Otto Klemperer - Meine liebsten Aufnahmen

  • Kunst hängt insofern doch mit der Forschung zusammen, indem man sich historisch verortet und Bach nicht wie Bruckner klingen lässt. Das hat für mich schon was mit Qualität des Kunstschaffens zu tun!

    Ich finde auch, dass es überhaupt nicht geht, dass man zu verschiedenen Zeiten verschiedene Auffassungen hatte, wo es doch die richtige gibt, in deren sicherem Besitz wir uns nun wissen. (Sagt der Famulus Wagner.)


    Es gab mal in irgendeinem CD-Heftchen (ich glaube, es war eine Mozart-Oper) ein Interview mit Harnoncourt, in dem er u.a. auch über die Aufführungspraxis früherer Zeiten (Furtwängler usw.) und die Unterschiede zu heute befragt wurde. Er meinte dazu, dass uns heute natürlich vieles grotesk vorkommt, was damals gemacht worden ist. Er gab allerdings zweierlei zu bedenken: Zum einen, dass das große Musiker waren, die sich über die Musik, die sie spielten, sehr wohl sehr ernsthafte Gedanken gemacht haben; zum anderen, dass auch unsere Zeit vergehen und der Geschmack sich wandeln wird, so dass eine Zeit kommen wird, wo man das, was wir heute für gut und richtig halten, ebenso grotesk finden wird.


    Was für eine windelweiche, kompromisslerische Haltung! Das kann ja gar nicht sein, denn was wir machen, ist nun mal richtig. Vorher war alles falsch, und von nun an bleibt alles, wie es jetzt ist.

  • Nachdem wir schon bei Bloch und Klemperer waren, hier nun auch der von Werner vorhin zitierte Brecht, der sich von O.K. inspiriert und beeinflusst fühlte, wenn man diesem Beitrag von BR Klassik vom 4.7.2023 zum 50.Todestag Klemperers glauben darf:


    Hat viele Intellektuelle seiner Zeit inspiriert und beeinflusst wie Theodor W. Adorno, Hans Mayer, Albert Einstein oder Walter Benjamin, aber auch Multitalente wie Bertolt Brecht und Jean Cocteau. Und hat sogar Eingang gefunden in Thomas Manns visionären Roman "Doktor Faustus", in dem Klemperer die fiktive Uraufführung von Adrian Leverkühns dämonischem Oratorium "Apocalipsis cum figuris" leitet – Klemperers selbstironischer Kommentar dazu: "Ein sehr gutes Werk, ich bin drin!"

    "Von Herzen - Möge es wieder zu Herzen gehen"

    (Ludwig van Beethoven über den Beginn des "Kyrie" seiner "Missa Solemnis")

  • Was für eine windelweiche, kompromisslerische Haltung! Das kann ja gar nicht sein, denn was wir machen, ist nun mal richtig. Vorher war alles falsch, und von nun an bleibt alles, wie es jetzt ist.

    Was auch immer dein seltsamer Kommentar aussagen soll, ich kann mit dem bösartigen Unterton nichts anfangen.

    Wo auch immer es um die Bachpflege in diesem Forum ging habe ich immer betont, dass ich HIP für richtig halte und persönlich präferiere. Und dass das nichts mit den Verdiensten zu tun hat, die sich z.B. Karl Richter um Bach gemacht, die man sehr hoch einschätzen muss. Dennoch greife ich persönlich bei Barockmusik quasi nie mehr zu Richter oder eben Klemperer. Ich pflege also offensichtlich eine ähnlich "windelweiche" Haltung wie Harnoncourt...

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Da hast Du was missverstanden. Macht nichts.

    Stimmt das macht nichts, weil das immer mal passieren kann. Aber dann sei so fair und klär mich auf, bitte.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Den "Brandenburgischen" unter Klemperer (hatte ja Nr.3 hier vorhin eingestellt) kannst Du auch nichts abgewinnen, lieber Tristan? Was ist hier Deine Empfehlung?

    "Von Herzen - Möge es wieder zu Herzen gehen"

    (Ludwig van Beethoven über den Beginn des "Kyrie" seiner "Missa Solemnis")

  • ... Brecht, der sich von O.K. inspiriert und beeinflusst fühlte...

    So ganz toll kann das Verhältnis nicht gewesen sein. Klemperer hat »Mahagonny« abgelehnt, weil ihm der Text zu unanständig war. Da fehlte ihm ganz offensichtlich das Verständnis, aber auch der Spaß an der lustvollen Ferkelei. Und das ist es ja auch, was man an dieser Bach-Suite sehr deutlich hört.

  • Klemperer hat »Mahagonny« abgelehnt, weil ihm der Text zu unanständig war.

    Brecht von Klemperer, nicht Klemperer von Brecht (inspiriert und beeinflusst) - so zumindest die Aussage in BR-Klassik.

    "Von Herzen - Möge es wieder zu Herzen gehen"

    (Ludwig van Beethoven über den Beginn des "Kyrie" seiner "Missa Solemnis")

  • Den "Brandenburgischen" unter Klemperer (hatte ja Nr.3 hier vorhin eingestellt) kannst Du auch nichts abgewinnen, lieber Tristan? Was ist hier Deine Empfehlung?

    Nein, dem kann ich auch nichts abgewinnen, lieber Bernd. Ich höre Bach lieber so (z.B.):


    Aber wie ich oben schonmal geschrieben habe: Klemperer steht bei mir sehr hoch im Ansehen - zwar nicht für Bach, aber für seinen Beethoven und z.B. für Mahlers Lied von der Erde.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Aber dann sei so fair und klär mich auf, bitte.

    So schwer ist das ja nun nicht. Harnoncourts Position ist, dass die Interpretationen der alten Generation ebenso zeitgebunden waren wie seine eigenen, also ebenso wenig dauerhafte Gültigkeit beanspruchen können. Die Idee, dass man bei der Interpretation eines Musikstücks die Gepflogenheiten der Entstehungszeit beachten sollte, ist eine Idee der zweiten Hälfte 20. Jahrhunderts. Und es wird die Zeit kommen, wo man sie zu den Akten legt. Du bist aber der Meinung, dass dies nicht geschehen kann, weil die Position, die Mitte des 20. Jahrhunderts erreicht wurde, die gültige ist. Das ist das Gegenteil der Auffassung, die Harnoncourt äußerte.

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Nein, dem kann ich auch nichts abgewinnen, lieber Bernd. Ich höre Bach lieber so (z.B.):

    Jaaa!!! Das ist natürlich phänomenal, lieber Tristan, und voller "Lebensfreude". Zudem von einer berauschenden Transparenz in dieser Besetzung. Und selbst mir als O.K.-"Traditionalist" absolut nicht zu schnell. Im Gegenteil. Danke Dir. Haben die Freiburger alle Brandenburgischen eingespielt?

    "Von Herzen - Möge es wieder zu Herzen gehen"

    (Ludwig van Beethoven über den Beginn des "Kyrie" seiner "Missa Solemnis")

  • So schwer ist das ja nun nicht. Harnoncourts Position ist, dass die Interpretationen der alten Generation ebenso zeitgebunden waren wie seine eigenen, also ebenso wenig dauerhafte Gültigkeit beanspruchen können. Die Idee, dass man bei der Interpretation eines Musikstücks die Gepflogenheiten der Entstehungszeit beachten sollte, ist eine Idee der zweiten Hälfte 20. Jahrhunderts. Und es wird die Zeit kommen, wo man sie zu den Akten legt. Du bist aber der Meinung, dass dies nicht geschehen kann, weil die Position, die Mitte des 20. Jahrhunderts erreicht wurde, die gültige ist. Das ist das Gegenteil der Auffassung, die Harnoncourt äußerte.

    Oh, dann bist du derjenige, der mich falsch verstanden hat. Aber das macht nichts. Ich gehe nämlich eher mit Harnoncourt d'accord bzw. fürchte dass er recht haben könnte. Denn wie ich schon mehrfach geschrieben habe, ehre ich Karl Richter und viele andere Nicht-HIP-Interpreten vor und nach ihm für ihre Bachpflege. Nur mein persönliches ästhetisches Empfinden lässt mich im Heute zu HIP-Aufnahmen a la Herreweghe, Gardiner und Co greifen. Was irgendwann einmal sein wird weiß ich nicht - aber panta rhei! Auch das wird sich wieder ändern - dennoch scheint mir die Idee richtig und wirkmächtig zu sein und persönlich würde ich mir dies als bleibenden Standard wünschen. Allein - unverändert bleibt nichts...

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Wieland Wagner charakterisierte Otto Klemperer einmal mit folgenden Worten:

    "Ratio und Eros - klare Disposition und elementares tänzerisches Gefühl - verbinden sich bei ihm mit einem kompromisslosen, fanatischen Willen, den Geist des Werkes in seiner reinsten Form zu interpretieren."

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo


  • Einen Anlass, um sich mit Klemperers Vokalaufnahmen neu auseinanderzusetzen, bietet diese Edidion von Warner, die am 27. Oktober 2023 erscheint. Dazu ist bei JPC zu lesen: Mit "Otto Klemperer – The Warner Classics Remastered Edition" legt Warner die komplette Diskografie des Jahrhundertdirigenten für die Labels EMI Columbia, HMV, Electrola und Parlophone neu auf – technisch überarbeitet in einer nie dagewesenen Qualität. Ergänzend zur ersten Box mit sinfonischen Aufnahmen enthält der zweite Teil der Edition auf 29 CDs alle Opern und geistlichen Vokalwerke, die Klemperer gemeinsam mit dem Philharmonia bzw. New Philharmonia Orchestra zwischen 1960 und 1971 einspielte. "Große musikalische Erlebnisse können nie verloren gehen" – davon war der von Orchestern geliebte wie gefürchtete Dirigent überzeugt. Oratorien von Bach, Händel, Beethoven und Brahms dokumentieren die zeitlose Schönheit seiner Interpretationen, Aufnahmen berühmter Opern von Mozarts "Don Giovanni" über Beethovens "Fidelio" bis Wagners "Fliegendem Holländer" bleiben ein ewiges Fest für die Ohren – nicht zuletzt wegen Gesangstars wie Christa Ludwig, Nicolai Gedda oder Elisabeth Schwarzkopf. Neben diesen diskografischen Meilensteinen bietet die Box spannendes Bonusmaterial auf zwei CDs mit Einblicken in Klemperers Leben und Wirken, darunter Aussagen von Künstlerinnen und Künstlern, die in seinen Opernaufnahmen mitgewirkt haben. Zeithistorische Dokumente führen hinter die Kulisse der "Don Giovanni"-Einspielung von 1966: Das in Proben und Abhörsitzungen entstandene Material wird hier teilweise zum allerersten Mal veröffentlicht.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • bei JPC zu lesen: Mit "Otto Klemperer – The Warner Classics Remastered Edition" legt Warner die komplette Diskografie des Jahrhundertdirigenten für die Labels EMI Columbia, HMV, Electrola und Parlophone neu auf – technisch überarbeitet in einer nie dagewesenen Qualität.

    Lieber Rüdiger,


    ganz herzlichen Dank für diesen Hinweis. Die Neuausgabe war mir bisher tatsächlich entgangen. Man kann Warner Classics gar nicht genug danken für die Sorgfalt und Aufmerksamkeit, wie dort mit dem alten, von EMI (und auch anderen Labels) übernommenen Schatz umgegangen wird. Auch hier scheint wieder enorme Arbeit geleistet worden zu sein, nicht nur was die technische Realisierung betrifft, sondern es sind - wie man sehen kann - auch die alten Original-Cover zur Neuausgabe herangezogen worden. Für Sammler ein wahrer Augenschmaus!


    Nur ein kleiner Tip: Wäre dieses Klemperer-Vermächtnis von unschätzbarem Wert nicht besser in dem alten Thread "OTTO KLEMPERER - EIN GIGANT" untergebracht worden? Hier an dieser Stelle sollten ja "nur" unsere "liebsten Aufnahmen" genannt werden. Doch ich gestehe: In der ganzen Riesenkiste stecken fast alle meine Lieblingsaufnahmen!


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Lieber Nemorino, an diesen anderen Thread hatte ich nicht gedacht. Danke für den Hinweis. Ich werde später die Ankündigung dorthin verlegen. Vielleicht möchtest Du dann ebenfalls "umziehen". Ansonsten in allem völlige Zustimmung.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Rüdiger,


    danke für die prompte Antwort. Klar, wird gemacht!


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Man kann Warner Classics gar nicht genug danken für die Sorgfalt und Aufmerksamkeit, wie dort mit den alten, von EMI (und auch anderen Labels) übernommenen Schatz umgegangen wird. Auch hier scheint wieder enorme Arbeit geleistet worden zu sein, nicht nur was die technische Bearbeitung betrifft, sondern es sind - wie man sehen kann - auch die alten Original-Cover zur Neuausgabe herangezogen worden. Für Sammler ein wahrer Augenschmaus!

    Na ja... Ich besitze mittlerweile den ersten Teil der Edition (mit den symphonischen Werken, Orchesterliedern und Konzerten) und bin über die Aufmachung etwas enttäuscht: Ein sehr dünnes Booklet ohne Trackliste (die gibt es nur auf den Backcovern, was das Nachschauen mühsam macht), der Druck der Original-Cover ist auch eher mäßig. Da gehen andere Labels (bei den großen Boxen wie Karajan oder Abbado Universal, Sony eigentlich fast durchgehend) wesentlich sorgfältiger als Warner vor. Die Hauptsache aber: Die neuen Remasterings sind aus meiner Sicht fast durchgehend hervorragend, daher lohnt die Anschaffung auch für eingefleischte Klemperer-Fans, die die Aufnahmen schon in anderen Editionen besitzen.

  • Ein sehr dünnes Booklet ohne Trackliste (die gibt es nur auf den Backcovern, was das Nachschauen mühsam macht), der Druck der Original-Cover ist auch eher mäßig.

    Vielen Dank für den Hinweis.

    Ich bin sowieso kein großer Freund der Riesenkisten. Allerdings ist zu begrüßen, daß man sich überhaupt die Mühe macht, bei sinkenden Absätzen im CD-Markt eine solche Mammut-Ausgabe zu riskieren. Es ist aber schade, daß die Cover-Drucke so mäßig ausgefallen ist. Das sieht man natürlich in der Werbung nicht.


    Für Klangfetischisten mag die Box aufgrund des neuen Remasterings von Interesse sein. Ob es mir - der ich mindestens 90 % des Inhalts bereits in Einzelausgaben habe - aufgrund meines Alters (das Gehör!) noch sonderlich nutzen würde, wage ich zu bezweifeln.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).