Eigentlich wollte ich ja was über Michael Bohnen schreiben, doch auf Umwegen stieß ich auf ein Video mit dem Bassbariton John Relyea.
Relyea wurde in Toronto geboren. Seine Eltern sind ebenfalls Sänger. Ursprünglich wollte er Rockgitarrist werden, machte jedoch 1998 seinen Abschluss am Curtis Institute of Music, wo er unter anderem bei Jerome Hines studierte. Sein Debüt an der Metropolitan Opera New York als Alidoro in "La Cenerentola" gab er im Februar 2000. Seither stand er 162-mal auf der Bühne im Lincoln Center, und auch alle anderen großen Opernhäuser der Welt sichern sich Relyeas Dienste - von den Salzburger Festspielen bis zur Bayerischen Staatsoper, der Wiener Staatsoper, dem Mariinsky-Theater, der Opera du Bastille etc., und auch bei den BBC Proms und in der Wigmore Hall tritt er auf. Sein Repertoire umfasst Rollen wie Aleko, Herzog Blaubart, Figaro, Don Basilio, Alidoro, König Marke, Colline, Kaspar, Banquo, Escamillo und die vier Bösewichte in "Les contes d'Hoffmann". John Relyea lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Rhode Island.
Relyeas Stimme ist groß, schwarz und kraftvoll. Sie ist in allen Lagen ausgeglichen, wirkt nie forciert, und doch könnte sie zeitweise etwas beweglicher sein. Die Koloraturen des Alidoro bewältigt Relyea beachtlich, doch zeitweise bleibt ihm der Ton in der Kehle stecken. Als Kaspar kann er jedoch uneingeschränkt überzeugen: Er deklamiert den Text hervorragend, und auch die sängerischen wie singdarstellerischen Anforderungen des "Schweig, schweig" meistert er bravourös. Ohne Zweifel besitzt er ein gewaltiges Organ mit Reserven bis zum hohen fis oder sogar g, das mühelos jedes Auditorium füllen dürfte. Und er weiß das. Die Videos, die ich mir angesehen habe, zeugen von einem selbstbewussten Künstler, der auch mal seine Stimme in den Vordergrund stellt, ohne sein schauspielerisches Talent zu unterschätzen. Hätte er nicht so eine Prachtstimme, würde das die Gefahr bergen, arrogant zu erscheinen. Doch ich sehe das eher als kleine Eigenheit eines hervorragenden jungen Sängers, der, so er konsequent auf seinem guten Weg weitergeht, ein ganz Großer werden könnte.