilhelm begleitet. Etwas später fand der Halbwaise bei den Verwandten seiner Mutter ein ihm bald vertrautes familiäres Umfeld mit zahlreichen Kindern.
    Dieser Mannheimer Familienzweig war vorwiegend wirtschaftlich orientiert; finanzierte die Gründung der BASF, war am Ausbau von Bahnverbindungen und der Dampfschifffahrt beteiligt und hatte damit einen gewissen Einfluss in der Gesellschaft. Der hochkünstlerische Neffe aus Gießen wirkte hier zwar ein bisschen exotisch, wurde aber seiner Neigung entsprechend unterstützt.
    So nutzte die einflussreiche Familie auch ihre Verbindungen, um dem sonderbegabten Jungen zwei Jahre lang an schulfreien Nachmittagen Unterricht bei Hofkapellmeister Vinzenz Lachner zu ermöglichen. Mit dem 14. Lebensjahr verließ der Junge das Lyceum, um sich ausschließlich dem musikalischen Studium zu widmen. Kurz vor seinem 13. Geburtstag war er zu Kompositionsstudien zu Lachner gekommen; drei Monate vor seinem 16. Geburtstag verabschiedete er sich von Meister Lachner und seinen Verwandten, um zu weiteren Studien nach Leipzig zu gehen, dieser Studienort war damals in deutschsprachigem Raum für Musikstudien die erste Adresse; Lachner hatte das empfohlen. Durch Lachner hatte Levi über all die Jahre Zugang zu Proben und Aufführungen am Opernhaus gehabt, was ihm später zugutekam.


    Natürlich bestand Levi die Aufnahmeprüfung am Konservatorium Leipzig und wurde hier im Oktober 1855 als Schüler Nr. 548 aufgenommen. Auch außerhalb des reinen Studiums waren in Leipzig vielseitige musikalische Eindrücke zu sammeln; da spielten zum Beispiel Liszt, Bülow, Joachim ... Aber es waren auch eine Menge öffentlicher Prüfungen zu absolvieren und zu bestehen. Mit glänzend bestandenem Studium kehrte Hermann Levi zunächst ins Vaterhaus zurück.
    Paris war in dieser Zeit das Attraktivste, was man sich vorstellen konnte und musikalisch sowieso der Nabel der Welt; hier waren Rossini und Meyerbeer auf dem Höhepunkt ihrer Popularität.
    Im Herbst 1858 traf der nun 19-jährige Levi in Paris ein, um überall mal reinzuschnuppern; in die Opernhäuser, Konzertsäle und Salons. Als er im Frühjahr 1859 eine Aufführung von Gounods »Faust« sah, war er begeistert, mit Meyerbeer konnte er allerdings weniger anfangen. Er komponierte auch ein bisschen in Paris, aber das Wichtigste war wohl das Einfangen der Gesamtatmosphäre und Erlernen der französischen Sprache, eine gewisse frankophile Haltung lässt sich bei ihm auch noch in späteren Jahren erkennen. Noch war er unentschlossen, ob er vorrangig Konzertpianist oder Dirigent werden sollte. Lachner half; er gab im Vereinsarchivblatt eine Anzeige mit folgendem Wortlaut auf:
    »Bühnen, die einen Kapellmeister oder Musikdirektor suchen, empfiehlt einen jungen Mann von ausgezeichneten Fähigkeiten und erteilt auf portofreie Anfrage nähere Auskunft V. Lachner.«
    Da Lachner besonders im süddeutschen Raum großes Ansehen genoss, war Hermann Levi - kaum aus Paris zurück - schon im September 1859 Musikdirektor in Saarbrücken.


    Als intimer Kenner des Mannheimer Nationaltheaters, stellte er schnell fest, dass mit dem hier vorhandenen Personal kein hohes künstlerisches Niveau zu erreichen war, aber er machte das Beste daraus und nutzte seine guten Beziehungen zu Mannheim und besorgte sich von dort bei Bedarf Gesangssolisten, auch Lachner selbst kam mal zu einem Dirigat an die Saar. Dies war relativ gut möglich, weil seit 1852 eine Eisenbahnverbindung zwischen Ludwigshafen über Saarbrücken nach Metz bestand. Levi hatte in Mannheim ausgeholfen, weil dort ein Kapellmeister erkrankt war und kehrte dann nicht mehr nach Saarbrücken zurück.


    Ausgerechnet am 7. November 1861, also seinem Geburtstag, führte er in Leipzig ein selbst komponiertes Klavierwerk auf, das krachend durchfiel, in der Kritik war unter anderem zu lesen:
    »Über die Komposition ist wenig rühmliches zu sagen ...« Also sollte es doch besser mit dem Dirigieren weitergehen; Lachner hatte wieder vermittelt, dieses Mal sollte es zur Deutschen Oper in Rotterdam gehen. Dieses Institut war erst 1860 gegründet worden, im Februar 1862 hatte er sich beworben, für die Saison 1862/63 wurde er von der Presse als der vielversprechende neue musikalische Leiter präsentiert. Diese doch sehr junge Oper konnte ein gutes Niveau bieten, weil die Gesangssolisten ordentliche Gagen bekamen und auch ein breites Repertoire vorhanden war. Als Neuproduktion bereitete Levi Anfang November »Lohengrin« vor, obwohl er die von Wagner vorgeschriebene dreifache Holzbläser-Besetzung nicht bieten konnte; also kam eine reduzierte Fassung zur Aufführung. Dennoch war die Premiere ein unerwartet großer Erfolg. Eine Rotterdamer Zeitung schrieb:
    »Herr Levi kann für seine Leistung nicht genug gerühmt werden.« Schließlich wurde die Oper innerhalb von drei Wochen sechsmal gegeben. Levi hatte sogar die Chuzpe, Wagner zum Dirigat einzuladen, aber das Comité lehnte die geforderte Gage - zwei Dirigate für 1000 Gulden - ab, auch 500 bis 600 Gulden für ein Dirigat erschien den Verantwortlichen zu viel. Also konnte Levi Richard Wagner noch nicht persönlich kennenlernen, was vielleicht auch sein Gutes hatte, wegen des reduzierten Orchesters.
    Im Januar 1863 brachte man in Rotterdam »Tannhäuser« heraus, was ebenso ein großer Erfolg wurde; unmittelbar danach unterschrieb er einen Vertrag für ein weiteres Jahr.
    Als Ende April die Saison in Rotterdam zu Ende ging, begab sich Levi auf Reisen, um nach neuen Sängern für sein Ensemble Ausschau zu halten.
    In Baden-Baden traf er Clara Schumann, die ihn in das Schaffen von Brahms einweihte, Theodor Kirchner, Anton Rubinstein ... allesamt zwar keine Sänger, aber große Persönlichkeiten der Zeit. Und er traf auch den Karlsruher Theaterdirektor Eduard Devrient, das war kein Zufallstreffen, Lachner hatte seinen ehemaligen Schüler empfohlen. Levi sah für sich im Ausland keine weitere Entwicklungsmöglichkeiten; als ein Vertragsangebot aus Karlsruhe kam und sein Rotterdamer Vertrag zum 30. April 1864 endete, war der Wechsel ans Karlsruher Hoftheater beschlossene Sache.
    Die alte badische Residenzstadt hatte damals etwa 27.000 Einwohner. 1853 hatte man das neue Hoftheater eröffnet und Eduard Devrient, aus einer brillanten Theaterfamilie stammend, war hier mächtiger Prinzipal, dem es gelang aus dem Hoftheater eine der ersten Bühnen Deutschlands zu machen. Wilhelm Kalliwoda wirkte bereits seit zehn Jahren als Musikdirektor am Hoftheater und ging davon aus, dass er nach der Pensionierung von Kapellmeister Strauß in die erste Position rücken würde.
    Zum 1. August 1864 waren in Karlsruhe die Theaterferien zu Ende und Levi hatte einen Vertrag für ein Probejahr, der zum Inhalt hatte, dass nach neun Monaten entschieden werde ob der nun 24-jährige Levi als erster Kapellmeister geeignet wäre. Levi ist sich seiner Qualität sicher und drängt auf seine Ernennung zum ersten Kapellmeister. Devrient weiß um Levis gute Arbeit, hat aber die Befürchtung, dass dann aus dem ersten Kapellmeister ein »Musikkönig« werden könnte, und so etwas wollte er nicht neben sich haben. Im Frühjahr 1865 erhöht Levi den Druck, indem er damit droht in Paris ein Musikinstitut zu übernehmen.
    Nun kommt es zu einer salomonischen Entscheidung - beide Dirigenten erhalten den Titel Hofkapellmeister, aber Levi bekommt ein bisschen mehr Gehalt.


    Neben seiner Theaterarbeit ergab sich für Levi an seinem neuen Lebensmittelpunkt auch die Möglichkeit Bekanntschaften zu knüpfen, die natürlich überwiegend musikalischen Kreisen entstammten. In diese Betrachtungen muss man das nahe Baden-Baden mit einbeziehen, wo Levi jeweils mittwochs mit seinem Karlsruher Ensemble zu tun hatte.
    Es kam zu einer engen Freundschaft mit Johannes Brahms, den er zwar schon 1862 auf dem Weg nach Rotterdam besucht hatte, aber da Brahms ab 1865 über viele Jahre hinweg stets seine Sommermonate im Haus Lichtenthal Nr. 85 (heute Museum) verbrachte, ergab sich nun eine enge Verbindung; mitunter wohnte Brahms auch in Levis geräumiger Wohnung in Karlsruhe. Auch Clara Schumann gehörte in den Freundeskreis und damit war auch der Zugang zum Salon der Madame Viardot gegeben.
    Nachdem Levi in Karlsruhe mit dem Dirigat Wagners »Meistersinger« und »Ein Deutsches Requiem« seines Freundes Brahms erfolgreich war, hatte sich dies in Fachkreisen herumgesprochen, sodass Anfragen von anderen Bühnen kamen, unter anderem war aus Wien angefragt worden ob Levi Interesse daran hätte, die Position von Hofkapellmeister Heinrich Esser zu übernehmen, aber Levi konnte sich für einen Wechsel nicht erwärmen.
    Ein Angebot aus München war da schon von anderem Kaliber, Baron von Perfall, der Münchner Theaterdirektor, wollte Levi für das Dirigat der »Walküre« an seinem Theater haben. Das große Münchner Orchester dirigieren - das war für Levi schon sehr verlockend,
    wie er an Brahms schrieb: »Aber Spaß hätte es mir gemacht, das Orchester so um mich her wogen und wühlen zu hören und den Taktstock dabei zu schwingen.«
    Aber natürlich wusste er von dem Aufruhr, bezüglich der »Rheingold-Aufführung« 1869, war entsprechend vorsichtig, fragte bei Wagner in Luzern an und entschied sich - vorerst noch -gegen München.


    Als Levi im Sommerurlaub auf Sylt war, erreichte ihn die Nachricht vom Kriegsausbruch verspätet; dann eilte er nach Karlsruhe, das relativ nahe am Kriegsgeschehen lag. Das Theater war geschlossen, Levi leistete seinen Dienst fürs Vaterland als Sanitäter. Im September normalisierten sich die Verhältnisse in Karlsruhe wieder, auch das Geschehen in der Oper nahm seinen gewohnten Lauf.
    Am 20. Dezember 1871 kam es in Mannheim zur ersten persönlichen Begegnung mit Richard Wagner; Anlass war die Gründung des ersten Richard Wagner-Vereins.
    Wagner dirigierte im Mannheimer Hoftheater ein Konzert der vereinigten Orchester der Mannheimer und Karlsruher Hofbühnen; Hermann Levi dürfte wohl der interessierteste Zuhörer gewesen sein. Natürlich kannte Levi Wagners Schriften, die ihm nicht gefallen konnten, aber er bewunderte den Meister als Musiker über die Maßen.
    Zu Beginn des Jahres 1872 gastierte Sophie Stehle, eine Sopranistin der Münchner Hofoper, in Karlsruhe; in München bedrängte sie ihren Direktor, dass er Levi unbedingt an das Opernhaus nach München holt. Baron von Perfall bat Levi nach Würzburg; die gebotenen Konditionen waren traumhaft; Karlsruhe wollte den Dirigenten unbedingt halten und bot das Gleiche, aber die Würfel waren gefallen ... »zu spät«, sagte Levi.
    Levi verabschiedete sich mit einem großartigen Konzert von Karlsruhe, wobei auch das »Triumphlied«, ein heute fast vergessenes Werk von Brahms, aufgeführt wurde.


    Am 15. Oktober trat Levi seine Position als Bayerischer Hofkapellmeister an, um mit den Proben zu Mozarts »Zauberflöte« zu beginnen; der 33-Jährige war nun Herr über ein Orchester, das fast doppelt so stark besetzt war als das Karlsruher. Auf den Kapellmeister wartete viel Arbeit, aber er kannte ja die meisten der aufzuführenden Werke. Neu waren für ihn Wagners »Tristan« und der zu erwartende vollständige »Ring«.
    Während Levi bezüglich des »Tristan«, den er im Mai 1874 leitete, an Wagner schrieb, dass das ein Wendepunkt in seinem Leben war, ließ Clara Schumann kein gutes Haar an diesem Werk. Levi suchte nun immer engeren Kontakt zu Wagner. Im August 1875 fuhr Levi erstmals zu den Proben nach Bayreuth und war von der Akustik des Festspielhauses überwältigt. In der weiteren Entwicklung war Levi zum treuen Vasall Richard Wagners geworden.


    Die Freundschaft zu Brahms hatte Risse bekommen und im März 1876 war die schon lange kränkelnde Braut Levis gestorben. In diesem Jahr hatte ihn aber auch das Klangwunder des Nibelungenrings stark beeindruckt; Levi war nun von der Idee besessen, vor allem dem Genie Richard Wagners zu dienen; und er half auch finanziell, um das entstandene Festspieldefizit zu mildern; ein in München durchgeführtes Sonderkonzert erbrachte einen Reingewinn von exakt 3.863 Mark.


    Es galt als ausgemacht, dass das Münchner Hoftheater als erste deutsche Bühne nach der Uraufführung in Bayreuth den gesamten »Ring« spielen sollte. Insgeheim befürchtete Levi, dass er im Vergleich mit der Bayreuther Aufführung nicht bestehen könne, aber anhand von Zeitungsberichten kann man davon ausgehen, dass die Münchner Aufführung zumindest ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen war.
    Mit der Entstehung von »Parsifal« war Levi recht früh vertraut; schon im Februar 1879 legte Wagner einem Brief an Levi eine Notenskizze des »Karfreitagszauber« bei und er war in Wahnfried dabei als Rubinstein aus einer Bleistiftsskizze des dritten Aktes spielte; einige Tage später wurde das Werk nochmals vor Gästen am Klavier gespielt. Inzwischen kannte Levi das Werk so gut, dass er Bülow in München große Teile des »Parsifal« auswendig vorspielen konnte.
    Richard Wagner hatte nun ausreichend Gelegenheit gehabt Hermann Levis Arbeit zu beobachten und war dabei zu der Erkenntnis gelangt, dass es wohl keinen geeigneteren Dirigenten gibt, um »Parsifal« aufzuführen. Nach all dem, was Wagner in der Vergangenheit zum Judentum gesagt hatte, war es ohnehin verwunderlich, wie unterwürfig sich Levi im Hause Wahnfried verhielt - »Es war ein fortwährendes körperliches Sich-Verbeugen, das mich peinlich berührte«, berichtet Felix Weingartner, Levis Assistent.
    Levi soll erstaunt, aber auch beunruhigt gewesen sein, als ihm Wagner verkündete, dass Levi der Dirigent des »Parsifal« sein werde. Beunruhigt deshalb, weil Wagner der Auffassung war, dass sein so christliches Werk eigentlich nur von einem Getauften aus der Taufe gehoben werden dürfe; vom Meister ist überliefert: »Vorher nehmen wir einen Akt mit Ihnen vor. Ich möchte, es gelänge mir eine Formel dafür zu finden, dass Sie sich ganz unter uns als zu uns gehörig empfinden.« Als sich bei dieser Anspielung auf die Taufe das Gesicht Levis verfinsterte, brach Wagner das Gespräch ab.
    Ein ominöser anonymer Brief - an Wagner gerichtet - beschwor den Komponisten, sein Werk rein zu halten und nicht von einem Juden dirigieren zu lassen. Nun war Levi mehr als verstimmt, weil er nicht begreifen konnte, dass Wagner diesen Brief nicht sofort zerrissen hat. Levi sagte dazu nichts mehr, packte abends seinen Koffer und reiste nach Bamberg.
    Von dort aus bat er dringend, ihn von der Leitung des »Parsifal« zu entbinden. Wagner sandte umgehend ein Telegramm, aber Levi wiederholte daraufhin seine Bitte.
    Nun lief Wagner als Briefschreiber zur Hochform auf und formulierte sein Schreiben so - »verlieren Sie nichts von Ihrem Glauben«, dass Levi erkennen konnte, dass es möglich wäre den »Parsifal« auch ungetauft zu dirigieren.
    Am 26. Juli 1882, einem nebelverhangenen, regnerischen Tag, hatte Hermann Levi als Premierendirigent des Bühnenweihfestspiels »Parsifal« den Höhepunkt seiner künstlerischen Laufbahn erreicht.
    Am 29. August fand die 16. und letzte Vorstellung statt; Levi war sehr erkältet und am Ende seiner Kräfte. Während der Verwandlungsmusik im letzten Akt erschien Wagner im Orchestergraben und übernahm - vom Publikum unbemerkt - den Taktstock; es kann darüber spekuliert werden, ob er Levi entlasten oder von seinem Werk Abschied nehmen wollte. Nachdem sich Levi von seiner Erschöpfung erholt hatte, reiste er zu einem Erholungsurlaub nach Baden-Baden.
    Vom 3. bis 6. Oktober besuchte Levi die Familie Wagner in Venedig; man unternahm zusammen Gondelfahrten, besuchte Kirchen und genoss abendliche Lese- und Musizierstunden. Zu Beginn der Wintersaison hatte Levi mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu tun, die sogar dazu führten, dass er ein Konzert abbrechen musste. Anfang Januar 1883 nahm er einen Erholungsurlaub in Arco, nördlich des Gardasees. Vor seiner Rückkehr nach München besuchte er nochmal die Wagners in Venedig, wo Levi erneut so erkrankte, dass Bettruhe angesagt war; der herbeigerufene Arzt sprach von Gemütsleiden. Cosima fühlte sich schuldig, weil sie glaubte, dass der Umgang mit ihnen die Schwermut verursachte. Gatte Richard reagierte etwas ruppig auf die Leiden des Kapellmeisters und meinte in seiner unnachahmlichen Art, man würde am besten mit Juden überhaupt nicht umgehen. Entweder seien sie hochmütig wie Rubinstein oder gemütskrank wie Levi. Dennoch besuchte Wagner den Patienten mehrmals am Krankenbett. Am 11. Februar fühlte sich Levi besser, verbrachte noch ein paar Stunden bei Familie Wagner und verabschiedete sich am nächsten Morgen, um die Heimreise anzutreten; Wagner begleitete ihn noch zur Treppe, um sich bewegt zu verabschieden - es war ein Abschied für immer; 24 Stunden später starb Richard Wagner an den Folgen eines Herzanfalls in den Armen seiner Frau. Am Freitag derselben Woche, in der sich Levi montags in Venedig verabschiedet hatte, stieg er am Innsbrucker Bahnhof in den Zug, der Wagners Leiche in Begleitung der Familie über München nach Bayreuth brachte.


    Nach Wagners Tod hatte Levi noch mit der Trauerfeier zu tun und auch Gedächtnisvorstellungen zu leiten. Während Levi danach Pläne für die nächsten Festspiele schmiedete - Cosima verharrte noch in ihrer Abgeschiedenheit - intrigierte Levis Assistent, Julius Kniese, im Hintergrund gegen ihn, wobei er kundtat, dass Levi wegen seiner jüdischen Abstammung unfähig sei den »Parsifal« zu leiten. Kniese musste gehen, kehrte aber in späteren Jahren wieder zurück, wobei die beiden ordentlich zusammenarbeiteten. Als ab 1884 Frau Cosima die Sache in die Hand nahm war klar, dass Levi für sie der ideale Dirigent für »Parsifal« war. Dennoch sollten auf längere Sicht die Dirigenten Hans Richter und Felix Mottl Levi bei seiner Arbeit unterstützen.
    Aber Levi war - in Zusammenarbeit mit Felix Mottl - auch daran beteiligt, dass die Oper »Der Barbier von Bagdad« des Komponisten Peter Cornelius der Vergessenheit entrissen wurde; dass es deswegen später zu Unstimmigkeiten kam ist eine andere Sache.
    Levi tat auch was für den ja noch lebenden Anton Bruckner. Er hatte den 60-jährigen Bruckner im Festspielsommer 1884 in Bayreuth kennen gelernt, der gerade seine siebente Sinfonie abgeschlossen hatte, die im Dezember 1884 unter Arthur Nikisch in Leipzig uraufgeführt wurde. Durch Levis Dirigat wurde das Werk auch in München ein großer Erfolg.
    Levi hatte in Bruckner nun wieder einen Meister gefunden, den er verehren konnte. Mit dem bedeutenden Kunsttheoretiker Konrad Fiedler gründete er in München einen Bruckner-Verein, der die Druckkosten für Bruckners siebente Sinfonie aufbrachte und tat noch einiges mehr für Bruckner. Die freudige Erwartung war groß, als Bruckner die Fertigstellung seiner »Achten« mitteilte, für die nur München als Aufführungsort infrage kam. Dann kam es ganz schlimm, weil Levi keinen Zugang zu Bruckners neuem Werk fand.
    Über eine robuste Gesundheit verfügte Hermann Levi eigentlich nie; mit zunehmendem Alter zeichnete sich ab, dass Schonung angesagt war. Im August 1894 kam Richard Strauss an die Hofoper. 1894 war Levi letztmals als »Parsifal«-Dirigent nach Bayreuth gekommen, in späteren Jahren kam er nur noch als Freund des Hauses und Besucher nach Bayreuth.


    Trotz seiner fragilen Gesundheit bewältigte Levi im ersten Viertel des Jahres1895 noch ein respektables Programm, das ihn nach Paris und London führte. Für den Rest des Jahres sah er sich aber außerstande am Theater zu dirigieren.
    Am 13. Juni stürzte Levis langjähriger Freund Konrad Fiedler aus dem Fenster und verletzte sich dabei so schwer, dass er starb. Levi, auch noch nicht richtig gesund, nahm sich der Frau seines Freundes an. Zum 1. Januar 1896 wurde Levi aus gesundheitlichen Gründen vorläufig pensioniert. Die gesundheitlichen Gründe waren Kalkablagerungen in den Fingern, was ihn also nicht hinderte im Frühjahr 1896 mit Mary Fiedler einen Erholungsurlaub zu verbringen, der die beiden auch nach Partenkirchen brachte, wohin sie eine gemeinsame Übersiedlung planten. Nachdem die Hoftheaterdirektion die endgültige Pensionierung bestätigt hatte, konnte Levi seinen Lebensabend planen. Am 1. Oktober 1896 heiratete er die 42-jährige Mary; Levi vollendete sein 57. Lebensjahr. Mary Levi wird als höchst attraktive, elegante Frau, gesellschaftlich gewandt und vielseitig künstlerisch interessiert beschrieben.
    Durch die Heirat war Hermann Levi finanziell unabhängig geworden, denn seine Frau verfügte über ein großes Vermögen. Sie erwarben auf dem Riedberg in Partenkirchen ein großes Grundstück mit einem alten Bierkeller, auf dessen Grundmauern sie sich von Adolf von Hildebrand, mit dem sie freundschaftlich verbunden waren, eine schlossartige Villa mit zwei Zwiebeltürmen erbauen ließen. Von dort oben genoss man einen herrlichen Blick auf die umliegende Gebirgslandschaft. Bis zur Fertigstellung des Hauses reiste das Paar 1896/97 wieder in die Nähe von Bozen und dann weiter zu Familie Hildebrand nach Florenz. Im Juni 1898 konnte die Villa bezogen werden. Die Verbindung zu München bestand jedoch weiterhin; man hatte sich eine Stadtwohnung eingerichtet (heute ist dort die Mensa der Technischen Universität), um, vor allem in den Wintermonaten, Konzert- und Theaterveranstaltungen besuchen zu können.
    Da kamen dann alte Freunde wie zum Beispiel Paul Heyse oder Wilhelm Herz vorbei; manchmal auch Richard Strauss - zum Skat.
    Mitte Februar besucht das Ehepaar Levi für drei Tage Bayreuth, um Eva Wagners 23. Geburtstag zu feiern. Es war Levis letzter Besuch in Bayreuth, 27 Jahre nach seinem Erstbesuch.


    Als Ende März das neu gestaltete Künstlerhaus in München eingeweiht wurde, sah man Levi letztmals bei einer öffentlichen Veranstaltung; er verließ das festliche Treiben am Arm seiner Gattin noch ehe die Veranstaltung zu Ende war. Am Morgen des 13. Mai 1900 schlief Hermann Levi in seiner Münchner Wohnung sanft ein. Im Familiengrab der Schwiegereltern wurde er vorläufig auf dem Münchner Ostfriedhof beigesetzt. Später ließ Mary im Park des Partenkirchner Hauses ein Mausoleum errichten, wo Hermann Levis sterbliche Überreste unter einer von Hildebrand angefertigten Grabplatte beigesetzt wurden.

  • Nachklapp zum Levi-Grab


    Das ist kein Grabbesuch wie viele vorhergegangenen. Da ist keine Friedhofsmauer, keine Eingangstür zum Friedhof und keine Friedhofskapelle oder eine Trauerhalle. Aber da ist ein Grab mit einer geradezu abenteuerlichen Geschichte, ja einer furchtbaren Geschichte, die einer Darstellung bedarf.
    Kaum hatte Levi das Grundstück erworben, wandte er sich brieflich an den Bürgermeister, um diesem mitzuteilen, dass er sich als Neubürger von Partenkirchen für das Wohl und Ansehen des Ortes einsetzen wolle. Leere Versprechungen waren das nicht, denn schon bald unterstützte Levi die Marktgemeinde großzügig beim Ausbau der Wasserversorgung.
    Die Anerkennung des Rathauses ließ nicht lange auf sich warten; am 12. Juli 1898 verlieh man Hermann Levi das Ehrenbürgerrecht der Gemeinde Partenkirchen. Und man ehrte Levi über den Tod hinaus; seit 1925 trug die heutige Karwendelstraße, die am Levi-Haus vorbeiführt, den Namen ›Hermann-Levi-Weg‹.
    Seit 1933 waren Straßenschilder dieser Art nicht mehr gerne gesehen, weshalb die Straße nach einem Verleger zweifelhaften Rufes benannt, und noch ehe tausend Jahre um waren, zur Karwendelstraße wurde.


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    Direkt gegenüber befindet sich das Grab von Hermann Levi


    Wie bereits erwähnt, ließ Levis Witwe im Park des Hauses Riedberg nach Plänen Adolf von Hildebrands ein Mausoleum errichten. Die ursprüngliche Anlage umfasste einen oval ummauerten Grabbezirk, der etwa vier Meter hoch war; an der Stirnseite der Grabhalle war ein Bildnis Levis angebracht, das Hildebrand entworfen hatte; darunter die Grabplatte. Ein Engel wachte über dem Eingang, konnte jedoch nicht verhindern, dass das Grab in einen unglaublich unwürdigen Zustand geriet, wie auf dem nachstehenden Foto zu sehen ist.


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    Aus einem Bericht des Münchner Merkur


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    Historisches Foto des Mausoleums


    Das Mausoleum hatte die NS-Zeit zwar in der Substanz unbeschädigt überstanden, aber an der Bausubstanz hatte dann allmählich der Zahn der Zeit genagt. Für die Kinder war das zum Abenteuerspielplatz geworden, die etwas zur Seite gerückte Grabplatte sorgte für einen gewissen Gruseleffekt.
    Dem damaligen Grundstückseigentümer war daran gelegen diesen Zustand zu beenden, so dass er bei der Gemeinde 1957 einen Antrag auf Abbruch des Mausoleums stellte.
    Der zuständige Kreisheimatpfleger war mit der Beseitigung des Mausoleums einverstanden, da es sich um kein erhaltungswürdiges Bauwerk handelt. Der Bauausschuss stimmte am 04. 11. 1957 grundsätzlich dem Abbruch des Mausoleums zu, nachdem dieses zum großen Teil verfallen und von keiner besonderen Bedeutung ist, außerdem im jetzigen Zustand eine Gefährdung bedeutet.

    1986 regte die Denkmalschutzbehörde an, die noch auf der Gruft befindliche Marmorplatte in die Denkmalschutzliste aufzunehmen, was dann 1991 auch geschah.
    Der vielseitig interessierte Musiker und Musikwissenschaftler Anthony Morris hatte 2006 die Absicht das Mausoleum neu errichten zu lassen und verhandelte deswegen etwa drei Jahre lang mit entsprechenden Entscheidungsträgern, was jedoch zu keinem Ergebnis führte.
    Da immer noch keine Gewissheit bestand, ob sich Levis Gebeine tatsächlich noch in der Gruft befanden, wurde diese am 16. Mai 2018 u. a. im Beisein eines Rabbiners und der Bürgermeisterin geöffnet. Man fand in der Gruft einen verplombten Zinksarg.
    Nun erwog man zunächst eine Umbettung auf den Neuen Israelitischen Friedhof in München, verwarf jedoch diesen Gedanken wieder; in einer Zeitungsnotiz von 1900 findet sich der Passus, dass es eine konfessionslose Bestattung gewesen sei.
    Im Februar 2019 hatte man sich endlich dazu durchgerungen, dass Hermann Levi bei seinen Bergen bleiben sollte und man am angestammten Platz eine würdige Grabstätte errichtet.
    Es kam zu einem Flächentausch von etwa 50 Quadratmetern. Dem folgte ein Wettbewerb der künstlerischen Gestaltung, den Franka Kaßner für sich entschied; die Grabstätte wurde am 2. Juli 2021 eingeweiht. Am Abend dirigierte Kirill Petrenko, der ehemalige Generalmusikdirektor der Bayrischen Staatsoper, ein Gedenkkonzert.

  • Lucia Popp - * 12. November 1939 Ungerraiden - † 16. November 1993 München


    Zum heutigen Todestag von Lucia Popp


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    Eine bewundernswerte schauspielerische Leistung vollbrachte Lucia Popp am 12. November 1993. Sie lag im Krankenhaus und nahm telefonisch Geburtstagsglückwünsche entgegen, wobei sie ihren Krankenhausaufenthalt als unbedeutend herunterspielte und den Eindruck vermitteln konnte, dass sie gut drauf sei, wie man zu sagen pflegt; vier Tage später war sie tot.
    Etwa zwei Monate vor ihrem 54. Geburtstag hatte sie in Wien noch einen Liederabend gegeben - ihre letzte Zugabe war das Strauss-Lied »Allerseelen«; es war ihr Abschied vom Wiener Publikum, aber nur sie wusste, dass es ein Abschied für immer war.
    Diesen Liederabend wiederholte sie nochmals in Frankfurt am Main; und das war dann ihre letzte öffentliche Gesangsdarbietung überhaupt.


    Als Lucia Popp geboren wurde, war der neue Staat Slowakei gerade mal ein halbes Jahr alt.
    Die Kindeseltern waren in Ungerreigen/Uhorská ves aufgewachsen und heute heißt der Ort Záhorská Ves und ist die westlichste Siedlung der Slowakei.
    Bei Lucias Eltern kann man von einer Sandkastenliebe sprechen; im ehefähigen Alter galten sie als das schönste Paar am Ort. Die beiden heirateten 1937. Lucias Mutter war Lehrerin, der Vater ein angehender Diplomingenieur der Volkswirtschaft.
    Ihre Kindheit verlebte Lucia bei den Großeltern auf dem Lande in einem dreisprachigen Haushalt, in dem tschechisch, slowakisch und gelegentlich auch deutsch gesprochen wurde.


    In der Familie Popp hatte Musik immer einen hohen Stellenwert; auch Lucias Mutter, Milada Poppová, hatte gutes Stimmmaterial, was die dann berühmt gewordene Tochter so beurteilte:
    »Meine Mutter besaß eine sehr schöne Stimme, eine lyrische, sie wäre eine Elsa gewesen - ein Bild mit ›Lohengrins Abschied‹ hing bei uns an der Wand«.
    Die Mutter verfügte über eine ausgebildete Stimme und trat sowohl in Konzertsälen als auch im Rundfunk auf.


    Gesungen hat Lucia von klein auf, im Kinderchor, in der Schule und mit dem ersten Schultag hatte sie ihre erste Klavierstunde und auch eine Tante, die es sich leisten konnte ein Klavier zu spenden. Im Alter von zehn Jahren schließt sich die Kleine dem Volksensemble »Lúčnica« an, wobei sie auf dessen Tourneen bis nach Skandinavien und sogar nach Südamerika kommt.


    Die etwas ältere Lucia darf dann ihre Mutter zu Opern- und Konzertbesuchen begleiten und auch als Duett-Partner fungieren, ja als Partner, denn sie begibt sich in Männerrollen wie Rudolf, Pinkerton und Cavaradossi. Dass aus dem Gesang einmal ein Beruf werden würde, war nicht angedacht.
    Noch als Gymnasiastin übernahm sie 1958 eine Rolle in einem Episodenfilm; stieg aber 1962/63 größer ein. Der Regisseur Pal´o Bielik hatte sie aus eine Fülle von Bewerberinnen ausgesucht; ihre körperliche und geistige Schönheit sowie die Tiefe und Reinheit ihres Ausdrucks sollen dabei entscheidend gewesen sein.
    In einem Zweiteiler über das abenteuerliche Leben des »Jánošík«, einem slowakischen Robin Hood, spielt Lucia Popp die weibliche Hauptrolle.
    Nach der Matura beginnt sie ein Medizinstudium, das sie jedoch schon nach zwei Semestern abbricht, um an die »Hochschule für musische Künste« zu wechseln, und zwar zunächst an die dramatische Abteilung. Dort wurde Moliérs Ballettkomödie »Der Bürger als Edelmann« eingeübt, wobei die Rolle der Lucile auch mit Gesang verbunden ist. Dies scheint so eine Art ›Initialzündung‹ ausgelöst zu haben, denn nun meldete sie sich zur Aufnahmeprüfung an der musikalischen Abteilung der Akademie. Veni, vidi, vici war da aber nicht, das versammelte Lehrerkollegium war von der Stimme keineswegs beeindruckt und wollte Lucia Popp zunächst überhaupt nicht aufnehmen. Schließlich bequemte man sich dann doch und gestand der jungen Frau ein ›Vorbereitungsjahr‹ zu.
    Da schon Lucias Mutter mit Anna Hrušovská zusammengearbeitet hatte, einer Koleratursopranistin von Format, die durch Kriegs- und Nachkriegsereignisse nun an der Hochschule gelandet war, entschied sich Tochter Lucia auch für diese Lehrerin.
    Aber auch Anna Hrušovská war von Lucias Stimme nicht begeistert, sie schien ihr nicht vielversprechend, aber sie war »gefesselt von der Musikalität und Intelligenz« ihrer Schülerin.


    Also begann man mit der Arbeit; nach eigener Angabe hatte die Gesangsschülerin keine ›Naturstimme‹, nur Umfang, Höhe und Tiefe war vorhanden und sie meinte: »Ich hätte auch als Mezzo anfangen können. In der Mitte war nichts, das musste man ausbauen. Anna Hrušovská baute so erfolgreich aus, dass bereits 1962 kleine Aufgaben am Slowakischen Nationaltheater übernommen werden konnten.
    Am 17. April 1963 sang Lucia Popp ihre erste Königin der Nacht in der »Zauberflöte«; in Bratislava war ein neuer Stern am Opernhimmel aufgegangen.
    Zehn Tage später brachen Mutter und Tochter zu einem Familienausflug nach Wien auf, wo Verwandte wohnten, aber das sollte kein Kaffeestündchen werden, die beiden hatten Ernsthafteres, ja sogar Verwegenes vor und ein Empfehlungsschreiben von Anna Hrušovská mit im Gepäck. Frau Hrušovská hatte nämlich eine Kollegin, Erika Francoulon, die Beamtin in der Bundestheaterverwaltung war. Lucias Deutschkenntnisse waren noch sehr bescheiden, also musste die Mutter das Anliegen vortragen. Frau Francoulon rief unverzüglich bei der Staatsoper an und machte die Sache dringend, normalerweise hätte es etwas gedauert bis ein Vorsingen zustande gekommen wäre.
    Lucia wählte zuerst die Arie der Rosina aus dem »Barbier von Sevilla«, womit sie gefallen konnte, darauf folgte die Königin der Nacht - in slowakischer Sprache. Ernst August Schneider und Hubert Deutsch waren so beeindruckt, dass sie in Berlin anriefen, wo Chef Karajan weilte und seinen Statthaltern grünes Licht für einen Elevenvertrag gab.


    Die Sache war damals recht kompliziert, es gab einen sogenannten »Eisernen Vorhang« zwischen Ost und West und man konnte nicht einfach nach Belieben die Seiten wechseln.
    Einem so renommierten Haus zugehörig zu sein und sich in der westlichen Welt nach Belieben bewegen zu können, das hatte für die junge Frau schon einen gewaltigen Reiz.
    Andererseits war es eine Trennung von den Eltern, die auch für diese nicht einfach war, weil es in absehbarer Zeit nicht mehr möglich war sich zu sehen.
    Die Elevin der Staatsoper war nun Republikflüchtige und im Besitz von zwei Röcken, einer Zahnbürste, einer Mozart-Partitur und dem ›Erna Sack Koloratur Album‹. Die Mutter fuhr schweren Herzens allein nach Bratislava zurück und die Familie spürte sogleich, dass die ›Flucht‹ der Tochter missbilligt wurde; zur Filmpremiere, in dem die Tochter eine Hauptrolle spielte wurden sie nicht eingeladen.


    In Wien war allerhand Arbeit angesagt, wobei das Erlernen von Fremdsprachen eine wichtige Rolle spielte - neben Deutsch waren da noch Italienisch und Französisch, denn bist Herbst sollte sie in diesen Sprachen singen.
    Ihren ersten Auftritt als Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper absolvierte sie dann am 22. Juni 1963 im Redoutensaal der Hofburg; als Barbarina in »Figaros Hochzeit«, zwar keine der ganz großen Opernrollen, aber inmitten erstrangiger Kollegen wie zum Beispiel: Hermann Prey, Terese Stich-Randall, Anneliese Rothenberger, Geraint Evans, Elisabeth Höngen, Oskar Czerwenka; Olivera Miljaković, die den Cherubino sang, war da auch erst zur WSO gekommen.


    Dann war da noch das Telegramm aus Salzburg; wie es Telegrammtexte so an sich haben, stand auf dem Papier: »Zauberflöte bei den Festspielen, sofort ankommen.«
    Mit schmalem Portemonnaie reiste sie per Bahn unverzüglich in die Festspielstadt und hatte mächtig Bammel an so berühmtem Ort die Königin der Nacht zu singen. Indes war ihre Sorge unbegründet, man brauchte nur den Ersten Knaben, der nicht gar so sehr im Rampenlicht steht. Aber auch andere kleine Rollen warteten hier auf sie und während sie als Barbarina in Wien unter Joseph Keilberth gesungen hatte, dirigierte hier Karl Böhm und sogar Herbert von Karajan zeigte in Salzburg Interesse an dem Nachwuchstalent und rief Lucia Popp an und wünschte ihre ›Königin der Nacht‹ zu hören, aber nicht nur das, er hatte im Festspielhaus eine ganze Stunde mit ihr gearbeitet; allerhöchstes Lob bekam sie vom Maestro, weil sie es in zwei Monaten geschafft hatte Deutsch zu lernen.
    Wen wundert´s, dass auch Walter Legge den Geheimtipp vernommen hatte, also bestellte man den ›Geheimtipp‹ ins Studio und Gattin Elisabeth Schwarzkopf war auch anwesend, um die Nachwuchssängerin lächelnd mit dem Spruch: »Ah, da ist ja das Wundertier« zu begrüßen.
    Es gab ein Lob von Frau Schwarzkopf, was einem Ritterschlag gleichkam. Der Plattenproduzent Walter Legge wollte für die Aufnahme der »Zauberflöte« die weltweit besten Gesangssolisten verpflichten. Otto Klemperer lehnte die ihm unbekannte Sängerin ab und bestand darauf, dass ein berühmter Name engagiert wird, dennoch kam es zu einem Vorsingen in London; Lucia Popp beschrieb ihren Eindruck vom widerspenstigen Dirigenten so:
    »Ich sehe ihn noch vor mir, groß, hager, streng, auf seine Krücken gestützt stand er da und hieß mich mit dem Satz willkommen: ›Ich will aber eine berühmte Sängerin!‹ Dann drehte er den Kopf weg, schien mir gar nicht zuzuhören, und ich sang die beiden Arien. Schließlich wandte er sich um und meinte: ›Was die Leute nur immer mit den berühmten Sängern haben - Sie sind ja sehr gut!‹«


    Im Oktober 1963 sang sie ihre Königin auch in Wien und der sonst so gestrenge Karl Löbl war des Lobes voll und pries den Auftritt in höchsten Tönen, im Monat darauf feierte die auch von anderen Kritikern Hochgelobte ihren 24. Geburtstag.
    Ausgerechnet als sie die Rolle im September 1965 erstmals im großen Haus sang, konnte sie ihre Arien nicht in der Qualität darbieten, die man als unübertrefflich bezeichnen konnte, Königin Popp war untröstlich, die Nerven lagen blank, sie wollte bei der Post oder sonst wo arbeiten, aber nicht mehr singen. Fritz Wunderlich versuchte dennoch Trost zu spenden, was einigermaßen gelang.


    Das alles war kein Thema mehr, als sie sich Anfang 1967 an Bord der ›FRANCE‹, dem damals größten Schiff der Welt, begab, um dem Ruf Rudolf Bings zu folgen.
    An der erst kürzlich neu eröffneten »Met« im Lincoln-Center gab es eine »Zauberflöte« der besonderen Art; in der Neuinszenierung hatte Marc Chagall die Gestaltung übernommen und war an diesem 19. Februar der eigentliche Star des Abends. Ein Kritiker brachte es auf den Punkt als er schrieb, dass wohl viele Opernbesucher am Ende des Abends überzeugt waren, dass Chagall die Neuinszenierung nicht nur konzipiert, sondern auch die Musik komponiert, das Libretto geschrieben und die Hauptrolle gesungen habe. Da wurde jedes Bühnenbild »mit wildem Applaus« begrüßt, was oft auf Kosten der Musik geschah.
    Offenbar ließen sich die Kritiker nicht allzu sehr von diesem Farbenrausch ablenken, denn Speight Jenkins stellte fest: »Als Königin der Nacht sang Lucia Popp bei ihrem Met-Debüt jede Note einschließlich des F in Alt.« Sie selbst war mit dem F zufrieden und berichtete nach Hause: »... die Koloraturen liefen alle gut und das hohe F war voll da - es war eine Freude, es zu hören!«
    Mit Lucia Popp standen damals unter der Regie von Günther Rennert Pilar Lorengar, Nicolai Gedda, Jerome Hines und Hermann Prey auf der Bühne. Chagall soll übrigens sehr erfreut darüber gewesen sein, dass er sich mit der Königin der Nacht auf Russisch unterhalten konnte, Lucia musste diese Sprache nämlich auf dem Gymnasium lernen.


    Acht Jahre hielt sie diese Rolle in ihrem Repertoire, es war für sie immer ein Tanz auf dem Seil und sie bewunderte jede Kollegin, die das länger als zehn Jahre auf der Bühne singt.
    Am 17. Januar 1970 war damit Schluss. Als sie mit der Königin der Nacht an die »Met« zurückgekehrt war, wurde die letzte Aufführung vom Rundfunk übertragen; sie war »halbtot vor Angst«, aber als sie von der Bühne ging, war sie fest entschlossen, diese Partie nie mehr zu singen, wobei es dann auch blieb.


    Nun wäre viel über Aufführungen und Rollen zu berichten, aber eine Sängerin hat auch ein Privatleben und so war Lucia schon am 19. Juli 1965 in die Rolle der Ehefrau geschlüpft, allerdings war sie schon weit vor diesem Termin mit Georg Fischer (György Fischer) gut bekannt. Der Gatte war am Opernhaus in Köln als Erster Kapellmeister tätig; sollte sie von der Donau zum Rhein gehen?
    Die Karriere betreffend scheint das kein guter Einfall sein, war es aber doch. István Kertész war gerade Opernchef in Köln geworden und wollte dort ein Mozart-Ensemble aufbauen.
    Der private Grund zum Wechsel war klar, aber eine fachliche Begründung gab es ebenfalls. Die Wiener Staatsoper ist ein großes Haus mit vielen großen Namen, da ist es nicht so einfach sich ein Repertoire in großen Rollen zu erarbeiten; in Köln war das jedoch möglich und Provinz war das ja auch nicht. Von ihr ist ein guter Spruch überliefert:
    »Ich liebe meinen Beruf, und ich werde die Welt erobern, aber ich werde mich nicht von der Welt erobern lassen.« Im Folgenden gab es nur noch eine lockere Bindung an Wien, aber auch Gastverträge mit der Hamburgischen Staatoper, Covent Garden in London und der Metropolitan Opera sorgten dafür, dass sie der Welt nicht abhandenkam.


    Der »Prager Frühling« machte es 1968 endlich möglich, dass die Eltern ihre Tochter auf der Bühne erleben konnten, aber die Freiheit gab hier nur ein kurzes Gastspiel. Lucia hatte längst einen österreichischen Pass, konnte aber erst fünf Jahre später ungehindert die Grenze passieren - fast ungehindert, einige Jahrgänge der Zeitschrift »OPERNWELT« durften die Grenze nicht passieren.


    In Köln lief es mit Mozart wunderbar, aber ein bisschen Rossini und Verdi - in Wien - war auch dabei, also Rosina und Gilda zum Beispiel, allerdings war sie der Ansicht, dass sie eigentlich keine italienische Stimme habe.
    Weit besser lief es mit Richard Strauss, wenn man mal von der Zerbinetta in »Ariadne auf Naxos« absieht, die ihr überhaupt nicht lag. Ganz anders dann die Sophie im »Rosenkavalier«, eine Glanzrolle, und später dann die Marschallin. In München entstand damals unter Carlos Kleiber ein epochaler »Rosenkavalier« mit dem Traumpaar Popp/Fassbaender, wobei Popp dann am 26. April 1985 von der Sophie zur Marschallin wechselte, wobei es zu Differenzen mit Kleiber kam, der dann diese Produktion nie mehr leitete, aus Lucia Popp und Carlos Kleiber wurde also kein Traumpaar.
    Obwohl sie slawisch geboren war und russisch konnte, sang Popp keine russische Opern, also auch nicht die Tatjana.


    Lucia Popp wandte sich ja in späteren Jahren immer mehr dem Lied zu, was dann ja auch am Ende ihrer Tage zum Schwanengesang wurde. Weit weg von zuhause probierte sie aus, wie man Liederabende gestalten kann; mit ihrem Mann, der auch ein ausgezeichneter Pianist war, unternahm sie im Sommer 1969 eine Konzertreise nach Australien - 8 Konzerte und 15 Liederabende.
    Erst im April 1973 präsentierte sie sich im Wiener Brahmssaal als Lied-Sängerin, ihr Mann begleitete sie am Flügel; weitere Liederabende folgten; 1977 gaben die beiden noch einen Schubert-Abend in London. Die Gemeinsamkeit ging dem Ende zu im Dezember 1977 verließ Lucia Popp Köln und beendete damit ihre ›Gesellenjahre‹, wie sie zu sagen pflegte.


    Im Frühsommer 1977 klopfte Lucia Popp in Chicago an die Bürotür von Peter Jonas; sie war zu einem Konzert mit dem Chicago Symphony Orchestra angereist, unter der Leitung von Solti sollten »Vier letzte Lieder« von Richard Strauss aufgenommen werden.
    Zu diesem Zeitpunkt war der Musik-Manager Jonas bereits ›durch Not und Freude gegangen‹, denn er hatte gerade seine erste Chemotherapie beendet; dass die damals strahlende Lucia einmal ein ähnliches Schicksal treffen würde, konnte man nicht ahnen.
    Diese erste Begegnung in Jonas´ Büro war Liebe auf den ersten Blick, binnen einer Woche waren sie ein Liebespaar, die Freundschaft blieb bis 1993 erhalten, auch nachdem sie sich 1983 getrennt hatten.
    Die erste Begegnung der beiden hatte bereits am 11. November 1971 in London stattgefunden. An diesem Abend gab nämlich Lucia Popp in Covent Garden im »Rosenkavalier« ihr Debüt als Sophie.
    Mark Elder - mit Jonas eng befreundet - war mit in dieser Vorstellung und berichtete später, dass sich Jonas zu ihm umgedreht und verkündet hatte: »Ich werde diese Frau heiraten!«


    Insgesamt konnte das Paar sieben erfüllte und glückliche Jahre verleben; das waren Sommermonate in einem Anwesen zwanzig Kilometer östlich der Innenstadt von Salzburg, aber auch am Lake Michigan.


    Obwohl Lucia Popp zehn Jahre in Köln war, legte sie einmal in einem Interview Wert darauf, dass ihr Stammhaus die Wiener Staatsoper war, wobei sie freier sein wollte und vom Ensemble-Mitglied zur freischaffenden Künstlerin wurde. Es ist in diesem Rahmen einfach nicht möglich auf alle großen Ereignisse dieses überreichen Sängerlebens einzugehen ...
    In den 1980er Jahren fühlte sie sich in München zu Hause; sie sagte: »Hier habe ich meine Bücher, Platten, Pflanzen ... und sie präzisierte, dass Wien ihre Urheimat sei.
    Bei einem »Barbier aus Bagdad« an der Bayerischen Staatsoper kommen sich der junge Tenor Peter Seiffert und Lucia Popp nicht nur beruflich nah, am Geburtstag des Bräutigams wurde 1986 im Schloss Mirabell zu Salzburg geheiratet. Lucias Eltern nahmen an den Feierlichkeiten nicht teil; sie waren von keinem der Partner ihrer Tochter begeistert und machten auch diesmal Einwände.
    »Schau Vater, und wenn´s noch zehn schöne Jahre sind, gönn sie mir«, sagte die Tochter, damals, nicht ahnend, dass ihr diese Zeit nicht mehr blieb.


    1986 war sie in Covent Garden als Arabella zu hören und sang bei einer Gala anlässlich des 60. Geburtstags der Queen; bei den Salzburger Festspielen gab sie eine beeindruckende Gräfin im »Figaro«. Auch im Sommer darauf gab sie die Gräfin, aber diesmal in Richard Strauss´ »Capriccio«.
    Eine Hüftluxation brachte nun die nächsten Konzertpläne zum Einsturz, eine Operation war unausweichlich; erst im Oktober 1988 war die Kammersängerin wieder bühnentauglich, und gleich ging es wieder weit hinaus, mit den Bamberger Symphonikern unter Horst Stein nach Buenos Aires, wo »Vier letzte Lieder« - die bei sparsamster Beleuchtung gesungen wurden, weil die Beleuchter streikten - auf dem Programm standen.
    Bald darauf ging es mit einem Gastspiel der Bayerischen Staatoper nach Japan.
    Im folgenden Jahr erlebt man das Ehepaar in der »Verkauften Braut« an der Staatsoper Wien und in München als Lohengrin und Elsa.


    Eine neue Zeit bricht an, einige Tage vor Lucias Geburtstag fällt die Berliner Mauer und eineinhalb Monate später wird Vaclav Havel, ein Dramatiker und Essayist, Präsident. Man kann sich aus westlicher Sicht wohl kaum vorstellen, welche Gefühle da nach dem Jahrzehnte Erduldeten frei wurden, ein Konzert in Bratislava war nun möglich.


    Im Herbst 1991 suchte der neue Intendant des Opernhauses Zürich, Alexander Pereira, für seinen »Lohengrin« dringend eine Ersatz-Elsa, Lucia Popp half und sprang ein. Dieses Einspringen war keine Episode, sondern gestaltete sich mal wieder zu einem Wendepunkt, der sogar mit dem Wechsel des Hauptwohnsitzes vollzogen wurde.
    Und hier gab sie auch ihr letztes großes Rollendebüt in Strauss´ Spätwerk »Daphne«.
    In Zürich bot man ihr einen Fünfjahresvertrag an, wobei nur verlangt wurde, dass sie als Ensemblemitglied pro Jahr nur in 10 bis 15 Vorstellungen singt.
    Das war ein echtes Kontrastprogramm zu Wien, wo ihr Eberhard Waechter, der damalige Direktor, uncharmanterweise sagte, dass sie ihm zu alt und zu fett sei.


    In dieser Zeit erfuhr sie vermutlich von ihrer Krankheit, die sie nicht nur ihren engsten Freunden, sondern auch ihren Eltern konsequent verschwieg. Aber ihr Begleiter, Irwin Gage, war informiert und dieser informierte Lucia Popp wiederum über den Krankheitsverlauf bei Arleen Auger, die Schicksalsgenossin war; die beiden Sängerinnen hatten fast identische Lebensdaten.
    Als im Sommer 1992 in München die Ära Sawallisch mit einer fulminanten »Meistersinger«-Aufführung zu Ende geht ist sie als Eva dabei. Es folgen noch Liederabende in denen das Erreichen des Podiums die scheinbar schwierigste Übung war; die befreundete Eva Blahová berichtet, dass Lucia noch im September bei einem Liederabend in Dresden gut gesungen habe, aber dass man ihr wegen Gleichgewichtsproblemen auf die Bühne helfen musste.


    Sie hatte sich noch auf den 80. Geburtstag des Vaters gefreut, zum Feiern war der Familie dann nicht zumute, Lucias Mutter Milada erleidet einen Herzinfarkt und stirbt bald daran, ahnungslos, dass ihr die Tochter schon bald folgen wird.
    Rudolf Popp erfährt von seiner Tochter erst im September 1993 die Wahrheit; warum sie eine Perücke trägt und er nicht in ihrem Domizil zu Gast war, sondern im Hotel wohnen musste. Vater und Tochter verabschieden sich für immer, Rudolf Popp stirbt erst 2005 und erlebt noch einige Ehrungen seiner Tochter, unter anderem, dass ihr 1997 postum die Ehrenbürgerschaft von Bratislava verliehen wurde.


    In Wien hat sie ihre internationale Bühnenlaufbahn begonnen und beendet. Im »Rosenkavalier« am 13. März 1993 war ihr letzter Auftritt auf einer Opernbühne.
    Etwa zwei Monate vor ihrem 54. Geburtstag hatte sie in Wien noch einen Liederabend gegeben - ihre letzte Zugabe war das Strauss-Lied »Allerseelen«; es war ihr Abschied vom Wiener Publikum, aber nur sie wusste, dass es ein Abschied für immer war.
    Diesen Liederabend wiederholte sie nochmals in Frankfurt am Main; und das war dann ihre letzte öffentliche Gesangsdarbietung überhaupt.


    Die Urne von Lucia Popp wurde von München nach Bratislava gebracht und auf dem Friedhof im IV. Stadtbezirk Karlova ves beigesetzt. Der Friedhof trägt den Namen »Slávičie údolie«, zu Deutsch: Tal der Nachtigall.
    Im Familiengrab ruht sie nun bei Mutter, Vater, Tante und Großeltern, so wie Lucia es gewünscht hatte.


    An einem Samstag, es war der 27. November 1993, fand im Nationaltheater München eine Trauerfeier statt; auf dem Programm standen neben Ansprachen von Kammersänger Hans Günter Nöcker und Professor Wolfgang Sawallisch, Musikstücke von Mozart, Mendelssohn Bartholdy und Franz Schubert; Kurt Moll sang ›Vier ernste Gesänge‹ von Brahms. Unter der Leitung von Udo Mehrpohl sang der Chor der Bayerischen Staatsoper.
    Als am 2. Februar 1994 im Slowakischen Nationaltheater im Foyer eine Büste von Lucia Popp aufgestellt wird ist sie nur noch vom Tonband zu hören: »Nun hast du mir den ersten Schmerz getan« von Robert Schumann, »In trutina« von Carl Orff und »Im Abendrot« von Richard Strauss.


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    Dieses Gebäude befindet sich im Eingangsbereich - die hier gezeigte Ansicht ist jedoch von außerhalb des Friedhofgeländes so nicht sichtbar. Ganz in der Nähe befinden sich diverse Hinweistafeln, die eine gute Orientierung ermöglichen.


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    Gesamtplan des Friedhofs


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    Kennzeichnung des Gräberfeldes XXXI. - Die Gräber stehen hier sehr eng beieinander.


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    Ausschnitt aus einer Informationstafel mit prominenten Namen, wobei das entsprechende Gräberfeld ersichtlich ist.

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  • Elsa Schiller - * 18. Oktober 1897 Baden bei Wien - † 27. November 1974 München


    Zum heutigen Todestag von Elsa Schiller


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    Unter diesem Stein hat ein Musikerpaar seine letzte Ruhe gefunden, dessen Konzerttätigkeit sich im Wesentlichen auf den Großraum Berlin bezog; die Sängerin Julia-Lotte Stern und die Pianistin Elsa Schiller, die nach dem Zweiten Weltkrieg bei der Deutschen Grammophon jungen Künstlern zu Erfolg und Berühmtheit verhalf. Dass auf dem Grabstein der Name Julia-Lotte van Dijk steht, resultiert aus einer 1948 geschlossenen Ehe mit dem holländischen Tenor Cornelis van Dijk, der zeitweilig an der Städtischen Oper Berlin-Charlottenburg engagiert war.


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    Die Eltern von Elsa sind um 1900 herum von Baden bei Wien nach Budapest gezogen, zuvor hatte der Vater in Baden ein Kurz- und Modewarengeschäft geführt.
    Tochter Elsa besuchte in Budapest das Lyzeum und erhielt an der Musikschule Klavierunterricht. Nach Beendigung der Schulzeit studierte sie an der Landesakademie Klavier, Kammermusik und Musiktheorie und schloss ihre Studien 1921 mit dem Titel einer Diplom-Musikprofessorin ab; aus diesem Jahr ist auch noch eine Konzert-Anzeige erhalten.


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    Im Anschluss daran erweiterte sie ihre Kenntnisse noch bei Ernst von Sauer, der eine erstrangige Adresse war. Ab 1924 war sie als freischaffende Pianistin und Klavierlehrerin in Berlin tätig, wo sie dann auch mit der gleichaltrigen Berliner Altistin Julia-Lotte Stern eine rege Konzerttätigkeit ausübte. Die familiäre Umgebung Julia-Lotte Sterns hatte mit Musik zu tun: Der Vater war Musikverleger und leitete das Zweiggeschäft einer Klavierfabrik, ihre Mutter war Gesangslehrerin und Chorleiterin und der Großvater, Julius Stern, war der bekannte Gründer des Sternschen Konservatoriums Berlin.


    Die beiden Damen gestalteten viele Liederabende in Berlin, hatten aber auch Konzerte in Ungarn und den Niederlanden, wobei sie über ein umfangreiches Repertoire. verfügten. Dies ging alles bis 1933 gut, aber dann begann es schwierig zu werden, weil sich gewaltige politische Veränderungen anbahnten. Beide Frauen waren jüdischer Abstammung.
    Elsa Schiller war bei den Massenausschlüssen aus der Reichsmusikkammer dabei, und ihre Beschwerde wurde 1935 zurückgewiesen; 1937 hatte man dann schließlich auch noch ihren Unterrichtserlaubnisschein als Musiklehrerin zurückgezogen. Damit war sie beim Existenzminimum angekommen, konnte jedoch von ihrer Partnerin unterstützt werden, aber auch Julia-Lotte Stern hatte Schwierigkeiten, weil sie väterlicherseits einer jüdischen Familie entstammte. Hier folgte das im Prinzip gleiche Procedere wie bei Elsa Schiller, aber mit dem Unterschied, dass bei ihr das Berufsverbot wieder aufgehoben wurde, weil Peter Rabe, der Präsident der Reichsmusikkammer, interveniert hatte. Peter Rabe begründete die ›Sondergenehmigung‹ damit, dass der Vater viel für die deutsche Kunst geleistet habe.
    Im Hause Stern hatte man die Zeichen der Zeit erkannt und die Sängerin suchte nicht mehr die Öffentlichkeit, sondern beschränkte sich weitgehend auf Hauskonzerte.


    Elsa Schiller war da weit übler dran. Obwohl sie Ende 1937 aus der jüdischen Gemeinde Berlin ausgetreten war, wurde ihr Tun misstrauisch verfolgt, so dass die Gestapo herausgefunden hatte, dass sie weiterhin als Klavierlehrerin tätig war, was ihr eine Ordnungsstrafe von 1000.- Reichsmark eintrug; auch ein hinzugezogener Rechtsbeistand hatte keine Chance dies abzuwenden, im Gegenteil es kam noch schlimmer, am 4. November wurde Elsa Schiller verhaftet, was nichts mit dieser Geldstrafe zu tun hatte.
    Sie war ungarische Staatsbürgerin und wurde aus diesem Grund zunächst für zehn Tage in ein Sammellager gebracht, wo sie nochmals von Julia-Lotte Stern besucht werden konnte. Mitte November wurde sie dann in das Ghetto Theresienstadt deportiert.

    Das war eine recht zweifelhafte Adresse; einerseits wurde an diesem Ort eine Art Vorzeigelager hergerichtet, in dem sich viele Musiker befanden, die hier auch komponieren und musizieren konnten, was sich bestens für einen Propagandafilm eignete mit dem man das Internationale Rote Kreuz beruhigen konnte, andererseits befand man sich ständig in Todesnähe, das hing alles am seidenen Faden.
    Als das Lager im Frühjahr 1945 befreit wurde, kehrte Elsa Schiller nicht sofort nach Berlin zurück, sondern verblieb noch bis zum Sommer in Theresienstadt, wo sie im Rückwandererbüro arbeitete. Nach ihrer Rückkehr nach Berlin nahm sie ihre freiberufliche Tätigkeit wieder auf, aber das Berlin der unmittelbaren Nachkriegsjahre war nicht mehr das der Vorkriegszeit, es ergab sich keine Möglichkeit an das Gewesene nahtlos anzuknüpfen, es war eine neue Zeit angebrochen - und Elsa Schiller prägte sie auf ganz besondere Weise mit.


    Nach Kriegsende gab es in der geteilten Stadt Querelen mit der Sowjetischen Militäradministration, was dazu führte, dass die US-amerikanische Militärverwaltung am 7. Februar 1946 die Rundfunkanstalt RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) gründete.
    Etwas später übernimmt Elsa Schiller dort die Abteilung »Ernste Musik« und begibt sich auf die Suche nach einem geeigneten Chefdirigenten für das RIAS-Symphony-Orchester.
    Bei den Salzburger Festspielen wird sie fündig; sie lernt den noch jungen Ferenc Fricsay kennen und kann ihn für Berlin gewinnen. Fricsay debütiert im November 1948 sowohl an der Städtischen Oper Berlin als auch beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin. Im Dezember dirigiert er bei den Berliner Philharmonikern und dem RIAS-Symphonie-Orchester. Fricsay arbeitet mit Instrumentalisten wie zum Beispiel: Géza Anda, Clara Haskil, Annie Fischer, Yehudi Menuhin und den Vokalisten Maria Stader, Rita Streich, Peter Anders, Ernst Haefliger, Josef Greindl und Dietrich Fischer-Dieskau zusammen, um einige wichtige Namen zu nennen. In dieser Zeit kam es auch zu einem Exklusivvertrag mit der Deutschen Grammophon Gesellschaft.


    Dietrich Fischer-Dieskau, ein damals noch völlig unbekannter Name, gab als 23-Jähriger unter Fricsay sein Operndebüt als Posa in »Don Carlos« und der Dirigent wunderte sich, in Berlin auf einen ›italienischen‹ Bariton zu treffen.
    Als der spätere Jahrhundert-Sänger 2009 zu 111 Jahren Deutsche Grammophon gratuliert, beginnt sein Schreiben mit den Worten:
    »Alles fing mit Elsa Schiller an. Sie war die Leiterin der Abteilung Klassische Musik des RIAS Berlin.«
    Aber Frau Schiller mochte es nicht nur bei Musikaufnahmen belassen, sie wollte auch etwas fürs Sprechtheater tun und war bald Leiterin der Abteilung »Ernste Musik und Wort«.
    Die Firma hatte sich diesem Projekt nur zögernd genähert und von Elsa Schiller ist überliefert: »Als ich die Sache initiierte, erklärte man mich für wahnsinnig.«
    Im Verlauf dieser Diskussionen entstand dann das Wortspiel: »Goethes, ›Faust‹, Schillers bestes Werk«.


    Aber natürlich nahm die Musik bei der studierten Musikerin einen weit breiteren Raum ein, der sich in diesem Rahmen nicht darstellen lässt, da kann man nur einige spektakuläre Beispiele herauspicken, wie die bereits genannten Aufnahmen von Ferenc Fricsay oder die Beethoven-Sinfonien aus den Jahren 1960/62, die Karajan für die Deutsche Grammophon aufgenommen hat.


    Eine weitere Großtat von Frau Schiller war der Kampf um die geradezu sagenhafte »Ring des Nibelungen«-Aufnahme, die Furtwängler 1953 im Konzertstudio des römischen Rundfunks mit dem Chor und Orchester des »Rai« aufgenommen hatte; die Orchestermusiker waren ›handverlesen‹ aus allen »Rai«-Klangkörpern rekrutiert worden, das war damals schon eine ganz große Sache, bei der ein Dutzend berühmter deutschsprachiger Gesangssolisten mitwirkten:
    Martha Mödl, Rita Streich, Sena Jurinac, Elisabeth Grümmer, Margarete Klose, Hilde Konetzni, Lorenz Fehenberger, Wolfgang Windgassen, Gustav Neidlinger, Julius Patzak, Josef Greindl und Gottlob Frick.


    Nachdem Furtwängler im November 1954 gestorben war, sondierten Toningenieure von »EMI« schon recht bald in Rom, ob sich von den Bändern etwas für die Schallplatte machen ließe, die Prüfung war positiv. Allerdings war »Rai« an dem Geschäft offensichtlich nicht interessiert, denn sie verlangten einen so hohen utopischen Preis, dass anzunehmen war, dass die monetäre Forderung abschreckend wirken sollte, und es half auch nichts, dass sich die Dirigenten-Witwe, Elisabeth Furtwängler, dafür einsetzte, dass ihr verstorbener Mann mit diesen Aufnahmen auch auf Schallplatten zu hören ist. Als die »EMI«-Leute nach einiger Zeit nochmals nachhakten, sagte man, dass die Bänder nun gelöscht sind.


    »Das war für uns ein ungeheurer Schlag«, wird Furtwänglers Witwe in der Presse zitiert und es wurde darüber sinniert, wer wohl Interesse an der Löschung der Bänder gehabt haben könnte ... die Sache ist spannend wie ein Kriminalroman. Ein Tontechniker soll vor dem Löschen noch eine Kopie auf Plattenfolien gefertigt haben.


    Wie Zieten aus dem Busch taucht nun Elsa Schiller auf, der militärische Vergleich ist erlaubt, weil Frau Furtwängler in Richtung »EMI« sagte: »Die sind nicht am Feind geblieben, die Engländer können halt nicht kämpfen.«
    Für eine Abstandssumme trat nun die »EMI« ihre Exklusivrechte an den Gesangssolisten den Deutschen ab.
    DER SPIEGEL berichtete 1964:
    »Was die Briten in acht Jahren nicht zustande brachten, erreichte die deutsche ›Grammophon‹-Produzentin Elsa Schiller in anderthalb Stunden durch einen dringlichen Appell an das Kulturbewußtsein des italienischen Rundfunkdirektors Razzi. Elsa Schiller:
    ›Ich erklärte dem Maestro Razzi, daß es für den italienischen Rundfunk eine Ehre und für Deutsche Grammophon eine kulturelle Tat und kein Geschäft bedeutete, Furtwänglers Wagner-Vermächtnis der Öffentlichkeit bekanntzumachen.«
    Auch Elisabeth Furtwängler tat das Ihrige dazu und verzichtete auf Tantiemen aus dieser Produktion.


    1965 schied Elsa Schiller bei der Deutschen Grammophon Gesellschaft aus und ließ sich im Salzburger Land nieder. Julia-Lotte Stern starb im Dezember 1967 und der Bildhauer hatte offensichtlich Schwierigkeiten mit dem amtlichen Namen JULIA-LOTTE VAN DIJK .
    In ihrem Leben hatte Elsa Schiller einiges durchzustehen, aber in ihrer zweiten Lebenshälfte auch die Freude ganz nahe am Entstehen großer Kunst mit dabei sein zu können. Sie hielt sich in ihren letzten Jahren den Sommer über in Österreich auf und ging in der kalten Jahreszeit in ihre Münchner Wohnung, starb aber dort in einem Hotel. 1972 war sie noch an der Entstehung des Ernst-von-Siemens Musikpreises beteiligt und Mitglied des Kuratoriums.
    Vor einigen Jahren blühten auf ihrem Grab noch Blumen, nun wachsen da nur noch Wildkräuter...


    Praktische Hinweise:
    Kommunalfriedhof, Gneiser Straße 8, 5024 Salzburg
    Um den nächsten Weg zum Grab zu haben, benutzt man den Parkplatz an der Dr.-Adolf-Altmann-Straße und dort den Eingang 8. Im Gräberfeld 78, das gut gekennzeichnet ist, befindet sich das Grab.

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    Diese Figur kann als Orientierungspunkt dienen, in der Nähe findet man das Grab.

  • Karl Ristenpart - * 26. Januar 1900 Kiel - † 24. Dezember 1967 Lissabon


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    Zum heutigen Todestag von Karl Ristenpart - er starb am Heiligen Abend

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    Links unten am Grabstein ist bei genauem Hinsehen ein Bibel-Zitat zu erkennen


    Es sind vielerlei Gründe, dass der Dirigent Karl Ristenpart in Vergessenheit gerät. Zum einen dirigierte er keine großen Orchester, sondern Streichorchester und zum anderen wurden Schallplatten seiner Dirigate in der Hauptsache im nahen Frankreich produziert; die Nähe zu Frankreich ergibt allerdings erst einen Sinn, wenn man weiß, dass Ristenpart seinen musikalischen Lebensmittelpunkt im Saarland hatte.


    Karls Kindheit war problembeladen; von seiner leiblichen Mutter war er im Alter von zwei Jahren gewaltsam mit Hilfe der Polizei getrennt worden und seine Stiefmutter - die sich auch als solche gab - hatte zwei Töchter, denen noch ein drittes Mädchen folgte als der Vater schon tot war.
    Der Vater war ein angesehener Astronom und an verschiedenen Sternwarten wie Karlsruhe, Heidelberg und Kiel; an letzterer war er zwei Jahre tätig. Drei Monate nach Karls Geburt verließ Dr. Friedrich Wilhelm Ristenpart Kiel, um eine neue, für ihn gegründete Stelle an der Berliner Akademie anzutreten und so wurde Karl praktisch zum Berliner.
    Dr. F. W. Ristenpart wollte jedoch nicht nur von der Urania-Sternwarte aus den Himmel beobachten, sondern strebte nach Höherem. Im fernen Santiago de Chile sollte eine moderne Sternwarte in der südlichen Hemisphäre errichtet werden. Professor Ristenpart war von der Aufgabe und dem Land begeistert und konnte sich vorstellen bis an sein Lebensende hier zu bleiben. Die ersten zwei Jahre ging es steil aufwärts, als dann der chilenische Präsident 1910 starb, wurde das groß angelegte Projekt immer mehr zurückgefahren und Professor Ristenpart war offenbar verzweifelt und sah die Krönung seiner Lebensarbeit vernichtet; in den frühen Morgenstunden des 9. April 1913 nahm er sich das Leben.


    Wieder nach Deutschland zurückgekehrt, erzwang Karls leibliche Mutter, Paula Rettich - die Polizei war wiederum im Spiel - endlich das Sorgerecht für ihren Sohn.
    Wie der nun 13-Jährige zur Musik fand ist in einem Redemanuskript festgehalten; da heißt es:


    »Bis zu meinem 13. Lebensjahr war mir die Musik als Kunstform ein völlig fremder Begriff. Bis zum Ableben meines Vaters im Jahre 1913, der als Direktor der Sternwarte in Santiago de Chile wirkte, hatte ich noch nie ein musikalisches Erlebnis gehabt. Damals gab es noch kein Konzertleben in der Stadt. Und erst nach dem Bau der Transandinischen Eisenbahn 1910 kamen ab und zu Schauspieltruppen aus Buenos Aires über die Cordilleren. Als ich im Herbst 1913 in Berlin in der Singakademie zum ersten Mal ein Konzert hörte, war das für mich ein derart revolutionierendes Erlebnis, dass es für mich sofort feststand, dass nur noch die Musik mir vollen Lebensinhalt zu geben vermochte, und in einem fiebrigen Zustande verbrachte ich eine schlaflose Nacht. Das Sonderbarste daran war aber, dass ich in diesem Orchester-Konzert, das zugleich das allererste von Hermann Scherchen war, damals allermodernste Werke zu hören bekam, und zwar die 5. Sinfonie von Gustav Mahler und die Kammersinfonie von Arnold Schönberg.«


    Das bald folgende zweite Konzert, ebenfalls unter Scherchens Leitung, mit Mahlers 1. und Bruckners 9. Sinfonie verstärkte das erste Konzerterlebnis noch erheblich.
    So ganz zufällig ist der Heranwachsende nicht in diese Konzerte geraten; die nicht unvermögende Paula Rettich hatte Scherchen etwas gesponsert, denn die beiden heirateten im April 1919, aber diese Ehe war auch bereits im November 1920 wieder zu Ende. Für eine gewisse Zeit war also Karl Ristenpart der Stiefsohn von Hermann Scherchen, wobei der neue ›Vater‹ nur neun Jahre älter war. Um es kurz darzustellen - eine Freundschaft fürs Leben wurde das nicht. Scherchen soll seinem Stiefsohn einmal gesagt haben, dass er es ohne Unterricht von ihm zu nichts bringen würde.
    Es dauerte dann eine Weile, aber Karl Ristenpart brachte es auch ohne Scherchen zu etwas.


    Man kann hier schon vorgreifen und erwähnen, dass die musikalische Entwicklung Ristenparts rückwärts verlaufen ist, also kam nach der modernen Auswahl Scherchens, die am Anfang stand, Wagners »Tristan«, das Requiem von Brahms, die Sinfonien Beethovens, die Musik Mozarts - und dann kamen erst Bach und Händel.

    Zunächst waren für den jungen Mann aber noch schulische Aufgaben zu bewältigen; man hatte ihn 1918 noch in den Wehrdienst als Eisenbahnpionier eingezogen, sodass er 1920 in Berlin noch das Abitur nachholen musste, um mit dem Musikstudium beginnen zu können.
    Aus der vormals wohlhabenden Paula Rettich, war durch Spendentätigkeit und Inflation eine verarmte Mutter geworden. So arbeitete der Sohn zunächst einmal vier Jahre bei der Bank und betrieb sein Studium so nebenbei, aber immerhin bei hervorragenden Lehrern.
    Zwei vermögende Brüder seines Vaters, die einst versucht hatten die Verbindung zu seiner leiblichen Mutter zu verhindern, mochten dieser Quälerei nicht mehr länger zusehen und gewährten ab 1924 ein Stipendium für ein ordentliches Studium. Am Sternschen Konservatorium besuchte er hauptsächlich die Kapellmeisterschule und hatte in Alexander von Fielitz einen erfahrenen Lehrer. Neben seinen Partiturstudien spielte er im Konservatoriumorchester Oboe und Pauken.

    Nach vier Studienjahren in Berlin folgte noch ein zusätzliches Jahr an der Wiener Akademie der Tonkunst. Als Karl Ristenpart wieder nach Berlin zurückkehrt ist er 29 Jahre alt.
    Während seiner Studienzeit war das Hauptinteresse auf die Oper gerichtet, also versuchte er auch in diesem Bereich seinen beruflichen Einstieg, aber bemerkte dann recht bald, dass ihm das nicht lag und übernahm einige Laienchöre und die Leitung des Berliner Oratorium Chors, um sich ein Einkommen zu sichern.


    Im Kontrapunktkurs am Sternschen Konservatorium hatten sich Ruth Christensen und Ristenpart kennen gelernt, und Fräulein Christensen schrieb in einer Konzertkritik über den Dirigenten Ristenpart: »Dieser junge, begabte Dirigent wird eine große Zukunft haben.«
    Rut Christensen war eine begabte Cembalistin und Pianistin und gehörte einem Frauenkreis an, der regelmäßig Kammermusik spielte. Zur Aufführung bestimmter Werke brauchte man einen Dirigenten. Es traf sich gut, dass am 8. November 1930 aus Ruth Christensen Frau Ristenpart geworden war, die Ehefrau war acht Jahre jünger als der Bräutigam.
    1932 kam es dann zur Gründung des Kammerorchesters Karl Ristenpart. Reichtümer waren mit diesem Orchester nicht zu erwerben, das Ehepaar Ristenpart lebte hauptsächlich von Chorleitung und Privatunterricht; gelegentlich auch von Frau Ristenparts erfolgreichen Triokonzerten beim Rundfunk.

    Auch Karl Ristenpart mit seinem Kammerorchester spielte im Rundfunk, wobei den Musikern einiges abverlangt wurde. Da es noch keine Bandaufnahmen gab, wurde vom Deutschlandfunk alles live gesendet, was bedeutete, dass zum Beispiel bei Übertragungen nach Japan die Musiker nachts um drei oder vier Uhr gefordert waren.
    1936 wirkte das Kammerorchester Karl Ristenpart auch schon bei Fernsehübertragungen mit, wobei Hunderte von Glühbirnen die Musiker zum Schwitzen brachten.
    Zu Kriegszeiten gab es eine Menge Konzertreisen im Dienste der Wehrmachtsbetreuung; diese Tourneen nahmen jeweils etwa ein Vierteljahr in Anspruch und führten nach Dänemark, Norwegen, Frankreich, Griechenland und Russland. Besonders gefährlich wurde es Ende August 1944, als die Musiker bei einem Frontdurchbruch Noten und Instrumente stehen ließen und um ihr Leben rannten. In Berlin hatte sich die Nachricht verbreitet, dass niemand vom Orchester durchgekommen ist; einen Monat lang glaubte Frau Ristenpart, dass ihr Mann gefallen sei.

    Als die Familie Ristenpart - inzwischen durch Tochter und neugeborenem Sohn vergrößert - wieder nach Berlin kam, musste man erst eine neue Wohnung suchen, weil die vorige halb zerbombt war.
    Dennoch ist ein Programmzettel aus dieser Zeit erhalten, der zeigt, dass am 30. September 1945 im Friedenauer Theater ein von Karl Ristenpart geleitetes Konzert stattfand.
    Begünstigt wurde Ristenparts Entwicklung in der Nachkriegszeit dadurch, dass er eine politisch weiße Weste vorweisen konnte und somit kein Hindernis vorhanden war ihn mit größeren Aufgaben zu betrauen.
    Vom der musikalischen Leitung des RIAS kam das Angebot einen Kammerchor und ein Kammerorchester zu gründen.
    Ristenpart setzte sich einerseits für Werke von Barber, Blacher, Bartók, Höffer, Janáček, Pepping, Turina und Vaughan-Williams ein, widmete sich aber auch intensiv der Bach-Pflege, wobei in der Kritik seine lebendige und dabei stilvolle, werkgerechte Interpretationskunst gewürdigt wurde.

    Das Kammerorchester Karl Ristenpart war kein bezahltes festes Ensemble, sondern ein Instrumentalkreis, dessen Streicherkern von meistens sehr idealistisch eingestellten, freischaffenden Künstlern und Privatmusiklehrern gebildet wurde.
    Wenn es vom auszuführenden Werk aus nötig war, kamen zusätzlich noch erstklassige Kräfte von Staatsoper, Komische Oper oder RIAS-Sinfonieorchester hinzu.
    Da es um 1950 nur wenige Konzertsäle gab, wurde oft in Kirchen musiziert, wobei die Jesus-Christus-Kirche in Dahlem mit einer besonders guten Akustik gesegnet war.
    Die öffentlichen Konzerte hat Ristenpart in dieser Zeit mehr oder weniger auf eigene Faust organisiert, wobei er auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch die Stadt fuhr, um Plakate aufzuhängen. Zwei Gesangssolisten finden sich in dieser Zeit immer wieder in den Programmen von Ristenpart: Agnes Giebel und Dietrich Fischer-Dieskau.

    Als die Amerikaner 1952/53 die Zuschüsse zum RIAS stark reduzierten, wurden beim RIAS-Sinfonieorchester Musiker entlassen und die Aussichten für das Karl Ristenpart Kammerorchester waren auch nicht rosig, wenn man bedenkt, dass im Durchschnitt ein Eintrittsgeld von 10 Pfennig erhoben wurde. Die Verschärfung des Kalten Krieges machte den Standort Berlin auch nicht gerade attraktiv, also blickte man nach Westen, wo bereits um die Weihnachtszeit 1952 Interesse an Karl Ristenpart bestand, allerdings zunächst nicht in Westdeutschland, sondern in Paris. Das französische Radio hatte an Ristenparts Bach-Aufnahmen Gefallen gefunden und ihn nach Paris eingeladen, wo er dann mit einer großen Schallplattenfirma wegen Bachkantaten-Aufnahmen verhandelte.
    In Paris erhielt Ristenpart dann ein Telegramm mit der Bitte, dass er auf der Rückreise nach Berlin in Saarbrücken Station machen möge. Man wollte ihn als Gastdirigenten für Tonbandaufnahmen mit dem Saarbrücker Orchester haben. Ristenpart nahm diesen Termin in Saarbrücken wahr und so kam es zur Gründung des Saarländischen Kammerorchesters. Was sich so einfach liest war in der Entstehung recht komplex. Da waren besondere politische Verhältnisse und Interessen von Musikern, die bereits vor Ort waren, wie beispielsweise Rudolf Michl, der Chefdirigent des Sinfonieorchesters, als Ristenpart in Saarbrücken Station machte.

    Eine ganz wichtige Rolle spielte damals der katholische Priester und Musikwissenschaftler Abbé Carl de Nys, der, fast unsichtbar im Hintergrund die Fäden zog. Abbé Carl de Nys war Anfang der 1950er Jahre beim Saarländischen Rundfunk beschäftigt, wo er die katholische Morgenandacht las und Sendungen über klassische Musik produzierte. Als de Nys im Bach-Jahr 1950 über Radio France Bach-Kantaten senden wollte, suchte er solche Aufnahmen auf dem französischen Plattenmarkt vergeblich, bekam jedoch Kenntnis von Ristenparts umfangreicher Produktion bei RIAS-Berlin, wo er sich sogar unentgeltlich bedienen konnte.
    Carl de Nys hatte Beziehungen zum Eigentümer von Les Discophiles Français, wo 1953 mit der LP-Produktion begonnen wurde, da war es günstig das Kammerorchester in relativer Nähe von Paris zu haben.

    So ganz einfach war die Gründung des Saarländischen Kammerorchesters nicht, das ja zunächst unter dem Namen ›Saarländisches Kammerorchester Saarlouis‹ antrat, denn es gab kritische Stimmen, die sich wunderten, dass bei dem neuen Klangkörper kaum Saarländer, sondern überwiegend Berliner dabei waren, so war das Hendel-Quartett zu einem wesentlichen Bestandteil des Kammerorchesters geworden, von 17 Musikern waren 11 Berliner oder zumindest aus dem Dunstkreis Berlins gekommen.
    Da waren dann einige Berliner doch arg enttäuscht noch nicht mal in der Landeshauptstadt, sondern in Saarlouis gelandet zu sein, aber die Musiker wurden im Folgenden durch ausgedehnte Tourneen entschädigt.
    Im Wesentlichen wurde im Saalbau Saarlouis, der inzwischen abgerissen wurde, gearbeitet, wo auch Schallplattenaufnahmen unter erschwerten äußeren Bedingungen entstanden.
    Da waren einerseits Markttage und reger Busverkehr, andererseits aber eine schlechte Gebäudedämmung; da unter solchen Umständen keine Aufnahmen gemacht werden konnten, entstanden viele Abend- beziehungsweise Nachtaufnahmen.
    Die Zeit in Saarlouis ging erst 1962 zu Ende, dann war in Saarbrücken das damals modernste Rundfunkgebäude Deutschlands fertiggestellt.
    War man die ganzen Jahre in Saarlouis unter sich und konnte vieles auf dem ›kleinen Dienstweg‹ erledigen, musste man sich nun in Saarbrücken mit den Kollegen des SR-Sinfonieorchesters und seines Dirigenten arrangieren.

    Zu dieser Zeit hatte sich das SKO einen ausgezeichneten Ruf erworben, auch international und vor allem in Frankreich. Wenn man einmal von den relativ kurzen politischen Unpässlichkeiten absieht, die sich durch die Eingliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik ergab. Mitunter wurde dem Ristenpart-Orchester einerseits ›Francophilie‹ vorgeworfen, andererseits gab es 1956 und 1957 für Ristenpart keine Konzerte in Frankreich, weil dort das Abstimmungsergebnis Nachwirkungen zeigte.
    Schon früh hatte es eine Zusammenarbeit mit französischen Solisten gegeben, die regelmäßig nach Saarlouis kamen, wie beispielsweise Jean-Pierre Rampals Bläserquintett.
    Rampal war Solo-Flötist an der Pariser Oper und fuhr etwa zweimal im Monat von Paris nach Saarlouis - es gab damals weder TGV noch die Autoroute de l´Est; der Flötist stieg mittwochs nach dem Ballettabend in der Pariser Oper ins Auto und fuhr über die Route Nationale sechs Stunden nach Saarlouis, nahm am nächsten Morgen ab 9:00 Uhr mit Ristenpart den ganzen Tag auf und fuhr abends wieder zurück nach Paris. Der Musikfreund hört sich dann so eine Aufnahme an und hat in der Regel keine Ahnung auf welche Weise die Aufnahme entstanden ist.

    Das SKO war zu vielen Festivals eingeladen und errang unter der Leitung von Karl Ristenpart eine Menge Schallplattenpreise: 1956 / 1957 / 1958 / 1963 und 1967.
    Bei so vielen Aktivitäten vernimmt man kaum kritische Stimmen; Lob, Lob und nochmals Lob für Karl Ristenpart und sein Orchester... Zum zehnjährigen Jubiläum, was am 1. Oktober 1963 auch das 300. Konzert war, gab es für den verdienten Dirigenten auch noch den Professor-Titel.

    Aber es wäre ja ein Wunder, wenn da nur Harmonie und immerwährende Freude gewesen wäre. So fanden die Hendel-Musiker ihren Dirigenten als zu gutmütig und bemängelten, dass er viele technische Mängel durchgehen ließ, denn sie waren gewohnt sehr gründlich und diszipliniert zu arbeiten. Theo Kempen, ein Orchestermusiker, meinte zu Ristenparts Stil: ›Musik auseinanderzunehmen war nicht seine Sache. Nein Präzision musste aus der Musik von alleine kommen.‹
    Jean-Pierre Rampal charakterisierte seinen Chef so: ›Er war kein Chef, der alles spielen konnte. Technisch gesehen war er nicht so geschickt wie die großen Symphonieorchester-Dirigenten. Ich glaube auch, dass etliche seiner Musiker ihm vorwarfen, nicht genügend moderne, etwas komplizierte Sachen zu machen.‹
    Wenn es ihm zu ›modern‹ wurde, sprach er schon mal davon, dass es »wie gequirlter Schifferschiet« klänge, also so etwas wollte er keineswegs einspielen.
    Eine Statistik sagt, dass das SKO 313 Komponisten zu Gehör brachte, wobei die Rangfolge Mozart / J. S. Bach / j. Haydn / G. F. Händel ... war, aber dabei waren auch Kurt Atterberg / Jean Rivier / Armin Knab ...


    Zum 65. Geburtstag von Karl Ristenpart gab es eine Menge Ehrungen, unter anderem auch das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse für sein Wirken als Botschafter deutscher Kultur mit seinem Kammerorchester in Europa und besonders im Nachbarland Frankreich.
    Rein arbeitsrechtlich betrachtet, hätte Ristenpart sich nun zwar in den Ruhestand begeben sollen, aber dieser konnte sich so etwas offenbar nicht vorstellen.
    Also wurde ein Sondervertrag gebastelt. Seine Rundfunkproduktion und die öffentlichen Konzerte mit dem Orchester wurden reduziert, aber der Titel ›Chefdirigent des Kammerorchesters des SR‹ wurde beibehalten. Dies erlaubte Ristenpart mehr Gastdirigate zu übernehmen und der Sender hatte die Möglichkeit andere Dirigenten zur Leitung des Kammerorchesters einzuladen.

    Dessen ungeachtet wurde weiter ein gewaltiges Pensum gearbeitet, wobei auch Beobachter aus der Familie sahen, dass Vater noch möglichst viele Plattenaufnahmen machen wollte, die ihm wichtig waren.
    Es kam zu Spannungen, weil die Musikabteilung sehr moderne Musik mit ins Programm nehmen wollte, aber der Orchestergründer da nicht mitzog; schließlich rumorte es auch im Orchester selbst. Aber immer wieder verstand es Ristenpart seine Musiker zu begeistern.
    So kam es im November 1967 für den Club Français du Disque zur letzten Plattenaufnahme des SKO unter Karl Ristenpart.
    Der über viele Jahre praktisch unangreifbare Ristenpart wurde nun immer mehr zur Seite geschoben und eine Kämpfernatur war er nie gewesen. Da kamen nun Dirigenten wie Wolfgang Hofmann vom Kurpfälzischen Kammerorchester, der als zweiter Chef hinzugezogen wurde und den größten Teil der Rundfunkaufnahmen übernahm, oder Antonio Janigro, der für sein erstes Gastdirigat mit Werken von Boccherini, Britten, Kelemen, Hindemith, Vivaldi und Boyce nach Saarbrücken kam.


    Unter diesen Umständen sondierte Ristenpart nach zwei Seiten; zum einen ergab sich eine Möglichkeit in Lothringen, also im grenznahen Frankreich, wo man die Absicht hatte ein neues Kammerorchester aus der Taufe zu heben, aber auch im fernen Lissabon, wo Ristenpart schon im Januar 1967 zwölf Tage verbracht und ein Gastdirigat mit dem 1962 gegründeten Kammerorchester der Gulbenkian-Stiftung übernommen hatte.
    Die Darbietungen hatten so gefallen, dass man sich in Lissabon einen zweijährigen Vertrag mit Ristenpart vorstellen konnte. Damit man sich noch besser kennenlernen konnte, waren für November und Dezember drei weitere Gastdirigate vereinbart worden.
    Am 19. November1967 flog Ristenpart in Begleitung seiner Frau nach Lissabon, wo ihm für fünf Tage das Orchester zur Verfügung stand, um das erste Konzert am Mittwoch, den 29. vorzubereiten. Auf dem Programm standen Werke von Händel, Vivaldi, Britten und Wolf-Ferrari. Ein zweites Konzert fand am 6. Dezember statt, bei dem die Solistin Edith Peinemann in einem Bach- und einem Mozart-Violinkonzert, neben Corellis ›Weihnachtskonzert‹ und Haydns ›Sinfonie‹ Nr. 21 zu hören war.
    Dieses Konzert wurde am folgenden Tag im nördlich von Lissabon gelegenen Porto mit großem Erfolg wiederholt. Wiederum eine Woche später war ein drittes Konzert in Lissabon geplant, das ausschließlich Werken von J. S. Bach gewidmet sein sollte.


    Dazu sollte es aber nicht mehr kommen. Auf der Rückfahrt von Porto erlitt Karl Ristenpart einen Herzanfall; die Anstrengungen der letzten Tage waren zu viel gewesen. Bei der Einlieferung in das Lissabonner Krankenhaus Cruz Verzelah erlitt der Patient erneut einen Herzinfarkt und musste intensiv betreut werden.
    Unverzüglich war der Leiter der Kardiologischen Abteilung der Universitätsklinik Homburg nach Lissabon geflogen, um den Patienten zu betreuen. Nun hielt es aber Dr. Bette für besser, dass er rasch nach Deutschland zurückkehrt, um von dort aus den Rücktransport des Kranken zu organisieren. Am 24. Dezember stand nun Dr. Bette mit seinem Ärzteteam bereit, um mit einer Maschine der Bundeswehr den Patienten heimzuholen - da kam aber dann die traurige Nachricht, dass Karl Ristenpart gestorben ist.

    Am 4. Januar 1968 fand in der Christuskirche Saarbrücken eine Trauerfeier statt, am Schluss seiner Trauerrede sagte Franz Mai, der Intendant des Saarländischen Rundfunks:

    »Es ist uns ein Mensch genommen worden, der uns in seinem künstlerischen Werk immer wieder ein Stück jener Schönheit erkennen ließ, die der Welt innewohnt und die sich doch so oft unserem werktäglichen Blick verschleiert. Aber wir sind dankbar, dass er uns ein künstlerisches Werk hinterließ, das uns wahrnehmbar bleibt und um dessen Wirksamkeit wir auch in weiterer Zukunft besorgt sein werden.«

    Praktischer Hinweis:
    Die Adresse des Friedhofs St. Johann lautet: Am Bruchhübel 1, 66123 Saarbrücken.
    Wenn man den im Bild gezeigten Eingang benutzt, geht es etwa 100 Meter bergauf, dann wendet man sich nach links, wo nach einer kurzen Strecke ein stark bemooster Stein (kaum leserlich) rechts das Gräberfeld 6 anzeigt. Auf diesem Gräberfeld befinden sich relativ wenige Gräber; da ist viel Grünfläche an deren unterem Ende sich direkt am Weg das Grab von Karl Ristenpart befindet und das Friedhofsgelände endet.



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    Friedhofseingang - etwa 100 Meter bergauf, dann wendet man sich nach links.


  • Nachklapp zum vorigen Beitrag:


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    Wenn man schon einmal da ist ...


    Im Gräberfeld 6 ist auf diesem Grab eine Gedenktafel für die Opernsängerin Trudeliese Schmidt mit dem Spruch:
    Freiheit ist nur in dem Raum der Träume, und das Schöne blüht nur im Gesang.


    Mehr zu Trudeliese Schmidt findet sich im Beitrag # 310

  • Klaus Tennstedt - * 6. Juni 1926 Merseburg - † 11. Januar 1998 Heikendorf


    Heute vor 25 Jahren starb der Dirigent Klaus Tennstedt


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    Draußen in der Welt war der Name Klaus Tennstedt weit bekannter geworden als in seiner Heimat; wenn man jedoch erfährt, dass dieser Dirigent sowohl von Carlos Kleiber als auch Herbert von Karajan besonders geschätzt wurde, dann ist das Interesse geweckt, diesem Dirigentenleben nachzuspüren. Ergänzend sei noch angemerkt, dass von Carlos Kleiber - nachdem er Klaus Tennstedt in einem Video gesehen hatte - überliefert ist: »Entschlossen-mutig, Körpersprache ohne Show, es ist alles da - authentisch! Kurz: Endlich jemand, den man bewundern kann.«


    Auch in diesem Grab ruhen zwei Musiker, denn Ingeborg Tennstedt war als Ingeborg Kollmann eine nicht unbedeutende Mezzosopranistin, die der Regisseur Dieter Bülter-Marell so beschreibt: »Inge war eine sehr anziehende und schöne Frau. Sie war eine stark Erotik ausstrahlende Frau. Ein Urvieh auf der Bühne, großartige Darstellerin, sehr liebenswerter Mensch.« Dies sollte zumindest erwähnt werden, denn im Folgenden war natürlich der Name Klaus Tennstedt bekannter geworden als der seiner Frau.


    Klaus war erblich vorbelastet, sein Vater war Konzertmeister der 2. Violine am Opernhaus Halle an der Saale. Der Junge wurde von seinem Vater schon im Alter von vier Jahren mit Geige und Klavier unterrichtet und soll - im Gegensatz zur Mutter, die sehr viel Liebe zeigte - sehr konsequent und streng gewesen sein. Mit etwa sechs oder sieben Jahren kam Klaus in die Hände eines Privat-Klavierlehrers. Aus der Sicht einer Spielgefährtin des Jungen war »die Kindheit futsch«, und sie schildert, dass neben den Schularbeiten jeden Tag mindestens jeweils eine Stunde Geige und Klavier zu üben war. Schwierigkeiten gab es im Elternhaus deswegen nicht, der Knabe erfüllte seine Aufgaben.


    Am 18. März 1943 wurde Klaus Tennstedt in die Staatliche Hochschule für Musik, Leipzig aufgenommen. Was danach kam, bezeichnet man als »Kriegswirren« und »Nachkriegswirren«; es waren unruhige Zeiten. Mit einer Anita zog der junge Mann im bitterkalten Januar 1946 los nach Würzburg, wo Verwandte in der stark zerstörten Stadt wohnten, aber als Bleibe blieb ihnen nur der überfüllte Bahnhofs-Wartesaal, Geld beschafften sie sich mit Hilfe von Unterhaltungsmusik in einem Café. Danach gab es noch ein kurzes Zwischenspiel als Konzertmeister in Heidelberg, nach etwa einem Jahr war man wieder in heimatliche Gefilde zurückgekehrt. In Halle findet Klaus Tennstedt nun als 23 -Jähriger eine Anstellung im Orchester und wird bald Stellvertretender Konzertmeister der 1. Geigen. Ein Ganglion, also eine Geschwulst, die sich am linken Ringfinger entwickelte, beendete Tennstedts Karriere als Geiger. Sein Lebensziel, Konzertmeister in einem großen Orchester zu werden, war plötzlich nicht mehr erreichbar. Da er aber auch ein guter Klavierspieler war, bestand die Möglichkeit ihn als Korrepetitor einzusetzen, was auch mit dem problematischen Finger ging. Er hilft in verschiedenen Situationen im Theater aus und dirigiert auch kleine Bühnenmusiken.


    In der Spielzeit 1950/51 erscheint Horst-Tanu Margraf, der vordem in Remscheid und Lemberg tätig war, als neuer Generalmusikdirektor am Theater in Halle. Der damals 47-jährige neue Chef hat gleich einen guten Draht zu dem jungen Mann und erkennt dessen Talent. Als eines Tages der Kapellmeister erkrankte, sollte »Der Günstling«, eine Oper von Rudolf Wagner-Régeny, gegeben werden. Tennstedt hatte die Oper gerade mit den Solisten einstudiert und kannte somit das Werk in- und auswendig. Deshalb kam Margraf auch auf die Frage: »Willst du heute Abend einspringen?« Die Sache geht gut, ein neuer Dirigent war geboren worden.


    Tennstedt kam 1954 als 1. Kapellmeister nach Karl-Marx-Stadt (heute wieder Chemnitz). Zu dieser Zeit war GMD Martin Engelkraut sehr krank, sodass der junge Kapellmeister keine Zeit hatte sich langsam voranzutasten; in kürzester Zeit musste er die 9. Sinfonie Beethovens, die »Walküre«, »Eugen Onegin« und den »Rosenkavalier« übernehmen; danach kamen bis zu seinem Wechsel 1957 dann auch noch eigene Einstudierungen. Bei einer »Aida«-Produktion kümmert sich der Kapellmeister besonders intensiv um die Mezzosopranistin Ingeborg Kollmann, geborene Fischer. Später erzählt er: »Ich habe noch nie einer Sängerin so viele Extraproben gegeben, wie ihr.« Aus diesen Probestunden resultiert dann eine lebenslange Verbindung.
    Daran anschließend wirkte er bis 1962 als Generalmusikdirektor der Landesoper Sachsen in Radebeul, was in der Literatur auch mal als Strafversetzung bezeichnet wird, er soll es mit den Vorschriften der politischen Führung nicht so genau genommen haben.
    Bemerkenswert ist in Radebeul die DDR-Erstaufführung von Liebermanns »Die Schule der Frauen«, die dort am 25. Januar 1959 stattfand. Zusammen mit dem Regisseur Dieter Bülter-Marell wird Tennstedt an die Hamburgische Staatsoper eingeladen, wo Liebermann damals Intendant ist. Also steuern die beiden mit ihrem Trabant die Staatsoper an. Sie waren von Liebermann zum Essen eingeladen, als dieser überraschend fragte:
    »Können Sie übermorgen die ›Entführung aus dem Serail‹ dirigieren?« Nach einer Denkpause sagte der überraschte Tennstedt, der das Werk kannte, zu. Offenbar war die Aufführung erfolgreich, denn Liebermann fragte an, ob Tennstedt regelmäßig als Kapellmeister kommen würde. Nach langem Überlegen sagte er ab, weil er sich in kein Abenteuer hineinstürzen mochte, wo er doch zuhause Generalmusikdirektor war und er sich Chancen für das Gewandhaus ausrechnete. Also fuhr man wieder ahnungslos heimwärts und wurde dann am 13. August 1961 überrascht, als die DDR eingemauert wurde.


    In der Zeit von 1962 bis 1971 war er, in gleicher Funktion wie vorher, am Staatstheater Schwerin tätig. Gastspiele führten ihn sowohl zur Staatskapelle Dresden als auch dem Gewandhausorchester Leipzig.
    International war Tennstedt in der Sowjetunion und der Tschechoslowakei tätig. Mit den politischen Umständen konnte sich Tennstedt nie anfreunden und trat auch nicht in die SED ein; sein fast gleichaltriger Freund, Kurt Masur, auch nicht, der war aber, wie es scheint, diplomatischer.
    Tennstedts 1971 erfolgter Flucht in den Westen sollen schon ab 1961 einige Fluchtversuche, - einmal mit einem Faltboot in Richtung Dänemark - und Kollegen vom Theater vorausgegangen sein. Von Tennstedt ist die Aussage überliefert:
    »Ich hasste das System - man kann es so brutal sagen - und sie hassten mich.«


    Wie das dann mit der Flucht in den Westen ablief wird sehr unterschiedlich publiziert; nach Tennstedts Schilderung ergab sich die Flucht eher zufällig oder versehentlich. Aber es taucht die Frage auf ob die Behörden wussten, dass Tennstedt ein Visum für die Einreise nach Schweden besaß; nach Darstellung des britischen Journalisten Norman Lebrecht soll Kurt Masur die Behörden davon überzeugt haben Tennstedt ziehen zu lassen.
    Wie dem auch sei, er benutzte damals die Fähre von Saßnitz auf Rügen nach Göteborg, war im Westen und erhielt in Schweden nicht nur Asyl, sondern dirigierte am Stora Theater Göteborg und leitete als Gastdirigent das Rundfunksymphonieorchester in Stockholm.


    Von 1972 bis 1976 war Tennstedt Generalmusikdirektor am Opernhaus Kiel, wo er unter 40 Bewerbern ausgewählt wurde, wie in einer Veröffentlichung zu lesen ist; sein Vorgänger war Hans Zender. Einerseits steht, bezüglich Tennstedts Kieler Tätigkeit geschrieben: »Bald entfaltete er eine rege Gastspieltätigkeit«, andererseits sieht man aber auch klar, dass er in Deutschland zunächst nicht als erstklassiger Dirigent galt; die deutschen Feuilletons deklarierten Tennstedt etwa bis Ende der 1990er Jahre als Randfigur. Mit der regen Gastspieltätigkeit waren Gastauftritte in Hamburg, Stuttgart oder München gemeint, die aufhorchen ließen.
    Zu dieser Zeit hatte sich Walter Homburger, der Geschäftsführer des Toronto Symphony Orchestra, nach Europa begeben, um einen Nachfolger für den 1973 verstorbenen Karel Ančerl zu finden. Als Homburger Kenntnis von Kritiken bezüglich des Kieler Dirigenten las, war dies für ihn Anlass sich die von Tennstedt dirigierte Siebte Sinfonie Bruckners anzuhören. Das Gehörte führte dazu, dass Homburger Klaus Tennstedt im Mai 1974 für eine Reihe von Konzerten in Toronto engagierte; einem SPIEGEL- Bericht zufolge empfingen Torontos Symphoniker Tennstedt schon bei der Probe mit stehendem Applaus und entsandten ein Streichquartett ans Krankenbett, als ihr Dirigent wegen einer Lungenentzündung im Krankenhaus lag.


    Als Tennstedt im Dezember 1974 mit dem Boston Symphony Orchestra sein US-Debüt gab, war dies der Startschuss für die internationale Spätkarriere des damals 48-jährigen Dirigenten. Der Einstand erfolgte mit einem Brahms-Programm und Bruckners Sinfonie Nr. 8. Dem folgten 1975 Auftritte beim Tanglewood Music Festival und Blossom Musik Festival, ein wahres Kontrastprogramm zum Opernhaus Kiel und sehr breitenwirksam; Klaus Tennstedt war in Amerika zum Star geworden. Ganz frenetische Anhänger waren die »Klausketeers«, die ihm von Stadt zu Stadt folgten.
    Er war Gastdirigent des Philadelphia Orchestra, Chicago Symphony, Cincinnati Symphony, Cleveland Orchestra, Detroit Symphony, Los Angeles Philharmonic und des New York Philharmonic Orchestra.
    Operndirigate waren für Tennstedt in Amerika kein großes Thema, es kam lediglich zu einer Serie von sieben »Fidelio«-Aufführungen an der Metropolitan Opera New York. The Times sah die Aufführung am 15. Dezember 1983 so:


    »Die Metropolitan Opera ist heutzutage nicht berühmt für die Qualität der Dirigenten, die sie anzieht, aber letzte Nacht könnte eine Ausnahme von dieser Aussage darstellen. Noch bevor Klaus Tennstedt seinen Taktstock erhob, um sein amerikanisches Operndebüt als Leiter des ersten ›Fidelio‹ der Saison zu geben, erhielt er lange inbrünstige Ovationen. Der Jubel wurde bei jeder folgenden Gelegenheit wiederholt, vielleicht als Ausdruck der Dankbarkeit des Publikums, einen der weltweit führenden Dirigenten im Graben der Metropolitan zu finden, wenn auch nur als vorübergehenden Gast. Herr Tennstedt reagierte darauf, indem er eine Hochspannungsaufführung von ›Fidelio‹ leitete, die oft die dramatische Grenze bis an den Bruchpunkt streckte, insbesondere in der leidenschaftlichen Lesung der ›Leonore‹-Ouvertüre Nr. 3.«


    Dem überm großen Wasser Anerkannten eröffneten sich nun auch in Europa Chancen.
    1976 debütierte er in London mit dem London Symphonie Orchestra und trat im folgenden Jahr erstmals mit dem London Philharmonic Orchestra auf. 1978 gastiert Klaus Tennstedt als erster deutscher Dirigent seiner Generation beim Israel Philharmonic Orchestra.
    Im Juli 1979 übernimmt Tennstedt dann auch noch in unruhiger Zeit das Symphonieorchester des NDR Hamburg. Schon sein Vorgänger, Moshe Atzmon, hatte seinen Vertrag vorzeitig gelöst und das Orchester hatte drei Jahre ohne einen festen Dirigenten gearbeitet. Hinzu kam, dass die Regierungen von Schleswig-Holstein und Niedersachsen planten, den Staatsvertrag zu kündigen. Schwierig waren sicher auch die zahlreichen kulturpolitisch bedingte Angriffe der Hamburger Presse gegen den NDR, was die Arbeit ebenso belastete; wobei die außermusikalische Harmonie nicht immer optimal war, denn einige Musiker kamen mit dem Chef nicht zurecht, oder umgekehrt, das lässt sich schwer von außen beurteilen. Spektakulär verließ Klaus Tennstedt 1981, während einer Konzertreise nach Paris, Amt und Orchester.


    Beim London Philharmonic Orchestra löste Klaus Tennstedt Georg Solti als Chefdirigent ab und war von 1983 bis 1987 Erster Gastdirigent und musikalischer Leiter, danach Ehrendirigent. In diesen Jahren war er aber auch beim Minnesota Orchestra tätig. 1887 legte er aufgrund einer bereits zwei Jahre zuvor diagnostizierten Kehlkopfkrebserkrankung sein Londoner Amt nieder.
    1992 kehrt er nochmals zum NDR Sinfonieorchester zurück, um im Rahmen einer Fernsehproduktion gemeinsam mit dem Geiger Nigel Kennedy Beethovens Violinkonzert aufzuführen. Sein letztes Dirigat war im Juni 1994; ein nichtöffentliches Konzertieren mit dem Studentenorchester der Oxford University - etwa zwei Stunden wird Carl Maria von Webers »Oberon«- Ouvertüre geprobt; zu seinen vielen Auszeichnungen, die er noch drei Wochen vor seinem Tod stolz dem Freund und Dramaturgen Dieter Härtwig zeigte, kam damals auch noch die Ehrendoktorwürde der University Oxford hinzu.
    Die New York Times kürte ihn mehrfach zum Musiker des Jahres und die Auszeichnung mit dem Toblacher Komponistenhäuschen erhielt er posthum in zwei aufeinanderfolgenden Jahren, 2009 und 2010, auch noch einmal 2015; es würde ihn sicher gefreut haben. Es sei noch hinzugefügt, dass sich die Juroren 2015 zurückzogen, weil sie bei Neueinspielungen Probleme hatten, Preis - würdige Aufnahmen zu finden. In diesem Zusammenhang ist Tennstedts Aussage in einem Interview eines amerikanischen Magazins interessant:


    »Ich kam spät zu Mahler und ich denke, das ist vielleicht besser. Abgesehen von Mahlers Erster Sinfonie braucht man meiner Meinung nach Lebenserfahrung, bevor man ein guter Interpret von Mahler sein kann. All die Dinge, die er in seinen Werken komponiert hat - Liebe, Hass, Angst, Freude, Zynismus, all das - kann man nicht vollständig verstehen, wenn man jung ist.«


    Fällt der Name Klaus Tennstedt, assoziiert man das in aller Regel mit Mahler und Bruckner; aber wer etwas genauer hinschaut, entdeckt auch so herrliche Aufnahmen, wie »Vier letzte Lieder« mit Lucia Popp oder den Trauermarsch aus der »Götterdämmerung«, um nur zwei Beispiele zu nennen, denen man noch einiges hinzufügen könnte.
    Der Prophet galt zunächst im eigenen Land nicht viel; bei HiFi-Stereophonie 7/83 findet man ein grässliches Beispiel. Erst über den Umweg Kanada, USA und England kam er zu Anerkennung. Hierzulande war allerdings Herbert von Karajan von Tennstedt so überzeugt, dass er ihm seine Berliner Philharmoniker sogar für Plattenaufnahmen überließ; Tennstedt, der ja alle großen Orchester der Welt dirigiert hat, fand diesen Klangkörper damals optimal.


    Ein gesundes Leben strebte der Dirigent offensichtlich nicht an, er war lebenslanger Kettenraucher und es wird auch von Bier und Schnäpsen berichtet, die in geringerem Quantum zuträglicher gewesen wären. Hinzu kamen zwei Hüftoperationen, aber sicher hatte auch das Dirigieren selbst seine gesundheitlichen Spuren hinterlassen, denn auch da schonte sich Klaus Tennstedt nie, sondern gab alles, was er zu geben hatte.


    Praktischer Hinweis:
    Die Adresse: Schulredder 7/9, 24226 Heikendorf - 12 Kilometer von Kiel entfernt.
    Die amtliche Bezeichnung der Grabstelle ist Block 40, Grabstelle 14-15.
    Etwa hundert Meter vom Eingang entfernt stehen drei Bänke; nach der dritten Bank wendet man sich nach rechts.

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    Etwa hundert Meter vom Eingang entfernt stehen drei Bänke.

  • Danke lieber hart, wie immer mit viel Freude und Interesse gelesen :thumbup:.


    Grüße

    Apollon

  • Banner Trailer Gelbe Rose
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  • Dem schließe ich mich an.

    Lieber hart, das war ein sehr informativer, mit viel Liebe und Detailwissen zusammen gestellter Beitrag.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Auch von mir vielen Dank. Ich habe lange Zeit in Merseburg gelebt und dort studiert. Den Namen Klaus Tennstedt kannte ich schon, aber daß er da geboren wurde, das hat man geheim gehalten.

    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Hermann Winkelmann - * 8. März 1847 Braunschweig - †18. Januar 1912 Mauer bei Wien


    Zum heutigen Todestag des ersten Parsifal


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    Die auffällige Ruhestätte der Familie Schinner kann als Orientierungspunkt dienen.


    Hermann Winkelmann wollte eigentlich ursprünglich kein Heldentenor werden; diesen Begriff kannte man übrigens zu dieser Zeit noch nicht, als er mit Meister Richard Wagner in Bayreuth die Rolle des Parsifal einübte und am 26. Juli 1882 in der Uraufführung sang.


    Als der junge Winkelmann Mitte der 1860er Jahre nach Paris reiste, hatte er vielleicht noch die Absicht in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, der 1837 in Braunschweig eine Firma zur Herstellung von Tafelklavieren gegründet hatte, aus der dann später die Klavierbaufirma Zeittler & Winkelmann wurde. Dieses ›vielleicht‹ ist eingefügt, weil der junge Klavierbauersohn schon in jungen Jahren den Liederkomponisten Franz Abt kennenlernte, der damals die Braunschweiger Oper leitete. Es wird nämlich berichtet, dass der junge Winkelmann mehr am Singen als am väterlichen Geschäft interessiert gewesen sei.
    Der Pariser Klavierbau war, was die Optimierung der einzelnen Komponenten betraf, der fortschrittlichste seiner Zeit; die Namen Erard und Pleyel waren ein Begriff. Hermann Winkelmann begab sich also nach Paris begab, um sich bei der Klavierbaufirma Erard ausbilden zu lassen. Dort gab es den deutschen Männergesangverein ›Teutonia‹, dem er sich anschloss, wobei seine außergewöhnliche Stimme entdeckt wurde. In dieser Zeit lebte der deutsche Journalist und Schriftsteller Hugo Wittmann in Paris, der dem jungen Mann geraten hat seine Stimme ausbilden zu lassen.
    Winkelmann begann nun in Paris ein Gesangsstudium bei mehreren Lehrern, das er später beim Kapellmeister und Gesangslehrer Ernst Koch zu Hause fortsetzte. An eine Bühnenkarriere glaubte keiner seiner Lehrer so recht, weil ihnen die Stimme fürs Theater zu schwach erschien; allenfalls konnten sie sich ihren Schüler als Konzertsänger vorstellen.


    1875 debütierte Winkelmann als Manrico im »Troubadur« am Hoftheater Sonderhausen in Thüringen; dieses Haus gibt es nicht mehr. Das Lampenfieber des Debütanten war groß, der Theaterdirektor soll ihn mit einem Tritt in den Hintern auf die Bühne befördert haben. Schon ein Jahr darauf erfolgte der Wechsel an das Hoftheater im Thüringischen Altenburg, was ein Riesenschritt in zweierlei Beziehung war, denn da heiratete er die Sängerin Emma Kind und das Herzogliche Hoftheater war erst 1871 durch einen aufwendigen Umbau auf den neuesten Stand gebracht worden, hatte ganz andere Dimensionen als das Theater Sonderhausen und einen sehr attraktiven Spielplan, auch mit Wagner-Opern.
    Inzwischen war die Stimme attraktiver geworden, so dass er auch am Hoftheater Darmstadt als Rienzi, Tannhäuser und Raoul gastierte; ebenso in Leipzig, wo Angelo Neumann auf der Suche nach einem Siegfried war.
    Natürlich war es dem cleveren Pollini - stets ein großer Entdecker - in Hamburg nicht entgangen, dass ein hervorragender neuer Tenor auf den Bühnen stand, also engagierte er den Mann; ab 1878 war Hermann Winkelmann am Hamburger Stadttheater im Verbund mit erstklassigen Stimmen zu hören. Innerhalb von drei Jahren war es dem nun 31-jährigen Sänger gelungen sich an die Spitze zu singen, denn Hamburg hatte einen ausgezeichneten Ruf. Als hier1879 Anton Rubinsteins Oper »Nero« uraufgeführt wurde, hatte man Winkelmann die Titelrolle anvertraut.
    International machte der aufstrebende Tenor von sich reden, als das Hamburger Ensemble 1882 in London - am Drury Lane Theatre - gastierte und Winkelmann sowohl Walter von Stolzing als auch den Tristan unter dem Dirigenten Hans Richter sang.
    Danach wirkte Winkelmann in Hamburg noch 1883 bei der deutschen Erstaufführung von Massenets junger Oper »Hérodiade« mit, die erst im Dezember 1881 uraufgeführt worden war.
    1881 wurde dem Sängerpaar der Sohn Hans geboren, der von seinem Vater zum Sänger ausgebildet wurde und als Opernsänger respektables leistete, also in die großen Fußstapfen seines Vaters trat und im November 1913 zumindest in einem Gastspiel als Othello an der Wiener Hofoper auftrat. Hans Winkelmann erwarb sich in Wien zusätzlich zum Singen auch einen Doktorgrad in Philosophie.

    Noch in seiner Hamburger Zeit gab es für Winkelmann Auftritte an der Wiener Hofoper, gemäß dem Archiv der Staatsoper, erschien der Tenor aus Hamburg erstmals am 7. Dezember 1880 als Lohengrin auf der Wiener Bühne. In diesem Dezember stehen noch die Titelrollen in »Siegfried« und »Tannhäuser«, aber auch der Siegfried in »Götterdämmerung« auf dem Programm. Aber Winkelmann singt hier nicht ausschließlich Wagner, sondern ist auch noch als Jean de Leyde in Meyerbeers »Der Prophet« und in »Die Jüdin« von Fromental Halévy zu hören, diese Werke wurden ja damals in deutscher Sprache gesungen.


    Der 1831 geborene Tenor Albert Niemann hatte seinen Wirkungsort ab 1866 hauptsächlich an der Königlichen Hofoper in Berlin, gastierte aber in den 1880er Jahren auch ab und an in Wien. Besondere Meriten erwarb sich Neumann als ihn Richard Wagner 1861 für die Erstaufführung des Pariser »Tannhäuser« engagierte; 1876 beorderte ihn Wagner für die Rolle des Siegmund nach Bayreuth. Dann gab es noch den 1845 geborenen Tenor Heinrich Vogl, der seinen Wirkungskreis an der Münchner Hofoper hatte und Heinrich Gudehus, der in Dresden Meister Wagner persönlich kennengelernt hatte. In diesem Kreis bewegte sich also Hermann Winkelmann; all die Genannten hatten sich als Wagner-Tenöre ein gewisses Renommee erworben.


    Es gibt zwar Tonaufnahmen aus dieser Zeit, aber die daraus zu erzielenden Erkenntnisse sind dürftig und sagen eigentlich nur aus, dass dies einst bedeutende Stimmen gewesen sind sonst hätte man diese Aufnahmen nicht gemacht. Auch dass diese Sänger über eine gewisse Zeitspanne zu Gastspielen an berühmte Häuser kamen ist ein Indikator für ihre Bedeutung. Das war eine Sänger-Riege, die noch von Meister Wagner selbst ausgesucht war, wobei Hermann Winkelmann die Ehre zuteilwurde am 26. Juli 1882 der erste Parsifal zu sein, erst in weiteren Aufführungen kamen dann noch Gudehus und Ferdinand Jäger hinzu.


    Als Wagner im Februar 1883 gestorben und Frau Cosima noch in großer Trauer war, kam es bei den weiteren Aufführungen immer wieder zu Diskussionen darüber, wie der Meister es wohl gerne gesehen hätte. Julius Knese, erstrangig für die Stimmen zuständig, kam da zu oft eigenartigen Bewertungen; aus einem Brief Kneses erfährt man zum Beispiel:
    »Wenn ich davon schrieb, daß Gudehus besser geworden wäre, so meine ich es nur äußerlich. Das macht er nach meinen Angaben. Sonst hat er, wie auch Winkelmann, so viel Ahnung von Parsifal, wie ein Esel an einem Frankfurter Milchkarren.«
    Viel besser klingt da der Bericht, den Hofsekretär Bürkel an seinen König Ludwig II. verfasst:
    »Winkelmanns Parsifal zeigt in gleicher Vollendung den träumerischen Jüngling und Helden; seine Stimme klingt besonders in der Höhe sehr schön. Noch natürlicher und frischer dagegen ist die Stimme des Dresdners Gudehus.
    Auch der Rezensent der »Neuen Allgemeinen Musikzeitung« war1883 von Winkelmanns Parsifal überzeugt und bescheinigte dem Sänger, dass er in die Rolle hineingewachsen ist und sich nicht nur auf einige hohe Töne verlässt, die er herauszuschleudern vermag.


    1884 begab sich Winkelmann Anfang 1884 auf eine Konzerttournee nach Nordamerika, die sich bis Ende Juni 1884 hinzog. Mit von der Partie waren die Wiener Kollegen Amalie Materna und der Bassist Emil Scaria; seit 1883 war Winkelmann im Ensemble der Wiener Hofoper, wo er bereits ab 1880 als Gast gesungen hatte.
    Der in Friesland geborene Theodore Thomas war als Kind nach Amerika ausgewandert, wo er sich zunächst dem Geigenspiel gewidmet und dann zum Dirigenten entwickelt hatte; in den Vereinigten Staaten machte er die Musik Richard Wagners populär. Er hatte 1872 die New Yorker Wagner Union gegründet und organisierte eine Chorgesellschaft, die nach Wagners Tod 1883 ein Gedenkkonzert gab.


    Eduard Hanslick vermerkte zu der musikalischen Situation in Verbindung mit dieser Konzertreise:
    »Die von Thomas 1884 unternommenen Wagner-Concerte mit der Materna, Winkelmann und Scaria förderten außerordentlich das Anwachsen des Wagner-Kultus in Amerika, und die bereits erwähnten Vorstellungen im Metropolitan-Opera-House thaten das Uebrige.«


    Nach Winkelmanns Rückkehr aus USA lag sein künstlerischer Schwerpunkt an der Wiener Hofoper, wo er insgesamt über tausend Mal in 42 Rollen auf der Bühne stand. Den Tannhäuser hatte er in Wien erstmals am 21. Dezember 1880 und letztmals am 26. März 1908 gesungen; aber auch am 13. Februar, dem 25. Todestag von Richard Wagner.
    In der Addition gibt das 175 »Tannhäuser«-Vorstellungen in Wien, gefolgt von 116 Mal »Lohengrin«.
    Weitere Schwerpunkte am Wiener Haus bilden »Meistersinger«, »Walküre«, aber auch »Aida«, »Fidelio«, »Othello«, »Afrikanerin« ...
    Zum Ausklang seines Wiener Engagements sang Winkelmann noch unter dem Dirigat Gustav Mahlers. 1901/02 singt er noch am Deutschen Theater in Prag. 1903 wurde Winkelmann zum Ehrenmitglied des der Wiener Hofoper ernannt. Damit man einen Blick in das weitere künstlerische Umfeld Winkelmanns tun kann sei nicht nur der strenge Kritiker Hanslick erwähnt, sondern auch der Kritiker Hugo Wolf, der den Sänger in der Regel lobend erwähnt.


    Man sollte es nicht unerwähnt lassen, Hermann Winkelmann war auch außerhalb der Opernbühne aktiv, im Großen Sängerlexikon Kutsch/Riemens heißt es: »Auch als Konzertsänger hatte er eine große Karriere auf den Gebieten der Oratorien- wie des Liedgesangs; so gab er 1900 ein glanzvolles Konzert in Paris.«


    Von Hanslick gibt er eine Konzertkritik, in der der lange Atem des Tenors für die Nachwelt dokumentiert ist:


    »Der 13. Psalm, mit welchem Liszt dem König David so nahe kommt, daß wir das Weite suchen mußten, beginnt mit den Worten: ›wie lange, Herr, willst du mein vergessen?‹
    Der Ausruf ›wie lange!‹ durchjammert in endloser Wiederholung die sehr umständliche Composition. Herr Winkelmann, welcher das Tenorsolo mit eindringlicher Kraft vortrug, dehnte dabei jedes Mal seinen beneidenswerth langen Atem so inbrünstig aus, daß es wie ein Echo in den Zuhörerreihen nachseufzte.«


    Zu Lebzeiten Winkelmanns war Mauer bei Wien noch ein selbständiger Ort; 1938 erfolgte die Eingemeindung zu Wien, heute ist das Teil des 23. Wiener Gemeindebezirks Liesing. Die Gedenktafel befindet sich in Mauer Lange Gasse 139.


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    Foto der Gedenktafel: Herzi Pinki


    Praktische Hinweise:
    Friedensstraße 6-16, 1230 Wien
    Die Grabfelder sind hier vorbildlich gekennzeichnet; das Winkelmann-Grab befindet sich im Feld 10. Vom Haupteingang aus geht man etwa 100 Meter geradeaus, wobei kapellenartige Grabmale Spalier bilden. Als Orientierungspunkt dient die auffällige Ruhestätte der Familie Schinner (siehe Foto). Dort geht man wenige Schritte nach rechts und steht vor dem sehr schönen Grabmal des Sängers Hermann Winkelmann.


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    Vom Eingang her als Orientierungspunkt gut sichtbar


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    Das Gräberfeld istz klar gekennzeichnet.

  • Helga Kosta - * 1. Dezember 1920 Hamburg - † 24. Januar 2014 Steffisburg (Schweiz)


    Zum heutigen Todestag von Helga Kosta


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    Unter diesem Stein haben drei Musiker ihre letzte Ruhe gefunden, aber Helga Kosta, die eigentlich mit ihrem bürgerlichen Namen zunächst Helga Stabinski hieß und nach der zweiten Heirat Koerfgen, hatte in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg den berühmtesten Namen in der Familie.


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    Helga hatte offensichtlich eine Menge Erbmasse von ihren Eltern - die sich in Berlin kennenlernten - mitbekommen. Damals war Elsa Koch an der Königlichen Oper eine aufstrebende Sängerin und Gustav Stabinski noch Student an der Musikakademie.
    Somit ist auch der der Künstlername ›Kosta‹ erklärt, die ersten zwei Buchstaben stammen von der Mutter, die restlichen drei vom Vater.


    Das Kind kam in Hamburg zur Welt, weil der Vater dort engagiert war. Die Mutter war in dieser Saison in Dessau verpflichtet und reiste mit dem acht Tage alten Baby zur Probe von »Rheingold«, wo sie von Hans Knappertsbusch mit den Worten begrüßt wurde:
    »Meine Rheintochter hat en Kind jekricht«.
    Die kleine Helga hat Musik bereits mit der Muttermilch eingesogen, denn Mama nahm den Säugling mit ins Opernhaus, legte das Baby in einen Wäschekorb und stillte zwischen den zwei Arien, wenn sie die Königin der Nacht in der »Zauberflöte« sang - so war das im Jahr 1920!


    Ansonsten musste sich die kleine Helga an ein Wanderleben gewöhnen; schon die Einjährige verlor die Eltern aus den Augen, weil diese mit einem großen Ensemble:
    Solisten, Chor, Ballett, Orchester zu einer Reise nach Nord- und Südamerika aufbrachen.
    1922 bis 1923 blieb das Kind bei Freunden auf einem Gut in Mecklenburg; als Mama wieder zurück kam, erkannte Helga natürlich ihre Eltern nicht mehr.
    Zwei Jahre verbrachte die wieder vereinte Familie danach in Königsberg in einer möblierten Wohnung mit Garten, einschließlich Urlaub an der nahen Ostsee. In Königsberg suchte sich die Kleine dann auch schon passende Töne auf dem Klavier zusammen, um gehörte Melodien nachzuspielen - man hatte schon Radio - was zu einem Erfolgserlebnis führte.


    In der Saison 1927/28 war die Sängerfamilie wieder geteilt; Mama sang in Danzig und hatte die Tochter bei sich, während Gustav Stabinski seine Kunst in Basel darbot.
    Dann war die Familie für die Dauer von drei Jahren am selben Ort, nämlich in Basel, das war von 1928 bis 1931. Aber es war eben ein Künstleraufenthalt ohne Haushalt; man wohnte in einer Pension und unabhängig vom Tagesplan der Eltern - mit Proben und Vorstellungen - hatte nun Helga ihre regelmäßigen Mahlzeiten und fühlte sich in Basel so richtig zuhause, Basel wurde für sie ein Stück Heimat.
    Im Alter von sieben Jahren wurde Helga für Klavier und Solfége Musiktheorie in Basel angemeldet; aber auch - auf Wunsch des Vaters - zur »Christian Science«-Sonntagsschule.
    Nach Aussage von Helga Kosta habe ihr letzteres einen festen Halt gegeben, um das weitere Leben zu meistern.


    Währen die Tochter also mit dem Leben in Basel ganz zufrieden war, hatte Kammersängerin Elsa Koch am Theater mit Intrigen zu kämpfen, was sie veranlasste dem Basler Theater in der zweiten Saison den Rücken zu kehren. Die Mutter begab sich im Folgenden auf Konzerttournee und kam zwischendurch mal zu Besuch.
    Nun wurde der Vater nach Berlin gerufen, eine Stadt voller Möglichkeiten; wieder einmal bezog man eine möblierte Wohnung. Die Mutter auf Tournee, der Vater voll im Geschäft mit Proben und Vorstellungen und Tochter Helga auf einer Privatschule. In Zeitungsberichten ist zu lesen, dass Helga Stabinski eigentlich Pianistin werden wollte und das Klavierspiel bei ihrer Großtante, Emma Koch. einer Liszt-Schülerin, erlernt hat.
    Ab 1933 wurde es für Vater und Tochter in Berlin schwierig, weil der Vater Jude war und Helga in der Schule nicht die Frage beantworten konnte, wann der ›Führer‹ Geburtstag hat.


    Eines unschönen Tages wurde Vaters Ensemble zum Intendanten beordert, der seiner Mannschaft erklärte: »Wer Jude oder jüdisch versippt ist, wird sofort entlassen.«
    Also blieb Gustav Stabinski nichts anderes übrig als auch auf Tourneen zu gehen, die ihn nach Holland und in die Schweiz führten; unter anderem sang er auch mit Richard Tauber vor dem Holländischen Königshaus.
    Helga wollte unbedingt von Berlin weg, obwohl ihr der Abschied von ihren Eltern schwer fiel; eine Tante holte sie wieder zurück nach Basel, wo sie dann für zwei Jahre blieb, bis ihre Mutter krank wurde und die nun Fünfzehnjährige wieder nach Berlin musste, weil ihre Mutter erkrankte. Aber Helga war auch nicht die Gesündeste und litt unter Blutarmut, also reiste sie nach Polen, zu einer Cousine ans Meer - nicht ganz ungefährlich; wie sie später mitteilte, soll es ein falscher Kinderausweis gewesen sein.


    Vater Stabinski hatte zwar 1921/22 deutsche Papiere bekommen, aber nun wurden alle ausgebürgert, die nach 1918 eingebürgert wurden, womit man staatenlos geworden war.
    Nun durften die Eltern 1937 endlich für ein Radiokonzert einreisen; mit einer Aufenthaltsbewilligung von 48 Stunden. Nach dem Konzert entschied die Mutter:
    »Ihr bleibt hier und ich rette, was zu retten ist in Berlin.«


    Nach acht Monaten kam die Mutter wieder aus Berlin zurück, findige Leute hatten ein Konzert im Münster arrangiert, damit das mit dem Einreisevisum glatt ging. Die Mutter blieb in der Schweiz; man wohnte in einer Mansardenwohnung mit gemietetem Klavier.
    Stabinskis Honorare wurden immer schmaler und die Mutter rannte von Schüler zu Schüler, damit etwas Geld ins Haus kam. Eine Schülerin erstattete Anzeige, worauf die Aufforderung der Fremdenpolizei kam, die Schweiz binnen 48 Stunden zu verlassen.
    Jemand, der die Möglichkeit dazu hatte, sorgte dann für eine ständige Aufenthaltsbewilligung des Kantons Basel-Stadt.


    Helga Stabinski hatte sich um Stellen beworben, aber Mama glaubte klar zu sehen, dass Helga keine Arbeitsbewilligung bekommt und meinte:
    »Arbeitsbewilligung bekommst du nicht, also lerne singen. Musikalisch bist du, Stimme hast du, Klavier spielen kannst du auch, also arbeiten wir gesanglich.«


    Nur Gesang war da nicht, Tochter Helga arbeitete auch in einer Pension, um so zum Lebensunterhalt beizutragen. Trotz einiger Schwierigkeiten im Vorfeld, gab Elsa Koch einen Lieder- und Arienabend, der sehr erfolgreich war und ihr auch himmlische Kritiken einbrachten; ein Kritiker schrieb:
    »Das war die Vollendung der Vollendung, ein Erlebnis.« Die so Gelobte war 45 Jahre alt und stellte im März 1939 nüchtern - zu ihrer Tochter gewandt - fest:
    »So werde ich nie mehr singen, jetzt bist du dran.«


    Und so geschah es dann auch; im November gab Helga ihr erstes Konzert und gleich folgte der erste Auftritt im Rundfunk mit der Absage: »Wir hörten im Radio Basel eine selten schöne Stimme. Diese Stimme gehörte Helga Stabinski.«
    In diesem Zusammenhang ist es interessant, wie sehr Sendeanstalten damals noch auf Sängerinnen und Sänger angewiesen waren, die direkt vor dem Mikrophon agierten.


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    Aber nun folgte keineswegs eine steile Karriere als Rundfunksängerin, die ein auskömmliches Einkommen sicherte, denn die nun folgenden Aktivitäten wurden nicht mit Bargeld, sondern mit Naturalien entgolten. Mit Kollegen vom Radio wurde sie aufgeboten für Schweizer Soldaten an Kompanieabenden zu singen - so wie es damals in Europa aussah, war es nachvollziehbar, dass die Landesverteidigung zu einem besonderen Thema geworden war; die Auftrittsorte waren im Vorfeld immer eine geheime Sache.
    Auch Wohltätigkeitsveranstaltungen in Heilstätten von Tuberkulosekranken in Davos wurden besucht.
    1942 sang Helga Stabinski mit ihren Kollegen vom Rundfunk sogar bei der Weihnachtsfeier des Generalstabs vor Henri Guisan, ein in der Schweiz verehrter Mann, der vermutlich verhinderte, dass die deutsche Wehrmacht durch die Schweiz marschierte; man muss das hier erwähnen, um sich in die Situation der Familie Stabinski hineindenken zu können.
    Der Vater wollte unbedingt von der Schweiz weg, weil er fürchtete, dass auch die Schweiz überrannt wird. Gustav Stabinski streckte seine Fühler aus; Mutter und Tochter - für letztere gab es sogar einen Vertrag für Radio New York - hätten in die USA reisen dürfen, aber dem Vater verweigerte man das Visum, worauf die Mutter erklärte, dass dann alle hierbleiben.


    Für Helga kam es zu einer Liebschaft mit einem Arzt und Gustav Stabinski gab den ›Macho‹, indem er erklärte, dass seine Tochter um fünf vor halbzwölf zu Hause zu sein hat, »ansonsten schmeiß ich sie raus.« Die junge Frau war damals so um die 22 Jahre.
    Also wurde aus der Sache nichts, aber Helga hatte immer wieder beim Radio zu tun und war da dem Chef eines kleinen Orchesters aufgefallen, der sie für den Kursaal Bern engagierte; drei bis vier Auftritte am Tag, Tagesgage 25 Franken. Vater moserte: »Meine Tochter, die Kaffeehaussängerin!«. Der Orchesterchef war ein genialer Musiker alter Schule, Geiger, Dirigent und Komponist, die 23-Jährige war beeindruckt; Gustav Stabinski bezeichnete diesen Mann als »versoffenes Genie« und traf damit ins Schwarze.


    Am 1. Juni 1943 gab es die Sängerin Helga Stabinski nicht mehr; die Mutter hatte argumentiert, dass es nicht ratsam sei unter dem Namen der Eltern aufzutreten, es würden positive wie auch negative Vergleiche gezogen.
    Nun trat also Helga Kosta im Kursaal auf; mit doppelter Gage, es gab nun 50 Franken Tagesgage. Das Publikum war wieder einmal begeistert, aber es gab immer und immer wieder Schwierigkeiten mit der Fremdenpolizei. Helga Kosta wollte mit einem Programm Schweizer Dialektlieder auftreten, aber mit dem Verdikt, dass sie Ausländerin sei, wusste die eidgenössische Fremdenpolizei das zu verhindern.
    Dennoch kam es immer wieder zu Engagements, so auch im Winter 1943/44, wobei die Garderoben - kriegsbedingt - nicht geheizt waren, was eine Lungenentzündung zur Folge hatte.


    Der Krieg war vorbei, zur Weihnacht 1945 erfolgte die Eheschließung, die schon zu diesem Zeitpunkt recht fragwürdig war und wohl besser unterblieben wäre. Im Dezember 1946 kam der kleine Peter zur Welt, Helga Kosta war Mutter geworden und versuchte aus dem Scherbenhaufen was zu machen. Um ein Spotlight auf die Verhältnisse zu werfen:
    »Der Pfändungsbeamte kam beruflich zu uns und abends als Fan ins Konzert.«
    Im Sommer 1953 wurde diese ereignisreiche Ehe geschieden, aber in diesen acht Jahren gab es trotzdem für Helga Kosta auch eine sängerische Weiterentwicklung.


    1949 erreichte Helga Kosta ein Anruf vom Theater in Biel-Solothurn:
    »Ich habe sie gehört und möchte sie engagieren. Sie sind meine Königin der Nacht.«
    Der so Anfragende war Direktor Leo Delsen vom kleinsten Theater der Schweiz - ein richtiger ›Striese‹, das Theater damals ein Hort von Asylanten.
    Nun erklärte Frau Kosta, dass sie keinerlei Ambitionen hätte ans Theater zu gehen, aber Delsen, von Haus aus selbst Sänger, wische die Bedenken zur Seite und erklärte: »Die Königin ist eine Stehpartie.« Vermutlich hatte ihr die Mutter die Geschichte mit der »Zauberflöte« in Dessau erzählt.
    Der musikalische Oberleiter vom Stadttheater Bern war von der Darbietung der Königin so angetan, dass er ihr ein festes Engagement als Koloratur- und lyrische Sängerin anbot.
    Kostas Antrittspartie in Bern war dann die Tempelpriesterin Leila in Bizets »Perlenfischer«.
    In den Sommermonaten wurde dann wieder im Kursaal gesungen.


    Ein Jahr nach der Scheidung kam es zu einer zweiten Eheschließung; der Wohnsitz war in Bern und Peters Opa wollte nicht mehr alleine sein, Elsa Koch war 1953 verstorben, also zog man etwas beengt zusammen.
    Helga Kosta war als Königin auch außerhalb des Stadttheaters Bern gefragt, so dass es zu relativ vielen Gastspielen kam, auch außerhalb der Schweiz, wie zum Beispiel in Bonn oder Köln. Man konnte sich nun mit einiger Mühe auch in guter Lage ein Häuschen bauen, aber der Beruf des Gatten machte schließlich erforderlich, dass man nach Basel zog und im Spätsommer 1960 Goldiwil aufgeben musste.


    Die Umzüge sind eine Sache für sich, es waren nicht unzählige, wie man in solchen Fällen gerne sagt, aber so viele, dass ein genaues Zählen sehr viel Mühe bereiten würde, Helga Kosta sagte einmal: »Ich bin ein ewiger Wandervogel«
    Die meiste Zeit ihres Lebens hatte sie im Berner Oberland verbracht, ist aber immer auch wieder nach Berlin, die Stadt ihrer Kindheit gekommen; oft ist sie die Strecke Schweiz-Berlin hin- und hergeflogen, um bei RIAS-Berlin Aufnahmen zu machen.
    Helga Kosta betätigte sich auch pädagogisch und organisierte dann Konzerte für ihre Schülerinnen, um diese voranzubringen.
    Nach 37 Ehejahren verlor Frau Koerfgen ihren Mann, der sie so treu in der Schweiz herum chauffiert hatte, manchmal zu zwei »Zauberflöten« an einem Tag. Etwa 400 Mal soll sie diese Rolle gesungen haben.


    Sie schrieb einmal:


    »In meinem geliebten Goldiwil haben wir ein Familiengrab. Meine Eltern und mein Mann haben dort ihre Ruhe gefunden. Mein Platz ist reserviert - Blick auf die Berge und den Thunersee. Ich bin dankbar für alles Schöne, das ich erleben durfte, jetzt bereits 65 Jahre als Schweizerin - daher ›Die Schweizer Nachtigall‹ - aber sie singt nicht mehr.«


    Praktischer Hinweis:
    3624 Goldiwil ob Thun / Friedhof Dorfstraße 63


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    Man geht links am Kirchturm vorbei und findet dahinter den kleinen Friedhof

  • August Kindermann - * 6. Februar 1817 Potsdam - † 6. März 1891


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    Ein Gedenken zum heutigen Geburtstag des großen Sängers


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    Die durch die Zweige schimmernde Abendsonne machte es möglich ...


    August Kindermann war der Sohn eines Webers, nach manchen Publikationen sogar der Sohn eines armen Webers. Zunächst arbeitete er in einer Berliner Buchhandlung und begann seine Bühnentätigkeit als Autodidakt, indem er als 19-jähriger Chorist an die Berliner Hofoper ging.
    Ein Jahr später vertraute man ihm in Spontinis historischer Oper »Agnese di Hohenstaufen« eine kleine Solopartie an, wobei zu erwähnen ist, dass Spontini von 1819 bis 1842 Erster Kapellmeister und General-Musikdirektor an der Berliner Oper war.


    1839 wurde Kindermann als Bass-Bariton an das Opernhaus Leipzig verpflichtet, was bedeutete, dass er sowohl Partien aus dem Bariton- wie dem Bass-Fach sang. Sein Debüt gab er in Leipzig als Oroveso in Bellinis »Norma«.
    Hatte er in Berlin direkten Kontakt mit dem großen zeitgenössischen Komponisten Spontini gehabt, war er am Leipziger Opernhaus ganz nahe an Albert Lortzing dran, der hier als Kapellmeister wirkte. Im September 1839 hatte er in der Uraufführung von Lortzings Oper »Caramo oder das Fischerstechen«, die heute kaum noch jemand kennt, mitgewirkt und im Sommer 1840 in Lotzings »Hans Sachs« die Titelrolle gesungen. Auch bei der am Silvestertag 1842 stattfindenden Uraufführung von Lortzings »Der Wildschütz« war August Kindermann in der Partie des Grafen Eberbach zu hören.


    Inzwischen hatte der Bariton einen gewissen Bekanntheitsgrad erworben und es kam zu Gastspielen; so auch an der Münchner Hofoper, wo er als Graf in »Figaros Hochzeit«, als Wilhelm Tell von Rossini, als Jäger im »Nachtlager von Granada« und als Titelheld in Donizettis »Belidario« zu hören war. Franz Lachner, der damalige Münchner Opernchef, soll den gastierenden Kindermann festgehalten haben, denn eigentlich wollte sich Kindermann nach Wien verändern, um an der von Pokorny begründeten Oper im Theater an der Wien seine Karriere fortzusetzen.
    In München hatte Kindermann zwar in dem am Haus erfolgreichen italienischen Bassisten Julius Pellegrini einen Konkurrenten, aber den Vorteil, dass er um mehr als ein Jahrzehnt jünger war als dieser. August Kindermann avancierte in München zum Publikumsliebling, wobei er ein sehr breites Rollenspektrum und eine robuste Gesundheit anzubieten hatte; er stand stets zur Verfügung, wenn er gebraucht wurde.
    Berichte überliefern der Nachwelt, dass Kindermann dann unübertrefflich war, wenn er seine feine Komik einbringen konnte, wie zum Beispiel im »Waffenschmied« oder als Mozart-Figaro; daneben überzeugte er aber durchaus auch in schwermütigen Partien, wie zum Beispiel den Opern von Marschner.
    Er wirkte auch in vielen Uraufführungen von Opern mit, die inzwischen fast vergessen sind, wie beispielsweise: »Die Foscari« von Max Zenger, in Josef Rheinbergers »Die sieben Schwaben« oder der Oper »Theodor Körner« von Wendelin Weißheimer.


    Sein 25-jähriges Jubiläum an der Münchner Bühne feierte Kindermann 1871 mit einer Gala-Vorstellung, wo er die Titelrolle in »Figaros Hochzeit« sang; zu seinem 40. Jubiläum am Haus gab er den Stadinger in Lortzings »Waffenschmied«.
    Aber dazwischen schrieb er auch einiges an der Musikgeschichte mit, denn er war dabei als am 22. September 1869 - gegen den ausdrücklichen Wunsch Richard Wagners - an der Münchner Hofoper erstmals die Oper »Rheingold« über die Bühne ging und er die Rolle des Wotan übernommen hatte. Am Münchner Haus sang er dann auch bei der Uraufführung der »Walküre« am 26. Juni 1870 den Wotan.


    Und noch einmal schrieb er sich in das Buch der Musikgeschichte ein, als er zusammen mit Meister Wagner im Bayreuther Festspielhaus an der Entstehung der ersten »Parsifal«-Aufführung arbeitete und er am 26. Juli 1882 als Titurel auf der Bühne stand.


    Man muss sich das einmal vorstellen - vier Jahrzehnte Publikumsliebling am Königlichen Hof- und Nationaltheater zu München, welche Lebensleistung! An einem solchen Stein sollte man nicht so einfach vorübergehen.




    Hedwig Reicher-Kindermann - *15. Juli 1853 München - † 2. Juni 1883 Triest


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    Die Tochter von August Kindermann


    Gut 500 Kilometer von München entfernt, in Triest, auf dem Cimitero Sant´Anna, befindet sich ein grauer Stein, auf dem der Name HEDWIG KINDERMANN steht; es ist die Ruhestätte der 1853 geborenen jüngsten Tochter von August Kindermann.
    Hedwig heiratete 1875 - gegen den Willen der Eltern - den Schauspieler Emanuel Reicher und trug dann den Namen Hedwig Reicher-Kindermann; die Ehe hatte nicht lange Bestand.
    Als Sängerin brachte Hedwig Kindermann in ihrem kurzen Leben herausragende Leistungen zuwege, weshalb es Chronistenpflicht ist, noch etwas mehr über diese Familie Kindermann zu erzählen. Des berühmten Opernsängers Frau, Magdalena, eine Pianistin, deren Namen man auf dem Stein des Münchner Friedhofs nicht findet, hatte ihrem Mann mehrere Kinder geboren, wovon drei Sängerinnen wurden: Marie, Franziska und Hedwig; der Sohn, August Kindermann jr., war schließlich auch als Sänger unterwegs.
    Die Mutter - immerhin Schülerin Felix Mendelssohn Bartholdys - erteilte schon dem fünfjährigen Töchterchen Klavierunterricht. Ihre Ausbildung zur Sängerin war eigentlich zunächst nicht vorgesehen, und dann mühsam.
    Im Alter von 15 Jahren trat Hedwig als Pianistin in die Münchner Musikschule ein. In den Chorsunden, die unter der Leitung von Franz Wüllner stattfanden - also dem Dirigenten, der unter dem Zorn Richard Wagners die Uraufführung von »Rheingold« geleitet hatte und Hedwigs Vater den Wotan sang - fiel der außergewöhnliche Stimmumfang der jungen Frau auf, wobei Zeitzeugen berichten, dass es dem tiefen Contra-Alt Hedwigs möglich war die Sarastro-Arie aus der »Zauberflöte« in der Originallage zu singen.
    Dem gesangserfahrenen Vater gelang es nun innerhalb eines Jahres die Stimme seiner Tochter so auszurichten, dass auch in der Mittellage etwas zu hören war.


    Hedwig Kindermann machte es dem Vater nach, der einst ebenfalls als Chorsänger die Bühne betrat, und wurde 1871 Mitglied des Opernchors am Münchner Hoftheater. Strebte dann jedoch eine Solokarriere an, wobei sie ganz kurz in Karlsruhe war, um dann recht bald wieder nach München zurückzukehren. Hier sangen Sophie Stehle, Mathilde Mallinger, Johanna Dietz ... zu denen sie aufschaute und versuchte ihre Stimme zu verbessern.
    Da ihr Sprachorgan gewaltig war, beabsichtigte der Chef des Hauses, Ernst von Possart, zeitweilig sogar sie bei Tragödien einzusetzen und riet von der Fortsetzung der Sängerkarriere ab. Alsbald fand sie sich am Gärtnerplatztheater in Operettenrollen wieder,
    aber es sollte auch erwähnt werden, dass Franz Lachner die 18-Jährige für die Altpartie auswählte, als 1871 im Gewandhaus zu Leipzig sein Requiem - eines seiner bedeutenden Werke - aufgeführt wurde; das war eine Anerkennung von kompetenter Seite.


    Schon 1876 - also sechs Jahre vor ihrem Vater - wirkte sie in Bayreuth mit, wo die Uraufführung des gesamten »Ring-Zyklus« stattfand, aber in ihren kleinen Rollen konnte sie keine Aufmerksamkeit erwarten.
    In den folgenden Jahren war sie am Hamburger Stadttheater und hatte dort auch als Orpheus, Ortrud und Fides große Erfolge, glaubte dann aber an der Wiener Hofoper künstlerisch weiter voranzukommen und ihr Repertoire im italienischen Fach zu erweitern.
    In der Literatur heißt es zu diesem Wiener Aufenthalt:
    »... wurde sie durch Intriguen und lästige Privatverhältnisse zum Aufgeben ihrer Stellung gezwungen.«
    Dann war da noch ein Versuch am Münchner Hoftheater, wo ihr die in Aussicht gestellten Rollen jedoch nicht zusagten; in Paris sah sie für sich bessere Möglichkeiten.
    Gabriel Fauré hatte Hedwig Reicher-Kindermann in Wien gehört und war von der Stimme beeindruckt. Vor ihrem Paris-Auftritt gab sie ein erfolgreiches Gastspiel in Monaco, wobei zu erwähnen ist, dass sie innerhalb von sechs Wochen neun Rollen in französischer Sprache einstudierte. Noch vor ihren Pariser Auftritten hatte sie der agile Angelo Neumann entdeckt und flugs ans Leipziger Theater geholt.
    So stand sie also im Mai1880 als Leonore in »Fidelio« vor dem Leipziger Publikum; durch die Eltern war ja eine besondere Beziehung zur Stadt vorhanden; der Vater hatte hier einst Freundschaft mit Albert Lortzing geschlossen und Mutter bei Felix Mendelssohn Bartholdy studiert. Nach Leonore folgten Donna Anna, Brunhilde, Armida, Eglantine und schließlich die Isolde in der Premiere des Leipziger »Tristan«.
    Angelo Neumann hatte zu Richard Wagner eine besondere Beziehung geknüpft; es sollte ja für beide eine Win-Win-Situation sein, wenn Neumann mit seinem aus 12 Waggons und 134 Personen bestehenden »Wagner-Zirkus« durch Europa zieht.
    Interessant ist hier, dass die Bahn Neumann keine Ermäßigung für die Sonderzüge zugestand, weil solches nur für Menagerien und Zirkusse galt.
    Ein kleiner Probelauf führte die aufstrebende Sängerin nach Berlin und London, aber für 1882/83 stand eine Tournee der Superlative an; ab September1882 gastierte man mit der Aufführung des »Ring des Nibelungen« in Breslau, Königsberg, Danzig, Hannover, Bremen, Barmen, Köln, Frankfurt am Main, Leipzig, Berlin, Dresden, Kassel, Dortmund, Elberfeld; aber auch in Amsterdam und Brüssel. In Brüssel erkrankte Hedwig Reicher-Kindermann so schwer, dass sie nicht auftreten konnte. Nach einer Erholungspause in München raffte sie sich nochmal auf, um in Venedig wieder auf Neumanns Truppe zu stoßen. Es folgten nun die Stationen Bologna, Rom, Florenz, Mailand und Turin. In Triest zog sich Hedwig Reicher-Kindermann eine Erkältung zu, brach die Tour aber trotz Schwächung nicht ab.
    Am 18. Mai will sie unbedingt noch einmal die Erda singen, erkältet sich dann bei der nächtlichen Nachfeier und kann die folgenden zwei Tage nicht singen; singt aber am Vorabend von Wagners Geburtstag in der »Götterdämmerung« und bricht danach zusammen. Sie stirbt - noch nicht einmal 30 Jahre alt - am 2. Juni 1883 in Triest.


    Angelo Neumann war mit der Truppe nach Budapest weitergereist; als er vom Tod seiner Sängerin erfährt, reist er zum Begräbnis nach Triest.
    Theaterinspektor Müller widmete der Verstorbenen, die in Leipzig sehr beliebt war, folgenden Nachruf:
    »... Hedwig Kindermann war in Wahrheit ein geniales Wesen, guthmütig bis zur Torheit, freigiebig bis zur Verschwendung und heiter bis zur Ausgelassenheit, tief ernst, wenn ihre Kunst ins Spiel kam, großartig in jedem Zuge. Vielleicht noch niemals hat eine Künstlerin eine so imponirende, aller Fährlichkeit und Hindernisse spottende, nahezu dämonische Thatkraft besessen, wie die Meister- und Muster-Walküre Hedwig Reicher Kindermann.«


    Noch im November 1882 hatte Bernhard Seuberlich geschrieben:


    »Die Zukunft hat unsere Künstlerin noch die reichsten Erfolge darzubieten; aber schon jetzt berechtigt ihre Künstlerschaft zu dem Urtheil, daß sie des Vergleichs mit einer Schröder-Devrient nicht unwerth ist. Jedenfalls ist ihr eine ehrenvolle Stellung in der Geschichte der deutschen Gesangs- und Bühnenkunst für alle Zeiten gesichert.«


    Dieser Beitrag möchte das 1882 Geschriebene unterstützen und hat Vater und seine jüngste Tochter zusammengebracht.


    Praktischer Hinweis:

    Das Grab von August Kindermann befindet sich auf dem Alten Südlichen Friedhof.

    Thalkirchner Straße 17, 80337 München. Besonders leicht findet man das Grab, wenn man den Seiteneingang an der Thalkirchner Straße benutzt - gegenüber dem Krankenhaus.


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    Das Grab befindet sich in dieser Ecksituation des Gräberfeldes 8.


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  • Pauline Lucca - * 25. April 1841 Wien - † 28. Februar 1908 Wien


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    Zum heutigen Todestag

    Pauline Lucca war zu ihrer Zeit eine der berühmtesten Sängerinnen; wie schnell ehrlich erworbener Ruhm verblassen kann, sieht man am Zustand ihrer letzten Ruhestätte, die geradezu ein Symbol der Vergänglichkeit ist, noch nicht einmal der Name steht auf dem Stein; nur »Auf Wiedersehen!« und die Signatur des Bildhauers wurde in den Stein geschlagen.
    Pauline Lucca zog weit durch die Welt, wohnte jedoch einige Zeit in der Rasumofskygasse 15 in Wien und starb heute vor 115 Jahren in der Jacquingasse 13 an ihrem Geburtsort Wien - heute ist sie fast vergessen ...
    Diese Sängergeneration konnte noch keine Tondokumente hinterlassen und die Nachgeborenen sind darauf angewiesen in vergilbten Zeitungen und Programmen nachzulesen, welche künstlerische und gesellschaftliche Bedeutung Sängerinnen und Sänger vor etwa 150 Jahren hatten - hier am Beispiel der Sopranistin Pauline Lucca ist es nachzuvollziehen.


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    Ihre Eltern waren der Kaufmann Joseph Koppelmanns und dessen Ehefrau Barbara Willer.
    Die Familie wechselte 1834 vom jüdischen zum katholischen Glauben über. In der erweiterten Familie gab es den Arzt Samuel Lucka und den Schriftsteller Emil Lucka; vermutlich nahm das Mädchen beim Glaubenswechsel den Namen ›Lucca‹ an, unter dem sie dann als Sängerin auch berühmt wurde.


    Im Großen Sängerlexikon wird dargestellt, dass Pauline im Alter von acht Jahren Schülerin eines Pädagogen namens Walter war, hier handelt es sich um den Schullehrer des Mädchens. Nachdem ihre Eltern 1848 ihr gesamtes Vermögen verloren hatten, wurde sie von dem ehemaligen Tenoristen Otto Uffmann (in zeitgenössischer Literatur kann man auch Buffmann lesen) unterrichtet und der Inspektor des Hoftheaters, Richard Levi, setzte den Unterricht »rationell fort«, wie in einem Zeitungsbericht über die nun schon berühmte Sängerin zu lesen ist. Schon 1854 sang das Mädchen kleine Soli bei Gottesdiensten.
    1856 trat Pauline als Choristin in den Chor der Wiener Hofoper ein. Presseberichte aus dieser Zeit sagen aus, dass das Mädchen zur Bühne drängte, um ihren Eltern eine Stütze in der Not zu sein.


    Sie debütierte als Solistin in der Spielzeit 1859/60 als zweiter Knabe in der »Zauberflöte« und gleich danach dann etwas größer in Verdis »Ernani«, wo sie in der Partie der Elvira zu hören war. Schon ein Jahr später sang sie in Prag die Valentine in den »Hugenotten« von Meyerbeer und die Titelrolle von Bellinis »Norma«.
    Von keinem Geringeren als dem damals sehr populären und geachteten Giacomo Meyerbeer wurde sie 1861an die Berliner Hofoper empfohlen, wo der Komponist höchstselbst mit ihr einige Opernpartien einstudierte.
    1864 war sie bei der Uraufführung der Oper »Der Stern von Turan« mit der Hauptrolle betraut, aber diese Oper von Richard Wuerst kennt heute kaum noch jemand.
    An der Berliner Hofoper sang sie in vielen wichtigen Premieren wie zum Beispiel 1863 die Marguerite in Gounods »Faust«, 1865 die Selika in Meyerbeers »Africaine« und 1869 die Titelrolle in »Mignon« von Ambroise Thomas, die zu ihren Paraderollen zu rechnen ist.
    Man kann pauschalieren und sagen dass sie an allen großen deutschen Bühnen auftrat, dann muss man nicht eine Kette von Städten aufzählen. Wenn man ihren Auftritt in Frankfurt am Main etwas näher beleuchtet, stellt man fest, dass bei Luccas Gastspiel 1875 die dreifachen Eintrittspreise des sonst Üblichen bezahlt wurden.


    Aber vor diesem Frankfurter Gastspiel hatte die Lucca schon einiges bewegt. 1862 betrat sie erstmals als Solistin die Bühne der Wiener Hofoper und gastierte 1863 an der Covent Garden Oper London, wo sie als Valentine in den »Hugenotten« Aufsehen erregte und auch in einigen Folgejahren in London präsent war.
    Generalintendant von Hülsen, der Fräulein Lucca aus Prag geholt hatte, hütete seinen Star wie einen Augapfel und wandte all seine Geschicklichkeit auf, um Gastspielaufträge nicht an sie herankommen zu lassen. Als aber Zar Alexander, der die Lucca in Berlin gehört hatte, den Wunsch äußerte diese Stimme auch in Petersburg zu hören, konnte man das dem Zaren nicht abschlagen; also erschien die Lucca sowohl 1868 als auch 1869 in St. Petersburg, wobei diese Erfolge wiederum ihre Position in Berlin erhöhte.
    Sie errang in der deutschen Hauptstadt eine soziale Stellung, wie sie vor ihr keine Künstlerin gehabt hat. Man trug ihre Frisur, die in die Stirn gekämmten abgeschnittenen Haare, die man »Lucca-Fransen« nannte; und kleine Kuchen, die eine Spezialität der Hofkonditorei waren, wurden unter der Bezeichnung »Lucca-Augen« verkauft.
    Nicht ganz unwichtig war auch, dass sie von Kaiser Wilhelm und Otto von Bismarck gleichermaßen verehrt wurde. Es gibt sogar ein gemeinsames Foto von Pauline Lucca und Otto von Bismarck, über dessen Entstehungsgeschichte unterschiedliche Storys im Umlauf sind, aber Tatsache ist, dass der Reichskanzler im Nachhinein über die Verbreitung des Fotos nicht glücklich war und dem Vernehmen nach dem Fotografen die Verbreitung des Fotos verboten wurde.


    Sie errang in der deutschen Hauptstadt eine soziale Stellung, wie sie vor ihr keine Künstlerin gehabt hat ... - so steht es oben geschrieben, aber man kann nicht über Pauline Lucca schreiben ohne ihre Rivalin Mathilde Mallinger zu erwähnen.


    Die beiden Sängerinnen sangen etwa im gleichen Repertoire, aber es gab dergestalt Unterscheidungen, dass die Lucca von Meyerbeer gefördert und an die Hofoper empfohlen worden war und sich vertraglich ausbedungen hatte, keine Wagner-Rollen singen zu müssen. Während nun die Lucca als Valentine in Meyerbeers »Les Huguenots« glänzte, punktete Mallinger mit ihren Wagner-Rollen.
    Sogar der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 spielte noch in diese Querelen mit hinein, wenn sich die beiden Lager des Publikums bekriegten.
    Lucca war schon königliche Kammersängerin, nun zog Mallinger mit dieser gleich. Da ging es dann um Vertragsverhandlungen und Verträge hin und her und Konditionen, Pensionen und Privilegien - und natürlich auch um Taler; ein kleiner Einblick sei gewährt: Lucca erhielt eine Jahresgage von 8.000 Talern; Mallingers dreijähriger Gastspielvertrag ist mit 9.000 Talern dotiert und die Bezahlung eines jeden zusätzlichen Auftritts wird mit 250 Talern angegeben.


    Die Lage war schon angespannt als im März 1871 beide Sängerinnen in »Le nozze die Figaro« auf der Bühne standen. Bei einer weiteren Vorstellung am 27. Januar 1872 kam es dann zum Eklat, der in der Literatur in verschiedenen Nuancen dargeboten wird. Lassen wir uns diese Geschichte von einer berühmten Zeitzeugin vermitteln.
    Lilli Lehmann, die auch Mitglied des Berliner Ensembles der Hofoper war, schildert in ihrem Buch »Mein Weg«, dass Direktor Hülsen schon Böses ahnte, Lehmann schreibt:


    »Für den 27. Januar 1872 war eine Vorstellung vom ›Figaro‹ mit Frau Mallinger als Susanne und Frau Lucca als Page angesetzt. Am 26. abends wollte ich nach Danzig zum Gastspiel, doch ließ mich Hülsen bitten, meine Reise auf den 28. früh zu verschieben. Er bat mich, am 27. abends in der Figarovorstellung zugegen zu sein, da ich möglicherweise die eine oder andere Rolle im Laufe des Abends weitersingen müsse. Zwischen den Damen Mallinger und Lucca war es schon öfter zu unliebsamen Szenen gekommen ...
    Nun harrte ich am 27. Januar in der Künstlerloge der Dinge, die sich ereignen sollten. Die Vorstellung war an- und aufregend genug. Als Frau Lucca-Page auftrat, johlte, pfiff und zischte man von der Galerie herunter. Kaum wurde der Versuch gemacht, ein Wort zu
    sprechen, als der Lärm von neuem begann. Auch Eckerts Intention mit dem Orchester die Pagenarie zu beginnen, mißlang vollständig. Endlich machte Frau Lucca Zeichen, daß sie sprechen wolle, worauf sich Gezisch und Applaus legten und sie echt luccaisch folgendes sprach: ›Ich weiß nicht, was man von mir will, ich bin mir keiner Schuld bewußt und frage: ob ich singen soll, oder nicht?‹ Neuer Lärm, bis schließlich der Applaus und die Zurufe: ›Singen!‹ Gezisch und Gejohle niederkämpften, die Vorstellung ihren Fortgang nehmen konnte.
    Beide Damen hatten mich oben in der Loge sitzen sehen, sonst wäre unfehlbar die eine oder andere in Ohnmacht gefallen, die Vorstellung gestört gewesen. Die Sache war aber noch nicht zu Ende. Im II. Akt soll Susanne, wie üblich, am Schluß der kleinen Arie dem Pagen einen Kuß geben. Frau Mallinger, die stets - und nicht nur an diesem Abend - nach neuen Nuancen suchte, darin oft zu weit ging, gab Frau Lucca anstatt eines Kusses einen kleinen ›Backenstreich‹. Frau Lucca beklagte sich über die ›Ohrfeige‹ und der Skandal spielte weiter bis ans Ende der Oper. Eine Schande für die Kgl. Oper und für beide Damen. Wer im Recht war, ließ sich im Augenblick nicht entscheiden und nun - hab ichs vergessen.«


    Nach diesem gewaltigen Krach machte die Lucca noch eine Stippvisite in Paris und wich dann nach Amerika aus, wo sie sich einer von Max Maretzek geleiteten Operngruppe anschloss; Maretzek war in Brünn geboren und wurde von der New Yorker Presse als »the indefatigable Max« oder auch »the Napoleon of Opera« tituliert. In diesem reisenden Ensemble war auch die amerikanische Sopranistin Clara Louise Kellog, welche dann 1873 die Grand English Opera Company gründete, deren künstlerische Leiterin sie war. Ihr Bestreben ging dahin, die englischsprachige Oper in Amerika zu etablieren und knüpfte an eine ähnlich volkstümliche Opernbewegung in England an. Kellogs Gruppe warb mit dem Slogan: »opera for the people«. Allerdings löste sich diese Gruppe bereits 1876 wieder auf.


    Nachdem Pauline Lucca wieder nach Europa zurückgekehrt war, folgte sie 1874 einem Ruf an die Wiener Hofoper, wo sie bis 1889 sang und zum Ehrenmitglied des Hauses ernannt wurde. Aber sie war nicht nur ausschließlich in Wien zu hören, sondern betrieb in dieser Zeit eine rege Gastspieltätigkeit, wobei sie in vielen deutschen Städten und 1877 nochmals in St. Petersburg und Moskau zu hören war. 1878 führte sie ihr Weg nach Madrid und 1882-84 gab sie nochmals Gastspiele an der Covent Garden Oper London.
    Aus einem weiteren Pressebericht ist zu erfahren, dass sie sich insbesondere in Brüssel stark in Szene setzen konnte und rauschende Erfolge feierte.


    Da Pauline Lucca - wie bereits oben erwähnt - keine Tondokumente hinterlassen konnte, ist man auf zeitgenössische Schilderungen und Nachschlagewerke angewiesen, um sich in etwa ein Bild machen zu können. So ist im Großen Sängerlexikon (K. J. Kutsch / Leo Riemens) über die Sängerin zu lesen:


    »Bei einem Stimmumfang von zweieinhalb Oktaven galt ihre Sopranstimme sowohl von der Qualität des Stimmmaterials her als auch durch ihre erregende, variationsreiche Ausdruckskunst als eine der schönsten innerhalb ihrer künstlerischen Generation. Ihre Carmen galt als unvergleichliche Leistung, wobei sie auch ihr immenses darstellerisches Talent ganz zum Einsatz bringen konnte. Man bewunderte sie auch als Marguerite im ›Faust‹ von Gounod, als Cherubino in ›Figaros Hochzeit‹ und pries ihre Gestaltung von Partien in Opern von Meyerbeer. Auch als Konzertsopranistin genoss sie höchstes Ansehen.«


    Natürlich wurde in diesem Leben nicht nur gesungen, die Sängerin hatte schließlich auch ein Privatleben, das durchaus von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde und bereits oben Erwähnung fand.
    Seit 1865 war sie mit dem preußischen Leutnant Adolf Baron von Rhaden verheiratet; aus dieser Verbindung wurde Tochter Marie geboren; diese Ehe wurde geschieden.


    Das ›Wiener Salonblatt‹ schilderte seinen Lesern im März 1876 die Geschehnisse so:


    »Mißhelligkeiten vertrieben sie aus Berlin, ihrer zweiten Heimath, sie zog hinaus aufs Weltmeer und entzückte in Amerika die sonst so kaltblütigen Yankee´s! In New=York schloß sie auch ihre zweite Ehe mit dem ebenso liebenswürdigen als hochgeachteten Baron Emil von Wallhofen, einem der tapfersten peußischen Gardeoffiziere, der ihr über den Ocean gefolgt war. Bekanntlich wurde derselbe im deutsch=französischen Kriege erheblich verwundet.«


    Aus Baronin Rhaden war nun durch ihre zweite Eheschließung am 24. März 1874 Baronin von Wallhofen geworden. Am 14. September 1874 erwarben die Neuvermählten das Gut Goldenberg in der Nähe von Zürich, einen schön gelegenen Landsitz mit weitreichenden Rebbergen. Nach Darstellung einer Heimatzeitung soll auch Reichskanzler Otto von Bismarck dort zu Besuch gewesen sein, der allerdings mit dem ›Schwyzerdütsch‹ einige Schwierigkeiten hatte. Solange die Sängerin auf dem Goldenberg war, kamen jeden Herbst Zigeuner, denen erlaubt wurde, ihre Wagen im nahen Wald aufzustellen. Abends spielten sie im »Rössli« Feldbach und in alten Rapperswiler Wirtschaften auf ihren Geigen. Aber die große Lucca soll auch im Rahmen eines Wohltätigkeitskonzertes in der Kirche von Hombrechtikon gesungen haben. Leider währte diese Idylle nicht sehr lange, weil hier eine neue Bahnlinie entstand, die als landschaftszerstörend empfunden wurde.


    In den folgenden Jahren - es muss so um 1888 gewesen sein - ließ sich Baronin von Wallhofen für einige Zeit im Salzkammergut nieder. Zwischen Gmunden und Altmünster ließ sie auf einer Anhöhe im Stil der Neu-Renaissance eine Villa mit dem Namen »Fernblick« erbauen und 1892 fügte der renommierten Architekten Carl von Hasenauer ein Haustheater hinzu, das mit allen Möglichkeiten der Akustik ausgestattet war.
    Den hier gebotenen Aufführungen des ›Lucca-Theater‹ wohnten zahlreiche Prominente bei, die in der Sommerfrische des Salzkammergutes weilten.


    In der Pernauischen Zeitung (Estland) erschien am 22. Februar 1908 unter der Rubrik »Mannigfaltiges« ein Beitrag zum Ableben der Sängerin Pauline Lucca; das ist verwunderlich, weil der Todestag in Nachschlagewerken mit dem 28. Februar 1908 angegeben wird. Dessen ungeachtet sei der in Frakturschrift gesetzte Zeitungsbeitrag hier in modernen Schrifttypen abgetippt und eingefügt:


    »In Wien ist am vorigen Montag Pauline Lucca gestorben. Überrascht hat ihr Tod nicht, denn sie war seit mehreren Jahren schwer leidend und von ihren Ärzten aufgegeben. Sie ist am Darmkrebs gestorben, der nicht mehr operabel war. Nur elf Jahre, von ihrem zwanzigsten bis zum 31. Lebensjahr, hat sie der Berliner Oper angehört. Sie war der glänzendste Stern an unserem musikalischen Himmel, in Stimme und Spiel unerreichbar; freilich launisch in ihrem Wesen, die echte, rechte Primadonna, kein Kapellmeister konnte mit ihr auskommen, den Kolleginnen war sie unbequem, aber das Publikum jauchzte ihr zu, ihre Pamina, Zerline, Valentine, Leonore, Afrikanerin, Carmen - in dieser Rolle ist sie auch in Riga im Jahre1884 aufgetreten - und in so vielen unvergeßlichen Rollen. Vielen wurde das Theater verleidet, als sie im Jahre 1872 kontraktbrüchig wurde und Berlin verließ. Berlin war ihr ›über‹, sie zog auf ein paar Jahre nach Amerika, kehrte dann in ihre Vaterstadt Wien zurück. Dort hat sie dann viele Jahre an der Hofoper gewirkt. Dazwischen ist sie auch als Gast in Berlin gewesen. Man hatte ihr den Kontraktbruch vergeben und vergessen.
    Pauline Lucca war zweimal verheiratet: in erster Ehe mit dem Baron v. Rahden, einem preußischen Offizier, der anno 70 schwer verwundet wurde. Sie ließ sich aber, wie die Fama berichtete, als er ihr Geld vertan hatte, von ihm scheiden und heiratete den Major Freiherrn v. Wallhöfer, mit dem sie in glücklicher Ehe gelebt und den sie, als er 1889 starb, tiefbetrauert hat. Sie hat seitdem keinen Ton gesungen. Mit ihrem Manne begrub sie ihre Kunst.«


    Was bleibt von einstigem Ruhm? Die Betrachtungen lassen sich abrunden, wenn man die bereits oben erwähnte Mathilde Mallinger mit ins Boot holt. Diese war etwas jünger als Pauline Lucca. Mallinger von Richard Wagner entdeckt und Lucca von Giacomo Meyerbeer gefördert; so trafen diese beiden Prachtstimmen an der Berliner Hofoper aufeinander.
    Das Grab von Pauline Lucca findet man auf dem Stadtpfarrfriedhof St. Stephan in Baden, etwa eine halbe Autostunde von Wien entfernt; ein verrostetes Gitter und ein Stein ohne Namensnennung, aber das Grab hat Bestand auf Friedhofsdauer ...

    Beim Grab von Mathilde Mallinger ist mit etwas Mühe noch die Inschrift auf der Säule zu entziffern; aber wer sich an dieser Säule befindet, steht nicht am Grab der Sängerin; unkultivierte Menschen haben nach 1961 neben anderen auch das Grab der Hofopernsängerin am Alten Domfriedhof der St.-Hedwigs-Gemeinde an der Liesenstraße in Berlin zerstört, aber irgendwo in der Nähe war es einmal ...


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    Das Grab von Mathilde Mallinger 1848-1920


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    Das Grab von Pauline Lucca 1841-1908


    Praktischer Hinweis zum Lucca-Grab:
    Stadtpfarrfriedhof St. Stephan in 2500 Baden, Friedhofstraße 1
    Es bedarf wenig Zeitaufwand das Grab vom Haupteingang aus zu erreichen, man wendet sich nach rechts und findet es im Gräberfeld 6.


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    DerFriedhof in Baden bei Wien befindet sich in unmittelbarer Nähe dieses Turms.


  • Lieber hart


    Eine Perle im Tamino-Klassikforum ist dieser Thread, den du mit grösster Sorgfalt und mit viel Recherchierabeit betreust. Der Informationsgehalt über die Lebensleistung der Verstorbenen ist sehr hoch. Jedes Grab wurde von dir aufgesucht, fotografiert und der Weg dorthin beschrieben. Die Künstlerpersönlichkeiten werden durch deinen Einsatz geehrt und dem Vergessen entrissen.


    Es muss dir grosser Dank ausgesprochen werden. Dein Engagement finde ich nicht selbstverständlich.


    Es grüsst dich herzlich


    moderato

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Klara Metzger-Vespermann - *13. April 1799 Au bei München - † 6. März 1827


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    Zum heutigen Todestag von Klara Metzger-Vespermann


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    Im Abendlicht ändert der Stein innerhalb weniger Minuten seine Farbe


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    Die Lebensdaten wurden von der Grabsteininschrift übernommen; in der Literatur findet man auch ›Clara Mezger‹, das Geburtsjahr 1800 und den Sterbetag 5. März. Zu Lebzeiten der Sängerin war Au noch eine selbständige Gemeinde, die Eingemeindung nach München erfolgte 1854. Damals wie heute liegt Au am östlichen Ufer der Isar. Die Annalen sagen, dass dort vornehmlich ärmere Bevölkerungsschichten zu Hause waren.


    Der zu seiner Zeit sehr bekannte Komponist Peter von Winter (1754-1825) war der Entdecker von Klara Metzger, die eben jener ärmeren Bevölkerungsschicht in Au entstammte. Winter war seinem Kurfürsten von Mannheim - wo Peter geboren wurde und bereits als Zehnjähriger in der Hofkapelle als Geiger mitwirkte - nach München gefolgt und dort auf der Karriereleiter nach oben gekommen. 1778 wurde er in München Orchesterdirektor und erhielt durch ein kurfürstliches Stipendium 1780/82 Gelegenheit mit dem Klarinettisten Franz Tausch nach Wien zu reisen, um bei Antonio Salieri zu studieren; nebenbei sei erwähnt, dass die beiden dort auch mit Mozart zusammentrafen. Die Studien trugen offenbar Früchte, denn 1787 wurde Winter in München Vizekapellmeister und 1798 Hofkapellmeister für die Vokalmusik. Anlässlich seines fünfzigjährigen Jubiläums als Hofmusiker wurde er mit dem Bayrischen Verdienstorden ausgezeichnet und sogar in den persönlichen Adelsstand erhoben; neben anderen Musikstücken hat Winter mehr als vierzig Opern geschrieben.
    Als Musikpädagoge erwarb sich Winter mit seinem gedruckten Werk »Vollständige Singschule«, die 1825 herausgegeben wurde, große Verdienste.


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    »Klara Metzger-Vespermann wurde von Peter von Winter als Straßensängerin entdeckt«, heißt es in einer Publikation; das Mädchen soll in Straßenkneipen gesungen haben und mit einem blinden Geiger durch die Gegend gezogen sein; wie das genau war, lässt sich seriös nicht sagen, es ist schon zu lange her...
    Das Große Sängerlexikon führt aus: »Der damals berühmte Dirigent und Opernkomponist Peter von Winter übernahm die Ausbildung ihrer Stimme und nahm sie schließlich als Pflegetochter in seine Familie auf.«


    1816 hatte Klara Metzger ihr Debüt in der Oper »Zaira«, einem Werk ihres Pflegevaters; es soll ein aufsehenerregender Erfolg an der Hofoper München gewesen sein; es handelte sich dabei um die deutsche Erstaufführung; »Zaira« war bereits 1805 in London uraufgeführt worden.
    Kein Münchner Kapellmeister machte vom Urlaubsrecht so oft Gebrauch als Winter; seine Kunstreisen gingen über halb Europa: Wiederholt nach Wien, wo er Salieris Unterweisung in der dramatischen Gesangskomposition genoss; nach Neapel, Venedig, 1817 nach Mailand und Pisa - 1802 und später nach Berlin, London und Paris. Sein bekanntestes Werk, »Das unterbrochene Opferfest«, wurde erstmals 1796 in Wien aufgeführt und am 19. August 1798 dann auch in München.
    Ausgedehnte Gastspielreisen von Klara Metzger brachten ihr an Musikmetropolen wie Berlin, Leipzig, Dresden und Mailand triumphale Erfolge ein. Am 5. April 1822 sang sie in der Münchner Erstaufführung von Webers »Freischütz« die Partie der Agathe, wobei der Komponist des Stückes die sängerische Leistung als »einzig und unerreichbar« bezeichnete.


    Das Große Sängerlexikon objektiviert die stimmliche Leistung:»Man bewunderte den enormen Tonumfang ihrer Stimme, der sich über drei Oktaven erstreckte, die souveräne Beherrschung der Koloraturtechnik und die schlichte Natürlichkeit ihres Vortrags.


    Wenn man in die Gehaltslisten der Münchner Hofoper schaut, stellt man fest, dass Klara Vespermann und der 1. Tenor, Franz Xaver Löhle, die beiden Spitzenverdiener des Ensembles waren.


    Im Januar 1823 war aus Klara Metzger Madam Vespermann geworden, sie hatte den um 15 Jahre älteren Schauspieler und Bariton Wilhelm Vespermann geheiratet. Aus dieser Ehe ging die künstlerisch wie literarisch vielseitig begabte Tochter Maria Vespermann hervor, die im Alter von zwölf Jahren schon in Konzerten öffentlich auftrat.


    Als Klara Metzger-Vespermann im jungen Alter von nur 28 Jahren starb war die Trauer groß und der damals bekannte Dichter Eduard von Schenk, der zu seiner Zeit seltsamerweise mit großen Dichtern in einem Atemzug genannt wurde, verfasste die Cantate »Todtenfeyer für Clara Vespermann«, die von Hartmann Struntz in Musik gesetzt und im Königlichen Hoftheater zu München aufgeführt wurde.


    Texte aus »Todtenfeyer für Clara Vespermann«:


    Einst hört´ ich eine Stimme,
    Die dieses Haus durchklang
    Und schmeichelnd zu den Herzen
    Entzückter Hörer drang.


    Die Stimme klang so lieblich
    Aus eines Mädchens Brust,
    Sie klang so voll und kräftig
    Und weckte Muth und Lust.


    Und seitdem hat die Stimme
    Bis an das Meer getönt;
    Das Mädchen wird mit Lorbeern,
    Mit frohem Dank gekrönt.


    Und dieser Stimme Zauber
    Bleibt unser Eigenthum;
    Sie ward bey uns geboren,
    Ihr Ruhm ist unser Ruhm!


    »Anmerkungen


    Der Verfasser dieser Cantate hatte dieselbe bereits im Frühling dieses Jahres auf Ersuchen der musikalischen Akademie in München, - welche durch deren Aufführung das Andenken an eine der ersten musikalischen Künstlerinnen Europa´s feyern und zugleich den Bewohnern ihrer Vaterstadt die Veranlassung zu einem gemeinsamen Beytrage für ein ihr zu stiftendes Denkmal geben wollte, - in wenigen Stunden entworfen. Damals waren alle Gemüther von dem unerwarteten Tode dieser herrlichen, vielleicht nie ganz zu ersetzenden Sängerin, - welche durch die vollendetste Kunstbildung nicht bloß die eigentlichen Kenner, sondern durch die Macht und Schönheit ihrer Stimme auch das gesammte Volk seit einer Reihe von Jahren zu Bewunderung und Entzücken hingerissen hatte, - noch auf das tiefste ergriffen, allein dieser Eindruck ist auch jetzt nicht erloschen und wird nie ganz verschwinden, solange noch Menschen leben werden, die sie gehört haben.


    Zum Verständnisse einiger Stellen des Gedichtes für auswärtige Leser sind folgende Anmerkungen erforderlich und hinreichend:


    Clara Mezger ward im Jahr 1800 in der Vorstadt Au bey München geboren; sie erregte schon in zarter Jugend durch die Schönheit ihrer Stimme die Aufmerksamkeit des königlich bayerischen Kapellmeisters Ritter v. Winter, erhielt in der Schule dieses Meisters ihre musikalische Bildung, betrat am 3. May 1816 als Myrrha im Opferfeste zum erstenmale die Bühne, ging dann in Begleitung ihres Lehrers nach Italien, wurde im Jahr 1817 als königliche- Hof- und Kammersängerin angestellt, verehelichte sich später mit dem Hofschauspieler Wilhelm Vespermann, machte mehrere Kunstreisen nach Wien, Dresden, Leipzig, Berlin, Hamburg, Hannover und Stuttgart und starb am 5. März 1827 in der Blüthe ihrer Jahre und ihres Ruhmes, nachdem sie im Jänner des nämlichen Jahres zum letztenmale als Röschen in Spohr´s Faust aufgetreten war.«


    In der Darstellung des Eduard von Schenk, die als Sonderdruck erschien, sind zwar einige Daten mit dem vorigen Text nicht ganz im Einklang, aber es ist ein historisches Dokument, das lediglich von der damals üblichen Frakturschrift in eine zeitgemäße Schrifttype übertragen wurde.


    Wilhelm Vespermann heiratete nach dem Tod seiner Frau Klara noch einmal - und zwar das Ensemblemitglied Katharina Sigl, eine Mezzosopranistin, die mit Klara Vespermann oft auf der Bühne gesungen hatte.


    Die Grabstätte von Peter Winter befindet sich auf dem gleichen Friedhof, unweit des Grabes seiner Pflegetochter - an der Mauer beim Gräberfeld 18.


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    Praktischer Hinweis:
    Das Grab von Klara Metzger-Vespermann befindet sich auf dem Alten Südlichen Friedhof im Gräberfeld 18.
    Thalkirchner Straße 17, 80337 München. Besonders leicht findet man das Grab, wenn man den Seiteneingang an der Thalkirchner Straße benutzt - gegenüber dem Krankenhaus

  • Franz Abt - * 22. Dezember 1819 Eilenburg - † 31. März 1885 Wiesbaden


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    Zum heutigen Todestag von Franz Abt


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    Wer heute vor diesem von Hermann Schieß geschaffenen Grabdenkmal - Höhe 3,50 Meter - auf dem Wiesbadner Nordfriedhof steht kann ahnen, dass der Porträtierte einst eine bedeutende Persönlichkeit war, der in dieser Weise gehuldigt wurde. Chronisten berichten, dass sich am Karfreitag des Jahres 1885 ein langer Trauerzug von Abts Wohnung in der Taunusstraße zum Wiesbadner Nordfriedhof bewegte, wobei alle Laternen entlang des Weges angezündet und mit schwarzem Stoff bespannt waren.
    Die Inschrift des Grabdenkmals lautet:
    GEWIDMET VON DEUTSCHEN GESANGVEREINEN
    Gesangvereine waren im 19. Jahrhundert wie Pilze aus dem Boden geschossen und transportierten auch politische Botschaften; als besonderes Beispiel kann die Sängerbewegung in der Schweiz gelten. Wer war also dieser Franz Abt?


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    Historische Fotos - digitalisiert von Ulrich Henke


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    Der Zahn der Zeit ist deutlich sichtbar - Aufnahmen von 2023


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    Franz Abt wurde als Sohn eines musikalischen Predigers in Eilenburg, einem Ort der 25 Kilometer von Leipzig entfernt liegt, geboren. Er besuchte die Thomasschule in Leipzig und studierte anschließend Theologie und leitete damals den Studentengesangverein.
    Als sein Vater 1838 starb, musste er das Studium aufgeben und nun für den Lebensunterhalt sorgen. Zunächst leitete er mehrere Musikvereine und gab Klavierunterricht.
    Bereits während seiner Studienzeit hatte er sich mit ersten Kompositionen versucht und wandte sich nun ganz der Musik zu. 1841 wurde Franz Abt Kapellmeister am Hoftheater in Bernburg an der Saale, wo es ihn allerdings nicht lange hielt, denn schon im Herbst des gleichen Jahres wurde der 22-Jährige als Kapellmeister ans Stadttheater Zürich geholt, wo die geistreiche Charlotte Birch-Pfeiffer Direktorin war.
    Franz Abt war jedoch kein Theatermann; bald wandte er sich seiner eigentlichen Passion zu und wurde zum ›Sängervater‹; die Pflege des Volksliedes war sein eigentliches Metier; er stand in der unmittelbaren Nachfolge von Egli und Nägeli.
    Das musikalische Wirken hatte zu Abts Schweizer Zeit auch politische Komponenten, es war die Zeit der Freischarenzüge, des Sonderbundskrieges und des Kampfes um die neue Bundesverfassung. In einer Schweizer Publikation heißt es: »Nicht zuletzt waren es die Sänger, die an der Neugestaltung unseres Vaterlandes regen Anteil nahmen.«


    Franz Abt leitete in Zürich den Männerchor »Harmonie«, den gemischten Chor »Cäcilienverein«, den Stadtsängerverein, den aus 24 Vereinen bestehenden Züricher Seeverein, den Limmattalverein, dazu das Orchester der Musikgesellschaft Zürich.
    Im Jahre 1848 gab er anlässlich der Einweihung des Nägeli-Denkmals ein großes Konzert mit den vereinigten Zürcher Chören. Zur 500-Jahrfeier des Eintrittes von Zürich in den Schweizerbund schrieb er drei Lieder. Franz Abt stand im Mittelpunkt des Zürcher Musiklebens und hatte am 14. Mai 1842 sein wohl bekanntestes Lied »Wenn die Schwalben heimwärts zieh´n« für die Sängerin Agathe Reuß komponiert.


    Im Mai 1849 kommt auch der Revolutionär, Komponist und Kapellmeister Richard Wagner nach Zürich; die beiden arbeiten zusammen - na, ja, ein richtiges Zusammenarbeiten war das nicht; Wagner hatte bereits »Rienzi«, »Holländer«, »Tannhäuser« und »Lohengrin« komponiert und Franz Abt sehr weit verbreitete Volkslieder, da waren eigentlich keine Berührungspunkte. Wenn Wagner dirigierte war da echt was los, wogegen man die Aussage findet, dass das Dirigieren von Sinfonien für Abt ein Buch mit sieben Siegeln gewesen sei und er nicht verstanden habe das Orchester zu motivieren und das Publikum zu begeistern.
    Als die Sängerin Bertha Roner-Lipka 1852 nach Zürich gekommen war beschrieb sie die Situation so, dass Franz Abt gerade »fluchtartig« und bitter gekränkt nach Braunschweig gegangen war.


    Franz Abt war der Meister des volkstümlichen Liedes; er schrieb mehr als 3000 Werke für Gesangsensembles, besonders für Männerchöre, aber auch Lieder für Solostimmen.


    Ab Oktober 1852 war Franz Abt nun in Braunschweig tätig, wo er zunächst als 2. und in den Jahren 1855 bis 1882 als 1. Hofkapellmeister wirkte. Aber auch hier war ihm der Chorgesang ein besonderes Anliegen. Bei Konzertreisen betätigte er sich als Generalkonzertmeister, wobei ihn diese Reisen nicht nur nach Paris, London, Riga St. Petersburg und Moskau führten;1872 kam es sogar zu einer Konzertreise nach Nordamerika wo New York, Philadelphia, Baltimore, Washington, Sant Louis und andere Städte besucht wurden; diese Reise soll auch ein finanzieller Erfolg gewesen sein.
    Nach seinem 60. Lebensjahr war Franz Abt durch ein Herzleiden gezwungen in den Ruhestand zu gehen. Nach seiner Pensionierung lebte Franz Abt in Wiesbaden, wo auch eine Straße nach ihm benannt ist.


    Praktischer Hinweis:
    Nordfriedhof 65193 Wiesbaden, Hellkundweg 83 - Das Grab befindet sich in der Nähe der Trauerhalle im Grabfeld 14. Wenn man den Parkplatz an der Platter Straße benutzt ist der Weg um etwa die Hälfte kürzer als vom Haupteingang aus.


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    Der Eingang an der Platter Straße - man geht direkt auf die Trauerhalle zu und wendet sich dann wenige Schritte nach rechts.


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    Die Grabfeldbezeichnung

  • Oskar Czerwenka - * 5. Juli 1924 Vöcklabruck - † 1. Juni 2000 Vöcklabruck


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    Zum heutigen Todestag von Oskar Czerwenka

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    Die farbigen Lichtreflexe wirken wie ein Zitat seiner Malerei.


    Oskar Czerwenka hat hörbare Spuren auf Tonträgern hinterlassen, aber auch sichtbare Spuren in seiner oberösterreichischen Heimatstadt Vöcklabruck, denn die Gemeinde hat die Villa Czerwenka samt Park angekauft, mit einem modernen Zubau erweitert und zur Landesmusikschule umgebaut. Die Spuren seiner Malerei sind zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung heute eher spärlich.


    Den Grundstein zu Wohlstand und Ansehen legte der sehr dominante Vater, »ein Arbeitstier«, wie es der Sohn formuliert; war Ehrenbürger der Stadt und hatte in Vöcklabruck einiges bewegt. Oskar hatte noch drei Geschwister, wobei seine Schwester Steffi den jungen Mann am Klavier begleitete, denn sie hatte bei ihrem Bruder die Liebe zum Schubert-Lied geweckt. Ansonsten wurde das künstlerische Tun der beiden in der Familie eher belächelt als ernst genommen, wenn man mal vom hochintelligenten Onkel, dem Bruder der Mutter, absieht, der ein dankbarer Zuhörer war.
    Von Czerwenkas Mutter gibt es eine wahre Anekdote - als fünfjähriges Mädchen sah sie Anton Bruckner vor der Kirche stehen, der seinen Hut so in der Hand hielt, dass die Kleine ihn für einen Bettler hielt und ein Dreikreuzerstück in den Hut warf, das eigentlich für den Opferstock gedacht war.


    Der Vater war kurz vor der Jahrhundertwende nach Vöcklabruck gekommen und hatte dort eine Einheimische geheiratet. Die ganze Familie galt als einheimisch und Oskar Czerwenka wurde erst als 27-Jähriger darauf aufmerksam gemacht, dass er seinen Namen auf der ersten Silbe zu betonen hätte.
    Nachdem das Gmundner Gymnasium 1943 mit der Matura absolviert war, kam Oskar Czerwenka dann zur Hochschule für Welthandel nach Wien, das hatte zwar mit seiner Doppelbegabung als Maler und Sänger nichts zu tun, aber es war eine Zeit, in der die Väter noch das Sagen hatten und zu wissen glaubten, was das Beste für die Kinder sei, an Widerreden oder an ein Musikstudium war nicht gedacht.
    Zu Wien hatte der junge Mann zunächst ein zwiespältiges Verhältnis; einerseits waren da so eine Art Minderwertigkeitskomplexe, weil er aus Vöcklabruck kam, andererseits fühlte er sich von dem vielfältigen Angebot der Kunst angezogen. Wie bereits gesagt, war an ein Musikstudium in keiner Weise gedacht; aber es gab natürlich musikalische Studien dergestalt, dass das gesamte frei verfügbare Geld für Opern- und Konzertkarten ausgegeben wurde.
    Von zu Hause aus wurde der Student finanziell - also was Bares angeht - kurz gehalten, wenngleich für Kost und Logis bestens gesorgt war. Die Eltern hatten einen sehr guten Kontakt zum Hotelier des Grand Hotels, wo der Welthandelsstudent unterm Dachstuhl wohnte.


    Die Lebensverhältnisse waren durch die Kriegsereignisse längst nicht mehr normal; als er nach einem Besuch von zu Hause nach Wien zurück kam, war das Grand Hotel von Militär besetzt und auch das angestammte Personal verschwunden, er selbst war froh einer Nachmusterung entgangen zu sein. In seiner neuen Wiener Unterkunft entging er dem Tod, weil die Studien unterbrochen waren und er während des Angriffs auf Wien in Vöcklabruck weilte; alle Bewohner des Hauses in Wien waren tot. Trotz der wirren Zustände des Kriegsendes wurde das Musizieren mit seiner Schwester Steffi immer und immer wieder fortgesetzt.
    Während über lange Zeit nur Lieder einstudiert wurden - nach Schubert, Wolf und Schumann wagte man sich sogar langsam an Brahms heran und man wagte sogar Mendelssohn zu spielen, weil man wusste, das den in Vöcklabruck keiner kennt ...
    Es kamen dann Arien hinzu ›sie hat mich nie geliebt ...‹ und aus einem Klavierauszug vom »Rosenkavalier«, der ausgeborgt war, wurden Noten abgeschrieben.


    Wegen des Vaters konnte er sein Welthandelsstudium nicht ganz aufgeben, aber seine Gedanken waren schon sehr auf Gesang ausgerichtet. Da war der Gesangspädagoge Professor Otto Iro in Weyregg, also nicht so weit von Vöcklabruck entfernt, und wenn Czerwenka in Wien war, hatte er Kontakt zu Größen wie Kerstin Thorburg, Torsten Ralf und Hans Hotter. Die ›Großen‹ tauchten in der Hungerzeit auch im Salzkammergut auf und waren an so unterschiedlichen Gütern wie Butter und Notenblättern interessiert.
    Der junge Czerwenka hatte schon in Wien eine umfangreiche Bibliothek an Klavierauszügen zusammengetragen und Max Lorenz war einer der dankbaren Abnehmer und nahm auch noch etwas für die Kollegin Schwarzkopf mit.


    Im Herbst 1947 - er war 23 Jahre alt - strebte er ernsthaft die Sängerlaufbahn an, die allgemein noch ungeordneten Verhältnisse der Nachkriegszeit erleichterten den Wechsel von der Wirtschaft zur Kunst, denn natürlich waren Hamstertouren wichtiger als Wirtschaftsstudien.
    Bei Ernst Märzendorfer in Graz lernte er erst mal richtig Noten lesen, da war er in allerbesten Händen. Nach dem 5. Semester Wirtschaftsstudium war ihm klar, dass aus ihm kein Diplom-Kaufmann, sondern ein Sänger wird. Er fuhr nach Hause und stellte unmissverständlich klar: »Ich bin jetzt Opernsänger«, nicht etwa, ich werde Opernsänger, offenbar hatte er das Selbstbewusstsein vom Vater geerbt.
    Unter dem Dirigat von Märzendorfer debütierte Czerwenka 1947 am Opernhaus in Graz im »Freischütz« als Eremit.
    In diesen Zeiten war einiges möglich - mit 23 Jahren stand er zusammen mit Max Lorenz in »Tannhäuser« als Landgraf auf der Bühne und mit 26 gab er den König Marke in »Tristan und Isolde«. Das war ein Einspringen an der Wiener Staatsoper - damals Theater an der Wien -, welches ihn 1951 ins Ensemble des renommierten Hauses brachte und es war ein besonderer Glücksfall, dass er sich mit Direktor Franz Salmhofer bestens verstand, der gab ihm glänzende Rollen, und im Rückblick sagte Czerwenka: »ich verdanke ihm alles!«

    Eigentlich hatte sich Czerwenka eher eine Karriere als Liedersänger erträumt, weil Lieder beim Musizieren mit seiner Schwester einen breiten Raum eingenommen hatten. Natürlich gab es Liederabende mit ihm, aber in der Gesamtschau seiner Tätigkeit war es wenig.
    Immerhin kam es in den 1950er Jahren schon zu Rundfunkaufnahmen mit »Vier ernste Gesänge« und »Die schöne Magelone« von Brahms.


    Da war kein allmähliches Hocharbeiten. Im Herbst1951 wurde er Mitglied der Wiener Staatsoper und blieb deren Mitglied bis 1986. Nur das erste halbe Jahr war nicht ganz optimal gelaufen, danach war seine Flexibilität sehr gefragt, denn er war brauchbar, wenn von mittags bis abends Rollen wie Leporello, Rocco oder Daland kurzfristig zu übernehmen waren. Das Archiv der WSO hat mehr als tausend Abende dokumentiert. Seine Paraderollen waren: Don Bartolo, Basilio, Kezal, Osmin und natürlich der Baron Ochs von Lerchenau. Seit 1952 trat er bei den Salzburger Festspielen auf, ebenso bei den Festspielen in Edinburgh und 1959-60 sang er beim Glyndebourne-Festival den Ochs auf Lerchenau und 1963 in Bregenz.


    1959 kam dann die Berufung an die Metropolitan Opera New York, wo Czerwenka im »Rosenkavalier« und »Fidelio« auftrat. Karl Böhm dirigierte und die Sängerkollegen waren: Birgit Nilsson, Jon Vickers, Hermann Uhde und Giorgio Tozzi.


    Aber auch in zeitgenössischen Opernwerken war Czerwenka präsent, zum Beispiel sang er 1953 in der Uraufführung von »Der Prozess«, einer Oper von Gottfried von Einem, 1955 in »Irische Legende« von Werner Egk und 1969 sehr erfolgreich in Giselher Klebes »Jacobowsky und der Oberst«. Pauschalierend kann man von einer regen Gastspieltätigkeit im europäischen Raum sprechen; auch seine Tätigkeit als Konzert- und Oratoriensänger ist beachtlich.


    1973 blättert Oskar Czerwenka ein neues Kapitel seiner Bühnentätigkeit auf; da wo er nicht fremd war, in Graz, wurde 1973 das Musical »Anatevka« (Fiddler on the Roof) aufgeführt.
    Die Rolle des Milchmann Tevje scheint Czerwenka auf den Leib geschneidert zu sein; hier konnte er all seine Fähigkeiten einsetzen: stete Bühnenpräsenz und Einheit von Gesang und Darstellung.


    Ein Seitenblick auf sein malerisches Talent zeigt, dass er - wohl angespornt durch seinen Zeichenprofessor am Gymnasium - sich als Pubertierender mächtig zur Malerei hingezogen fühlte, wobei er zunächst nicht an Farbe dachte, das kam bei ihm erst später, als er nach dem Krieg Zugang zur Weltkunst hatte.
    Kleine Sachen und Aquarelle waren seine Sache nicht, nach eigener Aussage hatte er dafür zu schwere Hände. Seine bevorzugte Bildgröße war 60 x 90 Zentimeter; seine Vorbilder Serge Poliakoff und Niclas de Staël.
    Natürlich hatte er darunter zu leiden, dass ein malender Sänger nicht so ganz ernst genommen wird; er wollte kein Sonntagsmaler sein und malte nicht der Entspannung wegen, was er deutlich betonte. Es ergab sich in seiner zweiten Lebenshälfte so, dass in dem Maße der etwas geringeren Nachfrage als Sänger die Beschäftigung mit der Malerei stieg. Wenn ein Bild nicht schnell genug das Atelier verließ, erlitt es oft das Schicksal übermalt zu werden.


    Eine weitere Beschäftigung hatte Czerwenka im Schreiben gefunden, wobei in seinen Publikationen weder die Musik noch die Malerei die Hauptrolle spielten; da wird viel Persönliches preisgegeben und das Weltbild kommentiert. So hat er an seinen Sängerkollegen Gottlob Frick einen Brief geschrieben, der natürlich nie abgeschickt wurde und deshalb auch nie in Ölbronn ankam.
    ›Ungebetene Briefe‹ sind das, die Czerwenka in Buchform veröffentlichte, der Brief an Gottlob Frick nimmt immerhin 66 Buchseiten in Anspruch.


    Oskar Czerwenka hatte seine bedeutend jüngere Frau - Bernadette Grabowsky - im Sommer 1959 bei den Salzburger Festspielen kennengelernt, wo sie zusammen bei Aufführungen von Joseph Haydns Oper »Die Welt auf dem Monde« auf der Bühne standen; Bernadette Czerwenka überlebte ihren Mann nur etwas mehr als ein Jahr.


    Beim Betrachten von Tonträgern kann man einen kleinen Einblick in die Malkunst von Oskar Czerwenka bekommen; das bunte Cover ist ein Ölbild mit dem Titel ›Weingärten bei Enzensfeld‹ und die unbunte Gestaltung erinnert an die Wallfahrtskirche.




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    Praktische Hinweise:

    Friedhof an der Wallfahrtskirche Maria Schöndorf, Friedhofstraße, 4840 Vöcklabruck

    Das Grab befindet sich unmittelbar beim Friedhofseingang

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  • Eduard Erdmann - * 18. März 1896 Wenden (Baltikum) - † 21. Juni 1958 Hamburg


    In Nachschlagewerken wird als Geburtstag der 5. und 17. März angegeben, was aus der Diskrepanz von julianischem und gregorianischen Kalender resultiert; da sich aber im Jahr 1900 die Differenz zwischen den beiden Kalendern um einen Tag erhöhte, feierte Erdmann in Deutschland seinen Geburtstag am 18. März.


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    Zum heutigen Todestag von Eduard Erdmann


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    Das heutige Lettland hieß bei Eduards Geburt noch Livland und man nannte die Geburtsstadt Venden, was dem heutigen Cēsis im Norden von Lettland entspricht, eine der schönsten Städte im Land. Das Kind wurde in eine »sehr gediegene Professorenfamilie« - wie er das später formulierte - hineingeboren; der Vater war ein promovierter Rechtsanwalt und Notar und Onkel sowie Großvater waren ebenfalls Professoren, sein Großonkel war ein bedeutender Philosoph; Eduard Erdmann bezeichnete man später einmal als ›Philosoph des Klaviers‹


    Man darf vermuten, dass der kleine Eduard besonders verwöhnt wurde, denn er war in der vierköpfigen Kinderschar der Nachzügler, drei Brüder sind - 1882 / 1885 / 1888 - vor ihm zur Welt gekommen. Wilma Erdmann, die Mutter, veranstaltete Hauskonzerte und galt als passionierte Sängerin. In der Rückschau hielt Erdmann einmal fest, dass man zwischen dem dritten und vierten Lebensjahr auf seine Begabung aufmerksam geworden sei.
    Im noch kindlichen Alter tat er es den ganz Großen gleich und versah seine Schöpfungen mit ›Sonate‹ oder ›Konzert‹ und mit 16 gab es schon so eine Art Autobiografie mit dem Titel: »Meine musikalische Laufbahn bis jetzt«.


    Seine musikalische Laufbahn begann im Herbst 1901, da bekam der Fünfjährige Klavierstunden bei einer Frau Schmidt; als Familie Erdmann im Frühjahr 1902 nach Riga zog, wurde der Junge ab Herbst von einem Fräulein Stoll unterrichtet, die immerhin Schülerin des Pianisten und Pädagogen Bror Möllersten war, der dort einen gewissen Bekanntheitsgrad hatte. Ab 1903 besuchte Eduard ein russisches Privatgymnasium. Die politische Situation war damals so, dass in den baltischen Ostprovinzen die verbrieften Rechte der deutschen Bevölkerungsgruppe, zu denen auch der Besuch deutscher Schulen gehörte, durch den russischen Gouverneur eingeschränkt und eine Russifizierung im Sinne von Zar Alexander III. betrieben wurde, was für Eduard Erdmann bedeutete, dass er sein Abitur schließlich in 14 Fächern in russischer Sprache ablegen musste.


    In der Familie Erdmann wuchs man zweisprachig auf; in der Familie sprach man Deutsch und mit dem Hauspersonal Lettisch, nun kam in der Schule noch Russisch und Französisch hinzu und natürlich auch Latein und Griechisch.
    Die Familie Erdmann wird als reiselustig beschrieben, sodass der Junge viele Städte in Russland und Deutschland kennen lernte, aber auch in die Schweiz, nach Italien, Frankreich, Spanien, ja sogar nach Tunesien kam, was in dieser Zeit ja nicht selbstverständlich war.


    Das musikalische Zentrum Rigas war die 1885 gegründete ›Schule der Tonkunst‹, die ursprünglich das Ziel verfolgt hatte hochbegabte Schüler unentgeltlich bis zur Virtuosität oder Lehrfähigkeit auszubilden. Als Eduard im Herbst 1905 hier eintrat, musste der Unterricht bezahlt werden, was zur Folge hatte, dass die Schüler nun vor allem aus der Oberschicht kamen. Hier genoss Eduard das Privileg von Möllersten unterrichtet zu werden, der sich normalerweis nicht mit Kindern abgab.
    Eduard Erdmann bezeichnete sich selbst als faulen Schüler, der an technischen Übungen und Etüden wenig Freude hatte und sich lieber an schwierigen Stücken die Zähne ausbiss, was immerhin dazu führte, dass der 14-Jährige Schumanns »Aufschwung« aus »Phantasiestücke« öffentlich vortragen konnte.
    Sein können steigerte sich stetig, denn 1911 nahm Eduard Erdmann als jüngster Pianist am allrussischen Klavierwettbewerb teil, wo auch Alexander Glasunow auf den jungen Mann aufmerksam wurde. Wilma Erdmann hatte den Weg geebnet, dass ihr Sohn ab 1910 die Königsberger Meisterkurse von Conrad Ansorge besuchen konnte.
    Als der Vater 1913 gestorben war, sorgte die Mutter weiter für die Entwicklung ihres Sohnes, indem sie arrangierte, dass Eduard 1914 nach Berlin zog, um dort bis 1917 bei Ansorge studieren zu können. Gleichzeitig, beziehungsweise von 1915 bis 1918, hatte Erdmann auch Kompositionsunterricht bei Heinz Tiessen, der ihn mit dem Schaffen Arnold Schönbergs und anderer zeitgenössischer Komponisten bekannt machte.
    Hier kann man auch einfügen, dass sich Eduard Erdmann primär als Komponist sah, aber als Pianist einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde. Unter Tiessens Anleitung erweiterte er auch seine bereits in Riga begonnenen Liedkompositionen. 1916 trug die Sängerin Eva Lissmann bei einem öffentlichen Konzert in Berlin neben Liedern von Schubert und Schumann auch Lieder von Tiessen und Erdmann vor. Von Ernst Krenek weiß man zum Beispiel, dass es, wenn über Musik gesprochen wurde, ausschließlich um Kompositionsprobleme ging und er über viele Jahre hinweg sowohl Erdmann als auch Schnabel als Komponisten sah, die sich ihren Lebensunterhalt durch Klavierspielen erwerben mussten.


    Aber der Komponist verfeinerte trotzdem seine pianistische Technik und erweiterte sein Repertoire, wobei der Schwerpunkt bei der Musik des 20. Jahrhunderts lag. Somit galt Eduard Erdmann damals in Berlin als ›der‹ Pianist, der solche Konzerte bewältigen konnte.
    1919 lernte Erdmann Hermann Scherchen kennen, was nicht verwundert, denn Scherchen war stets der modernen Musik zugetan. Bei von Scherchen veranstalteten Abenden waren Werke Bartóks, Bergs, Busonis und Schönbergs; auch bei der Berliner Erstaufführung von Schrekers Kammersymphonie für 23 Soloinstrumente wirkte Erdmann mit.
    Studiert man die Konzertkritiken dieser Zeit, so reicht die Spanne von totaler Ablehnung bis zu hoher Anerkennung; da ist einerseits von »kindischem Dissonanzgestotter« zu lesen, andererseits aber auch - so das ›Berliner Tageblatt‹ - »Er spielte alles auswendig. Aber mehr: er spielte es inwendig«.


    Ein herausragendes Ereignis war am 9. Mai 1920 die Uraufführung von Erdmanns 1. Symphonie op. 10, die unter Peter Raabe im Rahmen des 50. Tonkünstlerfestes in Weimar stattfand und die Erdmann Alban Berg gewidmet hatte.
    Als 1921 die Donaueschinger Musiktage aus der Taufe gehoben wurden, waren die Initiatoren glücklich, diesen aufstrebenden Komponisten, der als streitbarer Anwalt für die Avantgarde galt, gewinnen zu können, damit man der Veranstaltung ein attraktives Profil geben konnte. In der Anfangszeit hatte der junge Mann aus Berlin zusammen mit dem um einiges älteren Joseph Haas wichtige Entscheidungen zu treffen, die natürlich nicht immer einvernehmlich waren. Als Paul Hindemith in Donaueschingen in Erscheinung trat prägte er diese Veranstaltung immer mehr und Erdmann zog sich zurück.


    Eduard Erdmann hatte neben der Musik auch andere Interessen, wobei ihm sein phänomenales Gedächtnis half unmöglich Scheinendes zu vollbringen. So hatte er nicht nur das Faible, sein Klavierrepertoire nur in ersten Urtextausgaben einzustudieren und diese genau umzusetzen, inklusive aller in der Partitur vorhandenen, über die Noten hinausweisenden Angaben, sondern strebte auch an alle Gesamt- wie Einzelausgaben deutschsprachiger Literatur zu besitzen und gelesen zu haben. Selbst weniger bekannte Autoren konnte Erdmann aus dem Kopf wortgetreu zitieren und Dantes »Divina Commedia« in der Originalsprache auswendig vortragen.
    Seine Wertvolle Bibliothek umfasste immerhin etwa 12.000 Bände, die er alle gelesen haben soll; Ende Mai 1959 wurden große Teile dieser Bibliothek in Hamburg versteigert.


    In Berlin lernte er Irene von Willisch kennen - uralter Adel - mit gleichem Geburtsort und Geburtsjahr; eine weitere Parallele ergab sich, dass auch Irene eine Nachzüglerin in der Familie war, also weit nach einem Bruder und drei Schwestern geboren wurde.
    Hier trafen nun zwei echte ›Wunderkinder‹ aufeinander, die sich absolut nicht mochten.
    Aber die Eltern mochten, dass sich die beiden mochten, vor allem Wilma Erdmann, die mit allen Mitteln versuchte ihren Sohn zu verkuppeln.
    Irene von Willisch hatte am Stern´schen Konservatorium Klavier studiert, war dann dort bald zur Lehrenden geworden. Soll aber auch eine begabte Zeichnerin gewesen sein, wie es heißt, in professioneller Qualität. Irene war in diversen Kunstrichtungen zuhause; sie komponierte, besonders Lieder und schrieb Gedichte und Prosatexte.


    Die Ausgangsposition von ›Näddi‹ - so sein familieninterner Name - war, dass er Irene noch nicht einmal ansehen mochte und Irene dachte: »widerlicher arroganter Kerl!«.
    Aber Mama Wilma blieb an der Sache dran, was Irene später so darstellte: »Ich wurde hartnäckig eingeladen, - ich sagte hartnäckig ab«.
    Schließlich kam es doch zu einer Zusammenkunft, von der berichtet wird, dass sich beide den ganzen Abend zankten. Nach weiteren Abneigungsbekundungen spielte man sich gegenseitig Stücke vor - sie beeindruckte ihn, er beeindruckte sie; schließlich fragte er, ob sie ihm etwas von ihrer Klaviertechnik beibringen könne, die Sache begann beim »Erlkönig«.
    Man jubelte sich gegenseitig hoch und hatte sich schließlich daran gewöhnt, alle zwei Tage beisammen zu sein. Schließlich erschien ›Näddi‹ mit einem Rosestrauß und einem Heft seiner Lieder - Neun Lieder für eine Singstimme - mit der handschriftlichen Widmung:
    »Für Irene von Willisch, meinen besten Lehrmeister!«, datiert mit dem 15. Juli 1918.
    Die Eheschließung folgte am 30. Juni 1919, sie hatten den Jahrestag ihres ersten längeren Beisammenseins als Hochzeitstag gewählt; die Ehe hatte Bestand, bis der Tod sie schied.
    Man mutmaßt, dass sie vielleicht sogar ›fingermechanisch‹ die bessere Pianistin war, aber sie trat hinter der musikalischen Begabung ihres Mannes zurück.
    1921 kam Tochter Jolanthe zur Welt, ihr folgten noch zwei Söhne und eine Tochter. Nachdem die Familie vierköpfig geworden war, kaufte Frau Irene 1923 ein Haus in Langballigau, nahe der dänischen Grenze, das zunächst eher für die Sommermonate gedacht war. In hochinflationärer Zeit war das nur möglich geworden, weil Erdmann in England Musikwalzen bespielen sollte und ein in Dollar auszuzahlendes Honorar erwartet wurde. Als der befreundete Ernst Krenek Langballigau besuchte, hatte der Bergfreund folgenden Eindruck:


    »Das Meer war an der Stelle schmal, denn es bildete eine Art Meeresarm, der nach der langweiligen Provinzstadt an seiner Spitze Flensburger Förde hieß. Die Gegend bestand aus hügeligem Land, das in unzählige quadratische Felder eingeteilt war und von staubigen Nebenstraßen durchquert wurde, die nirgends Ausblicke gewährten, weil sie von hohen und dichten Hecken gesäumt waren. Das Haus war einfach und nicht sehr elegant, aber geräumig und freundlich, auch wenn viele Einrichtungsgegenstände fehlten, weil Erdmann ständig finanzielle Schwierigkeiten hatte.«


    Ja, diese finanziellen Schwierigkeiten - sie resultierten aus der Sammelwut seltener Dinge, die er in Besitz nehmen musste, ansonsten hätten die Honorare seiner vielseitigen Tätigkeiten für einen gehobenen Lebensstil ausgereicht. Apropos Lebensstil - da gibt es einen Brief, der Erdmanns Kleidungsstil moniert: Hemden, welchen die Ärmel fehlen, Hosen, die statt Bügelfalte baumkuchenartige Gestalt zeigen, straßenrestfreie Schuhe sollen auch selten gewesen sein... und noch einiges mehr; auch die Anekdote, dass er mal mit dem Fahrrad - den Frack im Rucksack - gefahren sei, klingt durchaus glaubwürdig.
    Der Dirigent Hans Schmidt-Isserstedt beschrieb Erdmann aus dem Gedächtnis mal so:


    »Eduard Erdmann wird mir unvergesslich bleiben in seiner pittoresken Erscheinung, der mächtigen Gestalt, seinen riesigen und zugleich feinen Händen mit der ewigen Zigarette. Als Mensch und Musiker erscheint er mir als eine der wenigen überragenden Persönlichkeiten der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts.«


    In den Jahren 1925-1935 war Erdmann, nachdem er als Pianist und Komponist erfolgreich war, lehrend in Köln tätig. 1925 erhob das Preußische Kultusministerium das Kölner Konservatorium in den Rang einer Staatlichen Musikhochschule. Die Professorenstelle umfasste 24 Wochenstunden, welche Erdmann mit intensivem Arbeiten erfüllte. Als Lehrender wollte er keine Virtuosen ausbilden, die durch makellose Fingerakrobatik brillieren, sondern Musiker, die das Repertoire durchdringen und verstehen. Seine Forderungen waren hoch - alle Stücke mussten auswendig vorgetragen werden in Kenntnis aller in den Noten vermerkten Anweisungen bezüglich Tempo, Phrasierung, Dynamik sowie sämtlicher anderen Eintragungen.


    Es brachen politisch unruhige Zeiten an, die ab 1933 auch an der Kölner Hochschule zu Veränderungen führten, indem erstklassige Musiker aufgrund ihrer jüdischen Abstammung ihre Stelle verloren. Nach brutalen Vorkommnissen an der Hochschule kündigte Erdmann am 15. Juni 1935 seine Professorenstelle mit der Begründung, dass er sich voll aufs Konzertieren verlegen wolle. Bereits 1933 erkannten die Erdmanns die Zeichen der neuen Zeit, ihnen war klar, dass die ›Neutöner‹ nun schlechte Karten hatten. Also schaffte man Mobiliar an die Flensburger Förde, um den Hauptwohnsitz nach Langballigau zu verlegen, wo man nicht so sehr im Mittelpunkt stand und es auch nicht weit nach Dänemark war; in Köln behielt das Ehepaar nur eine Zweizimmerwohnung.
    Ein Freund der neuen Machthaber konnte Erdmann nicht sein, dennoch ist 1937 sein Parteieintritt dokumentiert, was er 1946 in einem Brief an Walter Braunfels so erklärt:


    »Denn wenn man mir die Ausübung meines Berufes wegen illoyalen Verhaltens zur ›Staatsreligion‹ unmöglich gemacht hätte, so wäre meine Familie verhungert. Selbstverständlich habe ich nie ein Abzeichen getragen und das Wichtigste: ich habe meine Parteizugehörigkeit stets völlig geheimgehalten ...«


    Aber Erdmann hatte es auf die ›Gottbegnadete-Liste‹ geschafft, was bedeutete, dass er nicht kämpfend am Krieg teilnehmen musste; allerdings war er dazu verpflichtet in Programmen von »Kraft durch Freude« mitzuwirken.
    In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass zwischen den Familien Erdmann und Nolde eine enge Freundschaft bestand, aus der sich überraschenderweise eine Verwandtschaft ergab, denn als Emil Noldes Frau gestorben war, verliebte sich der 80-jährige Maler in die 26-jährige Tochter Jolanthe, der ältesten Tochter von Ida und Eduard Erdmann, was 1948 zur Eheschließung führte.

    Ein hochangesehener Parteigenosse war Erdmann nicht; seine Kompositionen fanden keinen Zugang zu Konzertprogrammen mehr, aber als reisender Pianist war er immer noch gefragt, allerdings waren seine Programme nun anders ausgerichtet; Kompositionen lebender Komponisten spielte er grundsätzlich nicht mehr und es folgte eine Hinwendung zu Beethoven, was auch hieraus resultierte, dass Artur Schnabel nicht mehr in Deutschland auftrat. Natürlich hatte auch Schubert immer noch einen hohen Stellenwert, aber auch weithin unbekannte frühe Komponisten wie zum Beispiel: Jan Pieterszoon Sweelinck, Johann Jakob Froberger, Johann Caspar von Kerll, William Byrd, Antonio de Cabezón ...fanden Eingang in die Konzertprogramme Erdmanns.


    Wenn Artur Schnabel hier erwähnt wird, muss unbedingt darauf hingewiesen werden, dass sich im Berlin der frühen zwanziger Jahre zu dem älteren Schnabel -*1882 - eine freundschaftliche Verbindung entwickelt hatte und dieser als bester Klavierinterpret der Werke Beethovens galt.
    Eine weitere wichtige und direkte künstlerische Zusammenarbeit ergab sich vor allem mit dem Pianisten Walter Gieseking und der australischen Violinistin Alma Moodie. Es ist in diesem Rahmen nicht möglich alle künstlerischen Kontakte Erdmanns zu nennen, natürlich hatte er auch solche mit Wilhelm Furtwängler, Edwin Fischer, Wilhelm Kempff und anderen großen Namen dieser Zeit.


    Nach dem Zweiten Weltkrieg waren Erdmanns neuen Kompositionen in der Musikszene nicht besonders erfolgreich und wurden von der Fachkritik eher zurückhaltend besprochen.
    Als Pianist war er aber immer noch gefragt und spielte 1946 mit Vorliebe Kompositionen, die im Dritten Reich nicht öffentlich zu hören waren. In der Folgezeit gab er seinen Programmen oft den Übertitel »Alte und neue Meister«.
    Noch während des Krieges wurde ihm 1942 wieder eine Professorenstelle angeboten, aber dazu hätte er seinen Wohnsitz nach Wien verlegen müssen, was nicht in seinem Sinne war. In der unmittelbaren Nachkriegszeit kamen Angebote aus Köln, München und Berlin, die er ablehnte.
    Als jedoch 1950 in Hamburg die »Staatliche Hochschule für Musik« gegründet wurde und noch an verschiedenen Orten in Hamburg untergebracht war, konnte ihn Philipp Jarnach, der dort Direktor geworden war, für eine Lehrtätigkeit gewinnen, die Jahrzehnte währende Freundschaft der beiden sowie die Nähe zum angestammten Zuhause gaben wohl den Ausschlag.


    Rauchen allerorten hatte damals noch allgemeine Akzeptanz und Erdmann machte exzessiven Gebrauch davon. Im Winter 1954 kam es schließlich zum ersten Herzinfarkt, dem aber der Patient keine Chance zur Ausheilung gab, sondern weiter unterrichtete und auch Konzerte gab, die ihm, wie er meinte, keinerlei Schwierigkeiten weder beim Üben noch im Konzert bereiteten.
    Im August 1957 kam es zu einem weiteren Herzinfarkt, der nun ernsthafte Folgen für die gewohnte Lebensführung hatte. Eine Thrombose im rechten Arm machte es ihm für längere Zeit unmöglich zu üben; trotzdem gab er weiterhin Meisterkurse, denn zur Verwunderung seiner Studenten hatte er einige Tricks auf Lager, die es ihm dennoch ermöglichten auch schwierige Passagen zu spielen.


    Im April 1958 kam es noch zu einer ganz privaten Reise ohne Konzertverpflichtungen mit Erdmanns ehemaligem Schüler Sava Savoff und dessen Frau. Für 31 Tage reiste man mit dem Auto nach Sizilien. Seinen letzten Klavierabend gab Eduard Erdmann am 5. Juni1958 in München, als er für die erkrankte Clara Haskil einsprang.
    Auch noch am 20. Juni wollte der stark geschwächte Professor seine Lehrverpflichtung erfüllen; eine Schülerin bemerkte, dass Erdmann die Treppe nicht mehr bewältigen konnte und rief einen Arzt herbei, der ihn ins Krankenhaus bringen ließ. Am Vormittag des 21. Juni starb Eduard Erdmann an den Folgen des dritten Herzinfarktes.


    An Tonaufnahmen ist von diesem reichhaltigen Musizieren wenig auf unsere Zeit gekommen. Wie bereits erwähnt, entstanden erste Aufnahmen bereits1923 in England, wo Erdmann für die »Aeolian Company Limited« Klavierrollen bespielte. 1928 folgten vier Schallplatten für die »Grammophon-Gesellschaft« und 1935 zwei Aufnahmen für »Polydor«.
    Die letzten offiziellen Aufnahmen fallen in das Jahr 1940, wo für »Grammophon« drei Schallplatten mit Haydn und Schubert aufgenommen wurden. Daneben gibt es Rundfunkaufnahmen in unterschiedlicher Qualität.
    Studioaufnahmen waren Erdmann suspekt, so wie das heutzutage gehandhabt wird, das wäre ihm zuwider gewesen. So war er auch nicht erpicht darauf die gerade entstandene Aufnahme zu überprüfen; einmal soll er geantwortet haben: »Ach was, davon wird sie auch nicht besser.«


    Praktische Hinweise:
    Das Grab von Eduard Erdmann befindet sich in Hamburg-Ohlsdorf, dem größten Parkfriedhof der Welt; Fuhlsbüttler Straße 756.
    Die Grablage findet man auf dem Friedhofsplan unter Bm 67, das ist westlich der Kapelle 13.
    Das Grab ist etwa 150 Schritte von der Bushaltestelle Kapelle 13 entfernt. Die Strecke vom Haupteingang bis zur Kapelle 13 beträgt etwa drei Kilometer.


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    Die Kapelle 13 kann als Orientierungspunkt dienen




      

  • Erna Berger - *19. Oktober 1900 Cossebaude - † 14. Juli 1990 Essen


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    Zum heutigen Todestag von Erna Berger


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    Das Grab liegt direkt am Weg


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    Im Hintergrund sind rechts Teile der Alten Arkaden zu erkennen.


    Das Grab von Erna Berger sollte man eher in Berlin vermuten, denn dort war ihr eigentlicher Lebensmittelpunkt und künstlerische Heimat. Aber nach einem sehr ereignisreichen Leben hat sie sich in Wien zur ewigen Ruhe begeben. An der Wiener Staatsoper sang sie nur 23 Mal, gemäß dem Archiv der WSO.
    Erna Berger war klein von Gestalt, aber eine ganz große Sängerin, obwohl sie nicht mit einer großen Stimme prunken konnte. Sie war eine große Sängerin ihrer Zeit, muss man hinzufügen, denn die Welt des Gesanges ist eine andere geworden.
    Ihr Metier waren die hohen Sopranpartien in Opern von Mozart, Verdi, Puccini, Rossini, Strauss ...und der Konzertgesang.


    Sie kam in Cossebaude zur Welt, einem Ortsteil westlich von Dresden, und der bei der Hausgeburt hinzu gerufene Arzt meinte, dass das Kind die Nacht nicht überlebt, die Startbedingungen ins Leben waren also nicht optimal.
    Der Vater war Ingenieur und bei einer Firma beschäftigt, die in der ganzen Welt Eisenbahnen baute; da waren Ortswechsel von Ostpreußen und in die Eifel angesagt und sogar im fernen Afrika wurde der Vater berufen. Von dort brachte er dann schon mal als Mitbringsel einen Papagei mit, wenn er als seltener Besucher im Urlaub nach Hause kam.


    Ihre ersten Schuljahre erlebte Erna in Berlin, dann ging die Mutter mit nach Afrika und Erna wuchs bei Tanten in Dresden heran. Der Vater schickte Kostgeld nach Hause, das sogar für Klavierstunden reichte, denn Klavierunterricht war für sogenannte ›höhere Töchter‹ damals ein Muss. Nach zwei Jahren konnte das Mädchen immerhin Schuberts Impromtus spielen, Mozart war da noch zu schwer.


    Das allgemeine Musizieren war damals weit verbreitet, denn wer Musik haben wollte musste selber spielen und singen, es war nicht so, dass das ständig greifbar zur Verfügung stand, es war selbstverständlich, dass das Kind alles Mögliche sang und das war oft klassischer Gesang, wobei Ernas Stimme immer besondere Aufmerksamkeit zuteilwurde.


    Als die Mutter 1913 aus Afrika zurück kam, weil sie an Malaria erkrankt war und Chinin nicht vertrug, hatte eine Entfremdung stattgefunden; die nun Dreizehnjährige fühlte sich bei ihren Tanten wohler. Die Geldquelle vom Vater war versiegt, weil die Engländer alle Deutschen in Ostafrika interniert und nach Bombay gebracht hatten; aber nach eineinhalb Jahren war wenigstens Post von ihm gekommen, aber kein Geld.
    Deshalb musste Erna das Lyzeum verlassen und auf die Bürgerschule wechseln, die weniger Geld kostete. Doch es geschah ein kleines Wunder, denn das Lehrerkollegium hatte das Schulgeld für den nächsten Monat gesammelt und Erna konnte zurück, später bekam sie ein Stipendium, aber die Klavierstunden hörten wegen Geldmangel auf.


    Immer wieder rieten mehr oder weniger kompetente Leute zu einer Theaterkarriere, aber das Mädchen intensivierte diese Gedanken in keiner Weise. Ein Auftritt bei der Abschlussfeier der Reifeprüfung musste jedoch sein, Erna Berger sang »Ein Obdach gegen Sturm und Regen« von Richard Strauss und von Hugo Wolf »Verborgenheit«.


    Es war immer noch Kriegszeit, nach einigen Wirren landete die junge Frau bei einem Onkel, der in Zwickau Bankdirektor war. In der freien Zeit konnte sie sich in dem kunstsinnigen Haus ihren Träumen hingeben, entwarf Theaterstücke und führte Regie.
    1919 kam der Vater aus der Kriegsgefangenschaft und wollte die Tochter bei sich zu Hause haben, also lebten alle in der großen Wohnung der Tanten; der Vater war arbeitslos.
    Ab und an sagte mal wieder jemand: ›die Erna hat so eine schöne Stimme, die muss unbedingt ... ‹, aber dabei blieb es vorerst.
    Es kam zu Gesangsstunden ohne besonderen pädagogischen Hintergrund und sie zog mit einem Gesangslehrer durch die nähere Umgebung, wo Duette, Terzette und Quartette dargeboten wurden; es war brotlose Kunst in des Wortes wahrer Bedeutung, aber sie lernte dabei eine Menge Musikstücke kennen. Neben Musikstücken lernte sie auch einen dreißigjährigen Tenor kennen, ihre erste Liebesgeschichte. Auch Sascha, so sein Name, war von der Stimme sehr angetan und er riet dringend, dass sie der damals sehr berühmten Elisabeth Rethberg vorsingen möge. Auch die Rethberg fand die Stimme gut - und das war schon was - Erna Berger stand der Weg zum Dresdner Opernchor offen.
    Aber Vater Berger ging heimlich zu Elisabeth Rethberg und bat sie, seiner Tochter keinen Floh ins Ohr zu setzen, er wolle nun endlich mal mit seiner Familie zusammen sein.


    Was war geschehen? Gerade hatte der Vater nämlich beschlossen mit seiner Familie nach Südamerika auszuwandern, die Bedingungen schienen günstig, die Regierung von Paraguay schenkte deutschen Siedlungswilligen zwanzig Hektar Land.
    Die »Gotha« hatte nur eine Klasse, brachte aber die Auswanderer sicher übers große Wasser. Liebeskummer und der Klavierauszug der Meistersinger waren mit an Bord und man kam mit Klavier in Buenos Aires an. Nachdem man sich im Auswandererlager mit Wanzen und anderem Unbill auseinandergesetzt hatte, ging es mit der Eisenbahn weiter nach Paraguay und ins Urwald-Camp. Da mussten mit der Machete Wege geschlagen und auch eine Quelle gesucht werden; gekocht wurde auf einem selbstgebauten Lehmherd, aber man aß von Meißner Geschirr mit Zwiebelmuster, das man von zu Hause mitgebracht hatte.
    von Sandflöhen unter den Zehennägeln bis zu Klapperschlangen unterm Bett war hier viel Neues zu erleben.


    Tochter Erna, inzwischen der Kindheit entwachsen, wollte dieses Leben so nicht weiter machen und war der Meinung, dass sie durch Geldverdienen die Eltern besser unterstützen kann als durch die Arbeit im Urwald. In Villarica stand das Klavier, da konnte man hin reiten, vielleicht könnte sie Klavierstunden geben, um etwas Geld zu verdienen.
    Schließlich landete Erna Berger bei einem zu Wohlstand gekommenen Schweizer, dem dort die ganze Gegend gehörte. Er bot der jungen Frau an seinen vier Töchtern und dem kleinen Sohn Deutsch beizubringen. Herr Naville, so der Name des Schweizers, kaufte auch das Klavier, was den Eltern etwas Geld einbrachte. Zum erlernten Englisch und Französisch kam nun auch noch Spanisch dazu, was sie bald perfekt beherrschte.


    Deutsche Familien luden sie zum Singen ein, sie sang die »Bohéme« in einem spanisch gefärbten Italienisch und gab auch ihren ersten Liederabend. In dieser Umgebung erwachte dann aber auch das Heimweh; sie sparte für die Heimreise, verliebte sich aber in einen jungen Mann, das Ganze war sehr verworren.
    Schließlich gab eine deutsche Dame den Ausschlag und sprach ein Machtwort:
    ›Jetzt ist Schluss, Sie müssen hier weg. Ich reise nächsten Monat nach Deutschland, da kommen Sie mit‹
    Vom Vater war es ein Abschied für immer, aber die Eltern hatten im argentinischen Gran Chaco später bessere Bedingungen, weil der Staat eine Abfindungssumme für die Arbeit in Afrika auszahlte. Später holte Erna ihre Mutter zurück nach Berlin.


    Mit zehn Dollar, die ihr die Reisebegleiterin bei der Trennung in Bremen schenkte, traf die nun 24-Jährige wieder bei ihren Tanten in Dresden ein. Die Inflation war gerade vorüber und die Wirtschaftslage miserabel. Bei einem Baumeister konnte sie für einen Stundenlohn von 50 Pfennigen Halbtagsarbeit im Büro verrichten, denn sie hatte recht schnell Schreibmaschine und Steno gelernt. Ihre Hoffnung in der Kirche singen zu können zerschlug sich, denn der Kantor akzeptierte ihre Singweise nicht und meinte: ›Du tremolierst ja! Gewöhn dir das erst mal ab!‹


    Ihre bisherige Lehrerin sagte, dass der Kantor nichts vom Singen versteht. Nun war Erna Berger misstrauisch geworden und vertraute sich einem Konzertsänger an, der ihr erklärte was eine Atemstütze ist und wie das alles funktioniert. Allerdings dauerte dieser Unterricht nicht lange, weil der jungen Frau das Geld fehlte, um diese Stunden zu bezahlen.
    Eine wirtschaftliche Besserstellung stand in Aussicht, es bot sich eine Ganztagsstellung an, aber dem schob ein Untermieter den Riegel vor; er protestierte und meinte: ›Die Erna hat eine so schöne Stimme, die muss unbedingt ausgebildet werden. Wenn sie jetzt den ganzen Tag arbeitet, hat sie wieder keine Zeit zum Singen, das ist doch jammerschade. Da muss etwas geschehen.‹
    Erna Berger machte von sich aus immer noch keine Anstalten zur Bühne zu streben; der Gedanke mit Singen Geld zu verdienen, war ihr zwar durchaus sympathisch, aber sie selbst sagte: ›Ich ließ mich meist schieben im Leben, und den Ehrgeiz, eine Künstlerin zu werden, besaß ich immer noch nicht.‹


    Aber besagter Untermieter, ein Herr Silber, beließ es nicht beim Reden, sondern machte Nägel mit Köpfen und stellte eine Verbindung zum ›Richard-Wagner-Verband‹ her, der junge Künstler förderte. Melitta Hirzel war nun ihre neue Gesangslehrerin und Frau Hirzels Mann war als lyrischer Tenor an der Dresdner Oper tätig; damit ebnete sich der Weg zu Fritz Busch, dem musikalischen Chef der Oper. Als sie dem GMD die Mimi, den Cherubin und das Ännchen vorgetragen hatte, sagte Busch das berühmt, berüchtigte: ›Sie werden von uns hören‹, was in der Regel eher negativ zu werten ist.
    Aber nach drei Wochen kam tatsächlich die Aufforderung, erneut zu kommen; sie konnte als Anfängerin für ein Gehalt von fünfundachtzig Mark im Monat an der Dresdner Staatsoper einsteigen, das war nicht viel, aber immerhin mehr als sie vordem verdiente.
    In der Oper debütierte sie mit dem ersten Knaben in der »Zauberflöte«, dann kam als zweites der Hirt im »Tannhäuser«. Neben der Tätigkeit in der Oper hatte Erna Berger nun jeden Tag Unterricht bei Melitta Hirzel, die Gesangsstunden bezahlte der Richard-Wagner-Verband.
    Zunächst sang sie sich in Dresden durch alle Nebenrollen, dann kam nach zwei Jahren endlich die Titelrolle in einer Uraufführung. Paul Graener hatte »Hanneles Himmelfahrt« von Gerhart Hauptmann vertont. Eine Anfängerin in der Hauptrolle, davon waren nicht alle begeistert, aber Gerhart Hauptmann, der Komponist und der Dirigent waren mit der Aufführung sehr zufrieden.
    1928 hatte Strauss´ »Ägyptische Helena« Uraufführungspremiere, Elisabeth Rethberg sang die Titelrolle, während der Proben saß Richard Strauss mit Gattin, die einst eine berühmte Sängerin war, im Parkett. In dieser Aufführung kam dann Erna Berger überraschend als Dienerin zum Zuge, weil die vorgesehene Dame figürlich nicht den Ansprüchen genügte.


    In ihren Jugendjahren hatte Erna Berger eine besondere Liebe zu Wagner entwickelt und scherzte dann in späterer Zeit: ›In meiner Jugend war ich eine vielbeschäftigte Wagnersängerin‹; der Scherz war darin begründet, dass das Rollen wie Friedensboten, Hirten, Knappen, Rheintöchter, Waldvogel und Blumenmädchen waren. Aber immerhin sang sie 1930 unter Toscanini in Bayreuth.
    1932 hatte sie Fritz Busch mit zu den Salzburger Festspielen genommen, wo sie das Blondchen neben der Konstanze von Gabrielle Ritter-Ciampi sang, was jedoch für Erna Berger kein besonderer Erfolg wurde.
    Zwar kamen in Dresden dann auch die Rollen wie Königin der Nacht, Rosine und Gilda, aber ihr neuer norwegischer Freund, Sverre Wiull, der an der Technischen Hochschule studierte, drängte - du musst hier weg, geh nach Berlin. Dies setzte natürlich voraus, dass man dort Interesse hatte, Carl Ebert hatte Interesse an einer Koloratursängerin bekundet. In Dresden versuchte man sie mit der Zerbinetta zu halten, auf die sie bereits ein Jahr gewartet hatte, aber die Würfel waren gefallen.


    Dresden hatte zwar eine Oper mit phantastischer Akustik, aber Berlin war die große Welt. Dennoch gastierte sie im März 1933 als Gilda in Dresden und war Zeuge als Fritz Busch aus dem Amt gejagt wurde, sie unterschrieb damals als eine der wenigen nicht gegen Fritz Busch.


    In Berlin war Erna Berger nicht allein, der norwegische Student war mitgekommen; zunächst wohnte man beengt, dann vermittelte Walter Ludwig eine größere Wohnung, die günstig in der Nähe der Städtischen Oper in Berlin lag.
    In Berlin sang Berger dann die Konstanze - inklusive ›Traurigkeit ward mir zum Lose ...‹, was früher gerne gestrichen wurde; den Belmonte gab Walter Ludwig.
    Als sie in Berlin die Gilda sang, war in den Zeitungen zu lesen, dass ein neuer Stern am Opernhimmel aufgegangen sei.
    Erna Berger hatte schon den ersten Akt von »Die schweigsame Frau« gelernt und war nach Dresden gefahren, um zu sehen wie Maria Cebotari das dort macht, da wurde die Aufführung in Berlin verboten, weil der Text von Stefan Zweig war.


    In Berlin, beziehungsweise in Oslo, endete dann auch die ›Wilde Ehe‹. Man hatte bereits ein paar Jahre lang die Sommerferien in Norwegen verbracht und die sprachbegabte Sängerin verfügte über entsprechende Sprachkenntnisse; Erna Berger wurde norwegische Staatsbürgerin, aber als Künstlerin blieb sie weiterhin Erna Berger.


    In Berlin war die Städtische Oper in eine finanzielle Krise geraten, sodass sich das Personal nach neuen Möglichkeiten umsah. Erna Berger brauchte es nicht bange zu sein, sie hatte Angebote von Hamburg, München und auch Dresden, wo inzwischen Karl Böhm den Taktstock schwang und ihr alles Mögliche versprach.
    Erna Berger wollte aber gerne in Berlin bleiben. Im letzten Augenblick der Entscheidung kam dann ein Anruf von Furtwängler, der damals Direktor der Staatsoper unter den Linden war; Staatsoper Berlin, der Weg von der Wohnung zur Oper war weiter geworden, aber da gingen Träume in Erfüllung.


    Das Debüt am neuen Ort war die Leïla in den »Perlenfischern« unter Leo Blech. Darauf folgte ›Königin der Nacht‹, eine Rolle, die zu einem Markenzeichen der Sängerin wurde und sie beschrieb das mal so: ›Tatsächlich ist´s immer eine Art Mutprobe, wie ein Sprung vom Zehnmeterturm ins Wasser, wenn man sich in die Arie stürzen muss, kaum dass man die Bühne betreten hat.‹


    Die Berger war nun sehr gefragt, Busch wollte sie 1934 in Glyndbourn haben, aber sie entschied sich dann für Covent Garden, wo sie unter anderem auch mit Richard Tauber sang. An der Berliner Staatsoper waren ihre Tenorpartner Walter Ludwig, Erich Witte, Helge Roswaenge und später Peter Anders; auch mit Beniamino Gigli stand sie hier auf der Bühne. Mit Gigli trat sie auch in einem Film auf, aber das war eher ein künstlerischer Tiefpunkt.


    Mit Beginn des Polenkrieges war es mit der internationalen Karriere zu Ende, wenn man mal von Wien absieht. Die Berger blieb praktisch den ganzen Krieg über in Berlin, obwohl sie nach den Sommerferien hätte in Norwegen bleiben und an der Osloer Oper singen können; sie fühlte sich ihrem Berliner Publikum verpflichtet. Um nicht in die nächtlichen Fliegeralarme zu geraten, fingen die Vorstellungen schon nachmittags um vier an und die Situation wurde immer schlimmer und noch schlimmer. 1944 fuhr sie mit ihrem Mann nochmals nach Norwegen, er blieb dort, man hatte sich auf eine vorläufige Trennung geeinigt; sie benötigte mehrere Versuche, um mit einer Militärmaschine in das inzwischen chaotische Berlin zu kommen, obwohl man sie beschwor in Norwegen zu bleiben.
    Zwar spielte die Oper nicht mehr, aber - fast unglaublich - das letzte Konzert fand in Berlin am 15. April 1945 statt; Ende April stand plötzlich ein russischer Panzer im Garten, Rita Streich und Erna Berger hatten Glück, sie durften in den Keller ziehen.


    1947 ging es für Erna Berger schon wieder nach London, aber viel schwieriger war es nach Ludwigshafen in die französische Zone zu kommen, wo ihre Tante wohnte.
    Auch in Berlin hatte sich einiges geändert, die Staatsoper lag in der russischen Zone, also ging es in der Westberliner Städtischen Oper weiter, im Haus des ehemaligen Metropoltheaters.
    1948 dann der große Sprung nach Australien - zwei Mal war sie dort -, der Australische Rundfunk hatte ihr eine Tournee angeboten und jedes Konzert zur Hälfte live übertragen. Nach diesem Erfolg dann der Schritt nach Amerika, wo etwa zweieinhalb Monate nach dem Tod von Richard Strauss, an der »Met« der »Rosenkavalier« mit Erna Berger als Sophie auf dem Programm stand.


    1951 kam es zu einem Engagement an die Metropolitan Opera New York; insgesamt sang sie vier Winter an der »Met« und natürlich nicht nur in New York, sondern auch in anderen großen Städten und in Kanada.
    In einem Carnegie-Hall-Konzert konnte die deutsche Sängerin einen triumphalen Erfolg verbuchen, was damals nicht selbstverständlich war. Die New Yorker Kritiker waren gefürchtet, wenn sie den Daumen senkten war es vorbei. Als Oscar Thomson vom ›International Herald Tribune‹ und Olin Downes bei der ›New York Times‹ begeistert von Erna Bergers Sophie im »Rosenkavalier« berichteten und sie auch ihre Gilda - als Partnerin von Leonard Warren - gut über die Rampe brachte, war ihr Ruf in der Neuen Welt gefestigt. Sie sang praktisch auf der ganzen Welt, auch in Südamerika und Südafrika, nur mit Russland klappte es nicht obwohl sie dort gerne gesungen hätte. Ganz begeistert war Erna Berger vom Japanischen Publikum.


    Ende 1952 erhielt Erna Berger in New York ein Telegramm mit der Mitteilung, dass sie Furtwängler für Salzburg als Zerlina haben möchte, die Sache kam zustande; am 18. August1954 fand die letzte »Don Giovanni«-Aufführung der Festspiele statt; sie hatte sich vorgenommen, dass das ihr letzter Auftritt auf der Opernbühne werden sollte, machte dies aber nicht public, so dass sie noch drei Mal rückfällig werden konnte - als Susanna in »Figaros Hochzeit«.


    Aber da war ja noch die Konzertsängerin; in den kommenden fünf Jahren gab sie auf der ganzen Welt Konzerte, wobei sie eine größere Bandbreite an Möglichkeiten zur Verfügung hatte und nicht auf Koloraturen festgelegt war.
    Aber nach diesen fünf Jahren folgte immer noch kein Ruhestand, 1959 übernahm sie an der Musikhochhschule Hamburg eine Meisterklasse, zum Titel Kammersängerin kam nun noch ›Frau Professor‹ hinzu, was ihr eher peinlich war.
    In der Zeit ihrer Lehrtätigkeit gab sie selbst noch vereinzelt Liederabende und war der Ansicht, dass das wohl ihre besten Abende waren, denn beim Lehren hatte sie selbst noch eine Menge dazugelernt.


    Der Musikkritiker Ludwig Steinbach stellt Erna Berger in eine Reihe von Sängerinnen, die er als ›Piepssoprane‹ bezeichnet. Jens Malte-Fischer ist da schon genauer und führt zu Erna Berger aus, dass es im deutschen Fachjargon eigentlich keine richtige Bezeichnung gibt und weist darauf hin, dass die Italiener diesbezüglich genauer sind und für so eine spezielle Stimme den Begriff ›soprano lirico leggéro‹ kennen.
    So lange Erna Berger sang blieb ihr die silbrig glockenklar schwingende Stimme erhalten; in der Regel entwickeln sich Sopranstimmen mit fortschreitendem Alter zum schwereren Fach hin, Erna Berger blieb auch jenseits der Fünfzig an die Rollen ihrer Jugendzeit gebunden.
    Der Kritiker Irving Kolodin schrieb über Erna Bergers Gilda am 4. Dezember 1949 an der Metropolitan Opera, dass hier die reinste musikalische Gilda sang, die New York in Jahren gehört hatte.


    Praktische Hinweise:
    Erna Bergers Grab befinde sich auf dem Wiener Zentralfriedhof im Feld 31B, das heißt, man geht vom Haupteingang (Tor 2) geradeaus auf die Alten Arkaden zu und wendet sich nach links, das Grab liegt direkt am Weg.

     

  • Michael Haydn - * 14. September 1737 Rohrau - † 10. August 1806 Salzburg


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    Zum heutigen Todestag von Michael Haydn


    Joseph Haydn, der weit bekanntere Bruder, wurde bereits 1732 geboren und war also der ältere Bruder. Der Geburtsort liegt in Niederösterreich, nahe der ungarischen Grenze.
    Michael kam als sechstes Kind eines Wagnermeisters, Landwirts und Weinbauern zur Welt; der Vater fungierte später auch als Marktrichter, was heute etwa einem Bürgermeister gleichzusetzen ist.
    Auch im Elternhaus der Haydn-Kinder - es waren deren zwölf - wurde, wie in jener Zeit allgemein üblich, Hausmusik gemacht; der Vater spielte Harfe und die Familie sang dazu.
    Joseph und Michael Haydn durchliefen praktisch die gleiche musikalische Grundausbildung in Wien.
    Im Alter von acht Jahren wurde Michael aufgrund seiner schönen Sopranstimme Sängerknabe am Kapellhaus zu St. Stephan in Wien. Dort erhielt er nicht nur Gesangsunterricht, sondern wurde auch in den Fächern Violine, Klavier, Orgel und Musiktheorie unterwiesen; in Georg Reutter dem Jüngeren, dem die Domsängerknaben unterstanden, hatte er einen ausgezeichneten Lehrer.
    Als 17-Jähriger schuf Michael Haydn seine erste erhaltene Komposition »Missa in honorem Sanctissimae Trinitatis«, die zur Einweihung des gewaltigen Temeswarer Doms aufgeführt wurde.
    Als Michael Haydn zwanzig Jahre alt war trat er seine erste Stelle als Musiker am bischöflichen Hof in Großwardein an, das heute Oradea heißt und zu Rumänien gehört.
    Die ersten drei Jahre wirkte er dort als Geiger, dann begleitete er die Stelle eines Kapellmeisters. In Siebenbürgen schreibt Michael Haydn nicht nur Kirchenmusik, sondern auch erste Sinfonien und Konzerte.


    Die Versiertheit des Kapellmeisters und Komponisten hatte sich in interessierten Kreisen herumgesprochen, vor allem sein Hornkonzert hatte in Wien aufhorchen lassen, und so kam Michael Haydn 1763 als ›Hofmusikus und Conzertmeister‹ in die Dienste des Fürsterzbischofs Sigismund Graf von Schrattenbach nach Salzburg. Hier tat sich für ihn ein äußerst vielfältiges Tätigkeitsfeld auf; neben Kirchenwerken für den Dom, wurde auch Musik für Theateraufführungen benötigt. Die Menge der Arbeit war alleine nicht zu bewältigen und so kam es zur Zusammenarbeit Michael Haydn (*1737), Cajetan Adlgasser (*1729) und Wolfgang Amadeus Mozart (*1756), der Knabe Mozart war demnach elf Jahre alt, das war im Jahre 1767, als an dem Werk ›Die Schuldigkeit des ersten Gebots‹ gearbeitet wurde.
    Mit dem jungen Mozart soll Michael Haydn gutzurecht gekommen sein, mit Vater Leopold Mozart weniger gut.


    1769 trat Michael Haydn in den Stand der Ehe, er hatte sich die Hofsängerin Maria Magdalena Lipp zur Gattin gewählt, es war die Tochter des Domorganisten. Ihre Umgebung stellte zwar fest, dass sie eine vorzügliche Sängerin ist, aber es wurde auch kolportiert, dass sie das Geld sehr locker ausgab, was Geldmangel im Hause Haydn zur Folge hatte.
    Von Leopold Mozart wissen wir, dass sein Sohn Wolfgang - ›speziell für die Haydin gemacht‹ - das »Regina Coeli« KV 127 für Haydns Gattin geschrieben hatte.
    Im Januar 1770 wurde dem Paar Tochter Aloysia geboren, aber das Kind starb noch vor seinem ersten Geburtstag, was die Eltern in große Trauer stürzte; weitere Kinder folgten nicht.


    Als Fürsterzbischof Schrattenbach kurz vor Weihnachten 1771 starb, schrieb Haydn ein Requiem, das als seine erste große kirchenmusikalische Komposition für Salzburg gesehen wird und man vermutet, dass damals auch Vater und Sohn Mozart im Dom mitwirkten.


    Inzwischen hatte Fürsterzbischof Hieronymus Graf Colloredo in Salzburg das Sagen und es kam zu einschneidenden Veränderungen, die auch auf das Musikleben der Stadt einwirkten.
    Zu diesem Zeitpunkt rückte die Kirchenmusik in das Zentrum des Schaffens von Michael Haydn. Colloredo wird als fortschrittlich, hochgebildet, weltmännisch und energisch beschrieben; er war ein Reformer, unter dem Salzburg zu einem Zentrum der Spätaufklärung in Mitteleuropa wurde, das Volk hatte in aller Regel kein Verständnis für Colloredos Neuerungen.
    1773 wurde Michael Haydn erster Konzertmeister der fürsterzbischöflichen Hofkapelle und nach dem Tod von Adlgasser übernahm er auch den Organistendienst an der Dreifaltigkeitskirche. Mit seiner Hieronymus-Messe (Missa Sancti Hieronymi), die er im September 1777 vollendete, war ihm ein großer Wurf gelungen; die öffentliche Erstaufführung fand am Allerheiligenfest im Salzburger Dom statt und hatte dort auch Leopold Mozart außerordentlich beeindruckt, was durch einen Brief an Sohn Wolfgang belegt ist.
    1782 veröffentlichte Colloredo einen Hirtenbrief, der auch bezüglich der Kirchenmusik zur Gestaltung der Gottesdienste grundlegende Neuerungen formulierte, die auf den Kompositionsstil von Michael Haydn und Mozart Einfluss hatten.
    In diesem Jahr übernahm Michael Haydn die Position des Hof- und Domorganisten, die er von W. A. Mozart übernommen hatte, der im Streit von Salzburg geschieden war und nach Wien ging. In seinem neuen Amt war Haydn nun auch mit der Unterrichtung der Domsängerknaben betraut; sein prominentester Schüler dürfte Carl Maria von Weber gewesen sein.


    Von Fürsterzbischof Collorado erhielt Haydn den Auftrag, die am Dom üblichen Epistelsonaten durch liturgische Kompositionen zu ersetzen, wobei mit der Zeit mehr als hundert Werke dieser Art entstanden. Michael Haydns Ruf war weit über Salzburg hinaus gedrungen; so war 1786 die »Missa hispania« ein bedeutendes Auftragswerk für den spanischen Hof entstanden und sogleich folgten Aufträge für das Kaiserhaus in Wien.


    Auch das 1790 erschienene Salzburger Kirchengesangsbuch setzte neue Maßstäbe, Michael Haydn hatte damit eine ›vermehrte und verbesserte‹ Ausgabe geschaffen.
    Mit dem Einmarsch der Franzosen und der Abdankung Collorados (1803) war in Salzburg eine neue Situation entstanden; Michael Haydn musste noch die Auflösung der Hofkapelle erleben und auch plündernde französische Truppen, wobei auch er fast seiner ganzen Habe beraubt wurde.
    Kurfürst Erzherzog Ferdinand war nun der neue Landesherr und besetzte die wichtigsten Stellen der Hofkapelle mit Italienern; Haydn blieb das Amt des Hof- und Domorganisten.


    Michael Haydns Œuvre umfasst mehr als 800 Werke in nahezu allen Gattungen der Musik seiner Zeit. Allerdings wurde seine Musik kaum gedruckt, sondern in Abschriften von Kloster zu Kloster weitergegeben, was einer weiten Verbreitung entgegen stand.
    Michael Haydn hing sehr an seinem Salzburg und hielt nichts von ausschweifenden Reisen, aber er soll seinen berühmteren und reisefreudigeren Bruder mindestens zwei Mal in Wien getroffen haben.
    In Wien wurden ihm Ehrungen zuteil, aber nicht nur dort; im Februar 1804 ernannte man ihn zum Mitglied der Königlich-Schwedischen Musikakademie in Stockholm.
    Durch zwei Unfälle im Winter1804-1805 war seine Gesundheit stark beeinträchtigt; Michael Haydn stirbt am späten Abend des 10. August 1806. Am 13. August wird er in der Commune-Gruft im Friedhof St. Peter beigesetzt. Beim Begräbnisgottesdienst erklingt sein unvollendetes Requiem, ergänzt mit Teilen aus dem Requiem von 1771.



    Am 10. August 1821 - es ist der 15. Todestag von Michael Haydn - wird in der Stiftskirche St. Peter zu Ehren des Komponisten ein Denkmal enthüllt, das mit Hilfe von Spenden seiner Freunde und Verehrer errichtet wurde. In einer Urne wird der Schädel des Komponisten beigesetzt, den Michael Haydns Witwe für 35 Gulden erworben hatte. Heute befindet sich der Schädel im Safe des Stifts St. Peter.


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    Praktischer Hinweis:
    Der Eingang zum Petersfriedhof in Salzburg, nahe am Dom. Das Grabdenkmal befindet sich in der Stiftskirche Sankt Peter.

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  • Artur Schnabel - * 17. April 1882 Kunzendorf (Galizien) - † 15. August 1951 Axenstein


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    Zum heutigen Todestag von Artur Schnabel


    Unter diesem Stein liegt eine Menge musikalischen Wirkens begraben; der Pianist Artur Schnabel, seine Ehefrau, die Konzertsängerin Therese Behr und beider Sohn, der Pianist Karl Ulrich Schnabel.
    Den größten Bekanntheitsgrad hat der Pianist und Komponist Artur Schnabel und auch das ertragreichste Schaffen, weshalb sein Lebensweg und sein Schaffen bei diesem Grabbesuch an seinem Todestag besondere Beachtung findet.


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    Der Geburtsort Kunzendorf in Galizien gehört heute zum südlichen Teil Polens und heißt Lipnik (Bielsko-Biala). Artur Schnabel beschrieb seinen Geburtsort als winzig, einen Ort mit nur einer Straße und ziemlich arm, als eine Art Vorort einer Kleinstadt, der zum österreichischen Teil Polens gehörte; die Eltern waren österreichische Staatsbürger jüdischen Glaubens, aber in der Glaubensausübung mäßig orthodox, wogegen die Großeltern strenggläubig waren.
    Artur war das jüngste von drei Kindern, zwei Schwestern waren vor ihm angekommen.
    Die Eltern siedelten in ein saubereres Viertel über; den armen und kleinbürgerlichen jüdischen Familien war es wichtig ihren Kindern den Aufstieg in bessere Lebensumstände zu ermöglichen. Als Artur sechs Jahre alt war, bekam seine Schwester Klavierunterricht. Während sich die ältere Schwester abmühte, schüttelte der kleine Knirps das aus dem Handgelenk; nun unterrichtete die Klavierlehrerin auch den Jungen und sah wachsenden Erfolg, was dazu führte, dass ihm auch von anderen Lehrern Unterricht erteilt wurde.


    In dieser Zeit bekam er seinen ersten Hauslehrer für allgemeinen Unterricht und wurde auch ein Jahr in Hebräisch unterrichtet, was jedoch keine Früchte trug. Als Artur sieben war hatte man beschlossen, dass er einem Professor Hans Schmitt in Wien vorspielen sollte, der am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde tätig und auch Verfasser von Übungsliteratur war. Als auch Professor Schmitt die Eignung zum Berufsmusiker feststellte, war Artur für die nächsten zwei Jahre dessen Schüler.


    Nun wurde der Knabe gutsituierten Leuten empfohlen, die sich für die Förderung junger Talente engagierten. Drei dieser reichen Familien unterstützten den heranwachsenden Pianisten während der folgenden acht Jahre. Bis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr erhielt er monatliche Zuwendungen, die seine Mutter - und später er selbst - in ihren Büros abzuholen hatten.


    Aus welchen Gründen auch immer, erlagen die Schnabel-Eltern nicht der Versuchung mit ihrem Jungen eine Geldquelle zu erschließen und ein ›Wunderkind‹ aus ihm zu machen.
    Als Artur neun war bekam die Mutter einen Tipp, dass es besser wäre, den Jungen von einem anderen Lehrer unterrichten zu lassen, Professor Theodor Leschetizky wurde empfohlen.
    Nachdem der Junge dem Meister einiges aus seinem bisher erarbeiteten Repertoire vorgespielt hatte, legte Leschetizky den in der Vorwoche erschienenen Klavierauszug von »Cavalleria rusticana« auf, der vom Blatt zu spielen war - Artur Schnabel war als Schüler angenommen.
    Im ersten Jahr schaute Leschetizky nur mal gelegentlich vorbei; im Wesentlichen wurde Artur von Madame Essipoff, einer damals berühmten Klaviervirtuosin, unterrichtet.


    Bei Leschetizky herrschte internationale Atmosphäre, die Schüler kamen aus der ganzen Welt, die meisten aus den Vereinigten Staaten. Als sich nun Leschetizky selbst des jungen Mannes annahm, sagte er seinem Schüler die kurzen, etwas kryptischen Sätze:
    »Aus dir wird nie ein Pianist. Du bist ein Musiker.«


    Interessant ist auch, dass keiner der Lehrer von Artur Schnabel jemals ein Honorar für seinen Unterricht verlangte; es wurde stets vorausgesetzt, dass gratis unterrichtet wurde, das war einfach selbstverständlich.
    Artur war schon zehn, als jemand die Mutter darauf aufmerksam machte, dass es Schwierigkeiten geben könnte, wenn der Junge keine öffentliche Schule besucht; also wurde er an einem Gymnasium angemeldet, was irgendwie hingedeichselt wurde; nach einem Jahr gab es auch ein Zeugnis, das war´s dann aber auch schon mit der öffentlichen Schulbildung.
    Kinder- oder Schulfreunde hatte Artur praktisch nie, auch keine Spielsachen, wie bei Kindern normalerweise üblich und in der Rückschau fand Artur Schnabel, dass er eine schöne Kindheit erlebt und nichts vermisst hat. Der Freundeskreis beschränkte sich auf den Kreis der Leschetizky-Schüler.


    Zu erwähnen wäre noch der Kompositionsunterricht; als Lehrer hatte die Mutter keinen geringeren als Anton Bruckner ausgesucht. Hier konnten Mutter und Sohn aber nur durch den Türspalt sehen, dann brummte Bruckner: »Ich unterrichte keine Kinder« und schob die beiden hinaus.
    Die Funktion des Kompositions- und Theorielehrers übernahm nun ein Dr. Mandyczewski, der das Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde verwaltete, wodurch Schnabel Zugang zu Kostbarkeiten der Musikgeschichte hatte, aber auch zur Gegenwart, denn mitunter nahm der nun Dreizehnjährige an Wanderungen mit Brahms teil, der zum Freundeskreis von Mandyczewski, gehörte, aber musikalische Gemeinsamkeiten zwischen dem jungen Schnabel und Brahms ergaben sich nicht.


    Einen ernstzunehmenden Erfolg als Komponist hatte der Vierzehnjährige bei einem Kompositionswettbewerb innerhalb der Leschetizky-Schule, was sogar eine Verbindung zum Simrock-Verlag ergab und es folgten erste Gehversuche in Berlin als Schnabel mit dem Konzertagenten Hermann Wolff erste Engagements abschloss.
    In seinem ersten Berliner Jahr hatte er auch drei gut betuchte verheiratete Schülerinnen, die entsprechenden Familien entstammten und im Klavierspiel keine Anfängerinnen waren.
    Zudem begab er sich auf Tourneen, die ihn nach Norwegen und Ostpreußen brachten; das waren manchmal auch Städte mit eher dörflichem Charakter.
    So kamen in der damals ostpreußischen Stadt Rastenburg der Pianist Schnabel, der Geiger Franz Schörg und eine Sängerin zu einem Konzertabend zusammen.
    Die Zusammenarbeit mit der Sängerin - einem Fräulein Behr - dehnte der Pianist auf den privaten Bereich aus; ein Jahr darauf war man verlobt und fünf Jahre später verheiratet.
    Auf die Dauer von drei Jahrzehnten traten beide gemeinsam in Liederabenden auf, wobei die Altistin sich mit Schnabel damals schon für die Aufführung vollständiger Liederzyklen und komponistenbezogener Konzertprogramme einsetzte.


    Schon als Zwanzigjähriger wurde Schnabel mit Arthur Nikisch bekannt und als Solist mit den Berliner Philharmonikern sowie dem Gewandhausorchester Leipzig engagiert. Weil er bei seinem Debüt mit Orchester das zweite Klavierkonzert von Brahms spielte, galt Schnabel zunächst als Brahms-Spezialist.
    1904 spielte Schnabel auch in London bei der Royal Philharmonic Society unter Hans Richter. Auch noch im zaristischen Russland musizierte er, wobei sich die Einreise für ihn schwierig gestaltete, weil er Jude war.
    Artur Schnabel war auch 1905 in Berlin als Solist mit dabei als Richard Strauss das Philharmonische Orchester dirigierte, wobei das keine herkömmliche Aufführung war, denn es wurde damals darüber entschieden, wer zukünftig dieses Orchester leiten sollte, die Alternative war Felix Weingartner; Strauss erhielt schließlich die Position. Schnabel fand man dann auch in mancher Skatrunde mit Strauss, dies war die einzige Möglichkeit mit dem Komponisten in privaten Kontakt zu kommen.
    Schnabels Karriere entwickelte sich rasch, so dass er sich für später sehr berühmt gewordene Musiker wie zum Beispiel den vier Jahre jüngeren Wilhelm Furtwängler, den er in einem Konzert in Lübeck ›entdeckt‹ hatte und Otto Klemperer, den er in Straßburg hörte, bei seinem Berliner Agenten Wolff einsetzen konnte, das heißt, er empfahl diese beiden jungen Männer in schriftlicher Form nachdrücklich.


    Inzwischen war aus den Schnabels eine Familie geworden, 1909 kam der erste Sohn Karl Ulrich zur Welt, 1912 der zweite mit Namen Stefan.
    Die Notzeiten des Ersten Weltkrieges trafen den bekannten Künstler mit all seinen Verbindungen weniger hart als die nicht privilegierte Bevölkerung. Das Kriegsende hatte sich abgezeichnet, dennoch hatte Schnabel Verpflichtungen am 28., 29. und 30. September 1918 in Brüssel und Antwerpen zu spielen. Die Nachricht. dass eine Revolution ausgebrochen sei erreichte ihn dann am 6. November 1918 nach einem Trioabend zusammen mit seinen Kollegen Carl Flesch und Hugo Becker nach einem Konzert in Bonn. Nach chaotischer Zugfahrt gelangte man schließlich nach Kassel wo das Publikum mit brennenden Kerzen dem ausverkauften Konzertsaal zuströmte.


    Musikalische ›Verwandtschaft‹ ergab sich mit Arnold Schönberg, mit dem er schon in seiner Wiener Zeit gemeinsam die Theatertreppen hochstürmte, um an die besten Galerieplätze zu kommen, Ernst Krenek war durch Franz Schreker nach Berlin gekommen und Eduard Erdmann kamen dann noch hinzu.


    Über die Vorteile eines Bechstein-Flügels konnte Artur Schnabel ausladende Vorträge halten; so führte er einmal aus:


    »Jahrelang hatte ich das Gefühl, dass mich der Steinway nicht mochte. Ein absurder Gedanke, aber ich hatte das Gefühl. Er vertrug meine Art, das Klavier zu handhaben, nicht.
    Daraus schließe ich, dass der Steinway begrenzt ist. Der Bechstein-Flügel ermöglicht mir Effekte, die auf einem Steinway nicht möglich sind. Der Ton des Steinway schwingt viel stärker nach; außerdem gibt es technische Gründe: er hat eine andere Mechanik.«


    Als Schnabel im Dezember 1921 erstmals in seinem Leben - 39-jährig - in die Vereinigten Staaten von Amerika kam, musste er sich dort mit einem ›Knabe-Klavier‹ herumschlagen, weil sich Steinway weigerte eines ihrer Instrumente zur Verfügung zu stellen, solange er in Europa auf einem Bechstein-Flügel spielt.
    Steinway hatte auch Gerüchte verbreitet, die besagten, dass Bechstein-Klaviere keinen Klimawechsel vertragen, was nicht sehr glaubhaft war, weil Schnabel mit diesen Instrumenten auch in Australien, Russland und Norwegen spielte.
    Bei Schnabels Auftritt 1930, als er in den Staaten mit dem Boston Symphonie Orchestra anlässlich des Brahms-Festivals spielte, hatte man extra zwei Bechstein-Flügel übers große Wasser geschickt, weil Bechstein hier einen Markt sah, aber dem war wegen der Weltwirtschaftskrise dann kein Erfolg beschieden.


    Eine Besonderheit der Person Schnabels war, dass er sich in keiner Weise zum Star eignete; er bekam so gut wie keine Verehrerpost und wurde mitunter in der Presse auch als ›ein Musiker für Männer‹ bezeichnet, wobei Attribute wie zum Beispiel: akademisch, professoral, streng, grüblerisch und so weiter beigefügt waren.
    Als Komponist wurde Schnabel sehr von Schönberg beeinflusst und galt als ›modern‹, aber als Interpret pflegte er ausschließlich das klassische Repertoire und spielte Werke von: Beethoven, Schubert, Brahms, Schumann und Mozart.
    Übrigens gilt Artur Schnabel auch als Entdecker der lange Zeit unterschätzten Klaviersonaten Schuberts. Schnabel sagte einmal aus, dass kein Komponist näher an Gott sei als Schubert.


    Auf Tonträgern ist das Spiel Artur Schnabels schon recht früh dokumentiert, nämlich mit fünfzehn Klavierstücken, die er am 8. Mai 1905 für das Reproduktionsklavier Welte-Mignon aufnahm. Geradezu legendär ist die erste maßstabsetzende Einspielung der 32 Klaviersonaten Beethovens auf Schallplatte, die er in den Jahren 1932 bis 1937 für His Master´s Voice aufnahm, wobei er wegen der Studioatmosphäre Höllenqualen litt.
    1927 hatte er diese zweiunddreißig Sonaten erstmals in einem Zyklus von sieben Matinee-Konzerten im Saal der Berliner Volksbühne gespielt.
    Den kompletten Zyklus der 32 Beethoven-Sonaten spielte er in seinem Leben nur vier Mal (jeweils in sieben Konzerten): zweimal in Berlin, einmal in London und einmal in New York.
    Als es mit dem Berliner Zyklus im Frühjahr 1933 zu Ende ging - der letzte Abend fand am 26. April 1933 statt - war der Machtwechsel in Berlin bereits vollzogen; Artur Schnabel verließ unverzüglich Deutschland.


    Nachdem er eine pädagogische Tätigkeit an der Hochschule mehrfach abgelehnt hatte, nahm er in den Jahren 1925 bis 1931 eine Stelle als Professor für Klavier an der Staatlichen Hochschule für Musik in Berlin an, wobei man ihm durch seine weltweiten Konzertaktivitäten weitreichende Freiheiten zugestand. Damit seine Konzertreisen nicht beeinträchtigt wurden, konnte er unterrichten, wenn die Hochschule eigentlich geschlossen war, und sogar nachts wurde unterrichtet und auch in Schnabels Privatwohnung - einer 12-Zimmer-Wohnung mit drei Konzertflügeln in der Wielandstraße 14 - fanden Lehrveranstaltungen statt.
    Während die Studentenzahl üblicherweise pro Klasse achtzehn Schüler aufwies, konnte Schnabel seine Schülerzahl auf sieben begrenzen; so bekannte Namen wie Clifford Curzon, Paul Hindemith und Ernst Krenek gehörten damals zum Schülerkreis.


    Unmittelbar nach diesem letzten Berliner Konzertabend im April 1933 siedelte Familie Schnabel ins italienische Tremezzo über, wo dann während der folgenden Jahre am Comer See Meisterkurse stattfanden, wobei die gesamte Familie pädagogisch tätig war, denn auch Sohn Karl Ulrich Schnabel - der mit seinem Vater öffentliche Auftritte absolvierte - sowie Therese Behr-Schnabel unterrichteten; damit man eine breite Unterrichtspalette anbieten konnte, kam noch der ebenfalls berühmte Geiger Szymon Goldberg dazu. Die Wintermonate 1933 und 1934 verbrachte Familie Schnabel in London.


    1938 verlor Artur Schnabel durch die politischen Ereignisse die österreichische Staatsbürgerschaft und es war zu erahnen, dass es in Europa immer schlimmer werden würde. Man beschloss Europa den Rücken zu kehren, um nach Amerika auszuwandern.
    Am 4. Februar 1939 bestieg Artur Schnabel die Queen Mary und nahm Kurs auf New York; seine Frau folgte ihm im März des gleichen Jahres nach - und man kann ein paar Jahre vorauseilen -, am 27. November 1944 wurde Artur Schnabel US-amerikanischer Staatsbürger.


    Therese Behr
    wurde am 14. September 1876 in Stuttgart geboren; 1881 zog die Familie nach Mainz.
    Thereses Bruder, der Dirigent und Geiger Hermann Behr, setzte sich dafür ein, dass seine stimmbegabte Schwester im nahegelegenen Frankfurt am Main von 1893-95 bei Julius Stockhausen studieren konnte, das war damals eine erstrangige Adresse.
    Therese Behr studierte danach auch noch am Kölner Konservatorium bei Ludwig Wüllner und Schulz-Dornburg.
    Fräulein Behrs Vater, der Innenarchitekt Carl Behr, unterstützte seine Tochter bei ihren ersten Schritten aufs Konzertpodium und vereinbarte mit der Berliner Konzertagentur Wolff im November 1897 zwei Konzertabende, die jedoch keine gute Presse hatten.
    Nach dieser Erfahrung vertiefte Therese Behr ihre Studien an der Gesangsschule von Etelka Gerster in Berlin.
    Schließlich wagte sie im Januar 1899 in der Singakademie ein zweites Debüt und hatte damit einen überwältigenden Erfolg. Rasch konnte sie ihre Konzerttätigkeit national und international ausweiten. Die auch an Statur große Sängerin war in Budapest, Brüssel, London, Paris, St. Petersburg, Moskau ... gefragt.
    1902 gründete sie zusammen mit Jeanette Grumbacher-de Jong (Sopran), Ludwig Hess (Tenor) und Arthur Eweyk (Bass) das Berliner Vokalquartett, als deren Klavierbegleiter zunächst Artur Schnabel fungierte.
    In späteren Jahren gestaltete sie mit ihrem Mann sehr viele Konzertabende und noch etwas später wurde sie auch von ihrem Sohn Karl Ulrich begleitet, der auch mit seinem Vater vierhändig spielte. Während Artur Schnabel als ›Wunderkind‹ gelten kann, musste der Sohn sich die Technik erarbeiten. Seine ersten Konzerte gab Karl Ulrich 1926 in Berlin, in London 1931 und in New York 1937. Und wenn man die Daten von Vater und Sohn vergleicht stellt man fest, dass Karl Ulrich Schnabel Schallplattenaufnahmen noch vor seinem Vater machte.


    Nun war also die gesamte Familie in den Vereinigten Staaten gelandet, und sie waren Amerikaner geworden. Für die Eltern war das kein Neuland, wenngleich sich natürlich seit Schnabels Konzerttätigkeit in den 1930er Jahren einiges geändert hatte; in den 1950er Jahren kamen dann noch Schwierigkeiten in der McCarty-Ära hinzu, die hauptsächlich den Sohn betrafen.


    Seine erste Europatournee nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges führte Artur Schnabel im Sommer 1946 nach England, in die Niederlande, nach Belgien, Frankreich, Italien und in die Schweiz. Bei einem vierwöchigen Aufenthalt in Sils Maria entstand im Juli das Particell der Rhapsody for Orchestra, das er im Herbst in New York orchestrierte.
    Artur Schnabel hatte Deutschland 1933 für immer den Rücken gekehrt und war nie wieder zurück gekommen, wohl auch wegen des harten Schicksals seiner Mutter, die im August 1942 von Wien aus nach Theresienstadt deportiert wurde und dort am 4. Oktober im gleichen Jahr zu Tode kam.


    Dennoch kehrte er nach Berlin zurück, wo er nach eigener Aussage in den Jahren 1919 bis 1924 musikalisch gesehen die anregendsten und vielleicht glücklichsten Jahre seines Lebens verbracht hatte. Die Akademie der Künste in Berlin erhielt um die Jahrtausendwende den Nachlass Artur Schnabels; wo auf zwölf Archivmetern große Teile dieses prallen Künstlerlebens auf etwa 55.000 Blatt Papier dokumentiert sind. In den Kriegswirren hatten Freunde der Familie das Konvolut an Papieren in einer Berghütte am Comer See eingemauert, sodass es der Familie 1946 unversehrt übergeben werden konnte.


    Artur Schnabel hatte schon 1948 gesundheitliche Schwierigkeiten; nach einem Herzinfarkt konnte er kaum noch konzertieren. Sein letztes öffentliches Konzert gab er 1951 im New York Hunter College.
    Therese Schnabel war sechs Jahre älter und überlebte ihren Mann um neun Jahre; sie war 1951 wieder nach Europa gekommen, um den Nachlass zu ordnen und starb am 30. Januar 1959 an einer Lungenentzündung im Krankenhaus von Lugano.
    Die Gemeinde Schwyz hat im Jahr 2006 das Familiengrab dank einer Spende der Schnabel Music Foundation übernehmen können.


    Praktische Hinweise:
    6430 Schwyz, Friedhofstraße 16. Das Friedhofsgelände hat mehrere kleinere Türchen als Zugänge; wenn man vom oberen Teil der Friedhofsstraße kommt, kann man durch so ein Türchen recht schnell zum Grab gelangen. Benutzt man jedoch diesen breiten Eingang, dann geht man diagonal links zur hinteren Friedhofsmauer.


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  • Karl Böhm - * 28. August 1894 Graz - † 14. August 1981 Salzburg


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    Zum heutigen Geburtstag von Dr. Karl Böhm


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    Die hintere Friedhofsbegrenzung bildet sich aus diesen Gruft-Gräbern.


    Dr. Karl Böhm

    Der Vater war Rechtsanwalt und das Elternhaus hatte die Erwartung, dass der Sohn selbstverständlich in die Fußstapfen des Vaters tritt, zumal eine eigene Kanzlei vorhanden war. Der Vater meinte:


    »Wenn ich das Gefühl habe, dass du wirklich etwas Großes erreichen wirst, kannst du mit meiner vollen Unterstützung rechnen. Aber als Rückhalt muss dir das Jusstudium dienen, damit du, wenn es schiefgeht, in meine Kanzlei eintreten kannst.«


    Das Misstrauen gegen den Künstlerberuf war vom Vater aus berechtigt, denn als Rechtanwalt und Syndikus des Grazer Stadttheaters hatte er Einblicke in das Elend künstlerischer Mittelmäßigkeit.


    Karl war der älteste der drei Böhm-Buben, nach ihm kamen noch Leopold und Walter.
    Schon im Babyalter horchte der kleine Karl auf, wenn aus der nahen Kirche Orgelklänge zu hören waren oder Militärmusik von der Kaserne her erklang; mitunter wurde sogar ein Leierkastenmann als Babysitter engagiert.
    Die Jungs wuchsen in einem musikliebenden Elternhaus heran; Vater Leopold war begeisterter Wagnerianer, der dem Grazer Konzertleben sehr nahe stand. Der später berühmte Dirigent vermittelte der Öffentlichkeit, dass sein Vater eine sehr schöne Stimme gehabt habe, die etwa zwischen Tenor und Bariton lag; als Söhnchen Karl acht Jahre alt war, konnte er Vaters Gesang am Flügel begleiten. Übrigens nahm Leopold Böhm auch Gesangsstunden und war mit seinen jüngeren Söhnen Mitglied des akademischen Gesangvereins.
    In Sachen Musik schätze Dirigent Böhm seine Eltern so ein: »Meine Mutter war unerhört musikalisch, nicht nur musikliebend, während mein Vater musikliebend, aber nicht musikalisch im eigentlichen Sinne war«.


    Die Familie Böhm gehörte zur besseren Gesellschaft, wie man zu sagen pflegt und man besaß in der Nähe von Graz - in Baierdorf - eine Villa.
    Auch die Verwandtschaft der Böhms konnte sich sehen lassen: ein Großonkel von Karl Böhm war der letzte österreichisch-ungarische Kriegsminister und der andere Großonkel war der Opernsänger Carl Link, dem das ›Große Sängerlexikon‹ immerhin mehr als eine Seite widmet und er war auch der erste deutschsprachige Don José an der Berliner Hofoper.


    Zunächst wollte Karl Böhm ja Pianist werden und musste mit dem Klavierunterricht recht unterschiedliche Erfahrungen machen. Ein Lehrer forderte so viel zu üben, dass man eitrige Fingernägel bekommt, also wechselte er zu einer Klavierlehrerin, die mehr Freude an der Musik zu vermitteln wusste. Dann kam er zu Franz Weiß, einem Schullehrer, der Chormeister des Grazer Männergesangvereins war und seine Musikbegeisterung auf den jungen Böhm übertrug.


    Es traf sich auch gut, dass Vater Leopold Böhm alle Grazer Künstler kannte und recht gut vernetzt war, wie man das heutzutage nennt; als Sohn Karl 1913 die Matura bestanden hatte, durfte er für ein Jahr nach Wien gehen. Der Grazer Dirigent Franz Schalk hatte dazu geraten dass der angehende Musikstudent nicht an die Akademie geht, sondern Privatstunden bei Eusebius Mandyczewski, dem langjährigen Archivar der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien nimmt. In der Nachschau beurteilte der alte, erfahrene Böhm diese Studien so:


    »In einem Jahr lernte ich bei ihm das, wofür ich an der Akademie drei Jahre benötigt hätte; die Zeiten mit Mandyczewski waren die fruchtbarsten meiner ganzen Studienzeit.«


    Aber da war ja noch die Absicherung, nämlich Rechtswissenschaften zu studieren, also schrieb er sich parallel zu seinen Musikstudien an der Karl-Franzens-Universität in Graz ein.
    Wenn er jedoch Vorlesungen hörte, dann waren es die von Guido Adler, der Musikgeschichte lehrte.


    Böhm selbst sagte, dass er nie juristische Vorlesungen besuchte, sondern einfach den Prüfungsstoff gepaukt hat, was offenbar ausreichend war, denn am 4. April 1919 promovierte er an der Grazer Universität zum Dr. jur. Auf diesen so hart erarbeiteten Titel legte Karl Böhm zeitlebens einen gewissen wert.


    Inzwischen hatte in Europa ein fürchterlicher Krieg stattgefunden, dem Karl Böhm mit einigem Geschick und Einfallsreichtum weitgehend ausweichen konnte.
    Nachdem der Zwanzigjährige für tauglich eingestuft war, musste er sofort einrücken.
    Der Vater war beruhigt, dass sein Sohn zur »Traindivision« kam, denn die sorgen für den Nachschub, da hat man immer was zu essen.
    Da er ein eigenes Pferd stellen konnte und ein begeisterter Reiter war, musste er also nicht direkt an die Front. Nach einigen beim Militär üblichen Schikanen wurde er dann recht bald Korporal und Zugführer. Ohne eigenes Verschulden wurde Zugführer Böhm von einem Pferd getreten, dann kam eine Bronchitis hinzu, die ein befreundeter Arzt als TBC-verdächtig einstufte; 1916 schied Böhm mit dem Befund ›völlig untauglich‹ aus dem Heer aus.


    Als Kapellmeister Markowitz fragte: »Willst du nicht zu uns ans Theater kommen?«, war das natürlich ein willkommenes Angebot und ein echtes Kontrastprogramm zu den kriegerischen Ereignissen; Karl Böhm bekam einen Vertrag als Korrepetitor am Grazer Theater.
    Am 17. Oktober 1917 dirigierte Karl Böhm an diesem Theater seine erste Oper - »Der Trompeter von Säckingen«, die eigentlich einer Aufführungsdauer von fünf Stunden bedarf, aber der junge Dirigent strich das Werk auf zweieinhalb Stunden herunter.
    Die Aufführung war ein voller Erfolg, wobei zu erwähnen ist, dass das damals noch nicht Dr. Böhm war, denn zwischen seinem zweiten Dirigat, dem »Freischütz«, musste immer noch - mit Hilfe eines Paukers - für das zweite juristische Staatsexamen gebüffelt werden, was bis in die tiefe Nacht hinein geschah.
    Beim dritten Rigorosum war Böhm in Graz schon ein recht bekannter Dirigent, man darf davon ausgehen, dass das eine eher angenehme Prüfungssituation war.
    Als er dann in Graz mit »Fidelio« von der Kritik enthusiastisch gelobt wurde, lag ihm das musikalische Graz zu Füßen; in der Saison 1920/1921 konnte er sich aussuchen was er dirigieren wollte, er hätte nun Opernchef in Graz werden können - strebte aber nach Höherem.


    Während der Generalprobe zu »Othello« erreichte Dr. Böhm ein Telegramm aus München; der Absender war Bruno Walter, der zu einem Probedirigat nach München einlud; als Probedirigate waren am Nationaltheater München »Freischütz« und »Butterfly« vorgesehen.
    Den praktisch sicheren Chefposten in Graz aufs Spiel setzen und zu Dirigaten mit ungewissem Ausgang nach München fahren, was damals auch verkehrstechnisch schwieriger war als heute, das glich einem Vabanquespiel.
    Die Probevorstellungen mit Böhm gefielen zumindest dem Publikum und der Kritik, aber die Theaterleitung ließ den jungen Dirigenten nach der »Butterfly«-Aufführung zunächst im Unklaren; erst nach einer schlaflosen Nacht - von Böhm - wandte sich Bruno Walter an den neuen Kollegen und riet zu einem Verbleib in München, um auf hohem Niveau zu lernen.
    Vor allem konnte Böhm sein noch nicht allzu umfangreiches Repertoire erweitern.
    Zu dem bisher familiären ›Hausgott‹ Richard Wagner brachte ihm Bruno Walter nun Mozart näher.


    Und Böhm ließ sich darauf ein, besuchte möglichst oft Walters Proben sowie Aufführungen, die Walter dirigierte. So geschah es, dass Böhm als jüngster Dirigent im Hause schon im ersten Jahr Mozarts »Entführung« leiten durfte, eine solche Besetzung wäre in Graz nicht möglich gewesen: Richard Tauber sang den Belmonte, Maria Ivogün die Konstanze und Paul Bender den Osmin.
    Nach neunjähriger Tätigkeit verließ Bruno Walter München und wechselte nach Berlin. Der nachfolgende Hans Knappertsbusch war dann von ganz anderem Kaliber, es soll ein Zusammenraufen gewesen sein. Da waren die Sympathien von Thomas Mann besser, denn im Hause Mann stand im Raum, dass Böhm ein guter Schwiegersohn sein könnte.
    Aber dann war da auch noch das Fräulein Thea Linhard in der Rolle der Mimi in »La Bohéme«, eine 17-Jährige - heute kaum vorstellbar. Bruno Walter hatte die zarte Stimme entdeckt und gefördert.
    Nachdem Böhm in seinen sechs Münchner Jahren etwa siebenhundert Opernabende musikalisch gestaltet hatte, kam ein Angebot aus Darmstadt; dort war die Stelle als Generalmusikdirektor vakant. Karl Ebert war in Darmstadt Generalintendant und Rudolf Bing Leiter des Betriebsbüros. In Darmstadt hatte sich also eine unternehmungslustige Truppe zusammengefunden, wobei man stets nach Berlin schielte, um zu sehen was Klemperer da macht und die Berliner Uraufführungen möglichst einige Tage später in Darmstadt aufzuführen. Das waren dann Werke von Hindemith und Křenek und - natürlich besonders bemerkenswert - Alban Bergs »Wozzeck«, bemerkenswert deshalb, weil sich der später berühmte Böhm weltweit für dieses Werk einsetzte.
    Damals kam Berg etwa acht oder zehn Tage vor der Erstaufführung mit seiner Frau nach Darmstadt; Berg zeigte sich mit der Aufführung sehr zufrieden und schrieb anerkennende Worte in Böhms Partitur.


    In Darmstadt hatte Böhm einen sechsjährigen Vertrag, also von 1927 bis 1933. Aus der um neun Jahre jüngeren Thea Linhard war inzwischen Frau Böhm geworden, die nun nicht mehr auf der Opernbühne tätig war und nur noch in Konzerten sang; 1938 kam in Darmstadt auch Sohn Karlheinz zur Welt.
    Als Böhm Ende 1930 eine »Meistersinger«-Aufführung dirigierte und der Bassist Leopold Sachse, der damals Intendant in Hamburg war, dieser Aufführung beiwohnte, war er von dem Gehörten so angetan, dass man Böhm in Hamburg haben wollte. Mit einigen Schwierigkeiten gelang es aus dem Vertrag heraus und nach Hamburg zu kommen, denn Böhm war in Darmstadt nicht nur in der Oper tätig, sondern leitete auch sämtliche Symphoniekonzerte.


    In Hamburg fühlte sich Böhm sehr wohl und von dort aus ergaben sich auch erste Kontakte zu Richard Strauss, weil Böhm hier viele Strauss-Opern auf den Spielplan brachte. Aber es ergaben sich auch Kontakte nach Wien, wo dem Grazer seit Jugendtagen die Musikszene bestens vertraut war. Also stand der einstige Galeriebesucher nun auf dem Dirigentenplatz der Wiener Staatsoper und hob den Taktstock zu »Tristan und Isolde«.


    Mit diesem Werk führte er sich auch in Dresden ein, wo man ihm sogleich die verwaiste Operndirektorstelle anbot. Man hatte dort Fritz Busch durch widerliche politische Machenschaften aus dem Amt gedrängt, womit Karl Böhm absolut nichts zu tun hatte.
    Dennoch war die Leitung eines so traditionsreichen Hauses, mit wunderbarer Akustik und erstklassigem Orchester und Ensemble eine Einladung, die man eigentlich nicht abschlagen konnte.
    Die Historiker Michael H. Kater und Fred K. Prieberg haben dazu allerdings andere Ansichten entwickelt, aber die waren in der glücklichen Lage, dass ihnen solche Angebote nie gemacht wurden.
    Allerdings haben Historiker eine Menge Äußerungen von Böhm zusammengetragen, die für ihn aus heutiger Sicht kein Ruhmesblatt sind, auch wenn er für sich das starke Argument hatte, dass er nie Parteimitglied war; nach eigener Aussage: ›Ich gehöre nur einer Partei an: der musikalischen‹.


    Also die Verlockung Dresden war schon groß, ein hundertzwanzig Musiker starkes Orchester und ein Ensemble in dem Maria Cebotari, Martha Fuchs, Margarethe Teschenmacher, Martha Rohs, Elisabeth Höngen, Christel Goltz, Erna Sack ... und Mathieu Ahlersmeyer, Kurt Böhme, Josef Herrmann, Sven Nielsen, Paul Schöffler... sangen.
    Und diese Damen und Herren standen praktisch jeden Abend zur Verfügung und reisten nicht ständig in der Welt herum.
    Karl Böhm konnte 1936 noch mit seinem Ensemble am Covent Garden in London gastieren und »Rosenkavalier«, »Tristan«, »Don Giovanni« und »Figaro« aufführen.


    Noch während seiner Dresdner Zeit hatte Karl Böhm einige Male sowohl an der Wiener Staatsoper als auch im Konzerthaus dirigiert. Wieder einmal kam Böhm aus einem Vertrag heraus, 1943 wurde er Direktor der Wiener Staatsoper.
    Im Wiener Großen Musikvereinssaal feierte Richard Strauss am 11. Juni 1944 seinen 80. Geburtstag; zu Richard Strauss hatte Böhm engen Kontakt, bei Strauss´ 70. Geburtstag waren sich sich die beiden persönlich begegnet, woraus sich dann eine innige künstlerische Zusammenarbeit und Freundschaft ergab.
    An den Kriegsfronten gab es nichts zu feiern, aber fast zeitgleich - also im Juni 1944 - war Karl Böhm auch noch in der Schweiz tätig, wo sich die Gelegenheit gab Schweizer Franken zu verdienen, die benötigt wurden, um den Aufenthalt von Sohn Karlheinz im renommierten Lyceum Alpinum in Zuoz zu finanzieren.
    Böhm hätte damals in der Schweiz bleiben können, Freunde boten Unterstützung an.
    Dennoch ging er mit einigen Bedenken zurück ins Inferno, man kann das so bezeichnen, denn er dirigierte auch immer mal wieder die Berliner Philharmoniker, wobei er in Berlin den Brand des Schlosses und die Zerstörung der Staatsoper erlebte.


    Bevor die Theater wegen der Kriegsereignisse geschlossen wurden, gab es an der Wiener Staatsoper als letzte Premiere mit Böhm »Capriccio«. In der Bombennacht des 3. März 1945 war Karl Böhm mit seiner Frau bei der brennenden Oper, wo man noch versuchte Mobiliar aus den Flammen zu retten.


    Unmittelbar nach diesen Kriegswirren wollten die Amerikaner, dass 1945 in Salzburg Festspiele stattfinden. Böhm hatte sich aus Wien abgesetzt und war im Salzkammergut bei Käthe Dorsch am Attersee untergekommen.
    Da die Wiener Philharmoniker nicht nach Salzburg kommen konnten, griff man auf ein Mozarteum-Orchester zurück und Böhm sollte die »Entführung« und zwei Konzerte dirigieren. Dem schoben jedoch die Russen einen Riegel vor und erklärten, dass es untragbar sei, dass Böhm bei den Festspielen dirigiert. Schließlich traf das alliierte Verbot auch die Kollegen Furtwängler, Karajan, Knappertsbusch und Krauss.
    Die Amerikaner sahen in Böhm einen Künstler, der als ›leaning toward Nazism‹ bekannt war.
    Als Karl Böhm wieder in Graz war, verbot man ihm sogar Stunden zu geben, also gab Frau Böhm Gesangsstunden und die nun mittellos gewordene Familie wurde von Verwandten unterstützt. In Graz hatten damals die Engländer das Sagen und ließen Böhm sogar einmal ein Bruckner-Konzert dirigieren, aber das Alliierten-Abkommen ließ keine weiteren Auftritte zu.


    Bereits im Dezember 1945 hatte der US-Kulturoffizier Otto de Pasetti - ein gebürtiger Südtiroler, der nach Amerika emigriert war - erkannt, dass Böhm über ein hohes künstlerisches Ansehen verfügt und für den Aufbau der Grazer Oper herangezogen werden könne. Im Januar 1947 erfolgte noch eine Steigerung, denn man stellte fest, dass der Dirigent am Wiederaufbau des kulturellen und musikalischen Lebens in Österreich insgesamt benötigt wird. Zum 1. Mai 1947 wurde das Dirigierverbot aufgehoben.


    Das erste Böhm-Dirigat nach dem Verbot war »Fidelio« im AusweichquartierTheater an der Wien, was im Vorfeld eine gewisse Problematik hatte, weil Drohungen gegen Böhm laut wurden; ein französischer General gewährte Schutz, denn der Afführungsort lag im französischen Sektor.
    Als sich die Nachkriegssituation entspannte und die Musikszene in den Normalmodus zurückkehrte, war Böhm auch in Italien und Südamerika tätig, wo er von 1950 bis 1953 Leiter der deutschen Stagione in Buenos Aires war und auch Werke wie »Jenufa«, »Elektra« und »Wozzeck« sehr erfolgreich zur Aufführung brachte.
    Die Zeit zwischen 1947 bis 1955 bezeichnete Böhm als seine ›Wanderjahre‹ und stellte in der Rückschau fest, dass er mit Ausnahme von Nordamerika fast die ganze Welt bereist hatte. Im Dezember 1960 bemerkte er eine beträchtliche Beeinträchtigung seines Sehvermögens, musste ein Konzert mit den New Yorker Philharmonikern absagen, um sich sofort nach Wien zur Behandlung zu begeben; die Operation gelang.


    Nach so erfolgreicher internationaler Tätigkeit wollte sich Böhm eigentlich nicht mehr in das enge Korsett eines Operndirektors begeben, aber natürlich hatte er mitbekommen, dass er als Kandidat gehandelt wurde. Man einigte sich dergestalt auf einen Kompromiss, dass Böhm nur für sieben Monate in Wien sein müsse und die restliche Zeit für seine Konzertreisen nutzen könne. 1954 wurde mit der Bundestheaterverwaltung ein Vertrag über fünf Jahre geschlossen; es war im Folgenden einiges zu tun, denn am 5. November 1955 sollte die aus Ruinen entstandene Wiener Staatsoper feierlich eröffnet werden; bei der »Fidelio«-Aufführung stand Karl Böhm am Pult, die anderen Festaufführungen dirigierten Knappertsbusch, Kubelik und Fritz Reiner.


    Nach diesen Festvorstellungen flog Böhm für etwa vier Wochen nach Chicago. Nachdem der Rückkehrer in Wien-Schwechat gelandet war, empfing ihn Karl Löbl, Kulturchef von »Bild-Telegraf« und berichtete auf dem Weg zum Terminal von den Missständen an der Staatsoper: Verschlampte alte Produktionen hatten in mittelmäßiger Besetzung das Stammpublikum verärgert - Löbl muss das in vorwurfsvollem Ton gesagt haben, und Böhm entgegnete auf diese Vorhaltungen:
    »Ich denke nicht daran, meine internationale Karriere der Wiener Staatsoper zu opfern«
    Die Redaktion hatte natürlich am nächsten Tag eine wunderbare Schlagzeile, die in der Folgezeit ausgiebig zitiert und kommentiert wurde.


    Bei einer Aufführung von »Fidelio« bekam Böhm nun an der Wiener Staatsoper die Quittung für seine spontane und unbedachte Aussage - er wurde ausgepfiffen, was offenbar organisiert war; Böhm war am Boden zerstört und auch seine Frau trug aus diesen Vorgängen erhebliche gesundheitliche Schäden davon. Der Dirigent und Direktor bat um Entlassung aus seinem Vertrag.
    Obwohl so etwas unvergesslich ist, nahte psychologische Hilfe aus New York; Rudolf Bing, der Weggefährte aus Darmstadter Zeit, inzwischen Chef der Metropolitan Opera, bot ihm an im folgenden Jahr an seinem Haus zu dirigieren.


    In New York konnte sich Böhm nun mit seinem geliebten Mozart trösten, der für ihn gewissermaßen ein Gesundbrunnen war. Einerseits war Rudolf Bing froh, dass er den großen Dirigenten am Haus hatte, andererseits bekam Böhm die Höchstgage und verlangte stets viele Proben für Orchester, Solisten und Chor.
    Bis ins hohe Alter gastierte Böhm an namhaften Opernhäusern und dirigierte berühmte Orchester. Zu Salzburg und den Festspielen hatte Böhm ein ganz besonderes Verhältnis, denn seit 1938 hatte er bis zu seinem 85. Geburtstag 338 Mal hier musikalische Aufführungen geleitet, weshalb der Pausen- und Veranstaltungsraum heute Karl-Böhm-Saal heißt. Politisch korrekte Menschen haben diese Ehrung 2015 relativiert.
    Ansonsten wurden Karl Böhm eine Menge von Ehrungen zuteil: Ehrenbürger von Graz, Ehrenbürger von Wien, Ehrenring der Stadt Wien, Anton-Bruckner-Ring, Goldener Ehrenring der Stadt Bayreuth ... es ließen sich noch ein Dutzend oder mehr Ehrungen hinzufügen.
    Aber auch Schmähungen, wie zum Beispiel das Puppenspiel »Böhm«.


    Mitunter wird auch darüber gestritten ob Karl Böhm ein großer Mozartdirigent war; die Mehrheit wird das wohl bejahen, denn schon recht früh hat ihm Bruno Walter Mozart ans Herz gelegt, und später hat dann Richard Strauss nochmals nachgelegt.
    Diesbezügliche Gemeinsamkeiten gab es mit Nikolaus Harnoncourt nicht, der gegen Böhms Ästhetik opponierte. Noch kurz vor seinem Tode grantelte Böhm in einem Interview:
    »Ich könnte ihm beweisen, dass seine Interpretationen mit Mozart nur wenig zu tun haben. Ich lehne ihn ab.«


    Wie Harnoncourt auch, hatte Karl Böhm dirigieren eigentlich nie gelernt und er war der Ansicht, dass man das auch nicht lernen kann. Als Böhms Vater mal bei den Bayreuther Festspielen den Dirigenten und Wagnerfreund Hans Richter gefragt hatte - wie wird man Dirigent?, sagte dieser:
    »Man geht aufs Podium - und entweder kann man es oder man lernt es nie!«


    Wer einmal sehen und hören möchte, welche überschäumende Begeisterung der greise Karl Böhm bei ganz jungen Leuten auszulösen vermochte, kann bei YouTube den Beitrag
    »Karl Böhm Last concert in Japan & Rehearsal (1980) abrufen.


    Im Sommer 1981 leitete der nun fast 87-Jährige die Proben zu »Elektra« von Richard Strauss; es handelte sich um eine Verfilmung von Götz Friedrich; Karl Böhm verstarb noch während der Dreharbeiten in Salzburg, etwa zwei Monate später starb auch seiner Frau; das Grab findet man auf dem Grazer Steinfeldfriedhof.


    Praktische Hinweise:
    Friedhofstraße 33 / 8020 Graz.
    Der Steinfeldfriedhof liegt in einer erschreckend trostlosen Umgebung von Gleis- und Gewerbeanlagen. Man wendet sich am Haupteingang kurz nach rechts und geht dann links an der Mauer entlang bis zur hinteren Friedhofsbegrenzung, die sich aus Gruft-Gräbern ergibt und gegenüber dem Haupteingang befindet. Die Gruft der Familie Böhm liegt also in diagonaler Linie links vom Haupteingang beim Feld F8.


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  • Johan Botha - * 19. August 1955 Rustenburg (Südafrika) - † 8. September 2016 Wien


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    Zum heutigen Todestag von Johan Botha


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    Leider ist die Vergolderarbeit misslungen, denn Blattgold hat eine Lebensdauer von Jahrzehnten, siehe Beitrag 834

    .

    Nach eigener Aussage wuchs Johan auf einer riesigen Farm auf, die 1.700 Hektar groß war und seinen Großeltern gehörte; da gab es tausende Kühe, Schafe, Schweine, natürlich auch wilde Tiere und der Milchzug fuhr durch dieses Gelände, wobei die Dampflok den Kleinen mächtig beeindruckte.
    Elektrisches Licht wurde von einem Generator erzeugt und es gab damals in Südafrika nur zwei Radiosender, einer bot vor allem klassische Musik.
    Botha ist dort ein weitverbreiteter Name, so dass es sich ergab, dass Johans Eltern schon vor ihrer Heirat den gleichen Nachnamen hatten.
    Wenn man sich durch englischsprachige Medien liest, wird hier geschrieben, dass Johan Botha in der kleinen Bauerngemeinde Derby, 80 Meilen von Rustenburg entfernt, geboren wurde, wo sein Vater Postmeister und seine Mutter Postmeisterin war, Botha erzählte einmal:
    »Ich bin zwischen Postsäcken aufgewachsen.«; später zogen sie nach Rustenburg, wo Johan seine Ausbildung fortsetzen konnte ohne aufs Internat zu müssen.


    Seine Berufsentscheidung traf Johan bereits im Alter von fünf Jahren, denn sein Vater und der Opa mütterlicherseits hörten sehr viel Opernmusik und der Junge sang oft kräftig mit, so zum Beispiel bei »La Traviata« - natürlich alle Partien - ; vom Sopran über Bass-Bariton bis zum Tenor hatte er alles drauf, wobei der Vater dann schon einmal mahnte endlich die Klappe zu halten. In Vaters Plattensammlung waren die Stimmen von Enrico Caruso, Beniamino Gigli und Richard Tucker zu hören.


    Zunächst schicken ihn die Eltern zum Chorsingen; als der Junge zehn Jahre alt war, kam ein Geistlicher der niederländisch-reformierten Kirche zum Hausbesuch (auch als etablierter Sänger war Johan Botha sehr religiös) und empfahl den Eltern dem Zehnjährigen Gesangsunterricht geben zu lassen. Da wird ein tschechischer Flüchtling als Gesangslehrer genannt, aber auch eine Frau Jarmilla Tellenger; seiner Lehrerin soll er die Königin der Nacht aus der »Zauberflöte« vorgesungen haben.


    Als Schüler hatte er es nicht ganz leicht, weil Johan Legastheniker war, also weder Wörter flüssig lesen noch buchstabieren konnte und er litt darunter, dass man ihn für dumm hielt. Was er jedoch konnte - Noten lesen!

    Nach dem Abitur absolvierte er 1983-84 seine Militärzeit bei der südafrikanischen Luftwaffe, wo auch Musik ein Thema war; in einer Militärjazzband spielte er Gitarre und Schlagzeug. Aber durchweg lustig war die Sache nicht, bei Grenzkriegen gab es Erlebnisse, die seine Seele nicht so einfach wegstecken konnte, so dass er die Schrecken des Militärlebens durch eine Therapie aufarbeiten musste.
    Dann ging Botha an die Pretoria Technikon Opera School. Hier wies man ihm als erste Rolle den Sir John in Verdis »Falstaff« zu. Aufgrund seiner stimmlichen Bandbreite kommt man erst allmählich darauf, dass Johan Botha ein Tenor ist. Der 22-jährige Botha springt einmal in Pretoria in der Baritonrolle des Carlo Gérrard bei einer Aufführung von »Andrea Chénier« ein. Sein Lehrer, Eric Muller, weissagte damals: »Sie werden einer der besten Wagner-Tenöre der Welt sein« Nach seinem Studium debütierte er 1989 in seiner Heimat - in Roodepoort - als Max im »Freischütz«.


    Auch dem großen Chorleiter Norbert Balatsch (Bayreuther Festspielchor 1972-1999) blieb diese außergewöhnliche Stimme nicht verborgen, er engagierte den Südafrikaner 1990 für den Festspielchor.
    Johan Botha nutzte den dreimonatigen Aufenthalt, um die deutsche Sprache zu lernen und lernte hier auch den Fußballsport kennen, denn in Italien wurde gerade die Weltmeisterschaft ausgetragen. Im Folgenden verlegte er seinen Lebensmittelpunkt nach Europa.

    Presseberichte nennen als Debüt in Deutschland den 26. Januar 1991, wo beim Pfalztheater Kaiserslautern die Premiere von Verdis »Maskenball« über die Bühne ging.
    Die nächsten Stationen waren Dortmund, Hagen, und Bonn, dann hatte sich das Stimmereignis allgemein herumgesprochen, also auch bis zu den großen Häusern.
    Er gastierte an allen drei Berlinern Opernhäusern. Ab 1993 war Botha auch mit der Hamburgischen Staatsoper verbunden, wo er sein Debüt als Florestan in »Fidelio« gab und am 3. Oktober 2014 letztmals als Radames in »Aida« auf der Bühne stand.


    Seinen internationalen Durchbruch schaffte Johan Botha 1993 mit seinem Auftritt als Pinkerton in »Madame Butterfly« an der Pariser ›Opéra Bastille‹. Wie nachzulesen ist, schickte Bothas Manager Einladungen an Spitzenhäuser; man möge sich die Vorstellung in Paris anhören. Johan Botha erklärt die folgenden Reaktionen so:
    »Innerhalb von zwei Wochen hatte ich Verträge mit Covent Garden, der Met, der Wiener Volksoper und der Berliner Oper unterzeichnet.«
    Die Welt stand ihm nun offen und es ist eigentlich müßig alle großen Häuser zu nennen.
    An der »Met« debütierte er im Januar 1997 als Canio in »I Pagliacci« und war dann dort unter anderem in »Lohengrin«, »Die Meistersinger von Nürnberg«, »Turandot«, »Aida«, »Don Carlos« und »Otello« zu sehen und zu hören. Seit dem Sommer 1998 trat Botha auch bei den Salzburger Festspielen auf.


    Und natürlich gehört Wien dazu, die Stadt, welche der Sänger mit Frau und zwei Jungs als Lebensmittelpunkt wählte; 1998 wurde Botha österreichischer Staatsbürger.
    Sein Wiener Debüt gab er zunächst 1994 an der Volksoper, wo er einen hochgelobten Rodolfo unter der Regie von Harry Kupfer sang; eigentlich sang er den Rudolf, denn es war eine deutschsprachige Aufführung.
    Der renommierte Musikkritiker Dr. Wilhelm Sinkovicz fasst das Gehörte in folgende Worte:
    »Von der großen Arie und dem strahlend angesetzten, dann behutsam ins Piano zurückgenommenen hohen C, von den Pianissimi in den Duetten, namentlich jenem im dritten Akt, schwärmen die Wiener Habitués noch heute.«
    An der Wiener Staatsoper debütierte Botha dann am 20. Februar 1996 als Mario Cavaradossi in »Tosca« und wurde bereits im Juni 2003 zum bisher jüngsten österreichischen Kammersänger der Staatsoper Wien ernannt.
    Bei weltweiten Aktivitäten versuchte Botha seine Auftritte auf etwa vierzig pro Jahr zu begrenzen, was ihm auch oft gelang, außer 2013, als die musikalischen Antipoden Verdi und Wagner ihren runden Geburtstag hatten.


    Bothas Repertoire umfasste alle großen Tenorpartien des italienischen und deutschen Fachs. Als Wagner-Sänger machte er ab 1998 auf sich aufmerksam, wo er - wiederum an der Volksoper - als Walther Stolzing in »Die Meistersinger von Nürnberg« zu hören war.
    Endlich - 2010 - konnte der ehemalige Bayreuther Chorsänger als Solist und unter dem Dirigat von Christian Tielemann auf der Bayreuther Festspielbühne stehen. Bis dato hatte Botha Wagner-Partien an vielen großen Bühnen der Welt gesungen, nur nicht in Bayreuth, wo er nun den Siegmund anstelle von Endrik Wottrich sang und recht gute Kritiken bekam, man sprach von einem strahlenden Lichtblick.
    Als Botha 2013 den Siegmund an gleicher Stelle unter Kirill Petrenko bot, wurde seine sängerische Leistung abermals hoch gerühmt, jedoch sein darstellerisches Unvermögen kritisiert. Das wurde mitunter auch verletzend getan und der wuchtige Sänger kontert, wenn er in Kritiken liest, dass er kein glaubwürdiger Liebhaber sei: »Ich singe wie einer«.
    Ferner gab er zu bedenken, dass kein Magersüchtiger Otello singen könne.
    Wenn es um Musikalisches ging war Botha sehr beweglich. In Kaiserslautern und Hagen hatte er »Madame Butterfly«, »Carmen« und »Bajazzo« in deutschen Übersetzungen gesungen. Als nun in Paris der vorgesehene Tenor absagte, lernte er seine Rolle innerhalb von zwei Tagen auf Italienisch.


    Als Sänger wurde er in aller Regel hochgelobt, weil er sich nicht nur auf seine Stimmgewalt konzentrierte, sondern sehr differenziert sang, was nur gelingen konnte, weil er ständig auch an allerkleinsten Feinheiten feilte. Über viele Jahre hinweg arbeitete er in Berlin mit der ausgezeichneten Stimmkennerin Irmgard Hartmann-Dressler an Details; als er zum ersten Kontakt bei ihr erschien und die Bajazzo-Arie sang, sagte sie: »Warum schreien Sie mich so an?« Diese Zusammenarbeit beschrieb er einmal so:
    »Sie ist einerseits eine sehr freundliche Dame. Aber sie hat ein unglaubliches Gehör und korrigiert mich gnadenlos, wenn ich mal einen Fehler mache. Und diese Kontrolle hilft mir ungeheuer weiter. So wie man ein Auto in die Werkstatt bringt, mache ich das Feintuning mit Frau Hartmann.«
    Sein Korrektiv starb hochbetagt im Dezember 2013.


    Obwohl er im deutschen und italienischen Fach gleichermaßen Erfolg hatte, war Botha in Wagner-Rollen weltweit besonders begehrt, weil eben im italienischen Fach ein Reservoier an Tenören zur Verfügung steht, aber ein guter Wagner-Tenor seltener zu finden ist.
    Auch in Strauss-Opern war Botha kaum zu übertreffen; als das Münchner Nationaltheater im November 2013 den 50. Geburtstag der Wiedereröffnung mit »Die Frau ohne Schatten« feierte, und Kirill Petrenko in München seinen Amtsantritt hatte, schrieb der Kritiker Peter Krause:
    »Eine gewohnt sichere Bank ist Johan Botha als gewichtiger Kaiser mit nimmermüde mühelosem Tenorstrahl«.
    Wenn es unbedingt sein musste, war Botha auch in der Lage helfend einzuspringen, so wie zum Beispiel im März 2012, als er nach einer Probe mit seinen Söhnen zum Essen gegangen war und natürlich auch ein Bier getrunken hatte, läutete schon beim Betreten der Wohnung das Telefon. Der Musikverein Wien brauchte binnen einer Stunde einen Ersatz für den mit einer Nierenkolik kurzfristig ausgefallenen Torsten Kerl bei einer Aufführung von Mahlers »Das Lied von der Erde« mit Zubin Metha.
    Botha, der diesen Part letztmals vor sechs Jahren gesungen hatte, sprang ein und in ein Taxi, das ihn mit eiligem Tempo von Hietzing aus zum Musikverein brachte, das Studium des Klavierauszuges konnte auf dieser Fahrt nicht allzu intensiv gewesen sein. Thomas Hampson hatte seine ersten Lieder bereits gesungen als Botha eintraf.
    Obwohl Mahlers Werk unter diesen unglücklichen Umständen nicht wie gewohnt aufgeführt werden konnte, war das Publikum an diesem Abend hell begeistert.
    Man kann an dieser Stelle einen Sprung ins Jahr 2016 machen, wo Mahlers Stück unter Kirill Petrenko aufgeführt wurde; Johan Botha, der in dieser Aufführung singen sollte, war schon schwer krank, musste absagen und Robert Dean Smith sprang für ihn ein.


    Aber zunächst eilte Botha von Erfolg zu Erfolg und konnte auch seinen Eltern die Freude machen, dass sie ihren Sohn öfter hören konnten, weil manche Opernaufführungen der »Met« weltweit in Kinosäle übertragen werden.
    Botha kam auch regelmäßig nach Südafrika, aber bedauerte, dass er nicht öfter gebeten wurde, dort zu singen. Er forderte auch mehr Übersetzungen von Opern in die ›schwarzen Sprachen‹ und fügte hinzu:
    »Zulu-Vokale sind rund und funktionieren in der italienischen Musik.«


    Um nochmals in das Jahr 2012 zurückzukehren - in einer Matinee der Wiener Staatsoper am 15. Juni dieses Jahres, wurde Johan Botha der Titel eines Blue Shield-Botschafters verliehen, wobei Ioan Holender die Laudatio hielt. Der Schutz von Kultur war für Botha ein Anliegen, das weit über den musikalischen Bereich hinaus ging.


    Als Sänger war Botha weit voran gekommen, aber seine Stimme hatte noch Entwicklungspotenzial, schließlich hatte er sich die »Tristan«-Partitur schon ehrfürchtig angesehen, und er erklärte lachend, dass ihn dann der Mut verlassen habe.
    James King, der große und erfahrene Wagner-Tenor, ›drohte‹ dem angehenden Sänger einmal: »Lass Dich nicht dabei erwischen, dass Du Wagner singst, bevor Du alt genug dazu bist.« Ferner gab King dem jungen Botha den Rat: »Eine große Wagner-Karriere wird durch das Wort ›Nein‹ gebaut«. Im Wesentlichen hielt sich Botha auch an diese Ratschläge.
    Aber er näherte sich dem »Tristan« und war zumindest mit Duetten aus diesem Werk auf Tonträgern zu hören, seine Partnerin war Deborah Polaski.
    Für 2017 war in Berlin mit Barenboim mehr »Tristan« geplant, aber dazu sollte es nicht mehr kommen.


    Im Oktober 2015 hatte Botha an der Metropolitan Opera New York unter dem Dirigat von James Levine sieben erfolgreiche Auftritte in »Tannhäuser« gehabt, die letzte Vorstellung am 31. Oktober. Danach wurde der Sänger mit der Diagnose Leberkrebs konfrontiert.
    Da war an Singen nicht mehr zu denken, das Procedere nach so einer Diagnose ist ja allgemein bekannt. Ein Wunder? - Im Juni 2016 war er in Budapest in »Walküre« zu hören und es folgten Auftritte an der Bayerischen Staatsoper mit »Turandot« an der Seite von Nina Stemme.


    Auch in Südafrika ist Johan Botha im August 2016 nochmal in Galakonzerten zu hören, muss jedoch seine letzten Auftritte krankheitsbedingt absagen. Johan Bothas letztes Konzert fand am 16. August in Stellenbosch statt, sein letztes öffentlich gesungenes Lied war »Heimwee« von S. le Roux Marais.


    Wenn man sich quer durch die Literatur liest, gewinnt man den Eindruck, dass Johan Botha nicht nur ein beeindruckender Sänger war, sondern auch ein überaus gütiger und humorvoller Mensch. Zu seiner Frau hatte er einmal gesagt: »Hau mir eine Pfanne über den Kopf, wenn ich 60 bin, und sag: Jetzt ist Schluss.«


    Am 21. September trug man den Ausnahmesänger in Wien zu Grabe; Staatsoperndirektor Ioan Holender brachte es in seiner Trauerrede auf den Punkt: »Johan Botha machte sich Zeit seines Lebens nicht wichtig - er war es durch seine Leistung.«
    Verabschiedet wurde das Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper durch das Staatsopernorchester und den Chor des Hauses mit Mozarts »Ave verum« und der »Maurischen Trauermusik« sowie Felix Mendelssohn Bartholdys »Wirf Dein Anliegen auf den Herrn«
    Den musikalischen Schluss der Trauerfeier gestaltete Johan Botha selbst, es war eine Einspielung seiner Interpretation des Walter von Stolzing aus »Die Meistersinger von Nürnberg«.


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    Johan Botha ruht hier im Kreis berühmter Bühnenpersönlichkeiten


    Praktische Hinweise:
    Das Ehrengrab von Johan Botha befindet sich auf dem Zentralfriedhof Wien, Simmeringer Landstraße 234.
    Vom Tor 3 ausgehend erreicht man den Ehrenhain Gruppe 40 in etwa fünf Gehminuten, Friedhofspläne stehen ausreichend zur Verfügung.

  • Karl Dönch - * 8. Januar 1915 Hagen - † 16. September 1994 Wien


    Über seine Herkunft und wie Karl Dönch zum Sängerberuf kam, ist in der Öffentlichkeit außer dem Geburtsort nichts bekannt. Das Große Sängerlexikon stellt dar, dass Dönch am Konservatorium in Dresden ausgebildet wurde; in anderen Publikationen ist zu lesen, dass er Musik, Gesang und Schauspiel studierte; Hinweise auf seine besondere schauspielerische Begabung ziehen sich wie ein roter Faden durch sein Künstlerleben.


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    Zum heutigen Todestag von Karl Dönch


    Karl Dönchs Debüt fand 1936 am Stadttheater Görlitz statt, wo er in der Rolle des Dr. Bartolo im »Barbier von Sevilla« in Erscheinung trat. Dem folgten Engagements am Grenzlandtheater in Reichenberg (Liberec, Böhmen, 1939-41). In den Jahren 1942 bis 1944 ist eine Tätigkeit am Stadttheater Bonn dokumentiert.


    Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Dönch »Österreicher«, das heißt, dass er für den Rest seines Lebens in Österreich, insbesondere in Wien, fest verwurzelt war; allgemein wird er als deutsch-österreichischer Sänger mit der Stimmlage Bassbariton bezeichnet.
    Dönch nähert sich Österreich über Salzburg und in den Analen des Salzburger Landestheaters ist nachzulesen wie sich die Anfänge nach dem großen Krieg gestalteten.
    Nachdem Intendant van Hamme in Pension gegangen war, konnte keine in allen Belangen geeignete Nachfolge gefunden werden, so dass de Pasetti - damaliger Leiter der Theater- und Musikabteilung des amerikanischen Nachrichtenkontrolldienstes in Österreich - in eine besondere Konstruktion der Theaterleitung einwilligte. Es bildete sich ein Triumvirat aus dem Schauspieler Erwin Faber, dem Operettenkomiker Riegler und Karl Dönch, der das Theater künstlerisch leiten sollte.
    Das erste Stück auf dem Spielplan war »Der Wildschütz« von Lortzing, Dönch sang den Schulmeister Baculus.


    Die »Salzburger Nachrichten« vom Dienstag, 2. Juli 1946 bringen einen Bericht über Karl Dönch, der mit einem Porträtfoto und drei Rollenfotos des Sängers illustriert ist. Einige Textauszüge, die zeigen wie der damals 31-Jährige gesehen wurde, seien hier zitiert:


    »Karl Dönch hat in der vergangenen Saison fünf Opern inszeniert, eine schöne Leistung, wenn man die Schwierigkeiten berücksichtigt, die er bewältigen musste. Abgesehen davon, dass schon das Beschaffen einer Partitur gegenwärtig eine außergewöhnliche Leistung darstellt, stand Dönch meist nur wenig Zeit zu Proben zur Verfügung ...
    Dönchs Künstlerpersönlichkeit wird von zwei Hauptmomenten getragen: seinem schauspielerischen Können und seinem außergewöhnlichen Sicheinfühlen in den Geist des Werkes. Wir schrieben schon einmal, dass Dönch auch als Schauspieler Karriere gemacht hätte. Sein Spiel ist vollkommen ausgereift und abgeschliffen. Die sogenannten Spitzwegtypen sind seine Hauptstärke und in deren Darstellung ist er zweifellos unübertrefflich. Stimmlich zeichnet ihn eine feine Musikalität aus. Jeder Ton sitzt sicher, und nur die Farbe des Tons ist manchmal blass.«


    Nur sechzehn Monate später wird dann Dönchs vorläufiger Abschied von Salzburg angezeigt, in anderer Mission kommt er jedoch wieder in die Stadt; in der Chronik liest sich das so:


    15. Oktober 1947
    Abschiedsabend von Karl Dönch. Der beliebte Opernsänger des Landestheaters gibt im Großen Saal des Mozarteums ein umjubeltes Abschiedskonzert, begleitet von Paul Schilhawsky am Flügel. Karl Dönch übersiedelt an die Staatsoper Wien.«


    An der Wiener Staatsoper erschien Karl Dönch erstmals am 7. November 1947. Unter dem Dirigat von Ference Fricsay wurde »Dantons Tod«, eine Oper des Komponisten Gottfried von Einem, als Übernahme von den Salzburger Festspielen, gegeben; Dönch in der Rolle des Simon, den er auch schon in Salzburg alternierend mit Georg Hann sang.


    Karl Dönch hatte in den Folgejahren mehr als tausend Auftritte an der Wiener Staatsoper absolviert, wobei zu erwähnen ist, dass das nicht immer die ganz großen Rollen waren - zum Beispiel 142 Mal als Mesner in »Tosca« -, aber mit seinem Sixtus Beckmesser brachte er es in 27 Jahren auf beachtliche 93 Vorstellungen und hatte auch Gastverträge mit Opernhäusern in Berlin und Düsseldorf; gastierte als Beckmesser an der Mailänder Scala, am Teatro Colón in Buenos Aires und war von 1966-69 an der Metropolitan Opera New York engagiert, wo er als Beckmesser debütierte, aber auch im »Rosenkavalier« und »Wozzeck« zu hören war. Man kann in diesem Rahmen nicht alle Häuser seines Wirkens nennen, aber Gastspiele am Teatro San Carlos Lissabon und an der Grand Opéra Paris seien noch erwähnt.
    Bei all diesen internationalen Verpflichtungen sollen auch noch seine Mitwirkungen bei den Festspielen in Salzburg, Bregenz und Mörbisch nicht vergessen werden.


    Nachdem Albert Moser von der Wiener Volksoper weggegangen war, erwies sich die Nachfolge als schwierig, weil da allerhand zu beachten war. So kam es zu der Situation, dass die Belegschaft einen Kandidaten aus den eigenen Reihen vorschlug - Kammersänger Karl Dönch.
    Von 1973 bis 1987 war er nun in vielerlei Hinsicht die prägende Persönlichkeit; als Direktor, Regisseur und Darsteller auf der Bühne. Dönch wollte an der Volksoper ein neues Ensemble formen und das vorher übliche Auftreten von Gästen etwas einschränken. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit kündigte Dönch an, das Repertoire drastisch auf 35 Werke zu reduzieren.
    Im Gegensatz zu seinem Vorgänger war für Dönch das Singen in deutscher Sprache unverzichtbar. Dönch griff auch dergestalt ins Repertoire ein, indem er keine Musicals mehr spielen ließ. Marcel Prawy schrieb in seinem Buch: »während an der Volksoper noch meine Musicalproduktion lief, kam ein musicalfeindlicher Direktor an die Volksoper, der berühmte Beckmesser Karl Dönch.«


    In Dönchs Direktionszeit wurden insgesamt 190 Abende angeboten, an denen Spielopern der Komponisten Lortzing, Flotow und Nicolai gespielt wurden, 65 Mal »Der Wildschütz«, 43 Vorstellungen der Oper »Zar und Zimmermann« ...
    In den 14 Jahren unter Dönch wurden 42 Opern und 23 Operetten zur Aufführung gebracht.
    Allerdings waren die Kritiken in den verschiedenen Zeitungen nicht gerade berauschend, also in der überwiegenden Zahl schlecht, wenn man das so querbeet liest.


    So schreibt zum Beispiel die »Wochenschau« zur Premiere von »Der Wildschütz« am 3. Dezember 1977:


    »So konnte Karl Dönch den dümmlichen Schulmeister [...] wohl immer noch wie vor siebzehn Jahren an der Staatsoper als komische Figur genüsslich ausspielen, nicht aber mehr partieentsprechend aussingen.«


    1981 hatte Karl Dönch die Kammersängerin Sonja Mottl geheiratet, die seit 1955 Ensemblemitglied der Volksoper war und dort 1.475 Auftritte hatte. Sie starb 2014 und fand ihre letzte Ruhe an der Seite ihres ersten Mannes auf dem Hernalser Friedhof.


    Karl Dönchs Leben, insbesondere sein Theaterleben, war äußerst facettenreich und dies ist auf Tonträgern vielfältig dokumentiert und der Nachwelt erhalten


    Praktische Hinweise:
    Das Ehrengrab von Karl Dönch befindet sich auf dem Zentralfriedhof Wien, Simmeringer Landstraße 234.
    Vom Tor 3 ausgehend erreicht man den Ehrenhain Gruppe 40 in etwa fünf Gehminuten, Friedhofspläne stehen ausreichend zur Verfügung.


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    Sein künstlerisches Wirken ist auf Tonträgern vielfältig dokumentiert.

  • Ich habe ihn in Wien und in Düsseldorf gesehen und gehört. Wenn er auf dem Programmzettel stand, konnte man sich sicher sein, sängerisch wie schauspielerisch, eine vorzügliche Darstellung zu erleben.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Rosette Anday - * 22.12.1903 Budapest - † 18.09.1977 Wien


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    Zum heutigen Todestag von Rosette Anday


    Die später als Rosette Anday weltberühmt gewordene Sängerin hieß von Geburt eigentlich Piroska Andauer und war die Tochter des jüdischen Kaufmanns Ludwig Andauer (*1870 - † 1900) und seiner Frau Elvira, geborene Holländer.
    Mit den offiziellen Geburtsnamen von Sängerinnen war das in dieser Generation so eine Sache; in diesem Falle verwundert eine am 4. April 1900 im PESTER LLOYD - einer deutschsprachigen Tageszeitung, - erschiene Todesanzeige, in der die Witwe Ella Andauer in ihrem und im Namen ihres Kindes Piroska, die Öffentlichkeit über das plötzliche Ableben ihres Mannes Ludwig Andauer informiert; es soll ein Freitod gewesen sein und die Vaterschaft stellt sich auch etwas nebulös dar.


    Es wird von einem Philologischen Studium an der Budapester Universität berichtet, das nach der Datenlage jedoch nicht besonders tiefgründig gewesen sein kann. Als sicher gilt, dass Piroska Andauer in Budapest Violine und Gesang studierte. Violine bei Jenö Hubay (Eugen Hubay) und Gesang bei Georg Anthes, Madame Charles Cahier und Gino Tessari studierte. Die Studien waren offensichtlich so erfolgreich, dass die junge Frau bereits 1920 an der Budapester Nationaloper debütieren konnte. Hier geraten die in der Literatur genannten Daten etwas durcheinander, denn sie soll als 18-Jährige an der Wiener Staatsoper debütiert haben.


    Die Geschichte spielte sich mit großer Wahrscheinlichkeit so ab, dass Franz Schalk, Dirigent und Direktor der Wiener Staatsoper, die junge Sängerin in Budapest hörte und so begeistert war, dass er sie unverzüglich an sein Haus nach Wien holte, was verständlich ist, wenn man sich heute die Stimme auf alten Platten anhört.


    Veni, vidi, vici - man kann das etwas modifizieren: sie kam, sie sang, sie siegte, und zwar auf der ganzen Linie. Da kommt also eine völlig Unbekannte aus Budapest herüber und dient sich nicht über kleine Rollen hoch, sondern steigt an diesem berühmten Haus gleich mit Carmen ein.
    Wenn man die Analen der Staatsoper studiert fällt lediglich auf, dass die Neue bereits am 14. September 1921 bei den drei Knaben in der »Zauberflöte« mitwirkte, vermutlich um die Atmosphäre des Hauses zu schnuppern.
    Am 23. September 1921 dann der große Einstieg als Carmen, eine Rolle, in der sie schließlich bis 1951 insgesamt 82 Mal auf der Bühne der Wiener Staatsoper stand. Es sollen insgesamt 106 Rollen des gesamten Alt- und Mezzosopran-Faches gewesen sein, die sie beherrschte.
    Noch in der gleichen Saison gab sie - gefördert von Franz Schalk und Richard Strauss - ihren ersten Liederabend im Großen Musikvereinssaal in Wien. Warum Meister Strauss von der Sängerin so begeistert war, kann man nachvollziehen, wenn man die alte Polydor-Platte von 1928 auflegt und hört wie sie das Lied »Befreit« singt.
    Ab 1922 hatte sie auch zahlreiche Auftritte bei den Salzburger Festspielen; allmählich wurde ihr Künstlername ›Rosette Anday‹ zu einem Markenzeichen und die Sängerin war weltweit begehrt; sie tourte nicht nur durch die bekannten Opernhäuser Deutschlands sondern war auch in Europa und auf dem amerikanischen Kontinent präsent.


    So kam es schließlich auch fern der Heimat zur ersten Eheschließung; während einer dreimonatigen USA-Tournee heiratete sie im Februar 1932 in New York den jüdischen Adligen Egon Ernst von Ketschendorf, aber dem in der New Yorker Saint Thomas Church geschlossenen Ehebund war keine lange Dauer beschieden, schon im Mai 1933 hatte die Gemeinsamkeit ein Ende gefunden.


    Ihre Stimme reifte immer mehr heran, wurde mit der Zeit voluminöser, so dass sie von Mozarts Cherubino und Dorabella zu Verdi und Wagner kam.
    Fünf Jahre nach ihrem Wiener Debüt war sie mit der Rolle der Dalila in Camille Saint-Saëns Oper »Samson und Dalila« gefordert, eine Traumrolle für eine Mezzosopranistin.
    Und sie beglückte Strauss nicht nur mit dem Vortrag seiner Lieder - sie war auch eine großartige Klytämnestra.


    Im Juni 1937 kam es dann in Wien zu einer zweiten Eheschließung mit dem Rechtsanwalt Dr. Karl Bündsdorf. Diese Ehe blieb stabil, aber die politischen Verhältnisse nicht, was diese Verbindung einer Belastung der besonderen Art aussetzte. Ab März 1938 durfte Rosette Anday wegen ihrer jüdischen Herkunft nicht mehr an der Staatsoper auftreten und erhielt demnach auch keine Gage mehr. Der rechtskundige Gatte gab sein Bestes, er war ja ›Arier‹, aber die Zeiten waren äußerst gefährlich, also versuchte man in dieser Situation möglichst unbemerkt zu bleiben.


    Nach Kriegsende gab es relativ schnell auch wieder Salzburger Festspiele, so war sie bei der Uraufführung von »Dantons Tod« am 6. August 1947 mit dabei und ihr letzter Salzburger Auftritt war bei Mozarts Requiem am 24. August 1947.
    1961 konnte sie ihre 40-jährige Zugehörigkeit zur Wiener Staatsoper feiern; in einer Festvorstellung verabschiedete sie sich am 22. Oktober als Klytämnestra in »Elektra«.



    Praktische Hinweise:
    Das Ehrengrab von Rosette Anday befindet sich auf dem Zentralfriedhof Wien, Simmeringer Landstraße 234.
    Vom Tor 2 kommend geht man die Hauptachse geradeaus und erreicht Gruppe 32 C vor der großen Friedhofskirche und links des Hauptweges.
    Man kann von etwa fünf Gehminuten ausgehen, Friedhofspläne stehen ausreichend zur Verfügung.


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    Diese beiden Steine sind andere Gräber, das Grab Anday befindet sich weiter rechts davon


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  • Nachtrag


    Wenn man das Leben eines Künstlers, in diesem Falle einer Künstlerin, Revue passieren lässt, liegt es in der Natur der Sache, dass man nicht jeden großen Auftritt im Detail ausleuchten kann. Aber es muss zum Beitrag # 839 noch etwas Wichtiges hinzugefügt werden, würde man es nicht tun, wäre das eine unverzeihliche Unterlassungssünde. - Rosette Anday war eine ganz große Mahler-Interpretin!


    Bei den Salzburger Festspielen trat sie auch als Konzertsolistin auf: 1928 sang Rosette Anday am 19. August unter dem Dirigat von Bruno Walter und mit dem Tenorpartner Jacqes Urlus im »Lied von der Erde« von Gustav Mahler.
    1934 war sie mit diesen Mahler-Liedern wiederum in Salzburg unter Walter zu hören, dieses Mal mit dem amerikanischen Tenorpartner Charles Kullmann.
    Der Kulturredakteur Dr. Otto Kunz schrieb im ›Salzburger Volksblatt‹ am 16. August 1934:
    »Prachtvoll Frau Anday in der Alt-Partie. Diese Frau fühlt mit, tiefe Trauer erfüllt ihre Seele. Gustav Mahler selbst scheint in ihr Abschied vom Leben zu nehmen.«



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