ABM - Arturo Benedetti Michelangeli

  • Mit solchen "komischen Fragen" schlägt sich die Erkenntnistheorie herum - weil sie sie für so gar nicht komisch befindet.

    Natürlich kann man den "stehenden Ton" hier wahrnehmen. Das ist keine beliebige Hörassoziation und das ist evident. Nicht nur ich höre das. Man kann das allerdings überhören, wenn man es nicht hören will. Weil psychologisch die Aufmerksamkeit davon beeinflusst wird, was für einen von Interesse ist und was nicht.


    Du irrst Dich. Was man hören kann, ist ein recht lange nachhallender Ton, der nicht schnell abklingt. Einige Leute werden das genau so beschreiben, andere bemühen dafür sprachliche Bilder wie "stehender Ton". Das letztgenannte sprachliche Bild zur Realität zu erklären, ist dann allerdings eine ziemlich gewagte Aktion.


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Nachdem das nun geklärt ist, würde mich der zweite Satz des Ravelschen Klavierkonzertes wieder interessieren. Ich fand die aufwändige Analyse des Spiels von ABM, die der Kollege ChKöhn einstellte, sehr hilfreich und habe deswegen eine abweichende Interpretation von Piemontesi eingestellt.


    Für mich persönlich muss ich sagen, dass dieses Konzert bei mir bisher nicht wirklich im Fokus des Interesses stand, so dass ich etwas unbedarft drangehe. Der Piemontesi kommt mir etwas direkter und einfacher vor, was sicher auch wieder auf Illusionen beruhen mag. Allerdings finde das etwas zurückhhaltendere Tänzerische nicht so schlecht im zweiten Satz.


    Vielleicht äußern sich ja vielleicht noch einige Taminos zu den zwei unterschiedlichen Einspielungen?

  • Vielleicht äußern sich ja vielleicht noch einige Taminos zu den zwei unterschiedlichen Einspielungen?

    Ich habe aus Zeitgründen jetzt nur die Anfänge gehört: Piemontesis Grundkonzept ist offenbar das "klassische" Rubato mit gewissen agogischen Freiheiten rechts über weitgehend stabilem Grundrhythmus links, hörbar z.B. wenn er die Figur am Ende des vierten Taktes rechts leicht verlangsamt, aber links streng weiterspielt, oder auch beim Vorhalt am Beginn von Takt 8, den er leicht dehnt, wiederum ohne links zu "warten". Sein Klang ist insgesamt intimer als bei Michelangeli, oder technisch gesprochen setzt er die Melodie dynamisch etwas weniger von der Begleitung ab. Dabei bleibt er seinem Konzept der weitgehenden Unabhängigkeit sogar dann treu, wenn er (nur in der Studioaufnahme) z.B. im vierten Takt den Quintsprung aufwärts subito pianissimo spielt, links aber im normalen Klang bleibt, wodurch der Melodieton ab dem zweiten Achtel fast von der Begleitung zugedeckt wird. Seine Pedalbehandlung ist bei beiden Einspielungen konventioneller als bei Michelangeli, er wechselt ganz normal jeweils mit dem Schlag, ohne die oben beschriebenen raffinierten Resonanz-Effekte. Interessant finde ich noch, dass das besagte "Nachklappern" bei der Live-Aufnahme deutlich stärker ist als bei der Studio-Produktion, was auch sinnvoll ist, weil so etwas im Saal bei entsprechender Akustik weniger penetrant wirkt als direkt von den Mikrophonen aufgenommen.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Ich habe aus Zeitgründen jetzt nur die Anfänge gehört: Piemontesis Grundkonzept ist offenbar das "klassische" Rubato mit gewissen agogischen Freiheiten rechts über weitgehend stabilem Grundrhythmus links, hörbar z.B. wenn er die Figur am Ende des vierten Taktes rechts leicht verlangsamt, aber links streng weiterspielt, oder auch beim Vorhalt am Beginn von Takt 8, den er leicht dehnt, wiederum ohne links zu "warten". Sein Klang ist insgesamt intimer als bei Michelangeli, oder technisch gesprochen setzt er die Melodie dynamisch etwas weniger von der Begleitung ab. Dabei bleibt er seinem Konzept der weitgehenden Unabhängigkeit sogar dann treu, wenn er (nur in der Studioaufnahme) z.B. im vierten Takt den Quintsprung aufwärts subito pianissimo spielt, links aber im normalen Klang bleibt, wodurch der Melodieton ab dem zweiten Achtel fast von der Begleitung zugedeckt wird. Seine Pedalbehandlung ist bei beiden Einspielungen konventioneller als bei Michelangeli, er wechselt ganz normal jeweils mit dem Schlag, ohne die oben beschriebenen raffinierten Resonanz-Effekte. Interessant finde ich noch, dass das besagte "Nachklappern" bei der Live-Aufnahme deutlich stärker ist als bei der Studio-Produktion, was auch sinnvoll ist, weil so etwas im Saal bei entsprechender Akustik weniger penetrant wirkt als direkt von den Mikrophonen aufgenommen.

    Danke für die Mühe! Ich hatte mir bisher auch nur die Studioplatte von Piemontesi bisher vollständig angehört. Interessant mit dem Klappern bei der Livevorführung!

  • Du irrst Dich. Was man hören kann, ist ein recht lange nachhallender Ton, der nicht schnell abklingt. Einige Leute werden das genau so beschreiben, andere bemühen dafür sprachliche Bilder wie "stehender Ton". Das letztgenannte sprachliche Bild zur Realität zu erklären, ist dann allerdings eine ziemlich gewagte Aktion.

    Du betrachtest diesen Ton als rein akustisches Phänomen und weigerst Dich, ihn ästhetisch zu erleben. Das unterscheidet aber eigentlich die Musik vom Geräusch, dass sie nicht nur ein akustisches Phänomen ist, sondern ästhetisch erlebt werden will. Ein "nachhallender Ton, der nicht schnell abklingt" ist die Beschreibung eines Geräusches, aber nicht die einer ästhetischen Erfahrung, also von Musik. Friedrich Schiller sprach in Bezug auf das Schöne davon, dass es die Zeit in der Zeit aufhebt. Bei einem Ästheten wie Michelangeli darf man vermuten, dass er genau das wollte, einen "metaphysischen Ton" zu erzeugen, der das ästhetische Erlebnis eines nunc stans vermittelt.

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  • Interessant mit dem Klappern bei der Livevorführung!

    Ja, das ist sehr auffällig. Es gibt viele gestalterische Mittel, die im Konzert (und da natürlich u.a. auch abhängig von der Saalakustik) anders wirken als bei Aufnahmen. Horowitz hat z.B. in seinen späteren Jahren seinen Flügel immer leicht "schwebend" stimmen lassen, also bei mehrchörigen Tönen die Saiten leicht versetzt, weil er der Meinung war, das würde die Tragfähigkeit der Töne im Raum verbessern. Das ist auch durchaus plausibel, aber ich hatte bei Aufnahmen immer Probleme, das nicht einfach als "leicht verstimmter Flügel" wahrzunehmen. Als ich ihn dann (bei seinem allerletzten Konzert) in Hamburg live hörte, war die Wirkung tatsächlich so, wie er sie beschrieben hatte und gar nicht störend, im Gegenteil.

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  • Noch einmal zum (Neben-)Thema der Erzeugung von Klangfarben am Klavier: Kein Geringerer als Heinrich Neuhaus, legendärer Lehrer am Moskauer Konservatorium u.a. von Emil Gilels, Svjatoslav Richter, Igor Schukow und Radu Lupu, beschreibt in seinem Buch "Die Kunst des Klavierspiels", wie er Schüler im Unterricht während des Spielens mit einfachen physikalischen Abkürzungen (z.B. v für die Geschwindigkeit) korrigierte, was viele von ihnen so verinnerlicht hätten, dass allein diese kurzen Hinweise ausreichten, um den Klang zu verbessern. Das "physikalistische" Weltbild ist also in Pianistenkreisen keine neue Erfindung:).

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  • Noch einmal zum (Neben-)Thema der Erzeugung von Klangfarben am Klavier: Kein Geringerer als Heinrich Neuhaus, legendärer Lehrer am Moskauer Konservatorium u.a. von Emil Gilels, Svjatoslav Richter, Igor Schukow und Radu Lupu, beschreibt in seinem Buch "Die Kunst des Klavierspiels", wie er Schüler im Unterricht während des Spielens mit einfachen physikalischen Abkürzungen (z.B. v für die Geschwindigkeit) korrigierte, was viele von ihnen so verinnerlicht hätten, dass allein diese kurzen Hinweise ausreichten, um den Klang zu verbessern. Das "physikalistische" Weltbild ist also in Pianistenkreisen keine neue Erfindung:).

    Für mich ist es klar, dass man die technischen Grundlagen des Instrumentes verstehen muss. Assoziationen und Vorstellungen allgemein sind sicher hilfreich beim Spielen, lassen sich aber wahrscheinlich nur schwer objektivieren.


    Wenn ich manchmal Pianisten beim Spielen zuschaue, wird natürlich schnell klar, dass das Physikalische bloß die Grundlage sein kann.

  • Assoziationen und Vorstellungen allgemein sind sicher hilfreich beim Spielen, lassen sich aber wahrscheinlich nur schwer objektivieren.

    Sie sind sehr hilfreich bei Pianisten (und natürlich auch bei anderen Instrumentalisten), die die Technik so weit verinnerlicht haben, dass sie sie mit solchen Bildern quasi abrufen können. Aber sie helfen überhaupt nicht als Ersatz für das Erlernen der tatsächlichen, konkreten Mittel. Im besseren Fall glaubt man dann, einen "weichen" oder "harten" Klang tatsächlich zu erzeugen, im schlimmeren Fall hört man, dass das trotz aller Vorstellung nicht der Fall ist, weiß sich dann aber nicht zu helfen und wird unglücklich. Deshalb ist es in der Ausbildung so wichtig, beides zu vermitteln: Vorstellung von klanglichen Möglichkeiten und ihrem gestalterischen Einsatz, aber unbedingt auch die konkrete Technik, um sie tatsächlich zu erreichen.

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  • Du hast offenbar etwas missverstanden. Wenn man schreibt, dass man nur Tonstärke und Tondauer steuern kann, bedeutet das nicht, dass die verschiedenen Tonstärken alle dieselbe Klangfarbe haben, sondern, dass man die Klangfarbe nicht unabhängig von der Tonstärke steuern kann.


    Ich habe aber nun den Eindruck, dass wir ohnehin nun alle dieselbe Eigenschaft anerkannt haben, nämlich dass der angeschlagene Einzelton ohne Pedal bei gleicher Lautstärke auch immer die gleiche Klangfarbe hat, egal wie man am Klavier sitzt, welche Technik man verwendet, etc.?

  • Du hast offenbar etwas missverstanden. Wenn man schreibt, dass man nur Tonstärke und Tondauer steuern kann, bedeutet das nicht, dass die verschiedenen Tonstärken alle dieselbe Klangfarbe haben, sondern, dass man die Klangfarbe nicht unabhängig von der Tonstärke steuern kann.


    Ich habe aber nun den Eindruck, dass wir ohnehin nun alle dieselbe Eigenschaft anerkannt haben, nämlich dass der angeschlagene Einzelton ohne Pedal bei gleicher Lautstärke auch immer die gleiche Klangfarbe hat, egal wie man am Klavier sitzt, welche Technik man verwendet, etc.?

    Aus der Art des Frage-Antwort-Spiels wird aber klar, dass hier eine Zweideutigkeit im Spiel war, die dann ausgenutzt wurde, um den Mitdiskutierenden lächerlich zu machen. Die Dinge sind auch überhaupt nicht geklärt. Denn was ist eigentlich "Tonstärke"? "Forte" ist vom lateinischen Ursprungssinn her ein "kräftiger" Ton, also keineswegs nur eine Bezeichnung für einen Lautstärkepegel. Ob ein Ton als mehr oder weniger kräftig empfunden wird, ist deshalb auch nicht einfach identisch mit der gemessenen und messbaren Lautstärke. Da beginnt schon die Abstraktion. Wir trennen in unserer Wahrnehmung eben solche Eigenschaften wie Tonfülle und Lautstärke nicht voneinander. Kann nicht ein objektiv gemessen leiserer Ton trotzdem mehr "Forte" klingen, einfach weil er mehr Tonfülle hat? Und das soll man nicht durch den Anschlag erreichen können? Ich habe mich, seit ich Klavier spiele, immer bemüht, den Ton zu gestalten. Und das nicht nur durch das Pedal, sondern eben vor allem durch den Anschlag. Ich weiß schlicht, wie es geht. Anschlagskultur gibt es - und das hat nichts mit dem Pedaleinsatz zu tun.

  • Kann nicht ein objektiv gemessen leiserer Ton trotzdem mehr "Forte" klingen, einfach weil er mehr Tonfülle hat? Und das soll man nicht durch den Anschlag erreichen können? Ich habe mich, seit ich Klavier spiele, immer bemüht, den Ton zu gestalten. Und das nicht nur durch das Pedal, sondern eben vor allem durch den Anschlag. Ich weiß schlicht, wie es geht. Anschlagskultur gibt es - und das hat nichts mit dem Pedaleinsatz zu tun.

    Wenn Anschlagskultur dynamische Binnendifferenzierung meint, dann gebe ich Dir recht. Dann ist das Resultat aber eben eines von mehreren Anschlägen und nicht von einem besonders gekonnten Anschlagen eines Einzeltons.

  • Wenn Anschlagskultur dynamische Binnendifferenzierung meint, dann gebe ich Dir recht. Dann ist das Resultat aber eben eines von mehreren Anschlägen und nicht von einem besonders gekonnten Anschlagen eines Einzeltons.

    Wenn ich "von oben" auf die Taste haue mit Armreinsatz, bekomme ich einen hässlichen Einzelton. Wenn ich die Gewichte richtig verteile, habe ich dagegen einen schönen runden Ton. Arrau spricht vom Einswerden des Körpers mit dem Instrument. Diese Aussage macht nur Sinn, wenn die Verteilung des Körpergewichts den Klang tatsächlich beeinflusst.

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  • Wenn ich "von oben" auf die Taste haue mit Armreinsatz, bekomme ich einen hässlichen Einzelton. Wenn ich die Gewichte richtig verteile, habe ich dagegen einen schönen runden Ton. Arrau spricht vom Einswerden des Körpers mit dem Instrument. Diese Aussage macht nur Sinn, wenn die Verteilung des Körpergewichts den Klang tatsächlich beeinflusst.

    Nein, der Armeinsatz und die Körperhaltung erleichtern es, die richtige Verteilung an Anschlagsstärke zu erzielen. Der Pianist empfindet das dann womöglich als Einswerden.


    Hässliche Einzeltöne gibt es am Klavier nicht.

  • Ich kann einen Ton in derselben Lautstärke einmal so anschlagen, dass er unangenehm scharf klingt, oder aber "rund" und eine gewisse Fülle und Gewichtigkeit hat.

    Das ist grober Unfug. Kein Mensch kann auf einem Klavier einen einzelnen Ton ohne Pedal in jeweils derselben Lautstärke aber mit verschiedener Klangfarbe anschlagen. Diese physikalische Tatsache wird durch kein wortreiches Gejammere und keine gegenteilige Behauptung aus der Welt geschafft. Es kann auch keiner über das Wasser gehen oder fliegen, selbst wenn er sich das ganz intensiv vornimmt. Egal ob Michelangeli oder sein Friseur einen solchen Ton anschlägt, er wird immer exakt gleich klingen.


    Leichter zu handhaben ist es da, wenn eins vom anderen schön getrennt ist: mit dem Anschlag variiert man nur die Lautstärke, mit dem Pedal nur die Tonfarbe.

    Du legst mir wieder einmal eine Aussage in den Mund, die ich nicht getätigt habe; diese Art der Lüge scheint Dir zur zweiten Natur geworden zu sein: Das Pedal verändert durch die Resonanz der mitschwingenden Saiten selbstverständlich auch die Lautstärke.

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  • Bei konstanter Lautstärke! ;)


    LG :hello:

    Es ist natürlich sehr subjektiv und wird wahrscheinlich auch von Liebhabern dieses Instrumentes abgestritten, aber ein Erlebnis mit unschönen Einzeltönen konstanter Lautstärke am "Clavier" bescherte mir jetzt vor kurzem nicht ABM sondern András Schiff mit



    :P

  • Hässliche Einzeltöne gibt es am Klavier nicht.

    Wir wollen genau sein: Es gibt keine Einzeltöne, die bei gleicher Lautstärke und ohne Pedaleinsatz "hässlicher" oder "schöner", "weicher" oder "härter" klingen. Natürlich gibt es aber am Klavier auch hässliche Einzeltöne, wenn z.B. das verwendete Instrument einen schlechten Grundklang hat oder schnell an Resonanz verliert, wodurch das Verhältnis von Anschlag und klingendem Ton "hässlich" wirkt. Das ist dann aber eine Eigenschaft des konkreten Klaviers in der gegebenen Akustik, der man durch gezielten Pedaleinsatz entgegenwirken kann.

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  • Thomas Pape

    Hat das Thema geschlossen
  • Ich komme einmal auf Beethovens op. 111 zurück, zu dem mir zwei Anmerkungen aus diesem Thread nicht aus dem Kopf gegangen sind: Holgers Anmerkung, dass der zweite Triller in der Arietta für den vierten und fünften Finger rechts geschrieben seien, wobei der Daumen eine Quinte noch zu greifen hätte, was dazu führe, dass die allermeisten Pianisten den Triller öffneten, nur eben ABM nicht, und das Erzeugen eines "stehenden Tons".


    Den Triller so zu spielen, wie ABM das tut, ist schon eine kleine Sensation, ist aber nicht das, was diese Aufnahme (ich nehme an, dass von der alten DECCA-Studio-Aufnahme die Rede ist, auf deren Rückseite sich noch eine Sonate von Galuppi und zwei Sonaten von Scarlatti finden) so unbeschreiblich macht.


    Den letzten Ton des ersten Satzes schlägt ABM an und lässt ihn verklingen. Es klingt wie ein gespreizte Bassaite und der Ton hält ewig. Es ist so, als ob ABM vom Anschlag dieser Saite an in das Verklingen des Tons den Rhythmus des Anfangs der Arietta bereits über das Verklingen des Tons wie einen Taktschlag zählt, nach dem Verklingen noch eine Pause von ein oder zwei dieser Taktschläge um dann mit der Arietta anzuheben. Das Unglaubliche, was sich am Ende der Arietta ereignet, ist nicht der perfekte Triller, sondern das, was an musikalischer Zeichnung so ganz beiläufig und wie selbstverständlich mit der linken Hand gespielt wird.


    Um es einmal so zu formulieren: die meisten Pianisten spielen eine Sonate, ABM führt ein Werk auf.


    Zur Entschuldigung meiner Formulieren möchte ich anmerken, daß ich Klaviermusik liebe, selber aber kein Klavier spiele; desgleichen fehlt mir das ganze musikfachliche Fachvokabular, was dazu führt, dass ich beim Beschreiben stets nach Wörtern klaubend herumtapse in der Hoffnung verstanden zu werden. #


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

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  • Ich komme einmal auf Beethovens op. 111 zurück, zu dem mir zwei Anmerkungen aus diesem Thread nicht aus dem Kopf gegangen sind: Holgers Anmerkung, dass der zweite Triller in der Arietta für den vierten und fünften Finger rechts geschrieben seien, wobei der Daumen eine Quinte noch zu greifen hätte, was dazu führe, dass die allermeisten Pianisten den Triller öffneten, nur eben ABM nicht, und das Erzeugen eines "stehenden Tons".

    Es stimmt nicht ganz, dass der besagte Triller von Beethoven für den 4. und 5. Finger gesetzt ist: Wenn man entsprechend große Hände hat, spielt er sich in aller Regel viel angenehmer mit 3-5. Claudio Arrau schlägt das z.B. in seiner (bei Peters erschienenen) Ausgabe der Beethoven-Sonaten vor. Bei kleineren Händen ist damit allerdings die Unteroktav nicht mehr greifbar, aber selbst dann kann man auch nur für diesen jeweils kurzen Moment auf 4-5 umschalten. Mit welchem Fingersatz Michelangeli spielte, kann man natürlich nicht hören, und bei dem einzigen Video, das ich bei Youtube gefunden habe, ist es für mich nicht eindeutig erkennbar. Aber egal mit welchem Fingersatz: Sein Triller ist an der Stelle wirklich fabelhaft.


    Den letzten Ton des ersten Satzes schlägt ABM an und lässt ihn verklingen. Es klingt wie ein gespreizte Bassaite und der Ton hält ewig. Es ist so, als ob ABM vom Anschlag dieser Saite an in das Verklingen des Tons den Rhythmus des Anfangs der Arietta bereits über das Verklingen des Tons wie einen Taktschlag zählt, nach dem Verklingen noch eine Pause von ein oder zwei dieser Taktschläge um dann mit der Arietta anzuheben.

    Dass die Arietta am Ende des Allegros bereits vorbereitet wird, ist in der Partitur ganz klar angelegt, in erster Linie natürlich durch die Modulation nach C-Dur, dann aber auch durch den Pianissimo-Schluss, der ansonsten zu diesem hochdramatischen und extrem gespannten Satz gar nicht passen würde (im ganzen Allegro gibt es ansonsten kein einziges pp). Außerdem klingt im zweiten Teil der Coda schon das Arietta-Thema wie aus der Ferne an (in der Tonfolge c-d-e-c-c). Aus all diesen Gründen ist es also nicht nur plausibel sondern auch üblich, den Beginn der Arietta so zu gestalten, dass er sich quasi aus dem abschließenden C-Dur-Dreiklang des Allegros ergibt.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
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    (Theodor W. Adorno)

  • Zur Entschuldigung meiner Formulieren möchte ich anmerken, daß ich Klaviermusik liebe, selber aber kein Klavier spiele; desgleichen fehlt mir das ganze musikfachliche Fachvokabular, was dazu führt, dass ich beim Beschreiben stets nach Wörtern klaubend herumtapse in der Hoffnung verstanden zu werden. #

    Das spricht mir aus der Seele. Ich schicke es in Kopie gleich vorneweg,



    Um es einmal so zu formulieren: die meisten Pianisten spielen eine Sonate, ABM führt ein Werk auf.


    Das mag sein. So genau verstehe ich das gar nicht. Hier die Einspielung von Op. 111 von ABM aus dem Jahre 1964 von der von Dir beschriebenen Scheibe




    Sie findet sich auch auf der Box der Grammophon.



    Mir gefällt die Einspielung schon. Der erste Satz hat eine ungeheure Dramatik. Die Arietta beginnt fast mit Glockenklang über gehaltenen Basstönen.

    Es hat etwas von einem Schlachtfeld nach der Schlacht (blöde Assoziation :(, mit fällt leider nichts besseres ein, Kurosawa Fans verstehen das vielleicht) Wirklich beeindruckend gespielt! Dann kommt der Jazzteil (ABM kann auch ein wenig swingen ;)) und danach wird es eigentlich immer heller ( in meiner Vorstellung) Michelangelis Vorstellung bleibt aber "dunkel". Irgendwie wird immer gerungen. So habe ich dieses Werk eigentlich nie empfunden. Für mich war der zweite Satz immer ein Weg ins Helle, die Kämpfe wurden im ersten ausgetragen. Ich hoffe, man kann meinem Gestammel einen Inhalt abgewinnen.


    Eine für mich ideale Interpretation ist die von Gulda. Es mag daran liegen, dass ich mit Guldas Amadeo Einspielung als Kind die Sonaten kennengelernt habe. Das sind sicher Prägungen, die man nicht leicht los wird.


    Gulda hat die Sonate viel später noch einmal eingespielt. Hir wird der zweite Satz noch ätherischer (was er für mich immer schon war) , als bei seinen füheren Einspielungen, aber vom Charakter her ähnlich. Ich mag diese etwas abstraktere Herangehensweise dieses Pianisten. Ich höre auch die Konflikte des ersten Satzes mehr polyphon und wenigr titanisch bei Gulda als bei ABM. (alles nur das Ohr eines pianistischen Laien)


    Wer gerne vergleichen möchte, kann hier Guldas Einspielung aus dem Jahr 1984 im Salzburger Mozarteum hören




    Für mich spielen beide Pianisten das Werk ein. Für mich persönlich ist allerdings Guldas Auflösung der Arietta im "Sphärischen" irgendwie zwingender als bei ABM. Es hat mehr von Architektur und weniger vom Ringen ;)....


    two cents eines musikalischen Analphabeten ..

  • Dann kommt der Jazzteil (ABM kann auch ein wenig swingen ;) )

    Ich habe diese dritte Variation schon immer anders verstanden: als ekstatische Steigerung, als Befreiung der dem Grundmotiv Achtel-Sechzehntel innewohnenden rhythmischen Kraft, auch als Zuspitzung eines Gedankens. Ich halte es für ein Missverständnis, das mit "Jazz" oder gar "Swing" zu assoziieren, weil es hier nicht um das Zulassen spontaner, ungebundener Ideen sondern im Gegenteil um äußerste Konsequenz geht.

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  • ch halte es für ein Missverständnis, das mit "Jazz" oder gar "Swing" zu assoziieren, weil es hier nicht um das Zulassen spontaner, ungebundener Ideen sondern im Gegenteil um äußerste Konsequenz geht.

    Es war nicht ganz so ernst von mir mit Jazz gemeint. Das mit der Befreiung kann ich nachvollziehen. Aber es ist doch auch eine rhythmische Befreiung. Klarerweise ist das kein improvisierter Jazz. Aber es scheint ein "leichte" Lösung zu sein, die ja auch im folgenden immer freier zu werden scheint.


    Konsequenz und Freiheit in der Form stehen doch gar nicht im Widerspruch? Oder sehe ich etwas grundlegend falsch?


    Ich habe das später immer mit der Schlussfuge der Hammerklaviersonate vergleichen wollen. Dort wird die Lösung ja gerade in überbordender Form gesucht wird, wogegen in op. 111 eine Freiheit (eigentlich auch von der Form) angestrebt wird. So habe ich dieses Werk eigentlich immer empfunden. .... ich kann es leider nicht besser formulieren.


    Sorry wegen der Redundanz....

  • Ich habe diese dritte Variation schon immer anders verstanden: als ekstatische Steigerung, als Befreiung der dem Grundmotiv Achtel-Sechzehntel innewohnenden rhythmischen Kraft, auch als Zuspitzung eines Gedankens. Ich halte es für ein Missverständnis, das mit "Jazz" oder gar "Swing" zu assoziieren, weil es hier nicht um das Zulassen spontaner, ungebundener Ideen sondern im Gegenteil um äußerste Konsequenz geht.

    Und zu Recht!

    Das ist eine diese Arietta in ihrem Wesen und der intendierten musikalischen Aussage treffend erfassende und von tiefem Verständnis zeugende Feststellung.

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  • Zitat

    ChKöhn schrieb:

    Kein Mensch kann auf einem Klavier einen einzelnen Ton ohne Pedal in jeweils derselben Lautstärke aber mit verschiedener Klangfarbe anschlagen. Diese physikalische Tatsache wird durch kein wortreiches Gejammere und keine gegenteilige Behauptung aus der Welt geschafft.

    Hierzu eine andere Auffassung:


    Klangfarben

  • Hierzu eine andere Auffassung:


    Klangfarben

    Ich kann dem Text nicht entnehmen, dass da der Anschlag einzelner Töne bei gleicher Lautstärke differenziert wurde. Das wäre aber nötig, um zu beweisen, dass Klangfarben unmittelbar durch den Anschlag entstehen. Ich habe wie gesagt noch niemanden getroffen, der dieses ganz einfache Experiment erfolgreich demonstrieren konnte: ein und denselben Ton ohne Pedal mehrfach in derselben Lautstärke aber mit jeweils verschiedener Klangfarbe zu spielen. In dem Text ist auch davon nicht die Rede, statt dessen aber viel von Muskelspannung, Handhaltung, Körperhaltung usw., also von der Technik des Klavierspiels. Es bestreitet ja niemand, dass die Auswirkungen auf den Klang hat, aber eben nicht, indem sie die Klangfarbe einzelner Töne bei gleicher Lautstärke beeinflusst, sondern indem sie es ermöglicht, komplexe Binnendifferenzierungen bei gleichzeitig angeschlagenen Tönen zu realisieren. Jeder Pianist weiß z.B., dass man Einzeltöne innerhalb von Akkorden hervorhebt, indem man den entsprechenden Finger muskulär mehr anspannt, bei Verteilung auf zwei Hände kann man außerdem mit der einen Hand eine größere Ausholbewegung machen als mit der anderen. Das sind alles hilfreiche und notwendige Techniken, die aber im Endeffekt immer nur Hammerköpfe mit verschiedener Geschwindigkeit gegen die Saiten schleudern, wo sie an vorherbestimmter Stelle auftreffen. Wenn man (wie Arrau es genannt hat) auf das Klavier "schlägt", dann spannt man alle Muskeln gleichmäßig an und bekommt deshalb einen Klang, der entsprechend undifferenziert ist und als "hart" oder "hässlich" empfunden wird. Das ist aber kein "harter Anschlag" sondern eben ein undifferenzierter. Übrigens ist es auch nicht besonders vertrauenserweckend, dass in dem Text der "Verbleib des Hammerkopfes in Saitennähe kürzer oder länger" als klangsteuerndes Element genannt wird: Auf den hat der Pianist de facto keinerlei Einfluss.

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    (Theodor W. Adorno)

  • Wagenhäuser stellt in seinem Buch "Musik und Ausübung" auf den S. 17 ff. dazu fest, daß der Dämpfung in Bezug auf veränderbare Klangfarben bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird.


    1. Zum Einen wird je nach Tastentiefgang beim Anschlag der Abstand der Dämpfer zur Saite varriert.


    2. Zum Anderen lässt sich dieser Abstand der Dämpfung zu jedem Zeitpunkt des Tones verändern.

  • Wagenhäuser stellt in seinem Buch "Musik und Ausübung" auf den S. 17 ff. dazu fest, daß der Dämpfung in Bezug auf veränderbare Klangfarben bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird.


    1. Zum Einen wird je nach Tastentiefgang beim Anschlag der Abstand der Dämpfer zur Saite varriert.


    2. Zum Anderen lässt sich dieser Abstand der Dämpfung zu jedem Zeitpunkt des Tones verändern.

    Der Tastentiefgang ist eine Eigenschaft des Instruments, keine variable Größe beim Spielen. Versuch mal, einen Ton (egal in welcher Lautstärke) zu erzeugen, ohne die Taste bis zum Erreichen des Vorderdruckpolsters (also des unteren Ruhepunkts der Taste) zu betätigen: Das ist so gut wie unmöglich, weil die Mechanik (vorausgesetzt sie ist korrekt reguliert) das nicht zulässt. Die Gründe dafür kann man ohne Mechanikmodell kaum erklären, deshalb probier es einfach aus... Und der Dämpfer hat in dem Moment, in dem der Hammerkopf auf die Saite trifft, seine höchste Position bereits erreicht, auch das ist also keine steuerbare Größe. Nach dem Anschlag kann man zwar zumindest theoretisch den Dämpfer durch leichtes Loslassen der Taste wieder näher an die Saite heranführen, ohne diese zu berühren, aber da reden wir über vielleicht einen Millimeter Spielraum, den man realistischerweise nur mit dem Pedal präzise steuern kann (ganz abgesehen von der Frage, wieweit ein Dämpfer, der die Saite nicht berührt, überhaupt zu hörbaren und steuerbaren Klangveränderungen führt). Man will ja gerade umgekehrt, dass die Dämpfer beim Loslassen der Taste möglichst unmittelbar wieder mit der Saite in Kontakt kommen, weil man nur dann gezielt auch Töne halb abdämpfen, Forte-Piano-, Aus- und Überblendeffekte usw. spielen kann. Die Dämpfung ist insofern von extremer Wichtigkeit, aber nicht beim Beginn der Töne, also beim Anschlag, sondern an deren Ende.

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  • Das ist wirklich ein Jammer, - und eigentlich auch ärgerlich!

    Da öffnet der Moderator Thomas Pape dankenswerterweise den von ihm geschlossenen Thread wieder, stellt einen Beitrag ein, der an das Thema dieses Threads anbindet und die Interpretation von Beethoven op.111 durch A.B. Michelangeli mit der hochinteressanten These "die meisten Pianisten spielen eine Sonate, ABM führt ein Werk auf" zur Diskussion stellt, zwei Mitglieder gehen auch darauf ein, ...


    ... und dann kommt das Mitglied Karl und macht den in keiner Weise zu diesem Threadthema gehörigen, längst diskursiv totgerittenen und überdies auch noch die Schließung des Threads verursacht habenden Fragenkomplex "Kein Mensch kann auf einem Klavier einen einzelnen Ton ohne Pedal in jeweils derselben Lautstärke aber mit verschiedener Klangfarbe anschlagen" noch einmal auf.

    Man begreift´s nicht!


    Es wäre doch nun naheliegend gewesen, sich, anbindend an den Beitrag von Tomas Pape, in detaillierter Weise auf die Frage einzulassen, wie Michelangeli die Arietta interpretiert, worin die Besonderheiten seiner Interpretation bestehen und wodurch sie sich von der anderer großer Pianisten abhebt.

    Ich fühlte mich durch diesen Beitrag dazu angeregt, dieser Frage nachzugehen und habe mir gestern in der Nacht diese nachfolgende Aufnahme gründlich angehört.

    Sehr würde mich interessieren, wie andere, in Sachen Klaviermusik-Interpretation kompetentere Mitglieder als ich sie unter dieser Fragestellung beurteilen. Ich könnte dann auch dazu einbringen, welche Erkenntnisse mir gekommen sind.

    Und wir wären wieder beim Thema des Threads.


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