In seinem höchst interessanten Thread „Entdeckungen : Neue Stimmen“ stellte Caruso41 eine Liste derjenigen Sängerinnen und Sänger auf, von denen er den Eindruck hatte, aus der Phase, eine Entdeckung zu sein, definitiv herausgewachsen zu sein. Es sei an der Zeit, in dem Kapitel „Die berühmte Stimme – Sängerportrait“ einen jeweils eigenen Thread zu eröffnen, um sich besser über den Sänger, die Stimme und den Gesang austauschen zu können. Zu den Sängerinnen, die es seiner Meinung nach geschafft hätten, weil sie an einem renommierten Opernhaus erste Partien sängen oder in CD- bzw. DVD-Produktionen mitwirkten, zählte er auch die (mit 30 Jahren noch) junge russische Sopranistin Pelageya Kurennaya. Mit Vergnügen fange ich diesen Ball auf und versuche sie, deren Stimme es mir sehr angetan hat, vorzustellen.
Bevor ich eine neue Stimme vorstellen möchte, eine notwendige Vorbemerkung. Beim Hören einer neuen Stimme, ob in Oper oder Konzert, ob als Juror oder Zuhörer bei Gesangswettbewerben ist für mich das Timbre einer Stimme ausschlaggebend. Werde ich davon angesprochen, bleibt es im Ohr haften oder rutscht es durch die Ohren? Bei Wettbewerben ergibt sich dann (zumindest für mich) die nächste Frage, ob die Stückauswahl zur Stimme, zum Fach passt. Ich bekenne mich schuldig, dass dies für mich sehr wichtig ist. Weiß der Sänger / die Sängerin, wer oder was er / sie ist? Dies als Vorbemerkung, um mein Interesse an der nun vorzustellenden Sängerin zu verstehen.
">
Rodion Shchedrin & Pelageya Kurennaya nach der Prager "Lolita"-Premiere (Foto : Peter Schünemann)
Der Name dieser jungen Dame ist Pelageya Kurennaya und war mir bis November 2015 total unbekannt, obwohl ich mir einbildete, durch meinen Kontakt zum St. Petersburger Mariinsky-Theater einen guten Ûberblick über die Künstler dieses Opernhauses zu haben. Am 15. November 2015 war ich aus Finnland angereist um den für seine Vorliebe für Marathon-Konzerte bekannten Dirigenten Valery Gergiev mit 5 Konzerten an einem einzigen Tag (!) zu hören, in deren Mittelpunkt die Klavierkonzerte Prokofievs standen. In einem dieser Konzerte gab es als Reverenz für den in München lebenden Komponisten Rodion Shchedrin dessen Romanze für Sopran und Streicher mit dem Titel "Tanya-Katya" - übrigens die einzigen Worte dieser etwa 15minütigen Romanze. Solistin : Pelageya Kurennaya, die mich von den ersten Tönen an faszinierte. Eine junge Stimme (damals was die Sängerin 25 Jahre jung), die ich auf Grund der relativ dunkel timbrierten Mittellage sofort in die "Schublade" Lyrischer Sopran steckte. Dieses Stück erfordert einen enormen Stimmumfang : von tiefen Tönen wie für eine Altistin bis hin zu Höhen in forte und piano, so dass klar wurde, dass der Komponist für dieses Konzert die Wahl hatte zwischen einem Mezzosopran mit guter Höhe und einem Sopran mit guter Tiefe. Es was bewundernswert, wie Pelageya Kurennaya ihren ausserordentlich apart timbrierten Sopran vollkommen natürlich durch die schwierige Tessitura führte - vollkommen natürlich, weil sie ihre Stimme nicht künstlich in die Alt-Regionen herunter presste und die Höhen schlank, aber strahlkräftig nahm.
Nach dem Konzert ging ich mit Rodion Shchedrin, mit dem ich bekannt war, hinter die Bühne, machte der jungen Dame Komplimente und fragte u.a. nach ihrem "Fach". Anstatt ihrer antwortete der Komponist : "Sie kann sehr hoch singen". Diese Aussage bekommt ihren Sinn dadurch, dass Pelageya Kurennaya nur wenige Wochen nach diesem Münchner Konzert am Mariinsky-Theater die Hauptrolle in Shchedrins letzter Oper "The Christmas Tale" sang : Zamarashka, eine Partie, die vom Komponisten in einer sehr hohen Tessitura geschrieben wurde, dazu alles im pianissimo oder maximal piano zu singen. Ich hörte Pelageya Kurennaya einige Male in dieser Rolle und kann sagen, dass sie alle Anforderungen perfekt meistert, aber - und das ist ein großes ABER - sie muss ihre Stimme dieser Tessitura und den Dynamikvorschriften anpassen und kann ihre wahre Stimme, also die eines lyrischen Soprans, nicht zeigen.
Inzwischen fügte Pelageya Kurennaya eine weitere Hauptrolle in einer Shchedrin-Oper ihrem Repertoire hinzu. Im Oktober 2019 führte das Prager Ständetheater dessen nur selten gespielte Oper „Lolita“ auf, ein Werk, das dem Mariinsky-Theater noch in seinem Repertoire fehlte, so dass es die gesamte Produktion aufkaufte und es bereits im Februar 2020 zur Premiere brachte. Wie in Prag so war auch in St. Petersburg Pelageya Kurennaya in der Titelrolle zu erleben, für die sie alle Voraussetzungen mitbrachte : Jugendlichkeit in Erscheinung und Timbre, eine stets sichere Technik, die ihr das Singen in der wie bei Shchedrin üblichen sehr hohen Tessitura erlaubte sowie ein starke dramatische Ausstrahlung. Kein Wunder, dass der Komponist sie nach der Premiere als seine Lieblingssopranistin bezeichnete.
Die "Lolita" - Produktion ist übrigens inklusive der beiden Protagonisten Pelageya Kurennaya und Petr Sokolov für die "Goldene Maske" nominiert worden, Russlands bedeutendsten Theaterpreis. Am 8. Februar 2021 gastierte man damit am Moskauer Bolshoi-Theater. Mit "Sadko" in der Regie Dmitry Cherniakovs gibt es gewichtige Konkurrenz, und auch die Volkhova dieser Produktion Aida Garifullina hat bereits einen international bekannten Namen. Ende April wird bekannt gegeben, welches Theater sich mit diesem Preis schmücken darf.
Mit Sicherheit war es für Pelageya Kurennaya ein Glücksfall, am Mariinsky-Theater in Hauptrollen von Opern dieses Komponisten eingesetzt zu werden. Doch die Webseite dieses Theaters führt sie nur als Gast, und sie wird dort hauptsächlich in Partien vom Kaliber wie „Herr Graf, die Pferde sind gesattelt“ eingesetzt. Ich denke, die folgenden Videos zeigen, dass sie, die ich als Lyrischen Sopran mit Koloratur einordnen würde, mehr ist als nur eine Shchedrin-Sängerin und es demzufolge ein reiches Repertoire an diesem Haus gebe. Aber……
Beste Grüße aus Finnland
Peter Schünemann