Ab und an setzt man sich auch Neuem aus. In Hamburg wird in der Oper derzeit Schostakowitsch unter der musikalischen Leitung von Kent Nagano (und der Regie von Karin Beier) gespielt. In der Elbphilharmonie klang Sinfonisches von Schostakowitsch, unter den dortigen glasklaren akustischen Bedingungen, großartig. Im Operngraben mischt sich allerdings der Schall, und das Bühnengeschehen lenkt stark ab. Um ehrlich zu sein, die Suche nach einer abgefallenen Nase und den folgenden frustrierenden (letztlich geglückten) Versuchen, sie sich wieder ins Gesicht zu kleben, fesselt nicht wirklich. Auch wenn sich Bo Skovhus als nasenloser Kowaljow mit immer noch schön klingendem Bariton und darstellerischer Kraft dieser Misere entziehen kann. Alle anderen Partien, mehr als ein Dutzend an der Zahl (darunter Hellen Kwon, Katja Pieweck, Renate Spingler, Levante Pall, Andreas Conrad, Gideon Poppe, Athanasia Zöhrer oder Peter Galliard), entzogen sich ob der in meinen Ohren schrägen Töne einem stimmlichen Beurteilungsmaß. Das Haus war im Übrigen gut besucht, auch war der Beifall für solch ein Stück durchaus lang anhaltend.
Nach der Aufführung stellte sich Bo Skovhus im Foyer des 4. Rangs noch für Fragen zur Verfügung. Er berichtete über seine Karriere, widme sich jetzt nahezu nur noch moderner Musik, mache etwa zwei Uraufführungen pro Jahr. Don Giovanni singe er nicht mehr, Angebote für Billy Budd habe er (wegen des erforderlichen jugendlichen Aussehens) seit seinem 40. Geburtstag immer abgelehnt. Jetzt sei er 57 Jahre alt und unterrichte gern an Operstudios. Er halte es für erforderlich, dass die in Deutschland engagierten Sängerinnen und Sänger fließend deutsch lernen, denn die Sprachverständlichkeit beim Lied- und beim Operngesang sei für ihn sehr wichtig (Die Nase wurde übrigens deutsch gesungen, mit englischen und deutschen Obertiteln). Ein Zuschauer stellte die Frage, was er davon halte, dass ein Stück wie die Nase auf die Bühne gehoben werde, während so viele musikalisch schönere Opern nicht bzw. nur selten aufgeführt würden. Dem Sinn nach antwortete Skovhus, dass die Schönheit im Auge (in der bildenden Kunst, er sammle moderne dänische Kunst) bzw. im Ohr des Betrachters bzw. des Zuhörers liege. Man müsse sich nur genügend oft moderne Opern anhören, dann würde man auch ein Gefühl für ihre Schönheit entwickeln. Dazu ein wenig im Widerspruch stand seine Aussage am Anfang des Interviews, dass es wegen der Unvorhersehbarkeit der Töne und der zahlreichen Taktwechsel sehr schwierig sei, die modernen Partien zu erlernen. Außerdem vertrat er die Auffassung, dass sich die jüngeren Leute eher für die moderne Musik interessieren würden. Er verwies auf die Münchner Inszenierung von Karl V., die allerdings auch bühnentechnisch viel hergegeben habe. Eine Anmerkung dazu: Bei dem gut besuchten heutigen Gespräch im 4. Rang-Foyer war, geschätzt, niemand unter 50. Auch an der Abendkasse, an der ich unsere Karten kurz vor Beginn abgeholt hatte, war gähnende Leere, keine Studenten etc. in Sicht (wie man es noch häufiger bei hiesigen Ballettaufführungen sehen kann).
Als Bonmot gab Skovhus auf die Frage nach seinem Verhältnis zu Regisseuren und Dirigenten u.a. zum Besten, dass er in einer Stadt, in der er häufiger singe, den besten Kontakt zum Souffleurkasten habe und kaum auf den Dirigenten schaue, denn der würde sich fast nur auf das (herrausragende) Orchester und kaum auf das Bühnengeschehen konzentrieren.