Vor einigen Tagen hatte ich Gelegenheit, der letzten Aufführung der diesjährigen Bayreuther Festspiele beizuwohnen, die ebenso schlossen wie sie begonnen hatten: mit dem „Tannhäuser“, der in dieser Inszenierung zum letzten Mal überhaupt gezeigt wurde. In diesem Jahr hatte Axel Kober, der GMD der Deutschen Oper am Rhein, zum zweiten Mal die musikalische Leitung, und er hat mir sehr gut gefallen, wenngleich ich aufgrund meines besonderen Platzes (dazu unten mehr) das Orchester nicht immer gut und balanciert gehört habe und ich mein Urteil daher mit Einschränkung versehe. Die Besetzung zeigte Licht und Schatten. Torsten Kerl war als Tannhäuser sicher nicht die Bestbesetzung, besonders schwach war er im ersten Aufzug, um sich im weiteren Verlauf zu steigern und die Rom-Erzählung dann doch durchaus solide und mit der nötigen emotionalen Aufladung vorzutragen. Michelle Breedt konnte als Venus keine besonderen Akzente setzen. Zu den Stärken gehörte sicherlich Camilla Nylund, gegen deren Elisabeth ich allenfalls einwenden könnte, dass ich ihren Sopran als zu metallisch-hart empfunden habe, was aber eher eine Frage des persönlichen Geschmacks ist. Wunderbar hingegen Markus Eiche als Wolfram, der nicht nur das Lied an den Abendstern sehr schön sang. Und auch Kwangchul Youn konnte als Landgraf Hermann überzeugen. Musikalisch war die Aufführung also zumindest ordentlich, auch wenn man sich für Bayreuth vielleicht ein noch höheres Niveau wünschen würde.
Die Inszenierung von Sebastian Baumgarten war beim Publikum so unbeliebt wie lange keine andere Produktion mehr (nachdem sie nun aus dem Programm genommen wurde, hat Castorfs Öl-Ring aber sicherlich gute Chancen, den „Tannhäuser“ auf Platz 1 der Unbeliebtheitsskala abzulösen). Ich fand diese Inszenierung gar nicht mal so schlecht, auch wenn sie in mehrerer Hinsicht eine Zumutung darstellt und radikal mit hergebrachten Sehgewohnheiten bricht. Das Bühnenbild - Joup van Lieshouts Installation „Technokrat“ - und die Darstellung der Wartburg als technologische Kreislauf-Produktionsstätte, die aus Exkrementen Biogas und Alkohol erzeugt, ist sicherlich eine diese Oper verfremdende Deutung. Wenn man bereit ist dies zu akzeptieren, wird man viel Bedenkenswertes daran entdecken, und es lohnt sich durchaus, sich mit den Texten im Programmheft und auf der Website der Festspiele auseinanderzusetzen. Lehnt man Umdeutungen aus Prinzip ab, wird man sich natürlich nicht dafür erwärmen können. Sehr gut gefallen hat mir die Idee, Wartburg und Venusberg als einander bedingende Teile eines Systems darzustellen und den Venusberg folgerichtig im Keller der Wartburg anzusiedeln. Das hat wenig mit Biogasanlage und Alkoholator zu tun, aber viel mit der Synthese aus dem Apollinischen und dem Dionysischen, die Nietzsche im Wagnerschen Musikdrama verwirklicht sah. Da wird es dann auf einmal nachvollziehbar, dass Venus - ein „oben“ wenig geliebter, aber als notwendig anerkannter Teil des Systems - als Zuschauerin am Sängerwettstreit teilnimmt. Und auch vieles andere auf den ersten Blick Abstruse erweist sich als schlüssig, wenn man sich auf diese Deutung einzulassen bereit ist. Sehr gut hat mir Baumgartens Personenregie gefallen, so war der Sängerkrieg ebenso hervorragend inszeniert wie die Interaktion Tannhäusers mit den Rittern am Ende des 1. Aufzugs. Auf die Nerven gegangen sind mir hingegen Dinge wie die ständig laufenden Videos und die zum Teil schrecklich didaktischen Botschaften der Art „Wieviel Droge braucht der Mensch“. Leider hat Baumgarten die Neigung, am liebsten zehn Bedeutungsebenen gleichzeitig auf die Bühne zu bringen, was dem Verständnis und der Akzeptanz dieser Inszenierung sicherlich abträglich war.
Ich hatte bei dieser Aufführung einen besonderen Blick auf das Bühnengeschehen, denn ich war Teil davon: eine Besonderheit bei dieser Produktion waren die auf der Bühne angesiedelte Plätze, mit denen Baumgarten wahrscheinlich andeuten wollte, dass das Stück auf einer seiner Bedeutungsebenen auch in Bayreuth spielt: eine Aufführung des „Tannhäuser“ im Technokrat, die wiederum in Bayreuth aufgeführt wird. Wie dem auch sei: auf jeden Fall war es ein einmaliges Erlebnis, auf der Bühne zu sitzen und hautnah an allen Akteuren dran zu sein: ich konnte Inspizient und Bühnenarbeiter beobachten, den normalerweise im Graben verborgenen Dirigenten und das Orchester sehen und natürlich einen ganz besonderen Blick auf Sänger und Statisten auf der Bühne genießen. Die damit verbundenen akustischen Einbußen habe ich gerne in Kauf genommen. Es ist unwahrscheinlich, dass es so etwas jemals wieder geben wird, und daher habe ich es als großes Privileg empfunden, einen dieser gar nicht in den Verkauf gegangenen Plätze zu bekommen.