Pietro Mascagni (1863-1945) komponierte 16 Opern. Im kollektiven Bewusstsein der Nachwelt überlebt haben, wenn man großzügig rechnet, drei (Cavalleria Rusticana, L’amico Fritz und Iris). Wenn man ehrlich ist, ist es wohl doch nur eine: Mit seinem Erstlingswerk, dem Einakter Cavalleria Rusticana, erlebte Pietro Mascagni im Jahr 1890 einen Sensationserfolg, der ihn über Nacht an die Spitze einer neuen Stilrichtung katapultierte: Der Verismo war geboren.
Er wirkte dabei stilbildend auf eine ganze Generation von italienischen Komponisten, der sogenannten Giovane Scuola, der zum Beispiel auch Leoncavallo, Giordano oder Cilea zuzurechnen sind. In der Folge hat man den Verismo häufig diffamiert als substanzarmes und gewalttätiges Unterschichtentheater, in dem der vordergründige Effekt über den musikalischen Gehalt dominiert. Zugleich hat man auch Mascagnis gesamtes musikalisches Schaffen reduziert auf satt dröhnende Orgeln am Ostersonntag und Dorffrauen, die hysterisch den Tod des Turiddu in das Publikum kreischen. Sicher ist das nicht gänzlich unberechtigt, aber eben auch nur ein Teil der Wahrheit. Mascagni selbst äußerte sich in späteren Jahren wenig erfreut darüber, immer nur auf die Rache von Santuzza und Alfio festgenagelt zu werden. Denn er schuf später noch einige andere, von der Cavalleria Rusticana recht verschiedene Werke. Um diese soll es hier gehen.
Über die beliebte und bekannte Cavalleria Rusticana gibt es bereits eigene Beiträge:
"Cavalleria rusticana" (Mascagni) & "Pagliacci" (Leoncavallo)
Cavalleria Rusticana CD-Empfehlung?
MASCAGNI, Pietro: CAVALLERIA RUSTICANA
TMOO - Cavalleria rusticana
Ich verweise daher hier nur vollständigkeitshalber kurz auf zwei Stereo-Aufnahmen, die ich für gut gelungen halte:
Nur ein Jahr nach der Cavalleria Rusticana präsentierte Mascagni seine zweite Oper: L’amico Fritz, ein freundliches heiteres Werk, dessen Handlung schnell erzählt ist: Fritz Kobus gilt als glücklicher Junggeselle. Anlässlich von Fritz’ Geburtstag wettet sein Freund, der Rabbiner David dennoch, dass Fritz innerhalb des nächsten Jahres heiraten werde. Und tatsächlich verliebt sich Fritz in Suzel, ein Bauernmädchen aus der Nachbarschaft. Im zweiten Akt pflücken beide gemeinsam Kirschen und kommen schließlich durch die trickreiche Vermittlung von David zusammen.
Mit seiner entspannten Gelassenheit enttäuschte oder irritierte L’amico Fritz die italienische Öffentlichkeit, die sich aus Mascagnis Feder wohl wieder Blut, Schweiß und Tränen versprochen hatte. Es handelt sich um eine sympathische kleine Oper, von der man keinen großen Tiefgang erwarten kann, die aber wegen ihrer eingängigen Melodik und ihrem stimmungsvollen, ländlichen Charme zu Recht heute noch gelegentlich aufgeführt wird.
Eine sehr gute Gesamtaufnahme ist die von Gianandrea Gavazzeni mit Mirella Freni und Luciano Pavarotti, das berühmte, wunderschöne Kirschenduett („Suzel, buon di“) liegt aber auch in zahlreichen historischen Aufnahmen großer Sänger vor, z.B. Favero/Schipa, Olivero/Tagliavini oder Baldisseri/Gigli.
Ein stärkeres Werk, das gute Chancen hätte, sich im Repertoire zu etablieren, ist Iris ( 1898 ). Ich persönlich gebe Mascagnis Iris gegenüber Puccinis deutlich populärerer Fernost-Tragödie Madama Butterfly den Vorzug.
Das Textbuch stammt aus der bewährten Libretto-Schmiede von Luigi Illica, der die Oper in Japan ansiedelt. Der Tenor hat hier die Rolle des rücksichtslosen Verführers Osaka. Er hat bei Kyoto, dem Betreiber eines Geisha-Hauses, die unschuldige Dorfschönheit Iris „bestellt“. Während eines Puppenspiels, bei dem Osaka als Jor, der Sohn der Sonne, auftritt, entführen die Männer Iris. Zurück bleibt Iris’ blinder, alter, aber besitzergreifender Vater. Er glaubt Iris habe ihn freiwillig verlassen und verwünscht seine Tochter. Im zweiten Akt erwacht Iris im Geisha-Haus des Kyoto. Dort erwartet sie bereits der lüsterne Osaka, den die naive Iris aber noch für den Sohn der Sonne hält. Als Iris auf Osakas Versprechungen von Gold und schönen Kleidern nicht eingeht, sondern sich nur weinend in ihr Dorf zurückwünscht, verliert Osaka schnell das Interesse an ihr. Kyoto nutzt die Gunst der Stunde und stellt Iris auf dem Balkon seines Geisha-Hauses als Lustobjekt für die Passanten zur Schau. Da erscheint der Blinde und beschimpft seine Tochter aufs Äußerste. Die verzweifelte Iris stürzt sich in den Abgrund. Im letzten Akt sieht man nachts an einer Kloake Lumpensammler umherziehen. Im Schlamm entdecken sie die sterbende Iris. In ihrer Fantasie erscheinen Iris ein letztes Mal Osaka, Kyoto und der Blinde, die drei Männer, die sie mit ihrem Egoismus zugrunde gerichtet haben. Beim Aufgang der Sonne stirbt Iris.
Das Echo, das Iris erfahren hat, ist gespalten. Teilweise hat man insbesondere das Libretto für ein weiteres Beispiel des um die Jahrhundertwende verbreiteten Fernost-Kitsches gehalten. Illicas etwas dekadente, blumenreiche Sprache und auch das Finale, in dem Iris mit geöffenten Armen die Sonne begrüßt und so endlich ihre Erlösung findet, mag manchem nüchternen Betrachter etwas sauer aufstoßen. Iris selbst ist auch ein sehr schwacher Charakter und bleibt stets nur ein Spielball der drei dominierenden Männer. Ich mag Iris aber doch gerne. Meines Erachtens kann man die Oper auch als symbolistisches, traumhaftes Werk begreifen. Die Qualität der Oper liegt in Mascagnis farbiger Instrumentation, er verwendet auch exotische Instrumente wie Gongs oder Glockenspiele und nimmt insofern den Exotismus von Puccinis später entstandenen Fernost-Opern Madama Butterfly und Turandot vorweg. Auch melodisch ist die Oper sehr attraktiv. Die Sonne eröffnet und beschließt die Oper in Gestalt eines prächtigen Chores hinter der Bühne. Die bekannteste Einzelnummer ist wohl das Lied des Jor, das Osaka im ersten Akt während des Puppenspiels singt („Apri la tua finestra“). Der junge Beniamino Gigli hat eine Aufnahme von verführerischer Leichtigkeit hinterlassen. Die Partie des Osaka ist wegen seiner hohen Tessitur unter Tenören gefürchtet.
Unter den Gesamtaufnahmen ist die Einspielung von Giuseppe Patané mit Ilona Tokody und Placido Domingo sehr verdienstvoll, da sie das Werk auch klanglich angemessen zur Geltung bringt. Man kann hier aber gut mit zwei historischen Aufnahmen ergänzen: einmal (ohne Bild) eine von Angelo Questa dirigierte RAI-Aufnahme aus dem Jahr 1956 mit einer fabelhaften Magda Olivero und dann noch einen gleichaltrigen feurigen Livemitschnitt aus der Scala unter der Leitung von Gianandrea Gavazzeni mit Clara Petrella, Giuseppe Di Stefano und Boris Christoff.