Richard Strauss: Daphne, Berliner Staatsoper, 31. Januar 2024

  • Zwei Tenöre


    Elias Corrinth, als musikalischer Assistent an der Produktion beteiligt, hatte auf der Soirée am Vorabend der Vorstellung angemerkt, daß die Daphne schwer zu besetzen sei, weil man zwei "richtige Tenöre" brauche. Für die diesjährige Serie der Produktion sei es gelungen, zwei zu verpflichten. Thomas Guggeis dirigierte, und mir schien im Vergleich zu meinem Besuch vor einem knappen Jahr, daß er diesmal lauter, entfesselter spielen ließ.


    Johann Krogius sang Leukippos, David Butt Philip Apollo. Krogius ist eine wunderbare Besetzung für den unglücklichen Schäfer! Er hat eine helle, bewegliche Stimme, aber es mangelt ihm nicht an Durchschlagskraft. Das hört man am Schluß der Handlung, wenn "das Orchester ordentlich Blech auf ihn wirft" (Elias Corrinth). Er ist immer präsent, immer zu verstehen und singt idiomatisch.

    Philip, den ich in Zemlinskys Zwerg und mehrfach als Lohengrin in der Holten-Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin sah, singt inzwischen auf den großen Bühnen der Welt. Lohengrin, Apollo und Stolzing in Wien, den Kaiser in San Francisco, Laertes in Brett Deans Hamlet-Oper an der Met. Sein Gott singt kraftvoll und souverän. Beim "Jeden heiligen Morgen..." hält er das Orchester förmlich nieder. Gelegentlich - im großen Schlußmonolog hört man es deutlich - rutscht ihm ein Vokal in die Kehle, dann klingt die ganze Phrase etwas guttural.

    Meine Lieblingsstelle ist der kurze Moment, in dem der Gott reflektiert, was er gerade tut:


    Was führt dich her
    Im niedern Gewande,
    Das ehrliche Volk
    Mit Lügenwort
    Dreist zu betrügen?
    O erniedrigter Gott!
    Selbst: Brünstiges Tier!


    Das singt Philip so, wie ich es mir wünsche: Finster, depressiv und dann, wenn die Blechbläser, die ja seinem Bruder gehören, in dessen Verkleidung er sich auf das Fest der Schäfer geschlichen hat, aus dem Orchestergraben dräuen, energisch und gefaßt. Andere Bühnengötter reflektieren fast einen ganzen (zweiten) Akt lang ihr Tun und Lassen, der Strauss'sche braucht hier vierzig Sekunden. Jean Cox hat das in Wien 1972 so gesungen:



    (ab 39:10)


    Drei Soprane


    Drei Tenöre hat uns der Komponist nicht gegönnt, aber drei Soprane bietet er auf. Vera-Lotte Boecker hat mich wieder begeistert. Vor einem Jahr habe ich im Forum kurz berichtet. Evelin Novak und Natalia Skrycka singen die beiden Mägde, die den Lauf der Dinge kennen und Leukippos den verhängnisvollen Rat geben, sich als Frau verkleidet Daphne bei den Dionysien zu nähern. Die schöne Szene - einer der Höhepunkte der Oper - gelingt, weil Krogius den beiden sängerisch ebenbürtig ist



    Der Schnee


    Der Schnee, der kurz nach Beginn zu wirbeln beginnt, ist wesentlich für die Inszenierung, in der Regisseur Romeo Castellucci Daphnes "devastating relationship with nature" ins Zentrum stellt. Auch bei diesem Besuch bin ich nicht warm damit geworden. Die Dionysien, Feiern des Rauschs und der Paarung von Mensch und Tier, ängstigen das junge Mädchen doch wegen der Art und Weise, wie die Menschen sich dabei vergnügen:


    Ihre verlangenden Blicke quälen mein Herz,
    Ihre wilden Lieder bedrängen mein Ohr,
    Fremd ihre Sprache, rauh ihre Sinne,
    Fremd sind sie mir wie den Bäumen und Blüten!
    Fremd ist mir alles,
    Einsam bin ich


    Daphne ist einsam in der Welt, nicht in der Natur. Einer ihrer älteren Schwestern bei Strauss geht es ganz ähnlich:


    Wie süß ist hier de Luft!
    Hier kann ich atmen.
    Da drinnen sitzen Juden
    aus Jerusalem,
    die einander über ihre
    närrischen Gebräuche
    in Stücke reißen.
    Schweigsame, list'ge Ägypter
    und brutale, ungeschlachte Römer
    mit ihrer plumpen Sprache.
    O, wie ich diese Römer hasse!


    Auch hier der Rekurs auf die Sprache, die wesentliche Voraussetzung für die Existenz des Menschen als gesellschaftliches Wesen ist. Das Problem ist nicht, daß Castellucci gegen das Libretto inszeniert und auch nicht, daß er gegen den Gehalt der Oper inszeniert. Das Problem ist, daß aus seinem Ansatz keine Spannung resultiert. Man sitzt im Saal, schließt die Augen, lauscht Musik und Gesang und kann sich sicher sein, im Schneegestöber, in dem die weiß gekleideten Sänger oft kaum auszumachen sind, nichts zu verpassen.

    Zum Schluß verschwindet Daphne in einer Grube, während die kahle ausgerupfte Birke mit den kümmerlichen Wurzeln voran in den Schnürboden gezogen wird.

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Zum Schluß verschwindet Daphne in einer Grube, während die kahle ausgerupfte Birke mit den kümmerlichen Wurzeln voran in den Schnürboden gezogen wird.

    ..... und wo bleibt die Verwandlung in einen Lorbeerbaum?

    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • ..... und wo bleibt die Verwandlung in einen Lorbeerbaum?

    La Roche

    Lorbeer ist immergrün. Das hätte nicht in Konzept der Inszenierung gepaßt, vermute ich. Es grüßt Hans

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Ohne Lorbeer funktioniert die ganze Geschichte um Daphne eigentlich nicht ganz richtig. Denn die altgriechische Bezeichnung für die Pflanze lautet δάφνη (dáfni) und erinnert daran, dass Daphne von ihrem zu Hilfe gerufenen Vater Peneios in einen Lorbeerbaum verwandelt wurde. Apollon schlingt die Arme um den Stamm, doch seine Liebste bleibt verschwunden. Vor Kummer bricht Apollon einige Zweige ab, die er seither zur Erinnerung an Daphne um den Kopf gewunden trägt.

    Hätte das auch mit Birkenblättern funktioniert? Nein, die würden nämlich schnell welken. Aber im Theater werden Naturgesetze gerne mal außer Kraft gesetzt; Daphne in Unterwäsche scheint ja auch bei Minustemperaturen im Schnee nicht zu frieren, selbst dann nicht, wenn manche dicke Jacken tragen.


    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Es gab davon mal ein Video bei Youtube. Vielleicht inzwischen wieder ...

    Ricarda Merbeth in der Titelpartie feierte einen großen Erfolg. Johan Botha sang den Apollo.

    Diese Daphne gibt es noch bei YT.


    Die Verwandlung ab 01:35:00 ca.

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Das

    Ohne Lorbeer funktioniert die ganze Geschichte um Daphne eigentlich nicht ganz richtig. Denn die altgriechische Bezeichnung für die Pflanze lautet δάφνη (dáfni) und erinnert daran, dass Daphne von ihrem zu Hilfe gerufenen Vater Peneios in einen Lorbeerbaum verwandelt wurde. Apollon schlingt die Arme um den Stamm, doch seine Liebste bleibt verschwunden. Vor Kummer bricht Apollon einige Zweige ab, die er seither zur Erinnerung an Daphne um den Kopf gewunden trägt.

    So ist der Mythos zu uns von Ovid überliefert worden. Die Handlung der Oper ist etwas anders. Hier weist Daphne sowohl Apollo als auch einen Kindheitsfreund zurück, wonach beide verkleidet zum Fest in Daphnes Haus kommen. Apollo fordert den Rivalen zum Zweikampf, der nicht ganz überraschend ausgeht - der Gott siegt, der Freund stirb und Daphne weint. Worauf Apollo voller Reue die Götter bittet … ich glaube, dass der Tote auf den Olymp kommt; und Daphne wiederum wird von Apollo (und nicht von dem Vater, der hier bloß ein Fischer ist) in einen Lorbeerbaum verwandelt, damit sie mit der Natur, die sie so liebte, für immer eins wird… (Wie Hans Heukenkamp bereits schön beschrieben hat)

    Schade, dass diese so schöne Geschichte in der Berliner-Inszenierung nicht erzählt wird; und dass Daphnes komplexer Charakter nicht rübergebracht wird.
    Ich habe nur einige Ausschnitte und gesehen… wie ich verstehe, fordert hier Daphne in Unterhose den Baum zum Zweikampf auf. Und gewinnt. Vermutlich. So genau muss man das alles nicht verstehen…

  • Ja, die ganze Oper ist nicht wörtlich zu sehen, denn wo sind schon Götter auf der Erde und nehmen sich eine Irdische - nur in der Sagenwelt oder in der Oper. Daphne als relativ unbekannte und selten gespielte Oper paßt in dieses Schema, ihre Musik ist noch dazu überirdisch schön, und in einer entsprechenden Inszenierung ohne ideologischen Schnörkel schon geeignet, dem interessierten Strauss-Fan als Zuschauer Freude zu bereiten. Live habe ich die Oper noch nie gesehen, kenne aber die Merbeth - Botha Inszenierung aus Wien. Sie hat durchaus Freude bereitet.

    Meine Lieblingsversion stammt aus München, aus 1964, wo Keilberth eine musikalisch kaum zu überbietende Show auf die Bühne brachte. Schon diese Namen: Fritz Wunderlich; James King, Stefania Woytowicz, Herta Töpper, Gottlob Frick das zieht bei mir immer, auch wenn die Bildqualität nicht befriedigend ist - der Ton ist recht ordentlich.

    Wer will, kann die ganze Inszenierung aufrufen in der Suchmaske mit "Daphne, Wunderlich, King, Keilberth" und hat knapp 2 Stunden beste Unterhaltung. Ohne aktuelle Neudeutung, ohne Kalaschnikow, reine Unterhaltung. Ich glaube, ich werds demnächst mal wieder aufrufen, ich hab Lust danach!!


    Zur Berliner Inszenierung kann ich leider nichts sagen, ich hab sie nicht gesehen und werde auch keine Gelegenheit suchen, mir das anzutun. Ich mag Schnee nicht so sehr!


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Das komplette Programmbuch (54 Seiten) mit zehn Text-Beiträgen und 66 Fotos der Produktion von Castelluccis "Daphne" ist im Netz verfügbar.

    Nach der Lektüre ist mir zwar klar, was der Regisseur wollte, aber ebeno klar scheint mir bislang, dass er das Gewollte in seiner Inszenierung nicht überzeugend umsetzen konnte. Ich habe die Inszenierung aber (noch) nicht gesehen.


    Romeo Castellucci im Gespräch mit Piersandra Di Matteo und Jana Beckmann . . . S. 7 - 10

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Wer will, kann die ganze Inszenierung aufrufen in der Suchmaske mit "Daphne, Wunderlich, King, Keilberth" und hat knapp 2 Stunden beste Unterhaltung. Ohne aktuelle Neudeutung, ohne Kalaschnikow, reine Unterhaltung.

    Das ist aber anscheinend eine Studioaufnahme fürs Fernsehen mit Playback (was man manchmal gut sehen kann) in den 1960er Jahren. Etwas steril, aber typisch für die Zeit.

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose