Konzert zum Tag der Deutschen Einheit - Pfitzner in Berlin

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Ja, stimmt. Am besten, man hätte gar kein Konzert gemacht ...
    :rolleyes:



    Du musst aber auch immer das Kind mit dem Bade ausschütten :D. Ob man jetzt jedem Gedenk- und Feiertag mit einem Konzert hinterherlaufen muss, darüber kann man diskutieren - wenn man aber eines macht, dann richtig. Ich finde wegen des engen thematischen Bezugs Aufführungen der genannten Werke sowohl Pfitzners als auch Eislers zum 3. Oktober sinnvoll, jedenfalls sinnvoller als z.B. eine eher unverbindliche Aufführung von Beethovens Neunter o.ä. Man muss ja generell nicht alle semantischen oder ideologischen Implikationen der Werke befürworten, die man aufführt.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Man muss ja generell nicht alle semantischen oder ideologischen Implikationen der Werke befürworten, die man aufführt.



    ... findet auch Hans-Jürgen Linke in einem Kommentar in der heutigen Ausgabe der Frankfurter Rundschau:



    Zitat

    Zum Glück ist es nicht so, dass man, wenn man Musik aufführt, auch zugleich den politischen Kontext und die politischen Haltungen, in denen sie geschrieben wurde, reproduziert oder rechtfertigt. Pfitzners Kantate aus dem Jahre 1921 entstand unter anderem als Reaktion darauf, dass das Elsass nach dem Ersten Weltkrieg französisch wurde, und zweifellos war Pfitzner damals schon ein eifernder Antisemit. Dennoch wird deutschnationaler Revanchismus und Antisemitismus mit der Aufführung dieser Kantate im Jahre 2007 nicht ins Recht gesetzt. Eine Aufführung nach 86 Jahren ist keine Wiederbelebung, sondern eine Neuinterpretation in neuem Kontext unter anderen Fragestellungen.


    Nachzulesen hier:
    "http://www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/feuilleton/?em_cnt=1220016"



    Hier kann man eine Reaktion Metzmachers auf die Kritik an der Aufführung nachlesen:


    "http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/677295/"



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von GiselherHH
    Viel Lärm um nichts...


    :hello:


    GiselherHH


    Das stimmt allerdings. Ihm fehlt das Deutschtümelnde von Thielemann. Außerdem scheint mir Metzmacher dann doch etwas mehr zur intelektueller Reflexion befähigt. Aber was zu beurteilen bleibt, ist seine Leistung. Und die fand ich bisher, was ich so von Aufnahmen kenne, mittelprächtig. Ich glaube er hat sich selbst mal als Spezialist der Moderne bezeichnet. Es gibt aber so einige, die IMO deutlich besser sind als Metzmacher. Mal abwarten, ob ihn das DSO beflügelt...

  • Ich werde es mir am Samstag in der Kölner Philharmonie anhören und danach meinen Senf hier im Forum dazugeben. :]


    Davidoff

    Verachtet mir die Meister nicht

  • Das Problem ist nur, daß man über Metzmacher Bescheid wissen und auch seine sicher ehrenwerten Intentionen kennen muß, um die Sache richtig zu werten.
    Ganz im Ernst: Ausgerechnet Pfitzner zum "Tag der Deutschen Einheit" zu spielen, also einen Komponisten, der sich seinerzeit für eine Partei erwärmte, die ein großdeutsches Reich propagierte, ist natürlich starker Toback. Im Grunde muß jedem klar sein, welche Assoziationen damit ausgelöst werden. Also ist es entweder eine Instinktlosigkeit oder eine gezielte Provokation. Weder das eine noch das andere scheint mir an diesem Tag gerechtfertigt.
    Womit ich absolut nichts gegen die "Deutsche Seele" gesagt habe, die ich für ein Meisterwerk halte. Aber nicht jedes Meisterwerk ist für jeden Anlaß auch wirklich geeignet.
    :hello:

    ...

  • Ich habe lange überlegt, ob ich als Ausländer (Österreicher) zum (kultur)politischen Aspekt dieser Diskussion meinen Senf dazu geben soll/darf. Ich tue es somit.


    Unabhängig davon, wie qualitativ hoch oder nicht ganz so hoch das Werk zu beurteilen ist (da kann ich nicht mitreden, weil ich nicht einen einzigen Ton davon kenne), ist die Aufführung am Tag der deutschen Einheit aus meiner (weltanschaulich und politisch geprägten) Sicht zumindest unglücklich. Der historische Hinweis in der Frankfurter Rundschau (ich nehme an, Zwielicht hat korrekt zitiert) dass Pfitzners Kantate aus dem Jahre 1921 unter anderem als Reaktion darauf, dass das Elsass nach dem Ersten Weltkrieg französisch wurde, entstand und Pfitzner zweifellos damals schon ein eifernder Antisemit war, macht die Programmwahl nicht glücklicher. Wie auch die Aufführung einer Eisler-Kantate suboptimal gewesen wäre.
    Auch Kunstwerke - und dazu zähle ich auch Kompositionen - haben Symbolcharakter und stehen für bestimmte Bilder.
    Gerade in Zeiten, in denen der Begriff "Deutsch" zunehmend mit sehr eindeutigen Tendenzen in den Mund genommen wird (siehe die - politischen - Zustände etwa in Sachsen) und es wieder vermehrt zu ausländer- und minderheitenfeindlichen Aussagen kommt (bis zu Angriffen auf Leib und Leben), ist vor allem auch von Kultuschaffenden (produzierenden wie reproduzierenden) ein hohes Maß an Sensibilität gefragt. Auch Thielemann findet in der Zwischenzeit relativ unverfängliche Aussagen (und setzt unauffällige Signale anderwertig).
    Ich bin im Gegensatz zu Zwielicht nicht der Ansicht, dass die Neunte von Beethoven mit ihrer Ode an die Freude zu unverbindlich ist. Ganz im Gegenteil - als Österreicher habe ich den Eindruck, dass der 3. Oktober für die Dutschen ein wahrer Festtag ist und da passt gerade dieses Werk.
    Ich habe volles Verständnis für die Irritation meiner jüdischen Freunde in Berlin (nicht nur, weil ich selbst Jude bin) und auch für jene, die jetzt nicht sofort den Mantel des Schweigens über die Angelegenheit breiten können.
    Meinungsvielfalt und Pluralismus sind vor allem auch in Kunst und Kultur von existentieller Wichtigkeit; Kunst soll, darf und MUSS auch provozieren. Die Frage ist immer nur wann - wo - wie.


    Michael 2


    Entschuldigt bitte meine Emotionen. Wenn ich jemandem zu nahe getreten sein sollt, es war nicht beabsichtigt.

  • Zitat

    Original von brunello


    Entschuldigt bitte meine Emotionen. Wenn ich jemandem zu nahe getreten sein sollt, es war nicht beabsichtigt.


    Hallo Michael,


    in meinen Augen gibt es nichts zu entschuldigen. Ich finde es gerade interessant, Meinungen aus einer Außensicht zu hören. Wir Deutschen und "das Deutsche" tun sich miteinander aus bekannten Gründen ziemlich schwer. (Ausnahme: Der Sommer 2006)


    Es scheint ja nach den bisherigen Meldungen halbwegs Konsens darüber zu herrschen, dass das Programm Metzmachers in dieser Form an diesem Tag problematisch ist. Auch wenn man die gesamte Konzert-Reihe und die Intention, die dahinter steckt, nachvollziehen und sogar begrüßen kann.


    @ KSM:
    Ich finde nicht, dass man den Protest des Zentralrates als üblichen Reflex abkanzeln sollte. Zwar erinnerte die Ausdrucksweise dessen Vertreters fatal an immer wiederkehrende Floskeln, die man aus der Politik kennt und fad und ermüdend wirken. Im Kern würde ich die Sensibilität der jüdischen Vertreter aber gerne ernst genommen wissen. Da Metzmacher ja das Gespräch suchen will, könnte am Ende vielleicht sogar etwas produktives dabei heraus springen. Den Diskurs, den Metzmacher in Gang bringen möchte, sollte er aber vielleicht mit einem anderen Werkzeug voran treiben. Nicht unbedingt mit dem Holzhammer.


    LG
    B.

  • Zitat

    Original von brunello
    Unabhängig davon, wie qualitativ hoch oder nicht ganz so hoch das Werk zu beurteilen ist (da kann ich nicht mitreden, weil ich nicht einen einzigen Ton davon kenne), ist die Aufführung am Tag der deutschen Einheit aus meiner (weltanschaulich und politisch geprägten) Sicht zumindest unglücklich. Der historische Hinweis in der Frankfurter Rundschau (ich nehme an, Zwielicht hat korrekt zitiert) dass Pfitzners Kantate aus dem Jahre 1921 unter anderem als Reaktion darauf, dass das Elsass nach dem Ersten Weltkrieg französisch wurde, entstand und Pfitzner zweifellos damals schon ein eifernder Antisemit war, macht die Programmwahl nicht glücklicher. Wie auch die Aufführung einer Eisler-Kantate suboptimal gewesen wäre.
    Auch Kunstwerke - und dazu zähle ich auch Kompositionen - haben Symbolcharakter und stehen für bestimmte Bilder.


    Zitat

    Ich bin im Gegensatz zu Zwielicht nicht der Ansicht, dass die Neunte von Beethoven mit ihrer Ode an die Freude zu unverbindlich ist. Ganz im Gegenteil - als Österreicher habe ich den Eindruck, dass der 3. Oktober für die Dutschen ein wahrer Festtag ist und da passt gerade dieses Werk.



    Hallo Michael,


    zur gewünschten Überprüfung der Korrektheit meines Zitats habe ich den entsprechenden Link in das angesprochene Posting eingefügt.


    Natürlich kann man kein Werk, schon gar nicht "Von deutscher Seele" aus seinem historischen Kontext entlassen. Aber genau das wollte Metzmacher ja keineswegs. Wenn man ein Werk aufführt, heißt das für mich zunächst einmal: zur Diskussion stellen, überprüfen. Es heißt nicht unbedingt: umstandslose Bestätigung, Affirmation, Feierstunde. Klar kann man auch Beethovens Neunte aufführen. Wobei ich der Meinung bin, dass dieses grandiose Werk es verdienen würde, als grandioses Werk wahrgenommen zu werden - und nicht als für Feierstunden aller Art missbrauchte Musik, von der berühmt-berüchtigten Furtwängler-Aufführung 1942 vor Nazi-Größen bis hin zur Untermalung des Champagnerperlens bei Silvesterkonzerten.


    Anders gesagt: die Aufführung sollte eher dazu anregen, Frage- als Ausrufungszeichen zu setzen. Auf musikalischer Ebene: Zu der Erkenntnis kommen, dass Pfitzners Musik seinen üblen musikideologischen Auslassungen weit überlegen ist, ihnen z.T. sogar widerspricht. Auf politischer Ebene: nicht mit einem Jubelkonzert über alle Probleme hinwegstürmen, sondern auf Widersprüche hinweisen.


    Edwin hat schon recht - Metzmacher hat wohl etwas naiv vermutet, dass man seine "ehrenwerten Intentionen" allseits verstehen würde. Allerdings muss man hinzufügen, dass das ganze Projekt schon seit einiger Zeit medial begleitet wird, u.a. mit Artikeln, Interviews etc. - so dass das Missverständnis, hier solle Pfitzner oder seine Weltanschauung rehabilitiert werden, gar nicht erst hätte aufkommen sollen. Hat wohl aber nicht funktioniert.


    Eine Aufführung von Eislers "Deutscher Symphonie", die Du ja auch ablehnst, hätte dagegen explizit auf die dunkelsten Seiten der deutschen Geschichte verwiesen, hätte den Opfern Referenz erwiesen - mit einem Seitenblick auf Tendenzen und Vorfälle im rechten und Neonazi-Spektrum, die Du zu Recht ansprichst.




    Zitat

    Ich habe volles Verständnis für die Irritation meiner jüdischen Freunde in Berlin (nicht nur, weil ich selbst Jude bin) und auch für jene, die jetzt nicht sofort den Mantel des Schweigens über die Angelegenheit breiten können.


    Den "Mantel des Schweigens" will ja nun niemand über die Angelegenheit breiten (und ich hoffe, dass Du die Aussage "viel Lärm um nichts" nicht in diesem Sinne verstehst). Es geht doch eher darum, eine erhellende Diskussion über das Ganze zu führen.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Original von Merlin (im Tielemann-Thread)
    "Völlig unerträglich finde ich allerdings die Stellungnahme des Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, zur Aufführung der Pfitzner-Kantate "Von deutscher Seele" in Berlin, dirigiert von Ingo Metzmacher.
    Er behauptet, das Konzert sei der "dreiste und gemeingefährliche Versuch durch Provokation einen unbelehrbaren Antisemiten wieder salonfähig zu machen."


    Ich möchte nicht, dass Konzertprogramme in Deutschland erst dem Zentralrat der Juden zur Genehmigung bzw. Zensur vorgelegt werden müssen. Dann könnte es nämlich sein, dass es sehr schnell vorbei ist mit Wagneraufführungen an deutschen Bühnen."


    Hallo Merlin,


    Deine Befürchtung teile ich nicht.
    Mein Eindruck von der Entscheidung "Von deutscher Seele" am Tag der deutschen Einheit zu spielen ist aber schon der einer gewissen Provokation wie überhaupt die dazugehörende Konzertreihe, mit der Metzmacher das deutsche Wesen zu ergründen sucht. Ich glaube aber nicht, dass Metzmacher Pfitzner bezüglich seines Antisemitismus rehabilitieren will. Vielmehr geht es ihm darum sich auf die Suche nach einer neuen, vielleicht auch "brüchigen", "geläuterten", nationalen Identität zu machen.
    Dabei ist die Frage nach der deutschen Identität doch so leicht zu beantworten: deutsch ist, wer frühestens ab 16 einen Perso hat.


    Viele Grüße


    gruss


    __________________
    Nulla dies sine sono miro.

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  • Die Provokation, die dabei sehe, richtet sich m. E. gegen das Unbehagen am sich offen mit seiner Nation Identifizieren. Ich finde, dieses Unbehagen hat durchaus gute Gründe. Warum sollte man überhaupt nach einer deutschen Identität fragen?
    Die Kultur jedenfalls, ganz gleich, was genau man dazu zählt, macht an Grenzen nicht halt.


    Viele Grüße


    :hello: