Haydn: Die Streichquartette op. 54 & 55

  • Hallo,


    ich dachte, man könnte die bisher etwas kurze Serie von Haydnquartetten mal fortsetzen. So viele Serien sind es ja auch nicht. Also geht es gleich mal weiter mit dem obligatorischen Sixpack op. 54 & 55:


    Quartett G-Dur op. 54 Nr. 1 [Hob. III:58]
    Quartett C-Dur op. 54 Nr. 2 [Hob. III:57]
    Quartett E-Dur op. 54 Nr. 3 [Hob. III:59]
    Quartett A-Dur op. 55 Nr. 1 [Hob. III:60]
    Quartett f-moll op. 55 Nr. 2 [Hob. III:61]
    Quartett B-Dur op. 55 Nr. 3 [Hob. III:62]


    Komponiert wurden die Quartette 1788. Sie werden auch "Tost-Quartette, 1. Serie" genannt, weil Herr Tost - Exgeiger des haydnschen Ersterháza-Ensembles - sie sich unter den Nagel riss und sehr gut verstreute, was sich in seinem Geldsäckchen offenbar ebensogut bemerkbar machte. Gewidmet waren ihm die Quartette im Gegensatz zu op. 64 "2. Sammlung Tost" hingegen nicht.


    Sehr zu meinem Bedauern habe ich momentan etwas wenig Schreibzeit, weshalb die Einführung entsprechend ungerecht knapp ausfällt...aber ich bin ja sicher nicht der einzige, der diese Werke kennt und schätzt.


    Mein Favorit-Satz daraus ist vorerst einmal das Allegro [2. Satz] des f-moll-Quartetts op. 55 Nr. 2. Gleichenfalls von besonderer Schönheit und zudem gerade passender Melancholie empfinde ich den 2. Satz [Adagio] des C-Dur-Quartetts op. 54 Nr. 2.


    Lange hat es gedauert, bis ich diese Einspielung zu akzeptablem Preis erhalten konnte:



    Joseph Haydn [1732-1809]
    Les Quatuors Œuvres 59 & 60
    Œuvres 7 & 8 [Artaria]
    connus comme opus 54 & 55


    Quatuor festetics


    Ich bin natürlich damit hochzufrieden :] - und werde weiter berichten. Erstmal müssen beide CDs bis zum Umfallen gehört werden.


    :faint:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Die Sammlung insgesamt finde ich faszinierend, sie gehört insgesamt sicher zu den experimentelleren Werken Haydns (besonders verglichen mit den Nachbarn 50 und 64, die für ihn fast schon konservativ zu nennen sind). Man nehme etwa das schon erwähnte C-Dur-Quartett mit dem "Zigeunergeiger" im langsamen Satz und dem adagio-presto-adagio-Finale. Oder das f-moll, das als letztes Werk noch einmal den langsamen Variationensatz an den Anfang stellt, überhaupt ein wenig wie ein Nachklang aus der Sturm&Drang-Zeit um 1770 wirkt.


    Ich habe leider nicht genügend Zeit und Muße, daher erstmal nur die beiden ersten Quartette etwas ausführlicher.


    Ich habe op.54,1 G-Dur mit dem Festetics (Arcana), dem Amadeus (DGG), dem Angeles (Philips) und dem Carmina Quartett (eine SWR-CD von den Schwetzinger Festspielen 2001) angehört.
    Vollständig begeistert bin ich eigentlich von gar keiner. :rolleyes: Am meisten Verve an den Tag legt das Carmina, aber die klingen (vermutlich wg. live) nicht besonders gut, etwas dünn, direkt und teils kratzig. Das Festetics gefiel mir eben beim Wiederhören zwar deutlich besser als vor Weihnachten, aber sie sind mir hier viel zu gemütlich unterwegs. Das ist nicht mal in erster Linie das Tempo (aber auch, v.a. in Menuett und Finale sind sie mir viel zu langsam, warum sind HIP-Quartette tendenziell langsamer als traditionelle, wo es überall umgekehrt ist?!?), sondern es mangelt hier einfach etwas an Esprit. Sonst eine gute Interpretation. Auch die beiden anderen sind ordentlich, ohne irgendwie herauszuragen.
    Das Werk selbst spritzig, teils fast konzertant (hauptsächlich natürlich 1. Vl., aber im Trio des volkstümlichen Menuetts gibt es auch ein Cello-Solo. Der zweite Satz ist ein allegretto in 6/8, zunächst fast serenadenhaft, dann aber mit feierlich-ernsten Ausbrüchen. Das Finale ist sehr typisch für Haydn in jener Zeit, mit Rondo- und Sonatenelementen, ähnlich z.B. den Finali der Pariser Sinfonien. Überraschend hier der pp-Schluß (den leider auch nicht alle angemessen plötzlich hinkriegen...)



    in op.54,2 C-Dur gefällt mir das Festetics-Q. wesentlich besser als im ersten Quartett! Ich würde ihnen (wobei ich die anderen auch noch mal anhören müßte) hier klar den Vorzug vor Angeles und Amadeus geben. Sie sind wesentlich energischer im Kopfsatz, der ein wuchtigeres Stück als der schlanke, konzertante in #1 ist, stellenweise fast orchestral. Dann folgt ein kurzes melancholisches Adagio in c-moll, dominiert von ungarisch anmutenden Verzierungen der Vl. 1. Sehr eng damit verknüpft ist das folgende Menuett, denn das harmonisch stellenweise sehr schroffe Trio steht wieder in der Molltonart.
    (das Tempo des Festetics ist o.k.)
    Das Finale schließlich ist wieder ein langsamer Satz. Ein ruhig-erhabenes Adagio, das von einem Presto (einer Variation des adagio-Materials) unterbrochen wird.
    (Dass die langsamen Sätze die besondere Stärke der Festetics sind war auch sonst öfters mein Eindruck)
    Insgesamt ein höchst ungewöhnliches Werk!


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Salü,


    nach einer ausgiebigen Hörsitzung ist noch immer op. 55 Nr. 2 in f-moll mein Favorit aus dieser Sammlung. Nachdem mich zunächst fast nur das Allegro mit seinen schier unendlichen Seufzermotiven in seinen Bann zog, habe ich nun das vorangestellte Andante più tosto allegretto für mich entdeckt: mir will einfach der Anklang an "Mozarts" Benedictus* aus seinem Requiem nicht aus den Ohren gehen - die melodische Führung ist durchaus extrem ähnlich, wenn sie auch ein paar Füllnoten enthält. Zudem findet sich diese "Melodie" auch in Haydns "Sieben letzten Worten" wieder. Es ist eine Art Variationssatz, der sich immer wieder zwischen moll und Dur hin und her bewegt, um schließlich ganz unauffällig in F-Dur ein kaum hörbares Ende zu finden.


    Benedictus qui componet.


    :hello:


    Ulli


    *[SIZE=7]Das Thema findet sich im 1784er Unterrichtsheft Mozarts für Babette von Ployer [Nichte des Abbé Maximilian Stadler], welches Süßmayr ggfs. als Vorlage diente [!?] und zwar gleich als erste Übung in 4 Fassungen.[/SIZE]

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    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo,


    Ulli spricht vom "Sixpack", die beiden Opusziffern beherbergen jedoch jeweils nur 3 Quartette. Gehören die Sechs konzeptionell dennoch zusammen bzw. wurden sie als ein Ganzes herausgegeben, wie damals üblich? Falls ja, warum in zwei opi aufgeteilt?


    Leider kenne ich mich mit Haydn und seinen Werken bisher überhaupt nicht aus. In der Vergangenheit hat man mir den Haydn mit halbherzigen und unkonzentrierten Konzerteröffnungen zum Warmspielen vergrault. Meist ging das Konzert danach erst richtig los.


    Aber wie ich hier so den Eindruck habe, gibt es etwas Wichtiges nachzuholen!?


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Der Verleger hat anscheinend zwei Sixpacks, 54/55 und 71/74 auf diese getrennte Weise veröffentlicht.
    (Dummerweise gibt es auch einige Einspielungen, wo nur eine Hälfte aufgenommen wurde...)
    Wie chaotische das offenbar war, zeigt ja das Cover, auf dem op.59 und 60 steht. Diese Opuszahlen gab es anscheinend auch mal für die Stücke.


    Letztlich steht ja ohnehin jedes Werk für sich, aber diese beiden Gespaltenen sind eigentlich ebenso Sechsergruppen wie op.9-76.


    Ob und wie sehr Dir Haydns Quartette generell gefallen würden, kann ich natürlich nicht sagen. Da Du aber ja Mozarts 10 späte und Beethovens op.18 kennst, sollten sie Dir nicht völlig zuwider sein.
    Die sehr preiswerten Einspielungen des Buchberger-Q. bei Brilliant sollen ja angeblich nicht schlecht sein. (Die von Penguin u.ä. sehr gelobten auf Naxos fand ich nicht so toll, aber katastrophal sind sie auch nicht).


    :hello:


    JR

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  • Hallo, Uwe!


    Dann muß ich meine obige Unterlassenschaft wohl ergänzen:


    Zitat von Uwe Schoof

    Ulli spricht vom "Sixpack", die beiden Opusziffern beherbergen jedoch jeweils nur 3 Quartette. Gehören die Sechs konzeptionell dennoch zusammen bzw. wurden sie als ein Ganzes herausgegeben, wie damals üblich? Falls ja, warum in zwei opi aufgeteilt?

    Georg Feder: [...] Die Aufteilung in zwei Opera von je drei Werken geschah durch die Verleger. Doch handelt es sich wieder um eine Serie von sechs Werken [...]



    Zitat

    Leider kenne ich mich mit Haydn und seinen Werken bisher überhaupt nicht aus. In der Vergangenheit hat man mir den Haydn mit halbherzigen und unkonzentrierten Konzerteröffnungen zum Warmspielen vergrault. Meist ging das Konzert danach erst richtig los.


    Aber wie ich hier so den Eindruck habe, gibt es etwas Wichtiges nachzuholen!?

    Dann geht's bei Dir jetzt wohl richtig los... Threads zu Haydns Quartetten gibt es mittlerweile schon einige:


    Im Allgemeinen:
    Haydns Streichquartette
    Haydn vs Boccherini - Wer schrieb die einprägsameren Streichquartette ??


    Im Besonderen:
    Haydn Streichquartett in C-dur op 9 Nr 1
    J. Haydn "Sonnenquartette" op. 20, 1-6
    Joseph Haydn: Quartett d-moll op. 76 Nr. 2 “Quintenquartett” [Hob. III: 76]


    Einen Haydnspaß wünscht


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo!


    Bei den Quartetten op. 54 gibt es gleich drei verschiedene historische Notenausgaben - aus Paris (Sieber), Wien (Artaria) und London (Longman and Broderip) - alle aus dem Jahre 1789.
    Das Problem: Die Londoner Version unterscheidet sich in vielen Details von der Pariser/Wiener.
    Naheliegenderweise ging man lange davon aus, daß die in Paris und Wien erschienenen Noten im haydnschen Sinne korrekt waren. Doch neuere Untersuchungen zeigen, daß der Londoner Notentext typischer für Haydn ist und in den anderen wohl einige für Haydn untypische Details und Vortragsbezeichnungen hinzugefügt worden sind.
    Demnach wäre die Londoner Ausgabe eher als die originale anzusehen. Das macht z.B. schon bei den Satzbezeichnungen gravierende Unterschiede. In op. 54 Nr. 1 muß es im 1. Satz "Vivace assai" statt "Allegro con brio" heißen, im 2. Satz "Andante piu tosto Allegretto" statt "Allegretto" und im Finale "Vivace" statt "Presto".
    Das hat dann entsprechnde Auswirkungen auf den Charakter der Sätze.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Wie heute schon an anderer Stelle erwähnt, bin ich gerade dabei meine Haydn-Kollektion mit dem Auryn Quartett zu komplementieren. Heute kam das op. 54 dazu. Und nachdem ich 54.1 und 54.2 gehört habe, muß ich sagen, dass dies eine der schönsten Quartett CDs ist, die mir bisher untergekommen ist. Nicht nur, dass es hier um zwei der m.E. wertvollsten Schöpfungen von Haydn geht, sondern das Spiel des Auryn Quartetts ist so überirdisch, dass ich mir eigentlich nicht vorstellen kann, dass es noch besser geht. Balance, Tempi, Phrasierung, alles perfekt und trotzdem rührt das Spiel ungemein an, nichts wirkt routiniert, sondern alles eingebettet in einen Fluss von Musik, der gar nicht aufhören sollte.

  • Die vom Thread-Eröffner Ulli favorisierte Aufnahmen der je drei Streichquartette Op. 54 und Op. 55 des Quatuor festetics sind in der Box die Scheiben 11 und 12.


    Es wurde die Artaria-Ausgabe des Notentextes verwendet.


    Wer Streichquartette liebt, sollte diese Gesamtaufnahme in seine Sammlung aufnehmen. Sie ist der historisch informierten Aufführungspraxis verpflichtet.

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928