Es gibt Gutes zu berichten aus Aachen, musikalisch jedenfalls: Am Sonntag hatte die Neuproduktion des „Lohengrin“ Premiere.
Viel Freude machte das Orchester, das unter der Leitung von Marcus Bosch spielte. Mit angenehm zügigen Tempi –wodurch sogar so ein abgedroschener Gassenhauer wie der Chor „Gräulich geführt“ rechtes Vergnügen bereitete.
Herausragend bei den Sängern Rachel Tovey als Ortrud und Woong-Jo Choi als König Heinrich. Der kräftige, jugendliche Baß Choi’s macht aus Heinrich eine dynamisch agierende Figur, besonders in ihrer Ergänzung durch den Heerufer, der mit Götz Seiz allerdings nicht angemessen besetzt war. Dies aber weniger als Fehler oder Schwäch von Seiz angemnerkt, als des Besetzungsbüros. Als Heerufer agierter er vor allem brüllend mit starkem Vibrato.
Wie Choi ebenfalls vom ersten Einsatz präsent und zwar absolut raumfüllend präsent: die Ortrud Rachel Toveys. Die Kraft ihrer Stimme reicht durchaus für größere Häuser als das von Aachen. Ohne große Mühe verstand sie es, die Perfidie und Demagogie dieser Rolle herauszuarbeiten.
Irina Popova als Elsa schien nervös in die Premiere gegangen zu sein. Stimmschön zwar und textverständlich, aber mit starkem Vibrato im ersten Akt, später aber sich deutlich steigernd am Ende den Mitstreitern ebenbürtig.
Neben den Highlights Heinrich und Ortrud konnten Telramund und Lohengrin gut bestehen, wenngleich die Tessitura des Lohengrin für Schmidtbergs Stimme ein wenig zu hoch angesiedelt sein dürfte. Das fiel besonders im dritten Akt auf, zumal der Gralserzählung.
In der Leistung beeindruckend auch der Chor, der seine Leistung einer Regie abtrotzen musste, die nachzuvollziehen meine Verstandeskräfte nicht ausreichen. Leider!
Somit also nun zur Inszenierung: Die eine oder andere Spitze sehe man mir nach, da ich auf Deutschtümelei in einer bestimmten Meinung etwas empfindlich reagiere.
Während der Ouvertüre bereits flimmerte ein Super-8-Filmchen über eine Leinwand, gefilmt aus dem Cockpit eines startenden Flugzeuges, das sich in die Wolken erhebt. Endlich dort angekommen, endet die Ouvertüre, und man sieht – ja, was eigentlich? Einen nach allen Seiten offenen Bühnenkasten, eine Sitztribüne –scheint wohl Mode zu werden-nach links rechts und hinten schaut man in die Bühentechnik (die auch noch gut ausgeleuchtet ist, man nennt das wohl "Arbeitsbühne") und dann tagt das Gericht über Elsa.
Die Brabanter seltsam deutsch gewandet, der Herrufer mit Hitler-Tolle (natürlich in Blond) und die Deutschen schleppen Aktenberge an, um die von Friedrich vorgetragene Klage zu belegen, der Heerufer schreibt ständig mit. Die am Rande sitzende Ortrud gekleidet wie eine BDM-Führerin. Mit dem asiatischen Aussehen des Königs haben Maske und Regie übrigens auch gespielt: Seine Kleidung erinnerte an einen der aus dem TV sattsam bekannten Shaolin-Krieger und ähnlich ballettierte er sein Schwert.
Zum Auftritt Lohengrins flappte wieder eine Leinwand herunter und es kam Film Nr. 2: Das Flugzeug aus der Ouvertüre senkte sich zu Boden unter dem Jubel der Brabanter und synchronem Armbewegen. Ein Anleihe, die an Leni Riefenstahl’s „Triumpf des Willens“ erinnert, wo der GröFaZ auch als Erlöser aus den Wolken serviert wird, um dann von den Nürnbergern bejubelt zu werden. Und weiter geht’s auf Deutsch. Lohengrin besiegt Telramund und die Brabanter halten Schilder hoch, auf jedem zwar nur ein Wort geschrieben, aber geschickt choreographiert zu „Sieg Heil Wir Deutsch“. Hier wurd’s ärgerlich, zumal der selbe Chor wenig später die Schilder hochhielt „Z-u—G-A-S-T—B-E-I--F-R-E-U-N-D-E-N“ und später –als Letztes- „Willkommen in Deutschland“.
Unnütz zu erwähnen, daß der Gag mit dem Flugzeug nicht das einzige Zitat aus „Triumpf des Willens“ blieb: wiederholt wurde der Chor ähnlich choreographiert wie das in dem genannten Riefenstahl-Film zu sehende Parteivolk bei den Aufmärschen. Daß dabei noch trefflich und schön gesungen werden konnte, nötigt Respekt vor der Leistung des Chores ab.
Ach ja, und bevor ich’s vergesse: Es gibt einen echten Schwan. Und eine Schwanträgerin. Die trägt das merkwürdig regungslos wirkende, offensichtlich aber lebende Tier immer dann über die Bühe, wenn von einem Schwan die Rede ist. Von der Lohengrin-Ikonographie ist das Tier eher losgelöst. Dessen Symbol ist –ein Kajak.
Lohengrin also als Erlöser des deutschen Volkes und als Bollwerk gegen die Gefahr aus dem Osten. Da muß man erst drauf kommen. Immerhin, nach seinem Sieg über Telramund werden alle aufgetürmten Aktenberge geschreddert. Sind wir vielleicht doch nicht bei Riefenstahl, sondern eher im MfS des Jahren 1989? Oder mixt eine junge Interpreten-Genration allerlei historische Versatzstücke, wohl wissend, daß es noch genügen Menschen gibt, die davon provoziert werden?
Akt 2: Ortrud und Telramund spinnen ihre Intrige. An einem simplen Tisch, ein paar Meter weiter ein Kühlschrank. Beide bedienen sich regelmäßig daraus, er trinkt Bier (immerhin lässt man ihn nicht rülpsen) sie trinkt Wasser. Zum Szenenwechsel fährt langsam die Drehbühne herunter, auch hier: großes Fragezeichen, denn genutz wird sie ersten einen Akt später.
Zu Beginn des dritten Aktes bekommt das junge Paar ein Schlafgemach eigerichtet, das ich ähnlich bei meinen Großeltern gesehen habe. Zur szenischen Interaktion: auch hier wurde die Mode aufgegriffen, daß im Zorne irgendetwas entweder zerlegt oder umgeworden werden muß.
Elsa den Stuhl, auf dem sie saß, es folgt das Nachtschränkchen und es beginnt eine Kissenschlacht, Lohengrin seinerseits kühlt sein Mütchen am Kleiderschrank, nicht ohne zuvor Telramund zu erlegen. Sein Kajak, aufbewahrt im Schlafzimmer, schnappt er sich sodann und rüstet sich zur Klage bei König Heinrich.
Zwischenzeitlich hängen jede Menge Spruchfahnen aus dem Bühnenhimmel herab, auf den nur ein Wort steht: deutsch. Ach ja! Bekanntlich weigert sich ja Lohengrin, den Führer-Erlöser abzugeben und rupft dies Fahnen alle aus dem Himmel herab. Während er in „Mein lieber Schwan“ den Schwan liebevoll kost (das Tier muß chloroformiert gewesen sein) singt, wird dieser kurz danach in die „Live-Animals“-Transportkiste gepackt. Elsa klagt, auftritt Ortrud und Lohengrin ruft von seinem Kajak aus: Seht den Herrscher von Brabant“ und aus der Schwankiste krabbelt –ein kleines Kind, das der Hauptsarstellerin von „Momo“ aus dem Gesicht geschnitten ist, und Ortrud macht mit dem Kind noch ein wenig Schwertballett, bis der letzte Ton verklingt.
War ich zu ungerecht? Nun, das Publikum bedachte Musik und Sänger mit frenetischem Beifall, die Regie mit Missfallen. Das muß nun wahrlich nichts heißen. Vox populi, vox Rindvieh, wie es so schön heißt. Allein, ein Rindvieh wohl auch ich, denn ich krieg die beschriebenen Chiffren nicht zu eine glaubhaften Deutung des Lohengrin zusammen. Gebuht habe ich aber nicht.
Wenn noch jemand den Aachener Lohengrin gesehen hat, kläre mich bitte über die Inszenierung auf. Musiklaisch ist die Produktion eine absolute Empfehlung, die ich durchaus noch einmal besuchen würde. Dafür jedenfalls: Großes Kompliment nach Aachen.
Liebe Grüße vom Thomas