Haydn, Joseph: Sinfonie Nr. 83 g-moll "La Poule"

  • Salut,


    ich hoffe, ich habe keinen bereits existenten Thread zu diesem Werk übersehen, ansonsten bitte einfach an den richtigen Ort verschieben.


    Zum Thema:


    Das Werk gehört zu den sechs Sinfonien, die Haydn 1786 im Auftrag des Chevalier de Saint-Georges für die Concerts de la Compte d'Ogny komponierte und welche in der Lorge Olympique, einer Pariser Freimaurerloge, aufgeführt wurde. Das Werk ist die zweite Sinfonie dieser Sechserreihe und nach der Sinfonie Nr. 39 von 1770 seine zweite von insgesamt zwei g-moll-Sinfonien. Die Besetzung ist: Flöte, 2 Oboen, 2 Fagotte, 2 Hörner, Streicher. Die Sinfonie bietet die gewohnten vier Sätze, den ersten ohne langsame Einleitung:


    1. Allegro [g-moll]
    2. Andante [Es-Dur]
    3. Menuetto und Trio [G-Dur]
    4. Finale: Vivace [G-Dur]


    und bietet durch die Tonartenwahl der vier Sätze eine große Farbenprächtigkeit.


    Wie es zu dem Werkbeinamen kam, war mir lange zeit unklar - ich konnte anhand der mir vorliegenden Einspielungen keinen Bezug zum Werk erkennen. Dem Booklet meiner neu erworbenen Haydn-Box ist zu entnehmen, daß Haydnseinen Werken lt. Jacques Chailley selbst gern Titel gab gab, wenn er nicht mochte, was man ihm vorschlug.


    Mir diente als Hörvergnügen die Einspielung des Orchestra of the Age of Enlightenment unter der Leitung von Sigiswald Kujiken, eine besonders schöne HIP-Einspielung, wie ich finde:



    Joseph Haydn [1732-1809]
    Sinfonie Nr. 83 g-moll "La Poule"


    Orchestra of the Age of Enlightenment
    Sigiswald Kujiken


    Eine wahre Erleuchtung, was den Werkbeinamen betrifft: das zweite Thema des ersten Satzes dürfte für den Werkbeinamen verantwortlich sein. Hier hört man tatsächlich das "Bock-bock-bock, bock-bock-bohock..." einer Henne! Da macht es wahrlich freunde, mitzugackern!


    So findet auch ein blindes Huhn mal ein Korn...



    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo!!


    Ich kenne die Sinfonie Nr.83 nur aus der Brilliant Sinfonien Edition unter Adam Fischer. Da hat sie mir nicht so gut gefallen. (Moll-Sinfonien habens bei mir immer schwer)
    Das Gegackere, wie du es sehr schön beschreibst, wirkt hier nicht komisch, so war es ja gedacht, wie ich Haydn, den alten Schmähbruder kenne! :D


    Ich habe folgende CD mal auf meine Wunschliste gesetzt, vielleicht hört es sich ja hier besser an:

    Academy of St. Martin in the Fields-Neville Marriner!


    Marriners Interpretation hat mir schon die Abschiedssinfonie, die ja auch "mollig" ist näher gebracht. (du weißt ja, moll liegt mir nicht). Darum hoffe ich, dass die 83er mir hier besser gefällt!


    Und das Cover ist ja soooo süß :lips: :stumm:



    LG joschi

  • Hallo, miteinander!



    Ich unterstelle mal, dass diese Pariser Sinfonien, und somit auch die "Henne" mit der von Ulli genannten Einspielung identisch ist. ( Ich nenne mal die Zeiten: 7:33 - 8:34 - 3:26 - 6:08 )


    Es ist eine sehr frische und füllige, also keineswegs karge oder schroffe HIP-Aufnahme, die der Brilliant-Aufnahme mit Fischer sicher überlegen ist (- bin dennoch sehr froh, dass ich mir diese Gesamtaufnahme zugelegt habe).


    Besten Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

    Einmal editiert, zuletzt von WolfgangZ ()

  • Ich füge hier einfach mal ein was ich mir vor ein paar Monaten notiert hatte, als ich selbst vorhatte, einen thread dazu zu starten. Momentan fehlt mir die Energie, das zu erweitern (man sieht, dass sie damals schon nur für den Kopfsatz gereicht hat ;)) oder nochmal in die Einspielungen reinzuhören:


    Sinfonie Nr 83 g-moll "La poule" (Das Huhn)
    Besetzung: Flöte, je zwei Oboen, Fagotte, Hörner; Streicher


    Ein Musterbeispiel für die unselige Wirkung eines Beinamens. Aufgrund der "gackernden" Oboe im Seitenthema des Kopfsatzes verliehen, verstellt er den Blick auf den dramatischen Charakter des Werks. Wie allerdings häufig beim späten Haydn bleibt nur der Kopfsatz in der Mollsphäre, zwar zeigen sich andante und Finale durchaus spannungsvoll, aber sie stehen ebenso wie das Menuett in Dur.


    Der Kopfsatz begint mit dem mächtigen lapidaren Thema. Der punktierte Rhythmus des späteren "Hennenmotivs" ist hier im Abschluß der Phrase und in der folgenden Überleitung enthalten. Zwischendurch ist eine fast grell wirkender Dur-Auschwung bemerkenswert, auch diese Motive sollte man im Auge behalten. Das Hennenthema beginnt mit Vorschlagsnoten der Streicher, bevor dann die Oboe mit dem erwähnten punktierten Motiv hinzutritt, triolische Figuren schließen die Exposition. In der Durchführung folgt auf das wiederkehrende Anfangsthema zunächst das Hennenthema, dann aber eine Steigerung, in der Hauptthema und Überleitungsthema kontrapunktisch verarbeitet werden (diese Stelle erinnert etwas an die Durchführung in Mozarts g-moll). Die Reprise entspricht im wesentlichen der Exposition, nur hat die vorher grelle Dur-Stell, jetzt direkt triumphalen Charakter und statt des penetranten Oboengackerns übernimmt die Flöte das nun viel freundlicher scheinende Hennenthema. (Wdh. von DF und Reprise macht in meinem Aufnahmen nur Harnoncourt)


    Andante: Ein kontrastreiches Stück, nach ruhigem Beginn gibt es immer wieder auffahrende, laute Stellen, nach denen etwa Oboensoli für Beruhigung sorgen müssen.


    Menuett: wie fast alle der Pariser Menuette mehr rustikal als höfisch.


    Finale: Ein 6/8-Jagdstück, die "Schüsse" in den Hörnern hört man allerdings nur bei Harnoncourt



    Bernstein: angemessen dramatisch in den Ecksätzen, einige Instrumentationsdetails gehen in der streicherdominierten Besetzung unter, aber die Energie, z.B. in der Durchführung des Kopfsatzes oder im Finale ist großartig. Das Menuett ist mir etwas zu langsam und dadurch eher bombastisch als rustikal.


    Wolf: eine frische, transparente Lesart. Von den sich sehr zurückhaltenden Hörnern merkt man aber nicht viel, ebenso wie vom dezent mitklimpernden Cembalo. Mir zu glatt und undramatisch in diesem Stück.


    Kuijken: [erinnere mich nur vage, definitely not impressed]


    Harnoncourt: Hier hört man allenthalben Stimmen, die fast überall sonst untergehen oder nur als Farbwert wahrnehmbar sind, z.B. die Hörner im ersten und letzten Satz. Natürlich werden die Kontraste in den beiden ersten Sätzen extrem herausgearbeitet, das Menuett ist angemessen flott und die "Schüsse" (Hörner) im Jagdfinale hört man auch nur hier-
    Meiner Ansicht nach eine der besten von Harnoncourts "Pariser Sinfonien" und die überzeugendste mir vorliegende Einspielung des Werks!




    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von WolfgangZ
    Ich unterstelle mal, dass diese Pariser Sinfonien, und somit auch die "Henne" mit der von Ulli genannten Einspielung identisch ist. ( Ich nenne mal die Zeiten: 7:33 - 8:34 - 3:26 - 6:08 )


    Es ist eine sehr frische und füllige, also keineswegs karge oder schroffe HIP-Aufnahme, die der Brilliant-Aufnahme mit Fischer sicher überlegen ist


    So ist es. :yes:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

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  • Joseph Haydn: Symphonie Nr. 83 g-moll "La Poule"


    Komponiert 1785
    Besetzung: Flöte, zwei Oboen, zwei Fagotte, zwei Hörner, Streicher


    Die g-Moll-Symphonie Hob. I:83 wurde möglicherweise als dritte der Pariser Symphonien - nach 87 und 85 und vor 84 - komponiert. Da für 85 nur ein bruchstückhafter Autograph vorliegt, ist eine Möglichkeit, hier Haydn selbst zu vertrauen, der die Pariser Symphonien in der Reihenfolge 87, 85, 83, 84, 86, 82 angeordnet wissen wollte. Zwielicht beschreibt hier eine weitere Hypothese, die von Robbins Landon vertreten und der Reihenfolge der Pariser Erstausgabe gestützt wird, wonach die Reihenfolge der ersten drei Symphonien 87, 83, 85 sei.
    Die Symphonie reiht sich insofern zwischen den Mollsymphonien der Nach-"Sturm-und-Drang"-Ära ein, dass sie trotz des Tongeschlechts einen insgesamt eher unpathetischen Charakter hat; nur der Kopfsatz steht in Moll, und auch dieser verlässt die Moll-Sphären in der Reprise. Das namensgebende Seitenthema hat dann auch einen humorigen Charakter und steht damit zwar im krassen Gegensatz zum Hauptthema, konterkariert aber auch Tendenzen eines heroisch-erhabenen Satzcharakters.
    In der Folge werde ich zum einfachen Nachvollziehen ohne Partitur zusätzlich zu den Taktangaben auch Zeitangaben bezogen auf die Einspielungen von Bernstein (New York Philharmonic, erste Angabe) und Kuijken (Orchestra of the Age of Enlightenment, zweite Angabe) machen. Die Spielzeiten dieser Einspielungen sind:
    Bernstein: 6:54, 6:32 (keine Wiederholung der Exposition), 3:59, 3:51
    Kuijken: 7:33, 8:34, 3:26, 6:08 (Wiederholung von Durchführung und Reprise)
    Falls Taktzahl und Zeit teils nicht ganz synchron sein sollten, liegt das daran, dass ich die Partitur nicht mehr vorliegen hatte, als ich die Zeiten notiert habe.


    1. Allegro Spiritoso (4/4)
    Der Kopfsatz beginnt mit einem schroffen, dramatischen Viertonmotiv, das im Rahmen der ersten Periode zweimal etwas verändert wiederholt wird. An die zweite Wiederholung schließt sich ein rhythmisches Motiv an, das aus abwechselnden punktierten Achteln und einfachen Sechzehnteln besteht (T. 10 und 11/ab 00:15/0:17), hier in absteigender Form. Das Hauptmotiv leitet auch den folgenden Überleitungsabschnitt ein, der vom punktierten Motiv und dem Viertonmotiv bestimmt wird (T. 17/00:25/0:28 ). In Takt 33 (0:50/0:55) kommt ein Überleitungsmotiv hinzu, dessen Rhythmus aus einer auftaktigen Achtel, zwei Sechzehnteln und darauf zwei Achteln gebildet wird und das in der Duchführung seine Rolle spielen wird. Hier führt es die ersten Violinen in immer höhere Höhen, aus denen ein Abstieg über zweieinhalb Oktaven, der in einen Triller mündet, zum Seitenthema überleitet.
    Dieses (T. 45ff/ab 1:09/1:16) erhält seinen humorigen Charakter durch die Vorschlagachtel und - bei seiner Wiederholung - durch die "glucksende" Tonrepetition der Solooboe, die durch ihren Rhythmus aus punktierten Achteln und einfachen Sechzehnteln - hier staccato zu spielen - die Verbindung zum Hauptsatz herstellt. Die abschließende Überleitung präsentiert dieses Motiv in den Violinen, in Kombination mit einer umgekehrten, aufgehellten Version des Hauptthemes (vgl. mit der ersten Wiederholung des Hauptthemas am Anfang) in den tiefen Streichern und Holzbläsern (T. 59ff/1:30/1:38 ).
    Die Durchführung wird eingeleitet durch das Hauptmotiv in Takt 69 (3:23/3:50), worauf, Spannung aufbauend, eine kurze sequentielle Verarbeitung des Seitenthemas folgt. Der Ausbruch folgt auf dem Fuße: Haydn "beschwört [...] noch einmal die ganze Ausdrucksgewalt seiner einstigen 'Sturm und Drang'-Sinfonien" (Lessing), indem er ab Takt 83 (3:53/4:14) das Hauptmotiv, zunächst in den Oboen, Fagotten und tiefen Streichern, mit einer Sequenz in den Violinen kontrapunktiert, die er aus dem Überleitungsmotiv gebildet hat, und die hier, im Gegensatz zum Auftreten des Themas in der Exposition, absteigenden Charakter hat.
    In Takt 92 (4:07/4:29) wechselt die fallende Sequenz auf die Fagotte und die tiefen Streicher, während die Violinen das Hauptmotiv übernehmen. In Takt 97 (4:14/4:37) folgt noch ein Wechsel, das Hauptmotiv wird nun von den ersten Violinen und Flöten präsentiert, die Sequenz von Fagotten und zweiten Violinen. Dieser Durchführungsabschnitt kulminiert "in der Kombination von Recto- und Inverso-Gestalten" (Finscher) des Hauptmotivs in Takt 113 (4:38/5:03) (Letztere in Takt 113/114 in den Violen und tiefen Streichern, erstere in Takt 113 in den zweiten Violinen und ab Takt 114 in den Violen und tiefen Streichern, der letzte Ton wird ausgelassen; kontrapunktiert durch das nun wieder steigende Überleitungsmotiv in ersten Violinen und Flöte) und bricht auf einer Dissonanz ab - vor einer "beklemmenden Generalpause" (Lessing).
    Nun meldet sich in p das Hauptmotiv, quasi fragend, über einem Orgelpunkt der tiefen Streicher, "ein Augenblick geheimnisvoller Ruhe" (Lessing). Es antwortet schroff und dramatisch in ff wiederum das Haupmotiv als Beginn der Reprise (T. 130/5:06/5:35) - maximaler Kontrast! Aber nun ist das Pathos vorbei, die folgende Überleitungspassage ist um den Teil über den punktierten Rhythmus gekürzt, stattdessen folgt sofort die hellere Passage über das Überleitungsmotiv.
    Am Ende wird noch einmal das Hauptmotiv aufgegriffen, jetzt aber nicht mehr dramatisch, sondern höchstens etwas nachdenklich und dieses Mal vom punktierten "glucksenden" Motiv kontrapunktiert (die beiden Motive kamen in dieser Form bisher nur sequentiell kombiniert vor, T. 182ff/ab 6:28/7:06). Mit dieser Passage wird der Satz zuende gebracht.


    2. Andante (3/4)
    Der zweite Satz ist ein Andante in Es-Dur in Sonatenform, das dem lyrisch-versonnenen Grundcharakter auch einige dunklere Passagen entgegenstellt, vor allem in der Durchführung (ab Takt 44/2:35/4:56). Dabei werden an vielen Stellen die Holzbläser sehr schön eingesetzt. Lessing spricht von "manche[n] mozartisch anmutenden Züge[n]". Als Beispiele nennt er die chromatische Melodieführung ab Takt 16 (1:00/0:58 ) und das "eng miteinander verflochtene Linienspiel der Streicher und Bläser über einem Orgelpunkt der Hörner" in der Durchführung ab Takt 62 (3:49/6:04).
    Vielfach im Satz präsent sind Tonrepetitionen, die im Hauptthema eingeführt werden. Besonders markant ist hierbei eine Passage in der Exposition, in der, piano beginnend, von Violinen und Violen 22 mal der gleiche Ton mit abnehmender Lautstärke gespielt wird, um dann in Fortissimo-Tremoli der Streicher zu münden (ab Takt 24/1:25/1:23). Lessing bezeichnet diese Passage als "spaßig" und "grotesk", wobei ich das Attribut "spaßig" mit einem Fragezeichen versehen würde, vor allem bei der düsteren Variante dieses Einfalls, den Haydn uns in der Durchführung präsentiert (ab Takt 54/3:13/5:31).


    3. Menuet: Allegretto - Trio (3/4)
    Der dritte Satz ist ein "pastoral getöntes Menuett" (Lessing), das wie bei den anderen Parisern Züge eines Sonsatensatzes aufweist. Das pastorale Thema, das im ersten Teil des Menuetts vorgestellt wird, wird kontrastiert durch ein dreifaches "Stampfen". Ab Takt 9 (0:21/0:18 ) beginnt eine Verarbeitung des Materials der ersten acht Takte, die in Takt 24 (0:42/0:37) abgeschlossen ist. Darauf setzt laut Finscher statt einer echten eine "Scheinreprise mit verändertem Satz und veränderter Harmonik" ein - das Stampfen tritt hier beispielsweise sehr zurück -, um das Menuett ab Takt 35 (0:55/0:48 ) durch eine kurze Coda über den Kopf des Hauptthemas zu beenden.
    Im ländlerhaften Trio (T. 43/1:52/1:38 ) hat die Flöte zusammen mit den Streichern das Wort.


    4. Finale: Vivace (12/8 )
    Das Finale, formell ein Sonatensatz ohne echtes zweites Thema, ist ein schwungvoller Satz "mit dem Charakter eines Jagdsatzes" (Lessing). Finscher weist auf die untergeordnete Rolle der thematischen Arbeit in diesem Satz hin. Und tatsächlich präsentiert die Durchführung (ab T. 35/1:49/2:00) dem Hörer nach kurzer Einleitung durch den Anfangsteil des Themas fast ausschließlich Forzati-Ganze der Bläser über Achtelrepetitionen der Streicher.
    Finscher weist außerdem darauf hin, dass bis auf den Beginn nur wenige leise oder dünn besetzte Takte vorhanden seien - bis, umso eindrucksvoller, der Satz gegen Ende drei Mal in Fermaten steckenbleibt (T. 84, 85, 87/ab 3:08/3:28 ), um dann die Symphonie in einer "triumphalistischen Coda" (Lessing) zu beenden.



    Insgesamt gefallen mir an dieser Symphonie die ersten zwei Sätze sehr, in Bezug auf die beiden abschließenden Sätze bin ich aber etwas indifferent, so dass die 83 nicht ganz mit meinen Favoriten unter den Parisern, 82 und 86, mithalten kann, sondern sich im Mittelfeld zu 87 und 84 gesellt.
    Von meinen beiden Aufnahmen präferiere ich Bernstein, wobei ich Kuijken hier auch nicht schlecht finde (das langsamere Tempo im ersten Satz finde ich in Ordnung und mag z.B. das zügigere Tempo im Menuett).



    Gruß,
    Spradow.

  • "Die Henne" habe ich wie fast alle Pariser Sinfonien in der Interpretation eines hier bisher sträflich vernachlässigten Haydn-Spezialisten kennengelernt - Herbert von Karajan! 8o An die erste Hörerfahrung mit dieser Sinfonie kann ich mich besonders gut erinnern, weil mich der erste Satz, insbesondere das Hauptthema und die wilde Durchführung unmittelbar ansprangen und begeisterten. Die drei folgenden Sätze empfand ich damals als belanglos - und das, obwohl ich zumindest mit den Londoner Sinfonien schon halbwegs vertraut war. Das lag wohl auch an Karajan, dessen Aufnahme (im Besitz meines Vaters) ich dann viel später mit Vergleichseinspielungen im Ohr nochmal gehört habe - im ersten Satz geht er mit beachtlichem Aplomb, wenn auch recht streicherdominiert, zu Werke, die Folgesätze werden aber eher lieblos heruntergespielt (schlimm das Andante).


    Trotz gestiegener Wertschätzung der drei letzten Sätze finde ich das Allegro spiritoso immer noch am faszinierendsten. Die extreme Gegensätzlichkeit der beiden Themen, die nichtsdestotrotz mit dem gleichen Rhythmus arbeiten, und die großartige, sich immer mehr steigernde Durchführung sowie die in der Tat äußerst geheimnisvolle Piano-Überleitung zur Reprise haben es mir besonders angetan. Der Dur-Umschwung kommt mir dann in der Reprise nach der Generalpause immer etwas überraschend, fast unmotiviert vor.


    Das Andante hat sehr reizvolle Passagen, ich finde auch den "Witz" mit den ewigen Tonrepetitionen als Parodie auf bestimmte Kompositionstechniken ziemlich gut. Das Menuett ist vielleicht nicht spektakulär, aber doch ganz raffiniert unregelmäßig. Im Finale erkennt Finscher ja nicht nur den Typus einer Chasse, sondern auch denjenigen einer Gigue - was wiederum ein Anknüpfen an den "französischen Stil" wäre. Der Satz wirkt im Kontext der Pariser Sinfonien schon recht eigen - die Passage mit den ewig rollenden Achteln und den Bläsersforzati in der Durchführung ist vielleicht eine vereinfachte Variante der massiven Durchführung des Kopfsatzes.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Mal kurz zu den "mozartischen Zügen" des andante. Zwar ist das hörend schon ein wenig nachvollziehbar. Mich würde aber doch interessieren, ob hier irgendein Kommentator konkrete Mozart-Stellen im Blick hat. (Wie es z.B. beim langsamen Satz von #98 und der Jupitersinfonie der Fall ist.) Irgendwie scheint mir da anachronistischerweise die erst 3 Jahre später geschriebene g-moll K 550 mit Es-Dur-Andante im Spiel. Ganz sicher nicht Haffner und Linzer.


    Blieben also die 6 großen Klavierkonzerte KV 449 bis KV 459 von 1784 oder die 6 Haydn gewidmeten Quartette, die 1785 fertig wurden und von denen Haydn bekanntlich sehr angetan gewesen ist. (Die berühmte Bemerkung, Mozart sei der größte Komponist usw. fiel in dieser Zeit vermutlich angesichts einiger dieser Werke).
    Die habe ich jetzt natürlich nicht alle so gut im Kopf, aber ich bin ein bißchen skeptisch. Der Einfluß scheint doch eher subtil zu sein. Gewiß behauptet niemand, daß es sich um Zitate oder Anklänge handelt, aber eine faßbare Gemeinsamkeit müßte sich doch konkret aufzeigen lassen.


    :hello:


    JR

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    (Bob Dylan)

  • Walter will die gesamte Sinfonie als "ironisches Echo" der Sturm&Drang-Stücke deuten. Ich finde das nicht besonders überzeugend. Es ist für uns heute etwas unbefriedigend, daß das g-moll nach dem Kopfsatz nicht mehr aufgegriffen wird. Aber davon werden die beiden ersten Sätze nicht weniger ernsthaft. Bei den beiden Vorgängern in Moll beginnen die Finali in Moll, aber in NR. 78 steht das Menuett ebenso in Dur wie im "Reiterquartett" op.74,3. Und alle Finalsätze dieser Stücke wenden sich, wenn sie auch in Moll beginnen, recht schnell nach Dur.


    Wie oben schon gesagt, kann man das "Hennenthema" auch widerborstig deuten (bei Harnoncourt geht das in diese Richtung). Überdies ist ein ziemlich "leichtes" Seitenthema in Haydnschen Mollsätzen recht häufig. Das haben wir schon bei der Sinfonie Nr. 95 gesehen. Im Kopfsatz von Nr. 80 gibt es beinahe eine Walzervariante des Hennenthemas, im Reiterquartett eine Dur-Variante des Haupthemas, die ziemlich nach Kaffeehaus klingt.


    Die ersten beiden Sätze halte ich für überragend (beim andante halte ich für bemerkenswert, daß man anders als bei einigen der Variationensätze u.ä. man niemals den Eindruck der bloßen Ausgestaltung eines vorgebenen Typus hat, auf Anhieb fällt mir kein ähnlicher Satz ein), finde aber Menuett und Finale als solche nicht enttäuschend, höchstens eben angesicht der o.g. Erwartungen an Mollwerke und der exzeptionellen Qualität von Kopfsatz und andante.


    viele Grüße


    JR

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  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Walter will die gesamte Sinfonie als "ironisches Echo" der Sturm&Drang-Stücke deuten. Ich finde das nicht besonders überzeugend.


    Ich bezweifle auch, dass sich Haydn so viele Gedanken dabei gemacht hat. Vielleicht hat er sich einfach ganz pragmatisch gedacht: eine Mollsinfonie packen wir am besten mit in die Gruppe, aber eine düstere Sinfonie will ich eigentlich nicht mehr schreiben.
    Könnte dann auf #95 genauso zutreffen und wäre zumindest denkbar?

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

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  • Zitat

    Original von rappy


    Ich bezweifle auch, dass sich Haydn so viele Gedanken dabei gemacht hat. Vielleicht hat er sich einfach ganz pragmatisch gedacht: eine Mollsinfonie packen wir am besten mit in die Gruppe, aber eine düstere Sinfonie will ich eigentlich nicht mehr schreiben.


    Naja, man unterstellt ja nicht ganz zu unrecht, daß er in Nr. 85 sowohl ausdrücklich auf bestimmte französische Traditionen wie auf seine eigene Nr. 45 anspielt. Man unterschätzt, besonders auch in älterer oder populärer Literatur, m.E. oft den (eben nicht nur musikalischen) Intellekt von formal hauptsächlich musikalisch gebildeten Komponisten wie Haydn oder Mozart. Gewiß gibt es dort keinen ins Extreme getriebenen "Beziehungszauber" wie bei Schumann oder Mahler, aber das waren keine musikalischen Savants (auch wenn Mozart im Amadeus-Film so wirkt).


    Ich müßte nochmal reinschauen, aber Walter sieht einen ziemlich deutlichen Unterschied zwischen den für ein Publikum von ausgesprochenen, kundigen Liebhabern komponierten "Parisern" und den in gewissem Sinne volkstümlicheren, an breitere Kreise gerichteten "Londonern".
    Im Thread zur 95 hat Bernd ja überzeugend geltend gemacht, daß dort der Dur-moll-Kontrast systematisch durch das Menuett und eine wichtige "minore"-Stelle im Finale erhalten, bleibt, obwohl schon der Kopfsatz emphatisch in C-Dur schließt. Wie gesagt, haben 78 und 80 Finali, die in Moll beginnen, ebenso alle Moll-Quartette. Die Menuette sind nur in 78 und in op.74,3 in Dur, sonst immer in Moll. Ein bißchen bemerkenswert sind G-Dur-Menuett & Finale also schon, zumal auch kein Trio o.ä. zu g-moll zurückkehrt.
    78 und 80 sind für mich zwei sehr eigenartige Werke, bin mal gespannt, was dort die Diskussion ergeben wird.


    :hello:


    JR

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