Artur Rubinstein - vergessener 'Großmeister'?

  • RE: Brahms KK Nr.1 mit Rubinstein / Reiner (RCA, 1957)

    Lieber nemorino,


    ich war eine Woche im Spätsommerurlaub in Mittenwald - daher erst heute meine Antwort:

    :) Der teleton ist immer mal "auf jück":


    Es war mir ein wichtiges Anliegen diese wunderbare Aufnahme des KK Nr.1 auch auf CD zu besitzen, denn ich hatte schon bei meinen ersten LP´s die braune Doppel-LP-Box mit dem KK Nr.2 (hier unter Krips).

    :hail: Solche Erstaufnahmen in dieser famosen Qualität haben mich als Klassikfreund auf ewig geprägt.


    Im Jahre 2013 hatte ich mir dann die abgebildete CD gekauft, von der ich auch im entsprechenden Brahms-KK-Thread berichtet hatte.

    Neben Serkin / Szell (SONY), Fleisher / Szell (SONY) und Pollini / WPO / Böhm (DG) ein MUSS für das KK Nr.1.

    Da kommen dann auch neuere Aufnahmen, die ich getestet und nie behalten habe, einfach nicht mehr heran (bei allem Wohlwollen auch nicht die geschätzte und mir vorliegende mit Freire / Chailly (Decca, 2006) ...


    RCA GOLD SEAL, 1957, ADD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Kreisleriana


    Von Rubinsteins Aufnahme der Fantasie und der Kreisleriana war ich immer ein bisschen enttäuscht oder zumindest zwiegespalten. Bei der Kreisleriena ist die CBS-Aufnahme von Horowitz aus ungefährt der gleichen Zeit viel aufregender. Und die Fantasie spielt Rubinstein sehr, sehr langsam und braucht für den ersten Satz über 14 Minuten. Die geforderte Leidenschaft will sich da mir nicht einstellen. Irgendwo hat auch gesagt - ich glaube in Bezug auf eine Aufführung von Sviatoslav Richter -, dass man den ersten Satz keinesfalls zu schnell spielen dürfe.

    Seltsamerweise hole ich diese Aufnahmen aber dennoch immer wieder hervor, wenn ich mich mit diesen beiden Werke auseinandersetze. Sie sind in ihrer Ausgeglichenheit nämlich aus einer anderen Sicht heraus bewunderungswert. Es ist allerdings gar nicht so leicht zu bescheiben, wie es Rubinstein gelingt, bei aller Gelassenheit dennoch ins Zentrum dieser leidenschaftliche Werken vorzudringen.


    Viele Grüße

    Christian

  • ich war eine Woche im Spätsommerurlaub in Mittenwald

    Lieber Wolfgang,


    Du Glücklicher, Du warst also "auf jück"! Ehrlich gesagt, ich habe Dich hier schon vermißt! Umso mehr freue ich mich, daß Du wieder dabei bist, wenn es auch bedauerlich ist, daß Dein Urlaub schon wieder vorbei ist. Aber der nächste kommt bestimmt ….


    Kennengelernt habe ich das 1. Brahms-Konzert seinerzeit mit der Aufnahme Gary Graffman/Charles Münch (RCA). Zur Einführung in das sperrige Werk gut geeignet, aber natürlich kamen später exakt die von Dir genannten Aufnahmen dazu: Rubinstein/Reiner, Serkin/Szell, Fleisher/Szell. Nur Pollini/Böhm fehlt bei mir, da habe ich mal einen richtigen Verriß in HiFiStereophonie gelesen, was mich dann vom Kauf abgehalten hat, zumal ich noch ein paar andere Versionen im Regal habe, u.a. Curzon/Szell (Decca), ebenfalls sehr empfehlenswert. Und natürlich fehlt auch Gilels/Jochum (DGG) nicht.


    Nr. 2 existiert bei mir u.a. mit: Rubinstein/Krips:), Gilels/Reiner (RCA), Gilels/Jochum (DGG), Pollini/Abbado (DGG), Fleisher/Szell, Serkin/Szell (RCA) und noch ein paar andere.


    LG nach Bonn,

    Nemorino:hello:

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Es ist allerdings gar nicht so leicht zu bescheiben, wie es Rubinstein gelingt, bei aller Gelassenheit dennoch ins Zentrum dieser leidenschaftliche Werken vorzudringen.

    Lieber Christian,


    so würde ich das auch sagen. Leider habe ich die Horowitz-Version der Fantasie nicht, obwohl meine Horowitz-Sammlung recht gut bestückt ist. Aber man kann eben nicht alles haben. Von ihm habe ich u.a. eine überragende Aufnahme der Humoreske, die hier dabei ist:

    Außer Rubinsteins Version der Fantasie gibt's bei mir noch: Kempff (1956, DGG) und Curzon (Decca), beide leider mono, aber spieltechnisch großartig.

    Rubinstein macht seine etwas verhaltenen Tempi wieder wett durch seinen unnachahmlichen Anschlag und die von Dir erwähnte Gelassenheit, die sein Spiel so einzigartig macht.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Hallo nomorino,


    aber die Fantasie ist nun alles andere als ein gelassenes Werk, insofern war das vielleicht von mir ein falsches Wort. Bei vielen Interpreten fällt der erste Satz ja oft auseinander zwischen den ruhigen und den leidenschaftlichen Passagen, das ist bei Rubinstein anders, er wahrt den Überblick und wählt insgeamt eher ein gemäßigtes Tempo. Ich sehe schon, heute Abend werde ich wieder mal in diese Aufnahme reinhöhren, die mir einige Rätsel aufgibt.


    Horowitz' Live-Aufnahme der Fantasie ist berühmt wegen der Patzer, die ihm u.a. am schwierigen Ende des zweiten Satzes unterliefen (veröffentlich nur auf der LIVE AND UNEDITED-Ausgabe). Das ist schon sehr, sehr aufregend anzuhören, aber er trifft das Werk insgesamt nicht so gut wie die Humoreske - da bin ich voll bei Dir, dass ihm hier was Besonderes gelungen ist.



    Viele Grüße

    Christian

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  • das ist bei Rubinstein anders, er wahrt den Überblick und wählt insgeamt eher ein gemäßigtes Tempo.

    Lieber Christian,


    ich muß eingestehen, daß ich die Rubinstein-Aufnahme der Fantasie lange nicht mehr gehört habe, deshalb müßte auch ich meine Eindrücke auffrischen. In den nächsten Tagen wird mir das aber leider kaum gelingen.

    Ist das übrigens die einzige Horowitz-Interpretation auf CD von der Schumann-Fantasie? Live-Mitschnitte habe ich nur ganz wenige in meinem Bestand; ich ziehe Studioaufnahmen vor, um Nebengeräuschen und unangenehmen Tonhöhenschwankungen auszuweichen.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Lieber Nemorino,


    dass ich ein ganz großer Rubinstein-Bewunderer bin, dürfte hinlänglich bekannt sein. Seine Aufnahme der Fantasie op. 17 bewegt sich allerdings am Rande einer Fehlinterpretation. Man wird aber entschädigt durch Rubinsteins Sinn für die Stimmenpolyphonie bei Schumann. Rubinstein im Studio und im Konzert, das sind zwei Welten! Ein Highlight sind die Schumann Fantasiestücke op. 12 gerade im Konzert. Und er ist ein geborener Brahmsspieler. Seine Aufnahme der Sonate op. 5 von 1959 ist für mich immer noch die absolute Referenz!


    Die Horowitz-Mitschnitte aus der Carnegie Hall sind klangtechnisch hervorragend!


    Schöne Grüße

    Holger

  • Seine Aufnahme der Fantasie op. 17 bewegt sich allerdings am Rande einer Fehlinterpretation.

    Also so weit würde ich nicht gehen, vor allem im ersten Satz gelingt es ihm, der Musik ihr Geheimnis zu belassen. Und das können die wenigsten. Der zweite Satz ist allerdings merkwürdig blass. Ganz anders die Fantasiestücke, die er auch mehrmals aufgenommen hat. Ganz wunderbar!


    Liebe Grüße, Christian

  • Also so weit würde ich nicht gehen, vor allem im ersten Satz gelingt es ihm, der Musik ihr Geheimnis zu belassen. Und das können die wenigsten. Der zweite Satz ist allerdings merkwürdig blass. Ganz anders die Fantasiestücke, die er auch mehrmals aufgenommen hat. Ganz wunderbar!


    Liebe Grüße, Christian

    Lieber Christian,


    gibt es vielleicht noch einen Konzertmitschnitt der Fantasie von Rubinstein? Das wäre interessant.


    Eine der überragendsten und best interpretierten Aufnahmen der Fantasie op. 17 ist für meinen Geschmack Sergio Fiorentino. Das ist wirklich wunderbar!


    Schöne Grüße

    Holger

  • Lieber Christian,


    gibt es vielleicht noch einen Konzertmitschnitt der Fantasie von Rubinstein?

    Leider nicht!


    Schumann live gibt es von ihm den Carnaval (aus Holland), die Fantasiestücke und ich meine mich zu erinnern, dass die Symphonischen Etüden auch live aufgenommen worden sind. Und einige kleinere Stücke natürlich.


    Gilels war ja übrigens auch der Meinung, dass Schumann oft viel zu schnell gespielt wird.


    Viele Grüße, Christian

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  • Lieber Christian,


    das ist sehr schade! Die anderen von Dir erwähnten Aufnahmen habe ich glaube ich alle!


    Schöne Grüße

    Holger

  • Von wegen vergessen!

    Es ist interessant, wie unterschiedlich die Wahrnehmung sein kann. Rubinstein auch nur in Betracht zu ziehen für einen "vergessenen Pianisten", käme mir überhaupt nicht in den Sinn. Vielmehr fiele er mir wohl als einer der ersten drei der allergrößten ein. Auch ich schätze ihn ungemein und bin da ganz bei Holger. Dass ihm nicht alles referenzträchtig gelang, liegt in der menschlichen Natur begründet. So ließen mich seine (wenigen) Mozart-Aufnahmen eher kalt. Dafür wäre Rubinstein wohl meine erste Nennung, wenn es um die fünf Klavierkonzerte von Beethoven geht. Bekanntlich spielte er nicht weniger als drei Stereo-Zyklen ein, wobei mich persönlich der ganz späte unter Barenboim am meisten anspricht. Ein Monument für die Ewigkeit. Großartig auch sein Tschaikowski, Rachmaninow und Grieg.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Vergessen - nein. Eine Dokumentation von Marie-Claire Margossian, die den Künstler und Privatmann Arthur Rubinstein nahe bringt, findet man auf You Tube.


    So erfährt man, weshalb er nach dem 2. Weltkrieg nicht mehr in Deutschland gespielt hatte - aus Respekt vor den Toten. Arthur Rubinstein hat auf grausame Weise seine ganze Familie verloren. Er wollte nicht in einem Land spielen, wo Nazis leben.


    "Mein Leben ist unvergleichlich. Es gibt kein Leben wie meines. Erlauben Sie mir zu sagen, es mag ziemlich überheblich klingen, aber ich kenne niemanden, der so glücklich ist wie ich"





    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Lieber Holger,


    Rubinstein war selbst nicht zufrieden mit dieser Aufnahme. Auf jeden Fall gab er sie nie zur Veröffentlichung frei.


    LG Barere

    Lieber Barere,


    das erklärt vieles! Ich werde zuhause mal in die Rubinstein-Autobiographie schauen, da müsste auch etwas darüber zu finden sein. Auch interessant zu erfahren, wie lange er die Fantasie im Repertoire hatte. Im Unterschied zu Schuberts B-Dur-Sonate, die er wie Horowitz erst sehr spät in sein Repertoire aufnahm, hat er sie nach meiner Erinnerung schon in jungen Jahren gespielt. :)


    Schöne Grüße

    Holger

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  • So wird es leider oft geschrieben, lieber Moderato. Es ist aber falsch, wie dem 1. Teil von Rubinsteins Autobiographie zu entnehmen ist. Rubinstein ist wegen des Verhaltens der Deutschen im 1. (!!) Weltkrieg in Deutschland nicht mehr aufgetreten, nicht erst nach dem 2. Weltkrieg. Also schon lange vor der Nazi-Zeit hat er in Deutschland keine Konzerte mehr gegeben.


    Schöne Grüße

    Holger

  • So wird es leider oft geschrieben, lieber Moderato. Es ist aber falsch, wie dem 1. Teil von Rubinsteins Autobiographie zu entnehmen ist. Rubinstein ist wegen des Verhaltens der Deutschen im 1. (!!) Weltkrieg in Deutschland nicht mehr aufgetreten, nicht erst nach dem 2. Weltkrieg. Also schon lange vor der Nazi-Zeit hat er in Deutschland keine Konzerte mehr gegeben.

    So ist es:


    "Die französische Presse berichtete von den Greueltaten, welche deutsche Soldaten in Belgien, Polen und Nordfrankreich begingen.Kaltblütig erschossen sie Hunderte von schuldlosen Zivilisten, wenn einer der ihren von einem Heckenschützen getötet wurde. Die anschaulichen Berichte über Morde, Vergewaltigungen und Folterungen nannten die deutschen Behörden Greuelpropaganda, doch Dokumente und Briefe, die mir in die Hände kamen [Rubinstein arbeitete zu dieser Zeit, um sich finanziell über Wasser zu halten, in Paris als Übersetzer für die Franzosen; Anm. Barere], bestätigten die französischen Meldungen. So war der bekannte Komponist Alberic Magnard einfach ermordet worden, als er die Invasoren nicht höflich genug behandelt hatte. Ich schämte mich, daß unsere große Zivilisation sich so weit beschmutzen konnte, einem üblen Menschen wie dem Kaiser zu gehorchen, und in hilfloser Wut schwor ich mir: 'Nie wieder wirst du in Deutschland spielen!'

    Bis zu dieser Stunde habe ich den Schwur gehalten - unseligerweise sind inzwischen noch zwingendere Gründe dazugekommen."

    Rubinstein, Arthur. Erinnerungen. Die frühen Jahre. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 1973, S. 526


    LG Barere

  • Lieber Holger,


    Rubinstein war selbst nicht zufrieden mit dieser Aufnahme. Auf jeden Fall gab er sie nie zur Veröffentlichung frei.


    LG Barere

    Das ist mir neu - woher hast Du denn diese Information?


    Viele Grüße, Christian

  • Danke Barere für das Zitat! Der Fall Magnard ist wirklich eine Tragödie! Da wurde fast sein komplettes Werk vernichtet! Seine Symphonien sollte man sich unbedingt anhören! :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

  • Anm. zu den Geiselerschießungen, auf die sich Rubinstein bezieht: Leider wurden die erst nach den schlimmen Erfahrungen des 2. Weltkrieges (wie den Greueltaten der Wehrmacht in Italien) völkerrechtlich als Kriegsverbrechen eingestuft. ;(

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  • Das ist mir neu - woher hast Du denn diese Information?


    Lieber Christian,


    es gab damals - wie meistens in solchen Fällen - Diskussionen über Sinn und Berechtigung solcher Veröffentlichungen, als die Aufnahme vom 2. September 1965 erstmals in der Rubinstein Collection von 1999 erschien.


    In der aktuellen Complete Album Collection aus dem Jahr 2011 erscheint sie unter "Unreleased Recordings" (CD 135; in der Diskografie auf S. 145 als "not issued" vermerkt).


    Das gleiche Schicksal teilt übrigens die Aufname der Schubert-Sonate D 960 vom 22. April 1965. Hier kam es jedoch am 11. Juni 1969 zu einer Neuaufnahme, die veröffentlicht wurde.


    LG Barere

  • Lieber Dr. Holger Kaletha


    Ein langes Leben, zwei Weltkriege. Eine Autobiographie, in der er Gründe für sein Nicht-Auftreten in Deutschland schreibt und ein Interview, nach dem zweiten Weltkrieg gegeben, in dem er weitere Umstände nennt, wie im letzten Satz deines Zitates geschrieben steht.


    "Bis zu dieser Stunde habe ich den Schwur gehalten - unseligerweise sind inzwischen noch zwingendere Gründe dazugekommen."


    Im vierten Teil des You Tube Filmes ab 3 min 19s Rubinstein im Originalton.


    Als Pole und Jude ist Arthur Rubinstein seinem Schwur treu geblieben, um Deutschland für Konzerte einen Bogen zu machen, aus Respekt den Toten gegenüber.

    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Hallo


    IMO sind Schumanns Fantasiestücke Op.12 unter Rubinsteins Händen überirdisch ergreifend. Er spielte sie auch in seinem letzten Recital in Pasadena !


    LG Siamak

  • Anläßlich des denkwürdigen Konzerts, das Artur Rubinstein am 20. April 1963 exklusiv für deutsche Musikfreunde in der niederländischen Grenzstadt Nijmwegen gab, hatte der Musikkritiker Wolf-Eberhard von Lewinski im Anschluß daran Gelegenheit, mit dem Künstler zu sprechen.

    In seinem Bericht über das Gespräch in FonoForum 6/1963 schrieb von Lewinski u.a.: " …. in einem langen Gespräch, das ich nach dem Konzert mit Rubinstein führen konnte, bekannte er, Brahms zumindest nie so schön gespielt zu haben wir an diesem Abend, da er spürte, daß nur das deutsche Publikum dieser Musik so aufgeschlossen sei. 'Ich hatte schreckliche Angst vor diesem Abend, denn das deutsche Publikum zählt zu den musikalischsten der Welt,' meinte er.

    Man darf es tragisch nennen, daß Rubinstein angesichts dieser Feststellung Deutschland weiterhin meidet, wobei dieser Verzicht, wie er selbst sagte, ihm schmerzlicher sei als etwa dem deutschen Publikum. Wörtlich sagte er: 'Ich habe einen Eid geleistet, der schwer ist. Ich habe meine ganze Familie verloren. Es ist nicht Rache oder irgendein Anti-Gefühl, sondern es ist einfach der Respekt vor den Toten, die mir sagen: Du mußt es nicht tun. Sehr, sehr schwer für mich. Ich leide darunter.'

    Wer den Hintergrund dieser Situation aus dem Munde Rubinsteins erfahren hat, versteht seine Lage und achtet seine Haltung.

    Rubinstein hat jenen Eid, den er bereits 1914 vor sich selbst geleistet hatte, als er erfuhr, daß deutsche Soldaten in einem Vergeltungsakt 100 unschuldige Menschen töteten, in jugendlichem Übereifer abgelegt. Er sagte mir, daß er das heute nicht mehr tun würde und ließ durchblicken, daß er jenen Entschluß bereue, obwohl die Zeit von 1933 bis 1945 in in seiner Haltung nur bestärken konnte. Doch wer wollte verlangen, daß einer einen Eid bricht?"

    Glücklicherweise sind große Teile dieses unvergeßlichen Konzertabends erhalten geblieben. Alle Musikfreunde und Rubinstein-Verehrer im besonderen haben hier Gelegenheit, zumindest per CD daran teilzuhaben:

    Ein wenig hat der große Künstler seinen Eid, nie mehr deutschen Boden zu betreten und dort öffentlich aufzutreten, in der Folge doch gelockert. Ausdrücklich hat er auch immer betont, daß sich sein Entschluß nicht gegen das deutsche Volk insgesamt richte, denn er liebe nicht nur die deutsche Musik, Mozart, Beethoven, Schumann, Brahms, über alles, sondern er habe auch viele Freunde in Deutschland, mit denen er regen Kontakt pflege.

    Im Jahr 1966 reiste Rubinstein nach Hamburg, und sein Besuch dort ist vom NDR in einem knapp halbstündigen Dokumentarfilm festgehalten worden:

    Nicht zuletzt ist es dem Frankfurter Konzertagenten Hans Schlote zu verdanken, daß Rubinstein schließlich Deutschland besuchte. Er stand jahrelang in intensivem Briefkontakt mit dem großen Künstler. Übrigens, ab 7.52 Min. spielt Rubinstein den Beginn des 1. Satzes der großen B-dur-Sonate D. 960 von Franz Schubert.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Noch ein paar Anmerkungen zu dem Mitschnitt des denkwürdigen Rubinstein-Konzerts von Nimwegen/Niederlande am 20.4.1963:

    B001CC7HLU.03._SS300_SCLZZZZZZZ_.jpg

    In einer amerikanischen Besprechung heißt es dazu: ".... the greatest of issued live Rubinstein recordings and among the greatest of all his many recordings."

    Ein anderer Kritiker meint: "Zu hören ist ein Rubinstein, der deutlich mehr wagt als in seinen Studio-Aufnahmen, was diese CD zu einem absoluten Muß für jeden Rubinstein-Sammler macht."

    Ich selber habe die CD nicht, werde sie mir aber auf jeden Fall besorgen.


    Schließlich noch ein Satz des Pianisten zu seinen unzähligen Live-Konzerten: "Wenn man nicht mindestens 5 Pfund Gewicht und 10 Tropfen Blut verloren hat, dann war das Konzert schlecht!"


    Gute Nacht,

    Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

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  • Seine Aufnahme der Fantasie op. 17 bewegt sich allerdings am Rande einer Fehlinterpretation. Man wird aber entschädigt durch Rubinsteins Sinn für die Stimmenpolyphonie bei Schumann.

    Lieber Holger,


    erst heute früh habe ich Deinen Beitrag #127 vom Freitag wahrgenommen; er ist mir wohl durch die zahlreichen Folgeeinträge durchgegangen. Deshalb die verspätete Antwort.


    Ich bin zu sehr musikalischer Laie, um ein solches Urteil zu fällen. Inzwischen habe ich mir aber Rubinsteins Einspielung aus 1965 nach längerer Pause noch einmal angehört. Richtig ist, daß der erste Satz zwar fantastisch, aber jedenfalls wenig "leidenschaftlich" vorgetragen wird, wie es der Komponist vorgeschrieben hat. Bei einer Länge von 14.30 Min. bleibt die Leidenschaft doch ziemlich auf der Strecke. Die beiden anderen Sätze hingegen scheinen mir wesentlich besser gelungen zu sein.

    Ich habe zum Vergleich mal die alte Kempff-Aufnahme von 1956 (DGG, mono) ausgegraben, allerdings nicht gehört. Doch der Vergleich der Spielzeiten zeigt schon an, was Rubinsteins Interpretation mangelt:

    Rubinstein: 1. Satz 14.30 / 2. 8.15 / 3. 10.15 Min.

    Kempff: 1. Satz 11.22 / 2. 8.05 / 3. 10.12 Min.


    Wie man sieht, liegen die beiden Klaviergiganten in den letzten Sätzen ganz nah beieinander (ein echtes "Kopf-an-Kopf-Rennen"!:)), während Rubinstein den 1. Satz über Gebühr dehnt. Nichtsdestotrotz bleibt er ein ganz großer Schumann-Interpret. Vielleicht hatte er ja vor, noch eine Aufnahme der Fantasie zu machen, weil er mit seiner vorliegenden nicht zufrieden war. Leider ist es dazu nicht mehr gekommen.


    Schönen Sonntag und

    LG, Nemorino :hello:

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Lieber Nemorino,


    hast Du von Kempff den tollen Orfeo-Mitschnitt? Da spielt er die Fantasie viel impulsiver als in der Studioaufnahme! Ich meine auch, dass Rubinstein die Leidenschaft durch das langsame Tempo allzu sehr zügelt. Kissin finde ich in seiner Leidenschaftslosigkeit wirklich eine Fehlinterpretation, wo Rubinstein dann doch gewinnt durch seinen Sinn für Schumanns Stimmenpolyphonie. Deswegen finde ich es so schade, dass es von Rubinstein nicht noch einen Konzertmitschnitt gibt. Kann sein dass ich das Nijmegen-Konzert auf der Festplatte habe. Er hat speziell für seine deutschen Fans Konzerte in Belgien und Holland gegeben. Mein Lehrer hat ihn so damals erlebt.


    Spät entdeckt habe ich die Studioaufnahme von Martha Argerich. Die finde ich auch kongenial, gehört zu den besten wie schon erwähnt die wunderschöne Aufnahme von Sergio Fiorentino - neben den Klassikern Horowitz, Richter, Weissenberg, Pollini, Ashkenazy.


    Dir auch einen angenehmen Sonntag!

    Holger

  • Hallo Barere,


    die Aufnahme der Fantasie op. 17 kam wohl erstmals 1980 auf Vinyl heraus, aufgenommen wurde sie bereits 1965 in Rom. Sind denn dem Booklet der Rubinstein Collection von 1999 - ich habe diese Aufname in der älteren Version mit weißem Cover von 1987 - darüber weitere Informationen zu entnehmen?

    Rubinstein starb 1982, also muss er dem Release doch noch zugestimmt haben?


    Herzliche Grüße

    Christian

  • die Aufnahme der Fantasie op. 17 kam wohl erstmals 1980 auf Vinyl heraus ... Rubinstein starb 1982, also muss er dem Release doch noch zugestimmt haben?

    Lieber Christian,


    vielen Dank fürs Nachhaken. Du hast Recht: Ein Blick in die - zwar nicht gerade für Zuverlässigkeit bekannte - Discogs-Datenbank lässt vermuten, dass die Schumann Fantasie aus dem Jahr 1965 erstmals 1980 auf LP erschienen ist, also gerade noch zu Rubinsteins Lebzeiten. Auch die gedruckte Diskografie von John Hunt aus dem Jahr 1998 weist eine LP-Nummer aus (allerdings mit New York statt Rom als Aufnahmeort).


    Warum die Aufnahme dann in der 2011-Collection bei den "unreleased Recordings" auftaucht und in der Diskografie mit dem Hinweis, auf LP "not issued", leuchtet mir nicht ganz ein. Sogar in den "Anmerkungen zur Edition" wird ausdrücklich behauptet, diese Aufnahmen seien auf LP nie erschienen. Vielleicht weiss im Forum jemand mehr?


    LG Barere

  • Vielen Dank für Deine Bemühungen! Ich denke diese Aufnahmen sind vor allem aus Platzgründen bei den „unreleased recordings“ gelandet. Die darauf ebenfalls enthaltene erste Aufnahme der Schubert B-Dur Sonate ist ja auch schon 1999 in der Box veröffentlicht worden (mit interessanten editorischen Angaben zur Entstehung!).

    Inzwischen habe ich aber bei einer US-Amazon-Review gefunden, was ich gesucht habe: 'Rubinstein told a Gramophone interviewer in 1968: "Sometimes I don't succeed in achieving what I want. There are tapes of Schubert's late sonatas and of the Schumann Fantasie. They're in the can, as they say, but I find them artificial and laboured; the right spirit is not there".


    Viele Grüße

    Christian

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