Zwei Tenöre
Elias Corrinth, als musikalischer Assistent an der Produktion beteiligt, hatte auf der Soirée am Vorabend der Vorstellung angemerkt, daß die Daphne schwer zu besetzen sei, weil man zwei "richtige Tenöre" brauche. Für die diesjährige Serie der Produktion sei es gelungen, zwei zu verpflichten. Thomas Guggeis dirigierte, und mir schien im Vergleich zu meinem Besuch vor einem knappen Jahr, daß er diesmal lauter, entfesselter spielen ließ.
Johann Krogius sang Leukippos, David Butt Philip Apollo. Krogius ist eine wunderbare Besetzung für den unglücklichen Schäfer! Er hat eine helle, bewegliche Stimme, aber es mangelt ihm nicht an Durchschlagskraft. Das hört man am Schluß der Handlung, wenn "das Orchester ordentlich Blech auf ihn wirft" (Elias Corrinth). Er ist immer präsent, immer zu verstehen und singt idiomatisch.
Philip, den ich in Zemlinskys Zwerg und mehrfach als Lohengrin in der Holten-Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin sah, singt inzwischen auf den großen Bühnen der Welt. Lohengrin, Apollo und Stolzing in Wien, den Kaiser in San Francisco, Laertes in Brett Deans Hamlet-Oper an der Met. Sein Gott singt kraftvoll und souverän. Beim "Jeden heiligen Morgen..." hält er das Orchester förmlich nieder. Gelegentlich - im großen Schlußmonolog hört man es deutlich - rutscht ihm ein Vokal in die Kehle, dann klingt die ganze Phrase etwas guttural.
Meine Lieblingsstelle ist der kurze Moment, in dem der Gott reflektiert, was er gerade tut:
Was führt dich her
Im niedern Gewande,
Das ehrliche Volk
Mit Lügenwort
Dreist zu betrügen?
O erniedrigter Gott!
Selbst: Brünstiges Tier!
Das singt Philip so, wie ich es mir wünsche: Finster, depressiv und dann, wenn die Blechbläser, die ja seinem Bruder gehören, in dessen Verkleidung er sich auf das Fest der Schäfer geschlichen hat, aus dem Orchestergraben dräuen, energisch und gefaßt. Andere Bühnengötter reflektieren fast einen ganzen (zweiten) Akt lang ihr Tun und Lassen, der Strauss'sche braucht hier vierzig Sekunden. Jean Cox hat das in Wien 1972 so gesungen:
(ab 39:10)
Drei Soprane
Drei Tenöre hat uns der Komponist nicht gegönnt, aber drei Soprane bietet er auf. Vera-Lotte Boecker hat mich wieder begeistert. Vor einem Jahr habe ich im Forum kurz berichtet. Evelin Novak und Natalia Skrycka singen die beiden Mägde, die den Lauf der Dinge kennen und Leukippos den verhängnisvollen Rat geben, sich als Frau verkleidet Daphne bei den Dionysien zu nähern. Die schöne Szene - einer der Höhepunkte der Oper - gelingt, weil Krogius den beiden sängerisch ebenbürtig ist
Der Schnee
Der Schnee, der kurz nach Beginn zu wirbeln beginnt, ist wesentlich für die Inszenierung, in der Regisseur Romeo Castellucci Daphnes "devastating relationship with nature" ins Zentrum stellt. Auch bei diesem Besuch bin ich nicht warm damit geworden. Die Dionysien, Feiern des Rauschs und der Paarung von Mensch und Tier, ängstigen das junge Mädchen doch wegen der Art und Weise, wie die Menschen sich dabei vergnügen:
Ihre verlangenden Blicke quälen mein Herz,
Ihre wilden Lieder bedrängen mein Ohr,
Fremd ihre Sprache, rauh ihre Sinne,
Fremd sind sie mir wie den Bäumen und Blüten!
Fremd ist mir alles,
Einsam bin ich
Daphne ist einsam in der Welt, nicht in der Natur. Einer ihrer älteren Schwestern bei Strauss geht es ganz ähnlich:
Wie süß ist hier de Luft!
Hier kann ich atmen.
Da drinnen sitzen Juden
aus Jerusalem,
die einander über ihre
närrischen Gebräuche
in Stücke reißen.
Schweigsame, list'ge Ägypter
und brutale, ungeschlachte Römer
mit ihrer plumpen Sprache.
O, wie ich diese Römer hasse!
Auch hier der Rekurs auf die Sprache, die wesentliche Voraussetzung für die Existenz des Menschen als gesellschaftliches Wesen ist. Das Problem ist nicht, daß Castellucci gegen das Libretto inszeniert und auch nicht, daß er gegen den Gehalt der Oper inszeniert. Das Problem ist, daß aus seinem Ansatz keine Spannung resultiert. Man sitzt im Saal, schließt die Augen, lauscht Musik und Gesang und kann sich sicher sein, im Schneegestöber, in dem die weiß gekleideten Sänger oft kaum auszumachen sind, nichts zu verpassen.
Zum Schluß verschwindet Daphne in einer Grube, während die kahle ausgerupfte Birke mit den kümmerlichen Wurzeln voran in den Schnürboden gezogen wird.