Ende der Plattenlabel "Emi Classics" und "Virgin Classics"

  • Ich versuche bei dem Thema möglichst amüsiert zu bleiben, damit ich mich am Ende nicht doch noch wundere. Die Übernahme vom EMI durch Warner, die ich ökonomisch nicht beurteilen kann, treibt ja inzwischen recht seltsame Blüten. Neulich habe ich eine EMI-Aufnahme von 1976 gekauft, bei Amazon noch mit der roten Signatur angezeigt, offenbar auf dem Postweg durchweg mit Warner Classics um-etikettiert. Nicht genug. Nunmehr erfolgte sogar die Veröffentlichung vor fast vierzig Jahren schon durch Warner Classics. Das Remastering, wer hat es 1999 besorgt? Warner Classics. Selbst die Wiederauflage wurde noch vor der Übernahme durch Warner Classics in weiser Voraussicht durch Warner Classics bewerkstelligt. :D Alle Ausgaben, die diese Kennzeichnung nicht hatten, scheinen inzwischen vom Markt genommen zu sein. Der nächste Schritt ist, dass eine große Zahl von berühmten Produktionen, die wir alle kennen, schon 1950 in den Warner-Classics-Studios in London zustande kamen unter Leitung des Warner-Classics-Produzenten Legge. Wo hat nochmal Furtwänger seinen "Tristan" eingespielt? Natürlich bei Warner Classics - ufw. usf. Der Name EMI, ob man dem nun nachtrauert oder nicht, wird sehr radikal ausgemerzt, auch in die Vergangenheit hinein. Das finde ich in dieser Form und Eile schon übertrieben, weil es an Geschichtsklitterung grenzt und mich ein bisschen an Orwell erinnert, bei dem selbst alte Zeitungen in den Archiven um-gedruckt wurden, damit sie sich den jeweiligen neuen Verhältnissen anpassten. Manchmal spielt die Herkunft doch eine Rolle. Eine Parallele zum Verlagswesen sei erlaubt. Wie wäre es beispielsweise mit Thomas Mann aus dem Bastei-Verlag statt von Fischer? Inzwischen würde mich auch das nicht mehr erschüttern. ;)


    Einen vergnüglichen Abend wünscht Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich persönlich finde die Tilgung des Namens "EMI" auch ziemlich daneben. Andererseits muss man es Warner lassen, dass sie viele seit Jahren vergriffene EMI-Aufnahmen in preiswerten, hochwertigen Boxen neu aufgelegt haben, teilweise in deutlich verbesserten Remasterings. Wir "Traditionalisten" werden es also mit einem lachenden und einem weinenden Augen betrachten.


    Hier mal ein ganz aktuelles Beispiel:



    JPC (links) zeigt die frühere Auflage, Amazon (rechts) die neuere. Ich selbst habe die Box noch mit EMI-Schriftzug erhalten.


    Allerdings ist das ja scheinbar nicht ganz neu. Kamen nicht viele CBS-Aufnahmen (Columbia) nicht auch bereits vor vielen Jahren unter dem Namen "Sony" auf den Markt? Ich meine mich hier besonders an Bernstein-Aufnahmen zu erinnern.


    Wie dem auch sei: Einerseits muss man sich wundern, andererseits kann man sich bei Warner jetzt auch freuen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Rheingold


    Du hast völlig recht, aber Werner folgt hier konsequent den Beispielen von SONY und auch teilweise von UNIVERSAL.
    Man möchte durch Erwerb eines Labels, bzw eines Archivs auch die Vergangenheit für sich reklamieren.


    Wenn das aber kaufmännisch negative Folgen zeigt, dan bringt man einfach die alten Stücke wieder in den Originalcovern mit dem einstigen Originallogo auf den Markt und rühmt dessen glorreiche Vergangenheit, weils einen nichts kostet - das Label und seine Rechte gehören einem ja sowieso. Allenfalls ist dann die eigene Eitelkeit ein wenig verletzt, weil die Vergangenheit doch stärker ist....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ist es nicht so, daß Warner das Label (=Markenzeichen) "EMI" garnicht erworben hat?
    Ich meine gelesen zu haben, daß Warner lediglich die Rechte an den EMI-Aufnahmen erworben hat, speziell an den Klassikaufnahmen. Also alles, was bislang unter "EMI-Classics" lief. Die POP/Rock-Aufnahmen von EMI gingen an andere Mitbewerber.
    Die Musikrechte, also was man unter Noten, Aufführungsrechte u.a. versteht, gingen, so glaube ich, an Universal.
    Der EMI-Konzern wurde also regelrecht in Stücke gerissen und an die Meistbietenden verteilt.
    Wenn Warner das Markenzeichen "EMI" nicht besitzt, kann Warner natürlich die alten EMI-Aufnahmen nicht unter dem EMI-Markenzeichen vertreiben, sondern muß unter dem Warner- oder Erato- Markenzeichen CDs anbieten.
    Daß Label undercover gehen, ist nicht ungewöhnlich. Man denke nur an Philips. Die Philips-Aufnahmen werden nun von Decca herausgebracht. Alles unter dem Universal-Dach. Philips-Vierkanalaufnahmen aus den 70.Jahren erschienen erstmals beim von ehem. Philips-Angestellten 2001 gegründeten Label "PentaTone".
    Und selbst bei EMI hat es nach der "Wende" von 1989 eine Aufteilung der Rechte an den deutsch/deutschen Gemeinschaftsproduktionen gegeben. EMI mußte damals Rechte an Berlin Classics (Edel) abgeben und demnach erschienen EMI-Aufnahmen unter dem Label Berlin Classics.

    mfG
    Michael

  • Derlei hat es immer schon gegeben. Man darf nicht vergessen, daß Nipper -eines der wirksamsten Labelmaskottchen zeitweise für folgende Firmen geworben hat: RCA-Victor JVC - EMI - Deutsche Grammophon .....


    Das gelegentlich ebenfalls betrauerte Label TELDEC war eine Gründung durch die Label TELEFUNKEN und DECCA.


    HELIODOR - seit 1914 im Besitz der Deutschen Grammophon-Gesellschaft wurde mehrfach stillgelegt - wiedergegründet und oftmals umgewidmet. Teileweise für Pop, dann wieder als Klassiklabel der 2. Reihe.....


    Im Falle von Warner - EMI kkommt vielleicht noch erschwerend hinzu, daß EIGENTLICH EMI WARNER übernehmen wollte - worauf WARNER ebenfalls mit einem Übernahmeangebot gekontert hat.


    EMI hat- soweit ich es verfolgen konnte - keine Loyalität zu ihren Künstlern und Mitarbeitern entwickelt.
    Das lässt sich zurückverfolgen bis zu Herbert von Karajan, von dem einst ein Manager gesagt haben soll (Quelle: eine der vielen Karajan Biographien die ich gelesen habe), es wäre nicht mehr viel von ihm zu erwarten - er habe bereits alles aufgenommen und sei nun ausgebrannt. Die Deutsche Grammophon Gesellschaft erwies sich - wie so oft nachher - als besserer Taktiker und nahm den "Ausgebrannten" mit Handkuss - sogar mit Exklusivvertrag....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • EMI hat- soweit ich es verfolgen konnte - keine Loyalität zu ihren Künstlern und Mitarbeitern entwickelt.


    Na ja, stimmt das wirklich?


    Karajan nahm 1946 bis 1960 für EMI auf, dann folgte offenbar dieser Exklusivvertrag mit DG. Aber bereits 1969 schloss Karajan erneut einen Vertrag mit EMI unter Legges Nachfolger Suvi Raj Grubb, der bis 1984 währte.


    Mit Klemperer hatte EMI von 1954 bis zu seinem gesundheitsbedingten Ausscheiden 1971 einen (exklusiven?) Vertrag.


    Insofern hatte EMI in den 60ern mit Otto Klemperer doch ebenfalls ein absolutes Schwergewicht als Zugpferd. Da war der (temporäre) "Verlust" Karajans sicherlich verschmerzbar.


    Aktuellerer Fall: Seit 1980 steht Sir Simon Rattle unter Exklusivvertrag von EMI, der wohl 2013 auslief. Ob ihn Warner übernommen hat, weiß ich nicht.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Die Eliminierung des Label-Namens ist eine Zumutung, finde ich. Wozu soll das gut sein? Das ist ungefähr so, als würde der Bösendorfer-Flügel nach dem Kauf der Firma durch Yamaha nun Yamaha heißen.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Zitat

    Die Eliminierung des Label-Namens ist eine Zumutung, finde ich. Wozu soll das gut sein? Das ist ungefähr so, als würde der Bösendorfer-Flügel nach dem Kauf der Firma durch Yamaha nun Yamaha heißen.


    Es ist eine Frage der Selbsteinschätzung. Sony meinte ja auch den Labelnamen CBS eliminieren zu müssen.
    Inzwischen tauchen aber immer wieder Neuaflagen unter dem Label CBS auf.


    Es ist natürlich möglich, daß es - wie weiter oben im Thread angedeutet - rechtliche Gründe gibt den Labelnamen EMI nicht zu verwenden. Ich selbst habe mich an den Namen EMI (als Label) erst gewöhnen müssen, denn früher stand COLUMBIA oder ELECTROLA auf den Schallplatten.


    Ich habe versucht mit ein Bild von den Zusammenhängen zu machen - aber es ist mir im Rahmen eines vertretbaren Zeitaufwandes nicht gelungen - zu oft wurden Firmen übernommen - fusioniert - umbenannt - neu gegründet und umgewidmet (z.B. von Klassik auf Jazz etc etc)


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das hat es doch schon sehr lange in ähnlicher Form gegeben. Wie schon gesagt wurde, zB His Master's Voice, Electrola und Columbia als Vorläufer? oder Unterlabel von EMI. Nippon Columbia in Japan gibt es glaube, ich, immer noch. Amerikanische? CDs hatten teils statt des Bildes mit Hund Nipper den "Angel", der auf der Schallplatte sitzt, Decca firmierte in manchen Ländern unter "London", "Argo" war ein Unterlabel (oder geschluckt worden).
    Die Deutsche Grammophon ist seit irgendwann in den 70ern? im Besitz des Westminster-Katalogs; zwar wurden einzelne CDs mit Originalcover herausgebracht, aber zB die Box mit Scherchens Haydn-Sinfonien natürlich auch mit gelber Kartusche.



    Günter Wands Kölner Aufnahmen der 1970er/80er habe ich als "Deutsche Harmonia Mundi EMI", RCA Victor, RCA ohne Victor gesehen.


    Neu ist höchstens, dass zwei schon vorher sehr große Firmen fusionieren und die übertriebene retrospektive Neu/Falschlabelung bei Aufnahmen, die man jahrzehntelang unter einem anderen Label gesehen hat.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Kann sein, dass es diese Praktiken schon lange gab. Für mich ist es wieder ein Stück Traditionsverlust. Es ist auch keine kluge, nachhaltige Markenpolitik, wenn die Namen wie die Hemden gewechselt werden.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

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  • Wie kann etwas, was eine jahrzehntelange Tradition hat, nämlich Fusionen, Aufkäufe und entsprechende Umetikettierungen, "Traditionsverlust" bedeuten?

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    (Bob Dylan)

  • Ich wollte gerade dasselbe sagen: Tonträgerlabel waren stets einige Jahre bis Jahrzehnte am Markt - Dann verschwanden sie.
    Allerdings meist nur für eine gewisse Zeit. Angel Records und sein Sublabel Seraphim wurden (erfolglos) wiederbelebt als man glaubte mit nostalgischer Aufmachung Kunden zum Kauf bewegen zu können.
    Harmonia Mundi - es gab ZWEI Firmen dieses Namens, die - zwar von verschiedenen Personen gegründet - dennoch 10 Jahre eng zusammenarbeiteten. Damals hiessen beide "Harmonia mundi" Sie tauschen sogar Interpreten aus. Die französiche Firma bekam dann den Namen "Harmonia mundi" France und gründete einige Jahre später einen Ableger in den USA - "harmonia mundi - USA"
    Das deutsche Label "Harmonia mundi" bekam zunachst Bertelsmann als neuen Eigne, der es jedoch an BASF verkaufte. In der Tat prangte auf den Veröffentlichen Aufnahmen jener Zeit das BASF Logo. Schliesslich wurde das Label wieder von der BMG übernommen und läuft seither unter "Deutsche harmonia Mundi"
    EMI - Gegründet 1931 hat meist unter anderen Labelnamen verkauft - denn "Electric and Musical Industries Ltd" ist ja nicht gerade verlockend. Erst in den letzten Jahrzehnten wurde der Name EMI und das schmucklose Logo (man beachte den Unterschied in der Unternehmensphilosophie von DGG !!) verstärkt eingesetzt.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das Logo allein war eher nicht EMI's Problem. Als erfolgreichstes und wohl auch beliebtestes Independentlabel hat HMF auch kein sehr aufallendes Logo. Bisher scheint auch kein Major die Corporate-Design-Strategie von z.B. alpha oder Glossa kopieren zu wollen. Dafür gewänne der Bestand der bisherigen EMI-Kataloge den Preis für die häßlichsten Cover. Zudem war der reiche Back-Katalog in Zusammenhang mit einer unentschiedenen aktuellen Firmenpolitik kontraproduktiv für die Entwicklung einer nach außen darstellbaren Gesamtidentität.