Es geht mir hier um einen Austausch über eine Geschichte/Legende, die mich seit langem sehr beschäftigt. Konkret um die 5. Symphonie von Shostakovich.
Sicher ist vielen bekannt, dass Shostakovich (S.) eine Zeitlang ein von den Machthabern protigierter, erfolgreicher Künstler war, bis er dann Stalins Unwillen hervorrief, man warf ihm u.a. vor, seiner Musik sei zu formalistisch. Jedenfalls wuchs sich das zu einer Gefahr für sein Leben aus, denn unter Stalin wurden unliebsame KÜnstler gern auch getötet. S hielt daraufhin seine 4. Symphonie zurück und gab sich an die ERstellung der 5. Bei der Uraufführung waren sehr viele Menschen zugegen, und es wurde gesagt, dass das auch daher gerührt haben mag, dass man den Untergang des einstigen Protegés miterleben wollte.
Die Aufführung wurde ein riesiger Erfolg und begründete wohl auch die spätere politische Karriere S´s. Das WErk selbst wurde und wird seither gespielt. In der UDSSR galt es auch als ein programmatisches WErk, das die Erfolge der bolschewistischen Revolution darstellte. Es ist ein hochemotionales und emotionaliesierendes Stück. Vor allem zum Ende hin wird es emotional überwältigend. (Der letzte Satz, das weiß ich, ist subjektiv, aber genau darum geht es mir u.a.).
Nach dem Ende Stalins dann, als ein anderer politischer Wind wehte, distanzierte sich S von dieser Lesart seines WErkes und verkündete, dass es (ich verkürze jetzt stark:) ironisch gemeint gewesen sei und in Wirklichkeit sogar eine versteckte Regimekritik gewesen sei. Und diese neue Sichtweise ist m.W. jetzt die allgemein anerkannte.
Und da ist jetzt mein Ansatz: Kann das überhaupt sein? Einerseits würde es bedeuten, dass nicht nur die eine Person Stalin, sondern TAusende von Hörern damals nichts von S´s Trick bemerkt haben. Waren die alle so verblendet und haben im Konzert das gefühlt, was man ihnen zu fühlen aufgetragen hat? Andererseits mein persönlicher, subjektiver Eindruck (den ich aber immerhin mit anderen teile). Ich habe das Stück zuallererst in Maastricht gehört und war überwältigt, vor allem vom Schluss. Damals wusste ich absolut nichts über Stück und Komponisten. Ich habe mir daraufhin die Box mit Mariss Janssons gekauft.
Hier habe ich immer wieder besonders die 5. gehört und meine Gefühle waren sehr ähnlich. Immer wieder dieses überwältigende "revolutionäre" Gefühl. Dann kaufte ich mir die Box und hörte die Fassung von Bernstein. Ich war entsetzt. Von der gewaltigen Gefühlswoge am Schluss blieb fast nichts. Im Beiheft dann las ich, dass S persönlich anwesend war und total begeistert. Daraufhin machte ich mich endlich etwas schlau und kam auf die "Legende", wie ich sie oben zu beschreiben versucht habe.
Nach vielen Monaten Nachdenken kam ich immer mehr zu der Überzeugung, dass hier etwas nicht stimmt. Ich glaube, dass S da einfach sein Fähnchen in den Wind gehängt hat und sich eine schöne ERklärung gebaut hat, die ihm dann eine nette Karriere auch im Westen ermöglichte. Ich glaube auch nciht, dass man eine ganze Generation von Musikhörern mit einem so einfachen Trick hätte täuschen können.
Ich weiß mich allerdings auch allein. So wie ich es sehe, ist sich die Wissenschaft einig, dass die Version von S stimmt. Es gibt auch jede Menge Belege, mit welchen Mitteln S gearbeitet hat und wo die Ironie genau begründet liegt. Und da kommt der kleine blöde Klaus und weiss alles besser. Mir ist meine wacklige Position sehr wohl bewusst. Trotzdem! Da stimmt doch etwas nicht.
Jetzt bin ich mal gespannt, wie ihr zu dieser Geschichte steht.
Klaus