Der englische Komponist Brian Ferneyhough (1943- ) gilt als einer der avanciertesten Komponisten der Gegenwart, seine Musik wird oft als Musterbeispiel der "Neuen Komplexität" genannt. Anlässlich des 40-jährigen Bestehens des Arditti Quartett hat selbiges eine Gesamtaufnahme aller Streichquartette von Ferneyhough plus Trios auf 3 CDs bei Aeon herausgebracht.
Diese Edition habe ich noch nicht, aber in Erwartung selbiger habe ich heute zum ersten Mal eine ältere Einspielung des 1. Streichquartetts (1968) - ebenfalls vom Arditti Quartett gespielt - gehört. Ich gehe mal davon aus, dass die neue Version nicht viel anders klingt, bei Ferneyhough gibt es wenig zu "interpretieren" sondern es geht um die möglichst exakte Umsetzung des notierten und das ist wohl schon eine Herausforderung, der sich nur wenige stellen mögen. Das 1. SQ heisst Sonatas for String Quartet und ist mit über 40 min wohl das längste des Komponisten. In Kenntnis des wesentlich kürzeren 2. Quartetts hatte ich ein bisschen Bammel vor einer Dreiviertel Stunde dieser komplexen Musik, habe aber entspannt mit Kopfhörer auf dem Sofa gelegen und festgestellt, dass diese Zeit recht schnell und angenehm verging. 20 "Sonaten" umfasst das Werke, wobei der Begriff Sonate sicher nicht wörtlich zu nehmen ist. Eine Art Sonatenform habe ich in den 20 Stücken nicht finden können. Die Sonaten sind entsprechend recht kurz zwischen 1-3 min und das erinnert natürlich an die aphoristischen Werke von Webern. Die Klangwelt ist nicht unähnlich, die Ansprüche an die Virtuosität der Musiker sind allerdings sicher deutlich höher. Ferneyhough ist berüchtigt dafür, Unspielbares zu schreiben, aber dieses Wort gibt es ja im Arditti-Kosmos nicht. Die Stücke klingen alle recht ähnlich und so erinnert die Hörreise durch diese Klangwelt ein wenig an eine Wanderung durch eine Ausstellung abstrakter Bilder des gleichen Künstlers aus einer Epoche. Man bleibt vor jedem Bild eine kurze Weile stehen und geht dann weiter, findet immer wieder ähnliche Motive und Farbkombinationen. Die Musik von Ferneyhough ist zwar komplex und völlig atonal, aber auch ziemlich transparent, es gibt wenig verdichteten Klang, die Instrumente agieren meist unabhängig voneinander. Dies macht es mir einfacher, diese Musik zu hören, als z.B. dicht instrumentierte dodekaphone Kompositionen. Es ist eine seltsame Musik - aber keine, die mich abstösst.
P.S. Die Aufnahme der Ardittis ist übrigens nicht die erste, es gibt von 1976 bereits eine Schallplatten Einspielung des Berner Streichquartetts, die steht bei meinem Plattenhändler ist mir aber mit €30 zu teuer. Außerdem brauche ich bei dieser Art Musik die Klangqualität der CD. Diese Aufnahme ist in vier Teilen bei youtube hochgeladen.