Lieber "Melomane".
zuerst einmal ganz herzlichen Dank für deine beiden ausführlichen Beschreibungen deiner Höreindrücke - auch wenn ich nicht mit allen Details deiner Ausführungen einverstanden bin bzw. sie nicht teile, hast du deine Meinung sehr nachvollziehbar begründet und insofern akzeptiere ich deine - zweifellos aus Kompetenz gespeisten - Meinungen (als für dich gültig) voll und ganz!
ihre Interpretation überzeugt mich aber nur bedingt, da sie für mich etwas zu ruhig und nicht aufgeregt genug klingt.
Muss sie denn aufgeregt klingen? In der von mir 36x gesehenen Kupfer-Inszenierung an der Komischen Oper war die Susanna in dieser Szene gar nicht aufegregt, sondern reichlich abgeklärt. Sie weiß, Figaro liegt auf der Lauer und die Lektion für ihn läuft - ich kenne kaum eine unaufgeregtere Figur als Susanna in dieser Szene. Wenn anschließend Cherubino unerwartet kommt und mit seiner impulsiven Art die schönen Pläne durchkreuzt bzw. ihren Erfolg gefährdet, wird sie (wie auch die mit ihr an eine Strang ziehende Gräfin) freilich aufgeregter.
Das Geniale an der Setzung dieser Arie durch Mozart und da Ponte ist die Uneindeutigkeit, die Unschärfe
Ich würde es in dieser Arie als Doppeldeutigkeit bzw. Gleichzeitigkeit des Verschiedenen bezeichnen: Einerseits spielt sie Figaro, den sie auf der Lauer liegend weiß, einen Streich, erteilt ihm eine schmerzhafte Lektion, andererseits freut sie sich schon auf die gemeinsame Zeit nach der - längst eingerechneten - Versöhnung und auf die Hochzeitsnacht (also den ersten Sex, so war das damals bei guten Katholiken, und das sind die Spanier nunmal). Und diese Gleichzeitigkeit von Witzigkeit im Streichspielen und der Abgeklärtheit mit der Siegesgewissheit des guten Endes - das macht für mich den besonderen Reiz dieser Nummer aus.
Natürlich wissen wir, dass Susanna als Adressaten eigentlich Figaro meinen muss, aber klingt die Arie nicht doch sehr aristokratisch? Könnte man sich nicht vorstellen, dass Susanna doch von den Privilegien träumt, die ihr eine Verbindung mit dem Graf bringen würde? Oder wechselt sie den Adressaten vielleicht sogar während der Arie? Natürlich hat sie den Grafen den ganzen "tollen Tag" lang zuvor an der Nase herumgeführt, aber könnte das ganze im Eindruck der Nacht sich nicht in eine andere Richtung entwickeln?
Nun ist der Graf freilich nicht da. Figaro weiß sie auf der Lauer liegend, der Graf wurde hingegen noch nicht gesichtet, insofern glaube ich das nicht, dass der Graf ihr konkreter Adressat in dieser Szene ist. Es passt für mich auch inhaltlich überhaupt nicht: Eine legitime Verbindung mit dem - adligen und bereits verheirateten - Grafen ist völlig absurd, unvorstellbar, und eine Affaire würde ihren Ruf nur ruinieren und die Ehe mit dem Mann, den sie liebt und für die "unbefleckte" Erstbegegnung mit ihm sie so sehr kämpft, akut gefährden. Also mit Verlaub: Ich halte dieses "Gedankenspiel" für einen Schmarrn!
So bleibt der Eindruck einer Sängerin mit Qualitäten und sehr sauberer Stimmführung, ihre Susanna hat mich persönlich aber leider nicht erreicht.
Diese Einschätzung finde ich völlig legitim! Mir geht es da wie gesagt anders, was aber vielleicht auch mit unserer unterschiedlichen Einschätzung dieser Szene zu tun hat.
Ich glaube nicht, dass sie am Grafen interessiert ist
Ich auch nicht! Er ist an ihr interessiert, also daran, sie ins Bett zu kriegen. Sie liebt einen anderen (das sagt Mozarts Musik meines Erachtens ganz eindeutig!) und ist vor allem daran interessiert, den Grafen zu foppen und ihm seine Grenzen aufzuzeigen!
Wenn Susanna so jemanden gerne hätte
... könnte man sich eigentlich die ganze Handlung sparen, die würde jegliche Brisanz verlieren, uninteressant und beliebig werden. Dass eine Vertreterin des dritten Standes (Susanna) dem Vertreter des ersten Standes (Graf) intellektuell überlegen ist und es schafft, dessen Pläne erfolgreich zunichte zu machen, anstatt ihnen doch nachzugeben und ihnen freiwillig zum Erfolg zu verhelfen, das macht für mich den "Kern" dieser Handlung aus. Es geht in dieser Handlung, schon in der literarischen Vorlage, gerade darum, dem Adel zu verklickern, dass man sich nicht mehr alles von ihm gefallen lässt. (Meine Meinung!)
natürlich will Carmen José damit eifersüchtig machen, nicht ahnend wie tödlich diese Eifersucht einst für sie sein wird.
Da sind wir uns hingegen mal wieder einig. Sie will ihn nicht nur eifersüschtig machen, sondern ihn überhaupt reizen und verführen, ihr die Flucht zu ermöglichen, um sich dann hinterher bei ihr den verdienten "Lohn" abzuholen...
halt typisch Baltsa und vermittelt in dieser kurzen Konzertarie dem Open-Air-Publikum sehr gekonnt, worum es in diesem Stück Musik geht.
Das sehe ich auch so!
Und unseren Dissenz in der Beurteilung der Dramaturgie der Susanna-Szene müssen wir jetzt auch nicht weiter auswalzen, das mag zwar ein hochinteressantes Thema sein, aber es ist nicht das Thema dieser Rubrik.