Palestrina - Wiener Staatsoper, 12.12.2024

  • .. ich melde mich wieder einmal nach ganz langer Zeit...


    Palestrina


    Wiener Staatsoper, 12.12.2024


    Trotz der wohlwollenden Kritiken in Bezug auf die Wiederaufnahme dieses Werkes – die Produktion stammt aus dem Jahre 1999 und wurde zuletzt in Wien vor 23 Jahren aufgeführt – waren etliche Plätze auf der Galerie und im Parkett unbesetzt. Da die Vorstellung, so wie die gesamte Serie, ausverkauft war, kann ich nur sagen – selbst schuld, wer nicht kam.


    „Palestrina“ gehört zu den großen spätromantischen Werken der Opernliteratur. Die Oper wurde 1917 uraufgeführt und zeigt Hans Pfitzner, der auch für das höchst interessante Libretto verantwortlich ist, am Höhepunkt seiner Schaffenskraft. Ähnlich wie bei Tosca ist der Zeitpunkt der Handlung ganz klar vorgegeben – wir sprechen da vom Jahr 1563 zur Zeit des Endes des Konzils von Trient. Und da fragt man sich schon, warum Herbert Wernicke diese Produktion in die Wiener Staatsoper verlegt hat, genauer gesagt in eine Mischung aus Orgelsaal und Saal für die Chorproben. Warum sind die neun Meister der Vergangenheit in Soutanen gekleidet, die den Kapellsängern gleichen? Warum tragen sowohl die italienischen als auch die spanischen Diener die selbe Uniform? Ich kann mir vorstellen, dass durch das Einheitsbühnenbild die damalige Direktion Geld sparen wollte (obwohl ich zugeben muss, dass der Effekt, wenn sich die Orgel öffnet, durchaus sehr ansprechend ist.


    Ein weiteres Plus der Produktion ist es, dass tatsächlich die Geschichte so erzählt wird, wie sie im Libretto steht – Hans Pfitzner ist ja ein durchaus nicht unumstrittener Mensch gewesen, dessen Weltanschauung nun – sagen wir es einmal so – schwierig ist. Ich gehe davon aus, dass die meisten Leserinnen und Leser sehr wohl wissen, dass im 21.Jahrhundert einige Straßen, die seinen Namen trugen, unbenannt wurden, dass die Stadt Wien im Jahre 2016 in der Pfitznergasse eine Zusatztafel montierte, wo geschrieben ist, dass er ein Antisemit und Verharmloser von NS-Verbrechen war. Es handelt sich dabei um die selbe Person, die ein Ehrenmitglied der Wiener Philharmoniker ist und der zum 125.Geburtstag von der Deutschen Post mit einer Sondermarke geehrt wurde, die 1925 den „Pour le Merite“ erhielt und 1917 zum Ehrenmitglied der Königlich Schwedischen Musikakademie wurde. Alles in allem scheint es, dass Pfitzner ein sehr komplexer Mensch war, der auch – trotz seiner Schriften – ein gutes Verhältnis zu jüdischen Künstlern hatte, vor allem zu Bruno Walter, der ja auch die Uraufführung von „Palestrina“ dirigierte und sich später im Rahmen der Entnazifizierungsprozess für den Komponisten erfolgreich einsetzte.


    Wie gesagt, Wernicke widmete sich also nicht der Biographe des Komponisten, sondern ganz und gar dem Werk. Dieses war in Wien sehr populär, an der Staatsoper gab es sieben verschiedene Produktionen mit über 130 Aufführungen.


    Insgesamt gibt es fast 40 kleinere und größere Rollen uns somit hat man die Möglichkeit, vielen Ensemblemitgliedern und einigen aktuellen Mitgliedern des Opernstudios zu begegnen,


    Es gibt drei Hosenrollen, und da stachen besonders Kathrin Zukowski als Ighino und bei ihrem Kurzauftritt als „Erscheinung der Lukrezia“ Monika Bohinec hervor. Sehr solide war auch Patricia Nolz als Silla, während Teresa Sales Rebordao, so wie auch weitere Mitglieder des Opernstudios, als Junger Doktor, ein erfolgreiches Rollendebüt gab.


    Um bei den Damen zu bleiben – Ileana Tonca bewies dass sie wahrlich eine Engelsstimme hat, unterstützt von den beiden anderen „Engelsstimmen“, Anna Bondarenko und Jenni Hietala.


    Bei den 9 Meistern stach – oh welch Überraschung – Clemens Unterreiner sowohl stimmlich als auch darstellerisch hervor. Neben einer weiteren kleinen Rolle als 1.Kapellsänger brillierte er im 2.Akt als Ercole Severolus, dem „Master of Ceremony“ des Konzils.


    In vielerlei Hinsicht erinnert mich der 2.Akt an Wagners „Meistersinger“ – man findet da (neben dem Monolog von Carlo Borromeo aus Akt 1 = Monolog Hans Sachs) thematisch den Einzug auf die Festwiese wieder, ebenso auch die Prügelfuge. Insgesamt war für mich der 2.Akt vom Libretto her das absolute Highlight – es gelang Pfitzner in brillianter Art und Weise, die damaligen politischen Strömungen herauszuarbeiten und auch immer wieder die teilweise Lächerlichkeit des Ringens um den „wahren Glauben“ vorzuführen. Es war fast eine Oper innerhalb der Oper, da die Messe, die Palestrina schreiben soll, zum Großteil nur im Rahmen eines Gesprächs zwischen Novagerio und Borromeo erwähnt wird.


    Bernardo Novagerio wurde hervorragend von Michael Laurenz verkörpert. Ich hatte ihn zuvor als Valzacchi, Goro oder Pedrillo gehört und war positive überrascht, wie sehr sich seine Stimme entwickelt hat. Auch schauspielerisch war er absolut top und er war äußerst wortdeutlich (es fällt übrigens auf, dass, wenn Thielemann am Dirigentenpult steht, sich die Sänger wirklich bemühen, noch deutlicher zu singen als normalerweise…). Es wird eine absolute Freude sein, ihn dann im Mai/Juni im Ring zu hören, nachdem er ja schon äußerst erfolgreich als Loge und Mime halbkonzertant in Dallas unter Fabio Luisi debütierte.


    Michael Nagy als Morone und Wolfgang Bankl als Madruscht beeindruckten durch ihre Bühnenpräsenz, während Wolfgang Koch, der in seiner Rolle als Carlo Borromeo im Vergleich zu früheren Rollen zwar solide, aber doch insgesamt ein wenig blass wirkte.


    Günther Groissböck erhielt bei seinem Solovorhang viel Zuspruch des Publikums – wobei die Hälfte ihn erst beim Schlussvorhang zu sehen bekam, da er aus einer Proszeniumsloge sang und es so nicht möglich war, Papst Pius IV. in aller Glanz und Herrlichkeit zu erleben.


    Als weiter Luxusbesetzung für den Graf Luna empfand ich Adrian Eröd, Hiroshi Amako stellte wunderbar witzig den Abdisu dar. Ein Pauschallob für die weiteren Protagonisten des Konzils – Michael Kraus, Jusung Gabriel Park, Matthäus Schmidlechner Michael Gniffke, Ivo Stanchev, Devin Eatmon, Andrew Turner, Ilja Kazakov und Markus Pelz,


    Seit der im Jahre 2019 den Don Ramiro in der Cenerentola sang, hat sich Michael Spyres stimmlich enorm weiterentwickelt. Mit Recht erhielt er von den Sängern den meisten Applaus. Ein schönes Timbres, sichere Acuti und auch viel Wärme in der Stimme. Sein „Deutsch“ ist akzentfrei und wirklich perfekt und vielleicht wird er die Lücke ausfüllen können, die der allzu früh verstorbene Johan Botha hinterlassen hat (die von Spyres gesungenen Partien wie Florestan, Bacchus oder Siegmund weisen darauf hin). Eine beeindruckende Leistung.


    Last but by far not least kommen wir nun zu dem Mann, ohne dem es diese Aufführungsserie überhaupt nicht gegeben hätte – wir sprechen von Christian Thielemann. Er setzt sich seit vielen Jahren für diese „Musikalische Legende“ ein (und wie auch bei Richard Wagner sollte man als Musikfreund das Werk vom Erschaffer trennen können). Jeder weiß, dass die Beziehung zwischen ihm und den Philharmonikern eine ganz Besondere ist. Und „Palestrina“ ist ja musikalisch in der Spätromantik zu verorten, die sicherlich zu den absoluten Stärken Thielemanns zählt. Obwohl gehandicapt (er konnte sich nur mit der Hilfe von Krücken fortbewegen), hielt er die 4 Stunden und 20 Minuten durch, trieb das Orchester der Wiener Staatsoper, Chor (Einstudierung Thomas Lang), Bühnenorchester und Extrachor zu Höchstleistungen an – und es gelingt ihm, wie schon oben erwähnt, immer wieder, auch bei den Sängern, ein bisschen mehr als sonst zu geben.


    Thielemann hat in Wien einen Status, dass er auch, wenn er „Alle meine Entchen“ mit einem Orchester, das nur aus Tschinelle und Maultrommel besteht, aufführen würde mit Ovationen bedacht wird – allerdings wären sie vielleicht auch in diesem Fall gerechtfertigt? Auf jeden Fall waren sie an diesem Abend angebracht und jeder kann dankbar sein, dass es ihm zu verdanken ist, dass eine neue Generation an Opernfreunden diese großartige Werk wieder in Wien genießen kann. Es bleibt nur zu hoffen, dass wir nicht wieder 23 Jahre auf die nächste Serie warten müssen.

    Hear Me Roar!

  • Palestrina gehört zu meinen absoluten Lieblingsopern. Ich habe ihn in meiner Opernkarriere nur 2x gesehen, einmal mit F. Wunderlich und Otto Wiener in meinem Wiener Semester (1965), davon gibt es sogar eine CD. Danach in Düsseldorf in den 70ern mit Sven Olof Eliasson als Palestrina; ein sehr guter Sänger, der leider vergessen ist. "Gelernt" habe ich diese Oper mit der DG-Aufnahme unter Rafael Kubelik, mit Fischer-D. und Nicolai Gedda. Das war noch die Schallplattenzeit, und die Box (3 Platten) kostete 100,- Mark. Ich habe diese Platten so oft gehört, dass ich davon noch mal einen Hunderter zücken musste für einen Ersatz. Zum Glück kam dann das Werk auch als CD heraus.

    Bis heute kann ich große Teile der Oper mitsingen, z.T. sogar auswendig. Das Libretto ist ziemlich gut, das hat Dreamhunter ja auch festgestellt. Informativ und neu für mich waren die Parallelen, die er zu Wagners Meistersingern gezogen hat. Ich habe die Meistersinger nicht oft gesehen und auch nicht oft gehört, aber die Parallelen sind mir auch aufgefallen, aber nicht so deutlich wie bei Dreamhunter.

    Sehr angetan war ich von den Leitmotiven, die ich bald in der ganzen Oper identifiziert habe. Eindrücklich das Palestrina-Motiv, das Kaiser-Ferdinand-Motiv, dann das Konzilsmotiv, das schon im ersten Akt in der großen und großartigen Arie des Borromeo erklingt. Zu erwähnen wären hier noch die Städtebilder. Da ist Rom, das auch das gewaltige Finale des 1. Aktes bildet, dazu, wenn auch kurz, Bologna und Trient.

    Die drei Ouvertüren gehören zu den besten der Operngeschichte.

    Die große Arie des Palestrina aus dem 1. Akt (...der letzte Freund....) ist eine besonders gelungene Vertonung von Schopenhauerscher Philosophie. Musikalisch mein Lieblingsstück ist der Dialog der "Alten Meister" mit Palestrina. Großartig auch die kurze Sequenz des Papstes im letzten Akt; der Text stammt wohl von Pius selber. Karl Ridderbusch ist hier unübertroffen.

    Was Dreamhunter oben über Thielemann geschrieben hat, gilt natürlich auch für den Dirigenten "meiner"Aufnahme, Rafael Kubelik.

    Also, danke, lieber Dreamhunter für dieses schöne Porträt. Leider ist Wien doch für mich zu weit geworden, aber dieses Semester in Wien mit dem Lieblingshörsaal Staatsoper, Stehplatz 5. Rang, war eine ereignisreiche Zeit, die bei mir immer präsent ist. Vielleicht bin ich ja damals schon unserem Zeus begegnet.

    "He is the corpse at every funeral, the bride at every wedding, and the child at every christening!" (Tochter von Roosevelt über ihren Vater)

  • Ich will auch Dremhunter für die Schilderung aus der WSO danken und gleich vorweg sagen, dass ich Palestrina noch nie auf der Bühne gesehen habe, die Oper nur in der Kubelik-Aufnahme, die schon Dr. Pingel erwähnt hat, kenne. Und da sind bisher die Protagonisten für meinen Geschmack unerreicht, da könnte mir nur das LIVE-Erlebnis zu einem durchschlagenden Erfolgserlebnis verhelfen. Ich finde es, wie der Autor des Berichtes, auch schade, dass die Oper von Pfitzner, wenn sie in der Wernicke-Produktion schon so großen Anklang findet, so selten gespielt wird und frage mich, ob das vielleicht an dem großen Aufwand der Sängerschar liegen könnte?

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    MUSIKWANDERER

  • Ich finde es, wie der Autor des Berichtes, auch schade, dass die Oper von Pfitzner, wenn sie in der Wernicke-Produktion schon so großen Anklang findet, so selten gespielt wird und frage mich, ob das vielleicht an dem großen Aufwand der Sängerschar liegen könnte?

    Das ist sicher so, wenn man bedenkt, dass da Frauen in Hosenrollen vorkommen (Silla, Ighino und in Akt 2 ein Doktor theol.). Allerdings gibt es eine Frauenrolle, ein wunderbares Stück von Lucretia, Palestrinas Frau....

    Dazu muss man in Deutschland, besser noch in Europa, mindestens alle großen Bässe verpflichten. Der Konzilsakt benötigt dazu noch mehr Solisten und einen großen Chor.

    Ähnliche Probleme gibt es sonst nur im Totenhaus von Janacek.

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  • Leider war es mir nicht vergönnt, Palestrina auf der Bühne zu sehen, die Oper ist mir nur namentlich bekannt. Angeregt von diesem Thread habe ich im Internet etliche Ausschnitte angehört und bin erst einmal begeistert von der Musik. Kraftvoll, melodiös, gewaltig bis zart - spätromantische Musik eben, hörbar, aber gewöhnungsbedürftig. In diesem Zusammenhang fällt mir ein, daß der überaus renommierte Dirigent Rolf Reuter 2000 als GMD in Gera vorgesehen war. Er hatte mehrere sehr erfolgreiche Gastspiele in Gera gegeben und das Theater suchte einen neuen GMD. Als Präsident der Hans Pfitzner-Gesellschaft wollte er seinen Antritt mit einer Aufführung des "Palestrina" eröffnen. Dazu gab es Kontroversen mit dem Geraer Orchester (Zitat aus Wikipedia):


    Auf Wunsch des designierten Generalintendanten und Geschäftsführers René Serge Mund war er ab der Spielzeit 2000/01 als Generalmusikdirektor des Theaters Altenburg-Gera vorgesehen. Nach Kontroversen mit dem Philharmonischen Orchester Gera trat er sein Amt nicht an. Stattdessen wurde Gabriel Feltz GMD.[80]


    Das wäre die einzige Möglichkeit gewesen, in meinem Einzugskreis die "Palestrina" sehen zu können. Als Grund für die Kontroverse wurde später bekannt, daß das Geraer Orchester das hohe Alter von Herrn Reuter als einen Grund angab, aber hauptsächlich Vorbehalte gegen Palestrina hatte. Die Musiker meinten wohl mehrheitlich, daß ein so kleines Theater wie Gera nur mit sehr hohem Aufwand in der Lage wäre, ein so komplexes Werk von langer Spieldauer, hohem Aufwand an Solisten und auch in der vorgegebenen Orchesterbesetzung auf die Bühne zu bringen. Schade - ich habe dadurch eine Chance verpaßt. Andererseits wurde Gabriel Feltz GMD - etwas Besseres hätte "meinem" Haustheater nicht passieren können.

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Lieber La Roche,

    leg dir die Kubelik-Aufnahme zu. Da gibt es keinen Schwachpunkt, wie ich durch monatelanges Hören festgestellt habe. Das hat dazu geführt, dass ich weite Teile mitsingen kann.

    Die Sache mit Gera kann ich verstehen, das kann ein kleines Haus nicht stemmen.

    Übrigens ist auch die Aufnahme mit Peter Schreier sehr gut. Wie immer, singt Peter Schreier ausgesprochen textverständlich. Und Siegfried Lorenz als Borromeo ist der beste Borromeo, den ich kenne und übertrifft noch Fischer-D.

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