Clara Schumann und Johannes Brahms

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    Clara Schumann (1819-1896) und Johannes Brahms (1833-1897) verband eine über vierzig Jahre währende Freundschaft, die ab 1853 unterschiedliche Phasen der Intensität durchlief. Brahms unterstützte Clara Schumann in Krisenzeiten, die sie während des Verlusts ihres Mannes Robert und durch den frühen Tod einiger ihrer Kinder durchlebte; sie wiederum beriet ihn in finanziellen und künstlerischen Fragen. Im Zentrum ihres Wirkens stand für beide immer die Musik: ihre Kompositionen und das Repertoire, für das sie sich als ausübende Künstler gegen viele Widerstände engagierten. Im Laufe ihres für die damalige Zeit überdurchschnittlich langen Lebens waren Clara Schumann und Johannes Brahms unmittelbar an der Entwicklung der Musikszene im 19. Jahrhundert beteiligt - einer Phase, in der sich die grundlegenden Mechanismen des heutigen Kulturbetriebs entwickelten.


    Meinhard Saremba hat in seinem Text Clara Schumann und Johannes Brahms in den kulturellen Kontext der Zeit des 19. Jahrhunderts gestellt.




    11'000 Briefe (!) an und von dem Komponisten sind im Brahms-Briefwechsel-Verzeichnis (BBV) des Brahms-Instituts dokumentiert und in Archiven, Bibliotheken und Privatsammlungen auf der ganzen Welt verteilt.


    Ein wichtiger Teil ist der Briefwechsel zwischen Johannes Brahms und Clara Schumann. Will man mehr über das Verhältnis dieser beiden Künstler und ihrem Leben aus erster Hand erfahren, ist der intensive Briefwechsel aufschlussreich.


    Der Germanist und Literaturhistoriker Berthold Litzmann (1857-1926) kannte Clara Schumann bereits aus seiner Kindheit und verfasste über sie eine dreibändige Biografie. Im Auftrag von Marie Schumann, der Tochter von Clara Schumann, bereitete er die Edition des Briefwechsels ihrer Mutter mit Brahms vor, die kurz nach seinem Tod 1926 erschien.


    Der Nachdruck der zweibändigen Originalausgabe aus dem Jahre 1927 ist seit 2021 wieder erhältlich. Es ist eine Auswahl der erhaltenen Briefe.


    Man kann die Bücher Online nachlesen. https://archive.org/details/Cl…esBrahmsBriefeBd2Litzmann


    "Um Musik zu hören, muss man seine Ohren öffnen und auf Musik warten. Zuhören ist Anstrengung; blosses Hören keine Leistung – auch eine Ente kann hören." Igor Strawinsky



  • Na, was für ein Zufall! Gestern die Lektüre von Sarembas Buch abgeschlossen. Hat sich gelohnt. Hab ´ne Menge Neues erfahren über diese Beziehung, zumal der Verfasser auch auf musikalische Werke von Brahms eingeht, die in einem engeren oder weiteren Zusammenhang mit dieser Beziehung stehen.

    Vor allem erfährt auch die geistige Situation der Zeit, die Entwicklung von Politik, Gesellschaft, Kultur und insbesondere der Musik und ihrer Interpretation in ihrer Wechselwirkung mit dem Leben und der beruflichen Betätigung beider Personen ausführliche Berücksichtigung. Die Auseinandersetzung mit der "Neudeutschen Schule" bildet dabei - wie könnte es anders sein - einen besonderen Schwerpunkt.

    Bemerkenswert ist - aus meiner Sicht -, dass der Verfasser bei all dem nicht deskriptiv an der Oberfläche verharrt, sondern analytisch in die Tiefe geht.

  • Lieber Helmut Hofmann


    ich beschäftige mich momentan mit der Musik von Johannes Brahms. Er ist mir in vielem ein Rätsel. Ich habe den Eindruck er hat manches nicht geäussert und verhüllt. Gegen Ende seines Lebens hat er uns in seiner Musik in sein Herz blicken lassen. Als Beispiel führe ich die Klavierstücke Op. 117 an, die er als die "drei Wiedenlieder seiner Schmerzen" bezeichnete.


    Saremba erliegt nicht der Versuchung allzu tief auf die Beziehung Clara Schumann und Johannes Brahms einzugehen. Den Einbezug der damals aktuellen musikalischen Strömungen ist für den Leser erhellend.

    "Um Musik zu hören, muss man seine Ohren öffnen und auf Musik warten. Zuhören ist Anstrengung; blosses Hören keine Leistung – auch eine Ente kann hören." Igor Strawinsky



  • ... ich beschäftige mich momentan mit der Musik von Johannes Brahms. Er ist mir in vielem ein Rätsel. Ich habe den Eindruck er hat manches nicht geäußert und verhüllt. (...)

    Da haben wir etwas gemeinsam, lieber moderato, die derzeitige Beschäftigung mit der Musik von Brahms betreffend nämlich.

    Brahms war nicht sehr gesprächig, und seine Musik zu kommentieren, das lehnte er strikt ab.

    Er war der Meinung, dass sie aus sich selbst heraus sprechen würde, und dass die personalen Komponenten, die ihr innewohnen, irrelevant seien.

    Diese vermochten nur diejenigen zu erkennen, die ihn sehr gut kannten. Insbesondere Clara Schumann natürlich.

    So kam ihr seine "Alt-Rhapsodie" vor wie "die Aussprache seines eigenen Seelenschmerzes".

    Aber interessant ist die Bemerkung, die sie in ihrem Tagebuch hinzufügte:

    "Spräche er doch ein Mal so innig in Worten".

  • Mein voranstehender Beitrag ist nicht ganz korrekt formuliert (wie das oft so ist, wenn ich mich hier im Forum aus dem Handgelenk äußere).


    Brahms kommentierte seine Kompositionen gegenüber Anderen sehr wohl, dies allerdings nicht in ihrer musikalischen Aussage (und das meinte ich oben), sondern in ihrer kompositorischen Qualität. Und dies zumeist abwertend, er war in radikal-rücksichtsloser Weise selbstkritisch.

    Sein Landsmann Walter Niemann berichtet zum Beispiel:

    "Ganz und gar kein Redner (...), sprach er am schwersten, verletzendsten und wegwerfendsten, ja, bis zu einem regelrechten Zorn über die eigene Verlegenheit gesteigert, über seine eigenen Werke." (Walter Niemann, "Brahms", Berlin 1920, S. 152)

  • ich beschäftige mich momentan mit der Musik von Johannes Brahms. Er ist mir in vielem ein Rätsel. Ich habe den Eindruck er hat manches nicht geäussert und verhüllt. Gegen Ende seines Lebens hat er uns in seiner Musik in sein Herz blicken lassen. Als Beispiel führe ich die Klavierstücke Op. 117 an, die er als die "drei Wiedenlieder seiner Schmerzen" bezeichnete.

    Ich finde, dass er in den späten Klavierstücken erst recht "verhüllt" hat, vor allem durch die Knappheit des verwendeten Materials und die auf die Spitze getriebene Strenge der Faktur. Da ist er doch z.B. in den frühen Klaviersonaten im Ausdruck weit überschwänglicher, ungebrochener und formal freier. Die Bezeichnung von op. 117 als "Wiegenlieder meiner Schmerzen" wird meist missverstanden: Brahms hat damit nicht die Intermezzi charakterisiert sondern im Gegenteil und mit leicht selbstironischem Unterton die Bezeichnung "Wiegenlieder" zurückgewiesen:

    "Es geht leider durchaus nicht, daß man das Ding als Wiegen- oder Schlummerlied ausgibt. Es müßte dann ja dabei stehen, 'Wiegenlied einer unglücklichen Mutter' oder eines trostlosen Junggesellen, oder, mit Klingerschen Figuren: 'Singet Wiegenlieder meinem Schmerze.'" (Brahms an Simrock 1892)

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Brahms kommentierte seine Kompositionen gegenüber Anderen sehr wohl, dies allerdings nicht in ihrer musikalischen Aussage (und das meinte ich oben), sondern in ihrer kompositorischen Qualität.

    Du, lieber Helmut, hattest mich erst neulich auf eine Brahms-Monographie gebracht, der noch manche Leküre folgte. Auf die Menge an verschriftlichten Erinnerungen von Zeitgenossen an den Komponisten war ich nicht gefasst. Darin wird er auch mit Aussagen über sein Werk zitiert. Ich möchte - um bei zwei Beispiele zu bleiben - auf Richard Heuberger und an den Sänger Felix Kraus verweisen. Auch der niederländische Pianist Coenraad v. Bos hat in den USA Erinnerngen veröffentlichen lassen. Er will in ganz jungen Jahren der Begleiter des ebenfalls aus Holland stammenden Heldenbarotons Anton Sistermans bei der Uraufführung der "Vier ernsten Gesänge", die mit Clara Schumann zu tun haben, in Wien gewesen sein.


    Wikipedia stellt das so dar: "Brahms kam nach der Aufführung hinter die Bühne und dankte Sistermans und Bos für die Aufführung, die, wie er sagte, vollkommen seine Intentionen verwirklichte.

    Zwei Wochen später begleitete Bos Raimund von Zur Mühlen zu den vier Gesängen. Zur Mühlen konnte das finale Diminuendo, wie es in der Partitur vermerkt war, nicht zustande bringen, deshalb wies er Bos an, das Crescendo nach dem Ende der Singstimme weiter zu spielen und das Werk mit fff anstatt mit p, wie Brahms es angegeben hatte, enden zu lassen. Später sprach Zur Mühlen mit Brahms und sagte, er hoffe, dass er ihm diese Abweichung von der Partitur nicht übel nehme. Brahms antwortete, dass Zur Mühlen hervorragend gesungen habe und er nichts Falsches bemerkt habe." Mir ist keine Quelle bekannt, die das bestätigen würde. Vielmehr soll Brahms bei der Uraufführung im alten Bösendorfer-Saal nicht zugegen gewesen sein. Bei Kalbeckist das sehr ausführlich beschrieben. In diesem Falle habe ich keinen Grund, an dessen Darstellung zu zweifeln.


    Da wird also viel geschrieben. Dich nicht alles scheint wahr zu sein.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Wikipedia stellt das so dar: "Brahms kam nach der Aufführung hinter die Bühne und dankte Sistermans und Bos für die Aufführung, die, wie er sagte, vollkommen seine Intentionen verwirklichte.

    Zwei Wochen später begleitete Bos Raimund von Zur Mühlen zu den vier Gesängen. Zur Mühlen konnte das finale Diminuendo, wie es in der Partitur vermerkt war, nicht zustande bringen, deshalb wies er Bos an, das Crescendo nach dem Ende der Singstimme weiter zu spielen und das Werk mit fff anstatt mit p, wie Brahms es angegeben hatte, enden zu lassen. Später sprach Zur Mühlen mit Brahms und sagte, er hoffe, dass er ihm diese Abweichung von der Partitur nicht übel nehme. Brahms antwortete, dass Zur Mühlen hervorragend gesungen habe und er nichts Falsches bemerkt habe." Mir ist keine Quelle bekannt, die das bestätigen würde. Vielmehr soll Brahms bei der Uraufführung im alten Bösendorfer-Saal nicht zugegen gewesen sein. Bei Kalbeckist das sehr ausführlich beschrieben. In diesem Falle habe ich keinen Grund, an dessen Darstellung zu zweifeln.

    Die Geschichte mit Coenraad V. Bos und Raimund von Zur Mühlen wird u.a. in "Performing Brahms. Early Evidence of Performance Style, hrsg. von Michael Musgrave und Bernard D. Sherman, Cambridge University Press 2003" berichtet. Sie bezieht sich nicht auf die Uraufführung der Vier ernsten Gesänge und steht insofern nicht im Widerspruch zu Kalbeck. Vor allem Musgrave ist ein renommierter Brahms-Forscher.

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    (Theodor W. Adorno)

  • Sie bezieht sich nicht auf die Uraufführung der Vier ernsten Gesänge

    Demnach hat Brahms also doch eine Aufführung seiner "Vier ernsten Gesänge" besucht. Wo sollte das gewesen sein? Im Musikverein? Irgendwo las ich, dass es auch dort eine Darbietung gegeben haben soll. Weißt Du mehr dazu? "Performing Brahms" kenne ich leider nicht. Ist auch alles nicht so wichtig, und dieser Thread dürfte auch nicht der Platz sein für derlei Erörterungen. Danke für die Wortmeldung.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Weißt Du mehr dazu? "Performing Brahms" kenne ich leider nicht.

    Ohne noch einmal nachzuschlagen, weiß ich leider nicht mehr dazu, und "Performing Brahms" habe ich seinerzeit nur aus der Bibliothek entliehen. Mir fiel nur ein, dass ich die Geschichte im Vorwort zu meiner Bärenreiter-Ausgabe der Walzer op. 39 erwähnt habe, und dort habe ich die Quelle natürlich angegeben.

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  • Demnach hat Brahms also doch eine Aufführung seiner "Vier ernsten Gesänge" besucht. Wo sollte das gewesen sein? Im Musikverein? I

    Nein, lieber Rheingold, Brahms hat keine Aufführung der "Vier ernsten Gesänge" erlebt. Er ging ihnen regelrecht aus dem Weg, konnte sie sich noch nicht einmal vorsingen lassen.

    Der Grund dafür ist in diesem Brief an Claras Tochter Marie zu finden:


    "Wenn Ihnen nächstens ein Heft >ernsthafter Gesänge< zukommt, so mißverstehen Sie die Sendung nicht. Abgesehen von der alten lieben Gewohnheit, in solchem Fall Ihren Namen zuerst zu schreiben, gehen die Gesänge Sie auch ganz eigentlich an. Ich schrieb sie in der ersten Maiwoche; ähnliche Worte beschäftigten mich oft, schlimmere Nachrichten von Ihrer Mutter meinte ich nicht erwarten zu müssen - aber tief innen im Menschen spricht und treibt oft etwas, uns fast unbewußt, und das mag wohl bisweilen als Gedicht oder Musik ertönen. Durchspielen können Sie die Gesänge nicht, weil die Worte Ihnen jetzt zu ergreifend wären. Aber ich bitte, sie als ganz eigentliches Totenopfer für Ihre geliebte Mutter anzusehen und hinzulegen."


    Die Worte "durchspielen können Sie die Gesänge nicht, weil die Worte Ihnen jetzt zu ergreifend wären" galten für ihn selbst, kamen aus seinem eigenen Herzen.

  • Brahms hat keine Aufführung der "Vier ernsten Gesänge" erlebt. Er ging ihnen regelrecht aus dem Weg

    (...)

    Die Worte "durchspielen können Sie die Gesänge nicht, weil die Worte Ihnen jetzt zu ergreifend wären" galten für ihn selbst, kamen aus seinem eigenen Herzen.

    Das stimmt so nicht: Kalbeck beschreibt, dass Brahms die Vier ernsten Gesänge im Anschluss an das Begräbnis Clara Schumanns im privaten Musiker- und Freundeskreis gespielt hat, und dass kurze Zeit später er (Kalbeck) sie in Bad Ischl mit Brahms am Klavier gesungen habe. Auch seine sofortigen Bemühungen um Veröffentlichung (die Erstausgabe erschien noch 1896) zeigen, dass er die Stücke keineswegs verschlossen halten oder verstecken wollte, allen Bekundungen, er habe sie nur für sich geschrieben, zum Trotz. Ob Brahms bei der Uraufführung am 9.11.1896 anwesend war, ist nicht eindeutig geklärt.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Danke für die Richtigstellung!

    (Ich sehe, ich hätte nicht auf eine Frage antworten sollen, die gar nicht an mich gerichtet war, - vielmehr an den Richtigen. Und damit bin ich raus hier.)

  • Danke für die Richtigstellung!

    (Ich sehe, ich hätte nicht auf eine Frage antworten sollen, die gar nicht an mich gerichtet war, - vielmehr an den Richtigen. Und damit bin ich raus hier.)

    Nein, warum solltest Du raus sein? Es stimmt ja übrigens auch, dass Brahms eine gewisse Scheu vor diesen Liedern hatte, davon sprechen seine Briefe an die Schumann-Kinder, an seinen Verleger und an den Widmungsträger Max Klinger. Seine Haltung war aber auch in dieser Hinsicht ambivalent, wie in so vielen Dingen, und wie auch in weiten Teilen seiner Musik. Man könnte sogar darin deren Hauptcharakteristikum sehen: in diesem Sowohl-als-auch, dem indirekt Gesagten oder Angedeuteten, dem "Verhüllten". Ich höre z.B. in sehr vielen seiner Werke den Wunsch zu tanzen, aber es bleibt fast immer seltsam gebrochen, unwirklich, entfernt. Und die formale und strukturelle Strenge wirkt auf mich oft so, als brauchte er sie als Ummantelung der ganz intimen, persönlichen Aussagen. Da ist dann z.B. in der zweiten Klarinettensonate das denkbar zärtlichste Thema in einen Quint-Kanon in Umkehrung verpackt. Seine Ironie in den Briefen - ausgerechnet die Vier ernsten Gesänge hat er Simrock und Klinger als "Schnaderhüpferl" angekündigt - geht in dieselbe Richtung. Mich würde jedenfalls sehr interessieren, ob andere (Du) das auch so wahrnehmen, und woran man das noch festmachen kann.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
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