Woran liegt das? Die Liedmusik der „Brautlieder“ unterscheidet sich in ihrem liedkompositorischen Grundcharakter nicht wesenhaft von der der „Rheinischen Lieder“, aber sie scheint sogar die Verleger damals nicht sonderlich angesprochen zu haben, denn es fand sich keiner, der sie publizieren wollte, so dass sie erst vier Jahre nach Cornelius´ Tod erschienen, im November 1878 im Verlag E. W. Fritsch in Leipzig.
Ist es die Thematik der Lieder, ihr poetisch-musikalischer Gehalt, der sie zu den – neben den „Weihnachtsliedern“ – bekannteren Liedkompositionen von Cornelius hat werden lassen?
Das könnte durchaus so sein. Dem musikalischen Jubel über den Rhein und die rheinische Lebenswelt wohnt möglicherweise keine große zeitübergreifende und in die Gegenwart reichende liedmusikalische Aussage-Relevanz inne.
Lieber Helmut, Du hast interessante Sachen angesprochen. Das Internet, zumal YouTube, ist eine sehr erratische Sache. Findet man etwas nicht, sagt das noch nichts. Das Netz ist ja noch jung. Die Flut von Informationen steigt nicht kontinuierlich oder nach einer bestimmten Ordnung. Sie bricht über uns herein. Ich fürchte, das meiste ist Spreu, das wenigste Weizen. Manches ist schwer zu finden, weil es jene, die es einstellen, nicht mit griffigen, zielführenden Stichworten versehen, die die Suche erleichern. So gibt es auch Cornelius-Lieder (Drei Sonette "Der Entfernten", "Liebe ohne Heimat" und "Verlust") mit der Hallenser Altistin Käthe Röschke, die ich als ganz junges Ding in Bachschen Passionen hörte. Die sind nicht leicht zu finden. Es gibt noch andere Plattformen, wo die Lieder von Cornelius in der Naxos-Produktion zu hören sind, Spotify zum Beispiel. Wer kostenlos teilhaben will, muss Werbung hinnehmen. Nicht alles ist also frei.
Was nun die Rheinlieder angeht, fürchte auch ich, dass schon bei der Erwähnung gern Scheuklappen angelegt werden. Nicht von mir. Ich habe zum Rhein kein verquastes Verhältnis, bin aber auch keine rheinische Frohnatur. Mich fasziniert der Rhein als Geschichts- und Sehnsuchtsort. Meine Schwester wohnte lange in Boppard. Bei vielen Besuchen habe ich den Rhein in diesem Abschnitt gut kennengelernt. Von morgens bis abends - immer der Blick auf den Rhein. Ich hatte damals immer Heine dabei. Kennst Du den Roman "Das siebte Kreuz" von Anna Seghers? Gleich auf den ersten Seiten schaut jemand in die Rheinlandschaft hinaus und aus diesem Bilde entwickelte die Autorin ein geniales Panorama, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufeieinder teffen: "Jetzt sind wir hier. Was jetzt geschieht, geschieht uns." Der flüchtige Georg Heisler, der aus einem KZ entkommen ist, gelangt am Ende über den Rhein in die Freiheit. Der jüdischen Autorin aus großbürgelichem Haus, die schon in der Weimarer Republik Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen ist, war das ganz wichtig. Der Rhein als Fluchtpunkt. Henze hat in seiner 9. Sinfonie Motive aus dem Roman, der in der Emigration entstand und zuerst in New York herauskam, verarbeitet. Vielleicht wurde der Rhein viel zu oft jenen überlassen, die ihn für ganz andere Absichten in Anspruch nahmen.