Pelageya Kurennaya - (nur) eine Rodion-Shchedrin-Sängerin?

  • In seinem höchst interessanten Thread „Entdeckungen : Neue Stimmen“ stellte Caruso41 eine Liste derjenigen Sängerinnen und Sänger auf, von denen er den Eindruck hatte, aus der Phase, eine Entdeckung zu sein, definitiv herausgewachsen zu sein. Es sei an der Zeit, in dem Kapitel „Die berühmte Stimme – Sängerportrait“ einen jeweils eigenen Thread zu eröffnen, um sich besser über den Sänger, die Stimme und den Gesang austauschen zu können. Zu den Sängerinnen, die es seiner Meinung nach geschafft hätten, weil sie an einem renommierten Opernhaus erste Partien sängen oder in CD- bzw. DVD-Produktionen mitwirkten, zählte er auch die (mit 30 Jahren noch) junge russische Sopranistin Pelageya Kurennaya. Mit Vergnügen fange ich diesen Ball auf und versuche sie, deren Stimme es mir sehr angetan hat, vorzustellen.


    Bevor ich eine neue Stimme vorstellen möchte, eine notwendige Vorbemerkung. Beim Hören einer neuen Stimme, ob in Oper oder Konzert, ob als Juror oder Zuhörer bei Gesangswettbewerben ist für mich das Timbre einer Stimme ausschlaggebend. Werde ich davon angesprochen, bleibt es im Ohr haften oder rutscht es durch die Ohren? Bei Wettbewerben ergibt sich dann (zumindest für mich) die nächste Frage, ob die Stückauswahl zur Stimme, zum Fach passt. Ich bekenne mich schuldig, dass dies für mich sehr wichtig ist. Weiß der Sänger / die Sängerin, wer oder was er / sie ist? Dies als Vorbemerkung, um mein Interesse an der nun vorzustellenden Sängerin zu verstehen.


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    Rodion Shchedrin & Pelageya Kurennaya nach der Prager "Lolita"-Premiere (Foto : Peter Schünemann)


    Der Name dieser jungen Dame ist Pelageya Kurennaya und war mir bis November 2015 total unbekannt, obwohl ich mir einbildete, durch meinen Kontakt zum St. Petersburger Mariinsky-Theater einen guten Ûberblick über die Künstler dieses Opernhauses zu haben. Am 15. November 2015 war ich aus Finnland angereist um den für seine Vorliebe für Marathon-Konzerte bekannten Dirigenten Valery Gergiev mit 5 Konzerten an einem einzigen Tag (!) zu hören, in deren Mittelpunkt die Klavierkonzerte Prokofievs standen. In einem dieser Konzerte gab es als Reverenz für den in München lebenden Komponisten Rodion Shchedrin dessen Romanze für Sopran und Streicher mit dem Titel "Tanya-Katya" - übrigens die einzigen Worte dieser etwa 15minütigen Romanze. Solistin : Pelageya Kurennaya, die mich von den ersten Tönen an faszinierte. Eine junge Stimme (damals was die Sängerin 25 Jahre jung), die ich auf Grund der relativ dunkel timbrierten Mittellage sofort in die "Schublade" Lyrischer Sopran steckte. Dieses Stück erfordert einen enormen Stimmumfang : von tiefen Tönen wie für eine Altistin bis hin zu Höhen in forte und piano, so dass klar wurde, dass der Komponist für dieses Konzert die Wahl hatte zwischen einem Mezzosopran mit guter Höhe und einem Sopran mit guter Tiefe. Es was bewundernswert, wie Pelageya Kurennaya ihren ausserordentlich apart timbrierten Sopran vollkommen natürlich durch die schwierige Tessitura führte - vollkommen natürlich, weil sie ihre Stimme nicht künstlich in die Alt-Regionen herunter presste und die Höhen schlank, aber strahlkräftig nahm.



    Nach dem Konzert ging ich mit Rodion Shchedrin, mit dem ich bekannt war, hinter die Bühne, machte der jungen Dame Komplimente und fragte u.a. nach ihrem "Fach". Anstatt ihrer antwortete der Komponist : "Sie kann sehr hoch singen". Diese Aussage bekommt ihren Sinn dadurch, dass Pelageya Kurennaya nur wenige Wochen nach diesem Münchner Konzert am Mariinsky-Theater die Hauptrolle in Shchedrins letzter Oper "The Christmas Tale" sang : Zamarashka, eine Partie, die vom Komponisten in einer sehr hohen Tessitura geschrieben wurde, dazu alles im pianissimo oder maximal piano zu singen. Ich hörte Pelageya Kurennaya einige Male in dieser Rolle und kann sagen, dass sie alle Anforderungen perfekt meistert, aber - und das ist ein großes ABER - sie muss ihre Stimme dieser Tessitura und den Dynamikvorschriften anpassen und kann ihre wahre Stimme, also die eines lyrischen Soprans, nicht zeigen.




    Inzwischen fügte Pelageya Kurennaya eine weitere Hauptrolle in einer Shchedrin-Oper ihrem Repertoire hinzu. Im Oktober 2019 führte das Prager Ständetheater dessen nur selten gespielte Oper „Lolita“ auf, ein Werk, das dem Mariinsky-Theater noch in seinem Repertoire fehlte, so dass es die gesamte Produktion aufkaufte und es bereits im Februar 2020 zur Premiere brachte. Wie in Prag so war auch in St. Petersburg Pelageya Kurennaya in der Titelrolle zu erleben, für die sie alle Voraussetzungen mitbrachte : Jugendlichkeit in Erscheinung und Timbre, eine stets sichere Technik, die ihr das Singen in der wie bei Shchedrin üblichen sehr hohen Tessitura erlaubte sowie ein starke dramatische Ausstrahlung. Kein Wunder, dass der Komponist sie nach der Premiere als seine Lieblingssopranistin bezeichnete.


    Die "Lolita" - Produktion ist übrigens inklusive der beiden Protagonisten Pelageya Kurennaya und Petr Sokolov für die "Goldene Maske" nominiert worden, Russlands bedeutendsten Theaterpreis. Am 8. Februar 2021 gastierte man damit am Moskauer Bolshoi-Theater. Mit "Sadko" in der Regie Dmitry Cherniakovs gibt es gewichtige Konkurrenz, und auch die Volkhova dieser Produktion Aida Garifullina hat bereits einen international bekannten Namen. Ende April wird bekannt gegeben, welches Theater sich mit diesem Preis schmücken darf.







    Mit Sicherheit war es für Pelageya Kurennaya ein Glücksfall, am Mariinsky-Theater in Hauptrollen von Opern dieses Komponisten eingesetzt zu werden. Doch die Webseite dieses Theaters führt sie nur als Gast, und sie wird dort hauptsächlich in Partien vom Kaliber wie „Herr Graf, die Pferde sind gesattelt“ eingesetzt. Ich denke, die folgenden Videos zeigen, dass sie, die ich als Lyrischen Sopran mit Koloratur einordnen würde, mehr ist als nur eine Shchedrin-Sängerin und es demzufolge ein reiches Repertoire an diesem Haus gebe. Aber……






    Beste Grüße aus Finnland


    Peter Schünemann



  • Lieber Peter Schünemann!


    Dein Text belegt eindrücklich, dass es berechtigt war, Pelageya Kurennaya auf die Liste der Sänger zu setzen, die aus der Phase, eine Entdeckung zu sein, definitiv herausgewachsen sind. Das wird sicher auch andere Opernaficionados und Melomanen ermutigen, weitern Sängern aus dem NEUE-STIMMEN-Thread eine eigenen Thread einzurichten!


    Von Freunden die die Sängerin in Prag gehört haben, bekam ich sehr begeisterte Berichte. Die von Dir eingestellten Aufnahmen sind durchaus geeignet, deren Begeisterung Glauben zu schenken. Ich bin sehr gespannt. Wo und wann ich sie 'in the flesh' hören kann, ist leider gegenwärtig ganz offen. Aber noch ist ja Pelageya Kurennaya sehr jung. Da werden sich Gelegenheiten ergeben.


    Beste Grüße


    Caruso41



    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Die freundlichen Worte, die Caruso41 für meinen Beitrag gefunden hat, ermutigen mich diesen durch weitere Informationen zu ergänzen.

    Wie ich schrieb, war mir Pelageya Kurennaya unbekannt, als ich sie im November 2015 erstmals hörte, jedenfalls dachte ich dies. Doch ich hatte mich geirrt und lediglich vergessen, dass ich im Frühjahr desselben Jahres die ehrenvolle Aufgabe hatte, in der St. Petersburger Vorausscheidung für den estnischen Klaudia-Taev-Gesangswettbewerb in der Jury zu sitzen. Daran nahm auch Pelageya Kurennaya teil, sang die erste Lucia-Arie und eine der beiden Oscar-Arien aus "Ballo in maschera" - und hinterließ bei mir einen zwiespältigen Eindruck. In meinen Notizen vermerkte ich : "Sehr apartes, durchaus individuelles Timbre. Jedoch : falsche Stückauswahl. Keine Koloratursängerin, sondern ein lyrischer Sopran, der auch Koloraturen singen kann". Ich stimmte weder mit Ja noch mit Nein, und da sie auch bei meinen Kollegen keine Zustimmung fand, war sie nicht zum Wettbewerb zugelassen.


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    Pelageya Kurennaya mit ihrer Lehrerin Tamara Novichenko, St. Petersburg, April 2016 (Foto : Peter Schünemann)


    Essentiell für jeden jungen Sänger ist die richtige Selbsteinschätzung, wer oder was er/sie ist. Bei Pelageya Kurennaya muss man wissen, dass sie am St. Petersburger Rimsky-Korsakov-Konservatorium bei Tamara Novichenko studierte, die auch die Lehrerin Anna Netrebkos und der Cardiff-Gewinnerin Nadine Koucher gewesen ist. Auch eine Anna Netrebko wurde von ihr für einen hohen Koloratursopran gehalten und sang demzufolge für Valery Gergiev die Königin der Nacht vor, der ihr daraufhin Susanna für ihr Debüt am Mariinsky-Theater gab. So findet man auf diversen You Tube-Kanälen Pelageya Kurennayas viele Videoclips mit Arien aus dem Belcanto-Repertoire.




    Noch während ihres Studiums war Pelageya Kurennaya dem russischen Dirigenten Mariss Jansons empfohlen worden, der sie nach erfolgreichem Vorsingen einlud, an zwei konzertanten Aufführungen von "Pique Dame" in München und Luxemburg mitzuwirken, in denen sie die Rolle der Prilepa sang. Davon existiert eine CD.



    Dies war ihr offizielles Debüt. Im Mai 2016 sang sie dieselbe Partie wieder unter Mariss Jansons, aber in der Regie von Stefan Herheim in Amsterdam. Auch diese Produktion gibt es auf DVD.



    Auch ihr Bühnendebüt am Mariinsky-Theater erfolgte in "Pique Dame", allerdings nicht als Prilepa, sondern in der unbedeutenderen Rolle der Masha. Später bekam sie auch dort Prilepa zu singen. Dass es bei einer einzigen Vorstellung blieb, war zwar Pech, sagt aber auch sehr viel über die Behandlung von Künstlern am Mariinsky-Theater aus. Pelageya Kurennaya war für eine weitere Prilepa angesetzt und flog Tage vor dieser Aufführung zu einem Vorsingen nach London. Da sie für die kleineren Partien an diesem Opernhaus umgerecnet etwa 250 € als Gage erhielt, hatte sie sich keinen teureren Direktflug nach bzw. von London geleistet, so dass der Rückflug ein Umsteigen in Chisinau / Moldova vorsah. Alles wäre gut gegangen, sie wäre pünktlich in St. Petersburg angenommen, wenn nicht ein Schneesturm in Chisinau (im April!) den Weiterflug verhindert gehabt hätte. Als sie das Theater über diese Unbill informierte, hatte sie gleich das Gefühl, dass man ihr dort diese Absage übel nehmen und sie nicht noch einmal als Prilepa ansetzen würde. So kam es denn auch; seitdem gab mir ihr wieder die (ungeliebte) Rolle der Masha!!!


    Wie war es aber dazu gekommen, dass sie im Dezember 2015 in der Welturauffürung der Shchedrin-Oper "The Christmas Tale" die weibliche Hauptrolle Zamarashka zu singen bekam? Dieses Stück ist eine Art "Cinderella à la Russe", in der die 12 Monate des Jahres Zamarashka auf ihrem Weg beschützen. Die Studentin Pelageya Kurennaya war als einer der 12 Monate vorgesehen und sang ihren Part dem Komponisten vor. Dieser forderte sie auf, einen weiteren der Monate zu singen, noch höher in der Tessitura, woraufhin die junge Sängerin meinte, sie könne ihm auch die Zamarashka vorsingen, sie habe bereits Teile davon für sich studiert. Offensichtlich fand der Komponist Gefallen daran, denn sie wurde nun beauftragt, die gesamte Partie zu studieren. Wie es am Mariinsky-Theater so Usus ist, erfuhr sie offiziell erst in der Nacht vor der Premiere, dass sie auserkoren sei, diese in dieser zu singen.


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    Pelageya Kurennaya & Valery Gergiev nach Shchedrins "Tanya-Katya" in Mikkeli 2017 (Foto : Peter Schünemann)


    Vorher noch hatte sie den Auftrag erhalten, Shchedrins "Tanya-Katya" zu studieren, diese Romanze, mit der ich sie im November 2015 erstmals gehört hatte. Seitdem sang sie diese mehrfach, sowohl in der Fassung für Streichorchester als auch für Piano, wovon es einen Mitschnitt mit dem Pianisten Mikhail Pletnev gibt.



    Wie man sieht, waren die Anfänge mit Auftritten unter Mariss Jansons und Valery Gergiev viel versprechend, doch es ging nicht im selben Tempo weiter. Davon später mehr...


    Beste Grüße aus Finnland


    Peter Schünemann

  • Vermutlich wird sich Carusos41 Hoffnung nicht erfüllen, ein eigens Pelageya Kurennaya und anderen gewidmeter Thread würde zu einem Austausch über diese Sänger führen. Trotzdem möchte ich meinen Beitrag fortsetzen. Vielleicht regen meine Bemerkungen zu den Themen Agenten, Vorsingen und Gesangswettbewerbe doch zu einer Diskussion an. Ich lasse mich mal überraschen.


    Agenten

    Bei meinem ersten privaten Treffen mit dieser Sopranistin in St. Petersburg, nur kurze Zeit nach unserer ersten Begegnung in München, fragte sie mir "Löcher in den Bauch", u.a. auch über Agenten. Mein Rat damals war, nicht Zeit und Geld zu investieren, um Agenten hinterher zu laufen. Ich nahm an, dass das Mariinsky die Talente dieser jungen Dame erkennen, sie vorsichtig aufbauen, ihr nach und nach größere Fachpartien anvertrauen und sie sogar mit auf Tournee nehmen würde. Dabei würde sie mit Sicherheit irgendwelchen Agenten auffallen. Meine Vorhersage erwies sich als Trugschluss. Das Mariinsky baute sie nicht auf, sondern "benutzte" sie für zeitgenössische Musik wie Shchedrin oder Raskatov, obwohl jeder Profi eigentlich merken müsste, dass ihre Qualitäten in einem anderen Fach sogar besser zum Vorschein kämen. Also war entgegen meiner Prophezeiung doch das Suchen nach einem Agenten angesagt.


    Zum Glück "biss" ein Agent an. Nachdem er das Video vom Münchner Konzert mit Shchedrins "Tanya-Katya" gesehen hatte, meinte der finnische Agent Pekka K. Pohjola, der die meisten großen finnischen Sänger mit seiner Allegro Artists-Agentur vertrat, dieses Mädchen hätte alles für eine internationale Karriere. Er würde sehr gerne für sie und mit ihr arbeiten. Natürlich würde er sie aber auch "live" hören. Ob sie zu einem Vorsingen nach Helsinki kommen könnte? Pohjola hatte extra den Cello-Saal in Espoo organisiert, dazu seine Frau Marita Viitasalo, damals die ständige Klavier-Begleiterin u.a. Soile Isokoskis. Pelageya Kurennaya "kam, sang und siegte". Natürlich wollte der Agent sie mit Mozart hören, und ihre Susanna kommentierte er mit "first class".



    Außerdem sang sie aus ihrem Standard-Repertoire Louise, Amina und die Zarenbraut-Marfa.




    Danach stand für den Agenten fest, er würde sie unter seine Fittiche nehmen. Er fragte Pelageya Kurennaya sogar, ob sie noch einen weiteren Tag in Helsinki bleiben könnte. Er würde sie gerne einigen einflussreichen finnischen Dirigenten vorstellen. Aus dem Vorsngen für Hannu Lintu, damals Chef des Finnischen Radio-Sinfonieorchesters, heute Chefdirigent der Finnischen Nationaloper, resultierten zwei Einladungen, zum einen ihr US-Debüt mit dem St. Louis Symphony Orchestra (Rachmaninoff, The Bells) und in Helsinki das Sopran-Solo in Mahlers Vierter, beide Male unter Hannu Lintu.


    Als Pekka K. Pohjola seine Agentur aus Altersgründen aufgab, interessierte sich ein weiterer finnischer, aber in Deutschland ansässiger Agent für Pelageya Kurennaya und versprach ihr, sie in 2 bis 3 Jahren an die Met zu bringen. Sicher war nicht diese Aussicht ausschlaggebend, sondern die Kombination aus Mariinsky-Standbein und ausländischen Gastengagements, die sie den ihr angebotenen Exklusiv-Vertrag für 2 Jahre unterschreiben ließ. Ein Fehler, denn außer der Vermittlung von Vorsingen brachte dieser Agent keinen einzigen Kontrakt zustande. Selbst ein Agentur-Vorsingen, bei dem die Verantwortlichen vieler Häuser die Sänger mit Punkten beurteilten und Pelageya Kurennaya mit dem zweitbesten Ergebnis abschloss, brachte kein Ergebnis. Eine verlorene Zeit, und so machte die Sängerin sich wieder auf die Suche, was sich in dieser Coronavirus-Zeit natürlich als zusätzlich schwierig erwies. Trotzdem fand sich eine neue Agentin, die sich trotz dieser für Engagements so wiedrigen Zeit nicht abhalten ließ, diese junge Russin in ihren "Stall" aufzunehmen. Es ist eine Agentin mit einem ganz bekannten Namen : Silvana Sintow-Behrens, Tochter und Schwiegertochter zweier weltberühmter Sopranistinnen. Hoffen wir, dass es ihr nach Corona gelingen wird, eine Karriere im westlichen Ausland in Gang zu bringen, denn nach ihrer Nicht-Beachtung und -Berücksichtigung am Mariinsky-Theater ist es Pelageya Kurennaya nicht zu verdenken, dass sie ihre Zukunft nicht in Russland sieht. Die Fähigkeiten dazu hat sie nicht nur meiner Meinung nach. Das Hauptproblem ist jedoch, dass es junge Sängerinnen ihres Fachs, des lyrischen Soprans mit Koloratur, "wie Sand am Meer" gibt.


    Ûber Vorsingen und Gesangswettbewerbe demnächst mehr.


    Beste Grüße aus Finnland


    Peter Schünemann

  • Ein Agent, wenn er sich nicht gerade seine Bereitschaft, überhaupt für einen Künstler zu arbeiten, durch eine Grundgebühr bezahlen lässt, verdient normalerweise nur durch die Vermittlung, in Form einer Kommission in Höhe von 10 - 15 %. Noch vor Ausbruch des Coronavirus ersann ein weiterer finnischer, in Deutschland ansässiger Agent, ein ehemaliger Tenor, ein interessantes Geschäftsmodell : Er veranstaltet sog. Workshops, in denen er mit seiner Partnerin die jungen Sänger unterrichtet. Dies allein macht die Sache nicht besonders aufregend, doch attraktiv wird die Veranstaltung dadurch, dass jeder Workshop mit einem Vorsingen für einen für die Besetzung an Opernhäusern Verantwortlichen endet. Zwei Fliegen werden mit einer Klappe geschlagen.


    An zweien dieser Workshops nahm auch Pelageya Kurennaya teil, obwohl sie krankheitsbedingt nicht optimal disponiert war. Der Agent war auch durchaus interessiert, sie zu vertreten, doch nicht als lyrischen Sopran, sondern als lyrischen Mezzosopran. Er, der nicht nur als Agent, sondern auch als ehemaliger Tenor eigentlich Profi genug sein müsste, hielt sie also auf Grund ihrer relativ dunklen Mittellage (und ihrer Indisposition) für eine Mezzosopranistin. Folgerichtig begann er, mit ihr an Carmen, Cherubino etc. zu arbeiten. Aber vielleicht schätze ich diesen Agenten auch völlig falsch ein. Vielleicht ist er ja viel "smarter" als ich dachte, in weiser Erkenntnis, dass sich ein lyrische Mezzosopran leichter vermitteln lässt als ein lyrische Sopran.




    Dies sind zwei ganz neue Aufnahmen mit Pelageya Kurennaya aus einem St. Petersburger Konzert vom Februar 2021, die nicht nur ihre Entwicklung zeigen, sondern auch, dass sie zumindest nach meiner Meinung ein Sopran ist.

    Auch ihr Musette-Walzer klingt nicht nach Mezzosopran!



    Pelageya Kurennaya hat Lehrgeld zahlen müssen. Sie hat diverse Vorsingen trotz Indisposition absolviert und hat lernen müssen, dass sie nach einem nicht erfolgreichen Vorsingen "verbrannt" ist und kein zweites angeboten bekommt. Verständlich, dass sie solche Termine trotzdem wahrnehmen wollte, denn angesichts ihrer Mariinsky-Gage zwischen 250 und 900 € (letztere für die Titelrolle in "Lolita"!) wäre die Absage von Flug und Hotel ein großer finanzieller Verlust gewesen. Was wiegt schwerer?


    Beste Grüße aus Finnland


    Peter Schünemann

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  • Ich bekomme zwar anhand von kurzen Youtube Schnipseln einen Eindruck über die Stimme, allerdings erfahre ich kaum etwas über die Bühnenpräsenz der Sänger.


    Mit Pelageya Kurennaya gibt es eine ca. sieben Jahre alte szenische Aufführung von Jacques Offenbachs Operette

    "Le Fifre enchanté ou Le soldat magicien" mit dem deutschen Titel "Die kleine Zauberflöte" bzw. "Der Regimentszauberer". Sie ist in der Rolle des Dienstmädchens Ninetta zu sehen/hören


    Teil 1


    Teil 2

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Lieber Orfeo!


    Danke für Deinen Beitrag. Dieses Video stammt aus einer Aufführung des St. Petersburger Rimsky-Korsakov-Konservatoriums (zu sehen ist auch der Mariinsky-Tenor Artem Melikhov), und in der Tat vermittelt es einen kleinen Eindruck von Pelageya Kurennayas Bühnenpräsenz, von ihrem quirligen Temperament selbst in dieser kleinen Rolle.


    Ich habe Pelageya Kurennaya seit 2015 in diversen Bühnenaufführungen und Solokonzerten erlebt, und in allen hatte ich den Eindruck eines "Bühnentiers", das sich auf der Bühne wohlfühlt. Mezzo TV hat kürzlich den "Feurigen Engel" aus dem Mariinsky-Theater übertragen, in dem Pelageya Kurennaya im 5. Akt einen Kurz-Auftritt als 2. Nonne hat, mehr eine Rolle, die darzustellen ist, als dass man auf ihre Stimme aufmerksam wird. Auch wenn Mezzo verschämt wegblendet, wenn diese Nonne sich in Extase die Kleider vom Leib reißt und die Sängerin einen kurzen Moment zu sehen ist, wie Gott sie schuf (dies ist die Originalinszenierung David Freemans aus dem Jahre 1993), kann man in dieser kurzen Szene doch beispielhaft die Intensität ihres Spiels sehen.


    Zwar habe ich Haus-Videos von allen "Lolita"-Vorstellungen am Mariinsky-Theater, doch die sind nicht für die Veröffentlichung bestimmt. Schade, dass es von dieser auch sonst so sehenswerten Produktion (Regie : Slava Daubnerova) keinen offiziellen Mitschnitt gibt. Wenn man weiß, dass Shchedrin und der Dirigent Mstislav Rostropovitch vor der Stockholmer Uraufführungen alle Lolita-Kandidatinnen im Badeanzug haben vorsingen lassen, kann man sich vorstellen, welch ein Glücksfall Pelageya Kurennaya für diese Rolle ist, vollkommen glaubhaft in ihrer mädchenhaften Erscheinung. Ich denke, dass die paar "Lolita"-Schnipsel einen guten Eindruck von ihrer perfekten Eignung für diese Partie vermitteln.


    Danke für Deinen Beitrag. Es tut gut, sich mit jemandem auszutauschen. Ich kann nicht erwarten, dass jeder meine "Antenne" für diese Stimme hat, meine Begeisterung teilt. So ist ein guter Freund von mir aus Hamburger Zeiten Mitglied in diesem Forum, auf dessen große Kenntnis von Stimmen ich viel Wert lege. Im Gegensatz zu mir kann er ihr nichts abgewinnen - sie ist für ihn OK, aber nicht mehr. Da auch professionelle Stimmenbeurteiler (der vorher genannte Agent, der sie als Mezzosopran sah; ein weiterer Vokalcoach, der sie mit Donna Elvira betrauen wollte) mich mit ihren Aussagen eher verunsicherten, bin ich für jeden Eindruck dankbar - ob er nun meinen eigenen bestätigt oder ihm widerspricht.


    Beste Grüße aus Finnland


    Peter Schünemann

  • Vermutlich wird sich Carusos41 Hoffnung nicht erfüllen, ein eigens Pelageya Kurennaya und anderen gewidmeter Thread würde zu einem Austausch über diese Sänger führen.

    Da darfst Du die Hoffnung nicht aufgeben.


    Sicherlich wirst Du schon gemerkt haben, dass die Mehrzahl der Melomanen und Stimmenliebhaber im Forum sich so gut wie gar nicht zu Stimmen äußern, die sie nicht schon lange kennen. Vor allem Sänger, die - wie man in der Wissenschaft sagen würde - ein "abgeschlossenes Sammelgebiet" sind, werden hier beachtet. Das kann man beklagen (und das habe ich oft und ausgiebig getan) aber man wird es vermutlich nicht ändern.

    Immerhin gibt es gelegentlich auch erfreuliche Überraschungen. Oft waren es neue Mitglieder oder Gastmitglieder, die mit Ihren Beiträgen, etwas in Gang gesetzt haben. Allerdings sind die oft nur kurze Zeit aktiv gewesen und haben sich dann wieder zurückgezogen.

    Ein anderer Anstoß können immer wieder Fernsehübertragungen oder auch Veröffentlichungen von CDs sein.


    Ein Beispiel: Ich habe gerade mal im NEUE-STIMMEN-Thread nachgeschaut, ob meine Wahrnehmung, dass lange niemand auf die Vorstellung von Lise Davidsen reagiert hat, richtig war.

    Ich habe die Sopranistin am 25. April 2017 vorgestellt. Am nächsten Tag hat Operus kurz ein wohlwollendes Urteil über sie gepostet.
    Dann hat es bis zum 27. August 2018 gedauert, bis Hans Heukenkamp ein Video eingestellt hat, auf dem sie mit einem Ausschnitt aus ARIADNE AUF NAXOS zu hören ist. Auf einen Kommentar hat er verzichtet. Am 27. Oktober 2018 hat dann Boismortier ihre Meinung über das Verdi-Requiem unter Gardner aus Bergen geäußert, das ich inzwischen eingestellt hatte, um erneut auf die Sängerin hinzuweisen. Die nächsten Beiträge, in denen etwas zu Lise Davidsen geschrieben wurde, kamen von Boismortier am 25. November 2018 und von Kapellmeister Storch, Rodolfo und La Roche am 26. November 2018. Am 8. Dezember 2018 folgte Don Gaiferos!

    Nach dem Erscheinen ihres Wagner-Strauss-Albums nahm im Juni 2019 die Diskussion dann Fahrt auf - also mehr als zwei Jahre nach dem Beitrag, in dem ich sie vorgestellt hatte!


    Vielleicht ist Dir das Trost.
    Keinesfalls solltest Du Dich davon abhalten lassen, weiter über Pelageya Kurennaya zu berichten. Es braucht aber einen langen Atem, wenn man Interesse für die Sängerin wecken will, die in deutschsprachigen Ländern noch nicht zu hören war. Was Du bisher über sie und ihre Karriere mitgeteilt hast, weckt schon Aufmerksamkeit und Sympathien. Ich wäre deshalb neugierig, sie zu hören.


    Beste Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!


  • Keinesfalls solltest Du Dich davon abhalten lassen, weiter über Pelageya Kurennaya zu berichten. Es braucht aber einen langen Atem, wenn man Interesse für die Sängerin wecken will, die in deutschsprachigen Ländern noch nicht zu hören war. Was Du bisher über sie und ihre Karriere mitgeteilt hast, weckt schon Aufmerksamkeit und Sympathien. Ich wäre deshalb neugierig, sie zu hören.

    Nun denn, lieber Caruso, so folge ich denn Deinen ermutigenden Worten und komme zum dritten Thema meiner Ausführungen über Pelageya Kurennaya, zu den Gesangswettbewerben. An der Notwendigkeit von Vorsingen kommt kein Sänger vorbei, obwohl es im Idealfall wünschenswert wäre, wenn sich die für die Besetzung Verantwortlichen vom jeweiligen Kandidaten anlässlich einer Bühnenaufführung oder eines Konzerts einen Eindruck verschafften. Doch das sind Wunschträume. Wie sieht es aber mit Gesangswettbewerben aus? Haben diese eine Aussagekraft über eine eventuelle Bühnenkarriere (bzw. im Umkehrschluss über die fehlenden Fähigkeiten dafür)? Abgesehen von dieser Problematik gibt es nicht nur viel zu viele Wettbewerbe, sondern - darüber hinaus - einen "gewissen Wettbewerbstourismus", soll heißen, es bewerben sich dieselben Sänger, es sitzen dieselben Juroren in der Jury.


    "Wie die Jungfrau zum Kind" kam ich 1992 dazu, im Finale eines Hamburger Operettenwettbewerbs "von jetzt auf gleich" einzusteigen - ein Irrsinn, denn meine "Kollegen" hatten die Sänger bereits in den Vorrunden gehört (mit Klavier), während ich erst zum Finale (mit Orchester, in einer größeren Halle) einstieg. Zu diesem Wettbewerb wurde ich dann über ca. 15 Jahre Jahr für Jahr wieder eingeladen. Darauf folgte dann die Einladung zum Klaudia-Taev-Wettbewerb ins estnische Pärnu. Abgesehen von diesen ehrenvollen Einladungen als Juror besuchte ich seit über 30 Jahre als "Journalist" diverse Wettbewerbe in St. Petersburg, Gütersloh etc., bin also durchaus damit vertraut, wie manipulativ einige Wettbewerbe gehandhabt werden.


    Hat ein junger Sänger sich für die Teilnahme an einem bestimmten Wettbewerb entschieden, stellt sich die Frage, womit - mit einem Repertoire, das 100 % zur Stimme passt, oder mit einem ungewöhnlichen, mit dem man auffällt? Am Beispiel Pelageya Kurennayas und ihrer Teilnahme am Klaudia-Taev-Wettbewerb 2017 möchte ich beschreiben, was ich meine.


    Gefordert wurden für die sog. 2. Runde (also nach der Vorausscheidung) 2 Arien, eine kurze aus der Zeit Mozarts und früher und eine zweite nach eigener Wahl. Pelageya Kurennaya entschied sich für Mozarts Ilia und Rimsky-Korsakovs Marfa.




    In der nächsten Runde war als Pflichtstück Schuberts Ave Maria gefordert sowie eine weitere Arie nach Wahl.




    Im Semi-Finale dann ein "modernes" Stück plus einer Szene, d.h. Rezitativ plus Arie. Die Wahl des ersten Stücks ist für einen lyrischen Sopran nicht einfach : Ann Trulove aus "Rake's Progress" erfordert sehr viel Koloraturfähigkeit, und Natasha aus "Krieg und Frieden" kann leicht zur stimmlichen Ûberforderung führen. Eine Arie aus Banevichs "The Story from Kay & Gerda" war demzufolge eine gute Wahl, wie auch die Szene der Amina aus "La Sonnambula".




    Nachdem die Jury in den Vorrunden nur mit Ja oder Nein abzustimmen hatte, war nun eine Punktvergabe nach 4 bestimmten Kriterien gefragt. Wenn ich mich nicht irre, waren es Stimme, Technik, Musikalität und Vortrag. Nach dieser Punktvergabe landete Pelageya Kurennaya als Siebtplazierte - sechs Sänger waren zum Finale (mit Orchester!!!) vorgesehen.


    Pelageya Kurennaya hat an sehr vielen Wettbewerben teilgenommen - nur einen von ihnen, die "Romansiada" in Russland, schloss sie als Gewinnerin ab. Und trotzdem wird sie sich weiter bewerben, solange sie die jeweils unterschiedliche Altersgrenze noch nicht erreicht hat. Schließlich ist dies, neben einer guten Agentur, eine wichtige Gelegenheit, auf sich aufmerksam zu machen, sich einen Namen zu verschaffen.


    Beste Grüße aus Finnland


    Peter Schünemann

  • Hallo, Peter Schünemann,


    danke für diese Sängerin, die nicht nur offenbar stimmlich den gestrengen Anforderungen der Fachleute zu entsprechen scheint, sondern darüber hinaus auch optisch prächtig anzuschauen ist.

    Ich möchte aber Deinen überaus gut recherchierten Beitrag besonders loben. Man merkt an, daß diese Sängerin für Dich mehr als nur ein hoffnungsvolles Talent ist. Der Aufwand an Zeit und auch an persönlicher Anerkennung rechtfertigt diese Vorstellung. Eine große Karriere sei ihr gegönnt.

    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

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  • Ich habe mir nun einige der Videos angehört. Sie verfügt über eine sehr gute Technik und singt auch ausdrucksstark, der Tonumfang ist beeindruckend.
    Aber mir sagt ihre Stimmfarbe nicht besonders zu.

    Dennoch, Peter Schünemann, vielen Dank für Deine Vorstellung. Ich finde Deine Ausführungen interessant zu lesen.

  • Ein Beispiel: Ich habe gerade mal im NEUE-STIMMEN-Thread nachgeschaut, ob meine Wahrnehmung, dass lange niemand auf die Vorstellung von Lise Davidsen reagiert hat, richtig war.

    Ich habe die Sopranistin am 25. April 2017 vorgestellt. Am nächsten Tag hat Operus kurz ein wohlwollendes Urteil über sie gepostet.
    Dann hat es bis zum 27. August 2018 gedauert, bis Hans Heukenkamp ein Video eingestellt hat, auf dem sie mit einem Ausschnitt aus ARIADNE AUF NAXOS zu hören ist. Auf einen Kommentar hat er verzichtet. Am 27. Oktober 2018 hat dann Boismortier ihre Meinung über das Verdi-Requiem unter Gardner aus Bergen geäußert, das ich inzwischen eingestellt hatte, um erneut auf die Sängerin hinzuweisen. Die nächsten Beiträge, in denen etwas zu Lise Davidsen geschrieben wurde, kamen von Boismortier am 25. November 2018 und von Kapellmeister Storch, Rodolfo und La Roche am 26. November 2018. Am 8. Dezember 2018 folgte Don Gaiferos!

    Nach dem Erscheinen ihres Wagner-Strauss-Albums nahm im Juni 2019 die Diskussion dann Fahrt auf - also mehr als zwei Jahre nach dem Beitrag, in dem ich sie vorgestellt hatte!

    Dieses Protokoll, lieber Caruso, vermittelt mir einen fatalen Eindruck. Ich möchte nicht nach drei Jahren vorgehalten bekommen, dass ich auf einen Kommentar zu einem Video verzichtet habe. Man beobachtet doch nicht auf diese Weise das Verhalten von Forumsmitgliedern. :no: Dankenswerterweise hast Du mich mit meinen Äußerungen zu Lise Davidsen in Deiner Liste unerwähnt gelassen. :) Kurz und gut: Eine Ermunterung für aktive Mitarbeit in Deinem Thread wie Du sie Dir wünschst ist dieser Beitrag nicht.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Man merkt an, daß diese Sängerin für Dich mehr als nur ein hoffnungsvolles Talent ist. Der Aufwand an Zeit und auch an persönlicher Anerkennung rechtfertigt diese Vorstellung.

    Herzlichen Dank an alle, die sich der Mühe unterzogen haben, meine (langen) Beiträge zu lesen, die Videos anzusehen und zu -hören und sie zu kommentieren.

    Aber mir sagt ihre Stimmfarbe nicht besonders zu.

    Ausdrücklich möchte ich mich bei Boismortier für seine Einschätzung bedanken. In der Einleitung zu meinem ersten Beitrag hatte ich ausgeführt, wie wichtig für mich die Stimmfarbe als erster Eindruck einer Stimme ist. Bleibt die Stimme im Ohr haften oder "rutscht sie durch die Ohren". Ungewöhnlich, dass ich selbst bei Shchedrins "Tanya-Katya" eine besondere Affinität verspürte, was sich noch verstärkte, als ich Pelageya Kurennaya in einer Unterrichtsstunde mit ihrer Lehrerin mit der Arie aus "Louise" hörte - das war Gänsehaut pur. Dieselbe Wirkung kann ich nicht von anderen Hörern erwarten. Wenn alle meine "Antenne" teilten (um nicht zu sagen, meinen Geschmack), hätte Pelageya Kurennaya am Mariinsky-Theater genug Gelegenheit, ihre Qualitäten in Partien wie Susanna, Zerlina, Despina, Adina und im russischen Fach unter Beweis zu stellen, wären Engagements auf diverse Vorsingen gefolgt, hätte sie Wettbewerbe geworden. Das all dies nicht geschah oder geschieht, wird seinen Grund haben, und sei es der, dass jemandem die Stimmfarbe nicht besonders zusagt.


    Ein einflussreicher "casting director" eines bedeutenden europäischen Opernhauses machte sich die Mühe, sich durch alle Videos auf der Webseite ihrer Agentin hindurch zu hören, und kam zum Ergebnis eines interessanten Materials und voll großer Darstellungskraft, dem aber - wie er sich ausdrückte - "finesse & variety" fehlten. Sollte er damit eine gewisse Gleichförmigkeit gemeint haben, wäre daran zu arbeiten.


    Interessant für mich wird sein, wohin sich diese Stimme entwickeln wird. Als ich vor über 5 Jahren einen Freund fragte, mit welcher Rolle er Pelageya Kurennaya nach dem Hören von "Tanya-Katya" sofort betrauen würde, lautete seine Antwort : Violetta. An Hand dieses Mitschnitts eines Konzerts in Mikkeli 2018 kann man seine Einschätzung überprüfen.



    Ich persönlich würde Pelageya Kurennaya gerne mit "Addio del passato" aus dieser Oper hören, weil ich denke, dass in dieser Arie ein besonderes Kennzeichen ihrer Stimme, diese schwebenden Pianissimi, besonders zur Geltung kämen, aber ich verstehe eine Sängerin, die sich nicht dem Verdacht aussetzen möchte, dass die "große" Violetta-Arie zu schwierig für sie sei.




    Auch in diesen beiden Rollen, Rusalka und Adina, würde ich sie sehr gerne erleben.


    Beste Grüße aus Finnland


    Peter Schünemann

  • Aber mir sagt ihre Stimmfarbe nicht besonders zu.


    In der Einleitung zu meinem ersten Beitrag hatte ich ausgeführt, wie wichtig für mich die Stimmfarbe als erster Eindruck einer Stimme ist. Bleibt die Stimme im Ohr haften oder "rutscht sie durch die Ohren".

    Ich lese Peters wirklich interessanten Thread mit, weil er doch sehr aufschlussreich ist darüber, wie Karrieren gestartet und nicht gestartet werden, was man sonst kaum erfährt. Als Jemand, der nicht "vom Fach" ist, bin ich aber doch ein bisschen verwundert. Die Stimmfarbe ist für mich ein ziemlich geschmäcklerisches Kriterium, das eigentlich reichlich wenig über die künstlerischen Qualitäten einer Sängerin aussagt. Und das soll über Sein oder Nichtsein einer Weltkarriere entscheiden? Da steht dann am Anfang ein "ihr Timbre fällt mir positiv oder negativ auf und deshalb ist die komplette Sängerin für mich wert oder nicht wert, beachtet zu werden", wo also allein das emotionale Bauchgefühl entscheidet. (Etwas ketzerische Frage: Ist das nicht bei Dieter Bohlen ganz genauso, der so seinen "Superstar" kürt?) Das ist für mich ungefähr so, wie wenn ein Bösendorfer-Fan sagen würde: "Den obertonreichen Klang des Steinway mag ich nicht, also ist das ein Instrument, wo die Betrachtung seiner sonstigen Qualitäten sich deshalb nicht lohnt und es also nicht in die Konzertsäle der Welt gehört." :D


    Schöne Grüße

    Holger

  • Die Stimmfarbe ist für mich ein ziemlich geschmäcklerisches Kriterium, das eigentlich reichlich wenig über die künstlerischen Qualitäten einer Sängerin aussagt. Und das soll über Sein oder Nichtsein einer Weltkarriere entscheiden? Da steht dann am Anfang ein "ihr Timbre fällt mir positiv oder negativ auf und deshalb ist die komplette Sängerin für mich wert oder nicht wert, beachtet zu werden", wo also allein das emotionale Bauchgefühl entscheidet.

    Lieber Holger!

    Zustimmung! Die Stimmfarbe ist tatsächlich ein vom eigenen Geschmack abhängiges Kriterium, und sie sagt wenig über die künstlerischen Qualitäten aus. Aber auch für mich, für den sie so wichtig ist, ist sie nur ein erstes Kriterium. Danach oder daneben werden Technik, Darbietung, Ausdruck usw. bewertet, aber auch (und das halte ich für essentiell), ob die ausgewählte Arie zum Stimmfach passt.

    Man versetze sich nur in die Lage eines "Profis", der ich ja nicht bin, also eines Menschen, der in seinem Beruf, etwa als "casting director", als Agent oder als Juror, für die Auswahl von Sängern verantwortlich ist. Es mag bedauerlich sein, aber es ist eine Tatsache, dass so mancher bei der Vielzahl von Vorsing-Kandidaten abzuschalten beginnt, wenn die Stimmfarbe "normal", aber nicht außergewöhnlich ist.

    Beim renommierten Mirjam-Helin-Gesangswettbewerb, der alle 5 Jahre in Helsinki stattfindet, haben 2 Juroren die Vorauswahl vorgenommen, die Sopranistin Soile Isokoski und der Tenor Jorma Silvasti, der Jury-Vorsitzende höchstpersönlich. Jeder der Kandiaten (es waren über 300) hatte sich mit zwei Videos vorzustellen; die beiden Juroren hatten / hätten also 600 Videos ansehen und anhören müssen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich alle Videos und alle bis zum Schluss angehört haben. Dies ist natürlich nur eine Vermutung von mir. Sollten beide Juroren also tatsächlich alle Videos beurteilt haben, hätten sie 3000 Minuten = 50 Stunden hören müssen, bei Teilung ihrer Aufgabe immerhin noch 25 Stunden für jeden von ihnen!


    Beste Grüße


    Peter Schünemann

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  • Zustimmung! Die Stimmfarbe ist tatsächlich ein vom eigenen Geschmack abhängiges Kriterium, und sie sagt wenig über die künstlerischen Qualitäten aus. Aber auch für mich, für den sie so wichtig ist, ist sie nur ein erstes Kriterium. Danach oder daneben werden Technik, Darbietung, Ausdruck usw. bewertet, aber auch (und das halte ich für essentiell), ob die ausgewählte Arie zum Stimmfach passt.

    Man versetze sich nur in die Lage eines "Profis", der ich ja nicht bin, also eines Menschen, der in seinem Beruf, etwa als "casting director", als Agent oder als Juror, für die Auswahl von Sängern verantwortlich ist. Es mag bedauerlich sein, aber es ist eine Tatsache, dass so mancher bei der Vielzahl von Vorsing-Kandidaten abzuschalten beginnt, wenn die Stimmfarbe "normal", aber nicht außergewöhnlich ist.

    Beim renommierten Mirjam-Helin-Gesangswettbewerb, der alle 5 Jahre in Helsinki stattfindet, haben 2 Juroren die Vorauswahl vorgenommen, die Sopranistin Soile Isokoski und der Tenor Jorma Silvasti, der Jury-Vorsitzende höchstpersönlich. Jeder der Kandiaten (es waren über 300) hatte sich mit zwei Videos vorzustellen; die beiden Juroren hatten / hätten also 600 Videos ansehen und anhören müssen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich alle Videos und alle bis zum Schluss angehört haben. Dies ist natürlich nur eine Vermutung von mir. Sollten beide Juroren also tatsächlich alle Videos beurteilt haben, hätten sie 3000 Minuten = 50 Stunden hören müssen, bei Teilung ihrer Aufgabe immerhin noch 25 Stunden für jeden von ihnen!

    Lieber Peter,


    da sprichst Du das an, was auch immer mein Eindruck war: dass dieser ganze Wettbewerbs-Zirkus eine ziemlich fragwürdige Sache ist. Natürlich kenne ich das im Unterschied zu Dir nur vom Hörensagen. Nicht nur bei Sängern, auch bei Klaiver z.B. Dann gibt es dann sowas wie: bewertest Du meine(n) Schüler(in) gut, dann reiße ich auch deine(r)(m) nicht den Kopf ab.


    Was mich nur wiederum wundert: Lazar Berman schreibt in seiner Autobiographie über das geradezu perfekte Ausbildungs-Förderungssystem von Musikern in der ehemaligen Sowjetunion. Das wird nicht nur bei Pianisten so gewesen sein, auch bei Geigern usw. und eben Sängern. Warum in Gottes Namen ist man nicht mit der Zeit gegangen und kümmert sich heute, wo die Sowjetunion lange Geschichte ist, mehr die Karriere von so einer offentsichtlich hoch begabten Sängerin zu fördern und überlässt das Zufällen wie welchen guten/weniger guten Agenten sie gerade trifft? Sänger(innen) aus Russland haben doch wahrlich einen guten Namen! Deswegen finde ich es sehr verdienstvoll, dass Du auf diese Fall aufmerksam machst! Ich habe nicht Zeit gehabt, mich mit ihr zu beschäftigen und alle Videos zu schauen, aber der Shchedrin ist schon beeindruckend gestaltet, jedenfalls für mich als Laien! :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

  • ...da sprichst Du das an, was auch immer mein Eindruck war: dass dieser ganze Wettbewerbs-Zirkus eine ziemlich fragwürdige Sache ist. ....

    Warum in Gottes Namen ist man nicht mit der Zeit gegangen und kümmert sich heute, wo die Sowjetunion lange Geschichte ist, mehr die Karriere von so einer offentsichtlich hoch begabten Sängerin zu fördern und überlässt das Zufällen wie welchen guten/weniger guten Agenten sie gerade trifft? Sänger(innen) aus Russland haben doch wahrlich einen guten Namen!

    Als ich 1993 Valery Gergiev zum ersten Mal interviewte, "schenkte" er mir 90 Minuten seiner schon damals kostbaren Zeit. Heutzutage unfassbar! Jedoch war dieses Interview kein Gespräch, sondern ein Monolog, der für Gergiev so etwas wie die Hauptstraße war, so dass meine Zwischenfragen unliebsame Unterbrechungen seines Gedankengangs waren, eine Umleitung, die er so schnell wie möglich zur Hauptstraße zurück führte. Holgers Beitrag möchte ich zum Anlass nehmen, die "Hauptstraße Pelageya Kurennaya" kurz zu verlassen, um auf das auch mir wichtige Thema der Wettbewerbe einzugehen.


    Bis auf die von mir kritisierte Vorauswahl kann ich den Mirjam-Helin-Gesangswettbewerb nur als vorbildlich fair bezeichnen. In der Jury befinden sich nur nicht mehr oder gerade noch aktive Sänger, keine Intendanten, keine "casting directors", keine Kritiker usw. und - was ich für am wichtigsten halte - keine Lehrer von Teilnehmern. Soviel ich weiß, gibt es keine Diskussion über die Kandidaten, lediglich Abstimmungen. Und obwohl die Juroren alle im selben Hotel untergebracht sind, ist es ihnen nicht erlaubt, sich über die Sänger auszutauschen.


    Der von mir schon mehrfach genannte Klaudia-Taev-Wettbewerb im estnischen Pärnu ist nicht ganz frei von Beeinflussung. Die Juroren sind bunt gemischt, die Jury-Vorsitzende (immer Damen) eine berühmte Sängerin wie z.B. Luana De Vol, Dolora Zajick oder Edda Moser. Der Leiter dieses Wettbewerbs ist ein estnischer Dirigent, und es fällt auf, dass oftmals als Juroren Personen eingeladen werden, die ihm als Dirigenten Engagements in Erfurt, Rennes, Budapest usw. verschaffen können. Dass ich 3x zu diesem Wettbewerb in die Jury eingeladen wurde, verdanke ich nicht meinen schönen blauen Augen (!), sondern meiner Bereitschaft, die Gewinner zu Solo-Konzerten bei Valery Gergievs Festival im finnischen Mikkeli eingeladen zu haben. "Eine Hand wäscht die andere". Die 6 Finalisten haben sich mit 2 Arien zu präsentieren, wobei die zweite von der Jury ausgewählt wird. Ideal wäre es, auch dies dem Sänger zu überlassen, doch nach Aussagen des Wettbewerbsleiters möchte er so vermeiden, dass im vom Fernsehen übertragenen Finalkonzert ein und dieselbe Arie von mehreren Teilnehmern vorgetragen wird (dies fände ich sehr interessant).


    Mit Genuss möchte ich mich über die Gepflogenheiten eines Wettbewerbs auslassen, bei dem ich 3x zu Gast war (wohlbemerkt, zu Gast, nicht als Juror). Es ist dies der in St. Petersburg ausgetragene Rimsky-Korsakov-Wettbewerb, initiiert von der Gergiev-Schwester Larisa Gergieva, der Leiterin der Akademie für junge Sänger am Mariinsky-Theater. Wer jetzt daraus schließt, dass es Sänger schwer haben, die nicht Mitglied dieser Akademie sind, liegt mit seiner Vermutung nicht falsch. Ich nenne nur zwei Namen : Nadine Koucher, 2015 Gewinner des Cardiff Singer of the World-Wettbewerbs, und Venera Gimadieva, an allen großen Bühnen zu Haus, zur Zeit gerade in Hamburg Lucia probend - beide Sängerinnen kamen beim Rimsky-Korsakov-Wettbewerb nicht einmal ins Finale.


    Jury-Vorsitzender ist der berühmte Tenor Vladimir Atlantov, mehr Erfüllungsgehilfe Larisa Gergievas, die auf russicher Seite ihr ergebene enge Freunde um sich geschart hat, zu der sich ausländische Prominente gesellen, die aber oftmals nicht von Anfang an dabei sind. Zu den Wettbewerbsregeln gehört, dass die Sänger im Semi-Finale 2 Arien zu singen haben, eine aus dem russischen und eine aus dem "westlichen" Repertoire. Es war, so glaube ich, 2006, als Larisa Gergieva entschied, es sollte nur eine einzige Arie vorgetragen werden, und sie überließ diese Entscheidung nicht den einzelnen Teilnehmern, sondern entschied selber. Mitdenkende ausländische Juroren wie z.B. der damalige Intendant der Wiener Staatsoper Ioan Holender fragten nun, ob dies Einfluss auf den Zeitplan hätte, die beiden Teile des Semi-Finales seien nun doch viel kürzer. Ihm wurde versichert, dass der 2. Teil laut ursprünglichem Zeitplan beginnen würde. Dem war allerdings nicht so, und als die ersten Sänger nach der Pause auftraten, war nur ein einziges Jury-Mitglied anwesend. Die anderen "trudelten" nach und nach ein. Wer nun - wie ich - erwartet hätte, die ersten Sänger hätten ihren Vortag vor nun allen anwesenden Juroren wiederholen dürfen, sah sich getäuscht. Larisa Gergieva und Vladimir Atlantov diskutierten an- und aufgeregt, was der Aufmerksamkeit auf den jeweiligen Sänger gewiss abträglich war. Das war aber auch nicht weiter erforderlich, denn wie nicht anders zu erwarten kam die Majorität der Finalisten von der Mariinsky-Akademie, die nicht überraschend auch die Gewinner stellte.


    Um zur "Hauptstraße" zurück zu kommen : Pelageya Kurennaya war weder Mitglied der Mariinsky-Akademie noch nahm sie am Rimsky-Korsakov-Wettbewerb teil, übrigens auch nicht am in St. Petersburg ausgetragenen Tchaikovsky-Wettbewerb, dem Valery Gergiev als Leiter vorsteht. Man könnte denken, dass ihre Nicht-Berücksichtigung am Mariinsky (mit Ausnahme der Shchedrin-Opern) mit dieser Abstinenz im Zusammenhang stehen könnte.


    Ûber das Mariinsky-System, das in Wirklichkeit ein Gergiev-System ist, demnächst mehr.


    Vielen Dank für die Geduld beim Lesen und beste Grüße aus Mikkeli / Finnland.


    Peter Schünemann