Der Musiker Gräber

  • Hast Du geheime Quellen?

    Lieber Operus,


    der Quellen sind viele, aber es ist nicht immer reinstes Quellwasser, was man da findet, wie ich einmal an einem Beispiel zum »Siegfried Wagner-Beitrag aufzeigen möchte. Im »Siegfried Wagner-Kompendium 1« (Bericht über das erste internationale Symposium Siegfried Wagner, Köln 2001) findet man folgenden Text, der sich auf Siegfrieds Reise bezieht:


    »Im Laufe der Reise verzeichnet er im Reisetagebuch immer häufiger Äußerungen der Ungeduld, weil er befürchtet, zu spät zu den Proben in Bayreuth einzutreffen. In Port Said verlässt er am 26. Juli 1892 das Schiff, um auf schnellstem Weg nach Hause zurückzukehren, obwohl Clement Harris wenige Tage später seinen 21. Geburtstag feiert. Harris, der Wagner immerhin zu dieser Weltreise eingeladen hat, reist alleine weiter«.


    Wenn man nun bei »Wikipedia« nachschaut, wird dort der Geburtstag von Clement Harris mit dem 8. Juli 1871 angegeben ...

  • Auf Seite 242 heißt es da:
    »Besonders aufschlussreich sind die Tagebuchnotizen der 1898 geborenen Gertrud Strobel. Sie war die Ehefrau des Musikwissenschaftlers Dr. Otto Strobel, der 1932 zum Wahnfried-Archivar avancierte. Nach dem Tod ihres Mannes 1953 übernahm sie selbst für viele Jahre diese Aufgabe. Gertrud Strobels Tagebücher sind deshalb so interessant, weil die Schreiberin damals - im Sommer 1930 - noch gar nicht zum engeren Kreis der Wagners gehörten«.


    Hilmes führt dann weiter aus, dass Frau Strpobel im Festspielchor als Altistin wirkte und eine Vorliebe für Künstlerklatsch und Familientratsch hatte. Alle Informationen soll sie mit pedantischer Genauigkeit in ihrem Tagebuch notiert haben. Oliver Hilmes hebt den besonderen Wert dieser in Sütterlin beschriebenen Kladden hervor.

    Das wird wohl da liegen wo man es erwarten darf, im Wagnerarchiv in Wahnfried

  • Christoph Willibald von Gluck - *2. Juli 1714 Erasbach - † 15. November 1787 Wien



    Zum heutigen Geburtstag von Christoph Willibald Ritter von Gluck


    Inschrift im Sockelbereich


    Christoph Willibald Ritter von Gluck, muss es eigentlich heißen, denn, wie Mozart auch, war Gluck »Ritter vom goldenen Sporn«. Seit Gluck 1796 von Papst Benedikt XIV mit dem Orden ausgezeichnet wurde, fügte er stolz das »von« in seinen Namen ein, während Mozart davon keinen Gebrauch machte.


    Man vermutet, dass er der älteste Sohn seiner Eltern war und noch acht Geschwister hatte. Der Vater, Alexander Gluck (1683-1743), war Forstmeister, der Großvater übte fast 50 Jahre lang das Amt eines fürstlich-lobkowitzischen Hofjägers aus; auch für Christoph Willibald war selbstverständlich vorgesehen, dass er diese Familientradition fortsetzt.
    Über die frühen Jahre des Komponisten Gluck stammen einige Informationen von Johann Christian von Mannlich, einem Maler, der in seinen 1810 veröffentlichten Memoiren aus Erzählungen Glucks berichtet. Gluck soll ihm geschildert haben, dass in seiner Heimat Böhmen jeder musikalisch ist und in den Schulen Musik unterrichtet wird, sodass die Bauern verschiedene Instrumente spielen. Da Gluck in der Schule rasch Fortschritte gemacht hatte und mehrere Instrumente beherrschte, erteilte ihm der Lehrer außerhalb seiner Dienstzeit privaten Unterricht..


    Nach dieser Darstellung wundert man sich wohl, dass Gluck von seiner böhmischen Heimat spricht, wobei Erasbach, heute ein Stadtteil von Berching, doch im Dunstkreis von Nürnberg liegt (etwa 50 km). Nach Christoph Willibalds Geburt wechselte die Familie mehrmals ihren Wohnort: 1717 nach Reichstadt in Nordböhmen, 1722 nach Böhmisch-Kamnitz und 1727 nach Eisenberg im böhmischen Komotau, wo der Knabe auf der Jesuitenschule musikalischen Unterricht erhalten haben soll. Dass in Böhmen viel musiziert wurde ist aus der Musikgeschichte bekannt, aber dass der Förstersohn sich so sehr der Musik hingab, war dem Vater ein Dorn im Auge, weil praktisch von Geburt an feststand, dass sich auch Christoph Willibald der Försterei widmen würde. In einer Publikation heißt es: »Um 1731 verließ er heimlich das Elternhaus, um nach Prag zu gehen.« Häufig wird in der Literatur diesbezüglich jedoch auch das Lebensalter von 13 oder 14 Jahren angegeben.


    Aus diesen Quellen ist zu erfahren, dass der junge Gluck musizierend unterwegs gewesen war und so zu Nahrung und Unterkunft kam; sonntags spielte er in den Dorfkirchen, was erklären könnte, wie er sein Studium an der Universität in Prag finanzierte, das jedoch kein Musikstudium war; verzeichnet sind die Fächer Logik und Mathematik, von einem Studienabschluss ist nichts bekannt.


    Glucks nächstes Ziel war Wien, man vermutet, dass er dort 1734/35 auftauchte. Auf einer Soirée im Palais Lobkowitz entdeckte ihn der lombardische Fürst Melzi, mit dem er nach Mailand ging. Dass Gluck 1736-1741 in Mailand von dem damals maßgeblichen Komponisten Giovanni Battista Sammarttini unterrichtet wurde ist häufig zu lesen, aber es steht auch geschrieben, dass er mit diesem nur in Kontakt gestanden bzw. sich in dessen unmittelbaren Wirkungskreis befunden habe, und ein Lehrer-Schüler-Verhältnis nicht belegbar ist. Gluck lernt in Italien auch Turin und Venedig kennen. Am 26. Dezember 1741 wird seine erste Oper »Artaserse« in Mailand aufgeführt, was für Gluck ein Riesenerfolg gewesen sein soll. Er hatte ein populäres Libretto von Pietro Metastasio verwendet, welches immer und immer wieder auch von anderen Komponisten vertont wurde. Aufgrund dieses Erfolges erhielt Gluck bis zum Jahr 1745 Aufträge für sieben weitere Opern.


    Ab1746 begann Gluck eine intensive Reisetätigkeit; als Mitglied einer mobilen Operntruppe kommt er weit herum. So lernt er in London auch Georg Friedrich Händel kennen. Die beiden Komponisten trafen am 25. März 1746 aus Anlass eines Benefizkonzertes aufeinander. Beide schrieben ihre schönsten und virtuosesten Arien für ganz bestimmte Sängerinnen und Sänger. Die Zeitung »Public Advertiser« berichtete damals über die Begeisterungsstürme des Publikums.
    In Paris macht Gluck die Bekanntschaft mit Jean Philippe Rameau und dessen Opernkunst. Mit eigenen Kompositionen war Gluck zum Beispiel in Wien, Prag, Dresden, Hamburg, Kopenhagen, Neapel ... präsent.


    1748 kehrt Christoph Willibald Gluck nach Wien zurück, wo im Mai, anlässlich des Geburtstages von Maria Theresia, »La Semiramide riconosciuta« aufgeführt wurde, ein Opernstoff, der von einer ganzen Komponistenschar vertont wurde; dies war Glucks erster Auftrag vom Wiener Hof.


    1750 war für Gluck die Zeit gekommen mit Maria Anna Pergin, der Tochter eines Händlers, in den Ehestand zu treten; er war fast doppelt so alt als seine Braut; die beiden hatten sich ein oder zwei Jahre vorher kennengelernt Am 15. September fand die Trauung in der Wiener St. Ulrich-Kirche statt.


    1752 wurde seine Oper »Issipile« in Prag aufgeführt und »La clemenza die Tito« in Neapel. Auch diese beiden Opernstoffe wurden x-mal von anderen Komponisten vertont, aber hier sind schon Glucks Reformbestrebungen in Ansätzen erkennbar; er möchte ja die üblichen Secco-Rezitative abschaffen. Mit den Vorstellungen und Forderungen der Starsänger ging Christoph Willibald Gluck nicht konform, denn diese Vokalisten waren an Bravourarien für ihre Auftritte nicht nur interessiert, sie legten sogar fest, in welchen Stilarten sie ihre Stimmakrobatik zur Schau stellen wollten, Duette akzeptierten sie, wenn überhaupt, nur im letzten Akt, denn sie mochten den Beifall mit niemand teilen, der Star war alles. Diese Eitelkeit der Sänger war Gluck suspekt; nach seinen Vorstellungen sollten Wort, Musik und Bewegung ganz in Diensten der dramatischen Handlung stehen.


    Mit der Eheschließung war Gluck in Wien sesshaft geworden und verließ die Stadt nur gelegentlich, um andernorts seinen Ruhm und sein Geld zu vermehren, er war in dieser Zeit finanziell unabhängig, leitete in Wien die Hausmusik des Prinzen Joseph Friedrich von Sachsen-Hildburghausen und verfasste Opern für die zahlreichen Feierlichkeiten des Kaiserhauses.
    Für den Leiter des Burgtheaters, den frankophilen Italiener Graf Giacomo Durazzo, bearbeitete Gluck französische Vaudeville-Komödien, das Burgtheater wurde damals auch »französisches Theater« genannt
    Durazzo war für die Weiterentwicklung der Oper insoweit ein wichtiger Mann, dass er die Herren Gluck und Ranieri de´ Calzabigi miteinander bekanntmachte. Calzabigi war das, was man eine »schillernde Figur« nennt, aber die beiden haben sich gesucht und gefunden; es war eine echte Win-win-Situation.


    Aus der Sicht von Christoph Willibald Gluck sah das so aus:


    »Ich würde mir einen empfindlichen Vorwurf machen, wenn ich die Erfindung einer neuen Gattung der italienischen Oper mir allein zueignen lassen wollte. Es ist der Herr von Calzabigi, dem das vorzügliche Verdienst darum gehört; denn er allein ist es, der mich in den Stand gesetzt hat, die Quellen meiner Kunst entwickeln zu können«.


    Zwar hatten andere, zum Beispiel Rousseau oder Graf von Algarotti, die alte Opernform auch schon kritisiert und über Neuerungen nachgedacht, aber hier hatten sich nun zwei getroffen, die Nägel mit Köpfen machten.


    Ihre erste gemeinsam produzierte Oper war »Orfeo ed Euridice«, die am 5. Oktober 1762 am Wiener Burgtheater uraufgeführt wurde, Es war am Namenstag von Kaiser Franz und der ganze Hofstaat war anwesend. Von überschwänglicher Begeisterung des Publikums konnte keine Rede sein, aber das neue Werk bot eine Menge Gesprächsstoff; dass hier authentische Figuren auf der Opernbühne agierten war neu und gewöhnungsbedürftig. Da war eine klare Dramaturgie, anstatt hochvirtuoser Koloraturen.


    Nun folgten noch zwei gemeinsam konzipierte Opern. Zunächst »Alceste«, die am 26. Dezember 1767 in Wien zu Uraufführung kam und »Paride e Elena«, die ihre Erstaufführung am 3. November 1770 erlebte, aber in der späteren Aufführungspraxis nicht die Popularität der beiden vorangegangenen Reformopern Glucks erreichen konnte.


    Zur Aufführung von »Alceste« hatte Gluck eine Vorrede folgenden Inhaltes verfasst:


    »Als ich mich daran machte, die Musik zu ›Alceste‹ zu schreiben, nahm ich mir vor, sie gänzlich rein zu halten von all den Missbräuchen, die, eingeführt entweder durch die übel angebrachte Eitelkeit der Sänger oder durch die übermäßige Nachgiebigkeit der Komponisten, die italienische Oper seit so langer Zeit entstellen und das prächtigste und schönste aller Schauspiele in das lächerlichste und langweiligste verwandeln«.


    Maria Antoinette, die spätere Königin von Frankreich, hatte als Maria Antonia in Wien noch Gesangsunterricht bei Christoph Willibald Gluck gehabt; natürlich wusste sie um Glucks neuen Opernstil und konnte sich so etwas auch in Paris vorstellen,
    Durch Maria Antoinette und dem Librettisten François Louis Roullet war es für Gluck möglich seine bekanntesten Werke in Paris in französischer Sprache aufzuführen. Aber man gab sich nicht damit zufrieden diese Opern einfach ins Französische zu übersetzen, »Iphigénie en Aulide« und »Orphée et Euridice« wurden gänzlich neu konzipiert, das heißt es gab einige neue Nummern und anstatt der Kastraten hörte man Tenöre.


    1773 war Gluck nach Paris gereist und hatte dort im November mit der Académie royale de musique einen Vertrag über sechs Werke abgeschlossen. Die ersten Aufführungen fanden dann 1774 in Paris statt:
    Auf Glucks zweiter Paris-Reise im November 1774 begleiteten ihn seine Gattin und Adoptivtochter Maria Anna, genannt Nanette, die das kinderlose Paar an kindesstatt angenommen hatte, Nanette war die Tochter von Glucks jüngster Schwester, die früh verstorben war.
    Am Badischen Hof in Karlsruhe traf sich Gluck mit Friedrich Gottlieb Klopstock, zu dem er seit 1768 Kontakt hatte. Endlich konnte Gluck gegenüber Klopstock sein vor sechs Jahren gegebenes Versprechen einlösen und dem Dichter einiges aus der Vertonung von »Hermanns Schlacht« vortragen. Im März 1775 kam es im Badischen - diesmal in Rastatt, wo reichlich musiziert wurde - zu einer weiteren Begegnung, in deren Verlauf auch Nanette, eine ausgebildete Sängerin, zu Klopstocks größtem Vergnügen sang. Wenn aber Glucks Nichte nicht ganz exakt sang, übernahm Gluck selbst den Gesangspart; die Literatur schildert das so: »... und sang dann selber Klopstocken mit seiner eigenen ausdrucksvollen Stimme vor«.
    Aber Klopstock bevorzugte eindeutig Nanettes Gesang. Durch einen am 24. März 1775 geschriebenen Brief an Johann Heinrich Voss, blieb das der Nachwelt schriftlich erhalten:
    »Gluck und seine Nichte haben uns auf seiner Rückreise nach Wien 4 Tage hintereinander hohe Wohllüste der Musik genießen lassen«.
    Gluck hat neben seinem umfangreichen Opernschaffen auch in anderen Genres komponiert, als Beispiel sei das geistliche Werk »De Profundis« genannt, und er vertonte Klopstocks Oden und Lieder: Die frühen Gräber / Die Sommernacht / Der Jüngling / Die Neigung / Vaterlandslied / Wir und Sie / Schlachtgesang.
    Im Mai 1776 schrieb Gluck einen erschütternden Brief aus Paris; während seiner Abwesenheit war Nanette im Alter von 17 Jahren an den Blattern gestorben.


    In Wien war Gluck relativ spät - am 18. Oktober 1774 - K. k. Hofkompositeur geworden, vielleicht hatte Maria Theresia die Befürchtung, dass ihre Tochter im fernen Paris den Kompositeur abwirbt.
    Wenn man von so ganz oben protegiert wird - Glucks ehemalige Gesangsschülerin war am 10. Mai 1774 Königin von Frankreich geworden - dann ist das eine enorme Starthilfe und Gluck war dem Publikum auch durch die von seiner Person geschaffenen Bildnisse durch erstrangige Künstler bekannt gemacht worden, die bis in unsere Zeit hineinwirken. Da ist das zwischen 1774 und 1775 entstandene Ölgemälde des Malers Joseph-Siffred Duplesis und die im selben Zeitraum von Jean-Antoine Houdon geschaffene Porträtbüste. Sich an dem Gemälde von Duplesis orientierend, schuf Simon-Charles Miger einen Kupferstich, der es ermöglichte Christoph Willibald von Glucks Abbild in relativ hohen Auflagen zu verbreiten


    Glucks französischen Fassungen war in Paris ein weit größerer Erfolg beschieden, als den Erstaufführungen in Wien. Aber so viel Ruhm und Ehre ruft natürlich auch Kritiker auf den Plan, es gab also Leute, die an der altbekannten Form der italienischen Oper festhalten wollten - es kam zum sogenannten »Piccinistenstreit«; der Begriff steht für die Auseinandersetzung zwischen den Anhängern Christoph Willibald Glucks und denen von Niccoló Vito Piccinni; man muss betonen, dass sich beim interessierten Publikum zwei streitbare Gruppen gebildet hatten, die beiden Komponisten waren keineswegs verfeindet. Piccinni hatte mehr als hundert Opern geschrieben - also etwa so viele wie Gluck (von denen etwa die Hälfte erhalten sind) - und war zu seiner Zeit ein sehr erfolgreicher Komponist, der noch später in Paris zu hohen Ehren kam, aber dennoch verarmt starb, finanziell war Gluck weit erfolgreicher, was wohl den väterlichen Genen geschuldet ist.


    Die Uraufführung von Glucks »Armide« fand am 23. September 1777 in der Académie Royale de musique statt, die Königin war anwesend. Mit »Armide« war, glaubt man der Aussage Glucks, der Streit an seinem Höhepunkt angelangt
    »Niemals ist eine schrecklichere, hartnäckigere Schlacht geschlagen worden als die, die ich mit meiner Oper Armide hervorgerufen habe«.
    »Armide« erlebte in Paris 27 Aufführungen, dann kam Piccinni mit seiner Oper »Roland« zum Zuge.


    1779 erschien Gluck mit seiner neuen Oper »Echo et Narcisse« in Paris, die am 24. September in der Académie Royale de musique ihre Uraufführung erlebte, aber über ein Dutzend Aufführungen in Paris nicht hinauskam, man geht davon aus, dass es zu diesem Misserfolg kam, weil das von Gluck gewählte pastorale Genre zu dieser Zeit beim Publikum unbeliebt war. Christoph Willibald Gluck kehrte in seine Wahlheimat Wien zurück und sah Paris nie wieder.


    Gerade in Frankreich war Glucks Einfluss auf die französische Musikkultur sehr groß, wobei er sich - trotz königlicher Protektion - im Pariser Opernbetrieb erst einmal mit seinen neuen Ideen durchsetzen musste, denn er bestand auf vielen Proben, damit das Gesamtkunstwerk zu seiner Zufriedenheit entstehen konnte. Einmal kommentierte er seine aufwändige Probearbeit so, dass er meinte: Wenn ich für die Komposition einer Oper 20 Livres verlange, muss ich für die Einstudierung 20000 fordern dürfen. Talsächlich war es so, dass man Gluck für jede Oper 20000 Livres zahlte (ein Tagelöhner erhielt damals etwa eine Livre pro Tag), hinzu kam noch eine lebenslange Pension.


    Gluck hat sich nach Wien zurückgezogen, wo er zunehmend mit altersbedingten gesundheitlichen Einschränkungen zu tun hatte. Seinen ersten Schlaganfall soll er 1779 in Paris erlitten haben, 1781 folgte ein zweiter mit zeitweiser Lähmung. In diesem Jahr wechselte Gluck nochmals seinen Wohnort und zog nach Perchtoldsdorf, das auf Anraten seiner Frau und der Ärzte zu seinem Sommersitz wurde. Dort empfing er so illustre Gäste wie Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus
    Mozart und Johann Friedrich Reichardt.
    1782 wurden anlässlich eines russischen Staatsbesuchs drei seiner Opern aufgeführt, was zeigt, dass er immer noch ein anerkannter Komponist war. Schließlich vollzog Gluck noch einen letzten Ortswechsel, denn die Glucks hatten 1784 das Haus »Zum silbernen Löwen« auf der Wieden in der Wiener Vorstadt erworben. Auch diese Adresse hing mit Glucks Gesundheitszustand zusammen; denn die Fahrten nach Perchtoldsdorf waren für ihn immer beschwerlicher geworden. In Diesem Hause war er noch immer in Sachen Oper aktiv, denn es ist bekannt, dass er dort mit dem berühmten irischen Tenor Michael Kelly die Partie des Pylades in der Oper »Iphigenie auf Tauris« einstudierte.
    Am 15. November 1787 empfing Gluck in seinem Haus zwei Besucher aus Paris, und unternahm danach noch eine Ausfahrt, wobei er erneut einen Schlaganfall erlitt, an dem er dann verstarb.


    Die Trauer war groß; die Beisetzung fand am17. November auf dem Matzleinsdorfer Friedhof statt. Unter der Leitung von Antonio Salieri wurde bei der Totenmesse Glucks »De profundis« für gemischten Chor und Orchester uraufgeführt, ein Werk, das Gluck zwischen 1785 und 1787 komponiert hatte.
    Der Matzleinsdorfer Friedhof wurde später in einen Park umgewandelt, der nun unter dem Namen Waldmüllerpark bekannt ist. Wegen der Auflassung des Friedhofs, wurde Glucks Leichnam in ein Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof umgebettet.
    In den 1840er Jahren fiel einigen Kunstfreunden auf, dass Glucks Grabstein im Laufe einiger Jahrzehnte witterungsbedingt dem Verfall nahe war. August Schweigerd, ein Mann der Polizeibehörde, schrieb 1845 die Wiener Musik-Zeitung mit der Bitte an, etwas zu tun, damit der marode Stein durch einen größeren ersetzt wird, der des großen Komponisten würdig ist. Eine eröffnete Subscription brachte zunächst keinen ausreichenden Erfolg. Dann floss dem spärlichen Fond ein beachtlicher Betrag zu, weil der europaweit bekannte Klaviervirtuose Alexander Dreyschock einen beträchtlichen Anteil aus einem Konzerterlös vom Januar 1846 für das Gluck-Denkmal spendete, das dann sofort in Auftrag gegeben werden konnte.
    Auf Felsen erhebt sich ein aus geschliffenem Granit gefertigter Obelisk, an dessen Vorderseite Glucks aus Erz gegossenes Bildnis in Form eines Medaillons angebracht ist. Darunter steht in sechs Zeilen der vergoldete Text:
    Am
    Einhundert dreißigsten
    und zweiten
    Geburtstagsfeste
    errichtet
    1846


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab von Christoph Willibald von Gluck befindet sich auf dem Wiener Zentralfriedhof in Gruppe 32 A, nicht allzu weit vom Haupteingang entfernt, links der Hauptachse.

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  • Aloys Schmitt - *26. August 1788 Erlenbach - †25. Juli 1866 Frankfurt / Main


    Zum heutigen Todestag von Dr. Aloys Schmitt


    Wenn man an diesem Grab vorbeigeht und dann schließlich stehen bleibt, um es näher zu betrachten, fallen die vom Bildhauer eingearbeiteten Musikinstrumente auf; wenn man sich weiter damit befasst, erfährt man, dass hier auch die Heilige Cäcilia, die Patronin der Kirchenmusik, dargestellt ist. Wer war dieser Dr. Aloys Schmitt?


    Aloys Schmitt hatte zwar einmal aufgeschrieben, dass er am 24. August 1789 geboren ist, aber es taten sich dann Quellen auf, welche diese Angabe widerlegten ...


    Bei dem an erster Stelle stehenden Namen - Antonie Haast - handelt es sich um die erstgeborene Tochter von Aloys Schmitt, sie war Pianistin.




    Aloys´ Vater, Franz Bartholomäus Schmitt, war Lehrer und Organist, eine in dieser Zeit oft praktizierte Kombination. 1791 wurde der Vater Schulrektor in Obernburg, einem kleinen Städtchen am Main, wo Aloys seine Kindheit mit einem Bruder und vier Schwestern verbrachte. Aloys wurde vom Vater im Violinspiel, am Klavier und an der Orgel unterrichtet, was mit penibler Strenge geschah. Der Junge war offenbar so begabt, dass sich für den Knaben so eine Art »Wunderkind«-Status ergab, denn es wurden in der Ferienzeit Kunstreisen zu benachbarten fürstlichen Höfen und Klöstern absolviert. In diesem Rahmen fiel der Junge dem Offenbacher Komponisten und Musikverleger Johann Anton André auf. Ab 1800 lebte Aloys Schmitt in dessen Haus, wo er den Komponisten, Musikpädagogen und Musiktheoretiker Georg Jacob Vollweiler kennenlernte und von diesem Kompositionsunterricht erhielt. Weitere Anregungen erhielt der junge Mann von dem exzellenten Pianoforte-Kenner Philipp Carl Hoffmann. Hier wurden die Grundlagen zum später so hochgerühmten Schmitt-Anschlag erarbeitet. Nach fünfjähriger Ausbildung in diesem edlen Kreise, waren die Lehrenden der Meinung, dass Aloys Schmitt nun genügend Rüstzeug erworben hat, um als Musiker bestehen zu können. Als Erwachsener hatte er am 23. März 1810 mit seinem ersten öffentlichen Auftreten in Frankfurt einen beachtlichen Erfolg


    Auch die Eindrücke des musikalischen Umfeldes in Frankfurt am Main hatten den jungem Musiker geprägt; so kam es auch im September 1810 zu einer Begegnung mit Carl Maria von Weber, der zur Uraufführung seiner Oper »Silvana« in Frankfurt weilte. Wenn man Schmitts Lebenslauf überblickt, stellt man fest, dass er sehr viele Kontakte zu Künstlern hatte, deren Namen in unseren Tagen noch weit mehr Glanz haben als der des Aloys Schmitt. Schmitt konzertierte im Rahmen gepflegter Hausmusik mit Clara Schumann, kannte Liszt, dem wiederum Schmitts Unterrichtswerke für das Klavierspiel bekannt waren und die er positiv beurteilte, traf in Paris Chopin und - zufällig auf einer Harzreise - auch Heinrich Heine; er kannte Paganini, Mendelssohn, Lachner, Marschner ... man könnte hier noch einige Namen unterbringen, sollte aber zumindest noch darauf hinweisen, dass er seit 1844 mit Louis Spohr befreundet war und mit diesem einen regen Briefwechsel pflegte. Dem Dichter Jean Paul widmete er sein op. 45 »Großes Tongemälde für das Piano-Forte zu vier Händen«. Diese Kontakte ergaben sich im Laufe seines langen Lebens und sind hier grob zusammengefasst.


    Indirekt hatte der zwölfjährige Aloys sogar mit Mozart zu tun, der natürlich schon tot war, aber Aloys´ väterlicher Freund und Betreuer Johann Anton André - der Altersunterschied betrug 13 Jahre - hatte 1799 von Mozarts Witwe Constanze 273 autographe Werke gekauft, darunter befand sich auch KV 525, »Eine kleine Nachtmusik«. Neunundsiebzig der erworbenen Kompositionen sind in diesem Verlag in Erstausgabe erschienen und wurden in einem völlig neuen Druckverfahren produziert.


    Der junge Mann hatte also 1810, jenseits seiner »Wunderkind«-Phase, in Frankfurt ein erfolgreiches Debüt gegeben. Danach leitete Schmitt -zusammen mit André - in Offenbach einen gemischten Chor, für den er zahlreiche Kantaten schrieb; beim vierhändigen Spiel wurde Aloys von seinem viel jüngeren Bruder Jakob unterstützt, aus dem der große Bruder einen tüchtigen Pianisten gemacht hatte. Die Proben fanden im Hause eines reichen Weinhändlers statt, wo André und Schmitt Ludwig Börne und Jean Paul kennenlernten.
    Ab 1814 folgten Kunstreisen an den Niederrhein sowie nach Holland und Belgien, welche bewirkten, dass sein Name allmählich bekannt wurde. 1821 bereiste er als Virtuose Bayern und 1922 Norddeutschland.
    Schmitts pädagogisches Können machte Furore als sein Schüler Ferdinand Hiller, der bei ihm als Knabe von sieben Jahren Klavierunterricht bekam, am 8. Oktober 1821 öffentlich bei einem Museumskonzert in Frankfurt mit Mozarts c-moll-Konzert auftrat. Ferdinand Hiller war am 24.10.1811 geboren, also noch keine zehn Jahre alt. Hiller wurde anschließend zu Johann Nepomuk Hummel weitergereicht, der natürlich auch mit Schmitt bekannt war. 1822 lernt Schmitt in Berlin - auf Vermittlung von André - Spontini und Zelter kennen, kann sich jedoch für einen längeren Aufenthalt dort noch nicht entschließen.
    1824 komponiert er ein Stück zum Regierungsjubiläum von König Max I. und wird zum Kammerkomponisten ernannt. Im gleichen Jahr verändert sich das Leben von Aloys Schmitt grundlegend; er heiratet am 13. Oktober in Obernburg Carolina Augusta Wohl, die Tochter eines wohlhabenden jüdischen Kaufmanns. Ganz unkompliziert war die Sache nicht, bevor die Ehe abgesegnet werden konnte war es notwendig, dass die Braut zum christlichen Glauben konvertiert.


    Die Jungvermählten begaben sich im Winter 1824 / 25 zu den Flitterwochen nach München, wo Schmitt sowohl bei Hofe als auch öffentlich spielte und auch Unterricht erteilt, ferner wird ein Singverein gegründet, was in der Literatur so beschrieben wird:
    »Daselbst wird er auch zur Gründung eines Singvereins, dessen Mitglieder mehrentheils den aristokratischen Kreisen angehören, und deren Mittelpunkt die sehr musikalische Gräfin Mejan war, veranlaßt«
    Im folgenden Winter 1825 / 26, ist Aloys Schmitt wieder in Berlin, wo er - ähnlich wie vorher in München - bei Hofe spielt, Konzerte gibt und Unterricht erteilt. So wird er auch Lehrer der Kronprinzessin Elisabeth von Preußen.
    Damals hielten sich in der Stadt interessante Personen wie zum Beispiel Hegel, Ritter oder Hummel auf. Auch mit Fürst Radziwill, der ein tüchtiger Sänger, ausgezeichneter Cellist und Erstvertoner von Goethes »Faust« war, stand Schmitt in regem Austausch.
    Nach überstandener Krankheit in Berlin konzertierte er im Frühjahr in Hannover, wo er aufgrund der dort angeknüpften Beziehungen im Sommer Hoforganist wurde und seinen Wohnsitz von Frankfurt nach Hannover verlegte. Herzog Adolf Friedrich von Cambridge, der ein großer Musikenthusiast war, ernannte ihn zu seinem Kammermusikus und pflegte ein freundschaftliches Verhältnis zu ihm. Für drei Jahre blieb Schmitt in Hannover, wobei er sich in den Sommermonaten nach Rüdesheim am Rhein zurückzog, um dort frei arbeiten zu können.


    Am 4. Dezember 1825 wurde das erste Kind, Tochter Antonie, geboren, was aus der Grabinschrift hervorgeht (in der Biografie steht »Anfang des Jahres 1826«). Am 2. Februar 1827 wurde Sohn Georg Alois geboren, welcher dann den musikalischen Spuren von Vater und Großvater folgte.
    1829 zog es die Familie wieder zurück nach Frankfurt. Mit dem Tod seines Schwiegervaters war Schmitt vermögend geworden, zum Zwecke des Broterwerbs brauchte er nun nicht mehr musizieren, er konnte sich der Musik jetzt nach eigenem Gusto widmen. Das bedeutete einen entscheidenden Wendepunkt in Schmitts Lebensgestaltung. Er nahm also von seinen Virtuosen-Auftritten Abschied, um sich mehr seiner Familie, seinen Kompositionen und seiner Lehrtätigkeit zu widmen. Es entstanden viele Entwürfe zu mehreren Instrumental- und Chorwerken, Sinfonien, Ouvertüren, Oratorien, Opern und Klavierkompositionen


    Bedingt durch seine vormalige Tätigkeit als Klaviervirtuose hatte er großen Zulauf von Schülerinnen und Schülern, die der Meister in Lehrkursen zusammenfasste. Neben den mit allem notwendigen Ernst betriebenen Unterweisungen, nahm er seine Schüler auch mal mit in Wald und Flur, wo es zu fruchtbaren Gesprächen kam. Solche Ausflüge resultierten daraus, dass Schmitt nicht nur ein leidenschaftlicher Musiker, sondern auch ein begeisterter Jagdfreund und Liebhaber des Fischens war.
    Aus rein pädagogischen Erwägungen bevorzugte Schmitt beim Unterrichten - neben seinen eigenen Kompositionen - Haydn und Mozart; dass Bach und Beethoven hier seltener gespielt wurden begründete er damit, dass für diese Meister eine größere Reife vonnöten sei. Ein Grundsatz Schmitts, den er gerne verbreitete war:
    »In der Kunst kommt es nicht darauf an, was man macht, sondern wie man es macht«. Wichtig war es Schmitt auch, dass seine Schüler sich neben ihrer musikalischen Betätigung auch mit allgeneiner Bildung versorgten.


    Im März 1842 reiste Schmitt mit seiner Frau und Sohn Georg Alois für einige Wochen nach Paris, wo er ein größeres Studienwerk für Klavierspieler herausgeben wollte und für die Aufführung seiner Oper »Valeria« Werbung betrieb. Bei der Heimreise hatte die Familie zunächst das Pech in Versailles den Zug zu verpassen, und dann das unwahrscheinliche Glück, nicht in diesem Zug gesessen zu haben, denn auf dem Weg nach Paris ereignete sich am 8. Mai 1842 bei Meudon - durch Achsbruch - eine der schwersten Katastrophen im Eisenbahnverkehr des 19. Jahrhunderts.
    Während seines Paris-Aufenthaltes hatte Schmitt auch mehrmals Chopin gehört, dessen Spiel er positiv beurteilte, was bei Franz Liszt, der Ende 1841 in Mainz und Frankfurt Konzerte gab, offensichtlich nicht der Fall war, denn in einer Biografie ist zu lesen:
    »So sehr Schmitt die Vorzüge des Lszt´schen Spieles anerkannte, wollte ihm doch das jugendlich-selbstbewußte, kokette Gebahren nicht recht zusagen, das, wenigstens damals, mehr das eigene Ich, als das Innere der Sache zur Schau trug; seine Kritik war sehr kurz und bündig, jedoch hier nicht mittheilbar«.


    Obwohl sich Schmitt als ausführender Musiker aus der Öffentlichkeit weitgehend zurückgezogen hatte, trat er in den 1840er Jahren noch sporadisch ins Rampenlicht.
    1848 konnte man im Frankfurter Theater erleben, dass seine große heroische Oper »Das Osterfest zu Paderborn«, erfolgreich aufgeführt wurde. Mit etwas Vaterstolz konnte er die Aufführung dieses Werkes 1856 in Aachen erleben, wo die musikalische Leitung in Händen seines Sohnes Georg Alois lag, der in Aachen Kapellmeister war.
    Im Februar 1847 reiste Schmitt mal wieder nach München, wo sowohl sein Spiel als auch seine unter Franz Lachners Leitung aufgeführte Komposition beifällige Aufnahme fanden. Im Winter1848/49 reist er nochmal in das von ihm bevorzugte Holland.


    Im Jahre 1852 wurde vom Verlag André in Offenbach am Main mit der Veröffentlichung eines bedeutenden Schulwerks begonnen, es war die Reihe »Methode für´s Klavierspiel«. Aloys Schmitt hatte das Erlernen des Klavierspiels methodisch aufgebaut - vom ersten Anfang beginnend bis zu den schwierigsten Anforderungen. Ursprünglich hatte Schmitt den Titel »Pianoforte-Bibliothek« geplant und diese Bibliothek sollte aus 30 Heften bestehen.
    Diese Klavierschule entstand in den 1830er Jahren für den privaten Bereich, um die eigenen Kinder an das Klavierspiel heranzuführen. In 22 Heften waren 408 Stücke enthalten.
    Aber Schmitt schrieb auch Stücke für Violine, die ebenfalls zunächst für seinen eigenen Nachwuchs gedacht waren, das war im Zeitraum von etwa 1848 bis 1852. Über diese Arbeiten korrespondierte er mit Spohr, der ja ein Spezialist für dieses Instrument war. Dabei wird auch das politische Umfeld kurz beleuchtet; in einem Brief an Spohr heißt es:
    »Während alle Welt politisirte, zog ich mich, als ich einigemal den Sitzungen in der Paulskirche beigewohnt - wohl ahnend das Ende - zurück und griff nach dem Fiddelbogen. Was kann unser einer in der Politik thun und helfen? Rothe Republik will ich nicht, Besonnenheit wollen Jene nicht«.


    Im Dezember 1854 komponierte Schmitt die Musik zu dem Drama »Die Sage vom Kugelberg bei Aschaffenburg«, der Text stammte von Gustav Stoll, einem jungen Heimatdichter, der auch in Obernburg geboren war. Das Werk wurde zweimal am Theater in Aschaffenburg aufgeführt und das war´s dann schon ...
    Leute, die Schmitt noch persönlich kannten, beschrieben ihn für diese Zeit so: »Die letzten Lebensjahre Schmitt´s lassen sich als ein zurückgezogenes, beschaulich-philosophisches Stillleben charakterisieren«.
    In dieser Zeit kamen auch Frau Dr. Clara Schumann und andere prominente Persönlichkeiten bei den Schmitts vorbei. Bei musikalischen Abendgesellschaften hielt sich Schmitt als Vortragender in aller Regel zurück. Als man ihn jedoch am 27. Januar 1861 von allen Seiten bedrängte, setzte er sich ans Klavier, um über Motive von Mozart zu phantasieren, es war ja der Geburtstag seines Idols.


    Im hohen Alter zog es Schmitt drei Jahre hintereinander in die Landschaft seiner Kindheitstage, wo er Teile seines Sommerurlaubes verbrachte. Dort entstand dann für den Erlenbacher Kirchenchor in der Pfarrwohnung die »Erlenbacher Messe«; auch für Obernburg wurde komponiert, es entstand die »missa Obernburgensis«. Am 27. Mai 1863 wurde am Schulhaus in Erlenbach in Anwesenheit des Komponisten diese Gedenktafel enthüllt, welche eigenartigerweise überhaupt keinen Hinweis zum musikalischen Schaffen des Aloys Schmitt enthält - offenbar war man der Meinung, dass das ohnehin jeder weiß.



    Schmitt wurde 1850 mit der Ehrendoktorwürde der Universität Gießen ausgezeichnet.


    Im gleichen Jahr unternimmt er noch eine Reise nach Schwerin, wo sein Sohn Georg Alois das Musikfest leitete. Wegen häufiger Schwindelanfälle rät ihm sein Arzt zu Höhenluft und Schmitt reist 1865 zusammen mit Angehörigen nach Engelberg in die Schweiz. Der ärztliche Rat trug Früchte, denn nach diesem Aufenthalt in der Schweiz fühlte sich Schmitt wesentlich besser.
    Allerdings hielt dieser Schub nicht lange vor, im Frühjahr 1866 bemerkten Freunde, dass Schmitts Gedächtnis nachließ. Besucher, die ihn verließen, hatten das Gefühl, dass es der letzte Besuch gewesen sein könnte. Am 25. Juli 1866 beendete ein Schlaganfall das künstlerisch so fruchtbare Leben des Aloys Schmitt, er starb morgens um vier Uhr.


    Als Komponist hatte er sich mit praktisch allen Gattungen befasst. Bis zu seinem Lebensende schaffte er auf dem Gebiet der Kammermusik Sonaten, Duos, Trios, Quartette und vieles mehr. Seinen Opern war keine lange Lebensdauer beschieden, sie sind heute vergessen.
    Dass Aloys Schmitt ein hervorragender Pianist war, ist in Form von Konzertberichten nachzulesen, diese Künstlergeneration konnte noch keine Tonträger hinterlassen. Aber seine vorbereitende Übungen zum Klavierspiel und die Vielzahl seiner Etüden sind noch bekannt. Als Lehrender hatte er eine große Bedeutung, die noch in unsere Zeit hineinwirkt und zu seinen Lebzeiten war er eine weithin bekannte Musikerpersönlichkeit.


    In normalen Zeiten wäre seine Beisetzung am 27. Juli in Frankfurt vermutlich eine große Sache mit viel Prominenz und musikalischer Umrahmung gewesen, aber die Chronik berichtet: »Der Sarg wurde ohne Sang und Klang in die kühle Erde gesenkt ...«
    Auch sonst gab es keine öffentliche Nachrufe, denn Frankfurt war im Ausnahmezustand; elf Tage vor der Beisetzung Schmitts hatten preußische Truppen Frankfurt besetzt und im Folgenden ist der Staat Frankfurt von der Landkarte verschwunden. Ein Tag vor der Beisetzung Schmitts hatte man den Frankfurter Bürgermeister zu Grabe getragen, der sich erhängt hatte.


    Praktische Hinweise:
    Das Grab befindet sich auf dem Hauptfriedhof in Frankfurt am Main, Eckenheimer Landstraße 194, im Gewann F an der Mauer. Als Orientierungspunkt kann ein großes, aus rotem Sandstein erbautes Mausoleum dienen, das im byzantinischen Stil erbaut ist; dieses Gebäude ist etwa 80 Meter vom Grab Schmitt entfernt. Im gleichen Gräberfeld weist ein großes Schild auf das Grab von Arthur Schopenhauer hin, die Distanz zum Grab von Aloys Schmitt beträgt etwa hundert Schritte.


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    Als Orientierungspunkt kann ein großes, aus rotem Sandstein erbautes Mausoleum dienen, das im byzantinischen Stil erbaut ist; dieses Gebäude ist etwa 80 Meter vom Grab Schmitt entfernt

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  • - Als Anhang zum vorigen Beitrag -

    Georg Alois Schmitt - *2. Februar 1827 Hannover - †15. Oktober 1902 Dresden.





    Der Sohn Georg Alois war von Kindesbeinen an von Musik umgeben, so dass es nicht verwundert, dass er letztendlich in die Fußstapfen seines Vaters trat. Aber der Heranwachsende interessierte sich neben der Musik auch sehr für Naturwissenschaften und Philosophie und schwankte zwischen diesen Neigungen. Schließlich obsiegte die künstlerische Betätigung. Er ging nun nach Heidelberg, wo Vollweiler sein Lehrer im Contrapunkt wurde. Unter Vollweilers Fittichen schrieb er eine Menge Fugen, Canons, Rondos, und Sonaten für Klavier ...
    Als für ihn feststand, dass er nun die Musik zu seinem Lebensberuf machen wird, erwarb er einen Operntext und schrieb die Oper »Trilby«, eines Morgens überraschte er seinen Vater mit der Partitur. Offenbar akzeptierte der Vater das Werk, denn es wurde in Frankfurt mit Beifall aufgeführt. Der Erfolg seines Erstlings bewog den jungen Komponisten gleich ein zweites Werk mit dem Titel »Das Wunderwasser« nachzuschieben, das er allerdings nicht zur Aufführung brachte, weil ihm auffiel, dass seine Oper fast kongruent mit dem »Liebestrank« war. Also verfolgte er seine Opernpläne nicht weiter und widmete sich seiner Solistenkarriere, denn er war schon als Knabe öfter in Konzerten aufgetreten. Durch intensives Studium erwarb er sich das notwendige Rüstzeug, um erfolgreich auf Konzertreisen gehen zu können. Sein Ruf als Pianist war so gewachsen, dass er mehrmals im Buckingham-Palast vor Königin Victoria spielte.

    Wieder nach Deutschland zurückgekehrt, entdeckte er wieder seine alte Liebe fürs Theater und wirkte in mehreren deutschen Städten, so auch in Würzburg und Aachen, als Kapellmeister.


    Georg Alois Schmitt hatte sich so einen guten Ruf erworben, dass ihn Friedrich Freiherr von Flotow - der von Ende 1855 bis 1863 Intendant des Schweriner Hoftheaters war - 1856 als Kapellmeister an sein Haus verpflichtete. In diesem Falle hatten sich zwei Theaterleute mit modernen Ansichten gefunden.
    Flotow brachte das Haus zunächst mit technischen Neuerungen auf Vordermann, indem er zum Beispiel für beheizbare Garderoben sorgte und Toiletten einbauen ließ und sein Kapellmeister Schmitt sorgte für einen modernen Konzertbetrieb und gründete zum Beispiel einen Gesangverein für Oratorien-Aufführungen, es gab Orchesterkonzerte und Abende für Kammermusik.
    Georg Alois Schmitt stiftete die Mecklenburgischen Musikfeste und schrieb einige Kompositionen zu verschiedenen Anlässen, wie zum Beispiel das Festspiel »Maienzauber«. anlässlich der Vermählung des Großherzogs. Es war Flotows größte Tat für das Schweriner Theater, dass er Schmitt herbeigeholt hatte, der dann unermüdlich, weit über Flotow hinaus, nämlich bis zum 1. Oktober 1892 hier wirkte. Er verstand es auf wunderbare Weise, herausragende Kräfte von Orchestermusikern sowie Sängerinnen und Sänger ans Schweriner Theater zu holen; Alois Schmitts Wirken strahlte weit hinaus, sogar Richard Wagner war 1873 da, um den Sänger Carl Hill nach Bayreuth zu holen.


    So wie Vater Aloys in Ferdinand Hiller einen berühmt gewordenen Schüler hatte, konnte Sohn Georg Alois auf seine Schülerin Emma Brandes stolz sein, die von der sonst doch so kritischen Clara Schumann begeistert angenommen wurde. Emma Brandes (später Emma Engelmann) machte - zusammen mit Cornelia Csányi - Alois Schmitt nachdrücklich auf Brahms aufmerksam. 1871 kam Fräulein Csàryi, eine ungarische Sängerin, die auf Wagner-Rollen spezialisiert war, an die Schweriner Hofoper Der Herr Hofkapellmeister hatte weit über das Berufliche hinausgehende Interessen an der jungen Dame, aus der bald Frau Cornelia Csányi -Schmitt wurde, was dann für die Sängerin den Abgang von der Opernbühne bedeutete.


    Am 26. Januar 1896 dirigierte Georg Alois Schmitt im Kurländer Palais zu Dresden das neu gebildete Vereinsorchester des Mozartvereins. Das heute wieder rekonstruierte Dresdner Mozart-Denkmal hatte an der linken Seite eine Tafel mit folgendem Text:


    ERRICHTET VOM
    MOZARTVEREIN
    ZU DRESDEN 1907
    AUF ANREGUNG
    SEINES ERSTEN
    MUSIKALISCHEN
    LEITERS
    ALOIS SCHMITT


    Der Initiator des Denkmals konnte also die Einweihungsfeierlichkeiten nicht mehr erleben, aber er setzte sich und Mozart ein Denkmal auf ganz andere Weise, das auch durch Kriegseinwirkungen nicht zerstörbar ist.
    Mozarts c-Moll-Messe tauchte 110 Jahre nach seinem Tod wieder als Fragment auf. Schmitt machte sich an die Arbeit und ergänzte diese Messe in den Jahren 1897 bis 1901, wobei er sich am Vorbild des Franz Xaver Süßmayr orientierte, der Mozarts Requiem eingerichtet hatte.


    In der Fassung von Alois Schmitt wurde die Messe im April 1901 in der Luther-Kirche zu Dresden uraufgeführt. Schmitt hatte die fehlende Instrumentierung der Komposition anhand von Mozarts Skizzen ergänzt und die Orgelstimme ausgearbeitet; ferner bildete er das Agnus Dei neu aus dem vorhandenen Kyrie der Messe und stellte die fehlenden Sätze des Credo aus Mozarts Kompositionen zusammen.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab von Georg Alois Schmitt und seiner Frau Cornelia Schmitt-Csányi befindet sich auf dem Johannis-Friedhof in Dresden, Wehlener Straße 13. Die Grabstelle befindet sich an der Innenseite der Friedhofsmauer zwischen der dritten und vierten Grababteilung in Höhe der Grababteilung 4 D. Interessanterweise befindet sich drei Gräber links daneben die Grabanlage der weltberühmten Marcella Sembrich - siehe #438.



    Der Haupteingang zum Johannis-Friedhof - hinter dem Gebäude wendet man sich nach links.

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  • Peter Schreier - *29. Juli 1935 Meißen - † 25. Dezember 2019 Dresden



    Zum heutigen Geburtstag von Peter Schreier



    Peter Schreier wurde nach seiner eigenen Darstellung schon als Baby auf dem Flügel in den Schlaf gewiegt. Er wuchs in einem Kantorenhaushalt in Gauernitz, einem Dorf südlich von Meißen auf, wo sein Vater Kantor und Lehrer war. Man kann davon ausgehen, dass der Junge schon im Elternhaus entsprechend musikalisch vorbereitet war. Nun kam noch hinzu, dass der achtjährige Knabe wöchentlich mit Bus und Tram von seinem Dorf aus in die große Stadt - also nach Dresden - fuhr, um dort Intervallübungen und vom Blatt singen zu üben, bis der grauenvolle Krieg dem ein vorläufiges Ende setzte.


    Als Peter knapp zehn Jahre alt und der Krieg vorbei war, suchte Professor Mauersberger seine ehemaligen Schäfchen wieder zusammen. Seit der Junge 1943 in der alten Kreuzschule am Georgplatz seine ersten Stimmübungen absolvierte, hatte sich Dresden grundlegend und auf tragische Weise verändert; in einer grausamen Bombennacht im Februar 1945 blieb in der einstmals so schönen Stadt kaum noch ein Stein auf dem anderen.


    Nun traf in Gauernitz nach Kriegsende ein Brief vom Dresdner Kreuzchor ein, in dem angefragt wurde ob noch Interesse an der Weiterführung der Chorarbeit besteht. Diese Anfrage wurde von Familie Schreier bejaht, und so zog Peter im Alter von knapp zehn Jahren im Juni 1945 in das Internat des Kreuzchores ein. Besonders prunkvoll war dieser Einzug nicht; es handelte sich um die Kellerräume der Oberschule Dresden-Plauen. Neben den stimmlichen Übungen mussten noch Noten abgeschrieben werden, weil durch Kriegseinwirkungen viele Unterlagen verloren gegangen waren.
    Am Ende dieser ersten Wegstrecke, nachdem er im Chor mehrfach solistisch hervorgetreten war, kam von Professor Rudolf Mauersberger der Ratschlag: »Ihre Begabung liegt auf dem Gebiet des Stimmlichen; werden Sie Sänger!« Die Anrede zeigt an, dass aus dem Knaben ein Mann geworden war.


    Zunächst hatte Schreier beim Kreuzchor eine musikalische Assistenz-Funktion, wobei er nebenher zu dem Gesangspädagogen Fritz Polster in Leipzig fuhr, den ihm Professor Mauersberger vermittelt hatte. Peter Schreiers Absicht war, durch diesen Privatunterricht ein Studium an der Musikhochschule zu umgehen.


    Schließlich trat er dann doch zum Studium in die Dresdner Musikhochschule ein. Dort konnte er mit seinem schon reichlich erworbenen Musikwissen glänzen und absolvierte auch ein Studium als Chor- und Orchesterdirigent. Er tat aber auch Verbotenes, weil er heimlich auch noch Unterricht bei dem in Dresden legendären Buffo-Tenor Johannes Kemter nahm, was nach den Statuten der Hochschule nicht gestattet war, aber für Schreier das Tor zum Operngesang aufstieß. Die Sache wurde dem Rektor zugetragen, was dem Studenten Schreier einen vorzeitigen Abgang ermöglichte, denn er konnte bereits nach drei Jahren mit dem Staatsexamen abschließen.


    Schreiers erste Rollen an der Dresdner Oper waren die als erster Gefangener in »Fidelio« und als Ferrando in »Cosi fan tutte«. Dann ging es hier noch eine Stufe höher als Belmonte in »Die Entführung aus dem Serail« und Tamino in »Die Zauberflöte«.
    Einiger Nachhilfe bedurfte es, bis der junge Tenor auch eine gewisse Spielpraxis erworben hatte, welche ja beim bisherigen Konzertgesang nicht erforderlich war.


    Nach dem Berliner Mauerbau 1961 war der Berliner Staatsoper einiges Personal abhanden gekommen und Schreier kam nach Berlin, wo man rein geografisch, an der Nahtstelle zum Westen, mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte. Das war 1962 bei einem Gastspiel an der Staatsoper Berlin der Fall, wo er sich als Belmonte in »Die Entführung aus dem Serail« vorstellte. Seit 1963 hatte Peter Schreier dann einen Vertrag bei der Staatsoper Berlin und 1966 hörte man ihn als Jungen Seemann in »Tristan und Isolde« in Bayreuth und dann ein Jahr später als Tamino bei den Salzburger Festspielen, bei denen er 25 Jahre lang tätig war. Als im September 1966 Fritz Wunderlich überraschend tödlich verunglückte, tat sich für Schreier ein noch viel weiteres Betätigungsfeld als lyrischer Tenor auf. Er sang am Royal Opera House Covent Garden London, an der Mailänder Scala, an der Metropolitan Opera New York, am Teatro Colón Buenos Aires sowie an vielen anderen bedeutenden Häusern, natürlich auch an der Wiener Staatsoper, deren Archiv zweihundert Auftritte in 15 verschiedenen Rollen auflistet, meist sind es Mozart-Partien, den Don Ottavio in »Don Giovanni« gab er an der WSO fünfzig Mal.


    Wenn Schreier im Operngesang den Pfad des Mozart-Sängers verließ, kam es zu recht unterschiedlichen Ergebnissen. Sein Max im »Freischütz» war einiger Kritik ausgesetzt, aber diese Rolle sang er nie auf der Bühne, sondern - auf die Bitte von Carlos Kleiber, der einen ganz lyrischen Max haben wollte - nur auf der Schallplatte. Weit positiver wurden Schreiers Ausflüge n die Welt Richard Wagners wahrgenommen. Sein Loge im »Rheingold« war bei den Osterfestspielen in Salzburg ein großer Erfolg; Karajan hatte ihm gesagt, dass der Loge genau so eine Partie wie der Evangelist in der »Matthäus-Passion« sei, Maestro Karajan hatte die Partie des Loge rezitativisch angelegt.


    Neben dieser Tätigkeit als Opernsänger pflegte Peter Schreier auch das Kunstlied und den Oratoriengesang, was jedoch nicht bedeutet, dass diese Genres etwa eine »Nebentätigkeit« waren, denn gerade in diesem Bereich trat er besonders exklusiv in Erscheinung; Peter Schreier hat hier Maßstäbe gesetzt.
    Und Schreier konnte nicht nur singen, er hatte ja auch Dirigieren gelernt, seit 1970 machte er davon Gebrauch und bevorzugte dabei die Musik Mozarts, J. S. Bachs, Haydns und Händels. Bei den Bachschen Passionen kombinierte er mitunter Singen und Dirigieren.


    Mit der Begründung, dass er nun kein junger Prinz mehr sei, nahm Schreier im Juni 2000 als Tamino seinen Abschied von der Opernbühne, den Konzertgesang bot er seinem Publikum noch fünf Jahre länger. Am 22. Dezember 2005 beendete Peter Schreier seine Gesangskarriere in Prag, wo Bachs Weihnachtsoratorium aufgeführt wurde, ein letztes Mal trat er als Dirigent und Sänger in Erscheinung. Dass er seine Sängerkarriere ausgerechnet in Prag beendete hatte keine tiefere Bedeutung, diese Konstellation ergab sich einfach aus dem jahrelang vorbereiteten Terminplan.


    Im Laufe der Jahre wurde Peter Schreier mit Ehrungen aller Art förmlich überschüttet - wobei erstaunlicherweise die Ehrenbürgerschaft der Stadt Dresden fehlt - und natürlich war er auch mehrfacher Kammersänger. Solche Auszeichnungen fallen nicht vom Himmel; bis man solche bekommt, muss vorher mitunter mörderisch viel getan werden, das geht an die Substanz des Körpers.
    Sogar die Boulevard-Presse berichtete ausführlich von Schreiers Erkrankungen, die so schwerwiegend waren, dass das Leben des Sängers am seidenen Faden hing. Da war eine schwere Bypass-Operation 2010 und zwei Jahre später musste eine Gefäßchirurgin all ihre Kunst aufbieten als der Sänger an der Halsschlagader operiert wurde. Auch davon erholte sich Schreier noch einmal und konnte Meisterkurse geben, aber die Kräfte schwanden weiter.

    Am 25. Dezember 2019 beendete Peter Schreier im Dresdner Uni-Klinikum sein irdisches Dasein.


    Wenn man dann einige Monate später vor dem Grab steht, gehen die Gedanken weit zurück - 1972 hatte Peter Schreier bei den Schwetzinger Festspielen einen Liederabend gegeben und in den folgenden Jahren hatte ich den Sänger immer mal wieder an anderen Orten gehört und dann noch einmal bei seinem vorletzten Liederabend, den er in Schwarzenberg gab. Im Angelika-Kauffmann-Saal sang er am 13. Juni 2005 »Die schöne Müllerin«, Wolfram Rieger begleitete ihn. 33 Jahre nach dem Ersterlebnis in Schwetzingen klang die Stimme natürlich nicht mehr jugendlich, dennoch war es beeindruckend erleben zu können, mit welcher Souveränität der 70-jährige Künstler diesen Abend gestaltete, man hätte glauben können, dass ihm der Müllerbursche auf den Leib geschrieben wurde.


    Das tiefste Kunsterlebnis war für Peter Schreier vermutlich, wenn er den Evangelisten singen und die Aufführung auch dirigieren konnte, jede Bach-Aufführung war für ihn ein Erlebnis und wurde nie zur Routine. Schreier meinte zu dieser Art Aufführungen, dass die Gesamtverantwortung eine viel größere Körperspannung erzeugt, welche die Gestaltung des Evangelisten wesentlich beeinflusst. Peter Schreier war auf vielen musikalischen Feldern tätig, aber sein künstlerisches Dasein ruhte auf drei Säulen - Das waren die Mozart-Opern, die Liederabende und die Bach-Passionen.


    Am 8. Januar 2020 nahmen bei einer Trauerfeier in der Dresdner Kreuzkirche 3.000 Menschen Abschied von Peter Schreier. Zum Abschluss sangen 80 Kruzianer den Schlusschoral aus Bachs Johannespassion.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab befindet sich auf dem Inneren Matthäusfriedhof in Dresden, der Eingang ist an der Ecke Friedrichstraße / Vorwerkstraße. Der Friedhof ist überschaubar, man wendet sich vom Eingang aus nach links und findet das Grab gegenüber dem Eingang zur Kirche.


    Der Friedhofseingang


    Nahe der Kirche befindet sich das Grab von Peter Schreier


    Schräg gegenüber dem Eingang des Friedhofs befindet sich diese Haltestelle.

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  • Als im September 1966 Fritz Wunderlich überraschend tödlich verunglückte, tat sich für Schreier ein noch viel weiteres Betätigungsfeld als lyrischer Tenor auf.

    Pardon, aber ich finde diesen Satz mehr als unglücklich: Er suggeriert, dass Schreier sich nicht als lyrischer Tenor hätte betätigen können, wenn Wunderlich 1966 nicht gestorben wäre, was natürlich hanebüchener Unsinn ist, da Schreier seine lyrischen Rollen - von Belmonte über Don Ottavio und Ferrando bis Tamino bei Mozart, aber auch Rollen wie Fenton, Marquis von Chateauneuf in "Zar und Zimmermann" oder Flamand in "Capriccio" - zu diesem Zeitpunkt alle schon mehrere Jahre im Repertoire hatte und mit großem Erfolg sang.


    Die leider viel zu verbreitete Annahme, dass Schreier ohne Wunderlichs Tod keine Karriere als lyrischer Tenor hätte machen können, ist einfach falsch - ob versehentlich oder böswillig, sei mal dahingestellt.


    Mein hier artikulierter Widerspruch gegen den zitierten Satz erscheint mir bitter notwendig.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Einige Erkenntnisse kann man aus den letzten Beiträgen entnehmen:

    Stimmenliebhabers Aufmerksamkeit entgeht kaum etwas. Messerscharf analysiert er einen Satz, der mitten in einem umfangreicheren Text von Hart steht. Dialektisch klug isoliert er ihn vom Kontext und baut dann auf der vom Begleittext getrennten Aussage seine kritische Argumentation wirkungsvoll darauf auf.

    Hart zeigt darauf mustergültig wie man in einer solchen Situation gekonnt und mit Stil deeskaliert. Ganz einfach ehrlich und elegant: Man gibt einfach das Gesagte ohne wenn und aber zu und entschuldigt sich. Wobei eine Entschuldigung aus meiner Sicht nicht notwendig gewesen wäre, die Richtigstellung hätte genügt.

    Mein Beitrag sollte vor allem die menschliche Größe von Hart deutlich herausstellen und anerkennen.:jubel:


    Herzlichst

    Operus (Hans)

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Liebe Freunde,

    verzeiht meinen Einwurf, doch wenn zwei anerkannte lyrische Tenöre vorhanden sind, einer davon verstirbt auf tragische Weise, kann ich keinen hanebüchenen Unsinn erkennen, wenn man behauptet, dass das Feld für den Verbleibenden weiter wird.


    Es sei denn, man unterstellt, dass ohne den Tod des einen Sängers keine Karriere möglich gewesen wäre, was aber nicht den Tatsachen entspricht.


    So kann man auch aus einer Mücke unnotwendigerweise einen Baby-Elefanten machen, meine ich.


    Erich

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  • verzeiht meinen Einwurf, doch wenn zwei anerkannte lyrische Tenöre vorhanden sind, einer davon verstirbt auf tragische Weise, kann ich keinen hanebüchenen Unsinn erkennen, wenn man behauptet, dass das Feld für den Verbleibenden weiter wird.


    Lieber Erich Ruthner,


    du sagst es: zwei anerkannte lyrische Tenöre.


    Gerieben hatte ich mich an diesem Satz:

    Als im September 1966 Fritz Wunderlich überraschend tödlich verunglückte, tat sich für Schreier ein noch viel weiteres Betätigungsfeld als lyrischer Tenor auf.

    Wenn ich diesen jetzt noch einmal lese, fällt mir die Formulierung "ein noch viel weiteres Betätigungsfeld" auf, die mir beim ersten Lesen so nicht aufgefallen war, also habe ich das "noch viel weiteres" wohl überlesen und somit wohl tatsächlich überreagiert.


    Inhaltlich bleibt es aber zweifellos richtig, dass Peter Schreier schon vor Wunderlichs Tod ein anerkannter lyrischer Tenor war, der seine wichigsten Partien im lrischen Tenorfach alle schon im Repertoire hatte und seit einigen Jahren mit Erfolg dang. Dass sich durch Wunderlichs Tod ein breiteres Repertoire im lyrischen Fach für Schreier auftat, ist so also nicht richtig, weil dieses lyrische Repertoire Schreiers eigentlich nicht mehr breiter wurde.


    Darüber, inwieweit Wunderlichs plötzlicher Tod die Karriere Schreiers befördert hat, kann man sicher unterschiedlicher Meinung sein. Geschadet hat dieser Umstand Schreier Karriere natürlich nicht. Ich verwahre mich allerdings gegen die Behauptung, dass Schreiers Karriere im lyrischen Fach ohne den Tod Wunderlichs nicht möglich gewesen wäre. Diese findet man sogar in Büchern und im von mir zitierten Satz wird sie zumindest angedeutet. Fakt ist, dass es so viele bedeutende Opernhäuser und Festvals gab und gibt, dass der lyrische Tenor Peter Schreier auch ohne Wunderlichs Tod seine große Karriere hätte machen können - und meiner Auffassung auch gemacht hätte - neben Wunderlich! Und das nicht nur, weil dieser (wie man bei bestimmten Aufnahmen wie dem "Butterfly"-Querschnitt oder den Aufnahmen vom "Lied von der Erde" hören kann) in ein lyrisches Heldenfach strebte (Pinkerton ist meines Erachtens keine rein lyrische Partie, sondern viel eher Spinto und der Solo-Tenor im "Lied von der Erde" tendiert auch klar ins Heldische), in das ihm Schreier ohnehin nicht gefolgt wäre. Auch wenn ich Wunderlichs Hans in der "Verkauften Braut" höre (Schreier wäre immer ein Wenzel geblieben), kann ich mir gut vorstellen dass sich da ein hervorragender Lohengrin und Stolzing entwickelt hätte. Es hätte also nicht nur ohnehin Platz für zwei bedeutende lyrische Tenöre (und mehr) nebeneinander gegeben: Die Lücke, die tragischerweise durchs Wunderlich plötzlichen Tod gerissen wurde, wäre unter glücklicheren Sternen im lyrischen Fachs durch Wunderlichs erwartbare Weiterentwicklung ins jungdliche Heldenfach ohnehin entstanden. Letztlich bleibt es aber Spekulation, wie die Realität verlaufen wäre, wenn etwas anders gekommen wäre. Wir können nur die Realität bewerten, die tatsächlich stattfand, und in dieser gab es mit Wunderlich und Schreier zwei bedeutende lyrische Tenöre, wie zahlreiche Aufnahmen belegen, wenn auch durch die schicksalhaften Umstände nun eher nach- als nebeneinander.


    Mich ärgern solche Spekulationen (auch im Falle Adam-London) immer sehr und manchmal reagiere ich dann auch über. Und so hast du, vereherter Erich Ruthner, mit deiner Feststellung einer Überraktion meinerseits, zweifellos Recht - ich räume diese ein und entschuldige mich hiermit bei "hart" für diese - in der Hoffung, dass er seine dankenswerte Rubrik hier fortsetzt.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Inhaltlich bleibt es aber zweifellos richtig, dass Peter Schreier schon vor Wunderlichs Tod ein anerkannter lyrischer Tenor war, der seine wichigsten Partien im lrischen Tenorfach alle schon im Repertoire hatte und seit einigen Jahren mit Erfolg dang. Dass sich durch Wunderlichs Tod ein breiteres Repertoire im lyrischen Fach für Schreier auftat, ist so also nicht richtig, weil dieses lyrische Repertoire Schreiers eigentlich nicht mehr breiter wurde.

    Darüber hinaus hat Wunderlich angesichts der massenhaften Anfragen, die ihn erreichten, des öfteren gesagt: "Nehmt doch mal den Schreier, der ist auch gut!"

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    In diesem Buch, das ich als sehr informativ empfinde, wird das Verhältnis zwischen Schreier und Wunderlich auch thematisiert. Der von Perikles zitierte Ausspruch, wird dort auf Seite 348 so wiedergegeben: "Jetzt nehmt's doch mal den Schreier und lasst mich in Ruhe!" Hermann Prey hatte die beiden Tenöre in Wien miteinander bekannt gemacht. Das muss kurz vor Wunderlichs Tod gewesen sein.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Karl Klindworth - *25. September 1830 Hannover - † 27. Juli 1916 Stolpe



    Zum heutigen Geburtstag von Karl Klindworth



    im Jahr von Karl Klindworths Geburt übernahm Heinrich Marschner die Leitung des Hoforchesters in Hannover und im gleichen Jahr gab Nicolo Paganini zwei Konzerte in der Stadt; somit kann man das zeitlich in etwa einordnen.


    Der Vater von Karl Klindworth, Karl August Klindworth, war ein findiger Mechaniker, der als Unternehmer den Betrieb seines Vaters weiter ausbaute; die Mutter war die Tochter eines Hofbuchdruckers, der hohes Ansehen genoss.
    Der kleine Karl erhielt als Kind Violinunterricht, bewältigte jedoch seine Klavierstudien zunächst autodidaktisch. Auf diese Weise war er immerhin soweit fortgeschritten, dass er als Siebzehnjähriger von einer reisenden Theatergruppe als Violinist und Kapellmeister akzeptiert wurde. Man kann vermuten, dass er mit der Truppe etwa drei Jahre unterwegs war, denn die Analen zeigen an, dass Karl Klindworth 1850 die Leitung der »Neuen Liedertafel« in Hannover übernahm.


    1852 ging Klindworth nach Weimar, um dort Schüler von Franz Liszt zu werden. Aus einem Interview mit Karl Klindworth in »The Musical Times« vom August 1898 weiß man, dass Liszt seinen neuen Schüler dergestalt testete, dass er Klindworths Fähigkeit vom Blatt zu lesen prüfte, indem er diesen eine Konzertetüde in Des-dur aus dem Manuskript spielen ließ.
    Franz Liszt residierte mit Fürstin Carolyne zu Sayn-Wittgenstein in der Altenburg zu Weimar, wobei es sich um keine Burg im üblichen Sinne, sondern um ein Haus mit drei Geschossen handelt, welches über repräsentative Empfangsräume und viele Gästezimmer verfügte. Hierher kamen die damals bedeutendsten Nachwuchsmusiker: Joachim Raff, Peter Cornelius, Hans von Bronsart, Felix Draeseke, Hans von Bülow und Karl Klindworth. Die beiden Letztgenannten, gleichaltrig, verband eine lebenslange innige Freundschaft, die nur einmal 1888 getrübt wurde, als Bülow die Berliner Philharmoniker übernahm, die Klindworth vordem einige Male im Wechsel mit anderen Dirigenten dirigiert hatte.
    Hans von Bülow brachte seinen Freund als Nachfolger ins Spiel als er 1869 München verließ, aber Klindworth konnte in München dann doch nicht Hofkapellmeister werden. Ähnliches wiederholte sich später in Hannover; als Bülow 1879 seinen Abschied vom Königlichen Hoftheater nahm, hätte er Klindworth gerne als seinen Nachfolger gesehen, aber da liebäugelte Klindworth mit Berlin. Als Bülow vor seiner Amerika-Reise sein Testament abfasste, bedachte er seinen Freund mit Büchern und Musikalien.


    Liszt hatte seinen Schüler Klindworth an Richard Wagner mit der Formulierung »ganz famoser Klavierspieler« empfohlen. 1854 ließ sich Klindworth in London nieder; wenig später traf dort auch Richard Wagner ein, der einige Konzerte der »Old Philharmonic Society« leitete. In der Literatur wird diese erste Begegnung zwischen Wagner und Klindworth unterschiedlich dargestellt, bei Altmeister Friedrich Glasenapp besucht Wagner den jungen Klindworth auf dem Krankenlager und sagt: »Da liegen Sie nun, Sie Armer, und ich muß zu Ihnen kommen, anstatt daß Sie mich bewillkommnen; mir hat Liszt von Ihnen geschrieben, und ich freue mich, Sie kennen zu lernen.«
    Bei Frithjof Haas (Hans von Bülow) liest sich das so: »Klindworth besuchte den Komponisten in dessen Wohnung, Portland Terrace, und spielte für ihn Liszts kürzlich vollendete Klaviersonate«. Meister Wagner sei über das Gehörte entzückt gewesen, erfährt man weiter, aber vielleicht war das auch ein Besuch nach der Genesung des Pianisten


    Unbestritten ist, dass Karl Klindworth Wagner lebenslang verehrte und von Wagners Bühnenwerken Klavierauszüge fertigte, die in der klavieristischen Umsetzung des Orchesterparts unübertroffen sind.


    Die erste Arbeitsprobe lieferte Klindworth mit dem Klavierauszug des ersten Aktes »Walküre«; weitere folgten. Aber da Klindworth ein so hervorragender Pianist war, hatten seine partiturnahen Klavierauszüge aus verlegerischer Sicht den Nachteil, dass ein herkömmlicher Klavierspieler die Stücke nur spielen konnte, wenn er die Hälfte der Noten unter den Tisch fallen ließ. Auch Richard Wagner sah diese Problematik und schrieb am 14. Februar 1874 an Klindworth:
    »Kein Mensch spielt doch so einen Klavierauszug, so wie Sie es sich gedacht haben. [...] Also lieber gleich nur Andeutung, während jetzt der gewöhnliche Klavierspieler nur durchkommt, wenn er über die Hälfte der Noten ausläßt.«


    Vierzehn Jahre wirkte Klindworth in London, wo er erfolgreich als konzertierender Pianist und Lehrer tätig war; in den Jahren 1861/62 trat er auch als Veranstalter von Orchester- und Kammermusik-Konzerten in Erscheinung.


    1868 wurde Karl Klindworth von Nikolai Rubinstein dazu eingeladen am Moskauer Konservatorium als Professor eine Klavierklasse zu leiten. Zu dieser Zeit wirkte hier auch ein Professor, dessen Name heute weit bekannter ist als der von Klindworth; es war Pjotr Iljitsch Tschaikowski, der an dem Institut für die Harmonielehre zuständig war.


    Nach sechzehn Jahren verließ Klindworth Moskau, um 1884 in Berlin sesshaft zu werden, wo sich ihm hervorragende Möglichkeiten boten sein Können als Pianist, Dirigent und Pädagoge zur Geltung zu bringen. Wie bereits erwähnt, dirigierte Klindworth hier auch die Philharmoniker im Wechsel mit Joachim und Wüllner. 1887 dirigierte er die Berliner Erstaufführung von Bruckners 7. Sinfonie.
    Im Weimarer Lexikon zur Stadtgeschichte findet man unter dem Namen »Carl Klindworth« auch den Eintrag: »internationale Konzertreise (1887/88 USA)
    Seiner pädagogischen Neigung entsprechend, gründete Klindworth 1883 eine eigene Klavierschule, die als »Klindworth-Konservatorium« für zehn Jahre Bestand hatte, um dann von 1893 an als »Klindworth-Scharwenka-Konservatorium« zu einer weltbekannten Institution zu werden - erst 1960 wurde der Lehrbetrieb eingestellt.


    Zu Klindworths größten musikalische Taten zählen neben den Klavierauszügen zu Wagners Opern auch eine kritische Ausgabe der Werke Frédéric Chopins. Fachleute sind der Ansicht, dass es sich dabei um ein geniales Werk handelt und Klindworths Freund, Hans von Bülow, der ein ganz ausgezeichneter Pianist war, nannte das Werk »die einzige Musterausgabe«.
    Das Werk erschien 1873 in Moskau und wurde 1876 abgeschlossen.


    Als Karl Klindworth 1855 erstmals mit Richard Wagner zusammentraf, war es dergestalt um ihn geschehen, dass er zeitlebens ein glühender Wagnerianer war, aber er konnte absolut nicht ahnen, dass er einmal selbst Mitglied der Familie Wagner werden würde.


    Da wurde an der östlichen Südküste Englands, in Hastings, am 23. Juni 1897 ein Mädchen mit dem Namen Winifred Marjorie Williams geboren, deren Eltern aus dem Theater-Milieu kamen; der Vater war Theaterkritiker und starb, als das Kind noch nicht einmal ein Jahr alt war; die Mutter war Schauspielerin und wurde wenige Monate später Opfer einer Typhusepidemie. Die Kleine wurde zunächst in der Verwandtschaft herumgereicht, fand jedoch nirgendwo eine Bleibe, auch nicht bei ihrem dänischen Großvater, und kam so bis zu ihrem neunten Lebensjahr in ein Waisenhaus. Das schon betagte Ehepaar - Karl Klindworth war 77 und seine Frau hatte gerade die 70 überschritten - mochte den Kummer des Mädchens nicht länger mit ansehen und nahm das Kind im April 1907 zu sich nach Berlin. Frau Klindworth war eine Verwandte der Kindesmutter. Das kinderlose Ehepaar Klindworth wohnten damals noch in der Lebensreformer-Kolonie Eden in Oranienburg bei Berlin.


    1908 zogen die Klindworths dann in eine Mietwohnung nach Berlin-Dahlem, wo sie mit ihrem Adoptivkind bessere Möglichkeiten hatten. Das Mädchen bekam eine ordentliche Ausbildung und wurde früh mit der Gedankenwelt Wagners und der Musik vertraut. So war die Freude der 17-jährigen jungen Dame groß, als sich im Juli 1914 die Gelegenheit bot die Festspiele in Bayreuth zu besuchen.
    Die Klindworths waren ja nicht irgendwer und erhielten eine Pauseneinladung, in deren Verlauf die 17-Jährige sich unverzüglich in den um 28 Jahre älteren Siegfried Wagner verliebte ... »Siegfried war für mich das unerreichbare Ideal meiner Träume.«
    Trotz des inzwischen ausgebrochenen Ersten Weltkrieges kam man sich rasch näher und Siegfrieds ältere Schwester, Eva Chamberlain, gab ihrem Bruder Siegfried im Juni 1915 auf seinem Weg zu den Klindworths in Berlin, noch einen brieflichen Schubs, indem sie ihn nachdrücklich auf die Notwendigkeit jungen Blutes in der Familie aufmerksam machte. Nach Siegfrieds förmlichem Antrag wurde der Hochzeitstermin rasch festgelegt; am 22. September 1915 gaben sich der 46-jährige Bräutigam und Fräulein Klindworth in der Halle der Villa Wahnfried das JA-Wort. Karl Klindworth war auf diese Weise durch seine Adoptivtochter der Schwiegervater von Richard und Cosima Wagners einzigem Sohn geworden.


    Hier ist die Nähe zur Grabstätte der Familie Wagner deutlich zu sehen, welche jenseits der Hecke emporragt.


    Praktische Hinweise:
    Stadtfriedhof Bayreuth, Gräberfeld A 1b. Wenn man den Eingang an der Carl-Burger-Straße benutzt, findet man das Grab recht schnell; auf dem Friedhofsplan ist das Grab mit der Nr. 16 bezeichnet. Eine Beschilderung weist auf die Gräber der Familie Wagner hin.



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  • Fred Teschler - *27. September 1926 Dresden - † 11. Juli 1997 Dresden



    Zum heutigen Geburtstag von Fred Teschler



    Der Bassist Fred Teschler war insofern musikalisch vorbelastet, dass sein Vater im Chor der Dresdner Staatsoper sang. Er selbst hatte vor seiner Gesangskarriere den Beruf eines Journalisten ausgeübt, fühlte sich dann jedoch zum Gesang hingezogen und ließ seine Stimme durch Senta Kutzschbach ausbilden. Diese Ausbildung war so erfolgreich, dass er 1955 an der Staatsoper als Bauer in Carl Orffs Oper »Die Kluge« debütieren konnte.
    Bereits 1957 findet man seinen Namen bei einer Fernsehaufführung der »Salome« von Richard Strauss.
    Mehr als zwanzig Jahre gehörte er dem Ensemble der Dresdner Staatsoper an. Seit 1962 gastierte er aber auch an der Staatsoper Berlin und hatte auch Auftritte an der Komischen Oper Berlin. Bei den Händel-Festspielen in Halle war er eine feste Größe und wurde 1976 zusammen mit seinem Sängerkollegen Theo Adam und anderen Künstlern mit dem Händelpreis geehrt.


    1968 wirkte Fred Teschler auch in einer Fernsehinszenierung von Georg Friedrich Händels letzter Oper »Deidamia« mit. Obwohl die damaligen DDR-Künstler nur eingeschränkt in westliche Länder reisen konnten, kann man in »Großes Sängerlexikon« nachlesen, dass Fred Teschler nicht nur an den Opernhäusern von Sofia, Bukarest und Brno, sondern auch bei den Salzburger Festspielen, an der Stuttgarter Staatsoper, in Zürich, Baltimore und Boston gesungen hat. Zudem werden die Länder Holland, Frankreich, Finnland, Ägypten, Syrien und Irak genannt. Neben dem Bereich der Oper war Fred Teschler auch als Lied- und Oratoriensänger geschätzt.


    In »Neues Deutschland« vom Oktober 1973 findet man in der Rubrik Kulturnotizen folgendes:


    »LIEDERABEND. Einen Liederabend mit Werken deutscher Komponisten gab Fred Teschler vom Staatstheater Dresden am Freitag in Moskau. Begleitet von Heinz Naumann, sang der Bassist aus Schumanns "Kreis der Lieder", Romanzen von Hugo Wolf sowie Lieder von Brahms und Richard Strauss«.


    Aber es existieren auch Konzertplakate von 1973, die einen heiteren Liederabend des Kammersängers Fred Teschler mit Liedern von Georg Philipp Telemann, Carl Maria von Weber, Hugo Wolf sowie einige Volkslieder ankündigen.


    Fred Teschler war kein berühmter Gesangsstar, den die ganze Welt kennt, aber er war einer der Sänger, wie sie in jedem Opernhaus und auch bei Tonaufnahmen dringend gebraucht werden. Auf einigen Tonträgern ist seine Stimme noch zu hören und da sind durchaus Aufnahmen dabei, die von musikgeschichtlichem Wert sind.


    Fred Teschler war heimatverbunden und lebte im Dresdner Stadtteil Wachwitz in einer schmucken Villa am Steinberg 4.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab befindet sich auf dem Friedhof an der Pillnitzer Straße 80 in 01326 Dresden.

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  • Ludwig Rottenberg - *11. Oktober 1864 Czernowitz - † 6. Mai 1932 Frankfurt am Main


    Zum heutigen Geburtstag von Ludwig Rottenberg


    Wenn man auf einem Grab so ein Schildchen sieht, erwacht das Interesse und man fragt sich - wer war Ludwig Rottenberg? Im Folgenden soll eine Antwort versucht werden.




    Da Czernowitz nicht so bekannt wie Frankfurt ist, sollte man erklären, dass es sich bei Rottenbergs Geburtsort um die Hauptstadt der Bukowina handelt, das damals zur Österreichisch-Ungarischen Monarchie gehörte. Seit 1991 wird die Stadt unter dem Namen Tschernowitz geführt und zählt zur Ukraine.
    Die deutschsprachige Kultur wurde in Czernowitz damals hauptsächlich von der jüdischen Bevölkerung getragen.
    Auf welche Weise Rottenberg mit der Musik in Berührung kam, wird in der Literatur nicht dargestellt; sein Vater war Jurist. Ludwig Rottenberg studierte zunächst in seiner Heimatstadt Musik, danach am Konservatorium in Wien; als seine Lehrer werden
    Adalbert Hřimalý d. J., Eusebius Mandyzenski und Robert Fuchs genannt, etwas sibyllinisch auch Gustav Mahler und Hugo Wolf.


    Dr. phil. Ludwig Rottenberg muss es eigentlich heißen, war Komponist und Dirigent; er komponierte eine einaktige Oper - »Die Geschwister«, ein Stück, das 1915 (?) in Frankfurt aufgeführt wurde -, etwa 200 Lieder sowie Klaviervariationen und Kammermusik.
    Seine größere musikgeschichtliche Bedeutung liegt eigentlich in seiner Tätigkeit an der Frankfurter Oper, wo er zeitgenössische Opernkompositionen mächtig voranbrachte.
    Vor Rottenberg war der renommierte Komponist und Dirigent Felix Otto Dessoff 1880 Erster Kapellmeister am neuen Opernhaus Frankfurt am Main geworden.


    In den frühen 1880er Jahren begann Rottenbergs Studienzeit, der nach seinem Abschluss zunächst als Klaviervirtuose und Konzertbegleiter unterwegs war. Von 1888 bis 1891 war er künstlerischer Leiter des Orchestervereins der Gesellschaft der Musikfreunde Wien; danach wirkte er für ein Jahr als Erster Dirigent am Stadttheater in Brünn (Brno).


    Richard Strauss war in den Jahren 1889 bis 1896 als Kapellmeister am Hoftheater in Weimar angestellt und fragte im Sommer 1892 bei seinen Freund Engelbert Humperdinck brieflich an, ob er für ihn eine Möglichkeit sieht, in Frankfurt zweiter Kapellmeister neben Dessoff zu werden. Nun starb Otto Dessoff überraschend am 28. Oktober 1892, woraus sich für Strauss eine neue Situation ergab; er schrieb an Humperdinck einen fragereichen Brief:


    »Dann aber, September 1893 ginge ich ganz gern nach Frankfurt an Dessoff´s Stelle. Glaubst Du, dass mir die Stelle passen wird? Glaubst Du, dass ich sie bekomme und kannst Du etwas dafür tun? Was hatte Dessoff [als] Gage? Lässt Claar bezüglich eines annehmbaren Kontraktes mit sich reden? Ist es möglich, dass ich mir ausbedinge, nur das deutsche Repertoire zu dirigieren, keine Novität zu dirigieren, die ich nicht selbst vertreten kann, wer ist Regisseur in Frankfurt, lässt sich mit dem arbeiten?«


    Richard Strauss kam in Frankfurt nicht zum Zuge, denn Johannes Brahms, Clara Schumann und Hans von Bülow machten sich für Ludwig Rottenberg stark, der dann 1892 Nachfolger von Dessoff wurde. In welchem Umfeld dieser Stabwechsel stattfand, findet man in der Literatur, wo eine Situation beschrieben wird, die nach einem Frankfurter Konzert gegeben war und Brahms enthusiastisch bejubelt wurde. Clara Schumann hatte - zusammen mit anderen Teilnehmern - auch Johannes Brahms und Ludwig Rottenberg eingeladen, wobei Brahms auf Rottenberg einen Toast ausbrachte und ihm dann das Manuskript des Liedes »Über die Heide« zum Geschenk machte - zusätzlich schrieb er darunter: »An Ludwig Rottenberg, fröhlicheren Wanderschritt wünschend Joh. Br.«.


    Rottenberg pflegte zwar das klassische Repertoire und machte sich einen Namen als Mozart-Dirigent, aber das Frankfurter Opernhaus erwarb sich in Zusammenarbeit von Intendant Emil Claar und Kapellmeister Ludwig Rottenberg den Ruf eines der fortschrittlichsten Musiktheater Europas.


    Im Privatleben Rottenbergs tat sich auch etwas, im Sommer 1895 heiratete der Frankfurter Kapellmeister die Tochter von Oberbürgermeister Franz Adickes, Theodore Adickes. Aus dieser Ehe gingen zwei Töchter hervor.


    Opern-Neukompositionen erschienen in diesen Jahren recht bald nach ihrer Uraufführung auf dem Frankfurter Spielplan; als Beispiele seien Pfitzners »Der arme Heinrich« (1897), Debussys »Pelléas und Mélisande« (deutsche Erstaufführung 1907) und Strauss´ »Elektra« (1909) genannt.
    1912 dann die Uraufführung von Schrekers »Der ferne Klang«, ein Werk dem in Frankfurt noch zwei weitere Opern dieses Komponisten folgten, nämlich »Die Gezeichneten» (1918) und »Der Schatzgräber« (1920). Auch Werke von Ferruccio Bussoni,
    Leoš Janáček, Béla Bartók und natürlich Paul Hindemith fanden auf dem Frankfurter Opernspielplan Berücksichtigung.


    1915 trat ein Zwanzigjähriger seinen Dienst als Erster Geiger im Frankfurter Opernhausorchester an und übernahm schon wenig später die Position eines Konzertmeisters, die er bis 1923 ausfüllte. Der junge Mann war zu Höherem berufen; er schrieb das einaktige Opernwerk »Sancta Susanna« - Spieldauer etwa 25 Minuten -, das unter der Leitung von Ludwig Rottenberg am 26. März 1922 in der Frankfurter Oper uraufgeführt wurde; die Komposition stammt von Paul Hindemith.
    Paul Hindemith und Gertrud Rottenberg, die jüngere Tochter des Dirigenten, kamen sich bei einer Weihnachtsfeier im Bekanntenkreis näher und heirateten am 15. Mai 1924.
    Frau Gertrud Hindemith war als Sängerin und Schauspielerin ausgebildet und übernahm auch Filmrollen, strebte aber nach ihrer Eheschließung keine große Karriere an, sondern widmete sich nach ihrer Eheschließung zunehmend den geschäftlichen Dingen, welche die Tätigkeit ihres Gatten mit sich brachten.


    In den Jahren 1926 bis 1932 unterrichtete Ludwig Rottenberg am Hoch´schen Konservatorium in Frankfurt.


    1932 schrieb Theodor W. Adorno in seinem Nachruf auf Rottenberg:


    «Er brachte moderne Opern, längst ehe sie arrivierten: als erster in Deutschland den Pelléas Debussys, als erster Schreker, dessen Ruhm an Rottenbergs Aufführungen gebunden ist. Noch die Einakter Hindemiths hat er ausgezeichnet dargestellt: unvergesslich fein, dünn und subtil die Tänze des Nusch-Nuschi. [...] Als Dirigent hatte er wahrhaft große Tage, und es waren nicht nur die Premieren.»


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab von Ludwig Rottenberg befindet sich auf dem Hauptfriedhof in Frankfurt am Main, Eckenheimer Landstraße 194, in der Abteilung Gewann II GG 27a; das Gewann 2 befindet sich in unmittelbarer Nähe des Haupteingangs.


    Diese Aufnahme ist vom Rottenberg-Grab aus gemacht.


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    Zusätzliche Information:
    Nach dem Zweiten Weltkrieg, schon 1947, kam Paul Hindemith wieder nach Europa. Frankfurt hatte angefragt ob er die Leitung der Musikhochschule übernehmen möchte, aber er mochte nicht, sondern übernahm in Zürich eine Professur für Musikwissenschaft.


    Wenn er in den 1950er Jahren nach Frankfurt kam, dann hatte das den wesentlichen Grund zum Arzt zu gehen. 1963, nach einem Konzert in Wien, wird Hindemith schwer krank und seine Ärzte in Frankfurt stellen eine Bauchspeicheldrüsenentzündung fest, am 28. Dezember stirbt Paul Hindemith in Frankfurt. Bürokratische Gegebenheiten stehen einer Beisetzung in Frankfurt im Wege, obwohl seine Frau Gertrud, die in Frankfurt gebürtig war, diesen Wunsch hatte. Seine letzte Ruhe fand Paul Hindemith auf dem Friedhof des an Blonay angrenzenden Ortes La Chiésaz in der Nähe des Genfer Sees.

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  • Lillian Sanderson - *13. Oktober 1866 Sheboygan / USA - † 9.April 1947 Loschwitz


    Lillian Sanderson war eine Konzertsängerin, die heute nur noch wenigen Musikfreunden bekannt ist; da keine Tondokumente zur Verfügung stehen, soll hier reichlich aus Druckwerken zitiert werden, damit sich Interessierte eine Vorstellung von der Bedeutung der Sängerin Lillian Sanderson machen können.
    In der Zeitschrift »Musikalisches Wochenblatt«, einem Organ für Musiker und Musikfreunde, erschien im Dezember 1891 sowohl eine Konzertkritik als auch ein Abriss des Lebens, der damals noch jungen Sängerin, bis dahin. Da diese Beiträge den Konzertalltag der damaligen Zeit abbilden, ist den Nachgeborenen dadurch in etwa zu vermitteln, welchen Stellenwert Lillian Sanderson damals hatte.


    Lillian Sanderson - Franz von Stuck


    Konzertkritik von 1891


    »Im Gegensatz zu mancher neuen Erscheinung auf dem Gebiete des Gesanges, welche lediglich durch phänomenale stimmliche Beanlagung, also durch rein materielle Vorzüge, schnell zu Ruhm und Ansehen gelangt ist, erringt Frau Lillian Sanderson, deren anmuthvolles Bild die vorliegende Nummer schmückt, ihre großen künstlerischen Siege durch die tiefe seelische Nachempfindung, welche alle ihre, von einer auserlesenen Gesangskunst getragenen und von einer musterhaften Textaussprache unterstützten Vorträge durchzittert und sich in unverkürzter Wirkung auf den Zuhörer überträgt. Die Grenzen ihrer psychischen und physischen Individualität kennend, geht Frau Lillian Sanderson dabei weise Compositionen hochpathetischen Gehaltes aus dem Wege und gefährdet deshalb auch nie den harmonischen Eindruck, den Kunstleistungen erregen müssen, um für voll und echt gelten zu können. Das Gebiet, das sie souverän beherrscht, umfasst das lyrische Lied und das Epos; hier schafft sie Kunstgebilde von wahrhafter Vollendung in Stimmung, Charakter und Ausdruck, die man nie wieder vergisst, sondern treu und dankbar im Gedächtniss behält. Was Frau Sanderson ausserdem vor so Vielen ihrer Colleginnen auszeichnet, ist das warme Interesse für die Productionen der Neuzeit, für welche sie eine muthvolle Pionierin ist. Namentlich hat August Bungert der Sängerin Viel in dieser Hinsicht zu danken.
    Von dem Lebensgang der vorstehend mit kurzen Worten charakterisirten, so ungemein sympathischen Sängerin können wir Nachstehendes berichten:


    Entwicklung


    Lillian Sanderson steht jetzt im 25. Lebensjahre, sie wurde am 13. Oktober 1867 ( das Datum stimmt in diesem Falle wirklich, es ist nicht vorgerückt worden, wie es in der Künstlerwelt manchmal vorkommt!) in dem amerikanischen Städtchen Sheboygan, am Michigan-See gelegen, geboren. Nur kurz war ihr Aufenthalt in der Vaterstadt, indem ihre Eltern mit ihr nach Milwaukee übersiedelten. Hier verblieb sie bis zum 17. Lebensjahre und erhielt den ersten Musikunterricht von den angesehenen und tüchtigen Künstlern HH. Lüning (Gesang) und v. Gumpert (Clavier) ertheilt. Ihre declamatorischen und rein gesanglichen Anlagen entwickelten sich schon frühzeitig. So erntete sie bereits 1881 gelegentlich eines Vortragsabends der Hochschule mit Scenen aus Schiller´s "Maria Stuart" lebhaftesten Beifall, während sie ein Jahr später Anstellung als Solistin an mehreren Kirchen mit einem Jahreseinkommen von 600 Dollars erhielt. Im Alter von 16 Jahren wurde unsere Künstlerin zum Ehrenmitglied des Garrick-Clubs daselbst ernannt, eines aus den vornehmsten künstlerischen und gesellschaftlichen Elementen bestehenden Liebhabertheater-Vereins. Auf der Bühne dieses Clubs fand sie Gelegenheit, als Opernsängerin sich einen bedeutenden Erfolg zu erringen, der in ihr das Verlangen erweckte, sich ganz der musikalisch-dramatischen Carriere zu widmen. Diesem aber widersetzten sich die Eltern; dagegen gaben sie dem Wunsche der Tochter, sich in Europa rein gesanglich zu vervollkommnen, willig Folge. Im Winter 1885 fanden wir Lillian Sanderson zu diesem Zweck in Berlin, wo sie zunächst bei Fräulein Jenny Meyer, dann später bei Frau Stieber-Barn ihre Gesangstudien fortsetzte. Im Herbst 1886 wurde sie Schülerin des Hrn. Capellmeister Bossenberger in Hannover, und den Winter 1887/88 hindurch studirte sie unter Leitung des Gesangmeisters Julius Stockhausen in Frankfurt a. M., der die Schülerin, die sich inzwischen mit einem angesehenen Bankbeamten in Berlin verehelicht hatte, Ende 1889 in einem eigenen, in der Berliner Singakademie gegebenen Concerte mit über die Zukunft der Debutantin entscheidendem Erfolge in die große Öffentlichkeit einführte. Nachdem Frau Lillian Sanderson die mit Einem Schlage in der Reichshauptstadt eroberte glanz- und ehrenvolle Position in zwei späteren eigenen Concerten im gleichen Saale noch mehr befestigt hatte, zog sie hinaus, um auch in anderen Städten das musikfreundliche Publikum durch ihren Gesang zu erquicken und zu begeistern, und überall, wo sie erschien, wurde sie als eine Auserwählte ihrer Kunst erkannt und als solche gefeiert. So war es im vorigen Winter, so hat es in dieser Saison wieder begonnen, und so wird es auch in Zukunft bleiben. Echte Kunstleistungen, wie sie Frau Lillian Sanderson in reicher Fülle spendet, wirken eben überall mit gleicher magischer Kraft auf Herz und Gemüth ein und führen den Menschen aus der Alltagswelt hinweg in höhere, lichtere Sphären.«


    In dieser Biografie wird zwar das Geburtsjahr 1867 genannt und in der Veröffentlichung eines Dr, Georg Ernst (Hausarzt des Ehemanns der Sängerin) wird als Geburtstag der 13. 1. 1866 angegeben und in vielen anderen Publikationen trifft man auf beliebige Daten, aber man sollte diesbezüglich der Inschrift auf dem Grabstein vertrauen; demnach ist Lillian Sanderson am 13. X. 1866 in Sheboygan USA geboren. Ihr Mann entwarf den Grabstein; Professor Richard Müller wird das schon richtig gemacht haben.



    Das Grab ist ganz in der Nähe der Kapelle



    Zur Stadt Hameln hatte Lillian Sanderson eine besondere Beziehung, weil ihre Vorfahren daher stammten; ihr Großvater war um 1850 nach Amerika ausgewandert. Schon der Großvater ließ die Beziehung zu seiner Heimat nicht abreißen und stiftete schon mal einige Ruhebänke für seine Vaterstadt. Weiterhin animierte er seine Tochter, dass diese mit der Enkelin, die damals noch Lilly Kemper hieß, Hameln besucht. Während dieses Verwandtschaftsbesuches besuchte Lilly zusammen mit ihrer gleichaltrigen Cousine über mehrere Wochen die Höhere Töchterschule in Hameln, wo sie mit ihrer glockenhellen Stimme den Oberlehrer Dähling entzückte. Obwohl sich Lillys Stimme recht gut entwickelte, zögerten die Eltern noch sie zur Künstlerin auszubilden. In dieser Situation sagte ein Freund der Familie:»I shall risk my name upon you«; so wurde nun aus Lilly Kemper »Lillian Sanderson«.


    Es ist nachvollziehbar, dass Lilly zur weiteren Gesangsausbildung nach Deutschland wollte, zumal sie auch wusste, dass in Europa musikalisch einiges geboten war. Die junge Dame studierte - nach einigen vorgeschalteten Lern-Stationen, die oben beschrieben sind - bei dem berühmten Julius Stockhausen in Frankfurt am Main, der über entsprechende Möglichkeiten verfügte, seine Schützlinge in das praktische Konzertleben einzuführen. Nach ihrem gelungenen Debüt in der Reichshauptstadt, Ende 1889, standen der Künstlerin die Türen bedeutender Konzertsäle offen.
    Zur Rattenfängerstadt Hameln hatte Lillian Sanderson ein gutes Verhältnis aufgebaut; auf ihren großen Tourneen, die sie in die Musikzentren Europas führten, besuchte sie immer mal wieder auch die Stadt ihrer Wurzeln. Als man sie darauf ansprach auch hier mal ein Konzert zu geben, sagte sie zu. So kam es am Sonntag, 28. Februar 1892 zu ihrem ersten Konzert in Hameln, das als Wohltätigkeitskonzert vom Gemeinnützigen Verein für Kunst und Wissenschaft veranstaltet wurde. Der Erlös von 220 Mark kam dem Verschönerungsverein der Stadt Hameln zugute. Auch in den Jahren 1895, 1896 und 1900 konzertierte die Sängerin in der Stadt; eine kleine Erinnerung an diese Zeit ist auch heute noch in Hameln zu sehen.



    Wirft man einen Blick auf das Programm ihres ersten Konzerts in Hameln, welches noch im Saalbau des Herrn Engelke stattfand, so stellt man fest, dass damals der Pianist im Laufe des Konzerts auch solistisch in Erscheinung trat und an diesem Tag den Konzertabend mit Franz Schuberts Impromptu B-dur, Op. 142 eröffnete.
    Lillian Sanderson trug zunächst Lieder von Robert Schumann vor: Die rote Hanne / Aufträge / Wer macht dich so krank / Alte Laute / O Schmetterling, sprich.
    Es folgte eine Ballade von Philipp zu Eulenburg, zwei Lieder von August Bungert und das Wiegenlied von Hans Sommer, also Lieder von Komponisten, die damals en vogue waren und heute wenig bekannt sind. Mit Chopins Lithauisches Lied war dann ein Stück geboten, das man auch heute noch im Konzertsaal hört und am Ende dieser Liedvorträge sang Frau Sanderson Eugen d´Alberts Lied: Zur Drossel sprach der Fink.


    Ein anderes Konzert fand dann im neuerbauten Monopolsaal zu Hameln statt und wurde wie folgt in der Presse angekündigt:


    »Lillian Sanderson, welche morgen, Donnerstag, auch hier einen ihrer berühmten Liederabende geben wird, sang vor total ausverkauftem Hause in Baden-Baden. Die neuen Säle des Konversationshauses waren überfüllt von der vornehmsten Welt, und seit Adelina Patti hatte sich keine Sängerin eines solchen Erfolges zu erfreuen wie Lillian Sanderson. Die Begeisterung und die Ovationen, welche man der vielgefeierten Diva darbrachte, spotten jeder Beschreibung; aber auch keine andere Künstlerin vermag nur annähernd so zu fesseln und hinzureißen wie diese Meisterin des Liedes, so steht Lillian Sanderson turmhoch über allen Sängern und Sängerinnen. Als eine hochbedeutende Klaviervirtuosin erwies sich Fräulein Elfriede Christiansen, welche sich den großen Erfolg des Abends mit Frau Lillian Sanderson teilte. Frau Lillian Sanderson trug eine entzückende Robe von kanariengelber Seide, besetzt mit Honiton und seltensten Brüsseler Spitzen, sowie mit reichsten Verzierungen von türkisblauem Federschmucke mit Perlen und Diamanten. Das Konzert wird jedenfalls stark besucht werden, und möge sich unser kunstliebendes Publikum diesen genußreichen Abend nicht entgehen lassen, besonders wo der Eintrittspreis so mäßig gestellt ist. Der Konzertflügel von Rudolf Jbach wird von dem Orgelbaumeister Kummer-Minden gestellt.«


    Neben vielen enthusiastischen Konzertkritiken finden sich auch kritische Einwände, die darauf hinweisen, dass Lillian Sanderson über kein besonders großes Stimmvolumen verfügte, was damals in einem Fachblatt, welches die großen Sängerinnen der Zeit charakterisierte, zu lesen war:


    »Dies geschah vor einigen Jahren in Berlin, und von da aus machte sie ihren nicht gerade glänzenden, aber vollauf befriedigenden Zug durch die kontinentalen Musikstädte. Sie besticht nicht durch sogenannte Virtuosenkunststücke und durch Größe ihres Tones, aber was sie singt, spricht innig an und macht einen tiefen Eindruck auf die Gemüter der Hörenden. Klarheit und Deklamation, Feinheit der Charakteristik, richtige Abwägung des lyrischen Ausdrucks gehören zu ihren Vorzügen. Ihre "dunkel gefärbten" Stimmmittel eignen sich am besten zum Vortrage ruhig sinniger Gesänge, wogegen ihr die dramatische Leidenschaftlichkeit fern liegt. Bei ihr kann man mit Recht von "Macht des Gesanges" sprechen, sie nimmt die Gemüter gefangen und führt sie zum Lichte«.


    Wie aus Aufzeichnungen von Professor Richard Müller - das war der zweite Ehemann der Sängerin - zu erfahren ist, hatte Lillian Sanderson eine Ehe geschlossen, der kein großes Glück beschieden war; es ist die Rede von »ihrer qualvollen früheren Ehe« und dass sie durch ihren ersten Ehemann um fast alles gebracht wurde.


    Lillian Sanderson war neben ihrem musikalischen Können auch sprachbegabt, nach Aussage ihres Gatten sprach sie perfekt französisch und italienisch, ganz gut russisch und natürlich vorzüglich englisch. Weiterhin ist überliefert, dass Frau Sanderson sich hervorragend in der bildenden Kunst auskannte. So wurde die Sängerin auch 1899 während einer Konzertreise auf ein Plakat aufmerksam. welches eine in Dresden stattfindende Kunstausstellung anzeigte. Lillian Sanderson besuchte diese Ausstellung, fand an Richard Müllers Werken besonderen Gefallen und erwarb die Zeichnung »Weiblicher Studienkopf«. Es sei angemerkt, dass Richard Müller zu dieser Zeit als exzellenter Künstler auch international bekannt war und 1903 zum Professor an der Dresdner Kunstakademie ernannt wurde.


    Lillian Sanderson war neben ihrem musikalischen Können auch sprachbegabt, nach Aussage ihres Gatten sprach sie perfekt französisch und italienisch, ganz gut russisch und natürlich vorzüglich englisch. Weiterhin ist überliefert, dass Frau Sanderson sich hervorragend in der bildenden Kunst auskannte. So wurde die Sängerin auch 1899 während einer Konzertreise auf ein Plakat aufmerksam. welches eine in Dresden stattfindende Kunstausstellung anzeigte. Lillian Sanderson besuchte diese Ausstellung, fand an Richard Müllers Werken besonderen Gefallen und erwarb die Zeichnung »Weiblicher Studienkopf«. Es sei angemerkt, dass Richard Müller zu dieser Zeit als exzellenter Künstler auch international bekannt war und 1903 zum Professor an der Dresdner Kunstakademie ernannt wurde.


    Nun bekam Richard Müller Post aus Wien; Frau Sanderson fragte an ob der Künstler bereit wäre von ihr eine Zeichnung anzufertigen. Müllers Begeisterung hielt sich in Grenzen, er kannte die Sängerin zu diesem Zeitpunkt noch nicht und hatte auch andere private Pläne. Er hatte keine Lust, weil er fürchtete eine verwöhnte und überhebliche Dame zeichnen zu müssen und so schrieb er ihr ab. Als sich jedoch herausstellte, dass sie beide einen Aufenthalt im Harz planten, kam es dann doch zu der Vereinbarung, dass er dort ein Bildnis von Lillian Sanderson fertigt. Die Künstlerin wohnte in Hasserode, heute ein Stadtteil von Wernigerode, in einer alten Mühle, der Maler im Hotel »Steinerne Renne«. Man kam sich dann beim Modellsitzen in gemeinsamen vier Wochen näher und näher; das Ganze mündete in eine Heirat, die am 12. Juli 1900 im Rathaus von Pirna amtlich beurkundet wurde.


    Man hatte vorher darüber gesprochen, ob man sich in England oder in Dresden niederlassen sollte, Lillian Sanderson meinte, dass sie beide künstlerisch so viel zu bieten hätten, das sie auch in England bestehen könnten.
    Aber nun tritt eine weitere hochrangige Künstlerpersönlichkeit in die Geschichte um Lillian Sanderson hinzu, welche in unseren Tagen den Augen der Öffentlichkeit weitgehend entschwunden ist - Ludwig Richter, ein Maler der Spätromantik und des Biedermeier, lebte ab 1864 während der Sommermonate am Rochwitzer Steg (heute Hermann-Vogel-Straße 2), noch heute weist ein Relief mit Inschrift darauf hin. Dieses Haus erwarb Richard Müller kurz vor der Heirat, ließ es renovieren und zog mit seiner Frau dort ein.


    »Und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende«, ist in Märchen oft zu lesen, trifft aber in diesem Falle nicht zu. Offensichtlich aus glücklicher Zeit stammt ein Bild, das der mit Müller befreundete Franz von Stuck vermutlich um 1912 von Lillian Sanderson gemalt hat; erschütternd dann die Zeichnung, die Richard Müller von seiner toten Frau im April 1947 gefertigt hat - man erinnert sich an die Schilderung ihrer Erscheinung beim Liederabend in Baden-Baden ...
    Fast fünfzig Jahre währte die Ehe des Künstlerpaares - politische Ereignisse unterschiedlicher Art hatten einen Lebensabend in Wohlstand und Zufriedenheit verhindert; Lillian Sanderson musste wochenlang in ihrer unbeheizten Wohnung liegen und war halb verhungert, ein erbärmliches Ende eines so strahlend begonnenen Lebens.


    Oben wird aus dem Programm eines Liederabends berichtet, in dessen Verlauf Lillian Sanderson auch Lieder von August Bungert vortrug, einem Komponisten, der damals einige Bedeutung hatte. Bungert hat viele Gedichte der der Königin von Rumänien vertont, die sich unter dem Pseudonym Carmen Sylva literarisch betätigte und ursprünglich eine Prinzessin aus dem Rheinland war. Wie das von statten ging wird in einem Brief geschildert:


    »So entstanden unzählige Lieder der Königin (Carmen Sylva), ich am Flügel sitzend, sie die Gedichte niederschreibend auf den Block; dann abgerissen die Blätter auf das Flügel-Notenpult noch nass hingestellt, so sang ich schon den Anfang, indessen Carmen Sylva das Gedicht zu Ende schrieb.«


    Dies wird hier eingefügt, weil das die Inschrift an der oberen Kante des Grabsteins erklärt, wo es heißt:
    GELOBT SEI DAS LIED UND DIE ES SINGT!
    AN L. S. CARMEN SYLVA



    Erinnerung an Lillian Sanderson zu ihrem heutigen Geburtstag


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab befindet sich auf dem Loschwitzer Friedhof, Pillnitzer Landstraße 80, 01326 Dresden. Man wendet sich vom Eingang aus nach links und orientiert sich in Richtung Friedhofskapelle. Auf dem Friedhofsplan ist das Grab unter Nr. 6 zu finden


    Eingang zum Friedhof Loschwitz

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  • Die Wiener Musiker-Familie Hellmesberger


    Der Name Hellmesberger ist vermutlich jedem Musikfreund bekannt, aber wenn man vor dieser Familiengruft steht kommt man ins Grübeln und fragt sich, welcher Hellmesberger für was steht oder stand ...
    Ein Versuch zur Aufklärung, anlässlich des heutigen Todestages von Josef Helmesberger senior, dem Gründer des »Helmesberger-Quartetts«.




    Während die Vorfahren Bauern und Handwerker waren, wurde 1754 ein Kind mit dem Namen Simon geboren, den man als musikalischen »Urvater«, der Familie Hellmesberger bezeichnen kann. Simon strebte nach Höherem und erwarb sich wissenschaftliche Bildung; er wurde Schulmeister. Damals war es allgemein üblich, dass der Dorfschulmeister auch für die Leitung der Kirchenmusik und den Organistendienst verantwortlich war. Simon Hellmesberger hatte mehrere Kinder, aber sein letztgeborener Sohn, Georg, 1880 geboren (sein Grab befindet sich jetzt im Gräberhain des Währinger Parks), setzte die musikalische Linie fort. Dieser Georg Hellmesberger besuchte zusammen mit dem 1797 geborenen Franz Schubert das k. und k. Konfikt.
    Georg Hellmesberger d. Ä. , wie er in der Musikgeschichte bezeichnet wird, erhielt noch von dem hochangesehenen, aber schon betagten Emanuel Alois Förster wegweisenden Musikunterricht. Als 1819 am Konservatorium die erste Instrumentalklasse geschaffen wurde, war Georg Hellmesberger auch Schüler des ausgezeichneten Violinvirtuosen Josef Böhm. Das Lehrer-Schüler Verhältnis entwickelte sich so, dass Georg bald zur verlässlichen Hilfskraft seines Lehrers avancierte und 1821 als Adjunkt Böhms am Konservatorium angestellt wurde; ab 1826 konnte er seinen Namen mit dem Professorentitel schmücken.


    Da nun eine feste Anstellung vorhanden war, gründete Georg Hellmesberger am 7. Januar 1828 eine Familie. Schon im ersten Ehejahr, nämlich am 3. November 1828 wurde der Sohn Josef geboren, am 27. Januar 1830 der zweite Sohn Georg Franz. Ihnen folgten noch weitere Geschwister, aber das Brüderpaar Joseph und Georg Franz zeichnete eine besondere Begabung aus, die der als Gegenvirtuose bekannte Vater - immerhin Professor und Konzertmeister an der Hofoper - entsprechend förderte, so dass er seine ältesten Söhne schon im März 1843 in einem Musikvereinskonzert der Öffentlichkeit präsentieren konnte.


    Der Referent der Zeitschrift »Der Zuschauer«, schrieb in diesem Blatt über die Brüder Hellmesberger:


    »Und nun zu dem Glanzstücke des diesmaligen Konzertes, zum Vortrag eines Concertino für zwei Violinen (nach Slaviks Fismoll-Konzerte eingerichtet) von J. C. Fuchs, durch Joseph und Georg Hellmesberger, die beiden talentvollen Söhne unseres allgemein geachteten Professors am Musik-Konservatorium. Es freut uns, daß sich der Geist und das Talent eines tüchtigen Vaters in seinen Söhnen forterbt und daß der edle Same eines anerkannten Tonmeisters auf so üppig grünenden Boden fiel. Die beiden Knaben leisteten Staunenswertes und legten, abgesehen von der Bravour, so viel Zartheit und Seelenglut an den Tag, daß wir ihnen eine lichte Zukunft in den Hallen der Kunst verheißen können. Mit Recht legte sich der Beifallssturm der entzückten Menge nicht früher, bis auch der Vater zwischen seinen Söhnen sich zeigte, denn im Schüler ehrt man das Talent und den unverdrossenen Eifer des Lehrers«


    Vater Hellmesberger unternahm mit seinen Söhnen Konzertreisen, die sie auch nach Deutschland führten. Im April 1847 ist im politisch-literarischen Tageblatt »Die Gegenwart« zu lesen: »Die Gebrüder Hellmesberger sind vorgestern nach London abgereist, wo sie vier Monate verweilen werden. Nach ihrer Rückkehr wird der jüngere. Georg, sich nach Graz begeben, um daselbst seine neue Oper ›Die Favoritin‹ persönlich zu dirigieren«. Georg war damals kaum 17 Jahre alt.


    Georg Hellmesberger jr. wandte sich immer mehr dem Komponieren zu, schuf mehrere Opern und war Hofkapellmeister in Hannover, starb aber schon im Alter von 22 Jahren.


    Der überlebende Josef Hellmesberger widmete sich weiterhin dem Geigenspiel und war zum Beispiel von Otto Nicolai so geschätzt, dass er ihn bei seinem Wiener Abschiedskonzert am 23. März 1847 als Solisten auswählte.
    Das Revolutionsjahr 1848 brachte dann auch im Wiener Musikleben einiges durcheinander. Die Kunstbetätigung auf musikalischem Gebiet musste in neue Bahnen gelenkt werden und man strebte danach die Leitung der Gesellschaftskonzerte einem Fachmusiker in die Hand zu geben. In dem 22-jährigen Josef Hellmesberger glaubte man den richtigen Mann gefunden zu haben.
    1851 war Josef Hellmesberger Mitglied der Hofkapelle, artistischer Direktor der Gesellschaft der Musikfreunde sowie Vorstand und Professor des Wiener Konservatoriums. Aus dieser Position heraus konnte man auf Brautschau gehen; die Wahl fiel auf die am 20. März 1830 geborene jugendliche Schauspielerin Rosa Johanna Wilhelmine Anschütz, die als Fünfzehnjährige an das Burgtheater engagiert worden war; am 27. November 1851 schritt man zum Traualtar. Dem Paar wurden fünf Kinder geboren, drei Söhne: Georg, Josef, und Ferdinand und zwei Töchter, Rositta und Emilie
    Bis 1859 hatte Hellmesberger sowohl das Amt als artistischer Direktor der Gesellschaft der Musikfreunde als auch die Leitung des Konservatoriums. Das alles ging natürlich nicht alles reibungslos vonstatten. 1859 wurden die Ämter dann getrennt, aber Hellmensberger blieb fast bis an sein Lebensende Direktor des Konservatoriums. An Ehrerbietungen mangelte es nicht, so wurde er beispielsweise 1855 Mitglied der Jury für Musikinstrumente auf der Pariser Weltausstellung und mit dem Band der Ehrenlegion ausgezeichnet. Bei fast allem was in Wien mit Musik zu tun hatte, war Josef Hellmesberger ein gefragter Mann.


    Und dann war da ja auch noch das Hellmesberger-Quartett. Hier war er als ausübender Künstler gefragt, er galt immerhin als erster Geiger der Stadt. Hellmesberger konkurrierte vor allem mit dem Leopold Jansa-Quartett, das sich noch im engen Kreis von Haydn, Mozart, Spohr und dem frühen Beethoven bewegte. Hellmesberger spielte dagegen die späteren Quartette Beethovens, die dem breiten Publikum nicht so leicht zu vermitteln waren und er regte Bruckner zum Komponieren an und führte dessen Werke auf.
    Ferner brachte man dem Wiener Publikum auch Werke von Schubert, die bisher noch nicht den Weg an die Öffentlichkeit gefunden hatten, näher. Später war Hellmesberger auch im Herausgebergremium einer Gesamtausgabe der Werke Schuberts für die Streichquartette zuständig und er war 1888 einer der Sargträger bei der feierlichen Umbettung von Franz Schubert.
    Am 19. Dezember 1889 feierte man den 300. Auftritt des Hellmesberger-Quartetts, ein Blick in die Programme zeigt die enorme Vielfalt des Gebotenen; auch für Brahms engagierte sich Hellmesberger außerordentlich.
    Am 2, Februar 1870 saß zum ersten Mal der noch nicht ganz 15 Jahre alte Sohn an der Seite seines Vaters im »Hellmesberger-Quartett und spielte die 2. Viola im Quartett Es-Dur von Ludwig van Beethoven, und seit Beginn der neuen Saison, am 24. November 1870, erscheint der junge Josef Hellmesberger, der Pepi, wie er zur Unterscheidung von seinem Vater genannt wurde, schon als ständiges Mitglied des Quartetts. Am 20. November 1883 war wieder ein besonderer Tag für das Quartett; hier führte es erstmals die Bezeichnung »Quartett Hellmesberger und Söhne«. Vater Josef Hellmesberger spielte 1. Violine, die Söhne Pepi 2. Violine und Ferdinand Cello. Als Bratschist wirkte Josef Maxintsak mit.
    Bedingt durch ein chronisches Leiden an der Hand war Josef Hellmesberger sen. gezwungen seine Instrumentalistenkarriere aufzugeben. Als Pepi Hellmesberger die Position des Primarius einnahm, stellte der einflussreiche Kritiker Max Kalbeck einen Qualitätsverlust fest.


    Senior Hellmesberger hatte sich mehr als vier Jahrzehnte auf allen möglichen Gebieten der Musik betätigt und merkte mit dem Eintritt ins siebte Jahrzehnt seine Kräfte allmählich schwinden. Anfang Dezember 1892 wurde ihm ein längerer Krankenurlaub bewilligt, aber auf Grund seines schlechter werdenden Gesundheitszustandes beantragte er Anfang September 1893 seine Position am Konservatorium zur Verfügung zu stellen. Es folgte eine längere Krankheitsphase, von der er sich aber scheinbar wieder erholt hatte. Am 4. Oktober 1893 besuchte er in der Hofoper eine Festvorstellung, wobei ihn während der Vorstellung ein Schwindelanfall erfasste, sodass er nach Hause gebracht werden musste. Der Arzt stellte eine schwere Lungenentzündung fest. Am Nachmittag des 24. Oktober 1893 starb Josef Hellmesberger nachmittags kurz vor vier Uhr.
    Sein nahes Ende vorausahnend sagte er im September seines Todesjahres zu seiner Frau, dass bei seinem Begräbnis weder Musik gemacht noch gesungen werden sollte. Er habe in seinem Leben so viel musiziert und so viel Musik hören müssen, dass er ein Recht darauf habe, ein unmusikalisches Begräbnis zu bekommen.
    Dies wurde natürlich respektiert, aber die Wiener Philharmoniker würdigten ihn am 29. Oktober 1893, drei Tage nach dem Begräbnis, im Rahmen eines Konzertes, spielten sie Klänge aus Mozarts »Maurerische Trauermusik«.


    Die Lebensdaten von Josef Hellmesberger jr. - genannt Pepi - sind neben denen seines Vaters in den Stein gehauen, er lebte von 1855 bis 1907, wurde also nicht so alt als sein Vater. Dass Pepi - ganz Wien soll ihn so genannt haben - in Vaters Quartett spielte und dort dann auch Primarius war, wurde bereits erwähnt. Er soll ein bildhübscher Jüngling gewesen sein, für den die Damen schwärmten und er war Kapellmeister der Deutschmeisterkapelle geworden.
    Nach seinem Abschied vom Militär wurde Hellmesberger jr. 1878 Sologeiger der Hofoper und der Hofkapelle in Wien und erhielt im gleichen Jahr eine freigewordene Stelle als Professor des Geigenspiels am Wiener Konservatorium; da war er gerade mal 23 Jahre alt. Sechs Jahre später wurde er Ballettdirigent und Konzertmeister der Hofoper. 1899 nach dem Abgang Hans Richters Vize- und 1900 Erster Hofkapellmeister. 1900 bis 1903 war er als Nachfolger Gustav Mahlers Dirigent der Philharmoniker. Daneben betätigte er sich als Komponist von Balletten und Operetten, aber komponierte auch eine Messe in modernem Stil, die viele Wiederholungen erlebte und bei Freunden geistlicher Musik großen Erfolg hatte. 1903 dann eine Zäsur; ein Vorkommnis rein privater Natur hatte ihn, als er nach einer Vorstellung das Opernhaus verließ, in eine peinliche Situation gebracht, sodass er sich gezwungen sah, dem »Comité der Philharmonischen Konzertunternehmung« schriftlich seinen Rücktritt mitzuteilen.
    Er verfügte zwar über ein glänzendes Angebot bei der Weltausstellung 1904 in St. Louis mitzuwirken, aber es hatten sich bereits gesundheitliche Schwierigkeiten ergeben, die ihn daran hinderten die Reise anzutreten.


    Am Stuttgarter Hoftheater fand Josef Hellmesberger nun eine Anschlussanstellung als Kapellmeister und seine Gattin Wilhelmine kehrte auch wieder zum vor der Ehe ausgeübten Theaterberuf zurück und fand in Stuttgart ein Engagement. Aber lange hielt es die beiden nicht im Schwabenland; schon 1905 kehrte man wieder nach Wien zurück, um in Rodaun, eine damals noch selbständige Gemeinde in der Nähe von Wien, kompositorisch zu arbeiten, was auch Honorare einbrachte. Aber nicht nur das Nierenleiden machte sich immer stärker bemerkbar, es kam auch noch ein Lungenleiden hinzu.
    Hellmesberger trug sich auch mit dem Gedanken ein neues Tonkünstlerorchester zu bilden. Das alte Hellmesberger-Quartett war allmählich aus dem Wiener Konzertleben verschwunden und hatte konkret 1901 mit der Ernennung Hellmesbergers zum Hofkapellmeister zu bestehen aufgehört.
    Pepi Hellmesberger war ohne Pensionsansprüche aus dem Hofoperntheater ausgeschieden. Nach seiner schweren Erkrankung suchten seine Verwandten - ohne sein Wissen - eine Pension für ihn zu erreichen. Am Vortage seines Ablebens wurde in der Ausschusssitzung des Hofopernpensionsfonds das Gesuch zustimmend entschieden. Er starb am 26. April 1907 kurz vor Mitternacht. Bei seiner Beisetzung am Nachmittag des 28. April hatte sich eine große Trauergemeinde mit viel Prominenz eingefunden.


    Nachdem Pepi Hellmesberger gestorben war, lebte von der berühmten Musikerfamilie nur noch der am 24. Januar 1863 geborene Ferdinand Hellmesberger, der dem Wunsch seines Vaters nachgekommen war, im Hellmesberger-Quartett das Violoncello zu spielen.
    Im Schuljahr1884/85 erhielt Ferdinand Hellmesberger am Konservatorium eine Parallelklasse für Vor- und Ausbildung im Violoncellounterricht. 1896 wurde er an das Wiener Hofoperntheater als Violoncellist verpflichtet. Nach 17-jähriger Tätigkeit als Professor ging er vom Konservatorium weg; im gleichen Jahr quittierte er auch den Dienst an der Hofoper.
    Ab 1902 war er als Kapellmeister am Kaiser-Jubiläums-Stadttheater engagiert. Zwischen August 1905 und August 1910 wirkte Ferdinand Hellmesberger als Ballettdirigent an der königlichen Oper in Berlin. Seine letzten Jahre verbrachte er als Dirigent der Kurkapellen in Baden bei Wien, in Marienbad und Karlsbad. Als Ferdinand Hellmesberger im Alter von 77 Jahren starb, war auch die Musikdynastie Hellmesberger mit ihm dahingegangen.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab befindet sich auf dem Friedhof Hietzing, Maxingstraße 15, in 1130 Wien.
    Der günstigste Eingang zum Grab ist das Tor 3, dort hält man sich links, wo man die Grabstätte im Feld 15 an der Mauer findet.

    Einmal editiert, zuletzt von hart ()

  • Lieber Karl-Georg,

    wieder einer Deiner lesenswerten Berichte dieses Mal über die Musikerfamilie Hellmesberger. Deine hervorragend recherchierten und ausführlich gestalteten Berichte gehören zu den Glanzlichtern im Forum.:jubel::jubel::jubel:

    Herzlichst

    Operus (Hans)

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Carl Loewe - *30. November 1796 Löbejün - † 20. April 1869 Kiel


    Mit dem Grab von Carl Loewe ist die Sachlage nicht so ganz einfach, denn der große Komponist wurde praktisch an zwei unterschiedlichen Orten bestattet und an beiden Ruheplätzen wurde es dann im Zweiten Weltkrieg sehr unruhig, so dass diese sowohl in Stettin als auch in Kiel durch Bombeneinwirkungen zerstört wurden.


    Carl Loewe verbrachte seine Ruhestandstage bei seiner ältesten Tochter in Kiel, wo er sich 1865 zunächst von einem Schlaganfall, den er an seiner langjährigen Wirkungsstätte Stettin erlitten hatte, erholte und dann ab 1866 bis an sein Lebensende in Kiel lebte.
    Er soll verfügt haben, dass sein Herz bei seiner geliebten Orgel, die er »Cecilie« nannte, bestattet werden sollte. Diese Orgel befand sich in der Jacobikirche zu Stettin, wo er über den langen Zeitraum von 46 Jahren musikalisch wirkte.
    Dr. Maximilian Runze, ein ausgezeichneter Loewe-Kenner, der den Komponisten noch in der Form persönlich kannte, dass er sein Schüler war, aber auch evangelischer Pfarrer und Abgeordneter, gab 1905 zu Protokoll, dass er bei der Zeremonie anwesend gewesen sei und schildert die Szene so:


    »…im Juni des Jahres 1869…..Einem Maurer, der mit Schurz und Kelle zur Seite stand, war darauf ein Wink zu Theil und so ward denn unter andachtsvoll gehobener Stimmung der kleinen Gemeinde das von silberner Kapsel umschlossene Herz des großen Künstlers in der stillen kleinen Gruft beigesetzt. Ein inniger Choral beschloß die würdige Feier. In mehr denn Manneshöhe ruht nun dort hoch oben das Herz, mit dem der Lebende so oft zur unendlichen Gottheit sich erhoben hatte. Eine schwarze Marmorplatte verschließt die geweihte Stätte. Die auf der selben befindliche Inschrift hat Calo verfasst…«


    Im August 1944 zerstörten Bomben große Teile der Kirche, darunter auch die Orgel, welche noch aus der katholischen Zeit der Kirche stammte.
    Bei Renovierungsarbeiten hatte man nun viele Jahrzehnte später in einer Säule einen Sandsteinblock entdeckt, der eine Urne mit einem Metallobjekt aus Silber und Blei enthielt. Vor acht Jahren brachte die »Mitteldeutsche Zeitung« die Schlagzeile: »Verschollenes Herz von Carl Loewe entdeckt?«


    Der »Kurier Szczecinski« berichtete am 5. März 2012 ebenfalls, dass bei Bauarbeiten in der Kirche vermutlich die Urne mit dem Herzen Johann Carl Gottfried Loewes gefunden worden sei und beschrieb den Fund im Detail:
    Das Gefäß aus hellem Sandstein, 18 Kilogramm schwer, 42 Zentimeter hoch und mit einem Durchmesser von 25 Zentimetern, wurde in einem Teil des südlichen Pfeilers fast am Gewölbe entdeckt. Es enthält eine ovale Bleikapsel mit einem Durchmesser von zehn Zentimetern. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat das darin befindliche Herz dem Komponisten, Sänger und Organisten gehört.


    Und was geschah mit den Gebeinen des Komponisten? Man hatte Carl Loewe auf dem St.-Jürgen-Friedhof, einem der ältesten Kirchhöfe Kiels, bestattet. Die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs verwandelten diesen Friedhof in ein Trümmerfeld und 1954 wurden Reste der St. Jürgen Kirche weggeräumt. Das Friedhofsgelände benötigte man zur Straßenverbreiterung und für einen Großparkplatz.
    Wie es in der Kieler Stadtchronik heißt, wurden die Überreste der Toten auf den Friedhof Eichhof umgebettet und 64 Grabdenkmäler und Grabplatten, die unter Denkmalschutz stehen, fanden auch einen Platz auf dem neuen Friedhof. Von Carl Loewes Grab ist auf diesem Friedhof heute nichts mehr zu sehen. Da gibt es zwar einen gedruckten Friedhofsführer, der auf Seite 104 ein Foto - einen quadratischen Klotz mit einem Kreuz ohne Inschrift - zeigt, dem der Text »Grabzeichen Carl Loewe« beigegeben ist, aber Informationen vor Ort sind Fehlanzeige. Gänzlich anders sieht dagegen das Schwarz-Weiß-Foto aus dem Kieler Stadtarchiv aus. Dieses Foto ist identisch mit einer Zeichnung von Loewes Grab, die Heinrich Bulthaupt in seinem Buch über Carl Loewe veröffentlicht hat; Bulthaupt weist darauf hin, dass auch Loewes Tochter hier begraben wurde:
    »Auf dem alten Kirchhof zu Kiel liegt er begraben, nach wenigen Jahren schon mit seiner Tochter Helene vereint, die das Gedächtnis des Vaters so kindlich treu und verständnissvoll festzuhalten sich bemüht hat, und die jetzt dasselbe Grab mit ihm umschliesst«.


    Also begibt man sich zur Nikolaikirche, der bekanntesten Kirche in Kiel, am Alten Markt., vor der seit 1954 Barlachs »Geisteskämpfer« steht, von dem man auch eine spannende Geschichte erzählen könnte ...
    Aber in diesem Zusammenhang lassen wir ihn buchstäblich links liegen, betreten den Haupteingang und wenden uns gleich rechts einer Seitenkapelle, der Pommern-Kapelle, zu. In dieser Seitenkapelle kann man auf einem mächtigen Stein die Inschrift lesen, dass hier der Komponist Carl Loewe ruht


    Ein historisches Foto aus dem Stadtarchiv Kiel


    Auf einen quadratischen Klotz mit einem Kreuz ohne Inschrift, wird in einem Friedhofsführer hingewiesen.


    Rechts vom Barlachs »Geisteskämpfer« ist der Eingang zur Kirche mit dem Loewe-Grabdenkmal



    Leider sind weder im Stadtarchiv Kiel noch in der Administration der Nikolai-Kirche irgendwelche Aufzeichnungen vorhanden, die darüber Auskunft geben, wann und unter welchen Umständen diese Umbettung stattfand. Es hat den Anschein als sei dieser Stein klammheimlich in die Kapelle gestellt worden ...
    Heute ist lediglich noch bekannt, dass Loewes sterblichen Überreste 1955 auf den Eichhoffriedhof überführt und die Gebeine 1957 auf Initiative der Stiftung Pommern in die Nikolaikirche am Alten Markt umgebettet wurden; die Stiftung Pommern wurde zum 31. Dezember 2000 aufgelöst.


    In den »Kieler Nachrichten« erschien 1996 ein Artikel mit der 12-Millimeter-Headline: »Bleiben die Gebeine in Kiel?« In der Einleitung des Beitrages ist zu lesen:


    »Etwas unruhig wurde es in den vergangenen Wochen um eine letzte Ruhestätte in Kiel, und zwar um diese von Carl Loewe. Der vor allem für seine Balladenvertonungen bekannte Komponist starb 1869 hier und ist seit1957 in der Pommernkapelle der Nikolai-Kirche beigesetzt. Deren Kirchenvorstand berät heute abend über ein Anliegen, das vom Internationalen Carl-Loewe-Institut in Wien zunächst an die Stadt Kiel herangetragen wurde, die aber in diesem Falle nicht zuständig ist. Es geht um die Bitte des Instituts-Leiters Johannes Sterkel, die Gebeine des Komponisten in dessen Geburtsstadt Löbejün bei Halle in Sachsen-Anhalt zu überführen.«


    In Kiel vertrat man die Meinung, dass man Carl Loewe in Löbejün auch ohne Gebeine ehren könne und er in Kiel eine würdige Ruhestätte habe. Ich hatte bei einer Kunsthistorikerin der Kirchengemeinde wegen den Modalitäten der Umbettung nachgefragt, schriftlich ist hier nichts festgehalten; aber die Dame kennt einen sehr betagten, aber geistig noch regen ehemaligen Kirchenvorstand, der damals den Wiederaufbau der Kirche begleitete und bestätigt, dass tatsächlich Gebeine von Carl Loewe an dieser Stelle beigesetzt wurden. An diesem christlichen Ort kommt einem dann Psalm 103 in den Sinn ...


    Wichtiger ist, dass Carl Loewe in seinen Werken noch lebendig ist und er ein an Erlebnissen reiches Leben hatte. Wenn man hört, dass er 46 Jahre in Stettin Musikdirektor war, könnte man vielleicht meinen, dass da Langeweile gewesen sein könnte, was jedoch nicht zutreffend ist. Der aus eher ärmlichen Verhältnissen Kommende hatte recht umfangreichen Zugang zu den höheren Schichten der Gesellschaft, die er bei seinen Auftritten zu begeistern wusste. Komponist und Interpret traten in Personalunion auf; er war sicher mit Abstand der beste »Verkäufer« seiner Balladen. Noch im Jungenalter - er war etwa fünfzehn, sechzehn Jahre alt - wurde er von König Jérôme Bonaparte gefördert und hätte beinahe eine ganz andere Karriere gemacht; später begeisterte er den Kronprinzen Friedrich Wilhelm dem er einmal acht Tage lang abends als Sänger und Pianist zur Verfügung sein musste und in der Regierungszeit von Friedrich Wilhelm III wurde Loewe 1837 in die Königliche Akademie der Künste in Berlin aufgenommen. Zum Abschluss seiner Tätigkeit als reisender Balladensänger beglückte er noch Queen Victoria in England.


    Loewe hatte ja in all den Jahren seine hauptsächlichen Amtspflichten in Stettin zu bewältigen und konnte nicht einfach reisen, wenn ihm der Sinn danach stand. Er lebte in einer Zeit, in der man noch mit der Kutsche unterwegs war, wobei er Nachtfahrten als recht angenehm empfand. Aber auf Teilstrecken stand auch schon die Eisenbahn zur Verfügung; die Strecke von Berlin nach Stettin wurde beispielsweise 1843 erbaut.


    Nachfolgend soll versucht werden das Musikerleben des Carl Loewe in etwa nachzuzeichnen:


    Der Zeit entsprechend, wurden im Taufregister die Namen Johann Carl Gottfried eingetragen; in Überlieferungen wird geschildert, dass sein Rufname Gottfried war, Musikfreunden ist der Name Carl Loewe geläufig, meist mit dem Zusatz »Balladenkönig«.


    In seiner Autobiografie stellt der Komponist fest:»ich war der Jüngste von 12 Geschwistern«. Der Vater war Kantor und Lehrer im Städtchen. Die Mutter, Tochter eines Seilers, hatte 1500 Thaler mit in die Ehe gebracht, was für die Finanzierung von Haus, Scheune und sechs Morgen Ackerfeld reichte. Die Mutter war sehr ernst, nie lustig, aber stets gleichmäßig liebevoll und geschäftig.


    Der Loewesche Haushalt verfügte über einen bedeutenden Notenschatz, aber das Glanzstück war ein dickleibiges Buch, das die evangelischen Choräle enthielt, die der Vater eigenhändig geschrieben hatte.
    Von der weit älteren Schwester war der kleine Carl sehr beeindruckt, weil sie damals die ganz neuen Bürgerschen Balladen auswendig kannte.
    Bruder Andreas war wohl der intelligenteste der Familie, konnte aber seine erfolgreichen Studien nicht in ein erfolgreiches Leben umsetzten und war der Kummer des alternden Vaters. Fritz dagegen, der älteste seiner Brüder, studierte Theologie und hatte in Berlin Kontakt mit Vincenzo Righini, von dem er besondere Gesangsmethoden lernte und an seinen jüngsten Bruder weiterreichte, was dieser dankbar aufnahm. Dass Fritz in Berlin durch die Bekanntschaft mit Kapellmeister Righini mit dem Theaterleben in Berührung kam und daran seine Freude hatte, gefiel Vater Loewe überhaupt nicht, stets hatte er seine Söhne eindringlich vor der Scheinwelt des Theaters gewarnt.


    Aber eine solche Warnung kam auch von einer ganz anderen Seite, nämlich von Carl Maria von Weber. Als der Student Loewe diesen einmal besuchte, sagte Weber zu ihm: »Gehen Sie niemals an ein Theater, das ist nichts für ein schaffendes Talent. Wenn ich mit von dem immerwährenden Lampenlicht angegriffenen Augen, und den Kopf voll Opernmelodien nach Hause komme, so bin ich körperlich und geistig so abgespannt, dass es mir unmöglich ist zu komponieren«.


    Als 1806 nach der Schlacht von Jena und Auerstedt napoleonische Truppen durch Löbejün zogen, was für die Bevölkerung schmerzliche Folgen hatte, wurde auch Vater Loewe um 200 Thaler erleichtert. Es waren unruhige Zeiten im Land; und so hatte der Vater das Wohl seines Sprösslings im Auge als 1807 drei große abgesandte Chorschüler aus dem etwa fünfzehn Kilometer entfernten Köthen herüberkamen, um Carl die Botschaft zu überbringen, dass man ihn in den Chor aufnehmen wollte. In späteren Jahren notierte der erfahrene Löwe kritisch, dass die den drei Abgesandten zu erbringende Gesangsprobe kein durchschlagender Erfolg gewesen sei; seiner Stimme hätte damals der Wohllaut gefehlt und er habe schreiende Töne produziert. Dennoch bot die Köthner Abordnung an, dass er mit ihnen kommen solle; man hatte sein musikalisches Talent erkannt. Angeboten war: Freie Wohnung mit Licht, Holz, Tisch und Schule und auch freien Unterricht in der Gesangskunst. Vater und Sohn wussten, dass das eine Chance war; natürlich fiel der Abschied schwer, besonders von der Mutter mit der er sich im Wesen sehr identifizierte. Ein Trost war, dass Köthen nur drei Stunden Fußweg vom Heimatort entfernt war und es Ferien gab. In der Schule kam der Junge zunächst ganz gut zurecht, wenngleich auch von strengen Lehrern berichtet wird. In seiner Gastfamilie war es üblich mit Messer und Gabel zu essen, was für den Knaben Neuland war. Der Chor bestand aus sechszehn Personen, die neben ihren kirchlichen Diensten auch begüterte Bürger mit musikalischen Darbietungen versorgten. Die Chormitglieder waren in dem kleinen Städtchen durchaus beliebt und bekamen allerlei Zuwendungen zugesteckt.


    Als Carl dreizehn Jahre alt war bemerkten Vater und Sohn, dass die Schulverhältnisse in Köthen nicht die Besten waren. So konnte sich der Dreizehnjährige freuen, dass er zu seiner weiteren Fortbildung nach Halle kam, wenngleich er bei seiner Ankunft den Eindruck hatte in eine armselige Gegend zu kommen, wenn er das mit dem lieblichen Köthen verglich.

    Vater Loewe meldete seinen Sohn für die Franke´sche Stiftung, eine lutherische Schule, an. Der Eintritt war hier nur dem möglich, der die musikalische Probe bei Daniel Gottlieb Türk bestand. Trotz der Köthner Erfahrungen konnte er bei der musikalischen Prüfung mit seiner Stimme nicht voll überzeugen, aber Türk bemerkte sehr wohl, dass der junge Mann musikalisch allerhand zu bieten hatte. Türk war in Halle so eine Art »Musikpapst«, der sowohl für die Kirchenmusik und Symphoniekonzerte als auch für Opernaufführungen zuständig war und das alles größtenteils mit seinen Chorsängern bewältigte, Loewes Lieblingsrolle war damals die Königin der Nacht in Mozarts »Zauberflöte«. Chorsänger wurden zu Solisten, professionelle Solisten wurden sporadisch eingesetzt. Türk betätigte sich auch - vor allem mit kirchlichen Werken - als Komponist. Unter Türks Anleitung verbesserte sich Loewes Stimme beträchtlich; Klavierunterricht wurde ihm nicht mehr erteilt, Klaviersachen von Clementi, Haydn, Mozart und dem jungen Beethoven schüttelte er aus dem Ärmel ...

    Meister Türk hielt den nun Vierzehnjährigen nicht zur Schule an, räumte der Musik Priorität ein und meinte, dass der Junge nun genug Gelehrsamkeit erworben habe. Diesbezüglich war jedoch Vater Loewe ganz anderer Ansicht; er mochte seinen Filius eher auf der Kanzel und als geachteten Würdeträger sehen. Gegenüber seinem Sohn argumentierte er: »Du kannst genug Musik, aber in den Wissenschaften bist Du noch ein Anfänger, man muss das lernen, was man nicht kann, aber nicht was man kann«. Carl Loewe beschreibt seine damalige Situation so, dass er ein schwankendes Rohr war und nicht wusste ob er Türk oder seinem Vater folgen sollte. Als in Halle eine Theatergruppe aus Weimar auftauchte, war das Publikumsinteresse groß, denn hier waren erstrangige Solisten am Werk, wobei Türks Chor unkostümiert hinter den Kulissen sang

    Als 1810 König Jérôme Bonaparte nach Halle kam fand er bei einer musikalischen Veranstaltung Gefallen am jungen Loewe, was diesem wiederum eine besondere Beachtung in höheren Kreisen einbrachte. So wurden ihm aus dem Staatssäckel eine jährliche Unterstützung von 300 Thaler gewährt, damit er seine musikalische Entwicklung voranbringen könne, eine Studienreise nach Italien war angedacht und am Endpunkt solle Loewe Kapellmeister in Kassel werden. Das war eine konkrete Karriereplanung; unter diesen Aspekten konnte er das Gymnasium verlassen, um sich ganz der Musik zu widmen. Er bekam nun ein eigenes Zimmer mit Klavier und Violine, sowie entsprechende Bücher für das theoretische Studium. In der Zeitspanne von 1811 bis Ende des Jahres 1813 erteilte ihm Türk jeden Tag mehrere Lektionen in Theorie und Komposition. Bei anderen Lehrern lernte er Italienisch und Französisch - nur für Klavier fand sich kein Lehrer ...

    Als Napoleon geschlagen war und Truppenteile der Grande Armée in jämmerlichem Zustand durch Halle Richtung Heimat zogen, zerplatzten auch die Blütenträume von Italien und Kassel. Während der folgenden kriegerischen Turbulenzen, die auch die Zivilbevölkerung zu spüren bekam, sang er mit seinem Chor zum Begräbnis von Johann Friedrich Reichardt. Als 1814 Loewes Lehrer Türk starb, war das ein schwerer Schlag für den jungen Loewe, aber sein Vater hoffte nun wieder auf eine Hinwendung seines Sohnes zum wissenschaftlichen Studium.

    Mit Hilfe eines befreundeten Studenten gelang es Loewe nun den in den letzten Jahren ausgefallenen Schulstoff nachzuholen, sodass er wieder in seine alte Schule einsteigen und zum Studium gelangen konnte.

    Ab Michaelis 1817 war er in Halle Student der Theologie, das Studium finanzierte er aus Stipendien von insgesamt 70 Thalern und hatte keine Mühe das Fehlende durch Musikunterricht hinzuzuverdienen, wobei er auch mit Familien der besseren Gesellschaft in Verbindung kam. Wenn der junge blonde Mann seine selbst geschriebenen Balladen vortrug, »riss er alles mit sich fort«, wie Zeitgenossen berichteten. So lernte er auch im Hause des Staatsrates von Jakob dessen Tochter Julie kennen, und die beiden sollen Opernduette ganz vorzüglich vorgetragen haben; bald folgte eine Verlobung. Bei einem Weihnachtsbesuch seiner Verlobten, die in Dresden weilte, traf er zum zweiten Male mit Carl Maria von Weber zusammen, wobei auch eifrig musiziert wurde.
    Carl Loewe hatte dann in Halle noch seinen Militärdienst abzuleisten, welchen er durch seine musikalischen Möglichkeiten etwas freundlicher gestalten konnte.

    Als Carl Loewe sich um die Kantor-Stelle an der Jacobi-Kirche in Stettin bewarb, wurde seine Bewerbung vom Kanzler der Universität Halle, August Hermann Niemeyer, unterstützt. Bevor Loewe seinen Dienst als Musikdirektor in Stettin antreten konnte, musste er sich - auf Veranlassung der Stettiner Behörde - in Berlin von Zelter, dem Direktor der Singakademie, prüfen lassen.
    Loewes Reiseroute führte 1820 über Jena, weil er bei dieser Gelegenheit dort einen Freund besuchen wollte. Wenn er nun aber schon einmal in der Stadt war, gedachte er auch dem berühmten Dichter Goethe einen Besuch abzustatten und ließ sich als Student melden, wobei er das Gefühl hatte zunächst argwöhnischen Blicken ausgesetzt zu sein, hatte doch erst im Frühjahr 1819 in Mannheim ein Student zugestochen.
    Goethe, der in den Sommermonaten seinen Wohnsitz im botanischen Garten zu Jena hatte, ließ schließlich Loewe durch einen Diener bitten und es kam zu einem angenehmen Gespräch. Natürlich hatte er seine Komposition des »Erlkönig« dabei, aber Goethe bedauerte, dass er hier kein Klavier zur Verfügung habe und vertröstete auf einen späteren Besuch in Weimar. Als Loewe Jahre später wieder nach Weimar kam, war Goethe längst tot. Der junge Loewe konnte damals nicht ahnen, dass er - fast zwei Jahrzehnte später - Goethes Enkel, Walther, Unterricht in Kompositionslehre geben wird.


    Da war aber nicht nur die eine Woche währende gründliche Prüfung bei Zelter in Berlin, auch bei seinen zukünftigen Arbeitgebern in Stettin musste Loewe sowohl eine mündliche als auch schriftliche wissenschaftliche Prüfung ablegen; sollte er doch am Gymnasium in unterschiedlichen Fächern lehren wie beispielsweise auch Naturgeschichte.


    Nun waren die Voraussetzungen gegeben in den Stand der Ehe zu treten, am 7. September 1821 heiratete Musikdirektor Loewe Juli von Jacob. Das Eheglück währte jedoch nur etwa anderthalb Jahre. Am 26. Februar wurde Sohn Julian geboren; am 7. März 1823 starb die Ehefrau. Im

    trostlosen Gefühl der Vereinsamung entstand Uhlands »Der Wirtin Töchterlein«. Julian war der einzige männliche Nachkomme des Komponisten. Man gab das Söhnchen zu Verwandten nach Halle und Vater und Sohn wurden sich immer fremder. Heinrich Bulthaupt (1849-1905) berichtet, dass der begabte, aber nervöse und reizbare Sohn gegen den Vater öffentlich auftrat und, nachdem das letzte Band zerschnitten war, nach Amerika auswanderte, wo er verschollen ist.


    Knapp zwei Jahre später meldeten sich drei junge Damen beim Musikdirektor und baten um Gesangsunterricht; Auguste Lange, war der Name der Dame, die für die andern sprach. Carl Loewe war nicht nur von deren Sopran angetan, sondern stellte noch andere Vorzüge fest; es kam 1825 zu einer Ehe, aus der vier Töchter hervorgingen: Julie, Adele, Helene und Anna; die dritte Tochter, Helene, kam gehandicapt zur Welt.
    Zu den künstlerischen Aktivitäten des Ehepaars Loewe schreibt er selbst:»Ihr schöner Gesang war die Zierde meiner Oratorien, in denen sie die hohen Sopranpartien, ich aber den Tenor sang».
    In Stettin ging Loewe stets gewissenhaft seinen Amtspflichten nach und war in der Stadt und Umgebung eine unangefochtene musikalische Autorität. Er verfügte auch über einen ansehnlichen Freundeskreis wie zum Beispiel Dr. Ferdinand Calo, der bereits oben als Textgestalter der Gedenktafel erwähnt ist, Justus Günther Graßmann und sein Sohn Hermann Graßmann, welcher die Schwingungen der Töne mathematisch erforschten., Loewe war von beachtlichem Arbeitseifer; er erarbeitete eine theoretische und praktische Gesangslehre für Gymnasien; eine methodische Anweisung zum Kirchengesang und Orgelspiel und ein vollständiges Choralbuch. Dem Kantor und Organisten Loewe oblag auch die Ausbildung am Seminar für Lehrerbildung und er gründete den Pommerschen Chorverband. Wie überliefert ist, soll er vor allem im Seminar ein begeisterter und einfühlsamer Lehrer gewesen sein. 1834 erschien im Berliner Verlag Heinrich Adolph Wilhelm Logier der »Commentar zum zweiten Theile des Goethe´schen Faust«; Autor war Dr. C. Loewe. Den Ehrendoktor hatte ihm die Universität Greifswald 1832 verliehen, 1837 wurde er Mitglied der Berliner Akademie der Künste.
    Von seinen eigentlichen Kompositionen, die seinen Namen heute noch lebendig erhalten war bis hierher noch keine Rede. Den Höhepunkt seiner Popularität dürfte Loewe etwa 1837 erreicht haben, als er zu einem großen Sängerfest nach Mainz reiste und anlässlich der Enthüllung des Johann-Gutenberg-Denkmals das von Loewe als Auftragswerk komponierte Oratorium »Gutenberg« aufgeführt werde; an diesen Feierlichkeiten waren immerhin 14.000 Menschen interessiert.


    Carl Loewe war zwar 46 Jahre lang mit Stettin und seiner geliebten Orgel sehr eng verbunden, dennoch war er auch ein sehr reisefreudiger Komponist, der gerne die schulfreien Zeiten nutzte, um seine Balladen in vielen Städten selbst mit meist sehr zuverlässiger und stabiler Tenorstimme vorzutragen und auch für das Klavier zuständig war. Etwas getrübt wurden seine Sängerreisen durch den Umstand, dass in der Ferienzeit viele potenzielle Konzertbesucher ebenfalls nicht zu Hause waren.
    Seine Gattin stand den Konzertreisen ihres Mannes schon etwas reserviert gegenüber; Loewe versuchte jedoch nach Kräften alles was er unterwegs erlebte unverzüglich nach Hause zu berichten, sodass ein gewisser Kontakt immer vorhanden war. Viele dieser Briefe sind erhalten und veröffentlicht und man kann lesen, dass Loewe eine Menge Anerkennung genoss. Seine Wege führten in bis nach Wien, das war im Sommer 1844, von wo aus er nach Hause berichten konnte, dass man ihn hier als »norddeutschen Schubert« bezeichnet habe. Die beiden Komponisten waren ja fast gleichaltrig (Loewe *November 1796 / Schubert *Januar 1797). Als Loewe in Wien weilte war Schubert längst tot, er starb 1828.


    Ein Höhepunkt seiner vielen Kunstreisen war 1847 sicher die Reise nach London, wo er unter anderem auch vor Königin Victoria und Prinz Albert seine Balladen vortrug und eine Menge neuer Eindrücke aufnehmen konnte. Er sang dort auch nicht nur selbst, sondern besuchte auch eine Aufführung von Bellinis »Nachtwandlerin«, in der Jenny Lind die Hauptrolle sang, in seinem Brief kann man nachlesen wie fachkundig er dieser Darbietung folgte.
    Ausgerechnet in London ließ ihn dann seine Stimme im Stich, am 10. Mai zeigte sich erste Heiserkeit, aber er vermochte diese Unpässlichkeit in den Griff zu bekommen und brachte dann am 31. Mai ein ausgezeichnetes Konzert zustande. Loewes Reise-Konzerttätigkeit währte etwa von 1826 bis 1847, sodass man seine London-Reise als die letzte bezeichnen kann; natürlich ist er auch danach noch gereist, das waren aber Reisen privater Natur.


    Als 1851 Loewes Tochter Adele, die eine sehr schöne Stimme gehabt haben soll, sich im Brautstand befand und überraschend starb, war das für die Familie ein schwerer Schlag, der die Eltern tief traf. Nach einiger trübsinniger Zeit wurde Loewe zu einer Reise nach Norwegen eingeladen, damit er auf andere Gedanken kommt. Auf dieser Reise entstand die Ballade »Odins Meeresritt«.
    1857 besuchte Loewe seine Tochter Julie und ihren Mann in Le Havre, das dürfte seine letzte längere Reise gewesen sein.


    Mitten in der Arbeit, am 23. Februar 1864, traf ihn ein Schlaganfall, der ihn - mit einer kurzen Unterbrechung - in einen sechs Wochen währenden tiefen Schlaf versetzte; als Carl Loewe davon erwachte, war er nicht mehr der Alte ... nur bruchstückhaft kehrten die alten Funktionen zurück ...
    In dieser Situation riet der Arzt zu einer Luftveränderung. Da sein Schwiegersohn als Korvettenkapitän nach Kiel versetzt worden war, bot sich eine Rekonvaleszenz bei der Tochter an, die dann auch zur Stärkung beitrug, jedoch von Heimweh nach seiner Orgel begleitet war. Im September 1865 kehrte er zu seiner geliebten Orgel nach Stettin zurück. Da traf ihn am 25. Februar 1866 ein Schlag anderer Art; die städtische Behörde verlangte, dass er nach 46-jähriger Tätigkeit seinen Abschied einreicht. Carl Loewe wehrte sich mit diversen Vorschlägen vergeblich gegen seine Abschiebung aufs Altenteil, er wollte gerne mindestens bis zu seinem 70. Lebensjahr tätig sein. Man gewährte ihm zwar sein volles Gehalt als Pension, aber er durfte nicht mehr die Orgel in der Jakobikirche spielen - im Mai 1866 zog er mit seiner Familie zum zweiten Mal nach Kiel, es war ein Abschied für immer.


    Zur Kieler Kulturszene hatte er keinen Kontakt und er rührte auch keine Orgel mehr an - »und es gewöhnt sich nicht mein Geist hierher«, meinte er, wenn ihn seine Töchter zum Spaziergang in den Buchenwald von Düsternbrook führten, wo heute sein Denkmal steht. Der große Komponist und Interpret, den die Musikgeschichte »Kleinmeister« nennt, pflegte am Flügel auf seine alten Tage die Hausmusik.


    Am Morgen des 18. April 1869 traf ihn ein erneuter Schlaganfall, am 20. April, morgens gegen neun Uhr war das irdische Dasein von Carl Loewe zu Ende.


    Geboren war Carl Loewe am 30 November 1796 - deshalb sei heute an ihn erinnert.


    Anmerkung:
    Im Thread »Der Musiker Ehrenplätze« wird im Beitrag 252 in etwas anderer Form auf das Wirken von Carl Loewe eingegangen.

    2 Mal editiert, zuletzt von hart ()

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  • Lieber hart, mich dünkt, Dein wunderbarer Text über Carl Loewe hätte einen eigenen Thread verdient. Hier geht er etwas unter. Bitte denke doch darüber nach. Danke. :hello:

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Hier geht er etwas unter

    Lieber Rheingold,
    es freut mich, wenn der Text Deinen Ansprüchen genügen und Dich auf den aktuellen Stand bringen konnte, aber ich nehme an, dass man das im Forum finden kann, wenn man Informationen zu Carl Loewe sucht. Zudem blicke ich da nicht ganz durch, wie das mit einem eigenen Thread funktionieren soll ...

  • Mary Krebs-Brenning - *5. Dezember 1851 Dresden - † 27. Juni 1900 Dresden


    1897 kamen die ersten Schellackplatten auf den Markt; Mary Krebs-Brenning wird noch von dieser neuen Erfindung gehört haben, aber es war zu spät, um ihre Kunst der Nachwelt zu erhalten. Die Leistungen reproduzierender Künstler dieser Generation können den Nachgeborenen nur durch Zeitzeugen, die schriftliche Aufzeichnungen hinterließen, übermittelt werden. An ihrem heutigen Geburtstag sei an die überragende Pianistin erinnert.





    Vor der bröckelnden Friedhofsmauer findet man zwei nebeneinander stehende Grabdenkmäler, an denen der Zahn der Zeit nagt. Die einst goldglänzenden Inschriften sind teilweise nur noch schwer zu entziffern. Links befindet sich das Grabdenkmal der Pianistin, die heute Geburtstag hat und ihrem Gatten, rechts davon das Denkmal ihrer Eltern, ebenfalls hochangesehene Musiker. Wer sie waren, wird aus dem nachfolgenden Text ersichtlich.


    Mary war ein »Wunderkind«, das schon im Alter von 13 Jahren von König Johann in Sachsen zur königlichen Kammervirtuosin ernannt wurde. Ein Wunder war das nicht, wenn man bedenkt woher das Mädchen kam. Ihre Mutter war die Kammersängerin Aloyse Krebs-Michalesi und der Vater begleitete die Position des Königlich-Sächsischen Hofkapellmeisters, das war Karl August Krebs.
    Mit ihrer Mutter durfte die kleine Mary schon als Dreijährige ans Klavier; als das Mädchen sieben war übernahm der Hofkapellmeister die weiterführende Ausbildung, wobei er für seine Tochter exklusiv einige Stücke komponierte. Im Alter von neun Jahren konzertierte sie erstmals »halböffentlich«; man darf dabei wohl vermuten, dass sich hinter dieser Formulierung ein Probelauf im Kreis von Bekannten verbirgt. 1862 folgte dann das offizielle Debüt in einem öffentlichen Konzert in Meißen, einer Stadt, die etwa 25 Kilometer von Dresden entfernt liegt.


    Die. Zeitschrift »SIGNALE für die musikalische Welt« berichtete 1863 vom ersten öffentlichen Auftritt der neuen Pianistin in Dresden ihre Leser so:


    »Eine neue Pianistin, Fräulein Mary Krebs, die noch im Kindesalter stehende Tochter des Herrn Capellmeisters Krebs, hat die Concertsaison in Dresden am 15. Det. eröffnet. Das Dresdner Journal berichtet über das Concert , welches im Saale des Hotel de Saxse stattfand: Vor gefülltem Saale, unter der innigsten Theilnahme des Publicums betrat das liebenswürdige Kind gestern eine Laufbahn, welche ihm, beharrt es auf gleichem Wege, sicher der Künstlerfreuden und Belohnungen viele bringen wird. Einer wahrhaften Künstlerfamilie angehörend, unter den glücklichsten Verhältnissen aufgewachsen, durch sorgsame Leitung des Vaters, der ja früher selbst ein ausgezeichneter und bekannter Klaviervirtuos war, gleichsam spielend in den Geheimnissen der edeln Musica unterrichtet: durch liebevolle Pflege einer besorgten Mutter treulich gehütet, hat das außerordentlich begabte Kind eine für sein Alter bereits ungewöhnliche musikalische und technische Ausbildung erlangt. In Stücken verschiedenster Art gab das junge Mädchen Proben eines merkwürdig sichern musikalischen Verständnisses und einer vortrefflichen ernsten Schule. Es war erstaunlich, wie Mary das lange Cis-moll-Concert von F. Ries mit Orchesterbegleitung ohne Notenblatt rhythmisch sowie technisch sicher und fertig spielte, dabei eine löbliche Eigenschaft des Tacthaltens entwickelnd, wie sie manchem erwachsenen Clavierspieler zu wünschen wäre. Nicht minder bewies Mary in den Stücken von Bach (Fuge A-moll), Schumann ("Warum"), Weber (Perpetuum mobile), K. Krebs (Phantasie über "Lucrezia Borgia) und Liszt (Walzer aus "Margarete") die bereits weit fortgeschrittene tüchtige Clavierspielerin. Nicht allein Bravour, Kraft und Aplomb, wie auch innige, naive Empfindung bewundert man an dem jungen Mädchen; letztere namentlich brach in dem reizenden Stücke von Schumann regelrecht hervor. Möge das talentvolle Kind einer glücklichen Zukunft entgegengehen, unberührt von der gefährlichen, treibhausähnlichen Entwicklung, welche bereits so manche derartige Blüthe vor der eigentlichen Reife vernichtet hat; ein gefährlicher Einfluß, dem Mary unter der Leitung sorglicher Eltern bisher glücklich entgangen ist. Möge dem jungen Mädchen der gestrige Beifall als Anregung zu fernerm Fleiße erscheinen, nicht nur als Anerkennung bereits erlangter Ausbildung.«


    Nun, die guten Wünsche des Rezensenten scheinen Früchte getragen zu haben, denn der Übergang vom Kinderstar zur anerkannten erwachsenen Pianistin gelang in beeindruckender Weise; das Ganze mündete in eine internationale Karriere, welche Mary Krebs bis nach Amerika führte.


    Aber zunächst wagte sie im gleichen Jahr noch ein Gastspiel in Leipzig und Anfang 1864 konzertierte sie in Hamburg. Im Mai 1864 reiste sie mit ihren Eltern nach London, wo das Mädchen an verschiedenen Orten in der großen Stadt auftrat, wie zum Beispiel in der St. James´s Hall und dem Covent-Garden-Theater, aber auch im Windsor-Palast vor Prinzessinnen des königlichen Hauses.
    Mary Krebs´ Londoner Auftritte waren so erfolgreich, dass sie vom Direktor der Royal Italian Opera im Coventgarden für die nächsten Jahre jeweils für einige Monate nach London engagiert wurde. Während sie mehrere Sommermonate in London verbrachte, gab Mary Krebs aber auch gelegentlich Konzerte an anderen Orten. Die Zeitschrift »SIGNALE für die musikalische Welt« verfolgte die Karriere der jungen Pianistin weiter und berichtete nach der Rückkehr von ihrem dritten Aufenthalt in London 1866: »Fräulein Mary Krebs [...] hat bei ihrer diesmaligen Anwesenheit in London in 78 Concerten gespielt«.
    Im Januar 1867 begab sich die sechszehnjährige Pianistin mit der großen Adelina Patti, die im Begriff war immer berühmter zu werden, auf eine Tournee nach Italien und Südfrankreich, wobei die Damen in 24 Städten Station machten. Im Frühjahr des Jahres wird aber auch von einem ersten Konzert in Paris berichtet; zwei Jahre später wird Mary Krebs zum Ehrenmitglied des Prager Konservatoriums ernannt.


    In Begleitung ihrer Mutter ging es dann 1870 in die USA, wo Konzerte in New York und Boston erfolgreich verliefen und von der philharmonische Gesellschaft wurde sie um Mitwirkung bei einer Beethoven-Feier gebeten. Während ihre Mutter 1871 wieder nach Dresden zurückkehrte.
    Die Tochter blieb noch in der »Neuen Welt«, um sich dem Orchester Theodor Thomas anzuschließen; dieser ostfriesische Violinist und Dirigent war als Zehnjähriger mit seinen Eltern nach Amerika gekommen und hatte Amerika zu seiner Wahlheimat erkoren, wo er über Jahrzehnte hinweg ein bedeutender Musiker war. Mit diesem Orchester bereiste sie mehrere Monate den Süden der USA.
    In der Juni-Ausgabe 1872 von »Neue Zeitschrift für Musik«, Nr. 26., findet man unter der Rubrik »Personalnachrichten« folgende Mitteilung:
    »Frl. Mary Krebs hat ihre höchst erfolgreiche Kunstreise in Amerika am 22. Mai in New-York beendigt und kehrt an Ehren und Dollars reich nach Deutschland zurück«.


    Nach ihrer Amerika-Tour mit Theodor Thomas, unternahm Mary Krebs 1873 mit dem Cellisten und Komponisten Friedrich Grützmacher, dessen Modifikationen von Boccherini noch in unsere Zeit hineinwirken, eine Tournee durch Ostpreußen, der sieben Jahre später noch eine Konzertreise durch Dänemark folgte. Sowohl die Vielzahl ihrer Auftritte als auch ihr sehr umfangreiches Repertoire zeigen deutlich, dass hier eine bienenfleißige Künstlerin am Werk war. Ihr war es nicht nur als bestauntes »Wunderkind« gelungen das Publikum in Erstaunen zu versetzen, auch als gestandene Frau wusste sie künstlerisch zu überzeugen und wurde manchmal mit der mehr als drei Jahrzehnte älteren Clara Schumann verglichen.


    Mary Krebs war praktisch in ganz Europa präsent, über ein Jahrzehnt - 1874 bis 1884 - war es Usus, dass sie die erste Jahreshälfte in England verbrachte, denn sie konzertierte nicht nur in London, sondern bereiste auch die Provinzstädte.
    All diese Aktivitäten wurden aber mitunter durch Krankheiten unterbrochen; da war im Winter 1872/73 eine Typhuserkrankung, welche eine längere Erholungsphase nach sich zog und eine 1879 geplante Reise nach Warschau musste wegen eines Fingerleidens verschoben werden.
    1881 besuchte Mary Krebs auf einer Konzertreise zusammen mit Adelina Patti und Joseph Joachim mehrere Städte in England. Im Herbst des gleichen Jahres konnte Mary Krebs in Dresden ihren eintausendsten Auftritt feiern. Die »Neue Berliner Musikzeitung« machte sich die Mühe einige Superlative herauszuarbeiten und stellt beispielsweise fest, dass die Künstlerin in Amerika 257 Mal spielte, in London 225 Mal und in der englischen Provinz 168 Mal; wenn man ihre Konzerte im übrigen Europa und in Deutschland noch hinzuaddiert ist das eine bemerkenswerte Leistung auf hohem Niveau. Natürlich wurde auch Mary Krebs mitunter kritisiert, insbesondere in den Anfängerjahren, wo von Mangel an »künstlerischem Geist« bei Anerkennung ihrer brillanten Technik geschrieben wurde, aber diese Kritiken fallen eigentlich nicht groß ins Gewicht, wenn man die Gesamtkarriere betrachtet.


    1883 bereiste Mary Krebs Russland und 1884 verabschiedete sie sich von ihrem treuen Publikum in England. Die Künstlerin war nun zwar erst 33 Jahre alt, aber konzertierte bis dahin immerhin schon gute zwanzig Jahre öffentlich. Und sie gab ja das Klavierspielen nicht auf, aber blieb nun im Lande. So konzertierte sie häufig mit dem erstklassigen Geiger Johann Lauterbach. 1885 kam es im Großen Gewerbehaussaal in Dresden zu einem besonderen Ereignis als das D-moll-Konzert von Johann Sebastian Bach aufgeführt wurde. Neben einem Orchester waren drei Klaviere vorhanden, an denen drei Damen Platz nahmen, die alle den Titel »Königlich Sächsische Kammervirtuosin« führten: Mary Krebs *1851 / Laura Rappoldi-Kahrer *1853 / Margarethe Stern *1857. Glaubt man zeitgenössischen Berichten, war der Jubel überwältigend.


    1887 trat Mary Krebs in den Stand der Ehe, sie heiratete den königl. Stallmeister Theodor Brenning, trat aber weiterhin noch unter ihrem bekannten Künstlernamen auf, aber nicht mehr so häufig, wie das früher der Fall war; auch gesundheitliche Probleme sollen zu der Reduzierung beigetragen haben.
    Sie gab in Dresden noch Klavierunterricht, was aus einer Zeitungs-Notiz hervorgeht, aber sie war gelegentlich auch noch auf dem Podium zu hören. So spielte sie 1892 noch zusammen mit Anton Rubinstein Schumanns »Andante und Variationen für zwei Klaviere op. 46«.
    Auch beim 50-jährigen Künstlerjubiläum von Friedrich Grützmacher - 1893 -, mit dem sie schon vor zwanzig Jahren aufgetreten war, wirkte sie noch mit; danach gab es noch bis 1899 einige wenige Konzerte, dann ging das an hochrangigen künstlerisch Erfolgen so reiche Leben zu Ende.


    Praktische Hinweise:
    Die Gräber befindet sich auf dem Alten Katholischen Friedhof in Dresden, Friedrichstraße 54, wo sich auch das Grab des Komponisten Carl Maria von Weber befindet.


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  • Wilhelm Schüchter - * 15. Dezember 1911 Siegburg - † 27. Mai 1974 Dortmund


    Zum heutigen Geburtstag von Wilhelm Schüchter



    In vielen Publikationen wird angegeben, dass Wilhelm Schüchter in Bonn geboren sei, in wenigen Verlautbarungen findet man als Geburtsort Siegburg. Dass man sich bei Tamino für den Geburtsort Siegburg entscheidet hat folgenden Grund:


    In einer Chronik des »Männer-Gesang-Verein Siegburg-Wolsdorf« wird von einem Konzert, das 1947 stattfand, mit folgender Passage berichtet:


    »Dieses Konzert wurde unter Mitwirkung des NDR-Rundfunk-Orchester im Rundfunk übertragen; Leiter dieses Orchesters war Wilhelm Schüchter, ein gebürtiger Wolsdorfer«

    .

    Geschichtliche Tatsache ist, dass 1899 die Eingemeindung von Wolsdorf nach Siegburg erfolgte; Wolsdorf liegt östlich des Stadtzentrums von Siegburg.
    Wenn man in dieser Chronik weiter stöbert, dann findet man auch ein Konzert, welches 1952 aus Anlass des 70-jährigen Vereinsjubiläums geboten wurde; bei den Feierlichkeiten wirkte damals Kammersänger Rudolf Schock mit, der später auf vielen Tonträgern unter dem Dirigat von Schüchter ein breites Publikum eroberte.


    Wilhelm Schüchter war der Sohn eines Chorleiters und so ist es nicht verwunderlich, dass sich auch der Sohn der Musik zuwandte. Schüchter studierte ganz in der Nähe seines Geburtsorts, an der Hochschule für Musik in Köln, bei Philipp Jarnach Klavier und Komposition; für das Fach Orchesterleitung zeichnete damals an der Hochschule Hermann Abendroth verantwortlich.


    1937 gab der junge Orchesterleiter sein Debüt am Landestheater Coburg, wo er gleich zwei Opern zu leiten hatte, nämlich »Der Bajazzo« von Leoncavallo und den Einakter »Cavalleria rustikana« von Mascagni - fünfunddreißig Jahre später dirigierte er die beiden Opern an der Wiener Staatsoper, natürlich stand dann »Pagliacci« auf dem Programm.
    In der Saison 1940/41 erweiterte er seine Erfahrungen am Stadttheater in Würzburg. Von hier aus wechselte Schüchter ans Stadttheater Aachen, wo Herbert von Karajan am Wirken war. Schüchters nächste Station war das Theater am Nollendorfplatz in Berlin; hier ging es dann kriegsbedingt auch schnell mit Theateraufführungen zu Ende; zum 1. September 1944 wurden alle Theater geschlossen.


    Relativ schnell nach Kriegsende wurde die klassische Musikszene in Norddeutschland mit tatkräftiger Förderung der Engländer durch den Berliner Dirigenten Dr. Hans Schmidt-Isserstedt unter schwersten Bedingungen wieder aufgebaut. Schmidt-Isserstedt hatte hier Vorbildliches geleistet. Zur Entlastung kam dann 1946 Wilhelm Schüchter als zweiter ständiger Dirigent nach Hamburg, der auch noch unter dem Kälte- und Hungerwinter 1946/47 zu leiden hatte, aber bis 1959 blieb.


    In dieser Zeitspanne entstanden mitunter ganz hervorragende Aufnahmen, über welche man dann in unseren Tagen ob ihres künstlerischen Wertes höchst erstaunt ist, zum Beispiel wenn Elisabeth Schwarzkopf 1952 unter dem Dirigat von Wilhelm Schüchter singt.


    Ein anderes hochrangiges Beispiel zeigt die im Juli 1953 entstandene »Lohengrin«-Aufnahme mit dem Sinfonieorchester der NDR unter der Leitung von Wilhelm Schüchter; eine ganz hervorragende Arbeit mit ausgezeichneter Besetzung, die Hauptakteure seien hier genannt:


    König Heinrich - Gottlob Frick
    Lohengrin - Rudolf Schock
    Elsa - Maud Cunitz
    Telramund - Josef Metternich
    Ortrud - Margarete Klose
    Der Heerrufer - Horst Günter


    Legendär sind die in deutscher Sprache gesungenen Opernquerschnitte italienischer und französischer Opern, die Schüchter mit den Berliner Symphonikern und dem Chor der Deutschen Oper Berlin und den damals besten deutschen Solisten aufgenommen hatte, wobei daran zu erinnern ist, dass zum Beispiel auch an der Wiener Staatsoper bis 1956 deutsch gesungen wurde, bis dann Herr von Karajan dort auftauchte und internationales Flair verbreitete. Weiter ist daran zu erinnern, dass es damals eines Mordsaufwandes bedurfte, um eine Gesamtaufnahme auf Schallplatten zu bannen.


    In den Jahren von 1953 bis 1955 war Wilhelm Schüchter auch noch Chefdirigent der Nordwestdeutschen Philharmonie in Herford und in der Zeit von 1959 bis 1962 Dirigent des NHK-Sinfonieorchesters in Tokio.
    Danach kam Schüchter wieder nach Deutschland, wo in den zerbombten Städten neue Opernhäuser im Entstehen waren; so auch in Dortmund. Hier war der Dülfersche Theaterbau (Architekt Martin Dülfer) von 1904 schon 1943 von Bomben getroffen worden und im Anschluss daran wurden sukzessive die Ersatzspielstätten vernichtet. Nach dem Krieg war aus dem Stadttheater dann eine Wanderbühne geworden, die ihre Aufführungen an zahlreichen Orten in Dortmund und Umgebung darboten. 1955 wurden die Reste der Dülferschen Oper abgetragen; man hatte sich dazu durchgerungen ein neues Opernhaus zu bauen. Nach einer langen Planungsphase entstand dann das neue Opernhaus mit seiner prägnanten Kuppel, das 1.170 Plätze anbieten konnte.


    1963 übernahm Wilhelm Schüchter das Amt des Generalmusikdirektors, das vor ihm Rolf Agop innegehabt hatte, dessen Wirken einen pädagogischen Touch hatte. Bereits in seiner ersten Konzertsaison - 1963/64 - hatte Wilhelm Schüchter mit seinen philharmonischen Konzerten großen Erfolg, der daran abzulesen war, dass die Kleine Westfalenhalle stets gut besucht war. Als man das Orchester von bisher 75 auf 96 Musiker aufgestockte und aus dem Klangkörper ein »A-Orchester« wurde, trat das »Städtische Orchester« ab 1964 unter dem neuen Namen »Philharmonisches Orchester der Stadt Dortmund« auf.
    Die Philharmonischen Konzerte waren in der 1.800 Plätzen fassenden Kleinen Westfalenhalle stets ausverkauft, wobei noch 400 Interessenten auf der Abo-Warteliste standen. 1965 kommt es auch zu internationalen Auftritten in Amiens - seit 1960 Partnerstadt von Dortmund - und Lille. Aber Wilhelm Schüchter absolvierte in diesem Jahr auch mit dem Royal Philharmonic Orchestra London eine vierzehntägige Tournee durch England.


    Am 3. März 1966 wurde das neue Dortmunder Opernhaus mit »Der Rosenkavalier« feierlich und glanzvoll eingeweiht, Schüchter hatte dazu erstrangige Solisten aufgeboten:
    Elisabeth Grümmer als Marschallin, Kurt Böhme als Ochs, Teresa Zylis-Gara als Octavian, Liselotte Hammes als Sophie und Benno Kusche als Faninal. Diese Premiere war ein Riesenerfolg, der natürlich auch Ursachen hatte.
    Der Name Wilhelm Schüchter wird häufig mit Attributen wie zum Beispiel »Zuchtmeister« oder »Orchestererzieher« versehen und man kann lesen: »Schüchter war zielstrebig, unerbittlich und explosiv - ein General, vor dem alle Respekt hatten«. Schüchter bestand auch darauf, dass die Musiker ihre Instrumente immer zum Üben mit nach Hause nahmen.


    Auch zwischen Generalintendant Dr. Schaffner und dem Dirigenten gab es Differenzen, Schüchter war 1966 Intendant des neuen Musiktheaters geworden. Er pflegte besonders Wagner und Strauss und was er sonst noch über Musik dachte, wird im folgenden Zitat deutlich:


    »Ich lehne es ab, mich zum Anwalt von Musikingenieuren zu machen, in deren Wirken ich kein Vertrauen setzen kann. Ich werde stets zu unterscheiden wissen zwischen Fortschritt und progressivem Getue, zwischen Musikbegeisterung und musikalischem Snobismus, zwischen fruchtbarer Herausforderung des Publikums und einer zum Selbstzweck werdenden flegelhaften Schockwirkung des Zuhörers«.


    Mit der Saison 1970/71 erfolgt der Umzug der Philharmonischen Konzerte in das Opernhaus; zehn Konzerte mit je zwei aufeinander folgenden Aufführungen waren sofort ausverkauft. Die Konzerte im Opernhaus waren stets ausverkauft; wie man nachlesen kann, wurden die Abos damals sogar vererbt. Da reihte sich nun Erfolg an Erfolg und man sollte bei alldem vermuten, dass alle die mit der Sache zu tun hatten rundum zufrieden waren - waren sie aber nicht.
    Im Frühsommer 1972 sprach der Städtische Kulturdezernent Dr. Alfons Spielhoff in einem Exposé für die SPD-Ratsfraktion die Empfehlung aus, das Musiktheater zu schließen und das Philharmonische Orchester auf ein musikalisches Mehrzweckensemble zu halbieren. Es ist gut vorstellbar, dass sich Schüchters Begeisterung in Grenzen hielt, nachdem er mit so viel Verve fast zehn Jahre in Dortmund gewirkt und so sichtbaren Erfolg gehabt hatte. Unter den Dortmunder Musikfreunden brach ein Sturm der Entrüstung los. Schüchter war zunächst wütend, weil er von dem, was sich da anbahnte, erst aus der Presse erfuhr, dann organisierte er mit den Beschäftigten des Musiktheaters Straßenproteste.
    Dass es dem Musiktheater an den Kragen gehen sollte, wurde mit dem Argument unterfüttert, dass die Malocher das Vergnügen der Elite finanzieren müssten. Das vom Musiktheater verbrauchte Geld sollte auf andere Kultureinrichtungen der Stadt verteilt werden. Wilhelm Schüchter hielt eine Auflösung des Dortmunder Musiktheaters zugunsten anderer Kultureinrichtungen für indiskutabel und betonte die Außenwirkung der Oper für das Renommee der Stadt; er meinte in einem Leserbrief:
    »Eine Universitätsstadt, die mehr sein will als eine Stadt des Fußballs, des Bieres, des Stahls und der Kohle, braucht auch ein erstklassiges Orchester und ein hochqualifiziertes Musiktheater«.
    Die WAZ stellte fest: »Das Spielhoff-Exposé hat jedenfalls bewirkt, dass nun in Dortmund einmal über Kultur gesprochen wird - und nicht nur über Bier«.
    Im Dezember 1973 lässt Spielhoff ein zweites Exposé mit der gleichen Zielrichtung folgen, aber nun hat sich der Widerstand noch verstärkt; der Kulturdezernent verzichtet auf eine weitere Kandidatur. Also kann Schüchter weiter in seinem Sinne planen, und er hat den ehrgeizigen Entschluss gefasst, erstmals im Ruhrgebiet einen eigenen »Ring des Nibelungen« zu präsentieren, wobei eigene Kräfte auf der Bühne stehen sollten. Zu Beginn des Jahres 1974 gab es eine Sonntags-Matinee mit Ausschnitten aus der »Walküre«, die einige Wochen später Premiere haben sollte.
    Das Interesse für diesen Sonntagmorgen übertraf mal wieder alle Erwartungen, ruck-zuck waren die 1.200 Tickets weg. Dessen ungeachtet waren eine Menge Leute ohne Eintrittskarten zum Opernhaus gekommen. Als Schüchter diese Situation sah, beschloss er das Haus für alle zu öffnen und lies Klappstühle herbeischaffen. Die Zuhörer sollen auf Treppen gesessen, aber sich auch mit Stehplätzen im Hintergrund zufrieden gegeben haben.


    So großartig dieser Auftakt auch war, es war Wilhelm Schüchter nicht vergönnt diese Aufgabe zu Ende zu führen; er starb am 27. Mai 1974 im Alter von erst 62 Jahren infolge von Komplikationen nach einer Knie-Operation. Schüchters Nachfolger Marek Janowski führte das Wagner-Projekt zu Ende.


    Man darf vermuten, dass es Wilhelm Schüchter noch zum »Star-Dirigenten« gebracht hätte, dieser Begriff wird ja heutzutage inflationär vergeben. Wie oben bereits kurz angedeutet, dirigierte Schüchter im Herbst 1972 schon zwei Stücke an der Wiener Staatsoper, im Januar 1974 kamen an der WSO noch drei weitere Dirigate hinzu. nämlich »Fidelio« am 12. Januar, »Die Entführung aus dem Serail« am 14. Januar und »Der fliegende Holländer« am 18. Januar. Daraus wäre im Folgenden mehr geworden; man spricht von einem Vertrag für 40 Wiener Abende.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab befindet sich auf dem Waldfriedhof Großholthausen, das ist ein kleiner Stadtteil im Südwesten von Dortmund. Der Friedhof liegt an der Kruckeler Straße, als Grablage wird das Feld 6 angegeben.

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  • Carl Hill - * 9. Mai 1831 Idstein - † 12.Januar 1893 Schwerin


    Zum heutigen Todestag von Kammersänger Carl Hill



    Die Geburtsstadt von Carl Hill, dessen Name in zeitgenössischen Konzert- und Opernprogrammen oft mit Karl Hill angegeben wird, liegt im Taunus, knapp 25 Kilometer von der Landeshauptstadt Wiesbaden entfernt. Das Grab von Carl Hill - so die Schreibweise auf dem Grabstein - befindet sich auf einem kleinen Friedhof außerhalb von Schwerin - auf dem Sachsenberg - der eigentlich kein Friedhof im üblichen Sinne ist. Dort oben wurde 1830 eine Heilanstalt für Geisteskranke errichtet; und 1833 erstmals ein Begräbnisplatz des heutigen Friedhofs angelegt. Nach wechselvoller Geschichte begann man 1960 mit der Einebnung der Gräber; heute - gemeint ist das Jahr 2020 - befinden sich hier nur noch wenige Gräber, eines davon ist die Ruhestätte des Kammersängers Carl Hill, auf dessen Grabstein steht:


    »Er war unter seines Gleichen, ein Markgraf der Frau Musika, in ihren blühenden Reichen«


    Bei der Inschrift handelt es sich um ein Zitat eines Liedes des Komponisten Hans Sommer aus dem Opus 4: »Hunold Singuf. Rattenfängerlieder nach Julius Wolff´s Dichtungen«. Das Lied bildet den Abschluss des Zyklus und trägt den Titel »Grabinschrift«.



    Im Staatstheater Schwerin hängt noch ein von Hugo Berwald 1898 - also fünf Jahre nach Carl Hills Tod - geschaffenes großes Marmor-Reliefmedaillon, das an den großen Sänger erinnert.



    Carl Hill gehört zu jenen reproduzierenden Künstlern, die keine Tondokumente ihres Wirkens hinterlassen konnten und deshalb weitgehend vergessen sind. Seine Vita zeigt, dass sich Sänger damals auf ganz andere Weise ihrem Beruf näherten als dies heute der Fall ist. Auch Hill übte zunächst einen »ordentlichen« Beruf aus - erst als seine Stimme auffiel, wagte er erste Schritte auf eine professionelle Bühne, ganz ähnlich war das ja auch bei Karl Erb *1877, Heinrich Schlusnus *1888 oder Franz Völker *1899.


    Wenn es um Sängerinnen und Sänger aus der Zeit Richard Wagners geht, ist Abschreiben angesagt, weil man - wie in diesem Falle - auf schriftliche Überlieferungen angewiesen ist, die in Frakturschrift gesetzt sind oder als Schreibmaschinenkonzept vorliegen. Zwei Dokumente scheinen besonders geeignet zu sein, der Nachwelt ein Bild des Kammersängers Carl Hill zu vermitteln, wenngleich Gedrucktes nicht immer die reine Wahrheit sein muss, wie das eindeutig falsch angegebene Geburtsjahr Hills mit 1840 beweist, es ist kein Tippfehler des Abschreibers. Das erste Dokument ist nachstehend eingefügt:



    In der Zeitschrift »Das Buch für Alle« erschien 1882 in Heft 14 - inmitten eines Fortsetzungsromans - eine von C. Kolb nach einem Foto gezeichnete Darstellung des Sängers Karl Hill; erst einige Seiten später ist dann dieser Artikel zu finden, der wohl die Grundlage für einige spätere Veröffentlichungen ist, wie man bemerkt, wenn man sich durch die Literatur liest.


    »Es ist einer der vortrefflichsten Baritonisten und der ausgezeichnetsten deutschen Opern- und Konzertsänger der Gegenwart, mit dessen Bild wir das vorliegende Heft unserer Zeitschrift eröffnen: der großherzoglich mecklenburgische Kammersänger Karl Hill in Schwerin. Derselbe ist 1840 zu Idstein im Nassauischen geboren als der Sohn eines Arztes, erhielt eine sehr gute und sorgfältige Erziehung im Vaterhause und schon früh Klavierunterricht, da er eine außergewöhnliche Begabung für Musik zeigte. Nachdem er das Gymnasium in Wiesbaden absolviert hatte, widmete sich er dem Postfache bei der Thurn- und Taxis´schen Postverwaltung in Frankfurt a. M.; da sich aber bei ihm schon in seinem siebenzehnten Jahre eine ausgiebige Baritonstimme entwickelt hatte und er einen leidenschaftlichen Trieb zur Kunst empfand, so ließ sich Hill sich gleichzeitig auch seine musikalische Ausbildung sehr angelegen sein und nahm erst bei dem herzoglich nassauischen Hofopernsänger Jeschewitz in Wiesbaden Gesangsunterricht und später bei dem Musikdirektor Rühl Unterricht in Gesang und in der Theorie der Musik. Diese Studien wurden von ihm so emsig und erfolgreich fortgesetzt, dass Hill bald ein sehr gesuchter und beliebter Konzert- und Oratoriensänger wurde, welcher, ohne seine Anstellung beim Postfache aufzugeben, in den verschiedenen Städten des Rheinlandes in Konzerten auftrat und bei den rheinischen Musikfesten mit großartigem Erfolge mitwirkte, bei welchen er unter Anderem bis nach Holland kam und sich bald einen sehr bedeutenden Ruf als Sänger erwarb. Als im Jahr 1866 die Thurn- und Taxis´sche Post an Preußen überging, entschloß sich Hill, fortan sich ausschließlich der Kunst zu widmen. Er betrat zuerst in Frankfurt a. M. die Bühne und wirkte an derselben beinahe zwei Jahre mit namhaftem Erfolge, worauf ihm1868 ein Engagement für Baß- und Bariton-Rollen an der Hofbühne zu Schwerin angeboten wurde, welches er annahm und noch bis zu diesem Augenblick begleitet. Bei seiner ungewöhnlichen Begabung und seinem Fleiße ist es ihm möglich geworden, binnen weniger Jahre einer der beliebtesten Sänger der Gegenwart und einer der Stützen der Schweriner Oper zu werden und seinen Ruf auch durch eine Reihe erfolgreicher Gastspiele in Hamburg, Lübeck, Leipzig, Frankfurt a. M., Wien u. s. w., sowie durch seine Mitwirkung bei Aufführungen von Oratorien und bei Musikfesten noch in einer ganzen Reihe von weiteren Städten zu befestigen. Aus diesem Grunde suchte Richard Wagner ihn auch für die 1876 stattgehabten Bayreuther Festspiele zu gewinnen, zu deren Gelingen Hill dann in der schwierigen Rolle des ›Alberich‹ nicht wenig beigetragen hat. Als ihm verschiedene andere Engagements angeboten wurden, ernannte ihn der Großherzog von Mecklenburg-Schwerin zum Kammersänger unter Aufbesserung seines Gehaltes und Zusicherung einer Pension, und Hill blieb deshalb in dem ihm lieb und vertraut gewordenen Wirkungskreise. Seit Pischek ist kaum mehr ein Baßbariton mit solch´ schönen Stimmmitteln und einer solch´ gründlichen musikalischen Bildung auf der deutschen Bühne erschienen. Allen Rollen Hill´s merkt man die gediegene Geistes- und musikalische Bildung dieses Sängers und eine noble verständnißvolle Auffassung an, so namentlich seinen Don Juan, Leporello, Graf Almaviva in ›Figaro´s Hochzeit‹, Jäger im ›Nachtlager‹, Hans Heiling, Hans Sachs (›Meistersinger‹), Holländer (›Fliegender Holländer‹), Nelusko (›Afrikanerin‹) u. s. w. «


    Über das private Leben von Carl Hill ist wenig bekannt; er heiratete 1851 in Wiesbaden - an seinem Geburtstag - Anna Katharina Freifrau von Malapert-Neufville, eine Wiesbadnerin aus gutem Hause. Dem Paar wurden zwei Töchter und drei Söhne geboren. Eine Tochter, die 1854 in Frankfurt am Main geborene Antonie Hill, war in erster Ehe mit Carl Thurow verheiratet, der 1883 starb.



    Antonie Thurow heiratete dann 1885 in zweiter Ehe den Berliner Professor Dr. Hans Zincke, der in Musikerkreisen als Hans Sommer bekannt ist. Sommer und Hill hatten ein lange währendes freundschaftliches Verhältnis.
    Am ehemaligen Wohnhaus des Sängers, in der Münzstraße 15 zu Schwerin, wurde anlässlich des 185. Geburtstages von Carl Hill, auf Initiative der Theaterfreunde und des Richard-Wagner-Verbandes Mecklenburg-Vorpommern, eine Gedenktafel enthüllt. Bei diesen Feierlichkeiten war auch Hills Ururenkel Hans-Christoph Mauruschat, Orchesterdirektor bei Festival Strings Lucerne, anwesend. Es ist hier zu beobachten, dass drei solitäre Musiker in besonderer Art miteinander verbunden sind.


    Interessant ist die kulturelle Situation in der sich Carl Hill im Zenit seiner Sängerkarriere befand. Da gab es groß angelegte Musikfeste und im norddeutschen Raum entwickelte sich eine Wagner-Begeisterung; nicht nur Zoppot, sondern auch Schwerin und Rostock erwarben sich die Zusatzbezeichnung »Bayreuth des Nordens«, insbesondere nach den Bayreuther Festspielen 1876 wurden im Norden große Anstrengungen unternommen möglichst nahe an die Qualität von Bayreuth heranzukommen; Kostüme und Requisiten orientierten sich am Bayreuther Vorbild. Auf ausdrücklichen Wunsch des Großherzogs - der 1877 selbst den Festspielen in Bayreuth beiwohnte - hatte man für Schwerin die Aufführungsrechte des Nibelungenrings erworben; »Die Walküre« sollte am Hoftheater in Schwerin nach Bayreuth zum ersten Mal aufgeführt werden - ein Novum, man wird noch lesen können, wie es dazu kam ... - Zu den Aufführungen kamen Sonderzüge aus Rostock und Güstrow, aber auch aus Berlin, Hamburg und Lübeck.


    Schon vor diesen Höhepunkten, nämlich bereits 1852, stand Richard Wagner mit dem Chorleiter der Schweriner Hofoper bezüglich einer »Tannhäuser«-Aufführung in brieflichem Kontakt. 1853 wurde hier dann »Der fliegende Holländer« und 1854 »Lohengrin« aufgeführt. Zu einer »Holländer«-Aufführung kam Richard Wagner - mit Gattin Cosima - von seinem Wohnsitz Tribschen bei Luzern über Dresden und Berlin schließlich am 26. Januar 1873 selbst nach Schwerin, um sein Werk zu dirigieren. Hier erlebte er Carl Hill in der Rolle der Titelpartie und war von dessen Stimme und Darstellung so begeistert, dass er Hill unverzüglich für die Rolle des Alberich im Ring zu den Festspielen in Bayreuth engagierte. Frau Cosima war ebenfalls begeistert, was in ihrem Tagebuch noch nachzulesen ist: »Im ersten Akt fesselte uns gleich der Sänger Hill außerordentlich, und R. erkennt in ihm den Sänger, wie er ihn braucht. Wir sind von der Leistung tief ergriffen«.


    Die erste künstlerische Begegnung hatten Wagner und Hill schon in früheren Jahren, nämlich 1862 in Frankfurt am Main. Anlässlich eines Festabends des Gesangvereins »Liederkranz« zu Ehren und in Anwesenheit Richard Wagners, sang Hill ein Solo; in einem Bericht ist zu lesen, dass es die »Abendstern-Romanze« gewesen sei.


    In der Uraufführung des »Parsifal« gestaltete Hill am 26. Juli 1882 die Partie des Klingsor. Als man nach dem großen Schweriner Theaterbrand im April 1882, im Oktober 1886 das Schweriner Hoftheater mit einer Galavorstellung wieder eröffnete, sang Carl Hill in Glucks »Iphigenie in Aulis« den Agamemnon. Es macht wenig Sinn hier jeden Auftritt Hills zu dokumentieren, aber anhand dieser Daten wird deutlich, dass Hill eine bedeutende Sängerpersönlichkeit seiner Zeit war, der sich nicht nur auf Wagner-Rollen beschränkte, sondern beispielsweise in »Don Giovanni« sowohl in der Titelrolle als auch als Leporello glänzte und in Marschners »Hans Heiling« eine gute Figur auf die Bühne stellte.


    Ein weiteres, sehr persönliches Dokument, ist das Manuskript von Hans Sommer. Für den »Bayreuther Taschenkalender« hatte der Komponist Hans Sommer 1894 einen Beitrag mit der Überschrift »Carl Hill (1832-1893) Dem Wagner-Sänger zum Gedächtnis» geschrieben, der heute kaum noch zugänglich ist und deshalb hier wiedergegeben wird.


    Hans Sommer schreibt:

    »Man redet jetzt viel von ›Wagner-Sängern‹ und immer noch spricht Einer dem Anderen unbedenklich nach: solche Sänger seien für andere Musik nicht verwendbar, bei ihnen komme es nicht sowohl auf den kunstmässigen Gebrauch, als auf die Wucht der Stimme an, deren übermässige Anstrengung dann auch bald den Ruin des Sängers herbeiführe. Bedürfen solche Ansichten an dieser Stelle noch einer Widerlegeng, so wäre etwa auf Künstler wie Tichatchek, Vogl, Gura, Betz u. a. m. hinzuweisen, deren Wirkung das Gegenteil bekundet. Dass jede nicht mit der gehörigen Sorgfalt ausgebildete Stimme den Anstrengungen der Bühnenlaufbahn bald erliegt, ist freilich unbestreitbar. Ist das aber nur bei Wagner-Sängern der Fall? oder wird für diese keine gesangliche Ausbildung erfordert? Die ›Musik als Ausdruck‹ erheischt allerdings einen ganz anderen Sänger als diejenige Musik, die es mehr auf eine Ergötzung des Ohres, auf ein Spiel mit Tönen abgesehn hat; die möglichst vollkommene Ausbildung der Stimme aber ist für Alle unerlässlich, und dass den höheren Zielen sogar eine höhere Lehre entsprechen müsse, hat uns Julius Hey überzeugend dargetan. Darin aber sind wir in den letzten Jahrzehnten zweifellos vorwärts gekommen, wie denn auch unsere besten Sänger unablässig auf ihre Vervollkommnung bedacht gewesen sind. Andererseits sind wir auch in der gesanglichen Bewältigung der musikalischen Schwierigkeiten fortgeschritten, wobei unsere gewandten Kapellmeister getreulich mit geholfen haben. Wie oft hat mir z. B. Malvine von Schnorr von den Mühen erzählt, die ihr und ihrem Gatten, ehe sie Wagner selbst sie dazu angeleitet, das Studium des Tristans Jahre hindurch verursacht hat; so fremdartig erschien ihnen anfangs diese Musik, dass es ihnen kaum möglich war, auch nur die Noten sich einzuprägen. Jetzt wird es kaum eine größere Bühne geben, wo selbst ein so schwieriges Studium mehr als einige Monate erforderte. Auch Künstler, die an Intelligenz und Eifer dem Schnorrschen Ehepaare nicht verglichen werden können, finden sich rasch in den gewagtesten Ton-Kombinationen zurecht. So hat die neue Kunst auch neue Sänger und Menschendarsteller erstehen lassen, für die wir gern die Bezeichnung ›Wagner-Sänger‹ acceptieren wollen. Nennt man aber unter denen, die sich in diesem Werdeprozess aus eigener Kraft bis zum Höchsten durchgerungen haben, die besten Namen, so wird auch Karl Hill genannt.


    Der Umstand, dass ich dem Dahingeschiedenen drei Jahrzehnte hindurch freundschaftlich, in der letzten Zeit auch verwandtschaftlich eng verbunden war, darf mich nicht daran verhindern, der Aufforderung des Herausgebers zu entsprechen und in Kürze zu sagen, was ich von ihm weiß und wie ich über ihn denke.


    Ich habe Hill immer für einen der glücklichsten Menschen gehalten. Heiter und zufrieden, anspruchslos und bescheiden, wie er war, ist er über des Lebens Untiefen und Klippen leicht hinweggekommen, nie hat eine Krankheit oder ernste Sorge ihn gequält. Freundlich und zwanglos wusste er mit Hoch und Niedrig zu verkehren, immer lebhaftempfindend und an Allem herzlich teilnehmend. Ich glaube er hat keinen einzigen Feind gehabt. Dazukam nun die Gottesgabe einer musikalischen Veranlagung und einer natürlich quellenden, vom Herzen kommenden und zu Herzen gehenden Stimme von eigentümlichen Klangreiz. Seine Kunst und eine nie erlahmende Sangesfreudigkeit machten ihn vollends zum Liebling Aller.


    Noch sehr jung (1851) hatte sich Hill ein glückliches Heim, wenn auch nur als bescheidener Postsekretär, in Frankfurt a. M. gegründet. Da der Thurn- und Taxis´sche Dienst ihm einige Musse gewährte, sang er damals schon weit und breit auf Musikfesten und in Konzerten, und bald gehörte er zu den gefeiertsten Sängern. Das währte bis zum Jahre 1868.
    Unter der preussischen Verwaltung wurde der Urlaub beschränkt. Aber doch war es für den Siebenunddreissigjährigen, der bereits eine zahlreiche Familie zu versorgen hatte, ein gewagter Schritt, aus diesen gesicherten Verhältnissen sich herauszureissen und der Bühne sich zuzuwenden, die etwas ganz anderes vom Künstler verlangt, als der Konzertsaal. Hill aber war mutig und hatte Vertrauen in seine Talente, zu seinem Glücke. Zudem war ihm in Schwerin durch seinen Freund, Hofkapellmeister Alois Schmitt, der Boden aufs Günstigste bereitet; auch erleichterte der kunstsinnige Großherzog, gut beraten durch den Intendanten Alfred von Wolzogen, den Übergang in jeder Weise. Und das Wagnis gelang! Hatte bis dahin Hill auch bei Kennern für ein rein lyrisches Talent, für einen ›genial veranlagten Natursänger‹ gegolten, so entpuppte sich nun, zu fast Aller Überraschung, aus dem Lyriker ein Dramatiker.


    Wieder war Hill glücklich! Er hatte endlich das wahre Feld für die Betätigung seines Könnens gefunden; sein eigentlicher Beruf war ihm offenbar geworden, dem er nun mit ganzem, heiligen Ernste sich hingeben konnte. Und weiter war er glücklich! Es winkten dem Sänger und Darsteller Aufgaben, wie sie die Opernbühne früher nicht gekannt: er durfte die wunderbaren Gestalten Wagnerscher Kunst verkörpern. Begonnen ward mit denjenigen, die noch am meisten lyrische Elemente enthalten, mit dem Holländer und dem Wolfram. Bald war sein unablässiges Streben erfolgreich, wie denn schon über sein Wiener Gastspiel vom Winter 1870/71 von Hanslick folgendes berichtet wird: ›Hill ist ein eminent dramatischer‹ Sänger: er setzt seine Rollen nicht aus Einzelheiten zusammen, sondern gestaltet sie organisch bis in die feinsten Auszweigungen aus dem Mittelpunkt des Charakters. Gesang und dramatische Gestaltung sind ihm Äusserungen eines Wesens, sein schönster Vorzug ist die innige, vollkommen gegenseitige Durchdringung von Wort und Ton, seine grösste Kunst die Behandlung des ›deklamatorischen Elements im Gesang.‹


    Auch solche glänzenden Erfolge waren für Hill nur ein Sporn, weiter zu streben. Bewunderungswürdig ist aber doch Richard Wagners Scharfblick, der in dem Künstler, nachdem er ihn 1875 nur in der weichen, schwermütigen Partie des Holländers gehört, sofort den rechten Mann für seinen wild-dämonischen Alberich erkannte. An Alois Schmitt schrieb er damals: ›Ich habe bei Ihnen in Herrn Hill jedenfalls das bedeutendste Talent, das mir auf meiner letzten Reise aufgestossen ist, angetroffen. Durch meine Bekanntschaft mit ihm ... bin ich nun über den schwierigen Punkt der Besetzung einer sehr exzentrischen Partie vollkommen beruhigt.‹ Und an Hill selbst: ›... Ich schliesse diese Mitteilung mit dem Ausdrucke meiner wahrhaften Freude darüber, einen Künstler von so tief sympathischer Begabung, wie Sie, kennen gelernt und meinem Unternehmen geneigt auf dieser Welt noch angetroffen zu haben. Durch Ihre Übernahme des dämonischen Alberich, dem Schmiede des Ringes der Nibelungen, halte ich mein ganzes Werk erst geborgen. ... Somit auf erfreulichstes Wiedersehn, geehrtester Freund und Stolz meines Personals.‹


    Wagners Vertrauen sollte nicht getäuscht werden. In den großen Tagen der Bayreuther Nibelungen-Festspiele begründete Hill seinen Ruhm vor aller Welt. Aus dem ›genial veranlagten Natursänger‹ war einer der ersten dramatischen Künstler geworden. Ich entnehme darüber den ›Bayreuther Blättern‹ folgende Worte des Meisters: - ›Dass Hill so vollständig meine dringend von mir ihm empfohlene Aufgabe löste, nämlich jeden, ihm sonst so natürlichen, gefühlvoll-gemütlichen Akzent zu vermeiden, stets nur Hast, Gier, Hass und Wut zu zeigen, und zwar noch selbst da, wo er als kaum sichtbares Gespenst nur noch flüstern darf, - dass, sage ich, dieser ungemein begabte Künstler hierdurch eine so charakteristische Leistung von höchster Meisterschaft uns bot, wie sie ähnlich nirgends auf dem Gebiete des Dramas noch anzutreffen war...‹
    Diesem unvergänglichen Ehrendenkmal für den Sänger reiht sich ein Freundesbrief vom 23. September 1876 an, in welchem der Meister sich über die Besetzung der damals für das nächste Jahr geplanten Nibelungen-Festspiele ausspricht: ›... Dann sorge ich immer mehr, mir ein ganz vertrautes und mir zugetanes Personal zu schaffen, mit welchem ich stets so wahrhaftig umgehen kann, wie z. B. mit Ihnen, bester Freund ... Bleiben Sie mir treu, Sie Ungeheuer, Dämonischer, Allervortrefflichster!‹


    Im nächsten Winter sollte Hill in den Londoner Wagner-Konzerten mitwirken; hierfür aber wurde ihm der Urlaub von seiner Intendanz anfangs verweigert, später indess gewährt, nachdem Wagner in seiner Bedrängnis dem Schweriner Hoftheater die Nibelungen nicht nur zur Aufführung überlassen, sondern auch (seinen künstlerischen Absichten entgegen und daher widerwillig) zugestanden hatte, dass mit der Walküre begonnen werden dürfe: Gern hätte Wagner dieses Zugeständnis später rückgängig gemacht, aber - Schwerin bestand auf seinem Scheine und ward so die erste Hofbühne, die die Walküre nach Bayreuth zur Aufführung, und zwar zur glänzenden, erfolgreichen Aufführung brachte, denn der ersten, am 7. Januar 1878, folgten schon in derselben Saison noch zehn weitere, zu denen Extrazüge begeisterte Zuhörer und Kritiker von nah und fern, auch von Berlin (Wagner-Verein) und Hamburg herbeiführten. Die kompetentesten auswärtigen Kritiker rühmten auch hier wieder unter den Darstellern vornehmlich Karl Hill als Wotan. Langhans z. B. schrieb, Hill stehe als Sänger schon zu lange hors de concours, als dass man seinem Ruhmeskranze noch weitere Blätter hinzufügen brauche.


    Wiederum rief der Meister seinen Sänger, als es galt, den Parsifal der Welt zu offenbaren. Wiederum ward ihm eine Rolle anvertraut, die nicht sowohl lyrische Empfindung als höchste dramatische Charakteristik erfordert. Hill war 1882 der erste Klingsor und hat auch hiermit eine typische Figur von seltener Vollendung geschaffen. Wagner schrieb ihm damals: ›... Und so haben Sie Alberich und Klingsor zu unser Aller Freude wiedergegeben, und ich zweifle nicht daran, dass Wotan und Hans Sachs Ihnen ebenso geglückt sind, wie diese schwierigen, den meisten wohl unter dem Begriff ›undankbar‹ zu fassenden Aufgaben.‹


    Damit endigt die Bayreuther Tätigkeit unseres Wagnersängers. In Schwerin aber hat er noch lange seines Amtes gewaltet, des Meisters Gestalten - ich nenne nur noch Telramund und Hans Sachs - zu beseelen, bis er mit seinem unvergleichlichen Holländer am 16 März 1890 von der Bühne Abschied genommen.
    Sein späteres, von uns Allen tief beklagtes Schicksal ist bekannt; weniger bekannt aber, dass ihn auch hier sein Glück nicht verliess; dass sein Leiden schmerzlos war, und dass ein freundlicher Wahn in nicht zum Bewusstsein seines schweren Geschicks hat kommen lassen. Auch sein Lied ist ihm bis zuletzt treu geblieben: noch wenige Wochen vor seinem Scheiden hat er in einem Privat-Konzerte Loewes Archibald Douglas hinreissend schön gesungen. Dann aber hat der Todesengel den Müden sanft entschlummern lassen, seinen sangesreichen Mund für immer geschlossen.


    Ihm, der seinen Sang unermüdlich in den Dienst der Mildtätigkeit gestellt, der mit seiner, auch dem Heiligen gewidmeten Kunst vielleicht mehr Frömmigkeit in den Herzen der Menschen erweckt hat, als mancher Kanzelredner, - ihm hat die katholische, und dann auch die protestantische Geistlichkeit das Begräbnis verweigert. In welchem Lichte erscheint eine solche Unduldsamkeit gegenüber der herzlichen Trauer um den grossen Künstler, den edlen Menschen, wie es in der rührendsten Weise von allen Seiten her sich kundgab! War es eine Vorahnung davon, die ihn so oft singen liess: ›Ich mag in keinem Kreuzgang ruhn, will einst im Walde schlafen‹? So ruht er, mit reichsten künstlerischen Ehren bestattet, auf dem Sachsenberge bei Schwerin, wo er seine Tage beschlossen. Eine Büste, von den Schweriner Kunstgenossen gestiftet, soll dort im Hoftheater sein Andenken wach erhalten. Freunde von nah und fern haben seinem Grabe einen Gedenkstein gewidmet mit der ›Chronika‹ seines Hunold Singuf:


    ›Er war unter seines Gleichen
    Ein Markgraf der Frau Musika
    In ihren blühenden Reichen.‹


    Hans Sommer


    Praktische Hinweise:

    Den kleinen historischen Friedhof findet man in 19055 Schwerin unter der Adresse Wismarsche Straße 393-397. Auf dem weitläufigen Gelände kann man sich mit Hilfe der hier eingestellten Fotos orientieren.




    In allernächster Nähe der Kapelle befindet sich der kleine Friedhof


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    Dank:

    Mein Dank gilt Dr. Ute Lemm für wertvolle Informationen.

    Hans-Christoph Mauruschat stellte zu diesem Beitrag freundlicherweise Unterlagen aus dem Hans-Sommer-Archiv zur Verfügung.

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  • Ljubomir Romansky - *21. Januar 1912 Sofia - † 9. Juni 1989 Gelsenkirchen


    Wenn man auf dem Frankfurter Hauptfriedhof vor diesem Obelisken steht und der älteren Generation angehört, wird man vor allem an die mitunter mühsame Wiederbelebung der klassischen deutschen Musikszene nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert. Ljubomir Romansky gehörte zu den engagierten Musikern dieser Zeit, so war er 1945 von Juli bis November kommissarischer Leiter des Cäcilien-Vereins, der unter abenteuerlichen Bedingungen seine Kunst pflegte.
    Als sichtbares Zeichen der Wertschätzung verlieh ihm 1967 die Stadt Frankfurt am Main für seine Verdienste um die Frankfurter Singakademie die Goethe-Plakette und im Jahre 1976 wurde er für seine Interpretation französischer Musik von der französischen Regierung zum »Ritter des Ordens der akademischen Palmen« ernannt, eine der höchsten Auszeichnungen, welche die Republik Frankreich zu vergeben hat.


    Zum heutigen Geburtstag von Ljubomir Romansky



    Ljubomir Romansky stammte aus gebildetem Hause, sein Vater, Stojan Romansky, war Professor an der Universität von Sofia. Über etwaige musikalische Aktivitäten in der Kinder- oder Jugendzeit ist nichts bekannt.
    Zunächst studierte er Slavistik und Musikwissenschaft an der Universität in Sofia, danach wechselte er nach Berlin, wo er an der Staatlichen akademischen Hochschule für Musik den Schwerpunkt auf Konzert- und Opernleitung legte und zum Dr. phil. promovierte.


    Ab 1940 war Romansky an der Frankfurter Oper tätig, die jedoch 1944 durch Bomben zerstört wurde, und bald danach waren alle Theater in Deutschland kriegsbedingt geschlossen.
    Die Analen der Frankfurter Oper weisen aus wie es nach Kriegsende 1945 weiter ging. Am 29. September 1945 hob Ljubomir Romansky den Taktstock zu einer »Tosca«-Aufführung; das war allerdings im Börsensaal, der als Behelfsbühne diente; die Sängerin Aga Joesten erinnerte sich auf ihre alten Tage an die Bedingungen dieser Aufführung:


    »Ich habe nie zuvor und danach eine so ärmliche Tosca erlebt, fast ohne Kostüme im kalten Saal. Man spielte, sang und hörte in Mänteln, Schals und Handschuhen. Aber der Saal war überfüllt und draußen lauschten die Leute genauso vermummt auf der Straße. Die Menschen waren glücklich, dass sie wieder Kunst hatten«.


    Schon am 3. Oktober folgte Romanskys zweites Dirigat mit »Das Land des Lächelns«.
    Danach dirigiert Romansky in Frankfurt von Januar 1946 bis zum Mai noch »Margarethe«, »Die Fledermaus« und »Zar und Zimmermann«.
    In der benachbarten Landeshauptstadt Wiesbaden war Romansky bis 1948 tätig, und auch in den folgenden Jahren ist zu beobachten, dass er es neben seiner Operntätigkeit stets auch mit Chören zu tun hatte.


    1946 hatte Romansky auch die Leitung der traditionsreichen Frankfurter Singakademie übernommen, die schon 1922 gegründet worden war und unter bedeutenden Gastdirigenten wie zum Beispiel: Karl Böhm, Erich Kleiber, Erich Leinsdorf, Hans Rosbaud, Carl Schuricht, Richard Strauss, Igor Strawinsky ... sang. 1937 wirkte der Chor auch bei der Uraufführung von Orffs »Carmina Burana« mit.
    Unter Romanskys Leitung galt die Frankfurter Singakademie als Spitzenchor, der sich nicht nur im Raum Frankfurt bewegte, sondern auch in großen europäischen Musikzentren Erfolg hatte. Romansky leitete diesen Chor bis 1985.



    Man muss hier nun nochmals auf das meist unter schwierigen Randbedingungen stattfindende Musizieren in der unmittelbaren Nachkriegszeit zurückkommen, wo Orchestermusiker schon mal in Zeitungspapier eingewickelte Briketts mitbrachten, damit der Raum geheizt werden konnte. Unter solchen Bedingungen teilte sich 1947 Romansky mit dem Schweizer Dirigenten Jean Maylan die Leitung des Kölner Rundfunkorchesters.


    Die Stadt Herne übertrug Romansky 1955 die Leitung ihrer Jugendkonzerte und später auch der Sinfoniekonzerte. Und ein Jahr später wurde Romansky schließlich noch Leiter des Städtischen Chores Herne, den er zu einem bedeutenden Oratorienchor formte.
    In einer Publikation der Stadt Herne vom Oktober 1964 findet man eine Würdigung des zehnjährigen Wirkens Romanskys in der Stadt, die auch den damaligen Wirkungskreis des Dirigenten aufzeigt.


    »Bei einer Würdigung des Wirkens von Dr. Ljubomir Romansky in Herne sollte ermutigend gerade von jenem oben angesprochenen Kreis der nie entmutigte, nie erlahmende Aufbauwille dieser Dirigentenpersönlichkeit gesehen werden. Schließlich widmete er sich Herne als Dirigent der Jugendkonzerte und musikalischer Oberleiter der städtischen Chorgemeinschaft neben seinen umfangreichen Aufgaben als Chefdirigent der städtischen Bühnen Gelsenkirchen und als Leiter der Singakademie Frankfurt«.


    Ljubomir Romansky wurde schon 1950 Chefdirigent der Städtischen Bühnen Gelsenkirchen, das war eine Zeit, als diese Stadt die höchste Zechendichte in Europa hatte, eine »Malocher-Stadt«, welche man eigentlich eher mit Fußball und weniger mit Hochkultur assoziierte. Als Romansky hier in den ersten Jahren dirigierte, fanden Opernaufführungen noch in Behelfsspielstätten statt, das waren Situationen, die er von Frankfurt her kannte. Langsam reifte hier die Idee eines Theaterneubaus und es entstand schließlich einer der bedeutendsten Theaterbauten der Nachkriegszeit, der Architekturgeschichte geschrieben hat - die Grundidee ging auf einen Entwurf von Mies van der Rohe zurück - und man hatte hier nicht nur die Theaterkunst im Auge, sondern integrierte bereits zu Baubeginn die Ideen zeitgenössischer Künstler, zum Beispiel die des Ives Klein, was noch dem greisen Architekten Werner Ruhnau einen bis in unsere Tage währenden Rechtsstreit einbrachte. Aber nach diesem kleinen Exkurs wieder zum Gelsenkirchener Wirken von Ljubomir Romansky.
    Am 15. Dezember 1959 wurde dieser visionäre Theaterbau eröffnet; Die erste Opernpremiere im neuen Haus war am 20. Dezember 1959 mit Richard Wagners »Lohengrin« unter der musikalischen Leitung von Ljubomir Romansky. - ein Hauch von Neubayreuth.
    Das Städtische Theater Gelsenkirchen gab es nun auch nicht mehr, aus dieser Institution war nun das MiR geworden, was für Musiktheater im Revier steht.
    Im Mai 1960 führte man unter Romanskys musikalischer Leitung »Wozzeck« von Alban Berg auf, wobei es damals noch als Novum galt - und vermutlich hier erstmals praktiziert wurde -, dass die Oper ohne Pause gespielt wurde; die »Westdeutsche Allgemeine« bemerkte damals, dass das junge amerikanische Ensemblemitglied Marylin Horne in der Rolle der Marie den stärksten Eindruck des Abends vermittelt habe.
    Romansky hob hier auch am 2. März 1961 den Operneinakter »Ariane« von
    Bohuslav Martinů aus der Taufe, da Romansky jedoch die Callas nicht zur Verfügung hatte - wie das Martinů bei seiner Komposition vorschwebte -, übernahm damals Annemarie Dölitzsch, eine Sopranistin, die mehr als drei Jahrzehnte im Revier sang, diese schwere Aufgabe


    Ab1967 war Romansky zusätzlich Genertalmusikdirektor der Stadt Gelsenkirchen und blieb bis zu seiner Pensionierung 1977 in diesem Amt. Der Verein für Gelsenkirchener Geschichte würdigt Romanskys Wirken so:.


    »Der Bulgare Romansky schrieb Musikgeschichte. Er war einer der ersten Dirigenten, die osteuropäische und durch die Nazi-Zeit verdrängte Komponisten hier vorstellte oder neu wertete. Durch seine Leitungstätigkeiten beim Städtischen Musikverein, beim Herner Oratorienchor, der Frankfurter Singakademie und beim J.-Damascenus-Chor (Essen) sorgte er für große oratorische Aufführungen. Am späteren MiR entschied er sich zusammen mit den Intendanten für ein offenes, auch schweres Repertoire - von Mozart bis Hindemith, von Beethoven bis Wagner, von Verdi bis Henze. Die Musik der Gegenwart (Chavez, Baur, Schostakowitsch, Britten u.a.) war ihm eine Verpflichtung. Vor dem Orchester war er der Aristokrat - ein feinsinniger, auf Haltung und Etikette achtender Chef mit Charisma.«


    Seine musikalischen Aktivitäten waren mit dem Ausscheiden aus dem Gelsenkirchner Amt jedoch nicht beendet; in der Konzertrückschau der Frankfurter Singakademie findet man »Ein deutsches Requiem« von Johannes Brahms, das im Juni 1983 zwei Mal unter der Leitung von Ljubomir Romansky in Salzburg aufgeführt wurde.
    Im September 1984 führte er das »Christusoratorium« von Franz Liszt in Frankfurt am Main auf und das gleiche Stück nochmals am 29. April 1986 in Salzburg. Dieses bombastische Werk überschwänglicher Frömmigkeit, an dem Liszt über zwanzig Jahre arbeitete, hatte Romansky schon 15 Jahre vorher, am 18. Januar 1971, in einer denkwürdigen Rundfunkübertragung des Hessischen Rundfunks dirigiert. Prominentester Zuhörer war vermutlich Igor Strawinsky - es war eine Live-Übertragung des ersten Konzerts, das der Hessische Rundfunk im Rahmen der neuen »Internationalen Konzertsaison der Union Europäischer Rundfunkanstalten (European Broadcasting Union / EBU) aus dem großen Sendesaal übertrug.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab befindet sich auf dem Hauptfriedhof in Frankfurt am Main, Eckenheimer Landstraße 194, im Gewann F; man wendet sich vom Haupteingang - Neues Portal - nach rechts.


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    Einmal editiert, zuletzt von hart ()

  • Lieber 'hart',


    herzlichen Dank für die Erinnerung an Ljubomir Romansky!


    Was in Deinem sehr interessanten und natürlich wieder bestens recherchierten Beitrag nur kurz gestreift wurde, ist die Tätigkeit dieses Dirigenten beim 1947 buchstäblich 'aus den Ruinen' wieder erstandenen Westdeutschen Rundfunk (WDR - bis 31. 12. 1955 NWDR Hamburg/Köln). Ljubomir Romansky war der erste 'musikalische Leiter' (heute nennt man das 'Chefdirigent') des neu gegründeten Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchesters und er hat von November 1947 bis November 1949 – neben etlichen Werken des Konzert-Repertoires - auch zehn große Opern-Gesamtaufnahmen dirigiert, die im Erholungshaus der Chemie-Firma Bayer in Leverkusen gemacht wurden, weil das Kölner Funkhaus in der Dagobertstraße im Krieg schwer zerstört worden war. Es handelt sich um die folgenden Werke:


    „Der Widerspenstigen Zähmung“ (Götz) mit u. a. Walburga Wegner, Martha Musial, Hans-Herbert Fiedler, Christo Bajew, Julius Jüllich, Günther Wilhelms und Helmut Fehn (November 1947)


    „Lucia di Lammermoor“ (Donizetti) mit Sári Barabás, Gisela Litz, Christo Bajew, Andrej Christiansen, Günther Wilhelms und Herbert Hess (Februar 1948)


    „Euryanthe“ (Weber) mit u. a. Trude Eipperle, Martha Mödl, Lorenz Fehenberger, Heinrich Nillius und Helmut Fehn (November 1948)


    „Hänsel und Gretel“ (Humperdinck) mit u. a. Käthe Nentwig, Martha Mödl, Aga Joesten, Ilsa Ihme-Sabisch und Robert Blasius (Dezember 1948)


    „Turandot“ (Puccini) mit u. a. Maud Cunitz, Trude Eipperle, Lorenz Fehenberger, Günther Wilhelms, Hans-Herbert Fiedler, Christo Bajew und Peter Offermanns (Januar 1949)


    „Cosi fan tutte“ (Mozart) mit Trude Eipperle, Walburga Wegner, Käthe Nentwig, Franz Fehringer, Willi Domgraf-Fassbaender und Hellmut Schweebs (Februar 1949)


    „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ (Weinberger) mit u. a. Trude Eipperle, Ilsa Ihme-Sabisch, Karl Schmitt-Walter, Julius Katona, Christo Bajew und Georg Hann (Juli 1949)


    „Simon Boccanegra“ (Verdi) mit u. a. Erna Dietrich, Hans Reinmar, Helmut Fehn, Christo Bajew, Robert Blasius und Günther Wilhelms (Juli 1949)


    „Fürst Igor“ (Borodin) mit u. a. Annelies Kupper, Maria von Ilosvay, Robert Blasius, Christo Bajew, Helmut Fehn und Wilhelm Schirp (September 1949)


    „Luisa Miller“ (Verdi) mit u. a. Ilse Hollweg, Ilsa Ihme-Sabisch, Christo Bajew, Heinrich Nillius, Otto von Rohr und Helmut Fehn (November 1949)


    Die Tonbänder der genannten Opernaufnahmen sind m. W. im Archiv des WDR nicht mehr vorhanden. Der Nachfolger von Ljubomir Romansky als musikalischer Leiter des Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchesters (heute das WDR Sinfonie-Orchester Köln) war übrigens Richard Kraus, auch er ein heute leider vollkommen vergessener Dirigent. Von dem Tenor Christo Bajew - ein Landsmann von Ljubomir Romansky - werde ich demnächst in seinem Thread die vielen Opern- und Operettenaufnahmen auflisten, die er hauptsächlich für die Rundfunksender in Köln und Stuttgart gemacht hat.


    Viele Grüße!


    Carlo

  • Ema Destinovà - * 26. Februar 1878 Prag - † 28. Januar 1930 Budweis

    Als die Sängerin ihre große Weltkarriere in Deutschland startete, trat sie unter dem Namen Emmy Destinn auf.


    Zum heutigen Todestag der Sängerin Ema Destinová





    AC ZEMRELI JESTE MLUVI - Text im Schriftband obwohl sie gestorben sind - sprechen sie immer noch




    Sie wurde in eine wohlhabende Familie als Emilie Věnceslava Pavlína Kittlová hineingeboren und war die älteste von fünf Kindern; ihr Vater, Emanuel Kittl, war ein Freund und Förderer der Kultur, seine Frau Jindřiška war eine Sängerin die schon an der Opera Comique in Paris aufgetreten war. Da passte es ausgezeichnet, dass die Tochter künstlerisch vielseitig begabt war, das Mädchen malte auch, fühlte sich dann zur Musik hingezogen und lernte bei Professor Ferdinand Lachner auf dem Konservatorium das Geigenspiel so gut, dass sie bereits als Achtjährige ein Konzert gab.


    Geht man auf diese vielseitige Begabungen etwas näher ein, stellt man fest, dass sie, anstatt Sängerin zu werden, genauso gut Violinvirtuosin, Schauspielerin oder Schriftstellerin hätte werden können, was keine reine Vermutung ist, denn sie war in diesen Bereichen tatsächlich auch erfolgreich; der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, dass sie auch komponierte.
    In Schauspielerei wurde sie von Otylie Sklenarova-Mala unterwiesen, aber letztendlich erkannte man das ungewöhnliche Potenzial ihrer Stimme, sodass das vierzehnjährige Mädchen bei der Mezzosopranistin Marie von Dreger-Loewe, die unter ihrem Künstlernamen Destinn bekannt und eine international agierende Sängerin war, von 1892 bis 1897 Gesang studierte. Sie konnte sich dann später in der weiten Welt und auf den Opernbühnen souverän bewegen, denn sie sprach außer Tschechisch und Deutsch noch fließend Französisch, Englisch und Italienisch.


    Aber nach dieser grundsoliden Ausbildung war der Start auf die Opernbühne eher etwas holprig. Das Große Sängerlexikon schreibt, dass ihr ein Engagement in Prag aus politischen Gründen verwehrt worden sei und lässt die junge Sängerin dann gleich in Berlin auftreten, ohne die Zwischenstation Dresden zu erwähnen. Bei Jens Malte Fischer kann man lesen, dass die Sängerin im Alter von 19 Jahren in Dresden als Santuzza in »Cavalleria rusticana« debütierte.
    Folgt man nun wieder dem Großen Sängerlexikon, dann hatte Emmy Destinn - so ihr Künstlername, den sie als Hommage an ihre Lehrerin, mit deren Zustimmung, gewählt hatte - im August 1898 als Santuzza in »Cavalleria rusticana« zunächst einen Auftritt an der Berliner Kroll-Oper und trat in dieser Rolle dann bereits im nächsten Monat an der Berliner Hofoper auf, deren Mitglied sie bis 1908 blieb; Leute, die darüber Buch geführt haben geben an, dass Destinn an der Hofoper 43 Rollen sang und insgesamt 706 Mal dort aufgetreten ist.
    In einer Zeitspanne von zehn Jahren kann man eine Menge singen!
    Und 1901 war für sie - nach Aufforderung von Cosima Wagner, die dort zusammen mit ihrem Sohn den »Holländer« inszenierte - auch noch ein Abstecher nach Bayreuth möglich, wo erstmals seit der Uraufführung 1843, »Der fliegende Holländer« aufgeführt wurde und sie als erste und jüngste Senta von Bayreuth zusammen mit Anton van Rooy auf der Festspielbühne stand.


    In Berlin waren für die Sängerin interessante Aufgaben zu bewältigen; dabei Uraufführungen berühmter Werke, die heute noch Bestand haben, aber auch Werke von berühmten Komponisten, deren Opern dann in Vergessenheit geraten sind, als Beispiele seien die Uraufführungen von Leoncavallos »Roland von Berlin« (1904) und Humperdincks »Heirat wider Willen« (1905) genannt.
    Eine großartige Sache war für Emmy Destinn die Gestaltung der Salome bei der Erstaufführung dieser Oper in Berlin, wobei es im Vorfeld einige Schwierigkeiten gab, weil seine Majestät dem Werk nicht gewogen war, aber dem Hofintendanten von Hülsen-Haeseler die rettende Inszenierungsidee kam, über der Leiche Salomes den Stern von Bethlehem aufgehen zu lassen; erst dann war es Hofkapellmeister Richard Strauss möglich, sein Werk im Dezember 1906 an der Berliner Hofoper zu dirigieren. Auch als Strauss am 8. Mai 1907 im Théâtre du Châtelet in Paris seine deutsche Version der »Salome« erstmals in der französischen Hauptstadt dirigierte, sang Emmy Destinn die Titelpartie. Man ist sich in der Literatur einig, dass sie die Salome nicht sehr lange sang, wenn es jedoch um genaue Angaben geht, wird einmal gesagt, dass sie die Salome unter Strauss in allen neunzehn Berliner Vorstellungen und sieben Mal in Paris gesungen hat; in einer anderen Publikation wird lapidar dargestellt, dass Emmy Destinn die Salome nur in zwölf Aufführungen sang.
    An der Berliner Hofoper schätzte man neben ihren stimmlichen Qualitäten, dass sie eine ideale »Einspringerin« war, denn sie verfügte auch über die Möglichkeit innerhalb von wenigen Tagen neue Rollen zu lernen und sie sprang sogar erfolgreich ohne Probe in »Tannhäuser«, »Faust« und »Freischütz« ein. Die Bandbreite ihrer Stimme war enorm, sie konnte praktisch fast alles singen und hätte sich auch auf Wagner-Rollen spezialisieren können, was sie jedoch nicht tat.


    Man sollte noch erwähnen, dass Emmy Destinn sich auch als Konzertsängerin betätigte, damals war es ja in Berlin üblich, dass in jedem Monat der Konzertsaison mehrere Liederabende stattfanden. Am 18. November 1898 wurde in Berlin die Oper »Don Quixote«, ein Werk von Wilhelm Kienzl, uraufgeführt. Bei dieser Gelegenheit lernten sich Kienzl und Destinn kennen, wobei der Komponist in der jungen Sängerin eine Interpretin seiner Lieder sah. Neben seinen bekannten Opern hatte Kienzl mehr als 200 Lieder geschrieben und war mit seiner Frau, einer Sängerin, die er als Lili Hoke in Bayreuth kennenlernte, mit Liederabenden unterwegs gewesen. Als Kienzls Frau des Reisens müde und kränklich war, fand er in Emmy Destinn eine geeignete Konzertpartnerin. Die Konzerte begannen 1903 in Berlin und führten durch mehrere Städte in Deutschland und Österreich, und 1905 nochmals nach Berlin.
    Kienzl hat auch einen Text von Emmy Destinn als Lied vertont »Deine Träume« op. 71,1


    Wie deine Hände leis´ die Tasten streifen,
    zieht´s Seufzer gleich und müd´ durch mein Gemüt ...
    o könnt´ ich jene Träume fest ergreifen,
    die deiner stillen Sehnsucht stets geglüht!
    Neig´ deine Lippen denn zu heißen Küssen
    den meinen zu und lass´ mich schnell vergeh´n ...
    was du erlebt, ich will es niemals wissen,
    nur deine Augen will ich dunkeln seh´n.


    In ihren Berliner Jahren war Dastinn zum Star gereift und hatte in glänzenden Rollen Furore gemacht; in dieser Zeit erschien in der Zeitschrift »Berliner Leben« eine Homestory - ihre Berliner Adresse war im Villenensemble ›Begaswinkel‹ Genthiner Straße 13 - sie hatte zum Fototermin in ihr japanisches Zimmer gebeten, wo Emmy Destinn mit Fräulein Janke, vermutlich ihre Hausdame, bei einer japanischen Teezeremonie im Kimono und Blumenschmuck im Haar in der Illustrierten zu bewundern ist.


    Emmy Destinn hatte ja in der Londoner Premiere von »Madame Butterfly« am 18. Juli 1905 in Covent Garden die Titelrolle gesungen, an ihrer Seite immerhin Enrico Caruso und Antonio Scotti. Die Kritik schrieb damals:


    »Puccini könnte diese Musik nur für sie geschrieben haben, so wundervoll passte sie zu der unbeschreiblichen, silbernen Qualität ihrer Stimme. Mit ihrem ›Un bel die‹ entfachte die Destinn eine derart akute Aufregung und wusste einen so starken und schmerzlichen Sinn für Mitleid auszulösen, dass die Tränen in Logen, Parkett und Galerie ohne jede Zurückhaltung flossen.«


    Die damals 60-jährige englische Königin Alexandra soll bei allen »Butterfly«-Vorstellungen anwesend gewesen sein.
    Allerdings war das nicht Destinns erster Auftritt in Covent Garden, bereits im Mai 1904 hatte sie hier als Donna Anna in »Don Giovanni« ihr Debüt an diesem Opernhaus gehabt. Man kann es hier gleich vorweg nehmen; sie soll in den Jahren zwischen 1904 und 1919 in London insgesamt 225 Mal in 18 Opern aufgetreten sein.


    Emmy Destinn war nun unbestritten ein internationaler Opernstar und musste unbedingt an die »Met» nach New York, wo sowohl Ruhm als auch Geld zu erwarten war. Am 16. November 1908 konnte Emmy Destinn an der Metropolitan Opera als Aida ein glänzendes Debüt feiern; an ihrer Seite Enrico Caruso, am Dirigentenpult Arturo Toscanini. Eine Statistik sagt, dass Destinn acht volle Spielzeiten an der »Met« in 22 verschiedenen Rollen bei 247 Auftritten absolviert hat. Die in der Literatur genannten Zahlen divergieren mitunter etwas, weil da auch Auftritte in Chicago, Philadelphia ... oder Konzertabende dabei sind, so hat sie beispielsweise auch sieben Mal Verdis Requiem gesungen. Emmy Destinn bereiste schließlich die USA kreuz und quer und war auch in Kanada. Unabhängig davon, wie genau nun die genannten Zahlen sind, es ist eindeutig zu sehen, dass das künstlerisch wie monetär ergiebige Ausflüge nach Amerika waren.


    Der künstlerische Erfolg kommt in einer Verlautbarung des Musikkritikers Richard Aldrich von der New York Times zum Ausdruck, der einmal schrieb:


    »Frau Destinn, die neue dramatische Sopranistin aus Berlin ... hat eine Stimme von großer Kraft, Körper und lebendiger Qualität, dramatisch im Ausdruck, flexibel und ganz ihren Absichten unterworfen, die die einer Sängerin mit scharfem musikalischem Gefühl und Intelligenz sind«.


    In diesem Rahmen ist nur möglich auf einige wenige Highlights ihrer künstlerischen Tätigkeit in Amerika hinzuweisen. 1908 sang sie die Martha in der amerikanischen Erstaufführung von d´Alberts »Tiefland«. Und sie war auch die Marie in Smetanas »Die verkaufte Braut«, die am Freitagabend des 19. Februar 1909 unter der Leitung von Gustav Mahler - in deutscher Sprache - aufgeführt wurde; prädestiniertere Protagonisten als Mahler und Destinn sind für dieses Werk kaum vorstellbar.


    Ein ganz großes Ereignis war für das Jahr 1910 geplant; die Uraufführung einer Puccini-Oper in New York; Puccini stand damals im Zenit seiner Popularität, hatte aber zu Hause mit ernsten Turbulenzen zu kämpfen, die in stark belasteten.
    Während er im Mai 1910 noch am 3. Akt arbeitete, wurde mit der Metropolitan Opera ein Vertrag über die Uraufführung von »La fanciulla del West« im Dezember des gleichen Jahres geschlossen. Am 10. Dezember war es dann so weit, Emmy Destinn sang die Minni und Enrico Caruso war wieder einmal ihr Partner und Toscanini sorgte für den guten Ton im Orchester.


    Natürlich war Emmy Destinn in den Jahren ihrer amerikanischen Saisonarbeit auch in Europa tätig wo sie in den Jahren 1913/14 auf ganz anderem Gebiet spektakulär in Erscheinung trat; sie wirkte in einem Stummfilm mit, der von Oktober bis Dezember 1913 im Bioscop- Atelier von Neubabelsberg gedreht wurde, im Frühjahr1914 in die Kinos kam und recht erfolgreich war. In der Filmfachzeitschrift »Der Kinematograph« wurde der Film so beworben:


    »Die größte Sensation des Winters: Emmy Destinn im Löwenkäfig
    Das Filmdrama ›Die Löwenbraut‹ nimmt unter den Erzeugnissen der letzten Jahre schon aus dem Grunde eine besondere Stellung ein, weil darin eine Künstlerin von Weltruf nicht in einer für sie geschriebenen Rolle auftritt, sondern sich selbst spielt, Wir begegnen der großen Sängerin Emmy Destinn in dem Stück mehrmals in eigener Person und zwar im Konzertsaal und - im Löwenkäfig, wo sie vor einem Auditorium von wilden Bestien die Mignon-Arie singt«
    .


    Auf den dazugehörigen Fotos ist ein Löwenkäfig zu sehen, in dem eine Pianistin, von der man nur die Rückenansicht sieht, Klavier spielt, während ein mächtiger Löwe auf dem Klavier liegt und die Sängerin am Klavier steht und singt. Im anderen Bild greift die Sängerin lächelnd in die Löwenmähne. Dieses Engagement soll Frau Destinn 2.500 englische Pfund beschert haben.
    Auf einer kolorierten Lithografie wird die Szene noch dramatischer dargestellt, da steht einer der Löwen sogar ganz oben auf dem Klavier und die Bildunterschrift lautet hier: »La celebre cantante Emma Destinn canta a Berlino in una gabbia con 14 leoni per una scena da cinematografo«.


    Das war Dramatik im Kino; Dramatik auf der Weltbühne zeichnete sich ab, am 28. Juli 1914 erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg, an welchem letztendlich 40 Staaten in unterschiedlicher Form beteiligt waren; ab 1917 wollten die USA dann auch noch dabei sein. Diese Ereignisse sollten auch auf das Leben und die Karriere von Emmy Destinn einen erheblichen Einfluss haben. Nach der New Yorker Saison 1915-1916 kehrte sie in das vom Krieg gebeutelte Europa zurück.
    Sie war im damaligen österreichisch-ungarischen Reich geboren, wo sich allmählich ein gewisses Nationalbewusstsein entwickelte, was als »nationale Wiedergeburt« bezeichnet wurde. Sie war als tschechische Patriotin bekannt und trug auf heimischen Bühnen gern einen Gürtel in den Landesfarben Blau, Rot und Weiß und beendete ihre Konzerte immer mit der Nationalhymne »Kde domov muj« (Wo ist meine Heimat? oder wo ist mein Heim?). Die älteste Aufnahme dieses Musikstücks stammt aus dem Jahr 1914 - gesungen von Ema Destinnová und ihrem Kollegen, dem algerisch-französischem Bariton Dinh Gilly.


    Als sie 1916 wieder nach Europa kam, wurde ihr der Kontakt zur patriotischen Widerstandsbewegung der Tschechen zum Verhängnis, denn man entzog ihr die Reisedokumente und damit war sie praktisch in ihrem südböhmischen Sommersitz, dem Schloss Stráž nad Nežárkou, interniert, wo sie das Schicksal der Gefangenschaft mit ihrem engen Freund Dinh Gilly teilte.
    Ema Destinová nutzte die Zeit des Freiheitsentzugs für schriftstellerische, kompositorische und pädagogische Arbeit. Gegen Kriegsende durfte die Sängerin zumindest in Böhmen und am Nationaltheater Prag wieder auftreten.
    Während ihrer zweijährigen Abwesenheit von der Weltbühne waren Sängerinnen der nachdrängenden Generation rasch in die entstandene Lücke geschlüpft, zum Beispiel Rosa Ponselle *1897 / Claudia Muzio *1889 / Maria Jeritza *1887 / Frieda Hempel *1885 / Geraldine Farrar 1882.
    In einer Publikation ist zu lesen, dass Ema Destinová im Herbst 1921 mit einer Reise nach Amerika ihre künstlerische Betätigung abgeschlossen habe, aber da ist ja in der Saison 1922/23 noch von einer Konzerttournee zu berichten, welche Destinn nach Kopenhagen, Stockholm und Oslo führte.

    In ihren jungen Jahren standen eine Menge Verehrer zur Verfügung, in der Literatur wird auch kolportiert, dass ihr Caruso einen Heiratsantrag gemacht haben soll, das Verhältnis zu Dinh Gilly - der verheiratet war - wurde bereits angesprochen.
    Im September 1923, im Alter von 45 Jahren, konnte sich die weitgereiste Sängerin ein Leben zu zweit vorstellen und heiratete den wesentlich jüngeren Luftwaffenpiloten Josef Halsbach - das Hochzeitsfoto zeigt die Braut in Weiß und den Bräutigam in Uniform. Die Verbindung hatte keinen Bestand; in der Beschreibung ihres Lebens heißt es: »Nachdem Halsbach die Fragilität ihrer finanziellen Situation eingeschätzt hatte, verließ er sie« ...


    Ihr Leben war ruhiger geworden, sie hatte noch bei regionalen Veranstaltungen wie in Pilsen oder Brno gesungen, wo sie begeistert gefeiert wurde, aber die große Weltkarriere war zu Ende. Ein letzter großer Augenblick ergab sich noch 1928. In der Londoner Queen´s Hall wurde im Oktober das zehnjährige Jubiläum der tschechischen Selbständigkeit mit einem Konzert von Ema Destinová begangen.


    Im Jahr1908 war Destinn zum ersten Mal in diese Gegend Südböhmens gekommen und hatte mit dem Gedanken gespielt, sich ein Refugium in der freien Natur zu schaffen. 1914 hat sie dann das Schloss Stráz erworben; der nahe Fluss und die umliegenden Teiche hatten es ihr angetan, sie war eine leidenschaftliche Fischerin, die stundenlang im Boot oder am Ufer sitzen konnte, ein echtes Kontrastprogramm zu den Opernhäusern und den Konzertsälen der Welt.


    Ema Destinová starb unerwartet an einem Schlaganfall in Ceské Budêjovice als sie einen Arzt aufsuchte, andere Quellen sagen, dass sie während einer Augenoperation starb.


    Ihre Stimme ist in vielfältiger Weise auf Tonträgern mit recht breitgefächertem Repertoire erhalten, darunter als Besonderheit: Eine »Carmen«-Gesamtaufnahme in deutscher Sprache aus dem Jahr 1908, die als älteste kommerzielle Gesamtaufnahme einer Oper gilt.
    1979 wurde in der CSSR ein Film mit dem Titel »Schicksal einer Sängerin« (Spieldauer 113 Minuten) gedreht, der Teile des Lebens von Ema Destinová zeigt.


    Anmerkung zur Schreibweise des Namens:
    Während der internationalen Karriere benutzt die Künstlerin den Namen Emmy Destinn.
    Auf der Gemeinschaftsgruft steht EMA DESTINOVÁ, und unterhalb ihrer Büste am Prager Wohnhaus EMA DESTINNOVA


    Eingang zum Vyšehrader Friedhof


    Praktische Hinweise:
    Die letzte Ruhestätte von Ema Destinová befindet sich auf dem Vyšehrader Friedhof in Prag, der oberhalb der Stadt liegt. Der Friedhof ist in unmittelbarer Nachbarschaft der Kirche Peter und Paul. Dortselbst geht man vom Hauptweg aus zum Slavin; das ist eine Gemeinschaftsgruft berühmter tschechischer Persönlichkeiten.


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  • Jarmila Novotná - *23. September 1907 Prag - † 9. Februar 1994 New York City


    Es hat sich einfach so ergeben, dass in diesem Thread nun Jarmila Novotná auf Ema Destinová folgt, weil die Todestage der beiden tschechischen Sängerinnen so nahe beieinander liegen. Beide Sängerinnen haben äußerst interessante Biografien, aber Jarmila Novotná hatte durch die Entwicklung moderner Verkehrswege und einer rasanten Entwicklung der Filmindustrie ganz andere Möglichkeiten der Präsentation. Dennoch wurde ihre Popularität in Europa durch den Zweiten Weltkrieg stark eingeschränkt.



    Zum heutigen Todestag von Jarmila Novotná - das Foto zeigt ihre Ruhestätte



    Als Jarmila in Vinohrady, einem Stadtteil von Prag, geboren wurde, betrieb ihr Vater, Josef

    Novotny, eine Damenschneiderei - »mit tadellosem Geschmack und einer großen Kundschaft«, wie sich Jarmila Novotna später erinnerte. Die Mutter Josefa war eine recht tüchtige Frau, die auf Gehorsam großen Wert legte, was man nachvollziehen kann, wenn man das Familienbild betrachtet. Sie achtete darauf, dass ihre Töchter eine Portion Bildung mitbekommen - Jarmila hatte eine Schwester, Pavla, die anderthalb Jahre älter war als sie - und erklärte, dass Musisches im Leben so wichtig ist wie das Essen auf dem Tisch. Bei ihrem jüngsten Töchterchen rannte Josefa offene Türen ein - als das Mädchen etwa drei Jahre alt war sang es am laufenden Band, wann immer es eine Gelegenheit gab sang sie.


    Das Geburtsdatum erklärt es, Jarmila war sieben Jahre alt als der erste Weltkrieg begann. Mit einem Schlag veränderte sich die Familiensituation; der Vater wurde sofort in die Armee eingezogen. Jetzt war das Management von Mutter Josefa gefragt, sie war auf einem Bauernhof in der Nähe von Prag aufgewachsen und konnte Essbares organisieren, manchmal sogar eine Gans, wie sich der Opernstar - dieser Begriff wird hier ganz bewusst gewählt - noch erinnerte.


    Aber die nun alleinerziehende Mutter liebte auch die Musik, und so achtete sie darauf, dass ihre beiden Töchter sich einem Musikinstrument widmen. Bei der älteren Schwester war es die Zither, Jarmila lernte Klavier. In der Schule lernten sie Deutsch, aber Mama achtete darauf, dass die Mädchen noch zusätzlich Unterricht in Französisch bekamen. Anscheinend kam der Vater nie auf Urlaub, denn Jarmila Novotná berichtet: »Aufgrund des Krieges kam mein Vater nie zu uns, bis sich das Schicksal Böhmens für immer änderte«.


    Vater und Töchter waren begeisterte Sokol-Mitglieder, - eine Vereinigung sehr nationalistischer Turnverbände - dass Jarmila turnerisch was konnte, belegen Fotos aus den 1940er Jahren. Als Masaryk, der erste tschechische Präsident, 1918 in Prag empfangen wurde, war der Vater mit seinen Töchtern ganz vorne mit dabei. Josef Novotny hatte stets etwas mit solchen Veranstaltungen zu tun und fädelte auch den Kontakt zum damaligen Weltstar Ema Destinová ein.


    Neben den sportlichen Aktivitäten hatte Jarmila auch einen besonders intensiven Kontakt zu ihrer Lehrerin Jarmila Brojova, die bemerkte, dass sie es hier mit einer besonderen Begabung zu tun hatte. In der Schule wurden seinerzeit noch viele Tänze und Volkslieder eingeübt und Frau Brojova machte das offenbar so gut, dass ihre Gruppe auch zu anderen Schulen eingeladen wurde, wobei Musterschülerin Jarmila oft ein Solo singen musste - oder durfte. Aber sie war nicht nur vorbildlich im Singen und Turnen, sie war auch die Schnellste, wenn es darum ging für die Soldaten im Krieg Socken zu stricken.
    Jarmila Brojova bestätigte später - es war ein lebenslanger Kontakt zwischen Lehrerin und Schülerin - dass das Mädchen bereits in der fünften Klasse die Rolle von Mařenka in »The Bartered Bride« gelernt hatte.
    Auch die Lehrerin an der Mittelschule, Maria Maŝková, erkannte das Talent und brachte die noch nicht ganz Zwölfjährige zu einer Gesangslehrerin, um deren Meinung einzuholen. Die Gesangslehrerin war durchaus beeindruckt, warnte jedoch davor, zu früh zu beginnen.
    Die Liebe zur Musik wuchs, auch weil die Eltern mit ihren Töchtern sehr oft zu Vorstellungen der Nationaloper gingen.


    Jarmilas Lieblingsoper war damals Tschaikowskys »Eugene Onegin«; natürlich wurde das Gehörte sofort nachgesungen.


    Seit ihrer Kindheit hatte sich in Sachen Singen nichts geändert, sie war ständig am Singen, und das an der Öffentlichkeit, in Theatergruppen. Da war mit vierzehn die Hauptrolle in einer Operette, mit fünfzehn sang sie mal wieder in Smetanas »The Bartered Bride« und im Studentenchor sang sie Weihnachtslieder im Stadttheater des Prager Bezirks Vinohrady. Hier war nun echte Theaterluft, sie war fasziniert, dieses Milieu ließ sie dann nie wieder los.
    1922 wurde sie am Nationaltheater als Lehrling angenommen. Sie hatte dort Gelegenheit gute Schauspieler während der Proben zu beobachten und dann bekam sie sogar kleine Rollen. Nach Beendigung der Schule hatte sie am Prager Konservatorium vorgesprochen, wurde aber ihrer Jugend wegen dort nicht akzeptiert. Aber sie lernte zunächst auf unterschiedliche Weise in den Theatern der Stadt, die für eine Million Einwohner mit dem Deutschen Opernhaus sogar ein drittes Opernhaus hatte.


    So wie der Papa vor Jahren beim Einzug des Präsidenten bei den Organisatoren war, nutzte er die Gunst der Stunde, als Ema Destinová in die Stadt kam, um in einer Sokol-Produktion von Smetanas »Libuše« zu singen. Er fragte die Weltberühmte ob sie bereit wäre seine Tochter mal anzuhören; die Destinová willigte ein; zwei Tage später begaben sich dann Vater und Tochter zum Hotel von Ema Destinová.
    Jarmila Novotná brachte zuerst Dvořáks Mondlied aus »Rusalka« zu Gehör, dann Tatjanas Briefszene aus »Eugene Onegin«.
    Häufig wird in der Literatur dargestellt, dass Frau Destinová die Gesangslehrerin von Jarmila Novotna gewesen sei, was bei Lichte besehen nicht der Fall war. Ema Destinová erklärte sich bereit, für die Dauer ihres Aufenthalts in der Stadt für einige Stunden mit Jarmilia zu arbeiten; empfahl jedoch für eingehende Gesangsstudien eine geeignete Person vor Ort zu konsultieren. Mit Hilbert Vávra, einem Bariton des Nationaltheaters, war ein geeigneter Lehrer rasch gefunden. Die Arbeit ging gut voran und bereits im Oktober 1924 gab die nun 17-Jährige ihr erstes Konzert im Mozarteum zu Prag.
    Das Programm bestand aus Liedern von Beethoven und Schubert, sowie Liederzyklen und Arien von Smetana und Dvořák.


    Als Hilbert Vávra am Provinztheater in Louny, unweit von Prag, auftrat, ließ er seinen Schützling die Rosina im »Barbier von Sevilla« und die Violetta zu seinem Germont in »La Traviata« singen. Einige Mitglieder des Nationaltheaterorchesters hatten an den Aufführungen teilgenommen und berichteten zu Hause dem Direktor von dem guten Auftreten der jungen Dame. Prompt bot man ihr die Rolle der Mařenka in »The Bartered Bride« an, allerdings für eine Nachmittagsvorstellung, es war der 27. Juni 1925; ihre Sportsfreunde waren mit starkem Aufgebot erschienen, sodass Beifall garantiert war, aber auch die Presse berichtete von einem guten Eindruck.
    Der Theaterdirektor war mit ihrer Leistung so zufrieden, dass er ihr schon für den 3. Juli anbot die Violetta zu singen, Hilbert Vávra sollte wieder den Germont geben, das war eine gewohnte Partnerschaft, aber der Alfredo machte Sperenzchen, es war der Tenor Otakar Mařák, damals ein international bekannter Sänger, der es unter seiner Würde fand mit so einer Anfängerin auf der Bühne zu stehen, anstatt Hilfestellung zu geben, baute er Schikanen ein. Aber im Anschluss daran wirkte Jarmila Novotná erstmals in einem Film mit, kein bedeutender Streifen, aber sie hatte zumindest auch mal in diese Metier hinein geschnuppert; diesbezüglich sollten noch größere Taten folgen. Auf der Opernbühne ging es mit der Königin der Nacht in der »Zauberflöte« weiter.


    Als eigentliches Bühnendebüt von Novotna am Nationaltheater Prag wird ihre Violetta in »La Traviata« angegeben; danach heißt es im Großen Sängerlexikon lapidar:
    »Die Sängerin wurde schnell bekannt, nachdem sie weitere Studien in Mailand betrieben hatte«.
    Was sich hinter so einem schlichten Satz verbergen kann, sei einmal kurz beleuchtet:
    Diese Studien hatten ihre Hürden und Tücken. Jarmila Novotná kam nicht mit leeren Händen nach Mailand, sie besaß Empfehlungsschreiben von Franz Schalk, einem Dirigenten, der auch mal langjähriger Dirigent der Wiener Staatsoper war. Zunächst wandte sich Jarmila mit ihrem Empfehlungsbrief an Mario Sammarco, einem berühmten Bariton der Mailänder Scala. Nachdem sie ihm vorgesungen hatte, meinte dieser »Sehr schön, sehr schön. Wir werden diese und jene Rolle studieren«. Dies war jedoch nicht Jarmilas Bestreben, sie sagte ihm, dass sie nicht nach Mailand gekommen sei um Rollen zu studieren, sie sei gekommen, um singen zu lernen; bis dahin war das eine Enttäuschung. Jarmila beriet sich mit ihrer Mutter, die Damen hatten noch ein Empfehlungsschreiben an Maestro Antonio Guarnieri, der damals Dirigent an der Scala war, in petto und man beschloss diesen aufzusuchen. Ihm vorzusingen war zunächst nicht möglich, weil er kein Klavier zur Verfügung hatte. Guarnieri wusste jedoch Rat; etwas über den Flur wohnte das Sängerpaar Maria Gay - eine berühmte spanische Mezzosopranistin - und der Tenor Giovanni Zenatello, die ein Klavier hatten. Nachdem sie hier ihre Gesangsprobe geleistet hatte, kam dem Sängerpaar die zündende Idee, dass aus Jarmila eine gute Gilda werden könne, denn Zenatello und Gay planten für den nächsten Sommer in der Arena von Verona »Rigoletto« aufzuführen. Mit dem gleichen Einwand, den sie bereits bei Mario Sammarco formuliert hatte, wies sie dieses Ansinnen zunächst ab, ließ sich dann aber doch überreden, als die beiden vorgaben genau den richtigen Lehrer für sie zu kennen. Raffaele Tenaglia, so sein Name, übte mit Jarmila und stellte irgendwann fest, dass sie gute Fortschritte macht. Mit diesem Lob im Rücken, suchte Jarmila mit ihrer Mutter wieder Maestro Guarnieri auf, der in Pesaro zu dirigieren und wenig Zeit zur Verfügung hatte; aber für eine Gesangsprobe reichte es - Guarnieris Urteil war niederschmetternd, er sagte, dass Maestro Tenaglia sie in die falsche Richtung geführt habe und gab den Rat: »Ich rate Ihnen, nicht mehr mit ihm zu lernen«.


    Man kann die Geschichte in diesem Rahmen nicht weitererzählen, es würde dauern ... aber die Story hat ein Happy End; Jarmila Novotná stand im August 1928 tatsächlich als Gilda auf der Bühne in der Arena von Verona, an ihrer Seite Lauri-Volpi als Herzog.
    Dieser Auftritt als Gilda hatte der jungen Sängerin starke Aufmerksamkeit gebracht und bei den Interessenten waren erste Adressen dabei, die sich für sie interessierten. Franz Schalk wollte sie an der Wiener Staatsoper haben, aber auch Bruno Walter hätte sie gerne an die Charlottenburger Oper in Berlin geholt. Schließlich hatte sie dann ihr Berliner Debüt im September 1929 an der Krolloper, wo Klemperer noch am Überlegen war ob sie erstmals in »Rigoletto« oder der »Zauberflöte« singen sollte; dann debütierte sie schließlich in Ravels Einakter »L´heure espagnole«; das ergab sich so, weil Gustav Gründgens mit der Inszenierung von drei französischen Kurzopern dort seinen Einstand gab.
    Die junge Opernsängerin war von Berlin recht angetan und das vielfältige kulturelle Angebot beeindruckte sie sehr; in einem Interview fragte sie einmal in späteren Jahren:
    »Können Sie sich vorstellen, wie diese Berliner Tage waren? Mit Otto Klemperer, Erich Kleiber, Felix Weingartner, Leo Blech, Alexander von Zemlinsky, Bruno Walter und Erich Wolfgang Korngold als Dirigenten zu arbeiten. Und dann war da noch Max Reinhardt!«


    Sinnigerweise wohnte sie während ihrer Berliner Zeit in der Prager Straße, was sie sehr amüsant fand. Um ihr Deutsch zu verbessern und sich besser zurechtzufinden, hatte Novotná schon von Prag aus eine Witwe engagiert, welche sie in Berlin unterstützte, damit sie sich voll auf ihre künstlerische Arbeit konzentrieren konnte.


    In diese Zeit fallen auch Auftritte unter Max Reinhardt, die für ihre Entwicklung als Schauspielerin von entscheidender Bedeutung waren, letztendlich wirkte sie in mehr als einem Dutzend Filme mit, wovon man »Die verkaufte Braut« (1932) von Max Ophyls - als erste Filmoper überhaupt - besonders erwähnen sollte; aber auch »Die Gezeichneten«, ein Film, der 1947 im zerstörten Deutschland gedreht wurde - und besonders für Opernfreunde, »Der große Caruso« (1951) mit Mario Lanza.


    Während ihrer Berliner Jahre hatte sie am 16. Juli 1931 in Prag den um 17 Jahre älteren adligen George Daubek geheiratet, der gerne gehabt hätte, dass seine Gattin zukünftig nur noch die Rolle der Ehefrau und Mutter spielt, was nicht im Sinne Jarmilas war; es fügte sich gut, dass sie ihre Schwiegermutter auf ihrer Seite hatte, die von den Möglichkeiten einer Sängerin sehr angetan war.
    Jarmila Novotná hatte sich in Berlin eine fabelhafte Position erarbeitet, war zur Staatsoper gewechselt und konnte mit erstklassigen Künstlern zusammenarbeiten. Reinhardt, der wohl seinerzeit beste Regisseur, hätte sie fast der Opernwelt entzogen, indem er bekundete sie zur »größten Schauspielerin der Welt« machen zu wollen; in einer Produktion von Offenbachs »La Belle Helene« arbeitete sie erstmals 1931 für Reinhard.


    In diesem Rahmen können nicht alle Aktivitäten der Künstlerin beleuchtet werden, aber ihr Debüt an der Wiener Staatsoper sollte erwähnt werden, am 16. Juni 1933 debütierte sie an der WSO in »Madame Butterfly«. Es folgten noch 123 Vorstellungen in mehr als einem Dutzend anderer Rollen, wovon »Giuditta« mit 44 Auftritten besonders zu Buche schlägt; die Uraufführung fand unter der Leitung von Franz Lehár am 20. Januar 1934 statt, Novotnas Partner war Richard Tauber. Es war ein späteres Werk Lehárs, wo er versuchte Elemente der Operette mit denen der Großen Oper zu verflechten.


    Jarmila Novotná galt allgemein als Schönheitsideal und ist - wie ihre Vorgängerin Destinová auch, aber aus anderem Grunde - auf einer tschechischen 100-Kronen Banknote von 1931 zu finden. Der Künstler Max Švabinský benötigte ein schönes Modell, eine künstlerische Ehrung war damit nicht verbunden.
    Für alle Opernhäuser der Welt galt, dass man Jarmila Novotná mit ihrer schlanken Figur ganz bevorzugt in sogenannten »Hosenrollen« einsetzte, aber noch war sie nicht in aller Welt zu Hause, was jedoch bald gezwungenermaßen kommen sollte.


    Die meisten der oben erwähnten Künstler - also Klemperer, Walter, Zemlinsky ... wurden ab 1933 in Berlin ihres Lebens nicht mehr froh und auch Jarmila Novotná war ins Visier der Presse geraten; in Prag hatte sie bei einer Aufführung von Beethovens Neunter Symphonie in tschechischer Sprache gesungen, was als Affront gegen die deutsche Nation angeprangert wurde; auch das Sopransolo in Mahlers Vierter Symphonie mit den Berliner Philharmonikern hatte sie auf Bruno Walters Bitten gesungen, wobei die einschlägige Presse die Zusammenarbeit mit Juden missbilligte - die Atmosphäre wurde in Berlin von Tag zu Tag unangenehmer. Es lag nahe, sich nach Wien zu verändern, wo sie ab 1933 gut zu tun hatte, auf die Anzahl ihrer Vorstellungen wurde oben bereits hingewiesen, hier erfolgte auch die Ernennung zur Kammersängerin.
    Während der Salzburger Festspiele 1937 gab Novotná die Pamina in »Die Zauberflöte«, wo sie mit Kipnis, Konetzni, Domgraf-Fassbaender, Roswaenge ... auf der Bühne stand und Arturo Toscanini dirigierte, der ihr dann auch den Weg in die USA ebnete.


    Als im März 1938 deutsche Truppen in Österreich einmarschierten, war das für Familie Daubek - sie hatten inzwischen zwei Kinder - keine gute Nachricht, weil man ja wusste, wie das in Berlin gelaufen war. Die begehrte Sängerin war viel unterwegs, so auch im Sommer 1939; während ein Teil der Familie in Belgien weilte, war Novotná mit ihrem Mann am 31. August in Scheveningen, um unter Bruno Walter in »Die Hochzeit des Figaro« zu singen. Nun war man gespannt auf die Rezension in der Zeitung, aber da erschien eine weit wichtigere Nachricht - die Deutschen waren nun auch in Polen einmarschiert. Nun schien wirklich Eile geboten, um von hier wegzukommen. Vor dem Reiseantritt in Rotterdam war es zwar sehr aufgeregt zugegangen, aber die »Nieuw Amsterdam« war ein sehr elegantes und neues Schiff, das bei der Überfahrt alle Bequemlichkeit bot. Als am 23. September die Bordkapelle auf hoher See »Happy Birthday« intonierte, schaute sich Jarmila Novotná zunächst mal fragend um. wem das wohl gelten mag, im Trubel des Aufbruchs hatte sie ihren Geburtstag ganz vergessen.

    Erfreulicherweise stand bei der Ankunft in New York ein Konzertagent am Pier, der sie händeringend bat sofort nach San Francisco zu fahren, eine Dreitagesreise, die mit dem Zug absolviert werden musste. In San Francisco war man in einer Notsituation, weil wegen des Krieges italienische Sänger nach Hause fahren mussten und so dringend Ersatz vonnöten war; Novotná konnte sofort ein Engagement als Butterfly und Violetta in »La Traviata« bekommen.
    Als Tochter eines Damenschneiders musste sie darauf hinweisen - »Meine Traviata-Kostüme, insbesondere das Kleid von Akt III, wurden immer noch als die schönsten angesehen, die je gesehen wurden ...«.


    Zu den Reisegepflogenheiten Novotnás gehörte das Mitführen von 40 bis 50 Koffern. Dieser Aufwand war nötig, weil es damals üblich war, dass Künstler ihre eigenen Theaterkostüme besaßen, welche sie auf den Podien trugen. Novotná - man erinnert sich an ihre Herkunft - ließ ihre Opernkostüme in den renommierten Salons auf der ganzen Welt schneidern.


    »Novotná kam 1939 als Schmetterling nach San Francisco nach Amerika und sang in mehreren wichtigen Städten. Von 1940 bis 1956 war sie ein angesehenes Mitglied der Metropolitan ...« - so ist das in einer Übersetzung zu lesen, die das Wesentliche auf den Punkt bringt.
    Zu Novotnás Debüt in San Francisco in »Madame Butterfly« schrieb die »New York Times« damals: »In allem, was sie tut, steckt Anmut, Wärme und Kommunikationsgefühl und charmante Einfachheit«. Nach San Francisco gab Novotná ihr New Yorker Debüt in der Carnegie Hall, wo Toscanini Beethovens Neunte Symphonie dirigierte.
    1940 gab sie ihr Debüt an der Metropolitan Opera in »La Boheme«, ihr Partner war Jussi Bjoerling. Die »Met«-Statistik zählt 193 Aufführungen mit Novotna, davon 142 im Opernhaus, der Rest auf Tournee. Im Rückblick bezeichnete Novotná die Jahre zwischen 1940 und 1945 als die schönsten an der »Met«, weil niemand nach Europa zurückkehren und niemand von dort kommen konnte, die in New York weilenden Künstler waren zu einem echten Ensemble geworden.


    Während ihres gesamten Lebens war Novotná immer wieder mit politischen Ereignissen konfrontiert, die auch ihre künstlerische Arbeit beeinflussten. So nahm sie während der Kriegsjahre auch die »Songs of Lidice«, eine Komposition von Max Brand, auf; am Klavier begleitete sie Jan Masaryk, der Sohn des ehemaligen Präsidenten der Tschechoslowakei, der später Außenminister war.


    Wie bereits erwähnt, hatte Jarmila Novotna 1931 den Baron George Daubek geheiratet. Die Familie ihres Gatten war mit Besitztümern reich gesegnet, es waren Industrielle und Landbesitzer - Josef Daubek gehörte zu den Mitbegründern des Nationaltheaters in Prag. Jarmila Novotná hatte stets Kontakte zu wichtigen Personen, und ihre Karriere zielstrebig und professionell aufgebaut. Seit ihrer Eheschließung lebte sie acht Jahre in einem großzügigen Barockhaus namens Ĉechovna mit einem Park und einem Schloss. Das Anwesen befindet sich im Ort Liteň, mit etwas mehr als tausend Einwohnern, neun Kilometer südöstlich von Beroun, eine knappe Autostunde von Prag entfernt.
    Als der Krieg zu Ende war, kehrte sie im Sommer 1947 zurück und trat auch einige Male am Nationaltheater auf. Aber das scheinbare Glück in der böhmischen Heimat war nur von kurzer Dauer; die kommunistischen Machthaber hatten für den Adel absolut nichts übrig, die Daubeks waren gezwungen ihre Heimat wieder zu verlassen und kehrten nach Amerika zurück.
    Was am Ort seit 1888 immer Bestand hatte und auch noch hat, ist das im Neo-Renaissancestil erbaute Mausoleum der Familie Daubek, das sich etwa einen Kilometer östlich vom Ort entfernt in einem Waldstück befindet. Wenn in der Literatur geschrieben wird, dass das Mausoleum sich beim Schloss befindet, dann entspricht das nicht den Tatsachen und kann so auch nie gewesen sein. Wenn man jedoch liest, dass das Mausoleum sichj in einem Englischen Garten befindet, dann könnte das durchaus mal so gewesen sein, aber davon ist heute nichts mehr zu sehen Das Bauwerk ist seit 1958 als Kulturdenkmal eingetragen.
    Als George Daubek im Februar 1981 in Wien starb, dauerte es ein wenig, bis man eine Beisetzung in Liteň arrangieren konnte; die Behörden ordneten strengste Geheimhaltung an, die allerdings etwas löchrig war, wie Frau Daubek-Novotná bemerkte, als sie am 9. März mit ihrer Tochter Jarmila beim Mausoleum eintraf.


    Als George Daubek schwer erkrankte, beendete Jarmila Novotná ihr Engagement an der Metropolitan Opera, um sich um ihn zu kümmern, ab 1956 lebte das Paar in Wien. Nach dem Tod ihres Mannes ging sie dann in die USA zurück, um in der Nähe ihrer Kinder und Enkel zu sein.
    1991 wurde sie mit dem Tomáš-Garrigue-Orden ausgezeichnet und seit 1997 steht ihre Bronze-Büste im Foyer des Prager Nationaltheaters und sie ist Ehrenbürgerin von Prag.
    Seit 2012 wird in Liteň ein Jarmila-Novotná-Festival veranstaltet.


    Jarmila Novotná und ihr Mann waren mit ihrer Heimat gedanklich immer eng verbunden, seit 1994 sind sie nun wieder in Liteň vereint. In einer Publikation ist zu lesen: »Sie starb 1994 plötzlich nach einer ziemlich trivialen Knieoperation«.


    Hinweise zum Standort des Mausoleums



    Einfahrt in den Ort


    Wenn man aus dem Ort herauskommt, lässt man den Bildstock links liegen


    Man fährt geradeaus und findet unmittelbar nach dem runden Verkehrsschild rechts das Mausoleum


    Einmal editiert, zuletzt von hart ()

  • Lieber 'hart',


    dieser 'Thread' ist wie eine wunderschöne Blume, die im Verborgenen blüht. Ich lese Deine äusserst informativen und sehr lebendig geschriebenen Aufsätze - die uns die heute etwas 'entrückten' Musiker-Persönlichkeiten früherer Zeiten nahe bringen - stets mit großer Freude.


    Die Lebensbeschreibung von Jarmila Novotná veranlasste mich, nach langer Zeit die 'RCA-Victrola'-Platte "Songs of Czechoslovakia" aufzulegen, auf der neben einigen Opernarien mit ihr auch die fünfzehn sogenannten "Lidice-Lieder" (tschechische Volkslieder, zusammengestellt zur Erinnerung an das furchtbare Massaker der Nazis in den Ortschaften Lidice und Lezàky 1942 als 'Vergeltung' für das Heydrich-Attentat), in New York aufgenommen 1942 mit Jan Masaryk am Klavier, enthalten sind. Auch werde ich mir bald meine Videos von zwei ihrer fünf deutschen Spielfilme ansehen: "Brand in der Oper" (1930) mit Gustaf Gründgens und Gustav Fröhlich - da tritt sie in einer Nebenrolle als 'Elisabeth' im "Tannhäuser" auf - und "Der Kosak und die Nachtigall" (1935) mit Ivan Petrovich und Siegfried Schürenberg (eine teilweise in Ägypten spielende Dreiecksgeschichte). Natürlich habe ich auch den mehrfach preisgekrönten Film "Die Gezeichneten" von Fred Zinnemann (1948) mit der ergreifenden Darstellung des kleinen Ivan Jandl neben Montgomery Clift (Oscar als bester Hauptdarsteller) und mit einer eindrucksvollen Jarmila Novotná als Mutter auf der Suche nach ihrem Kind im zerstörten Nachkriegsdeutschland.


    Carlo

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