Der Gedanke zu einem Thread mit diesem Thema stellte sich während der Beschäftigung mit dem liedkompositorischen Werk von Robert Franz ein und entwickelte in deren Verlauf eine immer höhere Dringlichkeit. Rein vordergründig hing das damit zusammen, dass sich beim Hören und Sich-Einlassen auf die Heine-Vertonungen von Franz automatisch die entsprechenden Schumann-Lieder einstellten und so beharrlich an der Seite stehen blieben, dass man sich nur mit Mühe von ihnen lösen konnte, um den Blick frei für Franz zu haben. Aber dahinter tat sich eine Reihe von Fragen auf, die sich um ein Thema von grundsätzlicher Art rankten: Heines Lyrik als Gegenstand von Liedkomposition.
Stellt diese, so musste ich mich fragen, infolge ihrer spezifischen Eigenart besondere Anforderungen an die Liedkomposition, und bringt sie etwa ganz eigene, darin vom lyrischen Werk anderer Autoren sich unterscheidend, besondere Probleme für ihre Umsetzung in Liedmusik mit sich? Hängt gar, so spitzte sich die Problematik zu, die Qualität einer Heine-Liedkomposition maßgeblich davon ab, in welchem Maß und wie tiefgehend sie diese Eigenart der Heine-Lyrik reflektiert und in ihrer Faktur erfasst? An sich ist eine solche Hypothese unsinnig, denn die Geschichte des Kunstliedes liefert unzählige Belege dafür, dass die Qualität einer Liedkomposition nicht in einer Art Kausalität vom adäquaten Erfassen der lyrischen Aussage abhängt.
Umso mehr wunderte ich mich darüber, dass sie sich mir immer wieder regelrecht aufdrängte. Dann nämlich, wenn ich während oder nach der analytischen Betrachtung einer Heine-Vertonung von Robert Franz die entsprechende von Schumann mit gleichsam analytisch ausgerichteten Ohren und Augen zum Vergleich heranzog. Es war ja sehr bald klar: Der eine, Franz also, weigert sich ganz bewusst, sich den vielfältigen Brüchen in Heines Lyrik, den stilistischen, den humorvoll-sarkastischen und den ironischen, zu stellen und sie in einer angemessenen Weise in die Liedkomposition einzubeziehen. Der andere, Schumann also, stellt sich diesen Heine-spezifischen Brüchen sehr wohl und findet eine liedkompositorische Antwort darauf, die zwar hochkomplex ist und keineswegs eine Eins-zu-Eins-Übernahme der vielgestaltigen Brüche in Heines Lyrik darstellt, sich aber sehr wohl als Antwort darauf manifestiert. Und vor allem: Sie begegnet einem als davon inspiriert und in ihrer liedmusikalischen Gestalt geprägt. Man sieht sich also in dem Augenblick, wo man das als aufmerksamer Hörer der Liedmusik von Franz und Schumann bemerkt, der Frage regelrecht ausgesetzt, ob da nicht doch einen Konnex zwischen der spezifischen Eigenart der Lyrik Heines und der Qualität der sie als textliche Grundlage und inspirierende Quelle nutzenden Liedkomposition gibt.
Es gibt ihn. Das sei als Ergebnis der Beschäftigung mit den Liedern von Robert Franz und Robert Schumann hier vorab schon einmal festgestellt. Es ist kein simpel kausaler, sondern ein in seiner Komplexität wesenhaft subtiler, weil auf der Ebene der liedkompositorischen Inspiration angesiedelter und sich auf vielfältige Weise in der Faktur des Liedes niederschlagender und damit seine allgemeine musikalische Qualität bedingender. Das wird nachfolgend in den einzelnen Liedbesprechungen aufzuzeigen und nachzuweisen sein.
Das soll aber nicht die primäre Intention dieses Threads sein. In erster Linie geht es darum, die einzelnen, von der Themenstellung her anstehenden Lieder Schumanns in ihrer kompositorischen Faktur zu beschreiben, und dies mit dem Ziel, ihre musikalische Eigenart und – was nur schwer gelingen dürfte – ihr oft so tief beeindruckendes klangliches Wesen zu erfassen. Es sind übrigens dreiundvierzig, die beiden Trilogien einzeln aufgelistet. Und sie sollen alle angemessene Berücksichtigung finden.
Weder möglich noch sinnvoll wäre es, hier an dieser Stelle auf die spezifische Eigenart von Heines früher Lyrik, wie sie sich als Herausforderung für die Liedkomposition darstellt, in allgemeiner Weise einzugehen. Das soll bei der Besprechung der einzelnen Lieder gleichsam implizit geschehen, wobei natürlich der spezifische Aspekt ihrer lyrisch-sprachlichen, metaphorischen und ironischen Brechung besondere Berücksichtigung erfahren muss. Wohl aber erscheint es angebracht, vorab noch einige grundlegende Anmerkungen zum Thema dieses Threads zu machen. Schumann ist Heine nur einmal begegnet, im Mai 1828 nämlich. In seinem Tagebuch bezeichnete er ihn als „ironisches Männchen“, interessant aber ist eine Notiz, die er darin zu Grabbe macht. „Er erinnert“, so schreibt er, „oft an die Bizarrerie in den Heineschen Liedern, jenen brennenden Sarkasmus, große Verzweiflung, alle die Caricaturen von Hoheit und Würde hat er mit Heine gemeinsam“. Das liest sich ein wenig so, als würde er der menschlichen und künstlerischen Grundhaltung Heines, wie er sie wahrgenommen hat, kritisch gegenüberstehen. Daran mag, was die rein menschliche Ebene betrifft, etwas sein. Als Schriftsteller, Lyriker und Künstler übte Heine eine starke Anziehungskraft auf Schumann aus, und man darf mit guten Gründen von einer partiellen künstlerischen Verwandtschaft zwischen beiden ausgehen.
Allein schon Schumanns Begeisterung für Jean Paul musste ihn in eine gewisse künstlerische Nähe zu Heine bringen. Dessen „Buch der Lieder“ besaß er seit August 1828. Dieser 1827 erschienenen Ausgabe sind – mit Ausnahme der „Tragödie“ op.64, Nr.3 – alle Texte für seine Heine-Liedkompositionen entnommen. Er wurde zu einem gründlichen Leser von Heines Lyrik, 1829 vertiefte er sich – wie das Tagebuch verrät – in dessen „Reisebilder“. Schon Jahre vor dem großen Schub der Heine-Kompositionen – sie stellen, was die Autorschaft seiner Liedtexte anbelangt, den größten Komplex dar – entwickelte er die Idee einer Heine-Vertonung. Im Tagebuch findet sich zum 8.3.1833 die Notiz zu dem Projekt: „Musikalische Gedichte, mit unterlegten Liedern von H. Heine, verfaßt und Heine zugeeignet.“
Sehr früh schon bildete sich in der Rezeption der Heine-Vertonung durch Schumann das Urteil heraus, er habe dessen Lyrik in ihrer dichterischen Aussage, insbesondere, was ihre inneren Brüche durch die Komponente Ironie anbelangt, nicht voll erfasst. Prägend war diesbezüglich das Buch von Hermann Albert (Robert Schumann, 1903), der die Auffassung vertrat, Schumann habe durch seine Vertonungen Heines Lyrik einer quasi-religiösen Läuterung unterzogen. Das findet sich dann wieder etwa bei Hermann Freiherr von der Pforten, wenn er (1920) kritisch anmerkt: „Sehr bezeichnenderweise hat Schumann gerade Heine durchaus ernst genommen, nicht weltschmerzlich ironisch, sondern tief und innig und durch seine Weisen idealisiert.“ Und noch Wolfgang Held vertritt in seinem Buch über Robert und Clara Schumann (Hamburg 1998) die Auffassung, Schumann sei von seiner menschlichen Grundhaltung gar nicht in der Lage gewesen, Heines Ironie in ihren subtilen Varianten zu erfassen und in seine Liedmusik Eingang finden zu lassen.
Eine solche Äußerung ist verwunderlich und lässt sich eigentlich nur mit der Beharrlichkeit erklären, die solche Urteile manchmal über lange Zeit hin zu entfalten vermögen. Ein einfacher Blick in die schriftlichen Quellen zeigt, dass Schumann sehr wohl ein Sensorium für Heines Ironie hatte. Man kann dies den von ihm verfassten Rezensionen von Heine-Vertonungen durch andere Komponisten entnehmen, und Ironie ist auch bedeutsamer Gegenstand des Briefwechsels zwischen ihm und Clara Wieck in den ersten Monaten des Jahres 1840. Eigentlich hätte, so möchte man meinen, das Wissen um die tiefe innere Zerrissenheit Schumanns im Hin und Her zwischen den Lebensentwürfen von Florestan und Eusebius von Anfang an die Annahme nahelegen sollen, dass es bei ihm eine hochgradige personale Disposition für die Rezeption von Heines Lyrik in all dem Reichtum ihrer poetischen Aussage und deren vielfältiger innerer Gebrochenheit gibt. Und man hätte dann im aufmerksamen Hinhören auf seine einschlägige Liedmusik erkannt, dass es gerade Heines Lyrik war, die in ihrer Rezeption und in der kompositorischen Auseinandersetzung mit ihr Schumann dazu brachte und befähigte, dieser existenziell-künstlerischen Bipolarität vollinhaltlichen musikalischen Ausdruck zu verschaffen, - mehr noch, wie ich meine, umfassender und tiefer reichend, als er das in seiner Klaviermusik vermochte.
Im Grunde ist es ja vermessen, wenn dieser Thread die Absicht verfolgt, dieses in Gestalt eines eben solchen Hinhörens auf die Liedmusik, einhergehend mit dem analytischen Blick in den Notentext, in möglichst konkreter und detaillierter Weise aufzuzeigen und nachzuweisen.
Aber das ist ja nicht sein Hauptanliegen. Vielmehr soll er einladen dazu, sich auf – wie höchst erwünscht – diskursive Weise mit Schumanns Liedmusik zu beschäftigen und dabei ihren so beeindruckend großen klanglich-evokativen Reichtum zu erfahren.