Dieser Thread verfolgt die Absicht, Einblick in das liedkompositorische Werk von Robert Franz geben, indem ausgewählte Lieder daraus vorgestellt und besprochen werden. Hauptbeweggrund dafür, ihn zu starten, ist die Tatsache, dass er hier im Tamino-Kunstliedforum noch nicht vertreten ist, es gleichwohl aber verdient, schließlich ist er, schon vom Umfang seiner Liedkomposition, aber auch von deren Qualität her, der Gruppe der bedeutenden deutschsprachigen Liedkomponisten zuzurechnen. In Thomas Manns Roman „Doktor Faustus“ wird er in einem Atemzug mit diesen genannt. Dort heißt es:
„In diese fiel Adrians erste Bekanntschaft mit der glorreichen Kultur des deutschen Kunstliedes, welche nach leidlich trockenen Vorspielen in Schubert wunderbar entspringt, um dann durch Schumann, Robert Franz, Brahms, Hugo Wolf und Mahler ihre durchaus unvergleichlichen Triumphe zu feiern.“
Zu seiner Zeit war Robert Franz mit seinen Liedern bekannter als Schubert und Schumann, und doch ist er heute vergessen. Das zeigt sich in gleichsam symptomatischer Weise anhand vieler Fakten. Aufgeführt in Konzerten werden seine Lieder nicht mehr, es gibt zurzeit auf dem Markt nur wenige CD-Produktionen, die ausschließlich ihm gewidmet sind, und neuere Literatur, die sich seiner Biographie und seinem Liedschaffen widmet existiert nur spärlich. Allenthalben liest man, dass Franz 350 Liedkompositionen hinterlassen habe. Es sind aber „nur“ 279, die zu seinen Lebzeiten publiziert wurden, hinzu kommen noch zwei aus dem Nachlass. Aber immerhin: Das ist eine Zahl, mit der Franz den anderen Großen der Liedkomposition kaum nachsteht, wenn man einmal von Franz Schubert absieht. Warum aber fiel dieses Werk der Vergessenheit anheim? Dieser Frage will sich der Thread auch widmen, - ganz einfach deshalb, weil sie sich einem regelrecht aufdrängt.
Robert Franz stammt aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Er wurde am 28. Juni 1815 in Halle als Sohn des Salzwagenlädermeisters Georg Christoph Knauth geboren, der sich später Christoph Franz nannte. Die Verhältnisse, in denen er aufwuchs, waren, wie er selbst das nannte „von derbstem Realismus erfüllt“. Erste musikalische Erfahrungen machte er als Schüler der Franckeschen Waisenhausstiftung: Sie betrafen die Werke Bachs und Händels und das deutsche Volkslied. Im Jahre 1815 wurde er Schüler des Dessauer Hofkapellmeisters Johann Christian Fr. Schneider, brach die Ausbildung jedoch ab. Später wurde er zunächst Organist an der Ulrichskirche in Halle, 1842 übernahm er die Leitung der (später nach ihm benannten) Singakademie, 1851 wurde er zum Universitätsmusikdirektor ernannt. Im Jahre 1867 musste er sich wegen eines durch den Pfiff einer Lokomotive hervorgerufenen Hörleidens von allen Ämtern zurückziehen. Er starb am 24. Oktober 1892 in Halle. Sein kompositorisches Werk besteht neben einer großen Zahl von Chorwerken und Bearbeitungen von Werken Bachs und Händels (die stark umstritten sind) ausschließlich aus Liedkompositionen. Ähnlich wie Brahms hat er eine große Zahl von frühen Werken anderer Art vernichtet.
Sein Opus 1 („Zwölf Gesänge für Singstimme mit Klavier“) veröffentlichte er erst 1843. Robert Schumann nahm dies zum Anlass, in der „Neuen Zeitschrift für Musik“ einen Exkurs über die gegenwärtige Situation der Liedkomposition zu veröffentlichen, in dem er Robert Franz eine fast schon enthusiastische Begrüßung zuteilwerden ließ. So meinte er: „Über die Lieder von Robert Franz ließe sich viel sagen; sie sind keine einzelne Erscheinung und stehen in innigem Zusammenhange der ganzen Entwicklung unserer Kunst in den letzten zehn Jahren.“ Für Schumann gehören die Lieder von Robert Franz „der neuen edlen Gattung an“. Und er fährt fort: „Er will mehr als wohl- oder übelklingende Musik, er will uns das Gedicht in einer leibhaftigen Tiefe wiedergeben.“
In Schumanns Exkurs findet sich eine Feststellung, die auch Robert Franz geteilt hat. Schumann vertritt die Auffassung: „In Wirklichkeit ist vielleicht das Lied die einzige Gattung, in der seit Beethoven ein wirklich bedeutender Fortschritt geschehen.“ Ludwig Meinardus, der klangjährige Freund und Schüler von Robert Franz berichtet:
„Franz huldigte der Ansicht, das Lied sei die einzige moderne Tonform, deren Keime von den großen Meistern der Vergangenheit noch nicht nach allen Seiten hin entwickelt worden waren. Auf Grund solcher Überzeugungen beschränkte er sich charakterfest auf die Pflege dieser kleinen ´Gattung.“
Die von Franz selbst überlieferten Äußerungen zur Liedkomposition und den grundlegenden Motiven für seine Betätigung darin bestätigen das. Neben seiner ganz persönlichen Neigung und Liebe dazu, scheint er an eine Art geschichtlichen Auftrag geglaubt und sich gar als herausragende Figur in der Geschichte des deutschen Liedes gesehen zu haben. Von seinen Liedern sagt er:
„Meine Lieder stehen auf der Grenzscheide, - ich sage das nicht aus Hochmuth, nein, es ist so; ganz wunderbar tritt in ihnen noch einmal das, was uns die klassische Vergangenheit in Bach, Mozart u.A. Schönes brachte, wie in einem Spiegelbild entgegen; damit ist die alte Kunstperiode erloschen.“ – „In Schubert und Schumann besinnt sich die Zeit wieder auf das Volkslied, in Mendelssohn auf den protestantischen Choral – in mir endlich will sie beides zusammenfassen. Bei Schubert, Schumann und Mendelssohn treten jene Einflüsse jedoch nur accidentiell auf, bei mir dagegen fundamental.“
In seiner künstlerisch ästhetischen Grundhaltung hebt sich Franz – so jedenfalls das Bild, das sich mir auf der Grundlage der schriftlichen Quellen und analytischen Betrachtung seiner Liedkompositionen bietet – deutlich von der ab, die die Romantiker vertraten. Sie weist eher klassizistische Züge auf, und insofern muss man ihn wohl als konservativ ausgerichteten Menschen und Komponisten einstufen. Liedmusikalische Innovation geht – historisch betrachtet – von seinem liedkompositorischen Schaffen nicht aus. Bezeichnend sind die Ratschläge, die er (Brief vom 26.1.1850) seinem Schüler Ludwig Meinardus gibt:
„Sie haben mit Schumann einen Fehler gemein, der wenn er sich weiter ausbildet, Ihrem Fortkommen unendliche Hindernisse in den Weg legen wird: er besteht in einem zähen Subjektivismus, der, weil er ausschließlich Subjektivismus ist, nicht immer das rein Menschliche, Allgemeine zu seiner Voraussetzung hat. Sie vertrauen Ihrer Natur und Stimmung blindlings, gerade wie es Schumann macht; der Himmel bewahre Sie vor Geschmacklosigkeiten, wie wir sie aus Schumanns Feder genug haben. Etwas mehr Hellenisches!“.
In einem an Arnold Senfft von Pilsach (11.5.1870) bekannte er: „Trotz aller radicalen Neigungen haben mich die Verhältnisse zu einem wüthenden Reactionär in der Kunst gemacht, ich suche für die Zukunft nur noch Heil in der Vergangenheit.“
Ablehnung des „Subjektivismus“ in der Rezeption von lyrischem Text und Umsetzung desselben in Liedmusik, stattdessen Ausrichtung derselben auf das „rein Menschliche, Allgemeine“, dahinter stehend der Glaube, dass die Kunst, so sie denn ihrer „ethischen Bestimmung und Berechtigung“ gerecht werden will, eine gleichsam ewig gültige Sprache finden müsse, - das ist Kern der künstlerischen Grundhaltung von Robert Franz. Und ganz auf der Linie derselben liegt seine liedkompositorische Maxime: „Das Persönliche muß zurücktreten; was man allgemein fühlt, was jeder empfindet, das muß zum Ausdruck gebracht werden. (…) In meiner Musik ist das Ethische die Hauptsache; meine Lieder sollen nicht erregen, sie sollen Frieden und Versöhnung geben.“
In dieser menschlichen und künstlerisch-ästhetischen Grundhaltung lässt sich in der Entwicklung des Liedkomponisten Robert Franz keinerlei irgendwie relevanter Wandel feststellen, - also auch kein Entwicklungsprozess in seiner Liedkomposition. Diese begegnet einem in ihren letzten Werken genau so, wie in ihren ersten. Was man von allen anderen großen Liedkomponisten kennt, eine sich deutlich abzeichnende, und sich aus der kompositorischen Auseinandersetzung mit dem lyrischen Text ergebende Wandlung und Weiterentwicklung der Liedsprache, - bei Robert Franz findet man sie nicht vor. Franz selbst bekannte: „Aus den von mir veröffentlichten Liederheften meine künstlerische Entwicklung zu konstruieren, wird ein vergebliches Bemühen sein.“ Zwar hat einer der wenigen Musikwissenschaftler, die sich mit dem liedkompositorischen Werk von Robert Franz ausführlich und gründlich befasst haben (S.E. Barbag) die These vertreten, es sei kaum zu bezweifeln, „daß seine Kunst in zwei besonderen Perioden entstand“, seine diesbezüglichen Argumente wirken freilich wenig überzeugend.
Warum dieses so ausführliche Sich-Einlassen auf grundlegende Aspekte des Anliegens dieses Threads, die Lieder von Robert Franz in repräsentativer Auswahl vorzustellen und sie in ihrem liedmusikalischen Wesen zu erfassen? Die Antwort wird wohl jedem einleuchten, wenn er erfährt, dass Robert Franz zwar lyrische Texte von vielerlei Dichtern vertont hat, darunter Namen wie Friedrich Rückert, Goethe, Emanuel Geibel, Mörike, Eichendorff, Ferdinand Freiligrath und Hoffmann von Fallersleben. Es gibt darunter jedoch drei Schwerpunkte: Nämlich Nikolaus Lenau mit 19 Liedern, seinen Freund Franz Wilhelm Osterwald mit 52 Liedern und – Heinrich Heine mit sage und schreibe 67 Liedern. Robert Franz steht damit an der Spitze all der Liedkomponisten, die sich mit Heines Lyrik auseinandergesetzt haben.
Eine persönliche Anmerkung noch:
Ein wesentliches Motiv, mich mit den Liedern von Robert Franz zu beschäftigen, war die höchst spannende Frage, was aus der Lyrik Heinrich Heines wird, wenn sie ein Liedkomponist mit der oben charakterisierten menschlichen und künstlerisch-ästhetischen Grundhaltung in die Hand nimmt. Ich habe, da inzwischen alle für diesen Thread vorgesehenen Liedbetrachtungen schon fertig vorliegen, diesbezüglich eine Menge hochinteressanter Erkenntnisse gewonen, die ich natürlich hier einbringen werde, und das in der Hoffnung, dass sie hier im Forum auf Interesse stoßen und zur Teilnahme am Geschehen in diesem Thread anregen.
Bei mir hatte die Beschäftigung mit dieser Frage zur Folge, dass sich in mir mehr und mehr der Drang regte, Vergleiche mit den entsprechenden Heine-Vertonungen Robert Schumanns anzustellen. Erst dachte ich, ich sollte sie den Besprechungen der einzelnen Franz-Lieder beigeben, die Notizen dazu nahmen aber einen solchen Umfang an, und das Thema weckte ein derart großes Interesse bei mir, dass ich mich entschlossen habe, unmittelbar nach diesem Thread einen mit dem Thema „Robert Schumann und Heinrich Heine“ zu starten, in dem alle Heine-Vertonungen Schumanns vorgestellt und besprochen werden sollen.