Ich war zwar gestern*) nicht in der Oper, habe mir aber via ORF2 die feierliche Eröffnung des Wiener Opernballs 2023 angeschaut.
Nach zweijähriger Pause war es endlich wieder soweit: Die Wiener Staatsoper hatte allen Glanz entfaltet und alle Kräfte mobilisiert, um Österreich und der Welt ein herrliches Ballerlebnis zu bieten und das altehrwürdige Haus in schönstem Glanz erstrahlen zu lassen.
So weit, so gut. Einmal abgesehen von dem unvermeidlichen Promiklatsch, den die Kommentatoren zum Besten gaben, und von den üblichen Sprechblasen der Politiker, die in Wien nicht anders klingen als in Berlin oder Brüssel, strahlte der Einzug des Bundespräsidenten-Paares einen Hauch von unfreiwilliger Komik aus. Wie weiland Kaiser Franz Joseph I. zog der ehemalige Grünenchef Alexander Van der Bellen unter bombastischem Trompetenblasen in das Hohe Haus ein, und seine Ehefrau ergriff gerne die (seltene) Gelegenheit, sich mit vielen, aber wenig aussagekräftigen Worten an "ihr Volk" zu wenden. So weit, so schlecht.
Doch nun zum musikalischen Teil der Veranstaltung: Der diesjährige Opernball war vorrangig der Wiener Operette gewidmet, und so spielten die Wiener Philharmoniker unter Leitung ihres Musikdirektors Philippe Jordan schmissig und klangschön den berühmten Walzer "Wiener Blut" von Johann Strauß jr. Dazu tanzten Mitglieder des Staatsopernballetts und legten einen schmissigen Auftakt vor.
Doch dann das, ich kann es nicht anders bezeichnen, Desaster: Der Haustenor Andreas Schager sang, besser gesagt, brüllte das Lied des Octavio so grob und ungeschlacht "Freunde, das Leben ist lebenswert" ins Publikum, das dem Hörer fast die Ohren wegflogen. Weiter ging es mit "Zwei Herzen im Dreivierteltakt", einem Duett aus der gleichnamigen Operette von Robert Stolz, in dem die finnische Sopranisten Camilla Nylund als Partnerin assistierte. Schon vom Aussehen eine Heroine, die an Birgit Nilsson oder auch an Kirsten Flagstad zurückdenken ließ, jedenfalls ein Paar, so denkbar ungeeignet für diese Art von Musik wie nur irgend jemand.
Grundsätzlich nichts gegen die beiden Künstler: Aber was hat sich die Direktion dabei gedacht, ausgerechnet diese beiden schweren, unbiegsamen Stimmen für ein Operetten-Potpourri auszusuchen? Hat ein so renommiertes Haus wie die Wiener Staatsoper keine lyrischen Tenöre (man denkt spontan an Anton Dermota) oder so herzerfrischende Sopranstimmen wie Irmgard Seefried, Hilde Gueden, Wilma Lipp oder Melitta Muszely mehr zur Verfügung?
Nach diesem total verunglückten sängerischen Teil habe ich mir den größeren Rest des Abend erspart und mir quasi zur Erholung nacheinander "Freunde, das Leben ist lebenswert" von Nicolai Gedda, Fritz Wunderlich, Peter Anders und Richard Tauber angehört. Ein Labsal nach dem groben Dauerforte von Andreas Schager! Selbst Rudolf Schock, nicht gerade mein Lieblingssänger, bringt das leichtfüßige Eingangslied aus Franz Lehárs "Giuditta" überzeugender zur Geltung als der heutige Star aus der Staatsoper, dessen Stimme zu Wagner und Richard Strauss passen mag, aber zur Wiener Operette wie eine Faust aufs Auge wirkt.
Ich weiß nicht, ob ich mit meinem Eintrag bei "Gestern in der Oper" richtig liege, aber ein passenderer Ort fiel mir nicht ein.
LG Nemorino
*) Der Beitrag wurde von mir gestern, 17.2., verfaßt, aber mein Internet funktionierte seit Mittag nicht, deshalb die Verzögerung.