Tristan und Isolde - Gibt es eine Idealaufnahme ?

  • Zitat

    Original von Beren_fox
    Habt ihr eine Lieblingsstelle im Tristan?


    Brangänes Wachtgesang im 2. Akt (von: "Einsam wachend in der Nacht" bis "Habet Acht! Bald entweicht die Nacht!").


    Die Zeit steht hier gleichsam still, ein tonales Zentrum ist kaum mehr auszumachen, die Musik schwebt "zwischen den Zeiten". Himmlisch.


    Gruss
    Spielmann

  • Hat sich denn schon jemand "getraut", diese Neuaufnahme anzuhören / zu erwerben?



    Wagner, Richard (1813-1883)
    Tristan und Isolde
    Millgram, Forsen, Fassbender, Lundberg, Kyhle, Dike,
    Royal Swedish Opera Male Chorus & Orchestra,
    Segerstam
    3 CDs
    Naxos
    DDD, 2004


    Leider bin ich selbst auf der Naxos-Site bisher noch nicht über die genaue Besetzung (wer welche Rolle singt) gestolpert... Es handelt sich jedenfalls um eine Studioproduktion...
    Wäre sehr an Meinungen dazu interessiert!


    Gruß
    Karsten


    Nachtrag:
    Habe die Besetzung gefunden:


    Wolfgang Millgram (Tristan),
    Hedwig Fassbender (Isolde),
    Lennart Forsen (König Mark),
    Gunnar Lundberg (Kurwenal),
    Magnus Kyhle (Melot),
    Martina Dike (Brangäne),
    Ulrik Qvale (Hirte/Seemann),
    John Erik Eleby (Steuermann),
    Royal Swedish Opera Male Chorus,
    Royal Swedish Opera Orchestra,
    Leif Segerstam (conductor).


    Gruß
    Karsten


  • Hallo Karsten,


    die vorliegende Aufnahme konnte ich noch nicht hören, bin aber in Besitz eines höchst spannenden Livemitschnitts aus der Königlichen Oper Stockholm vom 13.03.2004, die sich lediglich durch NINA STEMME also Isolde anstelle von Hedwig Fassbender unterscheidet.



    Im Zuge dieser Tristan-Premiere hat Naxos die Aufnahamen in Stockholm gemacht. Eben jene Besetzung war ursprünglich auch für die Naxos-Produktion vorgesehen, was letztlich an der EMI scheiterte, die sich weigerte die exclusiv verpflichtete Nina Stemme freizugeben. Was im Kontext zum bald bei EMI erscheinenden Pappano-Tristan (mit Stemme und Domingo) nur allzu verständlich ist.


    Naxos ist übrigens auf dem Cover ein kleiner, aber unangenehmer Fehler unterlaufen. Der Name des Tristan lautet Wolfgang Millgramm (also mit doppel "m" anstatt einem).


    Zu dem Live-Mitschnitt: Der Höhepunkt ist unzweifelhaft die strahlende und tief empfindende Isolde der Nina Stemme. Ein bedeutendes Material mit stupender Höhe und etwas Metall. Im ersten Akt ist sie furios ("Wie lachend sie mir Lieder singen..."), wie selten eine Isolde unserer Tage, mit Ausnahme von Elizabeth Connell vielleicht. Elektrisierend ihr „Fluch dir Verruchter...“. In meinen Augen eine der Hoffnungsträgerinnen dieses Faches für die Zukunft.



    Der Tristan von Wolfgang Millgramm ist Geschmacksache aber nicht unrecht. Der mittlerweile recht guttural klingende Tenor, mit baritonalnachgedunkeltem Material mobilisiert für den Fieberwahn des dritten Aktes erstaunliche Kräfte und wirkt hierin durchaus überzeugend. Seine Emphase und die unforcierte Höhe begeistern („Isolde kommt, Isolde naht“). Die Stärke Millgramms war ohnehin immer seine sichere obere Quinte, die ihn für Partien des italienischen Faches prädestinierte. Das kontemplative Moment des zweiten Aktes („O König, das kann ich dir nicht sagen“) liegt ihm etwas weniger. Der mittlerweile 51 jährige Sänger überzeugt mich in dieser Partie mehr als Siegfried Jerusalem in seinen besten Jahren.


    Der Rest der Besetzung ist gutes Mittelmaß, abgesehen von dem doch deutlich intonationsgetrübten Gunnar Lundberg als Kurwenal.


    Segerstams Dirigat ist von überzeugendem Format, er setzt auf flotte Tempi und profitiert von dem wirklich achtsamen Spiel des Stockholmer Opernorchesters.


    Also sind sowohl die Naxos Aufnahme als auch der EMI-Tristan (wegen Nina Stemme) von Interesse.


    Herzliche Grüße


    Gino

    Im Verhältnis zur Musik ist alle Mitteilung durch Worte von schamloser Art.
    Friedrich Nietzsche

  • Hallo Gino!


    Danke für die erste Einschätzung des Naxos-Tristan! Auch in der Fachpresse (Opernglas) kam die Aufnahme überraschend gut weg...


    Gruß
    Karsten

  • Wagnerianer!


    Gerade lese ich sowohl bei amazon als auch bei jpc, dass von der EMI im August eine Neuveröffentlichung ansteht:


    Tristan und Isolde, 3 CD + Bonus-DVD mit der kompletten Audio-Aufnahme der Oper
    in DTS 5.1 incl. vollständigem On-Screen-Libretto.
    Placido Domingo, Nina Stemme, Rene Pape, Olaf Bär, Ian Bostridge, Rolando Villazon, Mihoko Fujimura, Covent Garden Orchestra, Antonio Pappano.


    Nun ist Domingo als Wagner-Sänger ja alles andere als unumstritten (Lohengrin unter Solti), wenn gleich, wenn ich mich recht erinnere, er bei seinem Bayreuth-Debut als Siegmund vor einigen Jahren (Sinopoli/Flimm) ganz gute Kritiken bekam.


    Nun ist es sicherlich müßig über noch nicht veröffentliche Aufnahmen zu diskutieren, aber an Domingos Seite tummeln sich ja einige interessante Namen: Nina Stemme wurde hier ja bereits positiv bewertet und singt die Rolle jetzt auch in Bayreuth. Und Pape, Bär und Bostridge, sind ja, um aus aktuellem Anlass mal einen Ausdruck aus dem Radsportjargon zu entlehnen, quasi Edelhelfer. Und Pappano hat in Bayreuth auch schon den Lohengrin dirigiert. Was haltet Ihr also von dieser Konstellation?


    Gruß
    Christian

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  • Lieber Christian,


    Das Beste halte ich in vorauseilender Freude. Ich hatte das Vergnügen, Papano als Wagner-Dirigenten an der Wiener Staatsoper zu hören (Premiere von Siegfried) und auch Domingo als Parsifal und als Siegmund.
    Das wird sicherlich eine sehr gute Studio-Produktion. Live dürfte Domingo den Tristan nicht mehr schaffen.

    Otto Rehhagel: "Mal verliert man und mal gewinnen die anderen".
    (aus "Sprechen Sie Fußball?")

  • Zitat

    Original von Christian Helming
    Nun ist es sicherlich müßig über noch nicht veröffentliche Aufnahmen zu diskutieren, aber an Domingos Seite tummeln sich ja einige interessante Namen: [...] Was haltet Ihr also von dieser Konstellation?


    Domingo als Tristan? Tja, ich weiss nicht. Ich habe mir vor Jahren die Meistersinger mit Domingo als Walther von Stolzing zugelegt (mit Fischer-Dieskau und Ligendza) und habe mir die Aufnahme ein einziges Mal angehört. Die Einspielung ist eigentlich nicht schlecht, aber der starke Akzent und die entsprechend schlechte Deklamation von Domingo verderben den ganzen Spass - schöne Stimme hin oder her. Bei Walther ist ein gewisses Mass an Belcanto ja noch tolerierbar, aber als Tristan? Bei dieser Besetzung spielen wahrscheinlich zwei Dinge eine Rolle: der Name Domingo verkauft sich gut und ... es gibt keine valablen Heldentenöre mehr.


    Spielmann

    Einmal editiert, zuletzt von Spielmann ()

  • Zitat

    Original von Spielmann
    Domingo als Tristan? Tja, ich weiss nicht. Ich habe mir vor Jahren die Meistersinger mit Domingo als Walther von Stolzing zugelegt (mit Fischer-Dieskau und Ligendza) und habe mir die Aufnahme ein einziges Mal angehört. Die Einspielung ist eigentlich nicht schlecht, aber der starke Akzent und die entsprechend schlechte Deklamation von Domingo verderben den ganzen Spass - schöne Stimme hin oder her. Bei Walther ist ein gewisses Mass an Belcanto ja noch tolerierbar, aber als Tristan? Bei dieser Besetzung spielen wahrscheinlich zwei Dinge eine Rolle: der Name Domingo verkauft sich gut und ... es gibt keine valablen Heldentenöre mehr.


    Ich frage mich auch, was solche über mehrer Tage/Wochen "zusammen geschnippselten" Studio-Tristans mit dem Wagner-Gesang zu tun hat, den man von der Bühne kennt/erwartet. Beim neuen Naxos-Tristan kommen wenigsten Sänger zum Einsatz, die die Rollen auch auf der Bühne durchgestanden haben...
    Aus rein gesangstechnischer Sicht wird Domingos Tristan sicherlich interessant, aber ob man (nur) dafür soo viel Geld ausgeben soll/muss/will?


    Gruß
    Karsten

  • Hallo,


    nun, meiner Begeisterung über Nina Stemme habe ich oben ja schon Ausdruck verliehen. Allein ihretwegen interessiert mich die Aufnahme. Der Rest der Besetzung sieht auch nicht unbedingt nach einer Agenturbesetzung aus. René Pape habe ich hier in Berlin oft live als Marke gehört. Er ist kein alter, resignierter Mann sondern ein tief verletzter, aber noch mitten im Leben stehender Herrscher. Allein sein balsamisches Timbre und die tiefe seiner Interpretation stehen für sich. Mihoko Fujimura kenne ich als Kundry ohne jede Ausstrahlung, dafür mit umso mehr Stimme. Ihr tiefes Register ist eine wahre Freude und in diesem Fach heute eine Seltenheit. Sicher ist sie eine große Hoffnung für die Zukunft. Bei Rolando Villazon braucht man nicht zu seinen beiden Virgin-Recitals zu greifen, es reicht sein südländischer, hocherotischer Steuermann auf Barenboims Holländer um den Ausnahmerang dieser Stimme festzustellen. Ich habe Villazon hier in Berlin u.a. als Macduff, Rodolfo und Alfredo gehört. Außerordentlich! Bei Olaf Bär bin ich mir da schon nicht mehr so sicher ob Fach und Partie das richtige, für diesen Sänger der eher bei Mozart und im Lied zuhause ist, sind.


    Und das Pappano nach seinem Bayreuther Lohengrin und auch dem toll dirigiertem Wagnerrecital mit Domingo und Voigt prädestiniert für ein spannendes Tristan-Dirigat ist, liegt auf der Hand. Domingo ist natürlich eine kontroverse Besetzung. Am liebsten höre ich ihn noch als Parsifal unter Levine und als Lohengrin. Die Probleme mit der Diktion - zwar im laufe der Jahre deutlich geringer geworden - (man vergleiche die frühen Meistersinger mit dem Wagnerrecital) sind aber weder angenehm noch wegzudiskutieren. Den Tristan hat Domingo ja schon seit Jahren anvisiert, wird ihn aber sicher auf der Bühne nicht mehr realisieren.


    Karsten, Du hast natürlich Recht. Im Vorhinein weiß man nie wie synthetisch ein solches Studioprodukt wird.


    Dennoch: Ich werde der Aufnahme natürlich eine Chance geben. Alles Neue schon vor Erscheinen schlecht zu reden, scheint mir eher Wichtigtuerei zu sein, zumal diese Besetzung nun wirklich spannendes verheißt…


    Liebe Grüße


    Gino

    Im Verhältnis zur Musik ist alle Mitteilung durch Worte von schamloser Art.
    Friedrich Nietzsche

    Einmal editiert, zuletzt von Gino_Poosch ()

  • Hallo,


    habe jetzt ein Cover des am 08.08. erscheinenden Pappano-Tristan gefunden:



    Finde ich auf den ersten Blick eher enttäuschend. Was denkt Ihr?


    Grüße
    Gino

    Im Verhältnis zur Musik ist alle Mitteilung durch Worte von schamloser Art.
    Friedrich Nietzsche

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  • Hallo Gino,


    stimmt. Allein vom Cover her zu urteilen, könnte man meinen, daß Domingo nicht Tristan sondern den Marke singt. Domingo sieht hier wie ein Ex-Latin-Lover aus, der nochmal den "zweiten Frühling" erlebt.


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)


  • Vor einigen Monaten erschien bei der DGG eine Neu-Auflage des Kleiber-Tristans, neu remastered auf nun 3 (statt vorher 4) CDs. Weiß jemand zufällig, ob und inwieweit die Aufnahme konkret in klangtechnischer Sicht überarbeitet wurde? Damals waren ja einige Interpreten (Kollo und/oder Kleiber?) ja mit dem Klang der Aufnahme nicht sonderlich zufrieden (lag wohl an den Anfängen der Digitaltechnik).


    Gruß
    Karsten

  • Sagitt meint:


    Ich denke vor allem, es ist schon ziemlich frech, eine DVD hinzuzufügen und dann kein einziges Bild zu zeigen. Den Text hätte ich notfalls selbst lesen können. Diese nochmals mit eiiner Tonspur aif DVD zu bringen, ist ein wenig Bauernfängerei, auch wenn es im Prinzip verdienstvoll ist, Wagner-opern zu untertiteln, damit man den Text versteht ( wenn man ihn verstehen mag). Immerhin singt die momentan so hochgelobte Schwedin Stemme. Ist sie eine gute Isolde ? Kenner mögen sich äußern.

  • Zitat

    Original von sagitt
    Immerhin singt die momentan so hochgelobte Schwedin Stemme. Ist sie eine gute Isolde ? Kenner mögen sich äußern.


    In der Rundfunk-Übertragung aus Bayreuth vom 25.07.2005 konnte sie durchaus überzeugen, wenngleich übertriebene Euphorie fehl am Platze ist. Sie bringt viel ein in die Rolle, hat eine schöne, reif klingende und durchdringende Stimme, die bis zuletzt durchhielt. Die leisen, lyrischen Töne liegen ihr vielleicht weniger als die Momente dramatischer Ausbrüche. Mir persönlich liegt ihr breites Vibrato nicht so, auch fehlt ihr etwas die Jugendlichkeit in der Stimme. Wie alt ist eigentlich Isolde? Wohl gar nicht mehr so jung?


    Wenn wir schon dabei sind: Robert Dean-Smith machte als Tristan eine mehr als respektable Figur, fand ich. Bei Tristan sind wir ja auf Live-Bühnen noch weniger verwöhnt als bei den Isolden. Der Rest war durchschnittlich: Petra Lang als Brangäne noch solide, wohingegen Andreas Schmidt als Kurwenal entweder einen schlechten Tag hatte oder eine Fehlbesetzung ist. Das Dirigat von Eije Oue überzeugte mich ab dem 2. Akt immer mehr, aber verglichen mit den jederzeit spannenden Carlos Kleiber-Ausdeutungen der 70er Jahre blieb das Orchester im normalen Rahmen, ohne grosse Überraschungsmomente.


    Also, wegen Nina Stemme würde ich persönlich die neue Studio-Einspielung mit Placido Domingo nicht kaufen. Da ist die alte Konkurrenz (Mödl, Nilsson, Ligendza) doch überlegen.


    Spielmann

  • Zitat

    Original von sagitt
    Sagitt meint:


    Ich denke vor allem, es ist schon ziemlich frech, eine DVD hinzuzufügen und dann kein einziges Bild zu zeigen. Den Text hätte ich notfalls selbst lesen können. Diese nochmals mit eiiner Tonspur aif DVD zu bringen, ist ein wenig Bauernfängerei (...)


    Hallo Sagitt,


    nun, ich sehe das etwas anders. Ich bekomme die Aufnahme zwar erst am Wochenende, kann mich also inhaltlich noch nicht äußern, aber finde den Preis von ca. 40 Euro für eine 3CD Neuerscheinung absolut normal. Andere Tristan-Einspielungen werden aus geldschinderischen Gründen auf 4 CD's veröffentlicht, der Bernstein Tristan in der Erstausgabe gar auf 5 CD's. Wenn EMI dann noch eine DVD hinzulegt, in 5.1 DTS Surround Sound Kodierung, ist das doch mehr als respektabel. Man muß ja sehen, daß man somit zum Preis von einer, gewissermaßen zwei komplette Tristan-Aufnahmen erwirbt (sic!), und etwa die DVD an einen Bekannten weitergeben könnte. Dieser würde sich dann evtl. den Kauf der Aufnahme sparen. Wer über ein solches Sorround System verfügt (ich nicht) kann die Produktion dann wohl räumlich abgebildet hören. Das stelle ich mir bei Brangänes Wachgesängen und dem Lied des jungen Seemanns recht interessant vor.


    @ Spielmann
    Robert Dean Smith fand ich weit weniger eindrucksvoll als Nina Stemme und im dritten Akt bestenfalls larmoryant. Ich kenne ihn als Lohengrin und Parsifal seit Jahren aus der Deutschen Oper hier in Berlin. Aber mit dem Tristan tut er sich, wie so viele, bestimmt keinen Gefallen.


    Jürgen Kesting fand in seiner FAZ-Rezension der Aufnahme Nina Stemme auch nicht eben großartig. Aber, bei allem Respekt für Kesting, was heißt das schon? Ich genoß ihre Bayreuther Isolde ebenso, wie ihre Isolde auf einem Stockholmer Mitschnitt. Siehe dazu auch hier. Was für eine tolle Stimme. Ihre darstellerisch zwar recht blasse, stimmliche aber eindrucksvolle Elisabeth neben dem Tannhäuser Peter Seiferts habe ich hier in Berlin schon 2002 zu schätzen gelernt.


    Melde mich zu der aktuellen Produktion dann wieder, wenn ich weiß wovon ich spreche... :]


    Liebe Grüße


    Gino

    Im Verhältnis zur Musik ist alle Mitteilung durch Worte von schamloser Art.
    Friedrich Nietzsche

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  • Hallo Gino,


    bei http://www.bol.de ist die Aufnahme (noch) für 26 Euro zu haben (Lieferung allerdings erst ab 08.08.). Ich habe ihn mir da bestellt, allerdings soll amazon.de die Aufnahme auch schon mal für 20 Euro angeboten haben. Meine Erwartungen sind nicht allzu hoch, aber da ich im alten "Wagnerforum" schon eine sehr positive Rezension gelesen habe, bin ich dennoch gespannt auf diese angeblich allerletzte große Opern-Studioproduktion.


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Sagitt meint:


    ich bezog die Bauernfängerei nicht auf den Preis. Aus irgendeinem Grunde habe ich für das gesamte Paket nur 19.99 gezahlt. Also nicht der Preis, sondern die Idee: eine DVD zeigt Bilder, vielleicht von der Produktion oder von einer Inscenierung. Dann aber nur Texte zu sehen, die ich ja auch lesen könnte, weil ein dickes Textbuch dabei war, fand ich enttäuschend.
    In Wagner-Angelegenheiten bin ich gar nicht sachverständig,deswegen halte ich mich von jeder Beurteilung der Darstellung fern.

  • Hallo GiselherrHH,


    danke für den netten Hinweis, habe den Tristan aber heute bereits erhalten und werde den morgigen Sonntag nutzen, ihn mir zu Gemüte zu führen.


    Habe bereits ein bißchen quer gehört und mein Eindruck ist nicht der schlechteste. Dazu aber hier mehr in den nächsten Tagen.


    Liebe Grüße


    Gino

    Im Verhältnis zur Musik ist alle Mitteilung durch Worte von schamloser Art.
    Friedrich Nietzsche

  • Hallo zusammen,


    nachdem ich mich durch die interessanten Beiträge zu diesem Thema durchgeackert habe, schießt mir die Frage drchs Hirn: gibt es einen wirklich überzeugenden Tristan-Darsteller in unseren Tagen? Am ehesten hat mich dieser Tage noch Robert Dean Smith in der Bayreuther Radioübertragung überzeugt. Hier in München müssen wir uns seit Jahren mit John Fredrick West begnügen, einem stimmlich und darstellerisch stämmigen Tenor, der viele Wünsche offen lässt. Keine andere Tenorpartie erinnert mich so sehr an eine Olympiade wie der Tristan. Man muss sich schon glücklich schätzen, wenn man derzeit eine Bronzemedaille vergeben kann. Für von Gold und Silber sehe ich indessen keine Anwärter. Die Herren, die in diesem Thread genannt werden, deckt entweder der Rasen oder sie haben den Zenith ihrer Karriere überschritten.


    Florian

  • Hallo florian,


    rein gesanglich wäre da immer noch zuallererst Ben Heppner zu nennen. Er ist zwar sicher kein überragender Stimmschauspieler, hat aber, wie ich mich nochmal anhand einer Übertragung des jünsten Pariser Tristan vom Mai (mit Meier unter Salonen) überzeugen konnte, wenigstens die benötigten stimmlichen Ressourcen (Metall, Durchschlagskraft, aber auch Substanz in der Mittellage und im Piano-Bereich), um die Partie nicht bloß einigermaßen durchzustehen wie Robert Dean Smith (und das war in der orchestergedämpften Bayreuther Schon-Akustik!), sondern auch erfolgreich zu singen. Wenn man sich ihn allerdings dabei auch noch anschauen muß (er hat ja wohl wieder ziemlich an Umfang zugelegt), dann konterkariert der optische Eindruck doch ziemlich die vokale Leistung (Z.B. in der von Levine dirigierten Nilpferddressur im Halbdunkel aus der MET mit der noch umfänglicheren Frau Eaglen).


    Optisch wird es auch schwierig mit einem eventuell zukünftigen Tristan von Johan Botha. Der Südafrikaner ist ja auch ein ziemlicher Klops und auf der Bühne nicht gerade der Traum von einem Sängerdarsteller. Rein stimmlich hat er die Anlagen, die Partie auszufüllen, alleridngs habe ich da vom Interpretatorischen her leise Zweifel. Botha wirkt auf mich bisher ziemlich unbeteiligt an dem, was er singt (und er singt gut, schön und präzise!). Und wenn er dann auf diese Art die Fieberextasen des dritten Aktes singt, na ja ...


    Eine qualitative Stufe darunter (und momentan als Tristan vielbeschäftigt, auch bei uns in Hamburg wird er die Partie singen) befindet sich John Treleaven. Wenn Robert Dean Smith (noch) stimmlich ein relativ biegsames Florett ist, dann stellt Treleaven dagegen ein grob geschmiedetes, etwas schartiges Kurzschwert dar - baritonal geprägt mit reichlich gepreßten Höhen, allerdings auch mit kaum ermüdender Kraft versehen, bei dem man im Gegesatz zu Dean Smith keine Angst haben muß, daß ihm die Stimme im dritten Akt wegbricht. Eine verläßliche B-Besetzung, nicht mehr, aber auch nicht weniger.


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

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  • Eines ist hier in diesem Meinungsaustausch bereits klar geworden: den idealen Tristan gibt es nicht und wird es vermutlich auch nie geben, weder auf der Bühne noch auf CD. Alle Interpretationen sind Annäherungen. Annäherungen an diesen schweren Stoff, die schwere Musik und den noch schwereren Gesang, der an die Grenzen des überhaupt Machbaren geht. Nichtsdestotrotz hat sicher manch einer unter uns seine persönliche Lieblingsaufnahme, diejenige, die er auf die berühmte Insel mitnehmen würde.


    Meine Lieblingsaufnahme ist ein Bayreuther Mitschnitt aus dem Jahre 1975. Ich möchte diese Aufnahme hier etwas näher vorstellen. Es gibt 2 CD-Veröffentlichungen aus diesem Jahr. Eine vom 26. Juli und eine vom 8. August 1975. Ich spreche im folgenden vom Mitschnitt des 26. Juli. Es war dies die erste Tristan-Vorstellung, im zweiten Jahr der Everding-Inszenierung, mit folgenden Protagonisten:


    Helge Brilioth (Tristan)
    Es war sein letztes Jahr in Bayreuth. In den folgenden Jahren übernahm Spas Wenkoff seinen Part. Gerüchteweise hatte er ein Alkoholproblem und konnte die 6 Vorstellungen nur mit grosser Mühe durchstehen. 1975 war wohl überhaupt sein letztes Jahr auf der Bühne, bevor er für etwa 10 Jahre ganz von der Bildfläche verschwand. Erst Mitte der 80er Jahre werden wieder vereinzelte Auftritte verzeichnet, aber nicht mehr als Wagner-Sänger. Die sechs Vorstellungen des damals 44-jährigen bedeuten also gleichsam seinen Abschied von der Wagner-Bühne. Ligendza hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass Brilioth ihr Tristan Lieblingspartner war, und das sicher nicht nur, weil er ein Landsmann von ihr ist.
    Brilioth ist ein echter Heldentenor. Wie so viele hat auch er als Bariton angefangen und seine Veranlagung zum Heldentenor erst später entwickelt. Als solcher ist er als Tristan-Interpret besonders prädestiniert, denn er hat etwas tragisch-melancholisches in seiner Stimme, das sich schwer in Worte fassen lässt, aber ihn in dieser Rolle absolut glaubhaft erscheinen lässt. Sein Timbre ist metallisch und baritonal-tragend zugleich, auch fehlt es ihm nicht an Glanz bei den Spitzentönen. Dies gilt besonders für den 1. Akt, im zweiten und dritten Aufzug baut er allmählich ab, bleibt aber in dieser ersten Vorstellung noch knapp im grünen Bereich. Schade um die kurze Karriere dieses tragischen Helden. Helge Brilioth verstarb am 26. Dezember 1998 in Stockholm.


    Catarina Ligendza (Isolde)
    Es gibt nur wenige kommerzielle Platten-Einspielungen von Catarina Ligendza (Eva, 3. Norn und eine obskure Händel-Arien-LP). Das mag der Grund sein, wieso sie vergleichsweise wenig bekannt ist. Wer sie in den Jahren 1974-1977 in Bayreuth als Isolde erlebt hat, weiss um ihre besonderen Qualitäten. Als Schwedin wird sie gelegentlich mit ihrer Landsfrau Birgit Nilsson verglichen und rückt dann, mit dem Hinweis auf ihre begrenzteren stimmlichen Möglichkeiten, jeweils ins zweite Glied. Es ist wahr: mit dem stählernen Glanz und der stimmlichen Power einer Nilsson kann Ligendza nicht mithalten. Ihre Stimme hat dafür mehr Körper und Wärme. Ligendzas Stärken liegen in ihrer Intonationssicherheit, der rhythmischen Präzision und vor allem in ihrer glaubwürdigen Darstellung der Rolle. Ihre Deklamation ist ausgezeichnet. Man versteht fast alles. Jede Phrase wird sauber und nuancenreich ausgestaltet. Ligendzas Isolde strahlt Wärme und Menschlichkeit aus. Zur Zeit der Aufnahme war sie 38 und wohl auf dem Zenit ihres Könnens.


    Yvonne Minton (Brangäne)
    Eine wunderbare Brangäne, die in ihrem strahlenden und lupenrein singenden Mezzo-Timbre sehr schön mit Ligendza kontrastiert. Ihre Deklamation und Verständlichkeit ist nicht ganz auf der selben Höhe, aber sie macht das durch ihre überzeugende Rollengestaltung allemal wett. Für mich eine fast ideale Brangäne.


    Donald McIntyre (Kurwenal)
    Damals noch ohne "Sir". Gab zu dieser Zeit in Bayreuth auch den Wotan und Wanderer und konnte in dieser Rolle im Grossen und Ganzen überzeugen. Als Kurwenal gefällt mir McIntyre weniger. Irgendwie überdreht er den Kurwenal für meinen Geschmack und hat in exaltierten Passagen die Tendenz zum Fauchen und Bellen. Auch leidet die Verständlichkeit an seinem Akzent. Keine Fehlbesetzung, McIntyre legt sich sehr ins Zeug, aber ich stelle mir den Kurwenal doch etwas weniger tölpelhaft vor.


    Kurt Moll (König Marke)
    Molls kräftig strahlender und warm klingender Bass gibt dem König Marke ein intensives und ausdrucksstarkes Gepräge. Ich habe immer ein wenig Angst vor Markes grossem Auftritt im 2. Aufzug ("Tatest du's wirklich? Wähnst du das?"). Die Tirade geht mir um ein paar Minuten zu lang. Aber Moll verwöhnt mit seiner prächtig sonoren Stimme und gibt dem Marke einen zwar anklagenden aber menschlich mitfühlenden Zug. Eine tadellose Besetzung.


    In den kleineren Rollen geben Heribert Steinbach den Melot und Heinz Zednik den Hirten und Seemann. Beide ohne Fehl. Zednik war in diesen Jahren auch der Standard Loge und Mime in Bayreuth und präsentierte sich in diesen Rollen als würdiger Nachfolger des legendären Gerhard Stolze. So viel ich weiss singt er heute noch.


    Carlos Kleiber
    Es gibt analytische Dirigenten und es gibt solche, denen es mehr um die Gesamtwirkung, um das Rauschhafte geht. Kleiber ist beides zugleich, und ist in beiden Belangen überzeugend. Das macht seine Sonderstellung als Tristan-Dirigent aus. Von Wagner gibt es den berühmten Brief an Mathilde Wesendonck vom April 1859, wo er über seinen Tristan schreibt: "Ich fürchte die Oper [sic!] wird verboten – falls durch schlechte Aufführung nicht das Ganze parodirt wird –: nur mittelmässige Aufführungen können mich retten! Vollständig gute müssen die Leute verrückt machen,". Kleiber setzt alles daran, Wagners Befürchtungen wahr werden zu lassen. Es gibt Passagen, wo Kleiber den Orchesterapparat fast zur Raserei bringt, so dass man um die Statik des Festspielhauses fürchten muss. Seine Präzision und Kompromisslosigkeit in der Ausgestaltung noch der kleinsten Details der Partitur bilden einen Markstein in der Interpretationsgeschichte. Inwieweit kann das Bayreuther Festspielorchester sein Dirigat auf dieser Aufnahme umsetzen? Es gibt die üblichen verpatzten Einsätze in den Bläsern (dort fällt's halt immer auf, bei den Streichern weniger). Das Bayreuther Festspiel-Orchester spielt insgesamt auf tollem Niveau, aber es ist halt trotz allem keine bestehende Formation wie die Berliner, Wiener oder Dresdner, die jahraus jahrein an ihrer Präzision feilen können. Dieses Manko kann man in der vergleichsweise kurzen Zeit nicht wettmachen. Für ein ad-hoc zusammengestelltes Orchester leisten die Bayreuther erstaunliches. Ich nehme an, es werden sich eh nur Musiker für den Job melden, die eine besondere Affinität zu Wagner haben. Gross Geld verdienen lässt sich sicher nicht im Orchestergraben.
    Aber nochmals zurück zu Kleiber. Er hat einen Hang zu extremen Tempi. Das ist im Falle der rasanten Stellen meist hinreissend und die Sänger ziehen gut mit. Im Fall der langsamen Tempi habe ich, besonders im zweiten Aufzug, gelegentlich das Gefühl, dass er an den sängerischen Gegebenheiten ein wenig vorbeidirigiert. Die langsamen Tempi wirken dann nicht lyrisch, sondern schleppend und die Sänger quälen sich durch fadenlange Töne. Ein paar Bayreuther Vegleichszahlen für den 2. Aufzug: Böhm 72'18", Kleiber 74'09", Oue 72'23". Dessen ungeachtet, Kleibers Tristan Dirigat bleibt mit seinem jederzeit klaren Konzept und seiner blühenden Ekstatik in seiner Art einzigartig.


    Aufnahmequalität
    Es handelt sich wahrscheinlich um den Mitschnitt einer Stereo-Rundfunkausstrahlung. Die Qualität entspricht dem heutigen Standard der Übertragungen aus dem Bayreuther Festspielhaus. Es gibt gelegentliche Tonhöhenschwankungen und minimale Aussetzer in einem der beiden Kanäle, aber nie so, dass es den Gesamteindruck trübt. Die Präsenz und Verständlichkeit der Sänger ist meist ausgezeichnet, ebenso die Abmischung zwischen Orchester und Sängern. Von der technischen Qualität her also absolut befriedigend. Ganz anders als z.B. der Mono-Mitschnitt mit Windgassen/Ligendza/Kleiber aus Stuttgart 1973, wo ein permanentes Brummen und mangelnde Präsenz den Genuss doch erheblich einschränken. Man muss recht angefressen sein, um diese auf dem Graumarkt für sattes Geld angebotenen Amateur-Mitschnitte, meist aus dem Auditorium heraus aufgenommen, goutieren zu können. Leider sieht man den Qualitätsstandard den Produkten meist nicht an.


    Fazit
    Eine ausserordentlich stimmungsvolle Aufnahme mit einer erstklassigen Isolde, einem, trotz aller Einwände, beeindruckenden Tristan, einer fast idealen Brangäne, einem mittelprächtigen Kurwenal, einem überzeugenden Marke und ebenfalls toll besetzten Nebenrollen. Es gibt Momente in dieser Einspielung, wo wirklich keine Wünsche offen bleiben und die Verschmelzung von Drama, Orchester und Sängern auf eine Art und Weise gelingt, die das Ganze auf eine gleichsam magische Stufe hebt. Man schnuppert am Land "wo ich von je gewesen, wohin auf je ich gehe".


    Spielmann

  • Hallo GiselherrHH,


    ich teile Deine Einschätzung der drei von Dir genannten Sänger.


    Ben Heppner vermag etwas, dass bei heutigen Tristan-Sängern schon lange keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Er singt seine Partie. Ich habe ihn als Tristan neben Waltraud Meier hier in Berlin live erlebt. Natürlich geht er nie bis zum äußern, auch er muß ökonomisch mit seinen Kräften haushalten um den dritten Akt zu bewältigen. Ein Otello-Mitschnitt aus der MET in meinem Besitz bestätigt den grundsätzlich positiven Eindruck. Er verfügt über eine gut gebildete, unforcierte obere Quinte, den Mangel an Ausdruckswillen macht er mit schöner Phrasierung und Pianofähigkeit wieder wett. Sicher - er ist kein Jon Vickers (wer ist das schon?!), aber eine gute Wahl.


    Johan Botha kenne ich als wirklich beachtlichen Cavaradossi, Walther und "FroSch"-Kaiser. Auch bei ihm braucht man sich über die Höhe keine Sorgen zu machen, eher - wie Du schon bemerkt hast - über die Erfassung des Sinnes der gesungenen Worte. Er ist ebenso wie Heppner eher ein gesund-sportlicher Sänger, denn ein leidendes Individuum. Ob er zu dem jetzigen Zeitpunkt allerdings schon über eine Tristanstimme verfügt, wage ich zu bezweifeln.


    Absolut treffend Deine Kategorisierung in Bezug auf John Treleaven. Ich hörte ihn als Pollione und war einerseits abgestoßen von seinem Fortissimotenor ohne jegliche Musikalität und italianá, andererseits dankbar für seine potente, ausgeglichene Stimme, die mich nicht um jede heikle Phrase bangen lies. Das die geringsten Versuche mezza voce oder legato zu singen, kläglich scheiterten, darf nicht unerwähnt bleiben.


    Der von Florian erwähnte John Fredrick West ist eine sängerische Ausnahmeerscheinung. Diese riesige, häßliche Mimestimme ficht nichts an. Nach einer Tannhäuservorstellung hatte ich den Eindruck er stünde die Partie gleich im Anschluss noch einmal durch. Auch des dritten Tristanaktes entledigt er sich durchaus sportlich-entspannt. Daß er diese Partien jedoch bewältigt, heißt nicht, er könne ihnen im entferntesten gerecht werden. Zu quallig-meckernd die Tongebung, zu approximativ die Intonation. Hier deklamiert sich jemand auf Tonhöhe respektabel durch seine überlebensgroße Partie. Nicht mehr und nicht weniger.


    Mein klarer Favorit unter den dreien ist also Ben Heppner, der vielleicht in einigen Jahren bei ernsthafter Auseinandersetzung mit der Partie ein vollständigerer Tristan sein wird. Doch glaube ich - und erlaube mir hier vielleicht eine Majestätsbeleidigung - alle vorgenannten Tenöre übertreffen den angestrengten, oft nahezu kollabierenden Tristan von Siegfried Jerusalem. Sein wirkliches physisches Leiden beim Versuch den Fieberwahn zu bewältigen, vermittelt sich dem gebannten und mitleidenden Publikum jedoch oft fälschlicherweise als eindrucksvolles Exempel großer Schauspielkunst. Es war wahrlich für ihn an der Zeit diese Partien aufzugeben.


    Liebe Grüße


    Gino

    Im Verhältnis zur Musik ist alle Mitteilung durch Worte von schamloser Art.
    Friedrich Nietzsche

  • Zitat

    Original von Spielmann
    Eines ist hier in diesem Meinungsaustausch bereits klar geworden: den idealen Tristan gibt es nicht und wird es vermutlich auch nie geben, weder auf der Bühne noch auf CD. Alle Interpretationen sind Annäherungen.


    Hallo Spielmann,


    sicher geht Dein Befund in die richtige Richtung, trotzdem würde ich nicht so verabsolutieren und damit diese unzweifelhaft anspruchsvollste Tenorpartie im deutschen Fach noch zusätzlich mythologisieren.


    Die Tristan-Darstellungen von Lauritz Melchior, Ludwig Suthaus, Ramon Vinay, Max Lorenz und Jon Vickers, kommen alle - jeder auf seine Weise - dem Ideal recht nahe. Wie nahe, ist natürlich dem persönlichen Geschmack geschuldet.


    Vielen Dank für die liebevolle Schilderung Deiner Eindrücke des Kleiber-Tristans von 1975. Über die Leistungen Helge Brilioths haben Giselher und ich bereits hier diskutiert. Für einen Heldentenor im eigentlichen Sinne halte ich ihn jedoch keines Falls. Dafür fehlt ihm einfach das nötige Fundament, vielleicht auch Temperament. Oft klingt er mir zu reserviert. Das "tragisch-melancholische" in seiner Stimme, höre ich auch und halte ihn daher ebenfalls für einen heute unterschätzten Sänger. In meinen Augen war er jedoch nie ein Tristan, daß beweist auch der Mitschnitt aus dem Jahr zuvor. Für mich ist sein dritter Akt einfach eine Kapitulation, wobei er tatsächlich '75 etwas sicherer singt.



    Catariana Ligendza muß auf der Bühne durch ihre Jugendlichkeit und Ausstrahlung sicher große Wirkung gemacht haben. Ich unterstreiche Deine Ausführungen über sie in Gänze, mit Ausnahme der Aussage vielleicht, daß ihre Stimme mehr Körper als die Birgit Nilssons besaß.


    Wenn Du Kleiber magst, besorg Dir vielleicht noch den Tristan-Mitschnitt vom April 1978 aus der Scala. Neben Ligendza singt Spas Wenkoff einen dunkel-brütenden, eindrucksvollen Tristan. Nimsgern, Moll und Baldani ergänzen sinnvoll.


    @ Karsten:
    Thomas Moser war nie ein Heldentenor und wird es sicher nicht mehr werden. Ich habe schöne Abende mit ihm in Erinnerung. Besonders sein Kaiser war eine Offenbarung, heutzutage ist er es leider nicht mehr. Die Stimme ist per se recht interessant. Mein Premieren-Mitschnitt der Wiener Thielemann-Aufführungen differiert erwartungsgemäß mit der Ausgabe bei DGG. Moser hat sehr schöne Momente im Liebesduett des zweiten Aktes sowie in „Im Land das Tristan meint“, der Fieberwahn ist seine Sache natürlich nicht. Hier spreizt sich seine Stimme, die Vokale werden sehr offen gebildet. Eine respektable Leistung trotzdem.


    Grüße


    Gino

    Im Verhältnis zur Musik ist alle Mitteilung durch Worte von schamloser Art.
    Friedrich Nietzsche

  • Zitat

    Original von Gino_Poosch


    sicher geht Dein Befund in die richtige Richtung, trotzdem würde ich nicht so verabsolutieren und damit diese unzweifelhaft anspruchsvollste Tenorpartie im deutschen Fach noch zusätzlich mythologisieren.


    Hallo Gino,


    Dank für Deine Replik mit dem hübschen Ligendza Porträt! Mein Votum, dass es keinen idealen Tristan gäbe bezog sich übrigens auf die Fragestellung dieses Threads "Tristan und Isolde - Gibt es eine Idealaufnahme?", "Tristan" meint also das ganze Werk und nicht bloss die männliche Hauptrolle.


    Gruss
    Spielmann

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  • I have a dream - um es etwas pathosgesättigt mit Martin Luther King zu sagen; träumen darf man ja und dabei im Irrealen schwelgen. Ich würde zu gerne wissen, wie Ludwig Schnoor von Carolsfeld, der Tristan der Münchner Uraufführung, gespielt und gesungen hat. Nicht zuletzt deshalb, weil Wagner höchstselbst ihn wie keinen anderen Sänger gefeiert hat. Wagners Äußerungen suggerieren, daß Schnoor dem Tristan-Ideal reichlich nahe kam. Wie überwältigend muss eine Stimme gewesen sein, die Wagner ins Schwärmen brachte? Betrachtet man die Bilder der Uraufführung, sieht man einen Koloss ins Bühnenbild drapiert, dessen körperliche Beweglichkeit nach heutigen Maßstäben eher begrenzt erscheint. Schnoors Bühnenerscheinung strapaziert reichlich meine Fantasie angesichts der Forderungen, die Wagner auch an die schauspielerischen Fähigkeiten seiner Protagonisten zu stellen pflegte, e (was auch für die Isolde, Schnoors Ehefrau Malwida, gilt). Natürlich sind den Spekulationen Tor und Tor geöffnet. Aber träumen darf man ja wohl...
    Vielleicht wären wir von Schnoors Stimme - trotz Wagners Begeisterung - enttäuscht. Es gibt ein Beispiel aus dem Schauspiel. Sarah Bernardt war, neben der Duse, einst die gefeierste Schauspielerin ihrer Zeit. Das Publikum lag ihr zu Füßen. Vor einigen Jahren hörte ich von dieser Berühmtheit eine frühe Plattenkonserve, etwa 1906, mit der Rezitation eines Monologs. Es war einfach nur schauerlich, das Pathos für meinen Geschmack unerträglich bzw. belustigend. Vielleicht wird der Ruhm der Altvorderen ohne Tondokumentation doch besser bewahrt. Ihre heute stumme, nur schriftlich überlieferte Kunst bewahrt sie davor, an dem Wettbewerb der stilistischen Wandlungen teilnehmen zu müssen, die das Zeitalter der Tonträger eröffnet. Vermutlich erspart uns das einige Enttäuschungen.


    Florian

  • Hier meine Einschätzung zum neu erschienen Pappano-Tristan:



    Vorweg: Erfreulicherweise hält man mit diesem Tristan eine Gesamtaufnahme in den Händen, die keinen einzigen künstlerischen Totalausfall dokumentiert, womit sie schon die Hälfte der sich im Katalog befindlichen Aufnahmen hinter sich läßt. So kranken die neueren Produktionen an mindestens einer desolaten Sängerleistung. Bei Carlos Kleiber bringt Fischer-Dieskau die Aufnahme ins Ungleichgewicht, bei Barenboim ist es, und das wiegt schwerer, Siegfried Jerusalems bemühter Tristan.


    So erweist sich die als "letzte große Opernstudioproduktion" angekündigte Einspielung, durchaus als sorgfältig produzierte Bereicherung der Diskographie. Man möchte fast wehmütig werden, bedenkt man das Peter Alward, ein Mann mit unbestechlichem Anspruch, der auch diese Aufnahme auf Domingos Wunsch ermöglichte, nun nicht mehr bei EMI tätig ist. Womit diesem Unternehmen nicht weniger als der Verlust eines individuellen Profils droht.


    Absolutes Plus der Produktion ist Antonio Pappanos grandioses Dirigat. Was ihm der Widmungsträger dieser Aufnahme, Carlos Kleiber, an sensualistisch-verklärter Lesart voraus hat, macht Pappano mit untrüglichem Instinkt für Steigerungen (Liebesduett!) und dramatische Eruptionen wieder wett. Natürlich leuchten die Streicher des Covent Garden Opernorchesters im Vorspiel nicht ebenso himmlisch wie die der Berliner Philharmoniker unter Karajan. Was aber das Wichtigste ist: Nie droht das Werk in einzelne Passagen des Wohlklanges auseinanderzubrechen, nie hangelt sie Pappano von einem Highlight zum anderen, sondern vermag von den ersten Tönen des Vorspiels bis zum Liebestod einen sinnvollen Bogen zu spannen. Das Drama findet bei ihm ebenso im Orchester statt.


    Viel wurde lamentiert darüber, dass „der alte Mann“ Placido Domingo sich jetzt auch noch an dem Tristan versuchen müsse. Ob dies nun eine selbstverliebte Krönung seiner sängerischen Ausnahmekarriere sein solle, fragten viele. Ob hier jemand mit den letzten Resten seiner Stimme etwas versuche, was er auf der Bühne ohnehin nie fertig brächte. Um dort gleich anzusetzen: Domingos unverwechselbarer Tenor klingt gesünder als alle Tristane der digitalen Schalplattenära (Kollo, Hofmann, Jerusalem). Seine Höhe und sein Legato sind unangefochtener als bei vielen Rollenvorgängern. Was für alle Wagnerpartien des Sängers gilt, schlägt auch hier zu Buche. Auf der einen Seite: Die Probleme mit dem Idiom mögen geringfügig besser geworden sein, sind aber nach wie vor eklatant. Schnelle, silbische Passagen, die artikulatorische Prägnanz verlangen, gelingen dem Sänger noch immer nicht. So es heißt dann im Finale des 1. Aktes schon mal „seligstes Frau“, im 3. Akt „wann endlich wann, ich wann löschest Du die Zünde?“ (statt „ach wann“). Auf der anderen Seite versöhnt er mit zartesten Lyrismen, wie dem betörend gesungenem „Ein Bild das meine Augen zu schauen, sich nicht getrauten“, oder der schier sensationell sanften Formung der Worte „Göttlich ew’ges Urvergessen“. Keinesfalls unbeteiligt wirkt er auch im dritten Akt, so bei „Verflucht sei furchtbarer Trank“, obwohl er nie die unbedingte Ausdruckslust eines Max Lorenz oder Jon Vickers zeigt. Kontrollierte Ekstase. Sicher, er hat seine größten Momente in den innigen, elegischen Passagen, ohne jedoch, wie etwa Robert Dean Smith jüngst in Bayreuth, vor den dramatischen Anforderungen kapitulieren zu müssen. Respekt für einen Sänger der es nicht nötig hat, die Tatsache, daß er sich im siebenten Lebensjahrzehnt befindet, als Rabatt in Anschlag zu bringen.


    Die kritischen Worte der vergangenen Wochen über Nina Stemme stammen zumeist von Menschen, die die epochale Darstellung der Isolde durch Birgit Nilsson noch heute als einzig Seligmachende verehren. Dieser Vergleich ist nicht nur aufgrund der vollkommen verschiedenen Stimmphysiognomien absolut töricht. Wer käme auf die Idee Maria Callas’ Lucia di Lammermoor-Porträt mit dem von Lina Pagliughi zu vergleichen? Hier wie da finden sich zwei völlig differierende Darstellungen, die dennoch beide Existenzberechtigung haben. Nina Stemme verfügt über einiges Metall, aber ganz sicher nicht über einen hochdramatischen Sopran. Sie besticht mit ihrer über alle Register ausgeglichenen und gut verbundenen Stimme. Ihre Höhe ist ebenso präsent wie die tiefen Töne. Die Stimme bleibt auch in zurückgenommen Passagen tragfähig und veredelt so zentrale Stellen wie „Er sah mir in die Augen. Seines Elendes jammerte mich!“. Wo vonnöten, trumpft sie heftig auf („Dein Werk? O tör’ge Magd!“), verfällt aber trotz aller Eindringlichkeit nie in außermusikalische Rhetorik. Was Jürgen Kesting in seiner FAZ-Kritik als „gepresste Phonation“ geißelt, höre ich als nachdrückliches Singen mit der Hand auf dem Herzen. Die von mir als Schauspielerin hochverehrte Waltraud Meier mag das imaginativere Porträt liefern, stimmlich ist ihr Nina Stemme weit überlegen. Für mich die Isolde unsere Tage.


    Absoluten Referenzcharakter besitzt der Marke von René Pape. So balsamtisch hat dies in neuerer Zeit höchstens Kurt Moll, etwas früher vielleicht Karl Ridderbusch gesungen. Man kann sich seinen Monolog schwerlich besser vorstellen. Wundervoll, der aristokratische, noble Tonfall, der schmerzliche Ausdruck, das sichere Legato. „Da kinderlos einst schwand sein Weib“ ist in seiner schmerzlichen Abtönung unübertrefflich.


    Sehr viel Stimme bringt auch Mihoko Fujimura für die Brangäne mit. Das dunkle, aber jugendliche Timbre besitzt Seltenheitswert. Zu Beginn des 2. Aktes läuft die Sängerin zu absoluter Hochform auf („Was mir ihn verdächtig, macht Dir ihn teuer!“). Vielleicht hat einzig Christa Ludwig die Brangäne auf einem höheren Niveau gesungen.


    Etwas problematischer ist es um den Kurwenal von Olaf Bär bestellt. Dem verdienstvollen Sänger ermangelt es für diese Partie an der nötigen Kernigkeit und Virilität des Organs, worunter auf Dauer die Glaubwürdigkeit Kurwenals leidet. Hier wird nicht weniger als korrekt gesungen, aber auch nicht mehr. Für den Künstler bleibt zu hoffen, daß der eingeschlagene Weg nicht in der Sackgasse endet, aus der sich Andreas Schmidt nun nicht mehr herauszufinden vermag.


    Die Besetzung des Hirten mit Ian Bostridge ist verschwenderischer Luxus. Ebenso der junge Seemann von Rolando Villazón. Man fragt sich, auch angesichts seines Steuermanns im Barenboim-Holländer, wann man diese Partien jemals so erotisch-frivol gehört hat. Großartig.
    Jared Holt und Matthew Rose komplettieren als Bariton-Melot und Steuermann.


    Das Klangbild der Aufnahme ist sehr plastisch, Stimmen und Orchester sind gut positioniert.


    Vielleicht kein Tristan für die einsame Insel, aber sicher eine spannende Ergänzung des Katalogs.

    Im Verhältnis zur Musik ist alle Mitteilung durch Worte von schamloser Art.
    Friedrich Nietzsche

  • Hallo,


    zum Domingo-Tristan: Ich finde, ein grosses Manko dieser Aufnahme ist, daß das Orchester zu sehr den Sängern folgt und deshalb uninteressiert wirkt, kein eigenes Leben hat. Es klingt so, als ob man um jeden Preis vermeiden wollte einen 'Fehler' zu machen.
    Wenn ich zum Vergleich den Tristan von 1966 höre: Das Böhmsche Orchester ist wie ein Feuer dessen Flammen an den Sängern lecken.


    Gruß,
    Oliver

  • Zitat

    Original von Oliver
    Hallo,


    zum Domingo-Tristan: Ich finde, ein grosses Manko dieser Aufnahme ist, daß das Orchester zu sehr den Sängern folgt und deshalb uninteressiert wirkt, kein eigenes Leben hat. Es klingt so, als ob man um jeden Preis vermeiden wollte einen 'Fehler' zu machen.
    Wenn ich zum Vergleich den Tristan von 1966 höre: Das Böhmsche Orchester ist wie ein Feuer dessen Flammen an den Sängern lecken.


    Gruß,
    Oliver


    Hallo Oliver,


    wie Du sicher aus meinen Worten oben weißt, sehe ich das ganz anders. Also - mit Verlaub - ein "uninteressiertes" Orchester (ich würde es ohnehin eher routiniert nennen) höre ich beim besten Willen nicht. Welche Fehler sollte Pappano vermeiden wollen? Generell kann es doch nicht falsch sein, wenn Sänger und Orchester in perfekter Abstimmung zueinander musizieren. Keinesfalls hält Pappano das Orchester deutungsarm im Hintergrund. Im Gegenteil, er ist ein wirklicher Theaterdirigent mit untrüglichem Insitinkt für das Drama.


    Und selbst wenn er, was er nicht tut, "nur" den Sängern folgte, was wäre so falsch daran? Heutzutage, wo es Sängerdirigenten wie Serafin und Votto (freilich im italienischen Fach zuhause) nicht mehr gibt, ist mir dies zumindest allemal lieber, als eitle, sängerfeindliche Dirigenten mit manirierten Tempi und notorischer Profilneurose. Ein Schelm, wer da an Harnoncourt dächte... :stumm:


    Liebe Grüße


    Gino

    Im Verhältnis zur Musik ist alle Mitteilung durch Worte von schamloser Art.
    Friedrich Nietzsche

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