Die letzte Vorstellung von Peter Grimes in dieser Spielzeit ist meine erste Britten-Oper live auf der Bühne. Zum einen weil er hierzulande zuletzt recht selten gegeben wird, zum anderen weil ich nicht zu den allergrößten Britten-Fans gehöre. Peter Grimes hat mir allerdings schon immer gefallen.
Gesangspartien
Gregory Kunde habe ich schon öfter erlebt, als Peter Grimes überzeugt er mich einmal mehr. Scheinbar mühelos trägt er die anspruchsvolle Titelpartie durch den Abend, verleiht seinem Grimes einen schleichend größer werdenden Wahnsinn, der besonders im 3. Akt auch darstellerisch sehr überzeugend ist. Da sind Gänsehaut-Momente dabei! Er legt Grimes von Anfang an als Außenseiter an, den vor allem die Küste und Ellen im Dorf halten. Das bringt uns zur Ellen von Jennifer Holloway, der zweiten gefeierten Hauptrolle des Abends. Darstellerisch vielleicht weniger auffällig, überzeugt ihr Gesang vollends und findet Höhepunkte in den üblichen Szenen "Nothing to tell" und der Embroidery Scene. Daneben ein auf hohem Niveau agirender Cast. Hervorheben möchte ich noch Na'ama Shulmans 1. Nichte, die trotz Erkrankung auftrat und dabei besonders darstellerisch überzeugte. Der in dieser Oper sehr wichtige Chor überzeugt mich einmal mehr - hier bin ich in Hamburg nahezu immer zufrieden.
Orchester
Es ist lange her, dass ich das Philharmonische Orchester, dieses Mal unter Kent Nagano himself, so gut gehört habe. Diese schwierige Partitur in allen Nuancen wird zu einem großen Teil vom Orchester getragen. Besonders aber nicht nur in den berühmten Interludes hat das höchstes Sinfoniekonzert-Niveau. Ein Trend, der sich hoffentlich fortsetzt: In der Nach-Corona-Zeit gefällt mir das Orchester wesentlich besser als in den Jahren zuvor.
Regie
Die Produktion von 1998 agiert zurückgenommen und in gedeckten Farben. Ein feines schwarzes Netz vor der Bühne verstärkt diesen Eindruck, es ist mir nur durch das Opernglas aufgefallen. Weiß ist lediglich Peter und sein Lehrjunge gekleidet. Insgesamt spielen zum einen Treppen, zum anderen Tische und Stühle die Hauptrolle. Stets führen Treppen in die Szene hinab (im Gerichtssaal, im Dorf, in den Pub, von den Klippen) - ein Sinnbild wohl für den Abstieg Grimes' und die Abwärtsspirale der Dorfdynamik, so wie für den Sturz des zweiten Lehrjungen. Die Stühle gestalten einerseits u.a. die Pub-Szene, andererseits geben ein kleiner und ein großer Stuhl recht eindrücklich das Verhältnis Grimes - Lehrjunge wieder. Es hat etwas anrührendes, wie die beiden ungleichen Stühle da nebeneinander stehen und das Verhältnis der beiden widerspiegeln. Mal wird der Junge gewaltvoll drauf geworfen, mal sitzen beide in trauriger Zweisamkeit auf ihren Stühlen, am Ende fallen sie im Wahnsinn Peters um.
Die Personenregie gefällt mir ganz gut. Besonders der fast durchgängig anwesende Chor der Dorfgemeinschaft agiert dynamisch und gleichzeitig natürlich und mit schönen kleinen Gesten. Das hat mal etwas wuseliges, mal etwas wütend-mobartiges. Die kleineren Rollen wie Tante und Nichten bringen Bewegung und Individualität in die Szene.
Für meinen Geschmack manchmal etwas zu karg, aber insgesamt ziemlich überzeugend.
Fazit
Ein gelungender Opernabend, den ich weiterempfehlen würde. Wenn, ja wenn, Grimes in den nächsten Jahren hier noch läuft. Für diese Saison war es das und besonders häufig ist diese Produktion nicht zu sehen. Besonders Kunde bleibt mit einer weiteren Top-Leistung im Gedächtnis, dazu auch das starke Orchester unter Nagano. Die Auslastung der größten Oper Norddeutschlands lag wieder einmal bei um die 60% würde ich sagen, was für einen Wochentag und dieses Programm fast noch gut ist, im Vergleich. Ich hatte allerdings das Gefühl, dass sich ein eher fachkundiges Publikum versammelt hatte.