LES TROYENS von Berlioz

  • Ein paar Dinge, die mir wichtig erscheinen:


    Das Sujet aus der antiken Mythologie. Völlig absurd um die Mitte des 19. Jahrhunderts, gänzlich aus der Mode gekommen. Die französische Grand Opéra ignorierte trotz (oder wegen) der entsprechenden französischen Tradition die antiken Stoffe vollständig. Auch in Italien, Deutschland und sonstwo gab es sowas nicht. Nicht zuletzt deshalb ist die Oper zu Berlioz' Lebzeiten so untergegangen.


    Damit hat dann auch die für Berlioz erstaunliche Klassizität des Werks zu tun. Es ist eine regelgerechte Oper, kaum eine Spur ist mehr von den Verwerfungen der Gattungshybriden wie Roméo et Juliette oder La damnation de Faust übrig. Wir haben eine Nummernoper vor uns, z.T sogar mit Dacapo-Formen und weitgehend ohne "sinfonische" Strukturierung. Anderes (Balletteinlagen usw.) verweist wiederum auf die Grand Opéra. Äußerlich also viel Zurücknahme des Revolutionären der früheren Werke, Orientierung an einer Tradition (Gluck), die schwer aus der Mode gekommen war.


    Ebenfalls zum antiken Sujet gehört der oft archaisierende Tonfall der Melodik und der Instrumentation einschl. der z.T. musealen Instrumente. Die Instrumentation ist zwar über die Maßen raffiniert (dazu kann Edwin vielleicht etwas sagen), aber nicht mehr so überwältigend effektvoll wie früher.


    Dann im Gegenzug natürlich Shakespeare, den Edwin zu Recht hervorhebt und der ganz anderes beiträgt: die Darstellung der Leidenschaften, die permanenten Geistererscheinungen (Berlioz' geliebter Hamlet), die dann doch wieder antiklassizistischen Züge: eine Figur wie Hylas hat im klassisch/klassizistischen Drama nicht zu suchen, noch weniger natürlich die komischen Szenen wie die der genervten Wachsoldaten gleich im Anschluss.


    Zur Frage nach dem Politischen: Ich sehe das ähnlich wie Fairy und Martin - Zerstörung des Privaten bzw. des Individuums durch Geschichte/Politik, gar nicht so verschieden von zwei anderen zentralen Opern des 19. Jahrhunderts: Verdis Don Carlos und Mussorgskys Boris Godunov. Wobei wir es hier natürlich mit einem mythologischen Stoff zu tun haben, in dem das Numinose, die Prädestination eine große Rolle spielen.


    Ob die politische Ebene dominiert, darüber kann man sich streiten. Sie ist jedenfalls da - und sie ist auch auf das aktuelle Frankreich bezogen, über den omnipräsenten Topos der französischen Rom-Nachfolge. Wir hatten hier schon einmal darüber diskutiert, wobei Medard da ganz aufschlussreich von einer Überführung des französischen nationalen Pathos in einen mythischen Heroismus spricht und außerdem den Schluss der Oper auf die deutsch-französische "Erbfeindschaft" hin interpretiert - Berlioz war ja im Gefolge des wiedererstarkten Napoleonismus stark in nationalchauvinistisches Fahrwasser geraten.


    Zur Sprache: Soweit ich das beurteilen kann, ist die sprachliche Qualität des Librettos hervorragend. Der häufige Rückgriff auf den Alexandriner ist natürlich wieder Rezeption der klassisch-französischen Tradition. In der Tat handelt es sich vielfach um Vergil-Übersetzung oder zumindest -Paraphrase. Diese ist jedoch von höchster Qualität. Bereits im jugendlichen Alter hatte Berlioz sich ja an der Übersetzung aus dem vierten Buch der Aeneis begeistert, wie er im zweiten Kapitel seiner Memoiren erzählt...



    Viele Grüße


    Bernd

  • Guten Morgen nach der ersten Nacht mit Berlioz. Ich stecke nun erstmal voller Fragen.


    Lieber Bernd, danke für Deine interessanten Anstösse.
    Die Auflehnung gegen den Willen der Götter und das Zerbrechen daran- ist das deiner Ansciht nach ein typisches Berlioz-Thema?


    Die Spannung zwischen dem Privaten und der vorbestimmten Geschichte schient mir auch nach Überschalfen das zentrale Thema der Oper zu sein.


    Ich empfand übrigens leider den 5. Akt gegenüber dem vierten Akt als Absturz und war enttäuscht, weil ihr mir Alle verscihert habt, es würde noch besser.
    Für mich war es zwar weiter sehr sehr gut, aber der vierte Akt vom Vorspiel angefangen (wo hat man je so wunderbare Bläser gehört!) bis zum Ende mit dem "Italie Italie Italie" bildet eine solche innere musiklasiche Einheit und hat mich so restlos begeistert, dass mein Gefühl, es könne nicht mehr besser werden, sich erstmal als subjektiv richtig erwiesen hat.


    Und was ich nun auch nicht verstehe: warum hat Berlioz dieser unglaublcihen Cassandra- Gestalt(die hat mich mächtig beeindruckt!!!!) nciht auch solch gleich auf Anhieb ergreifende Musik geschrieben wie der Dido?
    Warum hat er es dem ersten Teil soviel schwerer gemacht, spontan ins Ohr zu gehen wie dem Zweiten?


    Hat er dem Vorschlaghammer des Schicksals seine Melodik bewusst verweigert?


    Mich hat als Person die Cassandra ganz stark beeindruckt udn ich fand Anna Caterina Antonacci in der Rolle ganz stark. Und Martin hat ganz Recht: ihre Haltung zur Liebe ist eine ganz Andere als die der Dido- sie will Chorèbe, der sie überhaupt nciht richtig zu kennen scheint, retten.

    Berlioz hat im ersten Teil bei mir eine ganz starke Faszination und Identifikation mit dem grausamen Schicksal dieser Frau geschaffen, die aber musikalisch nicht auf ihre Kosten kommt wie die Dido.
    Warum?



    F.Q.

  • Lieber Bernd,

    Zitat

    Zur Sprache: Soweit ich das beurteilen kann, ist die sprachliche Qualität des Librettos hervorragend.


    Nicht wahr? - Über weite Strecken wirkliche Dichtung. Ein Libretto, wie es im 19. Jahrhundert ziemlich einmalig ist. Obwohl ich, wie bekannt, Wagner heiß liebe und auch seine Libretti gar nicht so übel finde, so muß ich doch zugeben, daß Berlioz hier einfach bessere Arbeit geleistet hat.


    Zitat

    Die Instrumentation ist zwar über die Maßen raffiniert (dazu kann Edwin vielleicht etwas sagen), aber nicht mehr so überwältigend effektvoll wie früher.


    Berlioz setzt auf sehr klare Farben, es gibt nichts Überflüssiges mehr. Die effektvollen Instrumentierungen der früheren Werke sind nicht ganz verschwunden, aber sehr zurückgenommen. Nun dominieren delikate Farbabtönungen, die Debussy begeistert haben dürften. Meiner Meinung nach versucht Berlioz, dieses Drama zu entschlacken und zu der "edlen Einfachheit" zurückzufinden, die er in den Werken Glucks, vielleicht auch Rameaus, bewundert hat.
    Damit hängt auch die Absage an die Hybrid-Formen zusammen. "Les Troyens" sind eine klar definierte Form - und zwar "Grand opéra". Innerhalb dieses Genres jedoch sind sie revolutionär.


    Bernd hat bereits auf den unmodischen antiken Mythos hingewiesen. Ich glaube indessen, Berlioz geht noch wesentlich weiter: Er komponiert eine "Grand opéra" gegen die "Grand opéra". Anders gesagt: Er entwirft ein in seinen Augen taugliches Modell einer "Grand opéra", indem er deren Formenkanon benützt, diesen jedoch in den Dienst des Dramas stellt. Damit sind "Les Troyens" auf gewisse Weise eine Reformoper, die sich zielsicher gegen den Effekt um seiner selbst Willen richtet.
    Diese Haltung dürfte es gewesen sein, die das Publikum verschreckte: Es bekam zwar eine Oper vorgesetzt, aber eine, die die Konvention formal zitierte, jedoch mit völlig neuen Inhalten auffüllte.
    :hello:

    ...


  • Liebe Fairy Queen!


    Die weniger melodiöse, auch dramatischere Musik im ersten Akt hat, denke ich, schon mit der Ausnahmesituation zu tun, in der sich Troja befindet: In einem schon zehnjährigen permanenten Kriegszustand kommt man nicht mehr auf die Idee, so schöne Kantilenen zu singen wie im Frieden Nordafrikas, man ist ständig in Erregung, besonders, wenn man wie Cassandre mit den Sehergaben ausgestattet ist. Das Duett Cassandre-Chorèbe ist musikalisch sogar betont unschwelgerisch und reduziert, behaupte ich - realistisch-naturalistisch! - und steht im Kontrast zur realitätsfernen Entrücktheit Didons und Énées, eine Haltung, die Cassandre einfach nicht annehmen kann, die ihrem Charakter entgegenstünde.


    Dennoch gibt es im ersten Teil schöne Szenen: neben der Repräsentationsszene im ersten Akt und der erschütternden Pantomime der Andromaque, sowie dem Finale des ersten Aktes, das ja ganz Cassandre gehört, bin ich vor allem ein Fan (in musikalischer - ja, und auch in dramaturgischer - Hinsicht! :D ) der Massenselbstmordszene, wo Cassandre mit der Hymne "Mourez dignes de gloire et partageant mon sort" auch ihre schöne Musik bekommt, die sie freilich altruistisch mit allen anderen Trojanerinnen teilt. Ich finde die beiden Szenen des zweiten Akts, die ja komplementär aufgebaut sind (Männer-Frauen, Flucht-Tod...) und gemeinsam einen faszinierenden, wenn auch leider sehr kurzen Akt ergeben, grandios und ebenso einheitlich wie den vierten Akt.


    Liebe Grüße,
    Martin

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Guten Morgen nach der ersten Nacht mit Berlioz. Ich stecke nun erstmal voller Fragen.


    Lieber Bernd, danke für Deine interessanten Anstösse.
    Die Auflehnung gegen den Willen der Götter und das Zerbrechen daran- ist das deiner Ansciht nach ein typisches Berlioz-Thema?


    Wie Bernd schon geschrieben hat, sind die TROYENS in vieler Hinsicht untypisch für Berlioz, zugleich aber repräsentiert das Werk, zusammen mit der ENFANCE DU CHRIST, seinem anderen "antiken" Stoff - die Essenz seines Werkes, da er hier weitgehend auf die zuweilen selbstzweckhaften Effekte seiner früheren Kompositionen verzichtet (ohne dehalb weniger Wirkung zu erzielen). Das Untypische will aber wenig sagen, denn das gilt eigentlich für alle seine Vokalwerke. Auch wenn sein Stil und Klangbild immer unverkennbar sind, er wiederholte sich nur sehr selten. Wollte man ihn mit Schiller gleichsetzen, den er bewunderte, obwohl er nur ein ganz kurzes Vokalstück nach dessen DIE RÄUBER / LES BRIGANDS komponierte, so verhält sich LES TROYENS zu BENVENUTO CELLINI etwa wie dessen WALLENSTEIN zu DIE RÄUBER.


    Berlioz war sich durchaus bewusst, wie unmodern sein Sujet war. Er verachtete Offenbach für seinen satirischen Umgang mit der Antike, der dem Zeitgeschmack entsprach, und hasste die Pariser für ihre Begeisterung für gerade diesen Zeitgenossen. Er liebte nämlich die großen Werke der Antike seit seiner Kindheit, denn schon sein Vater (der ihn nicht von ungefähr Hector nannte) legte ihm die Lektüre der AENEIS nahe. Das war schon damals keine selbstverständliche Lektüre für einen Jugendlichen, und Berlioz' enorm intensive emotionale Reaktion darauf war wohl zu aller Neuzeit ungewöhnlich.


    Dennoch war sein literarisches Vorbild vor allem Shakespeare, wie sich nicht zuletzt darin zeigt, dass er das Liebesduett "O nuit d'ivresse" aus einem Dialog in dessen KAUFMANN VON VENEDIG entwickelt und in den Vergil-Text einflocht, dem er sonst relativ getreu folgt - allerdings mit bezeichnenden Ausnahmen, von denen zum Teil schon die Rede war, vor allem in der Zeichnung der bei Vergil wohl eher marginalen Cassandra. Weniger typisch als eine moralische Pflicht für Berlioz (gegen deren Erfüllung er sich lange wehrte, weil er sich bewusst war, wie schwer seine Oper es haben würde) war aber die Fortführung der antiken Themen der von ihm (neben Beethoven und Weber) am meisten bewunderten Komponisten Gluck und Spontini, als deren legitimen Erben und "Testamentvollstrecker" er sich - mit gutem Grund - sah. Das galt für ihre Themenwahl nicht weniger als für ihre Musik.


    Zitat


    Die Spannung zwischen dem Privaten und der vorbestimmten Geschichte schient mir auch nach Überschlafen das zentrale Thema der Oper zu sein.


    Das ist es fraglos. Nur gilt das eigentlich für alle Werke des rebellierenden Fatalisten Berlioz, wenn es nicht überhaupt ein Eckpfeiler jeden Dramas ist, sobald Du das Wort Geschichte durch Bestimmung ersetzt. Richtig und zu allen Zeiten in der Oper ungewöhnlich ist aber die starke Betonung des epischen Charakters seiner Geschichte (im doppelten Wortsinn), die er vorübergehend sogar noch mit einem Ausblick auf die napoleonischen Feldzüge versehen wollte (La Grande Nation als Erbin des Römischen Reiches und damit der Trojaner). Wieviele Opern gibt es überhaupt, in deren Verlauf Jahre übersprungen und fast alle Helden ausgewechselt werden (Aeneas ist im ersten Teil ja eher eine Randfigur)? Ein derart weiter, visionärer Ausblick in die Zukunft aber ist für die Opernbühne bestimmt einzigartig.


    Zitat


    Ich empfand übrigens leider den 5. Akt gegenüber dem vierten Akt als Absturz und war enttäuscht, weil ihr mir Alle verscihert habt, es würde noch besser.
    Für mich war es zwar weiter sehr sehr gut, aber der vierte Akt vom Vorspiel angefangen (wo hat man je so wunderbare Bläser gehört!) bis zum Ende mit dem "Italie Italie Italie" bildet eine solche innere musikalische Einheit und hat mich so restlos begeistert, dass mein Gefühl, es könne nicht mehr besser werden, sich erstmal als subjektiv richtig erwiesen hat.


    Wenn es Dich tröstet: das ging mir lange Zeit genau so, denn das lyrische Zwischenspiel, das der vierte Akt in dem Gesamtgefüge darstellt, erschließt sich wegen seiner durchgehend reinen, sich dem Hörer nachgerade aufdrängenden Schönheit am ehesten. Es ist sicher kein Zufall, dass Berlioz, obwohl er eigentlich erst das ganze Libretto fertig stellen wollte, bevor er mit der Komposition begann, schließlich doch einem Impuls nachgab und als Allererstes das Duett "Nuit d'ivresse" komponierte (es folgten der erste und dann der gesamte vierte Akt, bevor er den Rest chronologisch fertig stellte). Damit will ich keinem romantischen Bild von einem Komponisten das Wort reden, den seine Inspirationen übermannten (Berlioz wusste stets sehr genau, was er tat). Aber es wird doch deutlich, wo er die Angelpunkte seiner Oper sah und selbst am meisten berührt war. Nicht von ungefähr sind das auch die Stellen, wo er seinen Text besonders von Shakespeare und seiner eigenen Inspiration beeinflussen ließ.


    Zitat


    Und was ich nun auch nicht verstehe: warum hat Berlioz dieser unglaublcihen Cassandra- Gestalt(die hat mich mächtig beeindruckt!!!!) nicht auch solch gleich auf Anhieb ergreifende Musik geschrieben wie der Dido?


    Wenn ich zum Beispiel das herrliche Duett mit Choroebus anhöre (Reviens à toi, vierge adorée), bin ich nicht ganz sicher, ob ich Dir da uneingeschränkt Recht gebe, aber gesetzt den Fall, das wäre so, dann kann man Berlioz selbst als Zeugen anführen: "Können Sie mir das glauben? Ich bin verliebt, unrettbar verliebt in die Königin von Karthago. Ich bete sie an, diese wunderschöne Dido" (1856).


    8 Jahre später erst schrieb er dann: "Von all der leidenschaftlich traurigen Musik, die ich je geschrieben habe, weiß ich keine, die sich mit Didos Monolog und der anschließenden Arie vergleichen lässt - außer der der Cassandra in Teilen der LA PRISE DE TROYE, die noch nie irgendwo gegeben wurde. Oh meine edle Cassandra, meine heroische Jungfer, ich muss mich damit abfinden, Dich nie zu hören. So brenne ich denn wie Choroebus vor verzweifelter Liebe zu ihr." (1864)


    Immerhin bekam er wenigstens das Duett mit Choroebus in einem Privatkonzert wenigstens doch noch zu hören - als einziges Teil der beiden ersten Akte seines Meisterwerkes.


    Zitat


    Warum hat er es dem ersten Teil soviel schwerer gemacht, spontan ins Ohr zu gehen wie dem Zweiten?


    Hat er dem Vorschlaghammer des Schicksals seine Melodik bewusst verweigert?


    Ich kann mir nicht vorstellen, dass er in solchen Kategorien dachte, denn Berlioz war Musikdramatiker und kein Belcantokomponist, dem vor allem an mitreißenden und ergreifenden Melodien lag. Dennoch: dort, wo es sich anbietet, gibt es diese Melodik durchaus. Hör' und sieh' Dir noch einmal den ergreifenden Auftritt von Hectors Witwe Andromache mit ihrem todgeweihten Sohn an, und beachte den genialen Schachzug Berlioz', dieser bis zur Sprachlosigkeit überwältigenden Trauer den Gesang zu verweigern und eine unendlich ergreifende Melodie allein der Klarinette anzuvertrauen. Die Meisterschaft des Orchestrators Berlioz, da bin ich ganz bei Edwin, zeigt sich nicht nur in seinen kühnen Kombinationen, sondern ganz besonders in der Reduktion.


    Zitat


    Mich hat als Person die Cassandra ganz stark beeindruckt, und ich fand Anna Caterina Antonacci in der Rolle ganz stark. Und Martin hat ganz Recht: ihre Haltung zur Liebe ist eine ganz Andere als die der Dido- sie will Chorèbe, der sie überhaupt nicht richtig zu kennen scheint, retten.


    Berlioz hat im ersten Teil bei mir eine ganz starke Faszination und Identifikation mit dem grausamen Schicksal dieser Frau geschaffen, die aber musikalisch nicht auf ihre Kosten kommt wie die Dido.
    Warum?


    Vielleicht, weil Du, wie bestimmt die meisten Hörer, zunächst einmal von dem mitreißenden Sog des Ganzen mitgerissen wurdest? Wie schon gesagt, glaube ich ohnehin, dass Dich das Duett mit Choroebus widerlegt, denn ich finde es, anders als Martin, in seinem unmittelbaren Umfeld keineswegs asketischer. Aber wo sonst hat Cassandra überhaupt die Möglichkeit, sich lyrisch auszudrücken? Ihre große Soloszene spielt ja vor dem im Hintergrund ablaufenden Einzug des trojanischen Pferdes statt (übrigens genial instrumentiert, indem Berlioz drei Instrumentengruppen in verschiedenen Abständen hinter der Bühne aufstellen lässt, die das Nahen des Pferdes hörbar machen - das ist natürlich nur in einer Live-Aufführung wirklich zu hören). Ansonsten siehe das obige Zitat Berlioz' zu seiner geliebten Cassandra.


    Ich glaube aber ohnehin, dass sich Deine Ansicht mit wachsender Vertrautheit mit der Musik relativieren wird. Mir ging es ursprünglich nämlich ebenso wie Dir, wie schon eingangs gesagt.


    :hello: Jacques Rideamus

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  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Mich würde aber auch ein anderer Aspekt interessieren: Berlioz hat den Text selbst geschrieben. Was haltet Ihr von seinen dichterischen Qualitäten?


    :hello:


    Ich würde keinen Moment zögern, das Libretto zu LES TROYENS in der gleichen künstlerischen Höhe anzusiedeln wie Boitos Libretto zu Verdis OTELLO, das eigentlich das einzige andere Libretto ist, das mir als angemessener Vergleich auf dem gebührend allerhöchsten Niveau überhaupt einfällt - trotz Da Ponte, Hofmannsthal und, ja durchaus, Wagner.


    Dieses Lob gilt sowohl für das sprachliche Niveau als auch der genialen Einrichtung des Dramas, für die Berlioz ja noch viel mehr auswählen und eliminieren musste als Boito für seinen Text. Natürlich hatte er (wie Boito) eine starke Vorlage, die beide aber erst einmal (auf der Basis vorhandener Übersetzungen) in ihre Sprache übertragen mussten. Wie gut ihnen das gelang, spricht für sich. Dass manche der Meinung sind, dass das Drama der TROYENS zu wünschen übrig ließe, beruht m. E. auf einem Missverständnis, denn sie verlangen von Berlioz eine Dramaturgie (und damit Reduktion des epischen Atems), an der er nicht interessiert war. Es wäre eine interessante Spekulation, wie z. B. Verdi auf ein solches Libretto reagiert hätte (wahrscheinlich hätte er auf drastischen Straffungen des Personals und einer Ausweitung hochemotionaler Szenen bestanden). Von Wagner, dem Berlioz das gesamte Libretto vorlas, wissen wir, dass er überhaupt nicht verstand, was das sollte. Aber die wechselhafte und vielschichtige Beziehung dieser beiden großen musikalischen Alphatiere ihrer Zeit, die einander zunächst bewunderten und später heftig ablehnten, wäre mal einen eigenen Thread wert.


    Vor allem aber bin ich immer wieder fasziniert von der nachgerade filmischen "Auflösung" des Dramas durch Berlioz. Er spannt einen großen Bogen, obwohl er ihn aus mehreren Büchern rekonstruieren musste, und hatte doch einen untrüglichen Instinkt dafür, wann ein scheinbar irrelevantes Scheinwerferlicht auf Nebenfiguren die Atmosphähre des Ganzen besser charakterisieren würde als die bloße Konzentration auf die Hauptpersonen. Der epische Charakter seines Werkes schlägt sich nicht nur in der Themenwahl nieder, sondern auch in der Berücksichtigung und sorgfältigen Ausgestaltung einer Vielzahl von Personen, die alle, bis hin zu Hylas und den frustrierten Soldaten zu Beginn des fünften Aktes, großen Einfluss auf die emotionale Wirkung des Ganzen haben. Überflüssig zu sagen, dass sie alle auch ihre ganz eigenen musikalischen Charakteristika erhielten, was natürlich auch für die verschiedenen Chöre gilt.


    Wer Beweise für die große Schönheit der Worte dieses Librettos sucht, lese mal den Text des Septetts im vierten Akt aufmerksam durch. Dieses Ensemble, das naturgemäß nur musikalisch realisierbar ist, hat meines Wissens kein Vorbild bei Vergil oder andernorts, sondern wurde inspiriert durch dieses (damals etwa 50 Jahre alte) Gemälde von Pierre-Narcisse Guerin:


    Enée racontant à Didon les malheurs de la ville de Troie

    Aeneas erzählt Dido vom Unglück der Stadt Troja


    Den Text dazu musste sich Berlioz also selbst ausdenken, und wie geschickt er da Zustandsbeschreibung und Beobachtung mischt, in sprachlich wunderbare Reime fasst und dazu noch sehr individuelle musikalische Noten zu einem berückenden Ganzen webt, sucht seinesgleichen. Es gehörte schon sehr viel Mut und Selbstvertrauen dazu, ein derart hinreißendes Ensemble zu wagen und dennoch darauf zu vertrauen, dass das bereits komponierte, anschließende Duett sprachlich wie musikalisch noch als Steigerung empfunden werden würde.


    Beispiele wie diese ließen sich leicht noch viel mehr finden, aber vielleicht kann Philhellene, der seinen Vergil gut zu kennen scheint, noch ein paar weitere Schlaglichter auf bezeichnende Parallelen und Abweichungen zwischen Vergil und Berlioz werfen.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Gut, dann fange ich einmal an mit einem Vergleich Vergil-Berlioz, nur einmal den ersten Teil:


    Bei Vergil ist der Fall Troias eine Rückblende, die Aeneas am Hof der Dido berichtet (darauf nimmt Berlioz noch raffiniert im vierten Akt Bezug, als er Didon das Schicksal der Andromaque erfragen lässt). Aeneas beginnt mit der List vom hölzernen Pferd, die er ganz zu Beginn erläutert; seine Zuhörer wissen also im weiteren Verlauf schon, was es mit dem Pferd auf sich hat. Bei Berlioz wird das nicht zu Beginn erläutert, Cassandre errät es erst im Finale des ersten Aktes, aber das Wissen darüber kann beim Publikum eh vorausgesetzt werden.


    Ganz wesentlich erscheint mir, dass Cassandra bei Vergil nur in zwei Nebenbemerkungen vorkommt (Die erste: "Daraufhin [nach Laokoon] öffnet auch Cassandra den Mund zur Verkündigung der Zukunft, den Mund, dem auf Befehl eines Gottes die Trojaner nie glaubten."; die andere später am geeigneten Ort), bei Berlioz aber die Zentralgestalt geworden ist. Folglich ist auch das Duett Chorèbe-Cassandre (inspiriert vielleicht von der zweiten Nennung Cassandras, siehe unten) und sämtliche Solostellen der Cassandre reiner Berlioz. Laokoon, dem bei Vergil relativ breiter Raum gegeben wird ("Quidquid id est, timeo Danaos et dona ferentes"), kommt dagegen bei Berlioz nur noch als Leiche vor.


    Ein langer Einschub ist bei Vergil die Sinon-Szene (Ein Grieche behauptet, er wäre von den Griechen als Opfer vorgesehen gewesen, sei entflohen und habe sich bis jetzt verborgen. Nun, da die Griechen ja weg sind, will er in Troia bleiben und rät den Trojanern, das Pferd, eine Weihegabe an Pallas, in die Stadt zu ziehen, wodurch den Griechen Übles zustoße. Denn das Pferd sei absichtlich so groß, damit es nicht durch die Tore Troias passe. Der greise König Priamos ist schon so dement, dass er daraufhin die Mauern niederreißen lässt.). Berlioz hat diese Szene auch vertont, aber später gestrichen, weil der erste Akt als zu lang kritisiert wurde. Das Streichen hat aber nichts genützt, der Akt wurde trotzdem zu seinen Lebzeiten nicht aufgeführt... Meistens wird die Szene heute auch gestrichen, in der Dutoit-Aufnahme ist sie enthalten.


    Der Schlussmonolog Cassandres existiert bei Vergil natürlich nicht. Interessant ist vielleicht, dass Berlioz aus dem viermaligen Waffenlärm im Bauch des Pferdes, verbunden mit einem viermaligen Stopp des Einzugs, ein einmaliges Ereignis macht. Der heilige Gesang von Knaben und Mädchen ("pueri circum innuptaeque puellae | sacra canunt") ist auch von Vergil vorgegeben und von Berlioz großartig umgesetzt.


    Die erste Szene des zweiten Aktes ist fast wörtlicher Vergil. Aeneas spricht Hector im Traum an:
    "o lux Dardaniae, spes o fidissima Teucrum,
    quae tantae tenuere morae? quibus Hector ab oris
    exspectate venis? ut te post multa tuorum
    funera, post varios hominumque urbisque labores
    defessi aspicimus! quae causa indigna serenos
    foedavit vultus? aut cur haec vulnera cerno?"

    ("O Licht Dardaniens [=Troias], treueste Hoffnung der Teucrer [=Trojaner],
    was verursachte dir so großen Aufschub? Von welchen Ufern, Hector,
    Erwarteter, kommst du? Wie sehen wir Erschöpfte dich nach vielen Begräbnissen der Deinen,
    nach vielen Mühen der Menschen und der Stadt wieder? Welche Schande
    hat dir das heitere Gesicht verunstaltet? Oder warum nehme ich diese Wunden wahr?")


    Und Hector antwortet:
    "heu fuge, nate dea, teque his" ait "eripe flammis.
    hostis habet muros; ruit alto a culmine Troia.
    sat patriae Priamoque datum: si Pergama dextra
    defendi possent, etiam hac defensa fuissent.
    sacra suosque tibi commendat Troia penatis;
    hos cape fatorum comites, his moenia quaere
    magna pererrato statues quae denique ponto."

    ("Ach, flieh, Sohn der Göttin, und entreiß dich diesen Flammen.
    Der Feind hält die Mauern; vom hohen Gipfel an stürzt Troia ein.
    Genug ist dem Vaterland und dem Priamus gegeben worden: wenn Pergama [=Troia]
    von einer rechten Hand verteidigt werden könnte, wäre es auch von dieser verteidigt worden.
    Troia vertraut dir seine Heiligtümer und Penaten an;
    nimm sie zu Begleitern deines Schicksals, such mit ihnen [oder: für sie] die großen Mauern,
    die du endlich errichten wirst, nachdem du das Meer durchirrt hast.")
    Interessant: Berlioz übernimmt den Text fast wörtlich, baut aber hier schon eine Vorhersage ein, dass Rom in der Zukunft die Welt beherrschen werde.


    Dann kommt Panthus. Aeneas spricht ihn an:
    "quo res summa loco, Panthu? quam prendimus arcem?"
    ("Wo ist das Hauptgeschehen, Panthus? Welche Burg sollen wir ergreifen?")
    Das und die folgende, lange Erzählung des Panthus kürzt Berlioz bzw. gibt es sinngemäß wieder. Danach kommt Coroebus, der als Verlobter ("von ungesunder Liebe entbrannt") der Cassandra vorgestellt wird, der erst in den letzten Tagen nach Troia gekommen sei, um im Kampfe zu helfen, trotz des dringenden Abratens seiner Verlobten. Aus dieser kleinen Bemerkung hat Berlioz im ersten Akt ein ganzes Duett gestaltet!
    Die Szene endet bei Berlioz mit der von Vergil übernommenen Sentenz des Aeneas:
    "una salus victis nullam sperare salutem."
    ("Ein Heil gibt es für die Besiegten: kein Heil mehr zu erwarten."
    "Le salut de vaincus est de n'en plus attendre.")


    Was Aeneas Dido noch vom Fall Troias erzählt (z. B. von Astyanax, Priamos und Hekabe, Helena, die Erscheinungen von Venus und Kreusa), spielt bei Berlioz keine Rolle mehr. Dafür ist die zweite Szene des zweiten Aktes ohne Vorbild bei Vergil.


    Liebe Grüße,
    Martin

  • Lieber Martin,


    hab ganz herzlichen Dank für diese ausführliche Darstellung, die mir Berlioz' Leistung als Librettist in einem noch viel helleren Licht erscheinen lässt. Da ich mich seit meinem drögen Lateinunterricht nie wieder durch Vergil und Konsorten quälen wollte (was fraglos ein höchst ungerechtes Versäumnis ist), war mir bislang nicht klar, wie groß die Eigenleistung Berlioz' bei der Gestaltung insbesondere der Cassandra tatsächlich gewesen ist.


    Nicht nur die dramaturgisch brillante Entscheidung, die von ihm aus ihrem negativen Image der beständig zeternden Unke befreiten und ins Gegenteil verkehrten Cassandra in den Mittelpunkt der beiden ersten Akte zu stellen, auch die Worte, die er ihr zwangsläufig selbst in den Mund legte, bestätigen ihn als einen Dichter von außerordentlichem Rang, dessen Libretto ich auch als reine Lektüre denen Wagners, die natürlich auch ihre Meriten haben, klar vorziehe.


    Auffällig ist ja generell, und auch das macht diese Oper so unglaublich modern, wie viel stärker die Frauen in dieser Oper gegenüber den eigentlich sagenhaften Helden sind. Nicht nur ist Cassandra dem etwas tumben Choroebus turmhoch überlegen, auch die todesmutigen Troerinnen, denen Berlioz den Heroismus eines vorweg genommenen Masada gönnt, wo sich knapp 1000 jüdische Zeloten lieber selbst umbrachten als von den Römern in die Sklaverei schleppen zu lassen, werden als ihren fliehenden Männern klar überlegen dargestellt. Zudem finde ich Didos flexible Schwester Anna deutlich beeindruckender als ihren starren Ratgeber Narbal. Dass das Heldentum des Aeneas sich, vom dritten Akt abgesehen (selbst der kulminiert in einer orchestralen Jagd mit anschließender Liebesszene und nicht etwa einer Schilderung seines Heldentums), vor allem darin ausdrückt, dass er immer wieder davon läuft, wenn es kritisch wird, spricht ja ebenfalls eine deutliche Sprache.


    Wie die Weltgeschichte wohl verlaufen wäre, wenn ihr Berlioz' Karthager statt der zu Römern mutierenden Trojaner den Stempel aufgedrückt hätte? Dass Dido über diese Entwicklung derart frustriert ist, dass sie am liebsten erst einmal alles kurz und klein schlagen würde, finde ich höchst nachvollziehbar.


    Vielleicht hat Fairys Enttäuschung über den fünften Akt ja ein ähnliches Motiv. :D


    :hello: Jacques Rideamus

  • So langsam bekommt mein Berlioz-Trojaner -Puzzle Kontur- danke!


    Lieber Martin, ganz herzlichen Dank für den Vergil-Berlioz Vergleich und bitte-so möglich - unbedingt weitermachen. :jubel:
    Die Gestalt der Cassandra finde ich nicht erst seit Christa Wolfs Roman faszinierend und und die Vermenschlichung die sie hier bei Berlioz erfährt, hat mich tief beeindruckt.
    Was die musikalische seite angeht, habt ihr Recht: der erste Eindruck kann kaum relevant bleiben, weil er zu stark von den nachfolgenden Dido- Akten in meienr aufmerksamkeit in den Schatten gestellt wurde. Das Duett mit Chorèbe ist wirklich grossartig und Weiteres werde ich wohl erst besser nach den dritten oder vierten Hören dazu sagen.
    Noch eine Frage zur Cassandras kurzem Auftritt ganz am Ende der Oper. Wie würdet ihr das interpetieren?


    Lieber Jacques, ich war ja nicht enttäuscht vom 5.Akt an sich , ich fand Vieles darin ganz grossartig.
    Meine spontane Enttäuschung resultierte nur daraus, dass ihr mir hier geschireben hattet, es werde nach dem 4. Akt noch besser und DAS konnte ich dann leider nicht nachvollziehen.
    Aber auch hier: nur der allererste Eindruck und dass es Dir anfangs ebenso ergangen ist, ist sehr tröstlich für mich! :yes:


    Was den Aeneas angeht, habe ich ein Problem mit deiner obigen Wertung.
    Für mich ist er bei Berlioz nämlich ein grosser Held und er läuft m.E. überhaupt ncht immer dann weg, wenn es kritisch wird, im Gegenteil!


    An ihm vollzieht sich ja beispielhaft die Vorbestimmung, der Willen der Götter und der schicksalhafte Lauf der Geschichte und dass er DAVOR nciht wegläuft, obschon er es am liebsten tun würde, macht ihn zum Helden.


    Aeneas stellt sein Verantwortungsgefühl einem Volk und einer Bestimmung gegenüber über seine privaten Wünsche und Bedürfnisse.



    Dass er damit im Falle Troias auch sein Leben rettet, entspricht angescihts der Katastrophe und seinem Kampfeswillen nciht seiner Intention- feige Fahnenflucht kann man ihm hier wirklich nicht vorhalten.


    Dido zu verlassen bricht ihm das Herz , das finde ich durchaus glaubhaft von Berlioz dargestellt-aber er hat keine lebbare Alternative.
    Nachdem er den Fall Troias und den unbeugsamen Willen der Götter erlebt hat und nun die verhângnisvollen Zeichen über Karthago sich häufen, muss er bei einer Weigerung(sprich Bleiben) das Allerschlimmste- auch für seine Geliebte- fürchten.
    Liebe, Wohlleben und einen Königsthron zu verlassen und in eine unbekannte Zukunft zu segeln, finde ich eigentlcih ziemlich heldenhaft- wenn man Heldentum als Selbstüberwindung im Sinne einer höheren Sache definieren will.



    Das historsich folgenreiche Rache-Wüten der Dido und deren Selbstmord hat er wohl nur peripher vorrausgesehen und seine Geliebte- wie die meisten Helden- wenig gekannt, scheint mir.



    Die Gestalt der Anna finde ich übrigens auch ausserordentlch sympathisch, obschon ihre Ratschläge und Interventionen das Verhängnis beschleunigen und mitverschulden.
    Ich sehe auf den ersten Eidruck in ihr eine Inkarnation positiver Weiblichkeit jenseits des Heldentums einer Cassandra und ihrer Trojanerinnen und jenseits der unbeherrschten Leidenschaften einer Dido.
    Vielleicht ist sie aber auch Didos Alter Ego und ein abgespaltener nicht zugelassener Teil ihrer Persönlichkeit.



    Mich würde hier auch noch eure Sciht der Gestalt des Sohnes Ascagno bei Berlioz und in der Kakkos-Inszenierung interessieren.
    In der Inszenierung spielt er ja quasi die Rolle des Wegbereiters für seinen Vater und hängt Dido fast die ganze Zeit am Rockzipfel, wird (stellvertretend?) zärtlich gestreichelt udn liebkost, bevor der Vater in der Nuit d'ivresse überhaupt erhört wurde.
    Er ist es, der Dido symbolisch ihren Ehering abnimmt , um sie vom Treueschwur zu entbinden und der Liebes-Vereinigung mit aeneas den weg zu ebnen.
    Berlioz hat ja nun lange vor Freud komponiert, aber aus heutiger Sicht kommen da recht eindeutige Symbole zusammen.


    Ist das eigentlch derselbe Ascanio, der auch bei Mozart vorkommt oder nur zufällige Namensgleichheit?



    Was meinen ersten Hör(und frz. Untertitelmitlese-) Eindruck des Librettos angeht, ergänze ich noch Folgendes : das ist eine sehr gewählte und stilisierte Hochsprache, die ich -als doch der frz. Sprache inzwischen gut Mächtigen- nciht in allen Formuierungen und Konstruktionen auf Anhieb verstanden habe .
    Berlioz hat Klassssiches in Klassisches übersetzt- will sagen: auch im Hinblick auf die Sprachebene ist er ganz nah an Vergil geblieben.
    Allerdings finde ich seine Übersetzung und Nachdichtung für heutiges Französisch lange nciht so abseitig unverständlch wie die Wagners für heutiges Deutsch. das kann man nciht vergleichen, wie gross Berlioz Verehrung für Wagner und dessen Beispielhaftigkeit für ihn auch gewesen sein mochte.


    F.Q.

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Ist das eigentlch derselbe Ascanio, der auch bei Mozart vorkommt oder nur zufällige Namensgleichheit?


    Ascanio ist bei Mozart der Sohn der Venus und des Aeneas, also keine zufällige Namensgleichheit.


    Liebe Grüße Peter

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  • Liebe Fairy,


    Du solltest meinen süffisanten Schlenker nicht zu ernst nehmen. Natürlich bin auch ich der Meinung, dass Aeneas für Berlioz ein echter Held ist, und ich teile auch Deine Begründung. Dennoch finde ich es auffällig, dass die durchaus positiv besetzten Männer dieser Oper, in der es keinen einzigen Schurken gibt (!), sich nur als Erfüllungsgehilfen des Schicksals profilieren, während die Frauen sich dagegen auflehnen und damit zwangsläufig das interessantere und dezidiert menschlichere Profil gewinnen.


    Zitat


    Mich würde hier auch noch eure Sicht der Gestalt des Sohnes Ascanio bei Berlioz und in der Kakkos-Inszenierung interessieren.
    In der Inszenierung spielt er ja quasi die Rolle des Wegbereiters für seinen Vater und hängt Dido fast die ganze Zeit am Rockzipfel, wird (stellvertretend?) zärtlich gestreichelt udn liebkost, bevor der Vater in der Nuit d'ivresse überhaupt erhört wurde.
    Er ist es, der Dido symbolisch ihren Ehering abnimmt , um sie vom Treueschwur zu entbinden und der Liebes-Vereinigung mit aeneas den weg zu ebnen.
    Berlioz hat ja nun lange vor Freud komponiert, aber aus heutiger Sicht kommen da recht eindeutige Symbole zusammen.


    Ich kann das jetzt nicht an der DVD überprüfen, aber Ruth Berghaus ging seinerzeit in ihrer Frankfurter Inszenierung noch einen großen Schritt weiter und übertrug, da er im vierten Akt ja nichts zu singen hat, Ascagnes Aufgabe einem pantomimisch agierenden Amor. Das sah etwas albern aus, hat sich mir aber - vielleicht sogar deswegen - unauslöschlich eingeprägt. Ich unterstelle mal, dass sie damit auch an die im Libretto nicht explizit vorgesehene Rolle der Venus anspielte, die ja mit den Trojanern verbündet war und ihnen wohl wollte. Man darf ja nicht vergessen, dass der Trojanische Krieg ein Stellvertreterkrieg zwischen den Göttern war. Auf den überragenden Einfluss der Venus spielt auch Anna an, wenn sie Narbal sagt: L'amour est le plus grand des dieux". Zwar irrt sie darin, aber den gleichen Fehler hatte ja schon Paris gemacht.


    Dass Aeneas von Dido erst zum Ende des vierten Akts erhört wird, stimmt nicht. Das war ganz offensichtlich spätestens schon während der königlichen Jagd der Fall, und darauf spielt auch das eben angesprochene (auch sehr großartige) Duett zwischen Anna und Narbal an, wenn sie ihn darauf stößt, dass beide einander lieben. Der gesamte vierte Akt ist dann Ausdruck des daraus resultierenden, vorüber gehenden Glücks.


    Apropos Inszenierung: Cassandras Kurzauftritt am Ende der Oper geht allein auf den Regisseur oder Gardiner zurück, der einige kleine Veränderungen vorgenommen hat. Du solltest Dir mal die Extras der DVD ansehen, wo das im Detail erläutert und, wie ich finde, auch sehr gut begründet wird.


    Zitat


    Berlioz hat Klassssiches in Klassisches übersetzt- will sagen: auch im Hinblick auf die Sprachebene ist er ganz nah an Vergil geblieben.
    Allerdings finde ich seine Übersetzung und Nachdichtung für heutiges Französisch lange nciht so abseitig unverständlch wie die Wagners für heutiges Deutsch. das kann man nciht vergleichen, wie gross Berlioz Verehrung für Wagner und dessen Beispielhaftigkeit für ihn auch gewesen sein mochte.


    Wie schon gesagt: das widersprüchliche Verhältnis zwischen Wagner und Berlioz, der ironischerweise in seiner literarischen Verspottung von Wagners Zukunftsmusik (la musique de l'avenir) ungewollt die Vorlage für eine Parodie seines verachteten Gegners Jacques Offenbach geliefert hat, verdient einen eigenen Thread. Beide haben einander für ihr Talent und ihre Kompromisslosigkeit bewundert, aber überhaupt nicht als Vorbilder empfunden. Ganz im Gegenteil: beide bescheinigten einander wiederholt, dass der andere sich auf einem hoffnungslosen Irrweg befände. Dieser Antagonismus wurde zunehmend auch von interessierten Parteien benutzt und befeuert. So ist das starke Einsatz der Carolyne Sayn-Wittgenstein für die Schaffung der TROYENS, dem die Oper nach Berlioz' eigenem Bekunden vor allem zu verdanken war, nicht zuletzt davon befeuert worden, dass die Fürstin (und Lebensgefährtin von Franz Liszt) eine ausgeprägte Abneigung gegen dessen Freund Wagner hegte und Wagners Gigantomanie etwas Gleichwertiges entgegen setzen wollte.


    Aber das ist eine andere Geschichte.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Zitat

    Original von pbrixius


    Ascanio ist bei Mozart der Sohn der Venus und des Aeneas, also keine zufällige Namensgleichheit.


    Liebe Grüße Peter


    Den Göttern kann man wirklich kaum über den Weg trauen... Ascanio wäre demnach nämlich der Sohn seiner eigenen Grossmutter..... 8o

  • Zitat

    Original von Fairy Queen


    Den Göttern kann man wirklich kaum über den Weg trauen... Ascanio wäre demnach nämlich der Sohn seiner eigenen Grossmutter..... 8o


    Stimmt! :hahahaha:


    Das gibt dem Anagram zu "Ieova sanctus unus", nämlich "Ascanius Venus out" eine ganz eigene Bedeutung, aus der dann auch das weitere Anagramm "Tue Ascanius novus" einen mehrsprachigen Sinn gibt.


    :hello: Jacques Rideamus


  • Das Aufeinanderprallen des Abbate Giuseppe Parini (Librettist der Mozartoper) mit der griechischen Mythologie schafft schon einiges an Verwirrung.


    Normalerweise hält man sich wie der Hedrich an Livius, da ist Aeneas der Sohn von Anchises und Venus, Ascanius der Sohn der Creusa und des Aeneas. Aber wenn man sich mal unter dem Namen Iulus (Ascanius) umschaut ...


    Das macht griechische Mythologie eben so interessant, dass es da keine "orthodoxen" Texte gibt, sondern sich die unterschiedlichen Autoren verschiedenster Quellen bedienen - und am Ende auch wieder selbst etwas dazu schreiben, was sie für spätere Autoren zur Quelle macht ...


    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von pbrixius
    Normalerweise hält man sich wie der Hedrich an Livius, da ist Aeneas der Sohn von Anchises und Venus, Ascanius der Sohn der Creusa und des Aeneas. Aber wenn man sich mal unter dem Namen Iulus (Ascanius) umschaut ...


    Das macht griechische Mythologie eben so interessant, dass es da keine "orthodoxen" Texte gibt, sondern sich die unterschiedlichen Autoren verschiedenster Quellen bedienen - und am Ende auch wieder selbst etwas dazu schreiben, was sie für spätere Autoren zur Quelle macht ...


    Liebe Grüße Peter


    Mythos war im antiken Griechenland quasi "Work in Progress", oder vielleicht mit heutiger Fanfiction vergleichbar, wo jeder Autor auf einem Kanon aufbaut, aber die verschiedenen Personen nach Belieben verändern, austauschen, andere Akzente setzen kann, Nebenfiguren zu Hauptfiguren machen und umgekehrt, wie er gerade lustig ist. So ist z. B. der Kindsmord der Medea (wie Fairy Queen als Christa-Wolf-Leserin vielleicht schon weiß) erst von Euripides in dessen Medea-Drama als effektvolles Ende erfunden worden, hat sich dann aber schnell in den Kanon eingeschlichen. Auch die homerischen Epen haben natürlich, in kaum zu unterschätzender Weise, die griechische Mythologie entscheidend geprägt, ebenso Hesiod. Bei den frühgriechischen Mundartdichtern wie Alkman, Archilochos, Sappho..., die ungefähr zur gleichen Zeit lebten, findet man dagegen oft ganz andere Darstellungen.


    Wann tritt Cassandre in jener Inszenierung noch einmal auf? Unter den Schatten im fünften Akt, die Énée endgültig davon überzeugen, nach Italien abzufahren, taucht sie ja prinzipiell auf!
    Ich, der ich "Les Troyens" ja seit der Übertragung aus Salzburg kenne und also vor meinem Latein- und Altgriechischunterricht kennengelernt habe, war dann ziemlich enttäuscht von der spärlichen Erwähnung Kassandras in den antiken Quellen... :D


    Liebe Grüße,
    Martin

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  • Zitat

    Original von Philhellene


    Wann tritt Cassandre in jener Inszenierung noch einmal auf? Unter den Schatten im fünften Akt, die Énée endgültig davon überzeugen, nach Italien abzufahren, taucht sie ja prinzipiell auf!
    Ich, der ich "Les Troyens" ja seit der Übertragung aus Salzburg kenne und also vor meinem Latein- und Altgriechischunterricht kennengelernt habe, war dann ziemlich enttäuscht von der spärlichen Erwähnung Kassandras in den antiken Quellen... :D


    Liebe Grüße,
    Martin


    Ich bin kein großer Kenner der Literaturgeschichte oder der bildenden Künste, aber eine Recherche im Net scheint meinen Verdacht zu bestätigen, dass Kassandra seit der Antike kaum ein Thema in den sogenannten schönen Künsten war. Erst im 20. Jahrhundert holten Sartre, Giraudoux, die bereits erwähnte Christa Wolf und bezeichnenderweise auch die immer wieder von Hexen faszinierte Marion Zimmer Bradley in den Vordergrund.


    Was immer die - eigentlich hochinteressanten - Gründe dafür gewesen sein mochten (wenn sich mein Verdacht bestätigt), sie bestätigen die singuläre (?) Entscheidung von Hector Berlioz, sie aus der Fülle des Personals der Aeneis heraus zu greifen und ins Zentrum des Untergangs von Troja zu stellen, ganz zu schweigen von seiner Leistung bei der Darstellung dieser bewundernswerten Gestalt, die man, jedenfalls nach meinem Eindruck, allgemein eher als hysterische Unke verachtet, obwohl sich ihre Prophezeiungen sämtlich bewahrheiteten. Das Schlagwort von den Kassandrarufen hat ja bis heute eher einen dubiosen Beiklang.


    Oder täusche ich mich und es gibt zwischen der Antike und Berlioz doch eine ganze Reihe von künstlerischen Verarbeitungen dieser Figur, die über eine Erwähnung im Durchschreiten des Trojanischen Krieges allgemein hinaus gehten? Wenn ja, welche, und wie wird sie da geschildert?


    :hello: Jacques Rideamus

  • Zitat

    Original von Jacques Rideamus


    Oder täusche ich mich und es gibt zwischen der Antike und Berlioz doch eine ganze Reihe von künstlerischen Verarbeitungen dieser Figur, die über eine Erwähnung im Durchschreiten des Trojanischen Krieges allgemein hinaus gehten? Wenn ja, welche, und wie wird sie da geschildert?


    Lieber JR II,


    doch, die gibt es. In der Antike gibt es schon ein Epos von Lykophron, das ihren Namen trägt (Alexandra -> Kassandra). Im Mittelalter stand ihre prophetische Gabe im Mittelpunkt der Darstellung, in Herbort von Fritzlars "Lied von Troja" (ca. 1190) profezeit sie sogar den Messias und die Weltgeschichte bis zum Jüngsten Tag.


    Mit der Renaissance setzt das Bemühen um eine Erneuerung der Gestalt Kassandras ein, bei Boccaccio findet man sie in De claris mulieribus (1370/75), in seinem Filostrato (Mitte des 14. Jh.) stiftet er einen neuen Stoff, sie spielt eine Rolle im Troilus-und-Cressida-Stoff (s. Chaucer und Shakespeare). Seit dem 18. Jahrhundert nahm sie in der Darstellung von Agamemnons Tod eine wichtige Rolle ein.


    Selbstständig wurde ihr Stoff wieder im 19. Jahrhundert, so bei Schiller (Kassandra, 1802) und in Dramen von Zirndorf (1856) und Gessler (1877). Nun ist der Konflikt zwischen seherischem Auftrag und irdischer Liebe bestimmend.


    Auch am Ende und zu Beginn des 20. Jahrhunderts gibt es den Kassandra-Stoff in der Literatur, Bei Kastropp (Agamemnon, 1890) und König (Klytemnästra) wird sie zur aktiven Nebenbuhlerin Klytämnestras. Bei Pischinger (1903) und Eulenberg (1903) spielt ihre Liebe zu Koroibus bzw. zu Neoptolemos eine Rolle. Von Pérez gibt es 1910 ein Drama (Casandra), Paul Ernst (1915) gewinnt sie für den Noeklassizismus, hier ist Helena als amoralisch-göttliche Frau ihre Gegenspielerin.


    (Angaben nach Frenzel: Stoffe der Weltliteratur)


    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von Philhellene
    Ich, der ich "Les Troyens" ja seit der Übertragung aus Salzburg kenne und also vor meinem Latein- und Altgriechischunterricht kennengelernt habe, war dann ziemlich enttäuscht von der spärlichen Erwähnung Kassandras in den antiken Quellen... :D


    Lieber Martin,


    sie ist gar nicht so schwächlich in den antiken Quellen vertreten. Neben Homer sind es Kallimachos, Pindar und Aischylos, die ihr charakteristische Züge verleihen. Bei Euripides spielt sie in den Troerinnen eine nicht unerhebliche Rolle, das Epos von Lykophron habe ich schon in dem vorigen Beitrag erwähnt. Erst mit der römischen Rezeption der griechischen Mythologie schwinden ihre individuellen Züge, so dass sie bei Cicero als "Berufsberzeichnung" für Seherinnen diente und in der Spätantike mit Sibylle gleichgesetzt wurde.


    Liebe Grüße Peter


  • Lieber Peter,


    danke für diese Hinweise. Von antiken Stoffen wie Euripides' TROERINNEN, die ja auch von Aribert Reimann mit einer prominenten Kassandra veropert wurden, wusste ich natürlich, und auch zu dem Lykophron hatte ich bei Wikipedia einen interessanten Artikel gefunden. Neu war mir aber der BOCCACCIO und vor allem das Gedicht von Schiller, das Berlioz gekannt haben dürfte. Immerhin wusste er, dass Schiller etwa zu der Zeit, als er DIE RÄUBER schrieb, die Berlioz auch mal vertonen wollte, Teile der Aeneis übersetzt hatte, und das weist natürlich auch auf eine gewisse Präsenz der Figur zur damaligen Zeit hin:


    Kassandravon Friedruch von Schiller (1802)
    Freude war in Trojas Hallen,
    Eh die hohe Feste fiel;
    Jubelhymnen hört man schallen
    In der Saiten goldnes Spiel;
    Alle Hände ruhen müde
    Von dem thränenvollen Streit,
    Weil der herrliche Pelide
    Priams schöne Tochter freit.


    Und geschmückt mit Lorberreisern,
    Festlich wallet Schaar auf Schaar
    Nach der Götter heil'gen Häusern,
    Zu des Thymbriers Altar.
    Dumpf erbrausend durch die Gassen
    Wälzt sich die bacchant'sche Lust,
    Und in ihrem Schmerz verlassen
    War nur eine traur'ge Brust.


    Freudlos in der Freude Fülle,
    Ungesellig und allein,
    Wandelte Kassandra stille
    In Apollos Lorbeerhain.
    In des Waldes tiefste Gründe
    Flüchtete die Seherin,
    Und sie warf die Priesterbinde
    Zu der Erde zürnend hin:


    Alles ist der Freude offen,
    Alle Herzen sind beglückt,
    Und die alten Eltern hoffen,
    Und die Schwester steht geschmückt.
    Ich allein muß einsam trauern,
    Denn mich flieht der süße Wahn,
    Und geflügelt diesen Mauern
    Seh' ich das Verderben an.


    Eine Fackel seh' ich glühen,
    Aber nicht in Hymens Hand;
    Nach den Wolken seh' ich ziehen,
    Aber nicht wie Opferbrand.
    Feste seh' ich froh bereiten,
    Doch im ahnungsvollen Geist
    Hör' ich schon des Gottes Schreiten,
    Der sie jammervoll zerreißt.


    Und sie schelten meine Klagen,
    Und sie höhnen meinen Schmerz.
    Einsam in die Wüste tragen
    Muß ich mein gequältes Herz,
    Von den Glücklichen gemieden
    Und den Fröhlichen ein Spott!
    Schweres hast du mir beschieden,
    Pythischer, du arger Gott!


    Dein Orakel zu verkünden,
    Warum warfest du mich hin
    In die Stadt der ewig Blinden
    Mit dem aufgeschloßnen Sinn?
    Warum gabst du mir zu sehen,
    Was ich doch nicht wenden kann?
    Das Verhängte muß geschehen,
    Das Gefürchtete muß nahn.


    Frommt's, den Schleier aufzuheben,
    Wo das nahe Schreckniß droht?
    Nur der Irrthum ist das Leben,
    Und das Wissen ist der Tod.
    Nimm, o nimm die traur'ge Klarheit,
    Mir vom Aug den blut'gen Schein!
    Schrecklich ist es, deiner Wahrheit
    Sterbliches Gefäß zu sein.


    Meine Blindheit gib mir wieder
    Und den fröhlich dunklen Sinn!
    Nimmer sang ich freud'ge Lieder,
    Seit ich deine Stimme bin.
    Zukunft hast du mir gegeben,
    Doch du nahmst den Augenblick,
    Nahmst der Stunde fröhlich Leben -
    Nimm dein falsch Geschenk zurück!


    Nimmer mit dem Schmuck der Bräute,
    Kränzt' ich mir das duft'ge Haar,
    Seit ich deinem Dienst mich weihte
    An dem traurigen Altar.
    Meine Jugend war nur Weinen,
    Und ich kannte nur den Schmerz,
    Jede herbe Noth der Meinen
    Schlug an mein empfindend Herz.


    Fröhlich seh' ich die Gespielen,
    Alles um mich lebt und liebt
    In der Jugend Lustgefühlen,
    Mir nur ist das Herz getrübt.
    Mir erscheint der Lenz vergebens,
    Der die Erde festlich schmückt;
    Wer erfreute sich des Lebens,
    Der in seine Tiefen blickt!


    Selig preis' ich Polyxenen
    In des Herzens trunknem Wahn,
    Denn den Besten der Hellenen
    Hofft sie bräutlich zu umfahn.
    Stolz ist ihre Brust gehoben,
    Ihre Wonne faßt sie kaum,
    Nicht euch, Himmlische dort oben,
    Neidet sie in ihrem Traum.


    Und auch ich hab' ihn gesehen,
    Den das Herz verlangend wählt!
    Seine schönen Blicke flehen,
    Von der Liebe Gluth beseelt.
    Gerne möcht' ich mit dem Gatten
    In die heim'sche Wohnung ziehn;
    Doch es tritt ein styg'scher Schatten
    Nächtlich zwischen mich und ihn.


    Ihre bleichen Larven alle
    Sendet mir Proserpina;
    Wo ich wandre, wo ich walle,
    Stehen mir die Geister da.
    In der Jugend frohe Spiele
    Drängen sie sich grausend ein,
    Ein entsetzliches Gewühle!
    Nimmer kann ich fröhlich sein.


    Und den Mordstahl seh' ich blinken
    Und das Mörderauge glühn;
    Nicht zur Rechten, nicht zur Linken
    Kann ich vor dem Schreckniß fliehn;
    Nicht die Blicke darf ich wenden,
    Wissend, schauend, unverwandt
    Muß ich mein Geschick vollenden
    Fallend in dem fremden Land -


    Und noch hallen ihre Worte -
    Horch! da dringt verworrner Ton
    Fernher aus des Tempels Pforte,
    Todt lag Thetis' großer Sohn!
    Eris schüttelt ihre Schlangen,
    Alle Götter fliehn davon,
    Und des Donners Wolken hangen
    Schwer herab auf Ilion.


    Ich denke aber, wenn es außer der AENEIS selbst eine Inspiration für Berlioz gab, dann war es seine Kenntnis von Shakespeares TROILUS AND CRESSIDA, das er kurz nach Abschluss seines Librettos, offenbar aber auch vorher schon mehrfach gelesen hatte:


    "Ich bin aufgemuntert worden durch einige Worte des alten Nestor in Shalespeares Stück TROILUS UND CRESSIDA", das ich gerade noch einmal lese... "Schaut", sagt der alte Nestor, "Jupiter ist drüben. Er verteilt Leben..." (aus einem Brief vom 3. September 1856 an die Prinzessin Sayn-Wittgenstein)


    Sehr prominent ist Cassandra da aber auch nicht, hat sie doch nur knapp 20 Zeilen Dialog, die überwiegend der Warnung Hectors dienen, dass er im Kampf mit Achilles umkommen werde.


    Bis zum Beweis des Gegenteils bleibe ich also dabei: Berlioz' Leistung war eine genuine Neugestaltung auf der Basis der antiken Epen, und zudem noch eine fast vollkommene Eigenschöpfung in des Wortes doppelter Bedeutung. Allenfalls die fettgedruckten Zeilen Schillers lassen die emotionalen Abgründe ahnen, in die nicht nur die Troerin, sondern auch die Frau Cassandra hat blicken müssen. Sie auszugestalten und von einer belächelten Unke zu einer liebevollen, tragischen Frau zu machen, war eine seiner großen dichterischen Leistungen in dieser Oper, und das sowohl im poetischen wie im Sinne der Verdichtung.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Zitat

    Original von pbrixius


    Lieber JR II,


    doch, die gibt es. In der Antike gibt es schon ein Epos von Lykophron, das ihren Namen trägt (Alexandra -> Kassandra). ...
    Selbstständig wurde ihr Stoff wieder im 19. Jahrhundert, so bei Schiller (Kassandra, 1802) und in Dramen von Zirndorf (1856) und Gessler (1877). Nun ist der Konflikt zwischen seherischem Auftrag und irdischer Liebe bestimmend.


    Lieber Peter,


    danke für diese Hinweise. Von antiken Stoffen wie Euripides' TROERINNEN und den Bearbeitungen im 20. Jahrhundert, zu denen auch Aribert Reimanns Oper TROADES nach Euripides gehört, wusste ich natürlich, und auch zu dem Lykophron hatte ich bei Wikipedia einen interessanten Artikel gefunden. Neu war mir aber der BOCCACCIO und vor allem das Gedicht von Schiller, das Berlioz gekannt, aber wohl kaum inspiriert haben dürfte. Immerhin wusste er, dass Schiller etwa zu der Zeit, als er DIE RÄUBER schrieb, die Berlioz auch mal vertonen wollte, Teile der Aeneis übersetzt hatte, und das weist auf eine gewisse Präsenz der Figur zur damaligen Zeit hin:


    Kassandra
    von Friedrich von Schiller (1802)


    Freude war in Trojas Hallen,
    Eh die hohe Feste fiel;
    Jubelhymnen hört man schallen
    In der Saiten goldnes Spiel;
    Alle Hände ruhen müde
    Von dem thränenvollen Streit,
    Weil der herrliche Pelide
    Priams schöne Tochter freit.


    Und geschmückt mit Lorberreisern,
    Festlich wallet Schaar auf Schaar
    Nach der Götter heil'gen Häusern,
    Zu des Thymbriers Altar.
    Dumpf erbrausend durch die Gassen
    Wälzt sich die bacchant'sche Lust,
    Und in ihrem Schmerz verlassen
    War nur eine traur'ge Brust.


    Freudlos in der Freude Fülle,
    Ungesellig und allein,
    Wandelte Kassandra stille
    In Apollos Lorbeerhain.
    In des Waldes tiefste Gründe
    Flüchtete die Seherin,
    Und sie warf die Priesterbinde
    Zu der Erde zürnend hin:


    Alles ist der Freude offen,
    Alle Herzen sind beglückt,
    Und die alten Eltern hoffen,
    Und die Schwester steht geschmückt.
    Ich allein muß einsam trauern,
    Denn mich flieht der süße Wahn,
    Und geflügelt diesen Mauern
    Seh' ich das Verderben an.


    Eine Fackel seh' ich glühen,
    Aber nicht in Hymens Hand;
    Nach den Wolken seh' ich ziehen,
    Aber nicht wie Opferbrand.
    Feste seh' ich froh bereiten,
    Doch im ahnungsvollen Geist
    Hör' ich schon des Gottes Schreiten,
    Der sie jammervoll zerreißt.


    Und sie schelten meine Klagen,
    Und sie höhnen meinen Schmerz.
    Einsam in die Wüste tragen
    Muß ich mein gequältes Herz,
    Von den Glücklichen gemieden
    Und den Fröhlichen ein Spott!
    Schweres hast du mir beschieden,
    Pythischer, du arger Gott!


    Dein Orakel zu verkünden,
    Warum warfest du mich hin
    In die Stadt der ewig Blinden
    Mit dem aufgeschloßnen Sinn?
    Warum gabst du mir zu sehen,
    Was ich doch nicht wenden kann?
    Das Verhängte muß geschehen,
    Das Gefürchtete muß nahn.


    Frommt's, den Schleier aufzuheben,
    Wo das nahe Schreckniß droht?
    Nur der Irrthum ist das Leben,
    Und das Wissen ist der Tod.
    Nimm, o nimm die traur'ge Klarheit,
    Mir vom Aug den blut'gen Schein!
    Schrecklich ist es, deiner Wahrheit
    Sterbliches Gefäß zu sein.


    Meine Blindheit gib mir wieder
    Und den fröhlich dunklen Sinn!
    Nimmer sang ich freud'ge Lieder,
    Seit ich deine Stimme bin.
    Zukunft hast du mir gegeben,
    Doch du nahmst den Augenblick,
    Nahmst der Stunde fröhlich Leben -
    Nimm dein falsch Geschenk zurück!


    Nimmer mit dem Schmuck der Bräute,
    Kränzt' ich mir das duft'ge Haar,
    Seit ich deinem Dienst mich weihte
    An dem traurigen Altar.
    Meine Jugend war nur Weinen,
    Und ich kannte nur den Schmerz,
    Jede herbe Noth der Meinen
    Schlug an mein empfindend Herz.


    Fröhlich seh' ich die Gespielen,
    Alles um mich lebt und liebt
    In der Jugend Lustgefühlen,
    Mir nur ist das Herz getrübt.
    Mir erscheint der Lenz vergebens,
    Der die Erde festlich schmückt;
    Wer erfreute sich des Lebens,
    Der in seine Tiefen blickt!


    Selig preis' ich Polyxenen
    In des Herzens trunknem Wahn,
    Denn den Besten der Hellenen
    Hofft sie bräutlich zu umfahn.
    Stolz ist ihre Brust gehoben,
    Ihre Wonne faßt sie kaum,
    Nicht euch, Himmlische dort oben,
    Neidet sie in ihrem Traum.


    Und auch ich hab' ihn gesehen,
    Den das Herz verlangend wählt!
    Seine schönen Blicke flehen,
    Von der Liebe Gluth beseelt.
    Gerne möcht' ich mit dem Gatten
    In die heim'sche Wohnung ziehn;
    Doch es tritt ein styg'scher Schatten
    Nächtlich zwischen mich und ihn.


    Ihre bleichen Larven alle
    Sendet mir Proserpina;
    Wo ich wandre, wo ich walle,
    Stehen mir die Geister da.
    In der Jugend frohe Spiele
    Drängen sie sich grausend ein,
    Ein entsetzliches Gewühle!
    Nimmer kann ich fröhlich sein.


    Und den Mordstahl seh' ich blinken
    Und das Mörderauge glühn;
    Nicht zur Rechten, nicht zur Linken
    Kann ich vor dem Schreckniß fliehn;
    Nicht die Blicke darf ich wenden,
    Wissend, schauend, unverwandt
    Muß ich mein Geschick vollenden
    Fallend in dem fremden Land -


    Und noch hallen ihre Worte -
    Horch! da dringt verworrner Ton
    Fernher aus des Tempels Pforte,
    Todt lag Thetis' großer Sohn!
    Eris schüttelt ihre Schlangen,
    Alle Götter fliehn davon,
    Und des Donners Wolken hangen
    Schwer herab auf Ilion.


    Ich denke aber, wenn es außer der AENEIS selbst eine Inspiration für Berlioz gab, dann war es seine Kenntnis von Shakespeares TROILUS AND CRESSIDA, das er kurz nach Abschluss seines Librettos, vielleicht aber auch vorher schon las:


    "Ich bin aufgemuntert worden durch einige Worte des alten Nestor in Shalespeares Stück TROILUS UND CRESSIDA", das ich gerade noch einmal lese... "Schaut", sagt der alte Nestor, "Jupiter ist drüben. Er verteilt Leben..." (aus einem Brief vom 3. September 1856 an die Prinzessin Sayn-Wittgenstein)


    Sehr prominent ist Cassandra da aber auch nicht, hat sie doch nur knapp 20 Zeilen Dialog, die überwiegend der Warnung Hectors dienen, dass er im Kampf mit Achilles umkommen werde. Eher eine musikalische Inspiration war dann noch Spontinis OLYMPIE. Da kommt zwar auch ein Cassandre vor, aber der ist ein Mann und gilt als Mörder Alexanders des Großen, der unter anderem bei Lykophron mit Cassandra (Alexandra) in Verbindung gebracht wurde. Nebenbei: wer sich mittels einer frühen (kaum 40 Jahre älteren) Grand Opéra mit zeitlich ähnlichem Sujet ein Hörbild von Berlioz' Wurzeln machen möchte und auch davon, wie weit er über sie hinaus wuchs, sollte sich einmal, neben den Opern Glucks, diese Aufnahme von Spontinis Oper anhören, in der vor allem der zweite Akt begeistert und vor allem in der Chorbehandlung nicht selten auf Berlioz voraus weist:



    Bis zum Beweis des Gegenteils bleibe ich aber dabei: Berlioz' Leistung war eine genuine Neugestaltung auf der Basis der antiken Epen, und zudem noch eine fast vollkommene Eigenschöpfung in des Wortes doppelter Bedeutung. Allenfalls die fettgedruckten Zeilen Schillers lassen die emotionalen Abgründe ahnen, in die nicht nur die Troerin, sondern auch die Frau Cassandra hat blicken müssen. Sie auszugestalten und von einer belächelten Unke zu einer liebevollen, tragischen Frau zu machen, war eine seiner großen Leistungen in dieser Oper.


    :hello: Jacques Rideamus

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  • Ich habe mir gestern abend nun auch noch die hochinteressante Dokumentation auf der Gardiner/Kokkos DVd angesehen und Kassandra wird mir immer sympathischer.
    Wenn es echtes weibliches Heldentum in einer Oper gibt, dann haben wir das hier.
    In der Doku wurde gesagt, das reiche an Verdi-Heldinnen heran, aber wo ist denn bitte eine Verdi-Heldin, die an Kassandra heranreicht?


    Aufs zweite Hören komme ich auch viel besser in ihre Musik hinein und muss manches vorschnelle Urteil revidieren.
    Für mich sind "Les Troyens" dei Entdeckung des ujungen Jahres 2009 und von Null sofort auf Platz 2 meiner Opern-Bestenliste aufgestiegen.
    Und dabei habe ich allenfalls erst ein Drittel durchschaut, was sich da abspielt- ein umwerfendes Erlebnis.
    Falls es noch mehr solche Opern-Highlights für mich zu entdecken gibt, sagt mir bitte in etwa 6 Wochen Bescheid.
    Ein Ereignis dieser Grössenordnung im Vierteljahr ist genug.


    Ich bin insbesondere J.R. sehr dankbar für diese Initiation.


    F.Q.

  • Um noch einmal auf das Thema Liebesbeziehungen zurückzukommen, ist es vielleicht nicht uninteressant einen kurzen Blick auf die Liebesbeziehungen in den anderen beiden Opern zu werfen, die Berlioz komponiert hat. ("La Damnation de Faust", obwohl es ein großartiges Werk ist, lasse ich hier absichtlich weg, weil seine Zuordnung zur Oper nicht unumstritten ist und der Faust-Stoff eine eigene Tradition hat, mit der sich Berlioz auseinandersetzt, ähnlich verhält es sich auch bei den "Trojanern" ).


    Berlioz letzte Oper "Béatrice et Bénédict" (uraufgeführt 1862) entstand nach Shakespeares Drama/Lustspiel "Viel Lärm um nichts", und es ist zumindest interessant, dass der Komponist aus den Handlungen der Vorlage ausgerechnet die um Benedikt und Beatrice gewählt hat, obwohl die andere Handlung um Hero und Claudio für ein Opernlibretto vermutlich mehr hergegeben hätte. Er lässt diesen und weitere Handlungsstränge vollkommen weg, in der Oper reduziert sich das Geschehen darauf, dass ein für einander bestimmtes (oder zueinander passendes) Paar mit Hilfe seines Umfelds zusammenfindet, nachdem beide Betroffene offensichtlich nicht imstande oder bereit sind, das selbst zu herauszufinden.


    In den "Trojanern" dagegen ist das Problem, dass das politische Geschehen (und die Bestimmung des Schicksals) den Liebespaaren ihre Verbindung unmöglich macht. So betrachtet wäre "Béatrice et Bénédict" sozusagen ein Gegenstück zu den "Trojanern", da es hier um Privates geht und die Politik und anderes unwichtig sind.


    Die erste Oper "Benvenuto Cellini" (Uraufführung 1838) enthält eine Lovestory, die sich in der Vorlage selbst nicht findet. (Bei der Vorlage, mit der die Librettisten sehr frei umgegangen sind, handelt es sich immerhin um die Memoiren eines Renaissancekünstlers, somit eine eher ungewöhnliche Quelle für ein Opernlibretto.) Persönlich habe ich allerdings den Eindruck, dass die Handlung um den Künstler, der mit dem Guss seines Meisterwerkes über das bürgerliche, feindliche Umfeld siegt (im Vergleich zu anderen Opern mit Künstlerproblematik ein äußerst ungewöhnlicher Ausgang) und die Liebeshandlung nicht wirklich miteinander harmonieren. Läuft es zu Beginn darauf heraus, dass Cellini mit seiner Teresa in ein gemeinsames Leben flüchten möchte, dreht sich nach dem zweiten Akt alles darum, ob es Cellini innerhalb einer vorgegebene Frist und trotz einer Menge Hindernisse schafft, die Perseus-Statue zu gießen und damit sein Leben zu retten. (Beim Gelingen ist ihm allerdings auch die Hand der Geliebten zugesagt worden.)


    Hier wäre folgender Interpretationsansatz möglich. Die Liebesgeschichte hält Cellini vorübergehend davon ab, seinen Auftrag als Künstler zu erfüllen, wobei die Auflösung der Handlung um das Entstehen eines Kunstwerkes auch das Happyend für die Liebesgeschichte bedeutet. Wenn wir uns nun nicht exakt auf die Einzelheiten versteifen (Cellini und Aeneas sind als Figuren nicht wirklich miteinander vergleichbar), hätten wir zumindest eine Parallele zu den "Trojanern". Aeneas hat eine (im Unterschied zu Cellini allerdings politische) Aufgabe zu erfüllen, die durch die Liebesbeziehung zu Didon gefährdet ist.


    Herzliche Grüße
    Waltrada

    Il mare, il mare! Quale in rimirarlo
    Di glorie e di sublimi rapimenti
    Mi si affaccian ricordi! Il mare, il mare!
    Percè in suo grembo non trovai la tomba?


  • Lieber Peter!
    Erwähnung findet Kassandra immer wieder, wenn es um Troja oder um Agamemnons Tod geht, aber an Berlioz reicht das alles nicht heran (die Alexandra des Lykophron kenne ich nur dem Namen nach, zu der kann ich nichts sagen). Sicher, bei Homer und der frühgriechischen Lyrik darf man prinzipiell keine Charakterisierungen im modernen Sinn erwarten, aber das Überlieferte verdient dennoch das Prädikat "spärlich".
    Bei den attischen Tragikern ist sie schon präsenter, das stimmt, aber auch da sind es kurze Auftritte und nur in den Atridendramen, auch der Auftritt in den Troerinnen und die Erwähnung in der Hekabe beziehen sich auf ihr Ende. Die Rolle, die sie bei Berlioz im Fall Trojas spielt, ist zum größten Teil Berlioz'sche, wenigstens aber neuzeitliche Erfindung.


    Wobei man vielleicht noch erwähnen muss: Der Beginn des zweiten Aktes, wo sich die Frauen alle um den Altar der Athena-Kybele scharen, ist noch beeinflusst von der Überlieferung, nach der ja Ajax die Kassandra vom Altar weg vergewaltigt habe und daher mit Wahnsinn geschlagen worden sei.


    Liebe Grüße,
    Martin