Die Nase mit Bo Skovhus (Schostakowitsch), Hamburgische Staatsoper, 13.09.2019

  • Ab und an setzt man sich auch Neuem aus. In Hamburg wird in der Oper derzeit Schostakowitsch unter der musikalischen Leitung von Kent Nagano (und der Regie von Karin Beier) gespielt. In der Elbphilharmonie klang Sinfonisches von Schostakowitsch, unter den dortigen glasklaren akustischen Bedingungen, großartig. Im Operngraben mischt sich allerdings der Schall, und das Bühnengeschehen lenkt stark ab. Um ehrlich zu sein, die Suche nach einer abgefallenen Nase und den folgenden frustrierenden (letztlich geglückten) Versuchen, sie sich wieder ins Gesicht zu kleben, fesselt nicht wirklich. Auch wenn sich Bo Skovhus als nasenloser Kowaljow mit immer noch schön klingendem Bariton und darstellerischer Kraft dieser Misere entziehen kann. Alle anderen Partien, mehr als ein Dutzend an der Zahl (darunter Hellen Kwon, Katja Pieweck, Renate Spingler, Levante Pall, Andreas Conrad, Gideon Poppe, Athanasia Zöhrer oder Peter Galliard), entzogen sich ob der in meinen Ohren schrägen Töne einem stimmlichen Beurteilungsmaß. Das Haus war im Übrigen gut besucht, auch war der Beifall für solch ein Stück durchaus lang anhaltend.


    Nach der Aufführung stellte sich Bo Skovhus im Foyer des 4. Rangs noch für Fragen zur Verfügung. Er berichtete über seine Karriere, widme sich jetzt nahezu nur noch moderner Musik, mache etwa zwei Uraufführungen pro Jahr. Don Giovanni singe er nicht mehr, Angebote für Billy Budd habe er (wegen des erforderlichen jugendlichen Aussehens) seit seinem 40. Geburtstag immer abgelehnt. Jetzt sei er 57 Jahre alt und unterrichte gern an Operstudios. Er halte es für erforderlich, dass die in Deutschland engagierten Sängerinnen und Sänger fließend deutsch lernen, denn die Sprachverständlichkeit beim Lied- und beim Operngesang sei für ihn sehr wichtig (Die Nase wurde übrigens deutsch gesungen, mit englischen und deutschen Obertiteln). Ein Zuschauer stellte die Frage, was er davon halte, dass ein Stück wie die Nase auf die Bühne gehoben werde, während so viele musikalisch schönere Opern nicht bzw. nur selten aufgeführt würden. Dem Sinn nach antwortete Skovhus, dass die Schönheit im Auge (in der bildenden Kunst, er sammle moderne dänische Kunst) bzw. im Ohr des Betrachters bzw. des Zuhörers liege. Man müsse sich nur genügend oft moderne Opern anhören, dann würde man auch ein Gefühl für ihre Schönheit entwickeln. Dazu ein wenig im Widerspruch stand seine Aussage am Anfang des Interviews, dass es wegen der Unvorhersehbarkeit der Töne und der zahlreichen Taktwechsel sehr schwierig sei, die modernen Partien zu erlernen. Außerdem vertrat er die Auffassung, dass sich die jüngeren Leute eher für die moderne Musik interessieren würden. Er verwies auf die Münchner Inszenierung von Karl V., die allerdings auch bühnentechnisch viel hergegeben habe. Eine Anmerkung dazu: Bei dem gut besuchten heutigen Gespräch im 4. Rang-Foyer war, geschätzt, niemand unter 50. Auch an der Abendkasse, an der ich unsere Karten kurz vor Beginn abgeholt hatte, war gähnende Leere, keine Studenten etc. in Sicht (wie man es noch häufiger bei hiesigen Ballettaufführungen sehen kann).


    Als Bonmot gab Skovhus auf die Frage nach seinem Verhältnis zu Regisseuren und Dirigenten u.a. zum Besten, dass er in einer Stadt, in der er häufiger singe, den besten Kontakt zum Souffleurkasten habe und kaum auf den Dirigenten schaue, denn der würde sich fast nur auf das (herrausragende) Orchester und kaum auf das Bühnengeschehen konzentrieren.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Vielen Dank für die kurze Rezension und den Bericht vom Künstlergespräch.


    Allerdings würde ich bei Schostakowitsch nicht von Neuer Musik sprechen, er ist ja bald 50 Jahre tot. Aber ich weiss, was Du meinst, Neues im Sinne von Nach-romantisches. Die absurde Erzählung von Gogol kenne ich, da lässt sich vieles hineininterpretieren. Ob der Stoff bühnentauglich ist, ist eine andere Frage.

    Dem Sinn nach antwortete Skovhus, dass die Schönheit im Auge (in der bildenden Kunst, er sammle moderne dänische Kunst) bzw. im Ohr des Betrachters bzw. des Zuhörers liege. Man müsse sich nur genügend oft moderne Opern anhören, dann würde man auch ein Gefühl für ihre Schönheit entwickeln. Dazu ein wenig im Widerspruch stand seine Aussage am Anfang des Interviews, dass es wegen der Unvorhersehbarkeit der Töne und der zahlreichen Taktwechsel sehr schwierig sei, die modernen Partien zu erlernen.

    Seit ich mich mit zeitgenössischer Musik beschäftige (ca. 10 Jahre) habe ich tatsächlich mein Ohr weiterentwickelt und kann vieles auch interessant und schön finden. Vor allem das Klangliche ist in vielen Stücken besonders gut ausgearbeitet. Den Widerspruch zur Schwierigkeit, die Partien zu singen, sehe ich jedoch nicht. Warum sollte etwas Schönes auch leicht zu singen sein?

  • Vielen Dank an Ralf für seinen Bericht und insbesondere für die Einblicke in die Anschlussveranstaltung mit Skovhus!

    Allerdings würde ich bei Schostakowitsch nicht von Neuer Musik sprechen, er ist ja bald 50 Jahre tot.

    Aber erstaunlicherweise handelt es sich hier wohl tatsächlich um eine hamburger Erstaufführung. Ich jedenfalls habe mir schon die zeitversetzte Übertragung der Premiere auf dem Jungfernstieg angeschaut und fand es (trotz des zumindest auf der Videoleinwand etwas zu dunkel geratenen Bildes) ziemlich spannend und die Karten für die Aufführung am 28.September sind schon lange gebucht. Nach einem fulminanten Einstieg in die Konzertsaison am vergangenen Donnerstag mit dem NDR Elbphilharmonie Orchesterm, Alan Gilbert, Yuja Wang und Magnus Lindberg (Schostakowitsch KK 1 & 2 und Lindbergs Kraft (!!!)) steht heute abend zum Beginn meiner persönlichen Opernsaison jedoch mit Strauss' Ariadne auf Naxos (Nylund, Gould, Nagano) etwas "leichtere" Kost auf dem Programm.

  • Aber erstaunlicherweise handelt es sich hier wohl tatsächlich um eine hamburger Erstaufführung.

    Nun mal langsam mit die jungen Pferde! ^^


    Ein Blick in mein Besetzungsarchiv der Staatsoper Berlin zeigt, dass "Die Nase" sehr wohl schon in Hamburg zu hören und zu sehen war:


    Zitat

    Gastspiele in Hamburg und Wiesbaden (6.-15. Juni 1978) mit „Die Nase“, „Einstein“ und „Julius Cäsar“ sowie Mahlers II. (Dirigent Suitner) – 1. Gastspiel der Staatsoper Berlin in Westdeutschland;

    Hamburg: „Einstein“ (6.6.), „Die Nase“ (7.6.), „Julius Cäsar“ (9.6.), Mahlers II. (8.6.)

    Wiesbaden: „Die Nase“ (11.6.), „Einstein“ (12.6.), „Julius Cäsar“ (14.+15.6.)

    Besetzungsarchiv Staatsoper Berlin - Spielzeit 1977/78


    Also nix mit Hamburgischer Erstaufführung in diesem Jahr! :P

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Kunst soll nicht schön, sondern wahr sein, war Arnold Schönbergs expressionistisches Bekenntnis. Das trifft wohl auch auf Schostakowitschs "Nase" zu. Würde ich in der Nähe von Hamburg wohnen, würde ich die Aufführung auf keinen Fall verpassen.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Einen lieben Dank an Ralf Beck für die geteilten Eindrücke zur "Nase" in Hamburg. Am Samstag vorher war ich bei der Premiere zugegen und muss auch sagen, dass ich hinterher Schwierigkeiten sah, mich näher zur musikalischen Ebene zu äußern. Die Wahrnehmung der Musik blieb für mich so ein wenig hinter dem bewussten Verfolgen der Handlung, die mich aber wiederum sehr einnahm. Ich hatte auch den Eindruck, dass die Musik vielleicht in dieser Weise angelegt war. Aber: Ich hörte sie das erste Mal, es kann sein, dass mir einfach viel entgangen ist.

    In der Tat war Skovhus auch aus meiner Sicht stimmlich wie darstellerisch überzeugend. Die weiteren Bühnenakteure allerdings hatte ich dann beim Schlussapplaus nicht gerade trennscharf auf dem Schirm. Ich will damit aber nicht sagen, dass sie zu blass geblieben wären. Womöglich liegt es sowohl im Stück als auch z.B. in der Kostümierung begründet - und ich bin auch abends nicht immer so hellwach, wie ich eigentlich gerne möchte...


    Jedenfalls bleibe ich dabei, dass die Oper in einer wirklich interessanten Inszenierung dargeboten wurde und dass ich die grotesken Auswüchse des Nasenverlustes nicht nur interessant und unterhaltsam, sondern auch im Sinne einer guten Parabel beziehungsreich und aussagekräftig fand. Die musikalische Umsetzung schien mir ungeachtet meines unsicher bleibenden Eindruckes von der Komposition auf gutem Niveau.

  • Lieber Ralf Reck, vielen Dank für Deinen ausführlichen und interessanten Bericht! Skovhus habe ich im Dezember letzten Jahres als Mandryka in Dresden gehört. Was mich in der nun begonnenen Spielzeit zu Euch nach Hamburg locken wird, weiß ich noch nicht. Es grüßt Hans

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Lieber Hans, ich hatte nicht vor, Deine Frage offen zu lassen. Hier nun meine etwas längere Antwort: Man sollte nach Hamburg kommen, um sich die Aufführungen des hiesigen Balletts anzuschauen (z.B. Neumeiers Sommernachtstraum). Solchen intensiven Tanz erlebt man weder in Berlin noch in München bei den dortigen Truppen (von einzelnen Ballettstars abgesehen), weiterhin empfehle ich, die glasklare Akustik in der Elbphilharmonie zu erleben, und und zwar nicht nur einmal, aber nur bei Konzerten sehr guter Orchester, und nicht unbedingt bei konzertanten Opern. Deine Frage galt allerdings der Hamburgischen Staatsoper; ich freue mich schon auf den neuen Don Giovanni Ende Oktober mit Andre Schuen (kenne ich nicht), Hanna-Elisabeth Müller, Dovlet Nurgeldiyev und u.a. Alexander Tsymbalyuk (Leitung Adam Fischer) oder den Lohengrin im Dezember mit Fischesser, KF Vogt, Schneider, Koch, Baumgartner (Leitung Kent Nagano). Wegen dieser Aufführungen würde ich aber weder extra nach Berlin noch nach München fahren. Im Gegensatz zum Ballett sind die Preise zumindest in München viel zu hoch, im Vergleich mit der Operncard der Hamburgischen Staatsoper (zwei Plätze in den besten Kategorien für den Preis von einem beim Jahresbeitrag von 99 Euro). Im Gegensatz zum Ballett unterscheiden sich die großen Opernhäuser nach meiner Erfahrung nicht wirklich, überall wird mehr oder weniger modern gespielt und die guten Sängerinnen und Sänger treten überall auf. Ich hätte mir wohl vorstellen können, zu der der kürzlich hier besporchenen konzertanten Aufführung mit Anna Netrebko nach Berlin gefahren zu sein, aber nicht auf die Gefahr hin, dass sie absagt, dafür wäre mir der Eintrittspreis viel zu hoch. Wegen einer bestimmten Inszenierung würde ich ein Opernhaus im Übrigen aufsuchen, wenngleich ein schönes Bühnenbild wie derzeit noch der Hamburger Eugen Onegin oder eine ca. 2015 gesehene Werther-Inszenierung in New York nicht zu verachten sind; es waren und bleiben die angesetzten Sängerinnen und Sänger für mich der Grund, in die Oper zu gehen oder in anderen Städten ggf. eigene Termine nach den dortigen Besetzungen zu richten (in der letzten Zeit betrifft das aber fast nur noch das Ballett).

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Lieber Hans, ich hatte nicht vor, Deine Frage offen zu lassen.

    Lieber Ralf, ich bedanke mich herzlich. Euren Lohengrin habe ich vor ein paar Jahren mit Stephen Gould in der Titelpartie gesehen. Im diesem Frühjahr den Parsifal und vor ein paar Jahren auch den Tannhäuser. Am dritten Advent möchte ich bei Euch den Korngold hören und sehen. Es grüßt Hans

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*