In den 70er und 80er Jahren dominierte in der öffentlichen Wahrnehmung unter den italienischen Tenören der Zeit eindeutig Luciano Pavarotti- großartige Zeitgenossen wie Martinucci, Giacomini, Bonisolli wurden auf die Plätze verwiesen. Die großen Schallplatten-Firmen boten ihnen weit weniger Raum als dem "Platzhirschen". Sehr schlecht bestellt ist es auch um das akustische Erbe des 1943 in Valenza (Provinz Alessandria) geborenen Piero Visconti, eines beachtlichen Spinto-Tenors mit einer weiten Karriere. Von ihm scheint es kaum eine kommerzielle Aufnahme zu geben, es kursieren immerhin ein paar Rundfunk-Livemitschnitte (Ausnahme: ein Live-Mitschnitt von Catalanis "Loreley" beim verdienstvollen Label Bongiovanni, dort auch ein Portrait aus Live-Aufnahmen).
Visconti studierte an der Academia di Santa Cecilia bei Fausta Corti Coppetti und danach privat auch bei Gianna Pederzini und Giuseppe di Stefano; er debütierte 1975 am Teatro San Carlo in Neapel in La Bohème und sang zunächst überwiegend Rollen aus dem Belcanto-Bereich. 1978 erschien er als Ernani in Rom, fortan entwickelte sich eine internationale Karriere, die ihn an fast alle großen Opernhäuser führte, nicht jedoch an die MET. In Deutschland sang er u.a. in Frankfurt, Dresden, München und Bonn, meist in den großen Rollen des italienischen Spinto-Fachs von Verdi bis Puccini und den Veristen. In München neben der Staatsoper auch in einem Sonntagskonzert am 2.2.1986 mit Margaret Price unter Thomas Fulton. Anfang der 90er Jahre scheint seine Karriere ausgeklungen zu sein.
Viscontis Stimme ist ein angenehm klingender, klarer, strahlender, gelegentlich in der hohen Lage zum Forcieren neigender, im Grunde lyrischer Tenor mit erstaunlicher expansiver Kraft. Stilsicher geführt, auf Linie und mit Fähigkeit zu Legato und langer Linie, nie outrierend, souverän (so in einer Aida-Aufnahme mit Maria Slatinaru, Fiorenza Cossotto und Ruggero Raimondi aus der Bayerischen Staatsoper vom 21.Mai 1979). Eindrucksvoll der u.a. Ausschnitt aus "Turandot". Ich würde seine Stimme in gewisser Weise mit denen von Giorgio Lamberti oder Veriano Lucchetti vergleichen. In diese Kategorie gehört Visconti meiner Meinung nach auch. Der große Tenor Piero Visconti verdient, nicht in Vergessenheit zu geraten.
Hier einige Beispiele, der Sänger selbst hat die eine oder andere Aufnahme ins Netz gestellt. Dass man sie nicht mit ausgefeilten Studio-Aufnahmen anderer Sänger vergleichen kann, versteht sich. Solche live- Aufnahmen sind m.E. hochachtbare Zeugnisse, ich ziehe sie als Stimmzeugnisse artifiziellen Studioproduktionen weit vor.
VG
Otello50