Ich war aus verschiedenen Gründen jahrelang in keiner Oper, und auch gestern hatte ich die Wahl zwischen einem leicht zu erreichenden Bundeligaspiel im Hallenhockey und dem Boris in Krefeld. Zum Glück habe ich Boris gewählt, trotz eines Preises von 50 Zechinen. Ich habe ja hier oft das Lob der Provinz gesungen, vor allem die Häuser in Krefeld und in Gelsenkirchen sind Leuchttürme. Wenn ich das recht sehe, gibt es solche Perlen auch im Osten und in Liberec. Ich kannte nicht einen Sänger, aber bis auf einen quäkigen Tenor (Dimitri) waren die Sänger sehr gut, einige so überragend, dass sie sich auch an großen Häusern gut machen würden. Das Stück wurde russisch gesungen; für die Hauptrollen kein Problem, waren es doch meist Russen. Der Chor aber hatte lang geübt. Zum Glück wurde der Ur-Boris gespielt. Zu meinen am meisten negativen Einstellungen im Bereich der Oper gehört der sog. "Polenakt". Der fehlte hier.
Das Stück hat ja eine große Dichte und Kraft; ich fühlte mich oft an die Wucht Janaceks erinnert. Mussorgsky erkennt man an seinem Stil ja sofort nach den ersten Takten. Die Macher hatten erkannt, dass es im Boris vier große Handlungsträger gibt: der Chor, Boris, Pimen und das Orchester. Alle vier hätten überall in Deutschland mit diesem Stück auftreten können. Die Krefelder selber waren gespalten. Viele verließen das Theater in der Pause, wie mir die Garderobenfrau erklärte. Der Rest aber lauschte gebannt, und der Applaus wollte kein Ende nehmen. Die Regie war kein RT, dazu relativ statisch, was mir gefallen hat, da dabei die Musik noch stärker wirkte. Vor allem gab es bei den Volksszenen kein sinnloses Herumwuseln, wie das viele Regisseure ja verlangen. Die Bühne war schlicht und düster, also angemessen. Nur mit den Kostümen war ich nicht zufrieden. Das war moderne Kleidung, aber sehr schlicht. Da hätte man auch Kostüme der Zeit nehmen können, auch sehr schlicht. Für die modernen Kostüme gab es also keinen Erkenntnisgewinn. Wo ist der, wenn Boris mit einem langen Mantel mit Pelzbesatz auftritt, dazu aber auch einen Schlips trägt?
Besondere Mühe hatte man sich mit den Übertiteln gegeben. Sie waren nicht übermäßig groß, aber sehr gut zu lesen. Sie kamen auch immer rechtzeitig. Außerdem gab es, zum Entzücken von Dr. Pingel, fehlerlose Wörter und sogar Satzzeichen.
Einige unserer Kollegen hier haben Berichte über die Oper aufgegeben. Ich werde es anders halten, weil ich wahrscheinlich immer der einzige bin, der sich das ansieht.
Meine Erkundungsfelder werden hier vor allem die wichtigsten Provinzhäuser sein: Gelsenkirchen (da bin ich Mitglied im Förderverein - gut angelegtes Geld), Wuppertal, Hagen und natürlich - Krefeld. Die nächste Premiere ist hier "Dialogue des Carmélites".