Gustave-Courbet Ausstellung in Paris

  • Liebe kunstinteressierte Taminos,
    derzeit (noch bis Ende Januar) gibt es in Paris im Grand-Palais eine sehr umfangreiche Ausstellung zu dem skandalumwitterten Maler Gustave Courbet (1819-77).
    Ich habe gestern dafür eine Stunde angestanden und bin nicht enttäuscht worden!
    Ein serh interessanter, streitbarer und umstrittener Künstler zwischen Romantik, Realismus und Moderne.
    Das Innovative in seiner Kunst war nicht die Maltechnik sondern vielmehr die Sujets, mit denen er die akademische Pariser Kunst-Szene schockierte.
    Statt Historien-Schinken und Monumetal-Verherrlichungen schuf er Bilder seiner Landschaft, der Franche-Comté und Selbstbildnisse. Statt idealisierter Akte stellte er Frauenkörper in all ihren Unvollkommenheiten auf die Leinwand und bediente sich dabei noch der Posen alter anerkannter Meister. Auch politisch machte sich der sehr selbstbewusste und keine Konfrontation scheuende Courbet nciht beliebt und büsste dafür auch eine Gefängnissstrafe ab. Er starb im Schweizer Exil, das er aus Furcht vor weiteren Repressalien der frz. Regierung gewählt hatte.


    Eines seiner berühmtesten Gemälde ist "L 'origin du monde"(Der Ursprung der Welt), das erst 1988 in Brooklyn der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde und seit 1995 im Musée d'Orsay in Paris hängt.
    Dieses Bild war lange im Besitz des frz Psychoanalytikers Lacan, und wurde sogar dort von einem anderen verschiebbaren, eigens dafür angefertigten Landschaftsbild verdeckt(auch das hängt in der Pariser Ausstellung).
    Hier gleich drei Beispiele : ein Porträt von Hector Berlioz, ein Selbstporträt und das "Skandalbild."









    Fairy Queen

  • Liebe Fairy Queen,


    danke für den anregenden Bericht.
    Es ist bemerkenswert, dass auch im Zeitalter der blühenden Pornographie eine solches „Darstellung“ noch skandalieren kann:
    Letzten Winter besuchte ich im Stadttheater Bern eine Aufführung des Figaro unter Daniel Inbal (Sohn von Eliahu). Sie begann mit einem optischen Paukenschlag:
    Besagtes Bild von Courbet wurde zu Beginn der Oper riesengross auf die Leinwand projiziert.
    Rund 5 Minuten lang, während der ganzen Ouverture, mussten sich die Berner Honoratioren den Anblick zumuten lassen. Ich fand das Ganze amüsant, sowohl (ich gestehe es) den schönen Anblick, wie auch das Beobachten der Reaktionen: Ein Geraune sondergleichen wallte durch die Reihen: Das Publikum war zum Teil echt geschockt aber deswegen auch sehr präsent, und so erfüllte das „Vorspiel“ seinen Zweck... Die Aufführung schliesslich war eine der wenigen, die ich von Anfang bis Ende mit Lust und Freude verfolgen konnte: Welch eine Musik!


    Ich zitiere aus "Die Südostschweiz" (18.11.2006):
    Ein weiteres auffälliges Signet stellte Regisseur Stephan Müller über seine Inszenierung: Das berühmte Bild «L'Origin du Monde» des französischen Malers Gustave Coubert mit dem direkten Blick zwischen die Schenkel einer nackten Frau beherrschte das Bühnenbild. Die Vorgabe war somit eindeutig: Das Erotische war Triebfeder dieser Oper, und wahrhaftig interessierte sich nicht nur der Graf für Susannas jungfräulichen Körper, und es jagte nicht nur der Schmetterling Cherubino hinter jedem Rock her. Auch alle anderen Figuren waren mehr oder weniger Gefangene ihrer erotischen Triebe.


    Mit liebem Gruss, Walter

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Eines seiner berühmtesten Gemälde ist "L 'origin du monde"(Der Ursprung der Welt), das erst 1988 in Brooklyn der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde und seit 1995 im Musée d'Orsay in Paris hängt.
    Dieses Bild war lange im Besitz des frz Psychoanalytikers Lacan, und wurde sogar dort von einem anderen verschiebbaren, eigens dafür angefertigten Landschaftsbild verdeckt(auch das hängt in der Pariser Ausstellung).
    Hier gleich drei Beispiele : ein Porträt von Hector Berlioz, ein Selbstporträt und das "Skandalbild."


    Liebe Fairy Queen,


    in dem Artikel bei wikipedia findet man auch ein Gedicht von Arnfried Astel, das ich hier zitieren möchte:



    “L'ORIGINE DU MONDE (November 1996)
    für Courbet & Lacan


    Die Innenlippen blinzeln aus den äußern.
    Im Lebenswasser spiegelt sich das Land,
    lachendes Ufer aller Landungswünsche.
    Hier springt die Welt zur Welt bei der Geburt,
    nachdem zuvor die Welt zur Welt gedrungen.“


    Liebe Grüße Peter


  • Lieber Walter, das Unerhörte dieses Bildes ist , dass es NICHTS idealisiert sondern einfach nur darstellt. Aber da es kein Photo sondern ein Gemälde ist, ist der Skandaleffekt (auch heute noch) umso grösser. Von der Kunst wurde einfach Idealisierung erwartet und genau dem hat sich Courbet ja widersetzt.
    Ich habe mich gestern auch gefragt, woran der nachhaltige "Schockeffekt" liegen mag, denn gleichzeitig waren in der Austellung auch (für damalige Verhältnisse) pornographische Photos zu sehen, die weit weniger aufsehenerregend wirken, obschon sie noch mehr zeigten als das Bild.
    Ein Regisseur, der das zum Bühnenbild macht, zeigt den "Ursprung der Welt" zumindest im Sinne eines Don Giovanni oder Duca di Mantova. Ob das zum Figaro auch so gut passt, weiss ich nicht genau. ?(
    Ich bin nicht der Meinung von Herrn Freud oder Herrn Neuenfels, dass nur "That's on a man's mind". Im Figaro geht es auch um sehr andere Dinge, scheint mir.


    Lieber Peter, das Gedicht kannte ich nciht und ich muss sagen, dass es mir nicht sonderlich gefällt- ich finde das im Hinblick auf das Bild irgendwie ein bisschen "verniedlichend" und unbeholfen.
    Aber tant pis, das ist rein subjektiv bei erster Lektüre. Aber interessant!
    Danke!


    Fairy Queen

  • Liebe Fairy Queen,


    Du hast natürlich recht: Für Figaro ist das Bild etwas weit hergeholt. Ich nehme an, es ging einfach um die Provokation. Die Inszenierung war dann weit weniger spektakulär, zum Glück.
    Aber alles hat eben zwei Seiten: Die Produktion wurde in Bern ausführlich diskutiert, was ja schliesslich der Sache der Oper dienlich ist. Entsprechend ausverkauft waren die Aufführungen! Der Zweck heiligt die Mittel.


    Liebe Grüsse aus dem prüden Bern
    Walter

  • Leider kann ich nicht wegen dieser Ausstellung nach Paris reisen ... ;(


    Ich erinnere mich an eine lange Doku auf arte TV vor ein paar Monaten über "L'origine du monde" - da sind doch manche Akte von Picasso u.a. wesentlich pornografischer ...
    Aber man kann es nie allen recht machen, und die Maler sowieso nicht.


    Ich schätze Courbet sehr, er hat so manches als erster getan, viele als selbstverständlich geltende Werte in der Malerei in Frage gestellt. Gedankt hat es ihm erst ein kennender Teil der Nachwelt.


    Wie man heutzutage immer noch Idealisierung von der Kunst erwarten kann, ist mir rätselhaft, aber ich mache oft die Erfahrung, dass bei großen Teilen des Publikums die letzten 100 Jahre Entwicklung in allen Bereichen der Kunst spurlos verübergegangen sind, woran die paar Jahre Nazi-Kulturpolitik nicht unschuldig sind - wenn ich daran denke, wie die das Kunstverständnis meiner Mutter (Jahrgang 1919) geprägt hatten, die mit deren Politik wahrhaftig nichts am Hut hatte und den Krieg sinnlos fand, ausländische Arbeiter versteckte usw. - aber die Ästhetik hatte sie völlig "gefressen".

  • Lieber Miguel, das ist eine serh interessante Beobachtung, denn ich erlebe dasselbe mit Menschen meiner Familie, die in den 30iger Jahren geboren sind und für die bereits kubistische Kunst"entartet" ist.
    Auch ohne, dass dieses Unwort gebraucht wird, ist es genauso so gemeint.
    Was 12 Jahre im kollektiven Bewusstsein anrichten können, ist geradezu unfassbar.
    Allerdings glaube ich auch , dass es ein natürliches Bedürfnis der Menschen nach Harmonie und "tröstender Schönheit" gibt. Wir sehen es ja hier im Forum. Es gibt nicht wenige Menschen, die wollen nur Operetten und Mozart-Harmonien und nciht auch noch in der Kunst ein Abbild der "hässlichen" Wirklichkeit.
    Bei Courbet liegt die Sache allerdings komplexer, denn hier kommen noch die erotischen/opornographischen Tabus dazu.
    Ich weiss z.B. nicht, ob ein Mann es so leicht gewagt hätte, dieses Bild hier im Forum auszustellen.
    Als Frau konnte ich mir das sicher eher erlauben.
    Fasiznierend finde ich, dass ein Kunstwerk, das vor 150 Jahren geschaffen wurde, heute noch solche Wirkkraft besitzt.
    Das spricht in jedem Fall für den Künstler! :jubel:
    Ich mochte die Ausstellung sehr und sie ist wirklich ausgesprochen umfangreich und gut aufbereitet.
    Fairy Queen

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Allerdings glaube ich auch , dass es ein natürliches Bedürfnis der Menschen nach Harmonie und "tröstender Schönheit" gibt. Wir sehen es ja hier im Forum. Es gibt nicht wenige Menschen, die wollen nur Operetten und Mozart-Harmonien und nciht auch noch in der Kunst ein Abbild der "hässlichen" Wirklichkeit.


    Dear Queen,
    Davon bin ich genauso überzeugt, aber wer nur Schönheit und Harmonie von der Kunst erwartet, nimmt ihr viel von ihrer Freiheit.
    ich meinerseits versuche auch eher die "harmonische", d.h. im weitesten Sinne positive Seite darzustellen, schließlich gibt es genug Häßliches und Schlimmes in der Welt, und Kunst ist für mich immer die Chance einer realen Utopie, aber nie würde ich einem Künstler vorschreiben wollen, was er zu tun hat. Erwartungen sind schön und gut, aber ich kann doch als Konsument niemanden verurteilen, nur weil er meine Erwartungen nicht bedient. Dann hole ich mir das eben anderswo ...


    Genau diese Beobachtung mit dem immer mitschwingenden Terminus "entartet" habe ich auch gemacht, z.B. im Foyer der Frankfurter Oper, wo bei einer Aufführung einiger parodistischer Kammermusik von Hindemith zwei ältere Damen vor mir sich nicht sicher waren, wie das jetzt gemeint war - dabei hätten sie nur ein Programmheft kaufen müssen ... :no: - dieses unselige Konzept von "Unterhaltung" spielt da meiner Ansicht nach eine Rolle - nur nicht über das nachdenken müssen, was man gerade konsumiert. Dabei spielt dieses Moment in der modernen Kunst doch die wichtigste Rolle, nachdem das bloß "Schöne" eigentlich schon fast sinnentleert wurde.
    Naja, darüber könnten wir endlos diskutieren.


    Was kostet denn der Courbet-Katalog? Wenn es den auf Deutsch gäbe - leider ist mein Französisch zu schlecht - wäre das ein schnöder Ersatz.


    In diesem Sinne mit lieben Grüßen
    Miguel54

  • Liebe Fairy,


    ich kann mir nicht helfen, aber ich habe Courbet doch manchmal im Verdacht, mit seinen Akten nicht nur schockieren zu wollen, sondern sehe in ihnen doch auch einfach Ansätze des Auslebens eigener Triebe.
    Und so unvollkommen sind, so man nicht gänzlich unüppigen Formen geneigt ist, die Damen durchaus nicht durchwegs, denkt man beispielsweise an die "Sommeil"-Mädels oder die "Femme au Perroquet".


    Eine nette Persiflage auf das "Skandalbild" fand ich übrigens anlässlich meines Besuches der "Schönsten Franzosen" in der NNG Berlin unter folgender Adresse:
    wehwehweh.olivierdemontreal.ca/blogue/images/CI/courbet02.jpg


    Ansonsten freue ich mich sehr, dass Du das im schattigen Winkel des Forums ansässige Häuflein für Bildende Kunst mit neuem Leben erfüllst!


    Courbialment,



    audiamus

  • Lieber Miguel, wir haben den Katalog nicht gekauft,(statt dessen eine Stapel Postkarten und Anderes) daher kann ich Dir leider keine Preis-Info geben :(
    Das Thema Schönheit und Harmonie in der Kunst sollte eigentlich seit Ende vorletzten Jahrhunderts durch sein, aber.......
    Ich glaube ,wenn wir damit anfangen, sind wir in 10 Jahren noch dran!
    Auch die harte Auseinandersetztung zwischen Staubis und Regielis hier im Forum ist ein Abbild dieser neverending Diskussion.



    Cher Audiamus,
    natürlich gibt es auch ranke und schlanke Damen bei Courbet, wobei die Posen allerdings auch dort sehr unakademisch und gegen das damals "Übliche " sind. Zwei nackte wohlgeformte Frauen in inniger Umarmung zu malen war fast genauso skandalös wie die geöffneten Schenkel des "origin". Besonders provokant finde ich die "Badende"-da wagt er wirklich, eine sehr üppige Frau mit Formen, die heute sicher als unschön gelten grossformatig in eine Alt-Meister Szenerie zu stellen. Das hat auch mit Rubens-Geschmack ncihts mehr zu tun, es ist einfach eine komplett realistische Darstellung eines unvolkommenen Frauenkörper in Rückansicht.
    Und was Deinen "Verdacht" angeht:
    ich bin zwar wie oben gesagt nicht der Ansicht von Siegmund Freud und einiger moderner Regisseure dass es ncihts als Sex in Männerhirnen gibt, aber dass Courbet seine "eigenen Triebe" in seiner Kunst ausgelebt hat-finde ich mehr als normal. Was tun Künstler denn im Allgemeinen sonst? Hehren Idealen folgen? ?(
    Ach, wär das schön!!!!! Oder nicht....... (siehe W.... :stumm:)
    Bereits die allererste Mal- Serie, nämlich seine Selbstporträts, war ein Ausleben eigener Triebe (Egotrip, Selbstfindung, Eitelkeit???????) und seine grosse Neigung zur eigenen Landschaft um Besançon desgleichen.
    Die Frauen- Akte nehmen nciht den grössten Raum in seinem Schaffen ein, im Gegenteil-sie haben lediglich einen Saal der Ausstellung beansprucht.


    Was die Bildende Kunst bei Tamino angeht: da bin ich allzeit bereit! Kenne mich allerdings nicht wirklich fachfraulich aus und auch nur bei bestimmten Künstlern und Epochen. Ich folge da ganz den eigenen Trieben..... :yes:


    Fairy Queen


    Apropos Courbet und seine Triebe: seine Schwester hat schamhaft die gesamte Korrespondenz mit seinen diversen Geliebten verbrannt-wir wissen also serh wenig.

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  • Meine Lieben,


    Wenn man den "Ursprung der Welt" monumental auf eine Bühne projiziert, funktioniert man das Bild jedenfalls in pornographische Richtung um, denn das Werk an sich ist ja eigentlich nicht oder kaum pornographisch (ob ein solcher Beiklang - nicht mehr - dabei ist, darüber kann man lange nachdenken).
    Man tut damit wahrscheinlich weder Courbet etwas Gutes (obwohl dessen Schöpfungen natürlich nicht sakrosankt sind) noch dem "Figaro". Denn wenn hier etwas Wichtiges unter die Räder kommt, dann ist es die Erotik, die das viel entscheidendere Problem im 19. (und im 18.) Jahrhundert war.
    Pornographie gab es im 19.Jahrhundert natürlich ziemlich viel und sogar von berühmten Künstlern (dann meist ein wenig veredelt), aber insgesamt spielte sie keine entscheidende Rolle. Leider glauben viele, es gab damals nur Prüderie und Porno. Aber dazwischen gab es viel mehr - und gerade das scheint vielen Regisseuren abhanden gekommen zu sein. Die haben wahrscheinlich zu viele Sexfilme gesehen und halten die für das wahre Leben.


    LG


    Waldi

  • "Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters" (von wem stammt das nochmal?) - die Pornografie auch!







    ... womit ich natürlich nicht in Abrede stellen will, dass man als Maler, Regisseur oder was auch immer nicht auch Einfluß nehmen könnte, aber die absolute Kontrolle über den "Betrachter" hat man nie.

  • Danke, genau das hab ich gemeint!
    Inwieweit das nun gerechtfertigt ist oder nicht, wage ich als Frau natürlich nciht zu beurteilen. :D
    Am Ende wird mir wieder mal "Sexismus" unterstellt. :rolleyes:
    Immerhin ist es mir lieber Männer haben nur das on their minds als daneben noch Mord und Totschlag! :yes:


    F.Q.