Sir John Tomlinson – Ein nobler Aristokrat


  • Sir John Rowland Tomlinson KB CBE
    Geboren am 22. September 1946 in Accrington, Lancashire, England
    Baß-Bariton


    Kurz-Vita:


    - Studium an der Universität Manchester (Architektur und Brückenbau). Abschluß als B.Sc.
    - Gesangsausbildung am Royal College of Music in Manchester, u. a. bei Patrick McGuigan, dann in London bei Otakar Kraus und Rupert Bruce-Lockart sowie bei der Gesangslehrerin Moya Joel-Tomlinson, die er 1969 heiratete.
    - Seit 1968 Chorist bei der Scottish Opera Glasgow.
    - 1970–74 Auftritte bei den Glyndebourne-Festspielen.
    - Seit 1974 an der English National Opera London.
    - Seit 1979 am Royal Opera House, Covent Garden.
    - Gastspiele in San Diego, San Francisco, Amsterdam, Berlin, Leeds, Rotterdam, Wien usw.
    - 1988–92 und 1994–96 bei den Bayreuther Festspielen.
    - 1988 und 1990–91 bei den Salzburger Festspielen.
    - 1997 Commander des Order of the British Empire.
    - 2005 Knight Bachelor (Sir).
    - Auch als Konzertsänger tätig.
    - Repertoire von der Barockzeit bis zu zeitgenössischen Kompositionen mit Schwerpunkt auf Wagner.


    Aufnahmen mit Tomlinson (Auswahl):




    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Erst mal nur eine kurze Antwort zu Tomlinson, der mit seiner rauen Stimme nicht ganz unumstritten ist.
    Heute abend überträgt der Radiosender "Auditorium" ab 21:00 Uhr (?) Wagners Rheingold:


    L’Opera lirica: richard wagner
    das rheingold (l'oro del reno), opera in 4 scene
    prologo della tetralogia "der ring des nibelungen" (l'anello del nibelungo) su libretto proprio.
    personaggi e interpreti: wotan: john tomlinson, bs-br; donner: bodo brinkmann, br; froh: kurt schreibmayer, ten; loge: graham clark; ten; fricka: linda finnie, msopr; freia: eva johansson, sopr; erda: birgitta svenden, contr; alberich: gunter van kannen, bs-br; mime: helmut pampuch, ten; fasolt: matthias holle, bs; fafner: philip kang, bs; le 3 figlie del reno: woglinde: hilde leidland, sopr; wellgunde: annette kuttenbaum, sopr; flosshilde: jane turner, msopr;
    orch del festival di bayreuth
    dir. daniel barenboim (reg. dal vivo a bayeruth nel 1991)
    durata: 149.09
    teldec 4509-91185-2-1 f 2F tr 1 (2 hrs., 40 min.)

  • Danke, lieber Daniel, für die Eröffnung dieses Thread. Ich hatte auch schon mal an Tomlinson gedacht, aber dank der schlechten Kritiken hier im Forum (und anderswo) davon Abstand genommen. Persönlich höre ich ihn ganz gern, aber sonst wird er doch viel gescholten. Auch wenn er einen Ausflug in die biedermeierliche Welt der deutschen Spieloper unternimmt:


    Auch ich war ein Jüngling mit lockigem Haar....



    Daneben habe ich noch eine Teldec-Box mit 4 CDs:



    ....und dann noch jede Menge "Opera in English" von Chandos.


    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Ich habe das Glück gehabt, Sir John kennenlernen zu dürfen - anläßlich der Götterdämmerungsproduktion der Berliner Staatsoper 1995. Sein hagen da war zwar nicht so doll, weil er ihn als rauen Duodezbösewicht anlegen musste, aber was er auf den Proben angeboten hat, geht mir bis heute nach: eine derartige Tiefe der Empfindung, gepaart mit großer Musikalität. Er ist ein ungeheuer offener, freundlicher und humorvoller Mensch. ich sah ihn damals auch als Hans Sachs - und in der Schusterstube, bei der Begegnung mit Eva, lief mir das Wasser runter. Das war so ungeheuer echt und menschlich, wie ich das nie auf der Opernbühne gesehen hatte!!! John Tomlinson ist ein ganz großer Sänger - und einer, der mit der deutschen Sprache besser umgeht als die meisten Deutschen - auch Sänger, die ich kenne.
    Leider, ich gebe es zu, ist seine Stimme nicht sehr phonogen, zumal, wenn er Bariton-Partien wie den Rheingoldwotan singt, die ihm eigentlich zu hoch liegen.


    Ganz gut anhören kann man, finde ich, den Londoner Meistersinger-Mitschnitt unter Haitink, seinen Claggart in "Billy Budd" unter Hickox, die Münchner Walküre unter Mehta und die "Minotaur"-DVD von Birtwhistle.


    Eine große Rolle von ihm ist auch der Moses in "Moses und Aron", aber da gibt es, glaube ich, noch keine Veröffentlichung.

    Der Jugendtraum der Erde ist geträumt
    Grillparzer
    Macht nix!
    grillparzer

  • Was Basti die Tage über Hawlata schrieb, gilt für mich bei John Tomlinson. Rein stimmlich gesehen gibt es bestimmt bessere, aber in der Verschmelzung mit der Rolle ist John Tomlinson genial.
    Meine erste "Begegnung" mit ihm war der Wotan im Kupfer-Ring von Bayreuth, den ich mir auch heute noch gerne anschaue, passt Tomlinson doch wie die Faust aufs Auge in diese Produktion. Aber auch damals waren die exponierten Höhen der Partie doch grenzwertig (manche sprachen - in Hinsicht auf die ganze Besetzung - von einer vokalen Götterdämmerung).
    Mit seiner leicht rauen Stimme passte doch am besten Wagner-Fach, aber manch einer mag es bedauern, dass der Mozart-Zyklus mit Barenboim so spät aufgenommen wurde. Dort sang er Leporello, Alfonso und Figaro und auch wenn man seine große Musikalität hört, sind diese Beiträge nicht immer ein Genuss - was aber auch für den gesamten Zyklus gilt.




    Im italienischen Fach ist er auf Tonträgern fast ausschließlich in Nebenrollen verewigt (zum beispiel Marchese die Calatrava unter Sinopoli).
    Als Sachs habe ich ihn bislang noch nicht gehört und wrede mir daher bald die Haitink-Aufnahme aus London zulegen. Sein Holländer in Bayreuth war ebenfalls kein vokaler Genuss, dafür sehr intensiv gesungen. Der Hagen ist dagegen eine Rolle, wo er es mit Matti Salminen aufnehmen kann. Und sein Waffenschmied gefällt mir bisher ganz gut, aber da habe ich auch kaum Hör-Alternativen.


    Mein Fazit: Wie es sich für einen guten Sänger gehört, ist Tomlinson sehr umstritten - auch bei mir selber.

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  • Er feiert heute seinen 65. Geburtstag:


    Sir John Rowland Tomlinson, KB CBE (* 22. September 1946 in Accrington, Lancashire, England), britischer Bass.


    Ab 1964 studierte John Tomlinson zunächst Ingenieurwesen (civil engineering) an der Universität Manchester, erwarb jedoch bald ein Stipendium um sich am Royal Manchester College of Music dem Gesang zu widmen. Ende der 1960er Jahre zog er nach London um seine Kunst beim legendären Pädagogen Otakar Kraus zu vervollkommnen. Es folgten erste Engagements an der English National Opera und am Royal Opera House.



    Vielleicht geht er jetzt in der Ruhestand?
    Seine Stimme klan in letzter Zeit doch schon ziemlich strapaziert. :stumm:


    Trotzdem CONGRATULATIONS! :jubel::jubel:



    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Bei José van Dam empfand ich das Auftauchen des Wortes "Aristokrat" im Rubriktitel als sehr passend, hier hingegen wüsste ich nichts Unpassenderes, weil es kaum einen anderen Sänger gibt, der stimmästhetisch so weit vom meinem Ideal entfernt ist wie Sir John. Zerhackte Linien durch extreme Überartikulation, auch angeschliffene Töne und gestemmte Höhen usw. - völlig "unaristokratisch" für meinen Geschmack. Ich schreibe das jetzt nicht, um um eine Änderung des Rubriktitels zu bitten, sondern einfach nur, um meine Meinung zu diesem Sänger kundzutun. Nicht jedes verliehene Adelsprädikat führt automatisch zu einem aristokratischen Gesangsstil, siehe Gwyneth Jones - vielleicht ist Sir John die Dame Gwyneth unter den Bassisten, wobei die Jones doch immerhin eine eindrucksvolle Höhe hatte...



    Erst mal nur eine kurze Antwort zu Tomlinson, der mit seiner rauen Stimme nicht ganz unumstritten ist.

    Das kann man wohl sagen.



    Vielleicht geht er jetzt in der Ruhestand?
    Seine Stimme klan in letzter Zeit doch schon ziemlich strapaziert. :stumm:

    Nein, ging er 2011 nicht und geht wohl auch jetzt nicht, er kann wohl auch nicht gehen, wie so viele, was ja auch ok ist, wenn er sich auf kleinere Rollen und das Charakterfach zurückzieht. Er singt ja auch Modernes, irgendetwas Zeitgenössisches in FFM, und in Berlin war er der Boris in der "Lady Macbeth von Mzensk" - neben Herlitzius für mich der Grund, nicht reinzugehen, obwohl ihm die Rolle eigentlich liegen müsste, aber zu oft musste ich ihn in den 1990er Jahren an der Staatsoper Berlin erdulden und erleiden, um andere Sängerinnen und Sänger neben ihm erleben zu können...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich gebe zu, dass sich der "noble Aristokrat" eher auf den Menschen Tomlinson denn auf die tatsächlich eher ruppige Stimme bezog.


    Also ich finde ihn als Hagen noch immer sehr beeindruckend. Zumindest in der ziemlich aktuellen Aufnahme unter Simone Young von Oktober 2010 konnte er mich durchaus überzeugen:



    "The baddies are just as convincing. This might well be the first recording of John Tomlinson singing Hagen, and if it is, it is worth buying for him alone. He has the best ‘Hoihos’ in the business, and the passing years have done little to diminish their power." — Gavin Dixon, MusicWeb International


    Vielleicht hätte er sich mehr auf die echten Basspartien konzentrieren sollen, aber andererseits kann ich nachvollziehen, dass er in seiner besten Zeit vom Wotan und Sachs nicht lassen konnte:


    "Meine Karriere begonnen habe ich als echter Bass, in den sozusagen mittleren zwanzig Jahren habe ich auch höhere Partien gesungen, und heute bin ich wieder ganz beim Bass mit seiner dunklen Farbe angekommen."


    Dass ihm der Sachs nicht ganz so lag, deutet er in dem aktuellen Interview allerdings übrigens durchaus selbst an:


    "Zur Partie des Hans Sachs, die ich in Covent Garden in den Neunzigern häufig gesungen habe, muss ich noch sagen: Da ist meine Bass-Qualität kein Vorteil. Wotan kann vom Bassfundament profitieren, Sachs nicht."


    Es scheint aber auch so, dass er sich an die Partien Wotan und Sachs gar nicht mehr erst heranwagt, was für Selbsterkenntnis spräche:


    "Ich bin jetzt 68 und damit nicht mehr jung, Körper und Stimme können nicht mehr alles leisten. Einen Wotan in einem kompletten neuen „Ring“ kann ich nicht mehr beginnen. So, wie ich das spiele und singe, ist das dann doch zu anstrengend, glaube ich."

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Heute möchte ich an Sir Johns Geburtstag erinnern, wozu ich diese Aufnahme ausgesucht habe:







    Heute feiert Sir John seinen 69. Geburtstag.


    Happy Birthday!


    Willi :jubel::jubel::jubel::jubel::jubel:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Vorletzte Woche hatte ich die Gelegenheit, John Tomlinson als Iwan Sussanin in Frankfurt zu hören.



    In Harry Kupfers schlüssiger und spannender Bearbeitung/Inszenierung, die das Geschehen von Glinkas Oper in die Zeit des Zweiten Weltkriegs verlegt, hörte man anfangs Tomlinsons Stimme ihr Alter an. Auch war er gegenüber dem anderen Sängern* immer einen Tick zu laut. Erst im vierten Akt, wenn Sussanin seine lange Solo-Szene hat, konnte er in beeindruckender Weise zeigen, wozu er fähig ist. Das war schon beeindruckend. (Auch wenn das mehr nach Mussorgskys ungestümen "Boris Godunow" als nach Glinkas romantisch gefärbtem Gesang klang.)


    *Besonders hervorzuheben sind hier die Damen Kateryna Kasper (Antonida) und Katharina Magiera (Wanja), die exzellente stimmliche Leistungen zeigten.