Trommeln vor der Tür

  • Nebenbemerkung:
    [Selbst die radikalen Linken haben dort, wo sie jahrzehntelang die Macht hatten (Ostblock) zwar (nach eigenem Bekunden ) Arbeiter- und Bauernparadise geschaffen, aber die Hochkultur der alten Klassenfeinde wurde intensivst gepflegt.]


    Du wirfst seinen sehr interessanten Aspekt in die Debatte, lieber Garaguly. Die Pflege der Hochkultur der alten Klassenfeinde, wie Du es ausdrückst, geht stark auf Lenin und seine Leute zurück. Das waren ja meist sehr gut ausgebildete weit gereiste Bürgerliche. Lenin selbst hat sich über Beethoven geäußert. Er hatte, so besagen es die Quellen, ein starkes Interesse daran, dass Musik und Theater in der Revolution nicht verloren gehen sondern unter neuen gesellschaftlichen Voraussetzungen intensiv gepflegt würden. An anderer Stelle hatte ich mal über Natalia Saz geschrieben, die Prokofjew zu "Peter und der Wolf" angeregt hatte. Sie leitete das erste Haus in Moskau, in dem professionelle Schauspieler Theater für Kinder machten. "Peter und der Wolf" wurde dort aufgeführt. Obwohl die Staatskassen leer waren, dafür wurde Geld locker gemacht. Lenin hat sich anfangs selbst darum gekümmert, berichtet die Saz in ihren Lebenserinnerungen. Otto Klemperer schätzte sie, womit auch ein Bogen zurück zum Bürgertum geschlagen wird. Der erste Außenminister der Sowjetunion, Georgi Tschitscherin, der den Vertrag von Papallo mit ausgehandelt hat, war ein ausgesprochener Mozart-Spezialist. Er hat eine große Studie über den Komponisten verfasst, die noch heute sehr lesenswert ist wegen ihres Feinsinns, ihrer geschliffenen Sprache und ihres musikwissenschaftlichen Gehalts. Sie ist auch in deutscher Übersetzung erschienen.


    Die DDR hat sich auf das sowjetische Vorbild und auch auf eigene Traditionen berufen. Beispielsweise legten die Arbeiter-Bildungsvereine schon zu Bebels Zeiten großen Wert auf die Musikpflege und Musikerziehung. Die Aufführung der 9. Sinfonie von Beethoven zum Jahreswechsel geht auf entsprechende Aufführungen in solchem Rahmen in Leipzig zurück. Arthur Nikisch, der damalige Gewandhauskapellmeister, leitete am 31. Dezember 1918 eine Aufführung mit 100 Musikern, 300 Choristen und den Solisten des "Rosenthal-Quartetts". Was sich davon nun wirklich in den Herzen der Arbeiter und Gewerkschafter festsetzte, ist eine ganz andere Frage. Vieles war Illusion und allenfalls gut gemeint. Der Ausgangspunkt aber war nach meiner festen Überzeugung ein positiver. Wie sich spätestens 1989 zeigen sollte, ist natürlich mit Musik noch kein Staat zu machen. Im Zweifel entscheiden sich Menschen für andere Dinge.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Arthur Nikisch, der damalige Gewandhauskapellmeister, leitete am 31. Dezember 1918 eine Aufführung mit 100 Musikern, 300 Choristen und den Solisten des "Rosenthal-Quartetts". Was sich davon nun wirklich in den Herzen der Arbeiter und Gewerkschafter festsetzte, ist eine ganz andere Frage. Vieles war Illusion und allenfalls gut gemeint.

    Ich denke, schon, dass in der damals weit weniger reizüberfluteten Zeit auch musikalische Laien von solche einer Aufführung zutiefst beeindruckt waren.
    Und gut gemeint ist eben in Wahrheit doch nicht das Gegenteil von gut, sondern das Gegenteil von schlecht gemeint, was ich in der Tat weit schlimmer finde als gut gemeint.



    Der Ausgangspunkt aber war nach meiner festen Überzeugung ein positiver. Wie sich spätestens 1989 zeigen sollte, ist natürlich mit Musik noch kein Staat zu machen. Im Zweifel entscheiden sich Menschen für andere Dinge.

    Das ist sicherlich richtig. Trotzdem ist mit dem "Kampf der Systeme" auch der Wettbewerb um die bessere Kunst und Kultur ausgekämpft - und dass sie reiche Bundesrepublik diesbezüglich nicht (mehr) so ambitioniert zu sein scheint wie die arme DDR, ist nicht nur fragwürdig, sondern für eines der reichsten Länder der Welt, dass sich zudem gerne als "Kulturnation" bezeichnet, regelrecht eine Schande!
    Und mit 300 oder meitwegen auch 3000 oder 30000 Klassik-Liebhabern im Elfenbeinturm, die sich für die Elite halten, ist dieses kulturelle Erbe und dieser kulturelle Reichtum eben nicht zu bewahren, sondern höchstens, wenn man so viele Menschen wie irgend möglich an die klassische Musik heranführen kann.
    Andernfalls sind die Konzertsäle bald so leer, dass die meisten Orchester nicht überleben werden, und dann gibt es klassiche Musik außerhalb der großen Metropolen nur noch von Konserve.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Seit Beethoven (oder sogar Mozart) war die jeweils aktuelle Hochkultur nicht mehr schlicht die der "Klassenfeinde", sondern zumindest eine Zeitlang die der (damals) revolutionären Klasse!
    Genauso wie das postevolutionäre Bürgertum ca. 1880 noch die aufklärerische Musik Mozarts und Beethovens goutierte, konnte im 20. Jhd. die Arbeiterklasse als (in der Rolle des revolutionären Subjekts) vorgeblicher Erbe des Bürgertums 1789-1848 dessen Musik wieder für sich beanspruchen. (Und Bach und Händel wurden zumindest teilweise "uminterpretiert", in dem man das Christliche ins allgemein-utopisch-universalistisch-brüderliche gewendet hat.)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo!


    Ich habe eben erst einen Artikel aus der Zeit der vorletzten Woche zum Thema der Gehälter der Stardirigenten gelesen. Die Autorin bringt die Frage des Elitären der klassischen Musik ein:
    "Und während im Prinzip jeder Bürger mit seinen Steuern den klassischen Konzertbetrieb subventioniert, kommt in der Regel nur ein kleines, meist elitäres Publikum in den Genuss der künstlerischen Qualitäten eines Weltklassedirigenten."
    Wenn man den Artikel ganz liest, erkennt man, dass die Autorin allerdings einen durchaus differenzierten Blick auf den vermeintlichen Widerspruch zwischen hoher Kultur und schnödem Mammon hat.


    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Seit Beethoven (oder sogar Mozart) war die jeweils aktuelle Hochkultur nicht mehr schlicht die der "Klassenfeinde", sondern zumindest eine Zeitlang die der (damals) revolutionären Klasse!


    Es gab aber in Russland vor wie nach dem Revolutionsjahr 1917 deutlich vernehmbare Stimmen innerhalb der bolschewistischen Bewegung (oder ihrer Vorläufer), die aber sehr deutlich darauf beharrten, dass der Aufbau einer neuen, einer kommunistischen, Gesellschaft nur dann in vollendete Abrundung zu bringen sei, wenn man die alte Kultur gleich den ehemals herrschenden Klassen mit entsorge auf dem Müllhaufen der Geschichte (und die "feindlichen" Klassen wurden ja dann von den Bolschewiki tatsächlich bis auf's Blut gequält und terrorisiert und gemordet). Nur eine völlig neue Kultur könne auch den gewünschten neuen Menschen hervorbringen.
    Entschieden haben sich die Bolschewiki, nachdem sie ihre Macht in Russland gesichert hatten, in Sachen Kultur anders. Auf Lenins persönliche Kulturvorlieben wies Rheingold ja schon hin.


    Man denke bitte auch an das maoistische China, wo in der Kulturrevolution alles zerschlagen wurde, was nur im entferntesten nach Hochkultur roch. Dahinter steckte ein klares Machtkalkül Maos. In einer Gesellschaft, die aller kulturellen Kraft beraubt sein würde, ließe sich Macht über die Menschen noch leichter ausüben (zudem konnten so - quasi im Vorbeigehen - parteiinterne Kritiker Maos erledigt werden). Und der Hass der roten Kulturrevolutionäre richtete sich nicht bloß gegen westliche Hochkultur, nein, wer das annimmt, irrt auf hölzernem Wege dem argumentativen Abgrund entgegen :D (Ich betone diesen Aspekt nur so sehr, weil ich tatsächlich einmal las, dass die Kulturrevolution in China als eine Befreiung der Chinesen von westlicher Kulturdominanz zu werten sei :hahahaha: ) Soweit verbreitet war die westliche Hochkultur in China gar nicht, dass man da von einer Gefahr für die chinesische kulturelle Identität hätte sprechen können - Nein! Das Hauptopfer war die klassische chinesische Hochkultur selbst (z.B. Peking-Oper, klassische Schriftkultur, Philosophie), auf die drosch man noch viel vehementer ein, da sie in ungleich größerer Masse greifbar war. Auch hier galt: Zerschlagt das Alte, damit das Neue von Grund auf neu formbar sei.


    Müssen wir noch über Pol Pot und Kambodscha reden? Ich glaube, das erübrigt sich fast von selbst.


    Ergo: Es gab im Laufe des 20. Jahrhunderts und der grausamen kommunistischen Terrorregime, die es hervorgebracht hat, sehr wohl starke Strömungen, die "Hochkultur" mit "Klassenfeind" gleichsetzten.


    Grüße
    Garaguly

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  • Es gab aber in Russland vor wie nach dem Revolutionsjahr 1917 deutlich vernehmbare Stimmen innerhalb der bolschewistischen Bewegung (oder ihrer Vorläufer), die aber sehr deutlich darauf beharrten, dass der Aufbau einer neuen, einer kommunistischen, Gesellschaft nur dann in vollendete Abrundung zu bringen sei, wenn man die alte Kultur gleich den ehemals herrschenden Klassen mit entsorge auf dem Müllhaufen der Geschichte (und die "feindlichen" Klassen wurden ja dann von den Bolschewiki tatsächlich bis auf's Blut gequält und terrorisiert und gemordet). Nur eine völlig neue Kultur könne auch den gewünschten neuen Menschen hervorbringen.


    In revolutionären Zeiten wird mancher Unsinn verzapft und mehr oder weniger erfolgreich in die Tat umgesetzt.
    Ich denke da nur an den republikanischen Kalender mit seiner 10 Tage-Woche, den die bürgerlichen Revolutionäre in Frankreich einführten und der immerhin von 1792 bis 1805 gültig war. Oder an die ganzen Bilderstürmereien während der bürgerlichen Revolution, denen auch unschätzbare Kunstwerke zum Opfer gefallen sind. Oder an die Säkularisation, die ja nun auch nicht gerade freundlich mit Sakralkunst umgegangen ist.


    Das, worauf du hingewiesen hast, lieber Garaguly, ist die Auseinandersetzung zwischen dem proletarischen Komponistenverband und der Assoziation für zeitgenössische Musik, die dann Anfang der 30er Jahre per Order di Mufti durch das Postulat des sozialistischen Realismus beigelegt worden ist. Und wenn auch diese "proletarischen" Komponisten laut waren und in ihrer Argumentation grell und primitiv, wie ihre Musik auch, mehrheitsfähig waren sie zu keiner Zeit.


    Zu China sei noch angemerkt, dass schon sehr bald das freundschaftliche Verhältnis zwischen ihm und der Sowjetunion abgekühlt ist, um sich nach dem Tod Stalins dem Gefrierpunkt zu nähern.


    Letztendlich sind das alles aber nur Fußnoten in der Kunst- und Musikgeschichte, die zur Lösung der Kulturkrise im Hier und Heute nichts beitragen.


    Das Problem ist doch, dass klassische Musik, stellvertretend für die gesamte Kultur mit Ausnahme der bildenden Künste, nicht mit der Marktwirtschaft vereinbar ist. Kultur braucht die Unterstützung, Förderung und Pflege durch die öffentliche Hand, weil die private dazu nicht fähig und nicht willens ist.
    Warum? Weil sich klassische Musik nicht rechnet, weil beispielsweise eine Mahler-Sinfonie horrende Aufführungskosten verursacht, nicht so leicht goutierbar ist und den Hörer ca. 80 Minuten von Produktion und Konsum abhält und ihn - noch schlimmer - auf falsche Gedanken bringen kann.


    John Doe
    8-)

  • Letztendlich sind das alles aber nur Fußnoten in der Kunst- und Musikgeschichte, die zur Lösung der Kulturkrise im Hier und Heute nichts beitragen.


    Das war nicht der Ausgangspunkt, dessentwegen ich diesen Exkurs unternahm. Das Ganze hatte einen argumentativen Vorlauf mit Johannes.


    Im Übrigen entwickelte sich dieser Griff in die Historie des linken Umgangs mit Kunst und Kultur aber aus einem Blick auf das sich heutzutage abzuzeichnen scheinende neue Kulturverständnis auf linker Seite, das die Hochkultur des Elitarismus zu zeihen scheint und davon auszugehen scheint, dass die Hochkultur in einer ganz gleichberechtigt-nivellierten Gesellschaft nichts Vereinigendes beizutragen habe.


    Darüber hinaus muss man natürlich berücksichtigen, dass die diktatorische Brutal-Linke á la Lenin, Stalin, Mao, Pol Pot mit den (sozial-)demokratischen "Linken" im heutigen Europa nicht allzu viele Gemeinsamkeiten aufzuweisen hat.


    Grüße
    Garaguly

  • Statt Klassik unters Volk zu tragen, wird diese leider immer mehr in den Hintergrund gedrängt.


    Ist es tatsächlich so? - Ich behaupte beispielsweise, würde man tatsächlich statistisch auswerten, wie viele Stunden klassischer Musik vor sagen wir 25 bis 30 Jahren im öffentlich rechtlichen Fernsehen (i.e. ARD, ZDF und die Dritten Programme) versendet wurden und wie viele heute (hauptsächlich 3sat, arte und zum Teil die Dritten), so dürfte "Früher" ziemlich klar verlieren: Vor allem zur Festspielzeit regelmäßig Übertragungen aus Salzburg, Bregenz und sogar Bayreuth. Dazu Neujahrskonzert, Europakonzert, Waldbühne, Schönbrunn und fast jeden Sonntagvormittag z.B. etwas auf BR. Vieles davon wird zusätzlich über die einschlägigen Mediatheken nachgehalten, welche m.E. qualitativ zumeist weit vor youtube liegen. Dazu neue Projekte, wie etwa recht neu The Opera Platform. Und wer bereit ist, etwas Geld auszugeben, dem steht nicht nur die Digital Concert Hall zu Verfügung. Man schaue nur einmal in den Thread Heute - Live im Web. Weiters, klassische Musik war im (CD-/DVD-)Einkauf wohl noch nie so günstig, wie jetzt! - All das ist wohl weder elitär, noch sonderlich hochschwellig im Zugriff.
    Und wenn es einen in die Konzertsäle oder Opernhäuser zieht? - Ich kann hier nur für Hamburg und Umgebung sprechen, aber Karten gibt es bequem online, die Preise sind bezahlbar und es gibt zumindest in den größeren Städten reichlich Angebote. Und dies nicht nur für den passionierten Klassikfreund. Wieder für Hamburg gesprochen gibt es mindestens einmal im Monat ein größeres Kinderkonzert, selbst die klassischen Abonnement-Reihen bieten zusätzlich Einführungen und sogar eigene Abonnements für das junge und sogar jüngste Publikum oder hier. Ach ja, und dann gab es Das Dvořák-Experiment und heuer Das Gershwin-Experiment.


    Ich könnte noch vieles mehr aufzählen, was es vor einigen Jahren schlicht nicht gegeben hat. Mithin sehe ich nicht, dass hier etwas "immer mehr in den Hintergrund gedrängt" wird. - Vielmehr stellt sich die Frage, ob es sich hier nicht auch um ein konstruiertes Problem handelt? Und ob wir vielleicht selber eine Mitschuld tragen, wenn die vielfältigen Angebote nicht wahrgenommen werden (wobei es ausreichend schwer ist, speziell für Angebote, die sich an Kinder richten, noch Karten zu bekommen)? Jedenfalls sehe ich nicht, dass hier im Forum sehr viel "Werbung" etwa für Veranstaltungen gemacht wird, die sich an jüngere oder sporadischen Klassikhörer richtet. Wie sieht es im privaten bzw. semi-privaten aus? Wer insistiert z.B. bei seinen Arbeitskollegen, dass sich der Besuch eines Konzertes oder der Oper lohnen könnte? Das auch so etwas funktionieren kann, habe ich selbst erlebt.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • "Und während im Prinzip jeder Bürger mit seinen Steuern den klassischen Konzertbetrieb subventioniert, kommt in der Regel nur ein kleines, meist elitäres Publikum in den Genuss der künstlerischen Qualitäten eines Weltklassedirigenten." Wenn man den Artikel ganz liest, erkennt man, dass die Autorin allerdings einen durchaus differenzierten Blick auf den vermeintlichen Widerspruch zwischen hoher Kultur und schnödem Mammon hat.


    Und da gäbe es noch eine ganze Menge mehr zu differenzieren: Der allergrößte Teil der Kultursubventionen (der im Vergleich zu anderen Subventionen und Steuerausgaben einen verschwindet geringen Anteil am Staatshaushalt "belegt") dürfte in andere Bereiche fließen. Davon abgesehen wird z.B. die Hamburger Staatsoper sicher hoch subventioniert ohne, dass dort jeden Abend ein Weltklassedirigent auftritt. Die zum Teil erstklassigen Radio-Sinfonieorchester Deutschlands werden wohl zu einem nennenswerten Teil aus den Rundfunkgebühren finanziert und ich habe noch nie Probleme damit gehabt, etwa für das NDR-SO Karten zu bekommen. Die Spitzenpreise sind meist dann zu zahlen, wenn die sogenannten Spitzenensembles mit den Spitzensolisten auf Tour gehen; dahinter stecken dann aber entsprechende Agenturen und nicht das Stadtsäckel ...

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Das war nicht der Ausgangspunkt, dessentwegen ich diesen Exkurs unternahm. Das Ganze hatte einen argumentativen Vorlauf mit Johannes.


    Auf den Du mit einer Aufzählung der Greueltaten Maos und Pol Pots, um die es vorher gar nicht gegangen war, eingegangen bist. :rolleyes:
    (Sollen wir vielleicht auch noch die calvinistischen Bilderstürmer des 16./17. Jhds. aufzählen? Oder die Taliban?)


    Mein Punkt war doch ein anderer:
    1. Es entspricht nicht nur einer "marxistischen" Geschichtsschreibung, jemanden wie Beethoven ins revolutionäre Boot zu holen. Insofern macht die Bourgeoisie dasselbe mit revolutionärer Kunst, was die "Revolutionäre" (spätestens wenn sie danach als Bürokraten regieren) mit einem Teil der bourgeoisen Kunst tun.

    2. Kunst und Kultur können sich oft nicht wehren. Genausowenig wie sich Beethoven dagegen wehren konnte, wenn v. Bülow in den 1870ern die Eroica mit "Infanterie, Kavallerie, Artillerie" zum Ruhme Bismarcks erklingen ließ, konnte er sich dagegen wehren, wenn die 9. 1942 zu Führers Geburtstag und die umgetextete Chorfantasie in den 1950ern zur Feier sozialistischer Völkerfreundschaft aufgeführt wurden. Und ebensowenig kann sich die Musik des "sozialistischen Realismus" dagegen wehren, wenn sie von uns spätkapitalistischen Konsumjüngern auf dem iPod neben Diana Krall konsumiert wird... ;)

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  • Diese Sendungen oder entsprechende Platten von Schock, Prey, Rothenberger u.a. hatten ziemlich sicher gar nicht den Zweck, jemanden "zur Klassik zu führen". Sie waren einfach ein damals vermutlich schon etwas angestaubtes Abbild einer Zeit, in der sich eine bestimmte Sparte von "Unterhaltungsmusik" aus Quellen speiste, zu denen Operette und leichte Klassik, aber eben auch Musical, Filmschlager, Volkstümliches usw. gehörten.
    (Ich habe schon mehrfach erwähnt, dass mein Vater Ende der 1980er mal zwei MCs geschenkt bekam, die zu irgendeinem Jubiläum des Showmasters Kulenkampff diverse Künstler, die mutmaßlich in seiner Show aufgetreten waren, vereinten. Eine war eher dem Schlager, eine der Klassik gewidmet und letztere enthielt dann zB Prey mit dem Auftrittsstück des Figaro von Rossini.)


    Es ist allerdings wohl richtig, dass damals noch "leichte" Klassik von breiteren Schichten geschätzt wurde und die Schubladen größer oder durchlässiger waren. Wie viele Jugendliche, die zufällig mal mit Oma so eine Sendung gesehen haben, später "richtige" Klassik hörten und wie viele im Gegenteil "Klassik" (= Schenkt man sich Rosen in Tirol) für alle Zeiten als "Omas Musik" abgehakt haben, wage ich nicht zu beurteilen. (Ebenso kann man anhand Amazon-Rezensionen sehen, dass es durchaus Garrett-Hörer gibt, die sich auch seine Aufnahme des Bruch- oder Brahmskonzerts kaufen. Wiederum keine Ahnung, wie viele das sind und welchen Effekt es hat.)


    Ich weiß nicht, zum wievielten Male wir diese Diskussion hier führen :S
    Aber ich kann nur zustimmen, dass ein noch weiteres "Anbiedern" oder noch leichteres Verfügbarmachen von Klassik kaum mehr möglich ist. Es gibt schon lange keinen Krawattenzwang mehr, man hat durch youtube u.ä. sozusagen ein privates "Radio" zum kostenlosen Ausprobieren aller erdenklicher Musik, obendrein sind Klassik-CDs seit Jahren preiswert zu haben, Konzerte sind billiger als Rockkonzerte, es gibt Kinderkonzerte, Gesprächskonzerte, Freiluftkonzerte etc. Wie viel tiefer soll man die Schwellen noch senken? Was gibt es überhaupt noch für äußerliche Schwellen?


    Und die "innerlichen" Schwellen kann man nicht so leicht absenken. In der Überfülle der Angebote und der Individualisierbarkeit, in der Leute unter 30 es unzumutbar finden, eine Fernsehsendung zur üblichen Ausstrahlungszeit zu sehen (sondern eben dann streamen, wann sie Lust und Muße haben), sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass jemand Klassik überhaupt begegnet, gegenüber drei Fernsehprogrammen oder Radioprogrammen, in denen Klassik und anderer Musik "durcheinander" gesendet werden.
    (Die mangelnde Wahlfreiheit ist vermutlich auch EIN banaler Grund dafür, dass im Sozialismus traditionell-bürgerliche Formen wie klassische Musik etc. breit wahrgenommen wurden.)


    Eine der vielen Paradoxien der Gegenwart besteht darin, dass die immense Wahlfreiheit und die Überfülle der Angebot oft dazu führen, dass man sich eben auf "seine" Subkultur beschränkt und vom Rest vieles gar nicht wahrnimmt. (Das geht mir ja ähnlich, ich nehme gnädigerweise von der Populärkultur vieles kaum wahr.) Selbst wenn man offen ist, ist es allzu leicht, einer "Zapping-Mentalität" anheimzufallen, bei der man sich auf kaum etwas länger als ein paar Minuten fokussieren kann, weil dann schon der nächste tweet, die nächste Mail, SMS, news etc. irgendwo aufblinkt und Aufmerksamkeit heischt. Ich merke diesen Effekt bei mir, der ich noch ca. 17 Jahre mit drei Programmen, ziemlich restriktiven elterlichen Fernsehregeln und ohne Computer aufgewachsen bin.


    Das ist, trotz der leichten Verfügbarkeit, mittelbar kein gutes Umfeld für klassische Musik und ihre Rezeption. Insofern ist es eher überraschend, wie stabil der Anteil der Klassikfreunde und der Musikernachwuchs (hier herrscht eher ein Überangebot) und wie verbreitet zumindest Instrumentalunterricht (wenn auch weniger richtige Hausmusik) in restbürgerlichen Kreisen sind.

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  • Auf den Du mit einer Aufzählung der Greueltaten Maos und Pol Pots, um die es vorher gar nicht gegangen war, eingegangen bist. :rolleyes:
    (Sollen wir vielleicht auch noch die calvinistischen Bilderstürmer des 16./17. Jhds. aufzählen? Oder die Taliban?)


    Es sind nicht irgendwelche Greueltaten Maos und Pol Pots, die ich aufzählte, sondern es ging ganz konkret um deren Wendung gegen die Hochkultur (sowohl gegen die westliche als auch gegen die eigenen Hochkulturen). Ich denke, dieser Zusammenhang ging aus meiner Einlassung eindeutig hervor. Folgt man deiner Replik, meint man es gäbe da gar keinen Zusammenhang im Sinne eines argumentativen Vorlaufs. Aber du warst es ja, der in Abrede stellte, dass die extreme Linke in der Geschichte sich jemals gegen die Hochkultur, als einer Kultur des Klassenfeindes, gewendet habe.


    Grüße
    Garaguly