Der katholische Bach: Jan Dismas Zelenka (1679 – 1745)

  • Liebe Monika,
    Du siehst doch selbst, wie häufig ich hier unterwegs sein kann- ebenfalls wegen zeitlicher Beschränkungen.


    Umsomehr: Danke für Deine Antwort.


    Ich selbst habe begonnen Zelenka zu lieben, da lag ich selbst noch in den Windeln: 1973 war ich sechs Jahre alt und hörte im SFB3 die Triosonaten mit Holliger.
    Dank an Herrn Mohrbach, den Musikredakteur des SFB seiterzeit.
    Zelenka hat mich nie wieder losgelassen seither.


    Allerdings habe ich nie gelernt, Noten zu lesen, verfolge Deine Analysen also interessiert, doch nicht wirklich verstehend.
    Deine Schlussfolgerungen aber, die begreife ich und teile sie.
    Mir ist es noch heute so, Jahrzehnte später: Zelenkas Musik höre ich oft wie zum ersten Mal.


    Immer ist da diese Spannung zwischen den Stilen, immer das leicht "schräge" in Rhythmus und Harmonik, die vorweg nimmt, was CPE Bach wünschte: stets das Herz rühren.
    Eine, meine, sehr subjektive Sicht: es gibt einige Komponisten, deren Musik ich immer "wie neu" höre: Zelenka und Haydn.


    Ich erinnere mich noch an meine erste Begegnung mit "Il Diamante": Hasse und Heinichen aus Zelenkas Feder.
    Mal ganz lebensfroh, so ganz anders als seine Respensorien, die ich mir mühsam hörend erarbeitet habe kurz zuvor.


    Aus meiner Sicht sind die Aufnahmen und Aufführungen des Collegium 1704 unter Vaclav Luks immer wieder Sternstunden.
    Ja nicht nur bei Zelenka, auch bei Händel und Bach. Da ist ein Vollblutmusiker am Werke, der auch mit Intelligenz arbeitet: Denken, Fühlen und Handeln sind eins.


    Fast nebenbei: im ersten Teil des Konzerts, zu dem ich Dir- nicht nur Dir- den link sandte, ist das "Stabat Mater" von Tuma auch sehr hörenswert.
    Ich gehe davon aus, dass Du nicht nur den zweiten Teil des Konzerts anhören wirst.
    Und ansehen.


    Bin auf neue Hörerlebnisse und das Schreiben darüber von Dir sehr gespannt- mal sehen, wann Du Zelenka im Taxi kutschierst und wie Du ihn erkennen wirst; das Wikipedia-Bild ist ja ...Wikipedia eben, der Herr Fux.


    Sollte mir mal wieder etwas neues begegnen, werde ich es Dir mitteilen.


    Herzliche Grüße,
    Mike

  • Noch ein kurzer Vergleich von Zelenkas in D-Dur stehenden Te Deum-Vertonungen, in ausdrücklichem Anschluss an die in Beitrag 58 zu findende anschauliche Beschreibung von ZWV 146


    Beide Versionen entstanden vermutlich im Abstand von rund sieben Jahren, zeigen jedoch über die Tonart hinausgehend etliche Gemeinsamkeiten, die in einigen Details vermutlich von den liturgischen - und natürlich auch aufführungspraktischen - Gegebenheiten am Dresdner Hof bestimmt waren.



    Auch die instrumentale Besetzung ist sehr ähnlich, nur ist das spätere ZWV 146 doppelchörig angelegt, was jedoch geringe satztechnische Auswirkungen hat, wie Bachiania bereits dargelegt hat. Im Tutti auf ritornellartige Weise beginnen beide Werke, doch während der Anfang des älteren ZWV 145 redundant wirkt, da Vers I zweimal mit identischem musikalischen Verlauf erklingt, erscheint das jüngere Stück bereits an dieser Stelle geradliniger gestaltet. Beide Sanctus folgen dem Stile antico - diese Verfahrensweise findet sich bis in die späten Schaffensjahre Zelenkas (z.B. Sanctus der Missa votiva). Ab "Pleni sunt coeli" wird der konzertante Stil wieder aufgegriffen, der bei ZWV 145 bereits mit dem Tenorsolo "Te gloriosus" endet, bei ZWV 146 erst mit dem Sopranduett "Tu Rex gloriae".



    Choraliter geht es dann bei ZWV 145 weiter, während in späteren Werk zunächst die "Alt-Flöten-Arie" und ein Tenor-Bass-Duett zum Chorabschnitt "Judex credis" führt. 146 wirkt hier als das unmittelbarere Werk.
    Bereits bei diesen Vertonungen scheint Zelenka keine besonderen Kompromisse in Hinblick auf eine Verwendung in liturgischen Rahmen zu machen, anders als Hasse in seinen Parallelwerken, die überwiegend alternative Fassungen für den Einbau des eucharistischen Segens liefern. Zugleich bleibt Hasse aber, wenn man etwa das ebenfalls in D-Dur stehende Werk vergleicht, einem eher oberflächlichen Glanz verhaftet, mit geringem Textbezug und insbesondere in den Chorpassagen minderer satztechnischer Raffinesse (Sequenzierungen, wiederkehrende Dreiklangsmelodik etc.)



    "Te ergo quesumus" ist in beiden Vertonungen Zelenkas durch eine Reduzierung der Instrumentierung und eine Zurücknahme des Tempos geprägt. Ebenfalls übereinstimmend ist die solistische Gestaltung von "Per singulos", einem chorischen Zwischenstück folgend. Auch hier wirkt ZWV 146 durch die "hochtönige" Konzeption (Soprane, Alt und Flöten, kein eigentlicher Bass) origineller. Bei letzterem Werk folgt unmittelbar die Schlussfuge "In te Domine speravi", während ZWV 145 - so wirkt es jedenfalls im unmittelbaren Vergleich - noch einige Zeit herummäandert, bevor es seinen Abschluss findet. Es ist also nicht nur insgesamt weniger stringent, sondern kann im "Finale" auch nicht ganz mit der Wirkung - um auf Bachianias Beitrag zurückzukommen - der sich einer "ätherischen" Passage anschliessenden "fetzigen Doppelfuge" mithalten. Zu den vielen Rätseln der Zelenkarezeption gesellt sich so auch die Frage, warum ZWV 146 erst in einigen Wochen publiziert werden soll, während das Vorgängerwerk bereits seit 1986 vorliegt.




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  • Missa Divi Xaverii



    Zelenka schrieb die seine "Missa Divi Xaverii" 1729, kurz nachdem Johann David Heinichen verstorben war, der Dresdner Kapellmeister, dessen Amt zu übernehmen Zelenka sich im Laufe von Heinichens langer Krankheit wohl des öfteren gewünscht haben mag. Interimistisch führte Zelenka ja dann tatsächlich die Geschäfte Heinichens fort, wenn er auch letztlich das Amt bedauerlicherweise nicht erhielt. Bach hatte bei demselben Ansinnen übrigens auch keinen Erfolg.
    Für diese Messe existieren leider keine Noten im Druck, ja es gibt nicht einmal eine Aufnahme. 2001 tauchten in der Ukraine (aus mir unbekannter Quelle) eine Reihe von Autographen Zelenkas auf, unter anderem ergänzendes Material zu dieser Messe ZWV 12. Die großartige australische Zelenka-Forscherin Janice Stockigt hat das Autograph, das teilweise stark beschädigt und schwer lesbar ist, rekonstruiert, so dass für eine Aufführung durch Vaclav Luks mit dem Collegium 1704 am 29. 8. 2014 beim Festival der Alten Musik in Utrecht zur Verfügung stand. Wohl die erste Aufführung in neuer Zeit ! Diese gibt es glücklicherweise auf YouTube:



    Diese Messe hat herausragende Qualitäten und Eigenheiten, die sich in den folgenden Punkten zusammenfassen lassen:


    1. Zelenka hat diese Messe offenbar gut und lange durchdacht und nicht etwa in Eile geschrieben, so wie es bei vielen Werken in den 1720ern nötig war. Das Kyrie ist datiert vom 3. 9. 1729, das Agnus Dei vom 26. 11. desselben Jahres. Es ist demnach vorstellbar, dass Zelenka im Sinn hatte, mit dieser Messe ein besonderes Kunststück abzuliefern, um seiner Beförderung zum Hofkompositeur Vorschub zu leisten.


    2. Die Messe besitzt kein Credo. Eine Kombination von nur Kyrie und Gloria in einer Messe ist für das Umfeld des katholischen Dresden sowie auch des protestantischen Barock nichts Ungewöhnliches. Eine Vorgehensweise, die man von prominenter Seite kennt: Bach schrieb seine h-moll Messe ja 1733 ebenfalls zunächst nur mit Kyrie und Gloria, und ebenso war diese Urfassung für den Dresdner Hof bestimmt in der Hoffnung, ein prominentes Amt daselbst zu erhalten. Die beträchtliche Länge der Messe von knappen 50 Minuten ist bemerkenswert, da ja einer der beiden textreichsten Teile, das Credo, fehlt und somit bei vollständiger Vertonung wohl eine Länge erreicht worden wäre, die durchaus an die monumentalen letzten Messen Zelenkas heran reicht (und im Gegensatz zu diesen jedoch vermutlich sehr wohl aufgeführt wurde).


    3. Das Werk hat eine sehr große Besetzung, nämlich neben dem vierstimmigen Chor mit Solisten ein Orchester mit vier (!) Trompeten, Pauken, zwei Oboen, zwei Flöten, Streichern und Basso Continuo. Allerdings muss man auch bedenken, dass die in den 1720er Jahren entstandenen Messen Zelenkas ebenfalls diese Besetzung haben, wohl einfach, weil sie in der Hofkapelle (die eine enorme Qualität gehabt haben muss) schlichtweg zur Verfügung standen. Die späten Messen Zelenkas bescheiden sich hingegen mit Streichorchester. Die große Instrumentierung nützt Zelenka gekonnt und schafft ein prachtvolles Werk voller Glanz und Prunk, jedoch auch mit sehr innigen Momenten, die er durch den solistischen Einsatz der Instrumente als obligate Arienbegleitung erzielt.


    4. Diese Messe ist Zelenkas "Arienmesse" schlechthin. Nicht nur die Solisten erhalten reichlich Gelegenheit, sich zu präsentieren, auch Duetten und Passagen für zwei Solostimmen kommt große Bedeutung zu.


    5. Wieder einmal liegt hier die Nähe zu Bach auf der Hand. Nicht nur die Anlage ohne Credo, sondern besonders die Struktur mit ausladenden Arien, Chören und Fugen. Auch die Art der solistisch verwendeten Bläser liegt Bach sehr nahe. Bach könnte, bevor er mit seiner Ur-Messe am Dresdener Hof applizierte, durchaus dieses Werk Zelenkas gekannt haben.


    KYRIE


    Dieses Kyrie schafft eine für barocke Verhältnisse eher unübliche motivische Verklammerung seiner einzelnen Teile.


    Kyrie I – D-Dur – Chor, Soli SATB
    Der Anfang der Messe ist (historisch) nahezu ein Unikum. Sie beginnt ungewöhnlicherweise (nach einem - was sonst ? - instrumentalen imitierenden Ritornell) mit dem Solo-Alt, der in Imitation schnell vom Solosporan gefolgt wird. Dann erst nimmt (kurz) der Chor das Motiv auf, bevor Tenor und Bass dieselbe Passage in ihrer Stimmlage wiederholen. [Ich kenne im barock-klassischen Bereich nur eine weitere Messe, die mit einem Altsolo beginnt, und dies ist die Schöpfungsmesse.] Auch hier wieder typisch zelenka'sches Idiom: ohne Übergang pendeln die Solostimmen kurz einmal, phrasenweise nach moll. Diese Manier des lakonischen Nebenbei-Wechsels des Tongeschlechts kenne ich von keinem anderen Komponisten des Barock so durchgängig in nahezu allen Werken, so dass man sie fast als seine Signatur bezeichnen könnte.


    Dann erst setzt tatsächlich der Chor ein und baut das Kyrie-Thema konzertierend aus.

    Christe eleison – A-Dur – Sopran Solo – 04:22

    Dies ist eine virtuose barocke Arie, ganz nach Manier des "gemischten Kirchen-Stylus", wenn auch vielleicht nicht ganz so elaboriert, wie die Arien in den späten Messen Zelenkas. Das Thema dieser Arie (wie schade, dass ich keine Noten habe !) ist eine Reduktion auf die Kerntöne des Themas aus dem ersten Kyrie. Gleichsam dazugehörig, aber im Sinne des typischen "Christe-eleison-Charakters" sozusagen 'entschleunigt'.


    Kyrie II – D-Dur – Chor (Fuge) – 07:55
    Hier läuft Zelenka zu seiner Bestform auf. In dieser Fuge verknüpft er sofort zwei Themen verschiedenen Charakters, die somit von Beginn an als Doppelfuge jeweils in einem Stimmpaar auftreten. Das erste Thema ist ein punktiertes typisches Fugenthema, das zweite Thema ist genau dasjenige aus dem instrumentalen Ritornell des ersten Kyrie. Zelenka findet immer wieder interessante Eigenheiten: In der Expositon erhält die Trompete einen eigenen Themeneinsatz !
    Nach der Exposition folgt ein Zwischenspiel in welchem wieder der Solosopran und Soloalt sein pendelndes Sechzentelmotiv aus dem ersten Kyrie bringen. Danach folgt eine vollständige Druchführung der Themen, die wieder von derselben Solostelle gefolgt wird, und das Kyrie endet in einer prächtigen Chor-Coda "mit Pauken und Trompeten".



    GLORIA


    Gloria – D-Dur – Chor, Soli SATB – 10:42
    Hier entfaltet Zelenka mit einem Chor-Concertato vollste barocke Klangpracht unter Nutzung des gesamten Orchesters.

    Domine Deus I – a-moll – Tenor Solo – 13:45

    Eine kurze hompohone Chor-Intonation (solches erscheint in dieser Messe öfters) leitet diesen Satz ein, der eine besinnliche Tenor-Arie mit Orchesterbegleitung ist. Das Orchester spart nicht mit typisch Zelenka'schen Wendungen: schnelle Bergauf-Läufe, Oktavsprünge, Repetitionen, auftaktige Metrik, Synkopen und Vorhalte.


    Domine Deus II – A-Dur – Duett Sopran-Alt Solo – 17:05
    Eine innige Arie für die zwei Frauen-Solostimmen, begleitet von zwei Traversflöten, gesetzt mit vielen Terzen zwischen den Solostimmen, teils sequenzierend und einander ablösend (ein typisches barockes Satzmodell für Duette), während die Flöten teils in Staccato-Zerlegungen einen leichten, getupften Charakter einbringen. Des Satz moduliert gegen Ende nach fis-moll, wodurch er sich zur Dominante des folgenden Fugato (h-moll) macht.

    Qui tollis I – h-moll – Chor – 20:55

    Ein Fugato, das sein archaisches Thema nur einmal und kurz durch alle Stimmen führt, gefolgt von einer homophonen Chorpassage, die zur nächsten Arie überleitet. Solche Passagen gibt es in Zelenkas Messen immer wieder, jedoch in keiner mir bekannten setzt er sie so häufig und in dieser Art als Zäsuren bzw. Über- oder Einleitungen ein. (Auch dieser Satz geht wieder nach fis-moll, welches aber zu dem folgenden D-Dur des nächsten Satzes keine Widerspruch bildet, ist doch fis die mollparallele der Dominante von D-Dur, A-Dur. So bewegt sich Zelenka in diesem Gesamten Werk im weiten Tonartenkreis um D-Dur. Nicht überraschend, ist doch diese Tonart besonders geeignet für die schwer zu intonierenden Naturtrompeten.)


    Qui tollis II – D-Dur – Duett Tenor-Bass Solo – 22:17
    Hier kommen nun Solo-Tenor und -Bass zu ihrem Recht und stellen somit das Gleichgewicht zu dem vorhergehenden Frauen-Duett her. Das obligate Instrument ist hierbei die Oboe. Der Charakter des Satzes ist ähnlich ruhig und terzbetont wie derjenige des Domine Deus-Duettes. Der Satz endet in der Parallele h-moll.

    Qui sedes ad dexteram – D-Dur – Chor – 24:43

    Dies ist wieder einmal ein Unikum: Der Qui Tollis-Fugato-Satz wird wiederholt, allerdings diesmal transponiert nach von h-moll nach D-Dur ! Dem entsprechend bleibt die langsame Überleitung des Chores in dieser Tonart, wodurch der nächste sehr energievolle Satz quasi "in der Startlöchern" steht.

    Quoniam to solus Sanctus – D-Dur – Soloquartett – 25:54

    Dies ist gleichsam das "Herzstück" dieser Messe. Das Soloquartett konzertiert mit dem Orchester. Ich bin mir nicht sicher, ob die Entscheidung, diesen Satz mit vier Solisten zu besetzen, von Luks getroffen wurde, oder ob dies im Autograph Zelenkas vermerkt ist. Ich würde aus der Besetzung mit allen Instrumenten eher vermuten, dass es sich um eine künsterlische Entscheidung handelte. Doch vielleicht kann ich zu diesem Punkt später noch Informationen bekommen.
    Die Instrumente antworten den Solisten in Gruppen und figurieren, bringen Bewegung in die weitgehend homophon gesetzten Singstimmen, die wiederum durch sich zwischen den Stimmen abwechselnde Motive und Vorhaltsbildung die emotionelle Färbung in den Satz bringen.


    Cum Sancto Spiritu – D-Dur – Chor (Fuge) – 29:08
    Hier handelt es sich um eine eher traditionelle Fuge mit einem syllabisch punktierten Thema, die neben der Exposition gleich drei (mehr oder weniger vollständige) Durchführung besitzt und zwar mit Pauken und Trompeten endet, jedoch unspektakärer als man es aufgrund der doch beträchtlichen Ausdehnung diese Glorias erwartet hätte.

    SANCTUS


    Sanctus – D-Dur – Chor – 31:05
    Dieser Satz ist traditionell-prächtig gesetzt und instrumentiert, wenn auch hierbei die Betonung auf "traditionell" liegt, denn Zelenka nutzt zwar die klanglichen Möglichkeiten, die ihm zur Verfügung stehen, enthält sich jedoch aller Besonderheitn und individuellen Ausprägungen. Dennoch ein prachtvoller Satz !



    Benedictus – h-moll – Sopran Solo – 33:52

    Dieser Satz ist näher an Bach als die meisten Sätze Zelenkas. Die Solo-Oboe konzertiert mit der Solovioline und dem Solosopran in innigem Duett und fließt in entspannter Ruhe durch den Satz.


    Osanna – D-Dur – Chor (Fuge) – 28:40
    Diese Fuge ist weltrekordverdächtig ! Ich wette um meine Ehre als Zelenka-Liebhaberin, dass es keine weitere Fuge gibt, deren Kontrasubjekt einfacher ist: Es besteht aus einem einzigen, langen Ton !


    AGNUS DEI


    Agnus Dei I – D-Dur – Alt Solo – 40:56
    Wieder kommt in dieser Arie die konzertierende Traversflöte zum Einsatz, die sich in innigem Dialog mit der Altstimme befindet und dieser nicht kontrastierend sondern gleichsam als Duettpartner zur Seite steht.


    Agnus Dei II (Dona nobis pacem) – D-Dur – Chor (Fuge) – 45:20
    Nochmals tritt hier eine langsame homophone Chor-Überleitung auf, die den ausladenden Schlusssatz vorbereitet. Sodann nutzt Zelenka hier nochmals die Kyrie II Fuge, die er (wie ja auch später Bach in seiner Messe) mit dem Dona-nobis-pacem-Text unterlegt.


    Generell ist also diese Messe ein barockes Prachtexemplar. Sie spart nicht mit klanglichen und musikalischen Effekten. Sie lässt die Solisten glänzen. Sie ist definitiv eine starke Persönlichkeit. Möglicherweise hat Zelenka jedoch in seine späten Messen, die er 10 bis 15 Jahre danach schrieb noch mehr innerliche musikalische Emphases gelegt. Die musikalische Ausarbeitung scheint mir später differenzierter und auch in seiner Originalität legte Zelenka nochmals zu. Ob dies an seiner menschlichen Entwicklung lag oder daran, dass er seine späten Messen (im Gegensatz zur Missa Xaverii) nicht an eine Obrigkeit anpassen musste, bleibt offen. Jedenfalls ist diese Missa Xaverii ein unbedingt hörenswertes Juwel !


    :angel: Bachiania :angel:

    Man sagt, wenn die Engel für Gott spielen, so spielen sie Bach, füreinander aber spielen sie Mozart.
    (Sir Isaiah Berlin)

  • Liebe Bachiania,


    seit Beitrag 61 weiß ich auch, daß du unter dem Pseudonym Monika durchs Salzburger Land ziehst... ;)


    Danke für deinen äußerst fundierten Beitrag zur "Missa Divi Xaverii", die mir bisher unbekannt war.


    Du bist eine echte Bereicherung für dieses Forum, das mußte ich mal öffentlich kundtun. :hail:

    Freundliche Grüße Siegfried

  • MISSA DIVI XAVERII


    Der vorzüglichen, anschaulichen und beinahe erschöpfenden Darstellung, die Bachiania von diesem nahezu unbekannten Werk gegeben hat, ist kaum etwas hinzuzufügen. Da ich aber einen - leider nur sehr kursorischen - Einblick in einige Werkausschnitte nehmen konnte (auch von weiteren Zelenkamessen aus der Zeit um 1730), scheinen einige kleine Ergänzungen sinnvoll, zumal zum Kontext, in dem die Messe zu verorten ist.


    Aus drei Einzelbänden besteht der Dresdner Autograph, der allerdings fragmentarisiert und beschädigt ist. So machte erst die schlagzeilenträchtige Wiederauffindung des nach dem Krieg in die Ukraine verbrachten Archivs der Berliner Singakademie eine Aufführung möglich, da dieses drei jüngere, aber zeitnahe Kopien umfasste (nun in der Staatsbibliothek Berlin). Die erste Wiederaufführung in jüngerer Zeit fand nicht erst in Utrecht, sondern dank Janice Stockigt bereits 2009 in Melbourne statt. Für das kommende Jahr ist neben der Veröffentlichung der Partitur auch die einer Einspielung durch das Collegium 1704 angekündigt (für deren Realisierung offenbar noch Geld gesammelt wird...)


    Mit dem Gloria endende Messen sind am Dresdner Hof zwar nicht selten, doch das Fehlen nur des Credo findet scheinbar nur einmal ein Gegenstück in Zelenkas Oevre, nämlich in der Missa Sancti Josephi, ZWV 14.


    Alle in D-Dur stehenden frühen Zelenkamessen - bis auf eine Ausnahme - sind ähnlich instrumentiert, und zwar "mit Pauken und Trompeten" (ZWV 4,7,8,9,11,13,14). Die Missa Circumcisionis und Missa Sancti Josephi gehen insofern über die Xaverii hinaus, als dass hier noch Hörner hinzugefügt sind. Für August den Starken dürften die Trompeten übrigens eine besondere "emblematische" Funktion gehabt haben, da er gesteigerten Wert auf den Titel des Reichsmarschalls legte (und nebenbei ein wenig auf den Kaisertitel schielte). Besonders "majestätisch" kommt die Missa Gratias agimus tibi daher, bald nach der Xaverii verfasst.


    In gewisser Weise scheinen die drei letzten Messen aus der Regentschaftszeit Augusts des Starken so etwas wie "interne Missae ultimae" darzustellen - die ausgereiftesten Werke dieses Schaffensabschnittes. Dabei wäre die Xaverii als drittletztes Werk so etwas wie das Pendant der Missa votiva, zumal sie ungewohlich ausgedeht und besonders effektvoll gestaltet ist. (Aus dieser Zeit stammt allerdings auch noch eine verschollene doppelchörige Messe).


    Die Habsburgerin und sächsische Kronprinzessin Maria Josepha verehrte den "Indienmissionar" Franz Xaver offenbar auf besondere Weise und besass sogar Privatreliquien. So darf man sie als Auftraggeberin vermuten..


    Alles motivische Grundmaterial, das im Verlauf des Kyrie erklingt, wird bereits im instrumentalen Vorspiel vorgestellt. Die Gestaltung des Kyrie II als Doppelfuge mit thematischer Anknüpfung findet sich bereits in der Missa Sancti Spiritus von 1723, wo die Fugenthemen auf den ersten Kyrieteil b.z.w. das Christe eleison rekurrieren. Unter den "späten frühen" Messen folgt ZWV 13 dem dreiteiligen Kyrieaufbau, während die Sancti Josephi (ZWV 14) einem konzertant-durchkomponierten Schema entspricht.


    Da das Credo fehlt, finden sich in Xaverii und Josephi ein besonders ausgedehtes, aus acht Sätzen bestehendes Gloria, bei letzterer kommt noch ein "Et in terra pax" hinzu.
    Nach einem Riornell folgt in ZWV 12 eine homophone Chorpassage, dieser eine melismatische Aria. Die Domine Deus werden durch ein Tutti von drei b.z.w. fünf Takten eröffnet, bevor die Solisten übernehmen. Da wir uns in der Weihnachtszeit befinden, sei noch einmal auf den pastoralen Stil des Domine Deus II hingewiesen, er findet sich an gleicher Stelle, nicht ganz überraschend, auch in Werken wie der Missa Nativitatis (Sopran, Alt, Flötenpaar, b.c. von Violinen und Bratschen). Zum Zeitpunkt der Aufführung dieser Werke dürfte Quantz, der nachmalige Musiklehrer Friedrichs II., noch Flötist der Dresdner Hofkapelle gewesen sein.


    Eine mehrteilige Fugato-Exposition in h-moll führt zu einem expressiven Miserere (Qui tollis). Um Bachianias Frage zu beantworten: Luks Besetzung des Quoniam mit einem Solistenquartett entspricht tatsächlich Zelenkas Vorgaben. Die echohafte Wechselwirkung von Solisten und Instrumenten wurde bereits beschrieben, interessant ist auch die Instrumentierung, da hier drei Trioformationen zur Geltung kommen (zwei Flöten und Bratsche, zwei Violinen mit Continuo und zwei Oboen mit Fagott).


    Bemerkenswert sind beim Sanctus vor allem die Tempi- und Rhythmuswechsel. Während sich Bachiania im Benedictus an ihren "Namensgeber" erinnert fühlt, geht es mir so im Osanna, wenn die Stimmen in der Fugenexposition in einer Abfolge einsetzen, die aus einigen frühen Bachschen Orgelwerken im Zusammenhang mit Pedaleinsatz bekannt sind. Das Haupthema des Satzes basiert auf einem kurzen Motiv, das am Ende des Sanctus erstmalig aufgetaucht war - natürlich beim Wort "Osanna"...

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  • Ergänzend zum voranstehenden Beitrag die zum Vergleich herangezogenen zeitlichen
    Nachfolger der Xaverii, die Missa Gratias agimus tibi (1730) und die
    Missa Sancti Josephi (1731), die durchaus ähnlichen Schemata folgen.

  • Großartiger Beitrag, Gombert ! Vielen Dank !


    Die Habsburgerin und sächsische Kronprinzessin Maria Josepha verehrte den "Indienmissionar" Franz Xaver offenbar auf besondere Weise und besass sogar Privatreliquien. So darf man sie als Auftraggeberin vermuten..


    Klasse recherchiert !


    Das Haupthema des Satzes basiert auf einem kurzen Motiv, das am Ende des Sanctus erstmalig aufgetaucht war - natürlich beim Wort "Osanna"...


    Na so was, das ist mir gar nicht aufgefallen ! Dabei sticht es fast ins Ohr ! Im das erste Osanna beginnt mit der sehr langen Note, die dann in der entsprechenden Fuge das Kontrasubjekt bildet.


    Besonders schön finde ich deine Vergleiche mit den in der selben Periode entstandenen Messen Zelenkas. Hier wartet noch einige erfreuliche Entdeckungsarbeit auf mich, da ich diese bestenfalls einmal durchgeblättert, jedoch noch nie angehört habe (siehe Beitrag 60).


    Ich hoffe sehr, dass wir zwei uns hier noch des Öfteren die Klinke in die Hand geben und uns in Analysen solch herrlicher Werke ergänzen können !


    :jubel: Bachiania :jubel:

    Man sagt, wenn die Engel für Gott spielen, so spielen sie Bach, füreinander aber spielen sie Mozart.
    (Sir Isaiah Berlin)

  • Als nachträglicher Gruss zum neuen Jahr ein Abschnitt (!) einer Neujahrsmesse, die vor 286 Jahren in Dresden "uraufgeführt" wurde.
    Bewusst nachträglich, denn wer möchte schon am ersten Tag des Jahres mit "schmerzhaften" Themen konfrontiert werden (was der liturgische Kalender der katholischen Kirche allerdings unvermeidlich machte - jedenfalls vor dem letzten Konzil)...


    Dem Jesuitenorden, der für die Etablierung des höfischen Kirchenlebens in der sächsischen Diaspora verantwortlich zeichnete, galt der Neujahrstag als Hochfest.
    Das durchkomponierte Kyrie, ein dreifaches Agnus und die Ergänzung der Trompeten durch Hörner zählen zu den Eigenheiten der Missa Circumcisionis.
    Zu hören ist das Gloria, gesungen von Zelenkas einstigem "Hauschor", den Dresdner Kapellknaben, die auch dieses Werk aus der Taufe hoben.


    /mpiltjYTGng

  • Sehr sehr schön, Gombert ! Prächtig gibt sich dieses Gloria allemal. Doch auch die lyrischen Momente kommen in ganz in Zelenka-Art voll zur Geltung: Das Qui-tollis-Duett der Frauen-Solisten wird mit Solvioline und Oboe begleitet. Auch typsich Zelenka: der homophone modulierende kurze Moll-Satz des Miserere. Und besonders interessant: Für das Quoniam verwendet Zelenka dieselbe Ritornell-Melodie, wie für das Kyrie der weiter unten beschriebenen Missa Divi Xaverii !

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    (Sir Isaiah Berlin)

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  • Hallo,


    der weitaus überwiegende Teil der Beiträge befasst sich mit den sakralen Werken Zelenkas.
    Das ist auch angemessen, denn er heißt ja nicht umsonst der „Katholische Bach“ und die meisten seiner Werke sind sakraler Natur. Aber so wie Bach nicht nur geistliche Werke komponiert hat, so auch Zelenka. Mit den Orchesterwerken dieser CD-Box werde ich mich in den nächsten Beiträgen hier befassen.





    Zunächst geht es aber um ein Werk für Orchester und Solostimmen - um der Klangfarbe, von der Besetzung her betrachtet, noch etwas Anschluss an die geistlichen Werke zu geben.
    Das umfangreiche weltliche Werk trägt den Namen „Serenate II Diamanta“, ZWV 177; zu welchem Anlass es komponiert wurde, kann dem Begleittext des YouTube-Links entnommen werden.

    https://www.youtube.com/watch?v=b8TfgA_FIzg


    Zelenka, Bach und Händel haben fast zur gleichen Zeit gelebt. Was mir bei diesem Werk besonders auffällt: Bei mancher Melodie/ Stimmführung höre ich schon Anklänge an die sakralen Werke Mozarts; wenn Zelenkas einfallsreiche Melodien von langen Verzierungen unterbrochen werden, fällt mir Händel ein und die Orchestersprache in weltlichen Werken Zelenkas und Bachs sind verwandt. Die Verschiedenartigkeit der von ihm verwendeten Rhythmen entsprechen dem damaligen Standard (Barocktänze); rhythmisiert er dabei stärker oder liegt dieser Gehöreindruck mehr an der Interpretation des Prager Ensembles?


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Lieber Zweiterbass !


    Mich hielt in den letzten Tagen eine (eher komplexe) Bachfuge so sehr in Atem, dass ich kaum Zeit hatte, mich über diese deine Ankündigung zu freuen, geschweige denn dies auch hier zu bekunden ! Und noch mehr freut es mich, dass du offenbar auch allmählich von der "Zelekaitis" angesteckt wirst ! Antwort auf deine Frage folgt natürlich. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben !


    Herzliche Grüße,


    Bachiania

    Man sagt, wenn die Engel für Gott spielen, so spielen sie Bach, füreinander aber spielen sie Mozart.
    (Sir Isaiah Berlin)

  • Hallo Zweiterbass und Bachiania,
    der folgende Text wurde schon vor Veröffentlichung des voranstehenden Beitrags geschrieben:


    Zitat

    (von zweiterbass) Die Verschiedenartigkeit der von ihm verwendeten Rhythmen entsprechen dem damaligen Standard (Barocktänze); rhythmisiert er dabei stärker oder liegt dieser Gehöreindruck mehr an der Interpretation des Prager Ensembles?


    Beide Prager "Zelenka-Orchester", also das hier spielende "Ensemble Inegal" als auch das "Ensemble 1704" neigen dazu, das rhythmische Element zu betonen. Gleichwohl ist die starke Rhythmisierung den Werken inhärent. Mit dem damaligen Standard allein ist dies nur unzureichend zu erklären. Das Phänomen ist gerade bei Zelenkas Sakralmusik auffällig. Die Integration von Tanzelementen findet sich zwar bereits bei den Italienern des 17. Jahrhunderts, bei Kerll, Fux und auch bei Zelenkas "Teilvorgänger" Heinichen. Nirgendwo aber ist das tänzerische Element so prägend wie bei Zelenka selbst, der ja auch konsequent Ritornelleformen in geistliche Werke integrierte. Das entscheidend-markante Moment ist nun die oft starke Irregularität und Synkopierung der "Tanzrhythmen".Nach meiner Vermutung dürfte der Komponist dabei von tschechischer "Folklore" beeinflusst worden sein, auch wenn deren Strukturen in Bezug auf die Zeit um 1700 bestenfalls "rekonstruiert" werden können. Ein Indiz: Zelenkas Vater Jirik war Kantor, d.h. gleichzeitig Kirchenmusiker und Dorfschullehrer. Nach Berichten des 18. Jahrhundert lernten die Schüler in vielen - auch einfachen - böhmischen Schulen das Instrumentalspiel - wahrscheinlich dürften dabei Melodien der Volksmusik erklungen sein. Der Dresdner Hof war zur damaligen Zeit ohnehin sehr an "exotischem Kolorit" interessiert (man denke etwa an diverse Stücke aus dem Grünen Gewölbe) und öffnete sich nach der Königswahl auch der polnischen volkstümlicheren Musik. Da mögen Zelenkas Rhythmen eine weitere willkommene Farbe eingeführt haben.


    Für den Einstieg in die weltliche Musik eignet sich übrigens auch diese Einzel-CD, welche Werke der beiden fähigsten und eigenwilligsten Komponisten am damaligen sächsischen Hof vereint. Die Interpretationen des Freiburger Barockorchesters lassen keine Wünsche offen - eine Probe lässt sich in in Beitag 47 hören




  • Hallo,



    Ich komme zurück auf meinen Beitrag Nr. 71 und die dort vorgestellte CD-Box (1. CD) mit den Capriccios Nr. 2 , 3, dem „Hipocondrie" und einem Concerto. Vom Charakter erinnern mich diese Stücke z. T. mehr an die Wasser- oder Feuerwerksmusik von Händel (wenn auch längst nicht so umfangreich und festlich/feierlich) und weniger an die Brandenburgischen (die bewegen sich auf einem anderen und höheren Level). Bei den Capriccios kommt oft das „Corno da caccia“ = Jagdhorn zum Einsatz, weil der damalige Dienstherr von Zelenka (lt. CD-Textbeilage) begeisterter Jäger war.


    Zitat aus dem Booklet der CD über das Ziel des Ensembles Das Neu-Eröffnete-Orchester: „Das Eröffnen der Partitur, der aufgeschriebenen Musik wie in einen Buch, ist das Ziel des Orchesters. Der Zuhörer soll die Musik sehen können und nicht beim Hören stehen bleiben“. Dies dürfte für die Musikanalyse notwendig sein (auch für die Capriccios?), was ich aber hier nicht tun will. Wie schon öfter gehandhabt, gehe ich nur auf die Sätze ein, welche mir erwähnenswert erscheinen.


    Capriccio Nr. 2, G-Dur, ZWV 183, für 2 Jagdhörner, 2 Oboen, Streicher und B.c. (ob bei dem B. c. ein Bassoon dabei ist? – es klingt danach)
    Allegro – ob es Jagdhornsignale sind? – aber zusammengefügte „Signale“ sind für Naturhörner ziemlich anspruchsvoll, die Melodie- und Akkordfolge gut nachvollziehbar, ohne Überraschungen.
    Canarie – ein Spanisch-Französischer Renaissancetanz, dessen Rhythmus durch die Jagdhörner noch besonderes Kolorit bekommt.
    Aria – mit fast kanonartigen Einsätzen in einem sehr, sehr gemäßigten Tempo.
    Canarie da capo – wie vor
    Gavotte – die (Blech-)Bläserbesetzung macht den Reiz dieses Barocktanzes aus.
    Rondeau – wieder eine sehr eingängige Melodie.
    Menuett-Trio-Menuett da capo – da gibt es etwas ungewohnte Modulationen nach Moll zu hören; von der Orchestersprache ist das Trio kaum zu unterscheiden.


    Hipocondria a‘7 (?) concertanti, A-Dur, ZWV 187 für 2 Oboen, 2 Violinen, Viola, Bassoon, B.c.
    Lentement - würde vom Tempo zur Überschrift passen, die mir ???
    Fuge (Allegro), Lentement – die Überschrift könnte zur Art der Fuge (?) passen


    Concerto a’ 8 (?) concertanti, G-Dur, ZWV 186, für Oboe, Violine, zwei 2. Violinen in ripieno (Füllstimmen), Viola, Cello, Bassoon, B.c.
    Allegro – das Dur-Thema in der Oboe ist sehr eingängig; überraschend sind jedoch die in den flotten Rhythmus eingeschobenen „Largo“-Passagen. Die Zwiesprachen unter den Soloinstrumenten, die auch in den Tonarten und –geschlechtern wechseln, bringen viel mehr Leben in die Musik als im Capriccio Nr. 2
    Largo – Stimmführung (und Thema) hat das Bassoon, dem Tempo (fast ein Trauermarsch) angemessen in Moll (nach heutigem Verständnis), auch die Dynamik ziemlich einheitlich. Der Satz endet in einer Kadenz, deren Auflösung erst im 3. Satz folgt.
    Allegro - zusammen mit der Oboe kann also das Bassoon auch „lustig“. Von den Brandenburgischen abgesehen, weiß ich nicht ob es damals auch schon Komponisten gab, die Konzerte für 5 Soloinstrumente geschrieben haben.


    Capriccio Nr. 3, F-Dur, ZWV 184 , für 2 Jagdhörner, 2 Oboen, 2 Violinen, Viola und B.c.
    Ouverture, Staccato e forte – sehr markant (noch nicht martialisch) durch die 2 Hörner, dem Staccato und einem verzögerten Marschschritt.
    Allegro - die Zwiesprachen zwischen den Jagdhörnern und Oboen lassen eine festlich-fröhliche Jagdgesellschaft erahnen.
    Allemande – ist ein Schreittanz der 2 Teile hat, einen zuerst langsamen und dann schnellen (so wird das auch von Barocktanz-Formationen getanzt) – nachdem hier der schnelle Teil fehlt, ist es eigentlich keine Allemande (evtl. ist der Gesellschaft nach einer anstrengenden Jagd nicht nach einem schnellen Schreitttanz).
    Menuett -Trio-Menuett da capo-Trio 2-Menuett da capo – nicht besonders inspiriert, finde ich.
    Allegro – der fröhliche Rhythmus und die korrespondierenden Bläser bestimmen den Satz.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Diese Capricci sind großartig! Ich lernte die Instrumentalmusik Zelenkas zuerst kennen, und sie weckte in mir das Interesse an seiner Kirchenmusik.


    Diese Musik ist hoch inspiriert, abwechslungsreich und eigenwillig.


    Aus diesen Werken könnte man glatt einen Katalog von "Zelenkaismen" extrahieren, welchen man in seiner Kirchenmusik auf Schritt und Tritt wieder begegnet.


    Das Capriccio Nr. 1 hat einen wahnwitzig schwierigen Horn-Part. Ich werde es in dem Thread "Mehr Fugen" kurz vorstellen.



    Viele Grüße,
    Bachiania

    Man sagt, wenn die Engel für Gott spielen, so spielen sie Bach, füreinander aber spielen sie Mozart.
    (Sir Isaiah Berlin)

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  • Hallo,


    in meinem Beitrag Nr. 74 ging es um die CD 1 aus der im Beitrag Nr. 71 vorgestellten CD-Box.
    Die CD 2 enthält:


    Capriccio Nr. 5, G-Dur, ZWV 190
    2 Jagdhörner, 2 Oboen, 2 Violinen, Viola, B.c.
    1. Satz, Allegro – rhythmisch sehr betont korrespondieren die Jagdhörner und Oboen zu einer fröhlichen Melodie; die Jagdhörner ohne Ventil- zw. Klappenmechanismus – sehr sauber gespielt. Das gefiel nicht nur dem Dienstherrn Zelenkas (einem begeisterten Jäger), das gefällt auch ohne Jäger zu sein (der 1. Satz des 1 Brandenburgischen bleibt jedoch unerreicht).
    2. Satz, Menuett 1, Menuett 2, da capo Menuett 2 – da gibt es bei anderen Komponisten (z. B. Mozart, war aber schon Rokoko) auch „leichtere“ (klingende) Menuette. Die Variation bei Menuett 2 besteht im Wechsel nach Moll (was auch bei den später beliebten Trios der Fall ist).
    3. Satz, il Contento, Trio, da capo il Contento – einen grundsätzlichen Unterschied zum Menuett kann ich nicht hören, etwas langsamer, weniger tanzbetont – das Trio ist nur mit Streichern besetzt (später ist es genau umgekehrt, das Menuett ist meist streicherbesetzt, das Trio oft nur Bläser (Holz und/oder Blech).


    4. Satz, il Furibundo (würde ich mit molto espressivo bezeichnen/übersetzen) – sehr bläserbetonter, schneller Satz.
    5. Satz, Villanella, Trio, da capo Villanella – während das Menuett mehr höfisch orientiert war, war die Villanella/e mehr volkstümlich ländlich - kann ich aber hier eigentlich nicht hören; das Trio ist in der Besetzung unverändert, nur in Moll.



    Simphonie, a-Moll, ZWV 189
    2 Oboen, 2 Violinen, Viola, Fagotto, Violoncello, B.c.
    1. Satz, Allegro – sehr rhythmusbetont nimmt dieses Allegro z. T. den Charakter eines Violinkonzerts an und hat mit fast 10 min. Dauer schon die Ausmaße Mozartscher Symphonien der mittleren Schaffensperiode; die Zwiesprache zwischen Violine und Oboe find ich sehr abwechslungsreich.
    2. Satz, Andante – das erinnert in Tempo und Melodieführung nun sehr an Bach, das Fagott unterstützt noch den behäbigen Charakter.
    3. Satz, Capriccio, Tempo di Gavotta – beschwingter Barocktanz, zu dem die auftaktigen Verzierungen der Oboen gut passen.
    4. Satz, Aria da Capriccio (Andante-Allegro-Andante-Allegro) – beim Andante kann ich wegen des Themas beim Fagott keine Aria da Capriccio hören (es sei denn die Aria soll ein Schlummerlied sein); das Allegro ist zwar bewegter, aber da die Melodie auch beim Fagott liegt, kommt (bei mir) kein Gefühl einer Arie auf.
    5. Satz, Menuett 1, Menuett 2, da capo Menuett 1 – da ist Nichts besonders neuartig, weder in der Form, der Harmonik oder sonst wie.



    Capriccio Nr. 1, D-Dur, ZWV 182
    2 Jagdhörner, 2 Oboen, 2 Violinen, B.c.
    1. Satz, Andante, Allegro - die Bläser dominieren, im Andante die hohe beeindruckende Jagdhornbläserstelle, was im Allegro durch das Duett der Jagdhörner abgelöst wird (sehr virtuos) und dem ganzen Satz viel Abwechslung bringt.
    2. Satz, Payan – ein etwas derb, bäuerlich wirkender Tanz.
    3. Satz, Aria – besonders die Jagdhörner blühen in der Aria, einschl. der Höhe, auf.
    4. Satz, Bourree – bei diesem Tanz schwingt für mich höfische Etikette mit,
    5. Satz, Menuett 1, Menuett 2, da capo Menuett 1 – durch die andere Instrumentierung und der eingängigeren Melodie besser als Nr. 5 aus ZWV 189.


    https://www.youtube.com/watch?v=TTcb1kELl74
    Auf diesem YouTube-Link ist die gesamte CD-Box aus Beitrag Nr. 71; wer die CD-Box also nicht hat, kann alle Musikstücke aus dem Beitrag Nr. 74 und diesem hören incl. der Musik auf CD 3, die in meinem nächsten Beitrag folgt.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Ein letztes Mal mit Pauken und Trompeten - Missa Purificationis ZWV 16


    Zum heutigen feierlichen Anlass ein klein wenig Pomp - wenn auch nicht in den liturgischen Kalender passend, da man dieser Tage nicht das Fest der rituellen Reinigung (die Maria vierzig Tage nach Jesu Geburt vollziehen musste) feiern würde.


    Zehn Tage waren es hingegen nur, die Zelenka - nach eigenen Angaben - Zeit hatte, um eine Messe aus Anlass der Geburt des fünften Sohnes des sächsischen Herrscherpaares zu verfassen. Die Kurfürstin war die entschiedene Förderin der katholischen Kirchenmusik und konnte nun, im Sommer 1733, einige Monate nach dem Ableben ihres berühmten Schwiegervaters, ihre Protektion noch ungehinderter zur Geltung bringen. Da der "siegreiche" Konkurrent Hasse zwecks Fortbildung durch Italien tourte, oblag Zelenka die Komposition der kurzfristig anfallenden repräsentativen Werke.


    Die eilige Enstehung ist dem Werk kaum anzumerken. Das Kyrie II ist eine nahezu unveränderte Wiederholung, das Hosanna basiert im wesentlich auf dem Cum sancto - derartige Bezüge finden sich jedoch auch in anderen "mittleren" Messen Zelenkas, die ebenfalls oft in D-Dur stehen. Dem Anlass gemäss trägt das Ordinarium ein festliches Gewand, die geschmeidigen Ritornelle stören die "Höflichkeit" noch kaum durch jene synkopischen Widerhaken, welche für die späteren Messevertonungen charakteristisch werden sollten. Doch wäre Zelenka nicht er selbst, liessen nicht ungewöhnliche Modulationen bereits in den ersten Takten der stürmischen Instrumentaleinleitung aufhorchen. Ein wenig fällt auch das schlichte Agnus I aus dem Rahmen, nur mit Alt, Oboe, zwei Violinen und Bratsche besetzt - doch bald bildet ein Agnus II einen raschen Übergang zum Dona nobis pacem, etwas fugiert und im altbekannten Duktus.


    ZWV 16 ist die letzte Messe, die mit Blechbläsern samt Pauken besetzt ist. Die folgende Missa Sanctissimae Trinitatis bildet bereits den Übergang zum eher verinnerlichten und schlichter instrumentierten "Alterswerk".
    Anders als der Name suggerieren mag, ist die Purificationis der betont glanzvolle Abschluss eines musikalischen Lebensabschnitts.


    /OY001xMm81w


    https://youtu.be/OY001xMm81w


    ;):hello:

  • Hab Dank, Gombert, für diesen schönen Beitrag ! :jubel:


    Mit viel Freude habe ich diese schöne Messe zwei Mal angehört.
    Das "Cum sancto spiritu" aus dem Gloria ist eine besonders fetzige Fuge !
    Besonders eindringlich und stark expressiv finde ich aber auch die zentrale Credo-Stelle: von "et incarnatus" bis "resurrexit". Hier zeigt Zelenka zunächst wieder einmal alle seine Fähingkeiten hinsichtlich ungewöhnlicher Harmonik und Modukation. Und dann: Ich habe noch nie ein Crucifixus gehört, das mit einem überschwänglich frohen Ritornell beginnt ! Interessant ist übrigens auch die Nähe seines "Crucifixus"-Motives zum analogen Thema in der h-moll-Messe Bachs.
    Wenn das Publikum Dresdens die Musik Zelenkas kannte, ist es anzunehmen, dass alleine schon dadurch die Messen sehr gut besucht waren. Und immer wieder ist es unverständlich, dass seine Musik hinter Gittern bewahrt und von Seiten des Hofes den Nachfolgegenerationen kaum zu Gesicht gegeben wurde.


    Dank nochmal und viele Grüße,


    Bachiania :hello:

    Man sagt, wenn die Engel für Gott spielen, so spielen sie Bach, füreinander aber spielen sie Mozart.
    (Sir Isaiah Berlin)

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  • Hallo,


    ich habe mir die Missa Purificationis ZWV 16 angehört – Details dazu:


    Das Kyrie bis 8:32 – ist es nun ein Gloria oder ein Kyrie? Seit Orpheus und Eurydice ist bekannt, dass Trauer etc. auch in Dur ausgedrückt werden kann. Es geht mir auch nicht um das Tongeschlecht, aber der musikalische Charakter ist m. E. sehr ähnlich – wie ist das mit dem Text vereinbar?


    Qui sedes – Bach vertont mit der Altarie mehr die 2. Textzeile (auf der wohl auch textlich das Gewicht liegt). Hier liegt die Ver-/Betonung auf der 1. Zeile.


    Credo in unum – ich habe Bachs Einstimmigkeit im Ohr.


    Agnus Dei I ist sehr am Text orientiert – das Angus Dei II?


    Dona nobis pacem höre ich sehr festlich-fordernd, obwohl es doch an sich eine Bitte ist.


    Die Messe ist über weite Teile ein sehr prachtvolles, prächtiges, festliches Werk (u. a. Osanna in excelsis!), was durch eine entspr. vollstimmige Orchestrierung incl. Tempo, Dynamik und dem Wechsel zwischen Soli und Chor zum Ausdruck kommt. Dabei höre ich aber keine opern- oder oratorienhaften Züge, was mir die Freude am Hören verleiden würde.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Lieber Zweiterbass,
    bitte miss nicht an Bach.
    Zelenkas Musiksprache ist verwandt, aber nicht deckungsgleich.
    Dass Zelenka manche Textteile "um die Ecke gedacht" hörbar macht- anders als Bach- ist ja gerade dessen Besonderheit.
    Heinz Holliger hat das schon vor Jahrzehnten formuliert: Zelenka steht auf einem anderen Gipfel als Bach.
    Vergleiche sind also wirklich schwierig und dem jeweiligen Werkverständnis nicht eben hilfreich.


    Herzliche Grüße,
    Mike

  • Lamentationen und Responsorien


    Gemeinsam verfasst von Bachiania und Gombert



    Die Gebete der Kartage nehmen eine Sonderstellung im katholischen Kirchenjahr ein. Sie wurden ursprünglich nächstens abgehalten, setzten sich daher im wesentlichen aus jeweils drei Nocturnes zusammen. Zu den Bestandteilen dieser Nocturnes gehörte auch der Vortrag der Klagelieder Jeremias (Lamentationen) und die darauf folgenden Antwortgesänge (Responsorien), was also an jedem Kartag dreimal - hinsichtlich der Responsorien noch einmal dreigeteilt - erfolgten. Am für diese "spektakulären" Veranstaltungen rasch berühmt gewordenen barocken Dresdner Hof geschah dies der Bequemlichkeit halber bereits am Vortag.


    Da der Hofkomponist Heinichen mit der Anfertigung einer Ostermesse ausgelastet war, erhielt Zelenka 1722 und vor allem 1723 Gelegenheit, die Musik für Gründonnerstag sowie Karfreitag und -samstag zu komponieren. An den Schluss des dritten Teiles der Responsorien setzt er das folgende Chronogramm, aus welchem sich die Jahreszahl der Entstehung ablesen lässt:



    Dem Repräsentationszweck entsprechend verwundert es nicht, dass alleine die Musik zur Liturgie der drei Tage (die ja noch von zahlreichen weiteren liturgischen Elementen umrahmt wurden) Stunden dauert. Doch ist diese Zeit in allen drei Fällen überraschend kurzweilig.


    Zwar sind Lamentationen und Responsorien im Zelenka-Werkverzeichnis unterschieden, doch wurden sie in der Praxis im Wechsel ausgeführt. Allerdings existieren für die jeweiligen Kartage nur zwei - statt der üblichen drei - Lamentationen, kein ganz ungewöhnlicher Umstand.


    Folgen die Lamentationen einem modernen, opernhaften Stil, in dem sich schlichte Chöre mit Arien und Rezitativen abwechseln, stehen die Responsorien in jenem liturgisch vorgeschriebenen stile antico, der noch aus der Zeit der Gegenreformation herrührt.



    Lectiones et Responsoria Lamentatio Ieremiae Prophetae ZWV 53


    Die Opernhaftigkeit der sechs Lamentationen wirkt sich bis in die musikalische Praxis aus: da den Dresdnern der führende Kastrat abhanden gekommen war, sind die Solopartien nur durch Alt, Tenor und Bass besetzt.


    Im Prinzip lassen sich die Vertonungen der Klagegesänge des Propheten Jeremias über das abtrünnige Volk Israel als Solo-Kantate mit eingeflochtenen konzertanten imitatorischen Passagen und begleiteten oder Secco-Rezitativen verstehen. Diese Differenzierung entspricht der Heterogenität der Vorlage. Am Anfang stehen stets die Kapitelüberschriften und die hebräischen Buchstaben/Zahlen als weiteres Gliederungselement. Bis zur abschliessenden Anrufung des sündigen Jerusalem folgen theatralische Momente und Affekte ebenso wie narrative Abschnitte.



    Lamentation 1, Gründonnerstag

    Die Eingangsformel "Incipit Lamentatio Jeremiae Prophetae" (Es beginnt das Klagelied des Propheten Jeremias) und der eröffnende hebräische Buchstabe sind in einen Instrumentalsatz eingebunden, dessen Dichte mitunter an entsprechende a cappella-Kompositionen des 16. Jahrhunderts erinnert, wobei die Buchstaben in dichte Verzierungen der Solostimme eingesponnen wird. Zudem werden sie "affektiv" mittels Harmonik und Metrik unterschieden und charakterisiert. Die eröffnenden Ritornellformen von sehr unterschiedlichem Umfang (zwei bis vierunddreissig Takte) prägen den Verlauf der einzelnen Werke


    Unterscheiden sich die anschliessenden Lesungsabschnitte auch in Besetzung und Rhythmik, bewahrt Zelenka doch eine gewisse Einheit mittels einer subtil vereinheitlichenden Melodieführung, die zugleich die Sanglichkeit bewahrt. Mit klassischen rhetorischen Mitteln arbeiten sowohl die teilweise sprunghafte Stimmführung als auch Rhythmik und Harmonik (verlangsamte Kadenzen, Neapolitanischer Sextakkord).


    Das abschliessende "Jerusalem, convertere ad Dominum Deum tuum" (Jerusalem, bekehre dich zu deinem Herrgott)" wird als Pendant zu den Eingangsabschnitten ausgestaltet, wobei die Aufforderung "convertere" besonderes musikalisches Gewicht erhält. Es handelt sich um Arien mit eingebundenen Ritornellen, in beiden Werkbereichen können sich in Einzelfällen sogar direkte Zitate aus dem Eröffnungssatz finden.



    I. Lamentation - 0:00
    II. Lamentation - 14:15
    III. Lamentation - 23:10
    IV. Lamentation - 32:22
    V. Lamentation - 43:19
    VI. Lamentation - 56:09


    Während sich die Instrumentalbesetzung für Donnerstag und Freitag auf den üblichen Bahnen bewegt - chorische Streicher plus Oboe - verblüffen die für den Karsamstag vorgesehenen Kombinationen. Zwei Flöten spielen in Lectio I mit zwei Celli (ab 43:19), während der zweiten Lesung wird eine Violine gemeinsam mit Fagott und Chalumeau - einem Quasi-Vorläufer der Klarinette - eingesetzt. Dabei hellen sich die Lamentationen zwischen der ersten Lektion am Gründonnerstag und der letzten am Karsamstag langsam auf.



    Responsoria pro hedomada sancta ZWV 55


    Es handelt sich hier um "Antwortgesänge" im ursprünglichen Wortsinn. Je einer "Lectio" im gregorianischen Choral wird ein Responsorialgesang des Chores nachgesetzt.
    Zelenka schreibt diese Musik dezidiert im "Stile antico" Dieser Stil, der Palestrina zum Idealmaß macht, wurde im Zuge der Gegenreformation definiert. Die Textverständlichkeit sollte höchste Priorität erhalten. Dieser Stil (den Johann Joseph Fux in seinem "Gradus ad parnassum" lehrte und der heute noch als kontrapunktisches "Normmaß" gelehrt wird) beinhaltet, dass alle Stimmen möglichst ausgewogen fließen: melodisch, harmonisch, rhythmisch. Kennt man nun Zelenkas Musik (und damit auch ein wenig seine musikalische Persönlichkeit), weiß man sofort: dies ist im Grunde nicht seine Sache! Zu sehr liebt er große Sprünge, schnelle Rhythmen, intensive und nach außen gerichtete Emotionen - wie er sie in den vorangehenden Lamentationen einbringen kann.


    Da nun in den Responsorien von ihm erwartet wurde, im "stile antico" zu komponieren, fügte er sich dieser Vorgabe, allerdings erweiterte er ihn in erlaubtem Rahmen um viele Elemente. Vor allem fällt die sehr expressive Harmonik auf, die teils an die Grenzen dessen geht, was in barocker Musik üblich war. Ebenso gelingt es ihm immer wieder, mit ausdrucksvollen musikalischen Textausdeutungen den liturgischen Text zu intensivem Leben zu erwecken. Die Werke sind durchzogen von kurzen Imitationen durch alle Stimmen, die jedoch meist nicht intensiver ausgearbeitet werden, sondern bald dem nächsten Thema Platz machen. Um der (eigentlich a capella gedachten) Musik Färbung zu verleihen, lässt Zelenka die Instrumente mit ihren jeweiligen Stimmgattungen colla parte mitspielen.


    Hier ist interessant, dass verschiedene Interpretationen zu sehr unterschiedlichen Hörerlebnissen führen. Man vergleiche den Karfreitag in der sehr reduzierten, rein vokalen Aufnahme des Chores "Lumen Valo"


    https://www.youtube.com/watch?v=z-31FNUlL0o


    mit derjenigen von Vaclav Luks, dessen Interpretation sehr affektgeladen und spannungsreich daherkommt:


    /watch?v=vbu015ed_b8
    Die Zeitangaben in Folge beziehen sich auf diese Aufnahme.


    An dieser Stelle seien aus den immerhin etwa drei Stunden Musik nur zwei Stellen exemplarisch ein wenig näher beleuchtet. Beide stammen aus dem Responsorium für den Karfreitag.


    Der Anfangssatz "Omnes amici mei" (03:27) zeigt beispielhaft, wie Zelenka hier mit Harmonien und imitationen operiert. Die Stelle "Et terribilibus oculis plaga" (04:58) wird lautmalerisch ausgedeutet und zieht in der Folge starke Chromatik nach sich. Hier, wie immer wieder in allen Teilen begegnen uns musikalische Kreuzformen (siehe unten).


    Der Satz "tenebrae sunt" (hier auf 24:00) zu hören, beschreibt die letzten Worte und den Tod Jesu. Wir alle kennen diese Stelle gut von Bach, wo es heißt "es ward eine Finsternis über das ganze Land..."


    Tenebrae factae sunt, dum crucifixissent Jesum Judaei: (Es kam eine Finsternis, als die Juden Jesus gekreuzigt hatten)
    et circa horam nonam exclamavit Jesus voce magna: (Um die neunte Stunde rief Jesus mit lauter Stimme)
    Deus meus, ut quid me dereliquisti ? (Mein Gott, warum hast du mich verlassen?)
    Et inclinato capite, emisit spiritum. (Und neigte sein Haupt, seinen Geist aufgebend)
    Exclamans Jesus voce magna ait: Pater, in manus tuas commendo spiritum meus. (Mit lauter Stimme rief Jesus, sagend: Vater, in Deine Hände befehle ich meinen Geist)
    Et inclinato capite, emisit spiritum. (Und neigte sein Haupt, seinen Geist aufgebend)


    "crucifixissent Jesum Judaei" zeigt, wie oft in diesen Werken, eine Kreuzform im Thema (Chiasmus), noch dazu chromatisch, um das Leiden auszudrücken:



    Die Stelle "exclamavit" ist deutlich hervorgehoben (25:05) der dem Aushauchen des Geistes ("emisit spiritum") folgende Ganzschluss beinhaltet keine Terz (26:17). Die "leere" Quinte zeigt die Leere an, die nun, nach Jesu Tod herrscht.


    "Et inclinato" zeigt das Neigen des Hauptes (25:40)


    Hierin begegnet uns zudem ein alter Freund. Zunächst tritt er modal etwas verschleiert auf, wird durch alle Stimmen imitiert, um dann als herrlicher Cantus firmus im Sopran ganz offen zutage zu treten (27:49)



    Unschwer erkennt man das "O Haupt voll Blut und Wunden". Nicht nur der Textstelle angepasst setzt Zelenka hier die alte Tradition der Parodiekomposition fort und zeigt gleichzeitig auch Respekt vor der protestantischen Tradition.


    Auch die weiteren Teile für Donnerstag und Samstag sind durchaus hörenswert:


    https://www.youtube.com/watch?v=Q1lQMwNy3fw


    https://www.youtube.com/watch?v=dveq2sKrRPY


    Der Samstag ist leider nicht mit Vaclav Luks verfügbar.



    So hören wir hier ein Stück alter Passionsmusik, die dennoch neu ist.
    Die Lamentationen, die schon zuvor etliche Komponisten zu ungewohnter Expression anregten, gehören zu den frühesten Werken, in denen sich Zelenkas Eigenwilligkeit ganz unumwunden offenbart. Ungewöhliche Rhythmik, "merkwürdige" rhetorische Wendungen und auffallende Modulationen kennzeichnen eine Mannigfaltigkeit, die dennoch nicht zur Fragmentarisierung führt. Dafür sorgen die melodischen Bögen, Ritornellformen und polyphone Elemente innerhalb einer monodischen Struktur.
    Und auch die einem zunächst konservativ erscheinenden Mantel gekleideten Responsorien sind auf eine Art in Zelenkas moderne Tonsprache gebracht, die nicht einmal behutsam ist, sondern sehr direkt und unmittelbar und darin den auf den ersten Blick mehr künstlerische Freiheit bietenden Lamentationen keinesfalls nachstehen.


    Nicht umsonst bewahrten insbesondere die Responsorien in "Insiderkreisen" ihren Ruf auch über den Tod des Komponisten hinaus. Während der Dresdner Hof die Partituren eifersüchtig hütete, gelang es Zelenkas einzigem ebenbürtigen Kollegen Johann Georg Pisendel, die Noten zu kopieren. Dem Hobbybotaniker Telemann soll er sie als "süsseste Früchte dieses Mandelbaums" überreicht haben.


    Auch das ist Karfreitagszauber, meine Herren!



    Viele Grüsse!


    :hello: Bachiania und Gombert :hello:

  • Hallo,


    wie nicht anders zu erwarten, spricht mich Lamentation VI besonders an, der Blasinstrumente wegen; der Counter klingt recht hart; Andreas Scholl oder eine fundierte Altstimme gefielen mir besser.


    Lumen Valo singen sehr gut.


    Bach war ja auch ein Meister vielseitiger unterschiedlicher Verwendung ansprechender Melodien, was eben damals üblich war.


    Trotz aller ungewöhnlicher Harmonik - mehrere Werke von Solostimmen mit fast identischer Instrumentalbegleitung sind nicht sehr abwechslungsreich, aber hier für den vorgesehenen Einsatzzweck geeignet.


    Viele Grüße
    zweiterbass

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  • Wie so oft entdecke ich etwas sehr spät-Ursprünglich hatte ich nur die Folge 1 dieser Box - und hach habe sie damals kaum wirklich wahrgenommen.. Irgendwann wurde mir die Bedeutung dieser Editio bewuisst und ich kauft die 3CD Box. Gehört habe ich sie scheinber nicht (zumindest nicht bewuisst) und - wie so viles - für "später" aufgehoben.

    Dieses "später ist JETZ - und do habe ich heute CD Nr 1 mit viel Vergnügen gehört - oder bersser ausgedrückt: Ich bin hin und weg-

    Eigentlich unverständlich, warum Zelenka so VERHÄLTNISMÄSSIG unbekannt ist. (Oder hab ich da was verpasst.

    Aber eigentlich waren auch Telemann und Heinichen lange Zeit unterschätz - Graupner ist es heute noch.


    Derzeit höre ich das

    Capriccio Nr 2 in G Dur ZWV 183


    Die SIEBEN Sätze sind:

    !) Allegro

    2) Canarie

    3) Aria

    4) Canarie da capo

    5) Gavotte

    6) Rondeau

    7)Menuet - Trio - Manuett da capo


    das Capriccio Nr 2 ist eines von vieren, welche Zelenka 1717/18 in Wien komponiert hat

    und ist mit dem 24. Jänner 1718 datiert


    Als Liebhaber des Jagdhorns ist diese Werk geradezu auf mich zugeschnitten,

    Jemand hat weiter oben geschrieben diese Werke erinnerte ihn mehr an Händels als an Bachs Brandenburgischer Konzerte

    Ich würde sage : Irgendwo dazwischen

    Wie ich erst jetzt sehe hat "Zweiter Baß" bereits 2015 ausführlicher über diese Werke geschrieben

    Aber es schadet nicht immer wieder darauf hinzuweisen und sie an die Rampe zu holen...


    mfg aus Wien

    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Als Weltersteinspielung veröffentlichte das Label Supraphon 2012 drei Kantaten, die Jan Dilma Zelenka zwischen 1709 und 1716 für die Osterzeit komponiert hatte.



    Immisit Dominus pestilentiam ZWV 58

    Attendite et videte ZWV 59

    Deus dux fortissime ZWV 60


    Hana Blazikova, David Erler, Tobias Hunger, Tomas Kral, Collegium Marianum, Jana Semeradova


    Das ist spannungsreich komponiert. Arien, Duette und Chor werden eingesetzt. Es sind Mischklänge zu hören, die aufhorchen lassen. Er folgt keinem Schema, sondern musikalischen Überlegungen. Barocke liturgische Musik vom besten.

    Walter Benjamin hatte auf seiner Flucht einen Koffer bei sich. Was würdest du in deinen Koffer packen? Meiner ist gepackt.