Salü,
ein neuer Mozartthread. Diesmal soll es ausschließlich um sogenannte Hip-Aufnahmen seiner Werke geben. Seit längerem schon finde ich die zwar optisch ansprechende Philips Complete Mozart Edition 1991 nicht mehr „zeitgemäß“ und pflege den Gedanken, mir den „ganzen Mozart“ in verschiedenen Hip-Einspielungen zuzulegen. Ich bitte daher hier um diverse Empfehlungen – Opern einmal ausgenommen, da es hierzu bereits einige Spezialthreads gibt.
Zunächst möchte ich selbst eine wunderbare Neuerwerbung vorwiegend aus dem Bereich der Kammermusik vorstellen:
Wolfgang Amadeus Mozart
Une Soirée chez les Jacquin
Die CD kann zur Zeit preiswert über amazon bezogen werden [bei jpc habe ich sie nicht entdeckt]. Das Doppelalbum aus der Zebra-Collection stammt aus dem Jahr 1999 und beinhaltet jedenfalls drei Highlights:
Trio des quilles KV 498
für Clarinette, Viola und Fortepiano
Das unter dem Namen Kegelstatt-Trio bekannte Werk soll Mozart beim Kegelschieben für Franziska von Jacquin, einer passabel Klavier spielenden Tochter Gottfried von Jacquin, komponiert haben.
Es wird von Gilles Thomé auf einer b-gestimmten Bassettklarinette mit Emilio Moreno, Viola [onA] und Arthur Schoonderwoerd auf einem Pianoforte eines gewissen Lengerer – eine Instrumentenkopie nach Christopher Clarke - gespielt. Das Werk erklingt in einer ganz neuen Farbenpracht.
Equisse du Concerto KV 621b
Von besonderem Reiz ist das Fragment des Konzertes für Bassetthorn G-Dur KV 621b, gespielt wiederum von Gilles Thomé auf einem Bassetthorn, begleitet vom Ensemble 415. G-Dur steht dem Werk, das übrigens weitestgehend mit dem ersten Satz von KV 621 übereinstimmt, ausgesprochen gut: Das Werk wirkt viel frischer, wacher und direkter. Es ist nicht das Mozart-G-Dur der Flöten- und Violinkonzerte, sondern jenes des Klavierkonzertes KV 453, das für mich bereits stark auf Beethovens G-Dur-Klavierkonzert zugeht. Die fehlende Instrumentation dieses Entwurfes konnte ganz einfach anhand des fertig gestellten Klarinettenkonzerts ergänzt werden. Dennoch ist es bedauerlich, dass der Satz nach 6 ¾ Minuten gnadenlos abbricht – gerade zu Beginn der Durchführung. Wüsste man nicht, dass Mozart aus diesem Fragment das Klarinettenkonzert A-Dur KV 621 entwickelt hat, wie groß wäre der Schmerz über die Unvollendetheit dieses Werkes! Das Bassetthorn klingt der Clarinette sehr ähnlich – allerdings ist die Klangfarbe in den tieferen Bereichen sehr eigen[artig] und war für mich durchaus neu und klangschön!
Sonata à 4 mains KV 521
[...] die Sonate haben sie die Güte ihrer frl: Schwester [...] zu geben; - sie möchte sich aber gleich darüber machen, denn sie seye etwas schwer. Das schreibt Mozart am 29.05.1787 an Gottfried von Jacquin. Mozart hat die Sonate später aber nicht Jacquins Tochter, sondern Nanette und Babette Natorp gewidmet, deren eine später eine Schwägerin Jacquins werden sollte. So blieb das Werk jedenfalls in der Familie.
Auf die aalglatte Einspielung von Ingrid Haebler und Ludwig Hoffmann aus der 91er Philips Edition kann ich getrost verzichten: Bereits Wolfgang Glüxam und Patrick Ayrton zeigten, dass die Sonate für Clavier zu vier Händen C-Dur KV 521 ein sehr lebendiges Werk ist. Glüxam ist zwar der Meinung, das Werk sei für Cembalo komponiert und er bietet es auch so dar, aber Spaß macht die Aufnahme allemal:
Die CD kann über den ORF-Shop bezogen werden.
Arthur Schoonderwoerd und Miklos Spanyi spielen allerdings auf dem bereits o.g. Nachbauinstrument, das sehr holzig klingt, sich in der mittleren und tiefen Lange wunderbar sonor entfaltet. Kann man hören, welcher Pianist welchen Part spielt? Ich gehe davon aus, dass Schoonderwoerd als der mir bekanntere den Primo übernommen hat: er spielt wunderbar elegant, fügt hier und da seine geheimen Verzögerungen ein und verlängert ebenfalls [wie Glüxam und Ayrton] die Pausen – was sehr gewöhnungsbedürftig ist, wenn man obligatorisch den Takt mitzählt oder –schlägt. Interessant ist, dass Schoonderwoerd und Spanyi entgegen der geläufigen Ansicht und auch entgegen Glüxams und Ayrtons Spiel regelmäßig die Vorhalte als Vorschläge spielen. Da es sich in beiden Fällen um Hip-Einspielungen handelt, historisch informierte also, stellt sich erneut die Frage nach der Korrekten Spielweise… falls es denn eine solche überhaupt je gegeben hat. Bei Wiederholungen wird zunächst vorsichtig ausgeziert. Der dritte Satz der Sonate allerdings könnte nunmehr auch „quasi una fantasia fantastica dopo Mozart“ betitelt werden: Die Interpreten erkennen und nutzen zwei Möglichkeiten, sogenannte Eingänge zu spielen, zudem wird das Rondothema immer weiter - beinahe bis zur Unkenntlichkeit - variiert, was nicht in den Noten steht. Das ist auf alle Fälle ein besonderes Erlebnis! Der ansonsten eher trocken wirkende letzte Satz der Sonate KV 521 wird so sehr lebendig und geistreich.
* * *
Um dem Titel des Albums gerecht zu werden, werden in einer sehr gelungenen Darbietung die Miniaturgesänge KV 346, 436, 437, 438, 439 und 549 eingestreut: Es singen Sandrine Piau, Valérie Gabail und Frédéric Caton, mit der Clarinette begleitet von Gilles Thomé und dem Ensemble l’Harmonie Bohémienne. Diese Notturni stammen vermutlich nicht zu 100 v.H. von Mozart, sondern könnten z. T. auch von Gottfried von Jacquin stammen, was aber deren Eleganz in keinster Weise schadet. Natürlich darf auch das berühmte Bandel-Terzett KV 441 nicht fehlen: Neben Sandrine Piau und Frédéric Caton singt hier Topi Lehtipuu – begleitet werden sie hip vom Quatuor Galuppi, das mich sehr beeindruckt hat. Dieser Vortrag entlockt mir stets ein mehr als zufriedenes Lächeln. Zur Abrundung werden auch das Adagio KV 580a [quasi das "Ave verum" ohne Worte], KV 484e, KV 411 sowie KV 410 gespielt. Schließlich endet Disque 1 von dem Kanon „Ach zu kurz“ KV 228 und Disque 2 – selbstverständlich! – mit „Bona nox“ KV 561.
Ja, so könnte sich ein Jacquin’scher Abend in der Tat angehört haben! Meines Wissens gab es allerdings mindestens noch einen Abend, an dem das Klaviertrio E-Dur KV 542 gegeben wurde...
Viele Grüße
Ulli