Ist Beethoven überschätzt?

  • Wenn das angeblich immer so ist, dass man die "Seele", den Charakter oder das Leben des Komponisten in seiner Musik findet, ist es nichts Besonderes bei Beethoven. Das war aber gerade behauptet worden, wenn ich recht erinnere...

    War es nicht der heroische Mensch Beethoven, der diskutiert wurde?


    Ansonsten ist Beethoven natürlich nicht der Einzige, der seine Gefühle in seinen Werken mitschwingen lässt. Warum auch sollte es Komponisten nicht erlaubt sein, wenn es in der Dichtkunst so offen praktiziert wird.


    Doch eben nicht von Allen. Man vergleiche die kühle Eleganz in den Gedichten Puschkins mit dem leidenschaftlichen Pathos in Lermontovs Werken, um zu sehen, wo Zurückhaltung geübt wird und wo nicht. Diesem lag eben das Missionieren besser als Jenem, das wird bei den Komponisten nicht anders sein.


    Wenn´s um den Charakter geht, oder die Frage, wieviel Herzblut der und der bei der Arbeit vergossen hat, sind Rückschlüsse von Werken auf deren Schöpfer im Grunde fast immer spekulativ und die Toten kann man nicht mehr fragen. Man muss es also bei Annahmen belassen, was den Musikfreund aber nicht allzu sehr verdrießen sollte, weil es schließlich zweitrangig ist.
    Eine kleine, private Spekulation erlaube ich mir hier dennoch: Ich glaube nicht, dass Strawinski übermässig romantisch veranlagt war.


    Damit komme ich wieder zum Hauptthema: Ist Beethoven überschätzt?
    Meine Gegenfrage: Ist das überhaupt möglich?


    Grüße
    hami1799

  • Aber "feierlich ernst" sind für den genialen Dramatiker Verdi in meinen Ohren keine passenden Herausstellungsmerkmale.

    Ja die Semantik. Jeder hat so seine Vorstellungen. Sollte "feierlich" sich nicht mit "dramatisch" vertragen?

  • Ja die Semantik. Jeder hat so seine Vorstellungen. Sollte "feierlich" sich nicht mit "dramatisch" vertragen?


    Nun, Verdis Dramatik geht weit über "feierlich ernst" hinaus. Ein Werk, für das ich diese Bezeichnung akzeptieren könnte, ist Ein Deutsches Requiem von Johannes Brahms. Und vergleiche das einmal mit Verdis Totenmesse. Wo bleibt die Feierlichkeit, wenn Verdis Dies Irae über dich hereinbricht?


    ;)

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Nun, Verdis Dramatik geht weit über "feierlich ernst" hinaus


    Das ist nun auch wieder Ansichtssache ob Dramatik weiter über feierlich ernst hinaus geht. Beide Begriffe passen für mich nur schwer zusammen, eine Kongruenz kaum vorhanden. Die Zuordnung feierlich ernst zu dem Requiem von Brahms ist für mich o. k. (auch die "Maurerische Trauermusik" passt in diese Schublade) - bei der "Einordnung" mit Berlioz' Requiem tue ich mich schon schwerer, sein Dies Irae ist schon einmalig (16 Posaunen!), mit dem von Verdi kaum vergleichbar, auch beide Werke nicht - Verdis opernhafter Stil geht Berlioz ab.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Um den Thread hier nochmal kurz aufzuwärmen:


    ich bin die Tage zufällig auf einen alten (1970 - Beethovens 200. Geburtsjahr) Spiegel-Artikel über den großen Meister gestoßen, der zum Glück auch online abrufbar ist:


    http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43836563.html


    Der hat zwar den typischen 'Wenn wir schreiben, dann nichts positives'-Spiegelton, und einige Details scheinen mir nach 40 Jahren auch nicht mehr ganz dem Stand der Forschung zu entsprechen, aber mit seinem Schwerpunkt auf der Persönlichkeit Beethovens und deren Rezeption scheint er mir doch sehr schön in den Thread zu passen, und ich hoffe, er findet Euer Interesse. :)

  • Bemerkenswert ist dieser Thread, aus vielerlei Gründen, wie ich finde.


    Einen möchte ich hervorheben, der sich auf den Stil der Diskussion bezieht: Es wird sich entschuldigt.

    Walter Benjamin hatte auf seiner Flucht einen Koffer bei sich. Was würdest du in deinen Koffer packen? Meiner ist gepackt.