Ernst Krenek. „Reisebuch aus den österreichischen Alpen“, op.62


  • Was am liedkompositorischen Werk von Ernst Krenek mag so interessant, so bedeutsam, so seine Rezipienten bereichernd sein, dass es lohnen würde, sich ihm in Gestalt einer genaueren, also analytisch ausgerichteten und es in seiner Breite und Vielfalt in angemessener Weise abdeckenden Betrachtung zuzuwenden und einen entsprechenden Thread hier im Tamino-Kunstliedforum zu starten?
    Krenek ist keiner von den bedeutenden Liedkomponisten, bedeutend in dem Sinn, dass sich seine Lieder eines großen Bekanntheitsgrades oder gar allseitiger Beliebtheit erfreuen würden. Allenfalls sein Zyklus „Reisebuch aus den österreichischen Alpen“ dürfte da eine Ausnahme bilden.

    Dabei ist das liedkompositorische Werk Kreneks allein schon von seinem Umfang her beachtlich, von seiner musikalischen Qualität einmal ganz abgesehen. Über die ganze Zeit seines musikalischen Schaffensprozesses hat er Lieder komponiert, dies in Gestalt mehr oder weniger umfangreicher Opera.
    Der Grund dafür ist ein doppelter. Krenek greift zum Lied als Gattung, wenn es ihm darum geht, eine genuin personale, existenziell motivierte musikalische Aussage zu machen. Und er benutzt ebenfalls das Lied zum Zwecke der kompositorischen Identitätsstiftung und Standortbestimmung im Prozess der Weiterentwicklung der allgemeinen Musiksprache, wie sie sich zu seinen Lebzeiten als zeittypische Herausforderung an den Musiker des zwanzigsten Jahrhunderts stellt.
    Die Liedmusik wird ihm dabei zu etwas wie ein Experimentierfeld, auf dem er neue musiksprachliche Idiome und Techniken erproben kann, ohne dabei das kompositorisch große Werk bemühen zu müssen und das Risiko des öffentlich-spektakulären Scheiterns einzugehen.

    Das liedkompositorische Gesamtwerk ist diesbezüglich höchst aufschlussreich und vielsagend. Die früheste Komposition für Singstimme und Klavier stellen die Lieder auf Texte von G. H. Goering op.9 von 1921 dar, die letzte das „Albumblatt für Gesang und Klavier“ auf eigene Texte op.228, entstanden im Jahr 1977. Auf die Jahre dazwischen verteilen sich insgesamt 21 Liedopera allein für Singstimme und Klavier, wobei Krenek auch Liedkompositionen mit anderer Begleitung komponiert hat.

    Das alles hier aufzulisten dürfte wenig Sinn haben. Wohl aber ist interessant und vielsagend, welche Systematik sich in einer solchen Liste abzeichnet. Denn darin fände sich die Antwort auf die Frage, was eine Beschäftigung mit dem liedkompositorischen Werk Kreneks lohnenswert macht. Geht man das Werkverzeichnis Kreneks auf der Suche nach Liedkompositionen durch, dann bildet sich darin unter dem allgemeinen Aspekt der Musiksprache folgende Binnengliederung heraus:

    --- Drei Opera (9, 15, 19) in der tonalitätsfreien Schaffensperiode von 1921 bis 1923
    --- Ein Opus (30) in der neoklassizistischen Schaffensperiode von 1924 bis 1926
    --- Fünf Opera (48, 56, 62, 64, 67) in der romantischen Periode von 1926 bis 1931
    --- Fünf Opera (71, 82, 98, 112, 132) in der dodekaphonischen Periode von 1932 bis 1956
    --- Fünf Opera (189, 216, 218, 222, 228) in der seriellen Schaffensperiode ab 1957.

    Von einem seiner Biographen wurde Krenek einmal als eine „Ein-Mann-Musikgeschichte“ genannt. Und das ist eine höchst treffende Charakterisierung nicht nur des Komponisten, sondern auch des Menschen Ernst Krenek. Schlägt sich doch in seinem kompositorischen Werk nicht nur die Musikgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts in ihrem den gültigen Weg suchenden und darin zutiefst unruhigen, ja zerrissenen Wesen nieder, er hat diese realgeschichtliche und wahrlich schreckenerregende Unruhe und Dramatik dieses Jahrhunderts auch am eigenen Leib erfahren und durchleben müssen.

    Und weil die Liedmusik für ihn – wie für die meisten ihrer bedeutenden kompositorischen Vertreter auch – das personale musikalische Ausdrucks-Medium per se war, begegnet man all dem, was er als Mensch und Musiker auf der Suche nach existenzieller und künstlerischer Identität, nach einer Einbindung in einen Ort personaler und sozialer Heimat und nach dem der letztendlich gültigen, weil allumfassenden Musiksprache durchlitt, in einer hochgradig verdichteten, weil auf seinen Wesenskern reduzierten Weise.

    Hier, in diesem künstlerisch-biographischen Sachverhalt ist wohl die Antwort auf Frage zu finden, warum es sich für Menschen, die an Liedmusik und ihrer geschichtlichen Entwicklung interessiert sind, lohnen dürfte, sich rezeptiv und analytisch-betrachtend auf das liedkompositorische Werk Ernst Kreneks einzulassen.
    Man kann, eben weil dieses in seiner liedsprachlichen Vielfalt gleichsam elementarer Niederschlag der musikalischen „Sprachwechsel“ ist, die Krenek auf der Suche nach dem gültigen, treffenden und damit adäquaten musikalischen Ausdruck in der künstlerischen Auseinandersetzung mit den Grundfragen, den zentralen Problemen und den fundamental prägenden Ereignissen des zwanzigsten Jahrhunderts immer wieder vollziehen musste, einen tiefen Einblick in diese unsere heutige Lebenswelt so stark prägende historische Zeit gewinnen.
    Und das kann aufregend sein.

    Zunächst soll hier das „Reisebuch aus den österreichischen Alpen“ in Gestalt einer analytischen Betrachtung der einzelnen Lieder vorgestellt werden.
    Darüber hinaus ist beabsichtigt, in einem weiteren Thread irgendwann später auf eine repräsentative Auswahl aus dem liedkompositorischen Werk Kreneks einzugehen.

  • Nur kurz, lieber Helmut: Dieser Krenek liegt im CD-Wartebereich schon einige Zeit und wird dann mal abgeschickt. Dank an Dich auch zu diesem originellen Zyklus! Ich werde gerne nachlesen.


    Schon Deine Einleitung mit der Zuordnung zu Kreneks Schaffensphasen ist interessant, denn eine gute Handvoll Scheiben mit Orchestermusik kenne ich. Ebenso alle Streichquartette - die habe ich mir anders organisiert. ;)


    :) Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Ja, originell ist dieser Zyklus, - sogar hochoriginell, und dies in vielerlei Hinsicht.

    Freut mich, lieber Wolfgang, dass Du Interesse an dem bekundest, was ich dazu zu sagen habe.

  • Lieber Helmut Hofmann


    Dann freue ich mich auf deine Analysen. Bei mir im Regal ist diese inzwischen vergriffene CD des Labels cpo.


    Es singt der Bariton Markus Köhler. Reinhard Schmiedel begleitet ihn am Klavier.


    Dass Schubert immer wieder mitschwingt, ist den Liedern aus dem Jahr 1929 anzuhören. Ernst Krenek hatte sich anfangs der 20er Jahre in Berlin zusammen mit dem Pianisten Eduard Erdmann intensiv mit den Liedern Schuberts auseinandergesetzt.


    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Ich freue mich auf die Liedanalysen, lieber Helmut Hofmann.

    Der Zyklus interessiert mich nicht zuletzt, weil ich Westösterreicher bin.

    Ein befreundeter Tenor möchte ihn übrigens schon lange einmal aufführen. Derselbe Sänger hatte bereits Erfolg mit Krenek - als Max in "Jonny spielt auf".

  • Geradezu beschwingt durch so viel unerwarteten, erfreulichen und dankenswerten Zuspruch, werde ich mich morgen an die Arbeit machen.

    Morgen erst, weil zuvor noch einige grundsätzliche Anmerkungen zu diesem Liederzyklus erforderlich sind, damit man seine Anlage und die spezifische Art der Liedmusik besser verstehen kann.

  • Das „Reisebuch aus den österreichischen Alpen“

    Dieser Liederzyklus ist kompositorischer Niederschlag der Erfahrungen, die Krenek auf einer Reise durch Österreich tatsächlich machte, zu der er im Frühjahr 1929 mit seiner damaligen Frau Berta Hermann aufbrach. In seinen „Erinnerungen an die Moderne“ ist dazu zu lesen:
    „Die Reise hatte es in sich. Ich glaube, es war das einzige Mal in meinem Leben, dass ein Werk so offensichtlich und unmittelbar durch Erleben inspiriert wurde. Ich begann die Arbeit wenige Tage nach der Rückkehr nach Wien. Worte und Musik wurden gleichzeitig konzipiert, eine Methode, die ich auch in meinen frühen Opern angewendet hatte, und die zwanzig Lieder entstanden mühelos in zwanzig Tagen.“
    Am 26. Juli 1929 war die Komposition abgeschlossen.

    Ernst Krenek war damals, obwohl gerade mal 29 Jahre alt, bereits ein erfolgreicher Komponist. Seine Oper „Jonny spielt auf“ wurde in der Saison 1927/28 in 45 Städten Europas insgesamt 421mal aufgeführt. Eine große Zukunft stand ihm offen, und der erwog sogar vorübergehend nach New York zu gehen, wo an der „MET“ gerade seine Oper „Jonny“ aufgeführt worden war. Dennoch entschied sich schließlich für Wien al seinen Wohnort und zog sich dort zunächst „in glorreiche Einsamkeit“ zurück. Dahinter stand die Absicht, sich von der Rolle des Komponisten einer erfolgreichen Welterfolgsoper abzuwenden und sich auf die Suche nach einem neuen künstlerischen Weg zu machen.

    Und hier ist das Motiv für die Entstehung dieses Liederzyklus zu finden. Er wurzelt menschlich in einer von „leidenschaftlichem Patriotismus“ getragenen Liebe zu seiner Heimat Österreich, künstlerisch in Gestalt einer Rückkehr in die Gedankenwelt der Frühromantik, was konkret eine Rückkehr zur Liedmusik von Franz Schubert beinhaltete, und kompositorisch in der einer Auseinandersetzung mit dem Prinzip der Tonalität.

    Mit Schubert und seiner Musik hatte er sich schon in seiner Berliner Zeit der Jahre 1920-23 und in den Jahren danach auseinandergesetzt. Von großer Bedeutung dafür war die Begegnung mit Eduard Erdmann. Bis dahin hielt er Schubert, ganz im Geist der damaligen Zeit, für einen „liebenswerten Burschen (…), der eine Menge altmodischer Lieder komponiert hatte.“ Nun aber, unter dem Einfluss Erdmanns, vertiefte er sich in ein ernsthaftes Studium von Schuberts Liedmusik und kam zu der Erkenntnis, „dass man für die Unterweisung in die Grundprinzipien der Komposition kaum mehr benötigen würde als die sechshundert Lieder von Franz Schubert.“

    „Erst damals“, so bekannte er später, „habe ich wirklich verstanden und gelernt, wie man Phrasen gestaltet und ausbalanciert, wie man Betonungen verteilt und Harmonie und Metrum koordiniert, was Erweiterung und Verkürzung bedeutet, dass alle Details musikalischer Gestaltung voneinander abhängig sind und was musikalische Logik ist.“ Und noch eine weitere Äußerung zum Thema Schubert ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert: „Höchste Lebendigkeit, d.i. stete Variabilität und subtilste Feinheit im Ausdruck bei größter Ökonomie der Mittel, können wir von ihm am besten lernen. Eine Wendung nach Moll z.B. ist bei Schubert noch ein entscheidendes musikalisches Ereignis.“

    Die Auseinandersetzung mit der Liedmusik von Franz Schubert brachte für Krenek auch eine Beschäftigung mit den Fragen von Tonalität und Atonalität mit sich. Seine seinen frühen Liedkompositionen waren zwar nicht durchweg und auch nicht konsequent atonal ausgerichtet, dieses Prinzip der Harmonisierung der melodischen Linie übte jedoch eine starke Dominanz aus. Atonalität war für ihn eine Art logische Folge der Entwicklung des romantischen Klavierliedes. Denn, so sah er das, „durch die fortschreitende Durchsetzung des diatonischen Charakters des tonalen Systems ist nach und nach eine Verschleierung der harmonischen Vorgänge bis zur Unkenntlichmachung erfolgt.“ Und so ging er denn nun der Frage nach, ob und wie es möglich sein könnte, „das alte Vokabular zu verjüngen und ihm durch eine neue, ursprüngliche Erfahrung seine alte Lebendigkeit und Frische zurückzugeben.“

    Diese Intention liegt, neben den aufgezeigten inhaltlichen Motiven, diesem Zyklus liedkompositorisch zugrunde. Krenek wollte damit eine Art Beweis vorlegen, dass es in gar keiner Weise erforderlich sei, „das alte Vokabular“ wegen vermeintlichen Ausgeschöpft-Seins zu verlassen und sich einem ganz und gar neuen zuzuwenden. Vielmehr wollte er zeigen, dass dieses Vokabular ein hervorragendes liedkompositorisches Ordnungsprinzip beinhalte, weil es „offenbar die größte konstruktive Einfachheit und konsequente Durchführung aufweist.“

    Und so ist denn das „Reisebuch aus den österreichischen Alpen“ im Wesentlichen tonal angelegt. Zwar weist der Notentext keine Vorzeichen auf, dennoch können die meisten der allesamt durchkomponierten Lieder, bei aller oft weit ausschweifenden und keinem Reglement folgenden harmonischen Modulation, einer Grundtonart im Sinne eines sie klanglich prägenden tonalen Zentrums zugeordnet werden. Ein Kenner dieses Werkes (Lothar Knessl) hat das auf treffende und höchst beeindruckende, weil plastisch-bildhafte Weise in die Worte gefasst:
    „Fast jedes (Lied) gleicht einem kleinen Reisebuch durch die Tonarten, wobei die Strecke den Quintenzirkel vermeidet, über Kurorte der Quarten- und Ganztonakkordik führt, lichte Felder des Impressionismus berührt, in langen Tunnels von Vorhalten verschwindet und danach in völlig unerwarteten Landschaften wieder zutage tritt, Mischwälder der Bitonalität durchschneidet, schlanke Stützen nur angedeuteter Harmonik überbrückt und manchmal erst nach engen Kurven ruppiger Modulationen, im sicheren Kopfbahnhof sauberer Dreiklänge ein Ende findet. („Kreneks Reise in die Tonalität“, 1967).

  • Lied 1: „Motiv“

    Ich reise aus, meine Heimat zu entdecken.
    So ist´s mit uns:
    Unglaube gegen uns selbst ist zutiefst in uns verwurzelt,
    was andern selbstverständlich, ist uns Problem:
    ob wir daheim sind, wo wir geboren.
    Zusammengebraut aus verschiedenstem Blut,
    mit vielem begabt, doch mit Zweifel zumeist,
    irren wir hin und her, suchend uns selbst und die Heimat,
    und kennen am Ende fast alles,
    nur nicht das Land, dem wir gehören.
    So reis´ ich aus der Stadt
    In die Berge, die in mein Fenster schauen
    Und den Horizont unsrer Tage freundlich umschließen,
    neugierig, ob ich´s finde:
    mein Vaterland.

    Dieses Lied eröffnet den Zyklus, indem es sich auf die Motive einlässt und sie benennt, die das lyrische Ich zum Aufbruch zu dieser Reise bewogen. Und hier wird die tief reichende Verwandtschaft mit Schuberts Motiv der „Wanderschaft“ und der Gestalt des „Wanderers“ gleich am Anfang des Zyklus in markanter Weise ersichtlich.
    In dem das Zentrum der lyrischen Aussage bildenden Vers „irren wir hin und her, suchend uns selbst und die Heimat“. Über die Absicht hinaus, das Land zu erwandern und kennenzulernen, „dem wir gehören“, sucht dieses lyrische Ich „Heimat“ im existenziellen Sinne und steht darin dem Protagonisten der „Winterreise“ tatsächlich nahe. Dies freilich mit freilich einem anderen Resultat der „Wanderschaft“: Keine abgrundtiefe und hoffnungslose Vereinsamung des Wanderers, sondern die Möglichkeit von tatsächlicher Heimat, sich artikulierend in der der Frage am Ende von Lied 19: „Möchtest du, unser schönes Land, mir Heimat sein! Liebes Vaterland?“.

    Und so ist es denn kein Wunder, dass es besonders in diesem Lied, aber auch in manch anderem dieses Zyklus´, Anklänge an Schuberts Liedmusik, ja sogar eine „fast wörtliche Anspielung auf das gemütliche Einherstolzieren eines Schubert´schen Militärmarschs“ (Krenek) gibt.

    Ich würde allerdings nicht so weit gehen wie der Verfasser der „Kritischen Biographie“ über Ernst Krenek, John L. Stewart, der zu diesem ersten Lied meint: „Die Ähnlichkeit der Melodie und der Klavierbegleitung mit bestimmten Eigenschaften, die für die Lieder Schuberts höchst charakteristisch sind, ist so groß, daß man, ohne Krenek als den Urheber des Liedes zu kennen, einen Moment lag meinen könnte, es sei ein neu entdecktes Werk seines großen Vorfahren“. Diese Ähnlichkeiten in der Melodik und – vor allem – im Klaviersatz gibt es ja tatsächlich. Aber das würde ich niemals für ein Schubert-Lied halten. Die Anlage der melodischen Linie in ihrer Gänze und vor allem ihre Harmonisierung entsprechen nicht dem Charakter und dem Wesen eines Schubertliedes.


  • „Motiv“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Was in seiner Nähe zum ersten Lied der „Winterreise“ klanglich sozusagen unmittelbar ins Ohr springt, das ist der Klaviersatz in seiner durchgehenden Anlage aus vier Viertel-Akkorden pro Takt. In der Gleichförmigkeit ihres Aufeinander-Folgens suggerieren sie – wie in „Gute Nacht“ – die Gleichförmigkeit des Aufbruchs im Wanderschritt, ohne ihn freilich in der Raschheit ihrer Abfolge als solchen klanglich wirklich darstellen zu wollen. „Andantino con grazia“ lautet die Tempoanweisung für dieses Lied, und Krenek hat sie in Klammer mit dem Zusatz versehen: „leicht und schwebend“.
    Es ist ein ganz anderer Aufbruch, den dieses lyrische Ich hier vollzieht: Nicht der von der Bürde seelischen Leids beschwerte, und ziellos ins Ungewisse führende Schritt des Protagonisten der „Winterreise“, sondern einer, der von Neugier, Erwartung und Hoffnung angetrieben und beflügelt wird.

    Dieses Ich hat ein Ziel, es will „seine Heimat entdecken“, und so trägt denn die Klavierbegleitung mit ihren gleichförmig aufeinander folgenden Viertel-Akkorden in Bass und Diskant eine melodische Linie, die bei den Anfangsworten „Ich reise aus“ nicht etwa – wie in „Gute Nacht“ - eine mit einem kleinen Sekundfall einsetzende und in Moll harmonisierte Fallbewegung beschreibt, sondern mit einem Quartsprung in mittlerer Lage einsetzt, der in einen gewichtigen, weil im Wert von halben Noten vollzogenen Sekundanstieg übergeht, dem ein Fall zurück auf die gerade erreichte tonale Ausgangslage folgt.
    Auf den nachfolgenden Worten „meine Heimat zu entdecken“ liegt zwar eine fallende melodische Linie, die Abwärtsbewegung erfolgt aber in einer wellenartigen Form, wird in ruhigen deklamatorischen Schritten von Vierteln vollzogen und geht am Ende, auf den beiden letzten Silben des Wortes „entdecken“ Terzsprung über.
    Und wie zur Bekräftigung des Aufschwungs, den die melodische Linie damit wieder nimmt, lässt das Klavier im zweitaktigen Zwischenspiel eine bogenförmig ansteigende und wieder fallende Folge von Akkorden in Diskant und Bass erklingen. Das alles ist in reinem, klarem Es-Dur mit vorübergehender Rückung in die Dominante harmonisiert, und es wohnt ihm nicht der geringste Anflug von Bedenken und Zögerlichkeit inne, wie das bei einem Aufbruch ins Unbekannte durchaus der Fall sein kann.

    Den Worten „So ist´s mit uns“ ist, ihrem lyrisch-sprachlichen deklamatorischen Gestus entsprechend, eine eigene kleine, durch Pausen abgesetzte Melodiezeile zugeordnet, in der die Vokallinie sich in zwei deklamatorischen Schritten um eine Sekunde erhebt und dann wieder zum tonalen Ausgangspunkt zurückkehrt. Die Harmonik rückt hier vorübergehend nach es-Moll, was der melodischen Aussage einen leichten Anflug von schmerzlicher Klage verleiht. Bei den Worten „Unglaube gegen uns selbst ist zutiefst in uns verwurzelt“ nimmt die melodische Linie einen – nebenbei: ganz und gar unschubertisch wirkenden – den thesenartigen Charakter der lyrischen Aussage reflektierenden rhetorisch-deklamatorischen Gestus an, indem sie zwei Mal (bei „gegen uns“ und „uns verwurzelt“) zu kurzschrittigen, in Achtel-Schritten erfolgenden bogenförmigen Bewegungen übergeht.

    Diesen Gestus behält sie bei den nachfolgenden Versen vier und fünf („was andern selbstverständlich…“) bei, verbleibt doch der lyrische Text in seiner sprachlichen Struktur und seiner Semantik auf der Ebene abstrakt-reflexiver Feststellung. Bezeichnend dafür ist, dass die melodische Linie in vier kleine, jeweils von Viertelpausen voneinander abgehobene Zeilen untergliedert ist, die Dynamik starken Schwankungen unterliegt (von piano zu mezzoforte), und die Harmonik mehrfach das Tongeschlecht wechselt: Von f-Moll nach F- und B-Dur und dann, bei den zweimaligen Fallbewegungen der melodischen Linie auf den Worten „ob wir daheim sind, wo wir geboren“ nach c-Moll, darin wieder den lyrischen Grundton des Beklagens eines Sachverhalts akzentuierend.

  • „Motiv“ (II)

    Um es nochmals betonen: Das ist, im Gestus rhetorischer Sachlichkeit, Liedsprache des zwanzigsten Jahrhunderts, darin charakteristisch und repräsentativ für den ganzen Zyklus, - und weit weg von der Liedsprache eines Franz Schubert.
    Die klingt in diesem ersten Lied gleichsam nur phasenweise auf, wie aus fernen Zeiten herüber kommend, und man vernimmt sie eigentlich nur in der melodischen Linie auf den Eingangsworten, ihrer Wiederkehr auf den Worten „So reis´ ich aus der Stadt“ und „mein Vaterland“ am Ende. Überall dominiert ansonsten der gleichsam sachlich-konstatierend auftretende melodische Grundton.

    Auf den Worten „Zusammengebraut aus verschiedenstem Blut“ und „vielem begabt, doch mit Zweifel zumeist“ liegt eine fast identische melodische Linie aus bogenförmigem Anstieg und Fall in partiell wieder in Achteln erfolgenden Sekundschritten, denen dann die geradezu klanglich nüchtern anmutende Feststellung „irren wir hin und her“ in Gestalt einer aus einer Tonrepetition hervorgehenden Kombination aus Sextfall und Oktavsprung folgt, bei der die Harmonik eine den konstatierenden Gestus der Melodik verstärkende Rückung von as-Moll nach Ces-Dur vollzieht.

    Die Melodik behält, mit Ausnahme der als schubertisch eingestuften Passagen, diesen deklamatorischen Gestus bei, braucht also darin im einzelnen nicht weiter beschrieben zu werden. Hervorzuheben ist allerdings noch, dass sie darin durchaus die emotionalen Konnotationen dieses rational-konstatierend daherkommenden lyrischen Textes in vielfältiger Weise reflektiert. Dies sowohl in der Struktur der melodischen Linie, wie auch in ihrer Harmonisierung, bei der sich permanent, manchmal sogar kühne Rückungen ins Tongeschlecht Moll ereignen.

    So ereignet sich etwa bei dem aus einer Tonrepetition der melodischen Linie auf den Worten „suchend uns selbst und die Heimat“ hervorgehenden Quartsprung auf dem Wort „Heimat“ eine hochexpressive, eben die emotionale Komponente dieses Wortes stark hervorhebende Rückung von Ces-Dur nach e-Moll. Und bei den Worten „und kennen am Ende fast alles, nur nicht das Land, dem wir gehören“ beschreibt die melodische Linie eine Fallbewegung nach der anderen, allesamt in Moll harmonisiert (f-Moll, es-Moll), die erst am Ende, auf beiden letzten Silben des Wortes „gehören“ in einen zaghaften, weil verminderten und weiterhin in es-Moll harmonisierten Sekundsprung übergeht.

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  • Lied 2: „Verkehr“

    Mit der Bergbahn geht´s elektrisch immer höher,
    immer höher durch den Wald, über die frühlingsbunten Wiesen.
    Hart am Abhang schleicht sie hin so still und reinlich,
    als wär sie selbst ein Stück Natur
    und nicht hingesetzt von Menschen.
    Noch lieber fahr ich aber Automobil:
    Das geht schön langsam, und man spürt das durchmessene Land.
    Doch im Postauto erst lernst du die Menschen kennen.
    Die Härten des Fahrplans mildert sozialer Sinn der Passagiere,
    und so steigt immer noch einer auf,
    immer noch einer,
    immer noch,
    immer,
    mit einem Witz scheuchend die Qual der Enge.
    Der Chauffeur kann kaum zu seinen Hebeln,
    und auf der unmöglich steilen, alten Straße
    rutscht der Wagen oft bedenklich.
    Doch es geht, es geht schon – nur Geduld!
    Und jeder kommt ans Ziel und lächelt freundlich.
    Unbedankt geschieht so die schwerste Arbeit,
    denn wem soll man es auch rühmen,
    daß die Straße wüst und gefährlich,
    der Lenker aber kühn und prächtig ist?
    Der Durchschnitt findet Anwert nur.
    So ist dies Volk,
    daß es durch Talent den Mangel und die eigene Indolenz besiegt.


    Die moderne Welt tritt in die Liedmusik. Zu dem Realbezug dieser Verse liest man bei Krenek: „Verkehr bezieht sich auf die elektrische Schmalspurbahn, die nach Mariazell führt und auf alle Alpenpässe, die die Postautobusse bezwangen, besonders den Katschberg.“

    Dieser Eintritt geschieht nicht nur in repräsentativen Bildern des sie wesenhaft prägenden Verkehrs, sondern auch in einer diesen Bildern entsprechenden Liedsprache. Diese ist modern in dem Sinne, dass sie in ihrer Melodik rhetorisch-sachlich ausgerichtet ist, sich ohne Rücksichtnahme auf das Gebot kantabel-gebundener Linienführung ganz und gar auf den zwischen deskriptiver Sachlichkeit und subjektiv-reflexiver Aussage hin und her pendelnden lyrischen Text einlässt.

    Das freilich mit einem auf reizvolle Weise da und dort zum Vorschein kommenden Humor, - ist doch die Erfahrung von Modernität in Gestalt von „Verkehr“ für das lyrische Ich eine durchaus ambivalente. Einerseits liebt es die Bergbahn, und noch mehr das „Automobil“, andererseits fühlt es sich von den ersten Erscheinungsformen des Massenverkehrs bedrängt und erlebt erstmals auch die Gefahren. Das nimmt es aber mit Humor hin und versucht es mit philosophischen Gedanken über das Wesen des „Volkes“ zu verarbeiten und zu bewältigen.


  • „Verkehr“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Mit gutem Grund hat Krenek seine Vortragsanweisung in Klammer mit einem deutschen Zusatz versehen: „Allegro giusto, ma non troppo (lustig bewegt)“. Und wenn sich die Liedmusik dem Vers „Doch im Postauto erst lernst du die Menschen kennen“ zuwendet, gibt er ihr ausdrücklich die Anweisung bei „mit Humor“ und „animando“.
    Dem Lied liegt ein Viervierteltakt zugrunde. Vorzeichen zur Harmonik weist der Notentext nicht auf. Und das hat seinen guten Sinn: Im Unterschied zum ersten Lied vermag man bei diesem keine Grundtonart auszumachen. Die Harmonik ist auf bemerkenswerte Weise instabil, sowohl in den Tonarten, die sie durchstreift, wie auch im Hinblick auf das Tongeschlecht. Auch das ist ein Ausweis der Modernität der die moderne Welt reflektierenden Liedmusik. Atonal im genuinen Sinne ist sie zwar nicht, dafür bilden sich viel zu oft Inseln stabiler Tonalität aus, und bei dem mit den Worten „Doch es geht, es geht schon“ eingeleiteten Verspaar bewegt sich die Harmonik sogar auf klassische Weise zwischen der Tonika H-Dur und der Dominante, gleichwohl vollzieht sich die Harmonisierung der melodischen Linie gleichsam am Rande der Tonalität. Und das muss sie in ihrer modulatorischen Vielgestaltigkeit auch, angesichts der komplexen Vielfalt der lyrischen Aussagen, ihrer Semantik und ihrer sprachlichen Gestalt.

    In vielfältiger Weise reflektiert die Liedmusik im Bereich der Melodik, wie auch im Klaviersatz die Aussage des lyrischen Textes und die Bilder, die sie konkretisieren. Das geschieht in vielen Fällen unter Einsatz klangmalerischer Mittel. So setzt das Klavier im zweitaktigen Vorspiel mit in fis-Moll harmonisierten Akkordfolgen ein, die in ihrer Rhythmisierung – zwei repetierende Achtel-Akkorde, eine Zweiviertelpause und ein weiterer Achtel-Akkord pro Takt – klanglich stark an das Geräusch einer Dampflok erinnern. Das Klavier behält diese akkordische Figur in der Begleitung der Singstimme mit kurzen Unterbrechungen durch andere Figuren, die ebenfalls der Textreflektion geschuldet sind, bis zum fünften Vers einschließlich bei. Erst wenn das „Automobil“ ins Spiel kommt, nimmt der Klaviersatz eine prinzipiell andere Struktur an. Aber auch dort finden sich in ihm klangmalerische Elemente, auf die noch kurz einzugehen sein wird.

    Bei den Worten „Mit der Bergbahn geht´s elektrisch immer höher“ beschreibt die melodische Linie, dem Bild entsprechend, einen Anstieg in partiell repetierenden Sekundschritten aus tiefer in mittlere Lage und nutzt die Wiederholung der Worte „immer höher“ im Sinne eines Steigerungseffekts auf geradezu raffinierte Weise dadurch, dass sie eine zweimalige, aber in der tonalen Ebene sich steigernde Fallbewegung beschreibt, die am Ende in einen Sextsprung bei dem zweiten „höher“ mündet. Bei dem Wort „Wald“ verharrt sie in einer Dehnung auf einem „Dis“ in mittlerer Lage.

    Dann aber öffnet sich die Perspektive zu den „frühlingsbunten Wiesen, und das hat zur Folge, dass sie erst in deklamatorischen Sekundschritten, dann aber mit einem Quintsprung über das Intervall einer Oktave in hohe Lage aufsteigt und dort in langsameren, weil nun in Gestalt von Vierteln erfolgenden Schritten zu einem Fall übergeht, der bei dem Wort „Wiesen“ in Gestalt einer gedehnten Tonrepetition genau auf der tonalen Ebene endet, von der aus der Anstieg erfolgte. Das Klavier lässt hier vorübergehend von seinem Dampflokmotiv ab und beschreibt mit Viertel-Akkorden eine – zur melodischen Linie gegenläufige – Aufstiegsbewegung, die bei der melodischen Dehnung auf „Wiesen“ zu einem Bogen von Einzeltönen in extrem hoher Diskantlage übergeht, - unüberhörbar in der Absicht, die Schönheit des lyrischen Bildes zu betonen.

  • „Verkehr“ (II)

    Das Bild vom „hart am Abhang Hinschleichen“ der Bergbahn greift die melodische Linie mit einem kurzschrittigen (nur Achtel) Anstieg in hohe Lage auf, der in einen deklamatorisch ruhigeren Fall (nun Viertel) übergeht und das Ganze gleich noch einmal vollzieht, wobei auf den diesen thematischen Komplex abschließenden Worten „uns nicht von Menschen“ dann – nach einer Viertelpause – eine melodische Bogenbewegung in tiefer Lage liegt, die in einer Tonrepetition in Gestalt eines tiefen „Dis“ endet. Auch hier weicht das Klavier noch einmal von seinem Dampflok-Motiv ab und lässt bei dem relativ ruhigen Fall der melodischen Linie auf den Worten „ein Stück Natur“ eine in extrem hohe Diskantlage aufsteigende und dann einen Fall über zwei Oktaven beschreibende Folge von Achteln erklingen, was wohl die Stimmigkeit des Bildes, das ja die Versöhnung von Technik und Natur zum Ausdruck bringt, mit einem starken Akzent versehen will.

    Und nun kommt der liedmusikalische Auftritt des Postautos, dem die ganze Zuneigung des lyrischen Ichs gilt, weil es sich, darin die historische Zeit spiegelnd, „schön langsam“ bewegt und es auf diese Weise ermöglicht, das „durchmessene Land“ spüren zu lassen. Das lyrisch zentrale „noch lieber“ reflektiert die Liedmusik mit einem dreifachen, in der tonalen Ebene ansteigenden Aufstieg der melodischen Linie, der am Ende, auf den beiden letzten Silben des Wortes „Automobil“, in einen verminderten und liebevoll-kläglich anmutenden, weil mit einer Rückung von Dis-Dur nach dis-Moll verbundenen verminderten Sekundfall übergeht. Das Klavier leistet hier wieder die Aussage mächtig akzentuierende Begleitung, indem es zweimal mit Anstiegsbewegungen von Einzeltönen und bitonalen Akkorden eingeleitete lang gehaltene Akkorde erklingen lässt.

    Aber die Straße ist ja holprig, auf der das Postauto dahinfährt, und so schlägt das Klavier bei den Worten „langsam und man spürt das durchmessene Land“ (Takt 21-23) staccato und legato Achtel an, die sich tiefe Basslage absenken und am Ende in einen konsequenten Sekund-Anstieg übergehen. Kurioserweise folgt im eintaktigen Zwischenspiel (Takt 24/25) im Bass eine Folge von bitonalen Akkorden nach, die ganz offensichtlich den Klang einer Auto-Hupe imaginieren sollen. Und wie sehr es Krenek auf diese klangmalerische Komponente in diesem Lied ankommt, das sieht man daran, dass dieser Hup-Effekt in den Takten 28/29 und 53/54 noch zwei weitere Male zu vernehmen ist.

    „Mit Humor“ soll die melodische Linie auf den Worten nächsten sieben Verse (und Verschen) vorgetragen werden. Auf dem Wort „Postauto“ liegt ein etwas übertrieben wirkender Oktavfall in drei Schritten der mit einem Septsprung eingeleitet wird. Und wie ein kontrastives Pendant dazu wirkt dann die Tonrepetition auf den Worten „Menschen kennen“. Prompt wird das auch wieder mit Hupenklang vom Klavier begleitet. Wie deklamatorisch heruntergespult wirkt die melodische Linie mit ihren sich wiederholenden Schritten auf den Worten „Die Härten des Fahrplans mildert sozialer Sinn der Passagiere“, die das Klavier mit ebenfalls sich wiederholenden Figuren aus Vierteln und Achteln im Diskant begleitet. Mit permanenter, in der tonalen Ebene ansteigender Tonrepetition reflektiert die melodische auf geradezu anschauliche Weise die Worte „und so steigt immer noch einer auf, / immer noch einer,/ immer noch, / immer“, wobei das Klavier hier, ganz dem lyrischen Bild entsprechend, zur Begleitung mit aus bitonalen Achteln gebildeten Sprungfiguren übergeht und das Ganze am Ende mit einem lauthals angeschlagenen, den ganzen Takt einnehmenden fünfstimmigen Akkord kommentiert.

    Bis in die kleinsten Details der Faktur bringt Krenek hier klangmalerische Effekte zum Einsatz. Bei den Worten „und auf der unmöglich steilen, alten Straße / rutscht der Wagen oft bedenklich“ beschreibt die melodische Linie eine Folge von Sext- und Quintsprüngen, die das Klavier mit immer wieder aufs Neue fallenden und dabei in der tonalen Ebene ansteigenden Achteln im Diskant begleitet, während es im Bass kurioserweise dieselben Sprünge macht wie die melodische Linie. Dann aber, bei den Worten „Wagen oft bedenklich“ geht das Klavier in Bass und Diskant, in eine Fallbewegung über, die das Rutschen des Postautos auf klanglich markante Weise sinnfällig werden lässt. Und im Nachklang kommentiert es dies mit einer fortissimo ausgeführten Kette von nach oben schießenden Sechzehnteln, die ausdrücklich „abreißen“ soll.

  • „Verkehr“ (III)

    Und was ereignet sich danach?
    In schönster Salonmusik-Manier, vom Klavier mit einer simplen Folge von Einzelton und Akkord begleitet und mit einem entsprechenden Nachspiel versehen, erklingen, in H-Dur und der Dominante dazu harmonisiert, die Worte „Und jeder kommt ans Ziel und lächelt freundlich“.
    Ist das musikalische Ironie?
    Eigentlich mutet es nicht so an. Krenek will, so scheint es, die Szene in ganz und gar ernsthafter und angemessener Weise musikalisch wiedergeben. Und das gilt auch für die Musik auf die restlichen Verse. Geradezu pastoral, melodisch in Gestalt von deklamatorischen Schritten im Wert von halben Noten, kommt die Liedmusik auf den Worten „Unbedankt geschieht so die schwerste Arbeit“ daher. Und nachdem die melodische Linie danach zwei Mal die gleiche Figur eines Aufstiegs in hohe Lage mit nachfolgendem Fall beschrieben hat, vollzieht sie das Gleiche, wie zur Bekräftigung ihres Gestus an dieser Stelle, bei den Worten „kühn und prächtig ist“ noch einmal. Nur dass dieses Mal der Fall nur über eine Sekunde erfolgt und in einen Aufstieg übergeht und das Klavier das Ganze mit klanglich prächtigen Akkorden begleitet.
    Der „Lenker“ dieses Postautos ist für Krenek eine Art Held, und das lässt er die Hörer seines Liedes auf ganz und gar ernsthafte Weise vernehmen.

    Und da ist noch der Schluss, mit seinen, einen Ausflug in die Gesellschaftsphilosophie unternehmenden letzten drei Versen. In ruhigem, wieder in deklamatorischen Schritten im Wert von halben Noten erfolgendem Fall der melodischen Linie werden die Worte „Der Durchschnitt findet Anwert nur“ vorgetragen, - in einer eigenen, von Pausen eingehegten Melodiezeile, vom Klavier mit gewichtigen, der melodischen Linie folgenden Akkorden begleitet und in der Harmonisierung von h-Moll nach D-Dur rückend.

    Krenek scheint hier tatsächlich thesenhafte Aussagen über den Menschen auf ernsthafte Weise in Musik setzen zu wollen. Und das deklamatorisch gewichtige Auf und Ab über große Intervalle bei den Worten „So aber ist dies Volk“ wirkt wie eine nachdrückliche Bekräftigung dieser Absicht. Es ist eine wesenhaft der Sachlichkeit verpflichtete Liedmusik, die man hier – und generell in diesem ganzen Zyklus – vernimmt. Die nun lebhaft nach oben steigende, wieder fallende, in einen Sprung und einen Fall übergehende und danach erneut, nun aus tiefer Lage, einen Anstieg mit nachfolgendem Sekundfall beschreibende melodische Linie auf den Worten „daß es durch Talent den Mangel und die eigene Indolenz besiegt“ wirkt wie eine wenig liedhafte, in ihrem rhetorischen Gestus wesenhaft rhetorische Erläuterung der vorangehenden Thesen.

    Dass ihr freilich Bedeutsamkeit zukommt, bekräftig das Klavier am Ende mit einem rasanten, über mehr als zwei Oktaven erfolgenden Anstieg von Achteln in Bass und Diskant, dem freilich im eintaktigen Nachspiel ein bemerkenswert lapidarer Kommentar in Gestalt von zwei bitonalen, von der Dominante nach H-Dur rückenden Akkorden nachfolgt.

  • Ich wollte nur kurz bekunden, dass ich mich mit dir auf die Reise gemacht habe, lieber Helmut Hofmann.

    Die ersten beiden Stationen haben mir bereits viel Freude gemacht.

    Hier stimmt es wirklich: Wer eine Reise macht, weiß etwas zu erzählen!

    Ich bin im Reisefieber und hoffe, dass es so weitergeht.

    Schön auch, dass du immer ein Musikbeispiel einstellst.

  • Ich bin im Reisefieber und hoffe, dass es so weitergeht.

    Wird es, lieber greghauser.

    Und man kann an dieser Reise ja tatsächlich teilnehmen, weil Krenek es auf faszinierende Weise versteht, die Hörer seiner Liedmusik in die Erfahrungen, die er mit dieser Reise gemacht hat, und die Emotionen und Reflexionen, die bei ihm damit einhergingen, einzubeziehen.

    Dies deshalb, weil seine Musik unmittelbar anzusprechen vermag.

  • Lied 3: „Kloster in den Alpen“

    Riesengroß liegt das Kloster da im Tal,
    unverrückt und nicht berührt vom Strom der Zeit.
    Zwar haben sie auch alles:
    Wasser, elektrisches Licht, Telephon und den Rest;
    Doch sind sie der Technik Sklaven nicht wie wir.
    Im ewig stillen Saal, zwischen hunderttausend Büchern,
    während freundliche Mittagssonne auf altersgrauen Bänden spielt,
    erklären elegante Mönche mit wohlberechtigtem Hochmut
    dem hergelaufenen Pöbel,
    was zu zeigen sie ihm gut finden.
    Kühl entfernen sie sich,
    und unentschleiert bleibt das Geheimnis,
    das in dem Riesenbau du walten fühlst.
    Abends dann beim Wein im Klosterkeller magst du nachdenken,
    was für ein sinnlos Leben du führst.

    In diesem lyrischen Text, bei dem es sich wie durchweg in diesem Zyklus eigentlich um „rhythmisierte Prosa“ handelt (so Kreneks eigene Worte), präsentiert Krenek seine Erfahrungen und Eindrücke im Stift Admont und lässt sich auf sie reflektierende Gedankengänge ein, was ja die dem Zyklus zugrundeliegende künstlerische Intention ist. Die verschiedenen Ebenen des lyrischen Textes – Schilderung, Tatsachenfeststellung und Reflexion – finden sich in der Komposition in markanter Weise wieder und bedingen eine gewisse Vielgestaltigkeit der Faktur und des klanglichen Eindruckes, der von dem Lied ausgeht. Ein Dreivierteltakt liegt ihm zugrunde, und die Vortragsanweisung lautet „Andante sostenuto (still und verhalten). Die Harmonik moduliert aus vielfältige Art und Weise, es keine dominierende Grundtonart auszumachen.

    In seiner Grundgestalt weist das Lied eine Dreigliedrigkeit auf. Sie zeigt sich nicht nur im unterschiedlichen Charakter der Liedmusik, auch ein spezifisches Merkmal der Faktur lässt sie sinnfällig werden. Nach den beiden ersten Teilen ereignet sich ein Innehalten der Liedmusik in Gestalt eines mit einer Fermate versehenen g-Moll-Akkordes (wie beim ersten Teil) oder einer fermatierten Pause (so beim zweiten). Man kann dies durchaus als liedmusikalischen Ausdruck der Grunderfahrung verstehen, die dieser Komposition zugrunde liegt: Es ist die der vom „Strom der Zeit unberührten Ruhe, wie sie sich im ersten Bild und in den Worten „im ewig stillen Saal“ niedergeschlagen hat. Der erste Teil des Liedes, der bis zu Takt 34 reicht, atmet diese Ruhe.


  • „Kloster in den Alpen“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Mit einer mezzopiano in Diskant und Bass angeschlagenen und lange gehaltenen Oktave in „H“ setzt das Lied ein. Im zweiten Takt fügt sich die melodische Linie mit ebenfalls einem „H“ in mittlerer Lage in diese Oktave ein und geht danach in ein ruhiges, in Sprüngen und Fallbewegungen erfolgendes Auf und Ab über, das deshalb so ruhig wirkt, weil es in der Abfolge von deklamatorischen Schritten im Wert eines Viertels und einer halben Note erfolgenden Weise geschieht. Das Klavier begleitet ausschließlich mit lang gehaltenen Oktaven, und die Harmonik moduliert in stark ausgeprägter Weise von H-Dur über h-Moll, E-Dur und fis-Moll nach D-Dur. Das Bild vom „riesengroß im Tal liegenden Kloster hat auf diese Weise den voll ihm gerecht werdenden liedmusikalischen Ausdruck gefunden.

    Bis einschließlich Takt 34 behält das Klavier die auf maßgebliche Weise Ruhe suggerierende Begleitung in Gestalt von lang gehaltenen, z.T. den ganzen Takt ausfüllenden Akkorden bei, erweitert diese aber zur Dreistimmigkeit. Die melodische Linie setzt beim zweiten Vers ihren Gestus der ruhigen Bewegung fort, was ja vom lyrischen Text her geradezu geboten ist. Dem Wort „unverrückt“ wird, sinnigerweise, eine eigene kleine Melodiezeile aus der Repetition eines „F“ in tiefer Lage gewidmet. Bei den Worten „und nicht berührt“ beschreibt die melodische Linie einen durch eine Duole verzögerten Fall und geht danach in ein Auf und Ab in mittlerer Lage über, das bei dem Wort „Zeit“ in eine Dehnung auf einem „G“ in mittlerer Lage mündet, der eine mehr als ganztaktige Pause folgt. Auch hier beschreibt die Harmonik weit ausgreifende Modulationen, - von F-Dur über d- und a-Moll nach G-Dur. Da dies für das ganze Lied gilt und die Modulationen nicht nur den Kreuzton-, sondern auch den B-Bereich des Quintenzirkels abdecken, zwischen den Tongeschlechtern permanent wechseln und überdies Rückungen in dissonant-verminderte Klanglichkeit vollziehen, darf man wohl darin einen liedmusikalischen Niederschlag des Dunkel-Geheimnisvollen sehen, das sich für das lyrische Ich mit dieser Klosterwelt verbindet. Es spricht ja selbst von dem „Geheimnis“, das letzten Endes „unentschleiert“ bleibt.

    Mit dem einleitenden „zwar“ wechselt der lyrische Text von der bildhaften Schilderung zur konkreten Beschreibung der klösterlichen Lebenswelt über, bleibt aber im Rahmen des Eingangsbildes, so dass die fundamentale Ruhe der Liedmusik noch nicht aufgegeben wird. Die melodische Linie soll nun nur „etwas fließend“ vorgetragen werden, und in der Tat lässt sie nun von der Dominanz deklamatorischer Schritte im Wert von halben Noten weitgehend ab und geht zu den ganzen Raum tonaler Mittellage abdeckenden Steig-und Fallbewegungen über. Es finden sich aber immer doch Ruhe ausstrahlende Dehnungen darin, so bei den Fallbewegungen auf den Worten „auch alles“, Sklaven nicht“ und „wie wir“.

    Selbst in der dem lyrischen Text geschuldeten, stark deklamatorisch geprägten und deshalb lebhafteren melodischen Linie auf den Worten „Wasser, elektrisches Licht, Telephon und den Rest“ finden sich neben den Achtel-Schritten auch solche im Wert von halben Noten. Die Worte „wie wir“ werden mit dem in eine Dehnung mündenden Terzfall in unterer Mittellage auf markante Weise melodisch hervorgehoben. Eine fast eintaktige Pause geht voraus, und eine zweitaktige folgt nach, in der das Klavier einen lang gehaltenen, mit einer Fermate versehenen und legato von G-Dur nach g-Moll rückenden fünfstimmigen Akkord erklingen lässt. Die philosophisch-reflexive Dimension dieses Zyklus wird wieder einmal auf markante Weise vernehmlich.

  • „Kloster in den Alpen“ (II)

    Der zweite Teil des Liedes folgt nach, mit der Vortragsanweisung „Tranquillo“ versehen und mit einer fast viertaktigen Pause für die Singstimme verbunden. Der Bericht über die Führung folgt, den die „eleganten“ Mönche für den „hergelaufenen Pöbel“ veranstalten. Aber er ist eingebettet in das geradezu lyrisch anmutende Bild vom „ewig stillen Saal“ mit seinen „hunderttausend Büchern“, auf deren Rücken die „freundliche Mittagssonne spielt“. Dafür muss das Klavier die klangliche Atmosphäre schaffen, und das tut es mit einer Figur, die den Klaviersatz im Diskant bis zu den Worten „altersgrauen Bänden spielt“ beherrscht: Zwei Takte übergreifend steigen Einzeltöne und bitonale Akkorde im Wert von Vierteln in Bogenform an und senken sich wieder ab, wobei die Harmonik sich nun, abweichend von ihrem üblichen Gestus, geradezu friedlich in Rückungen von D-Dur, nach G-Dur, C-Dur, A-Dur und E-Dur entfaltet, mit nur kurzen Ausgriffen nach h-Moll, cis-Moll und e-Moll am Ende, die freilich die harmonische Idylle in keiner Weise trüben, vielmehr mit klanglicher Zärtlichkeit anreichern.

    Die melodische Linie entfaltet sich bei diesem Bild mittagssonnlich-idyllischer Ruhe in ruhigen Schritten in mittlerer tonaler Lage, in die immer wieder deklamatorisch gedehnte Schritte in Gestalt von halben Noten und sogar einer wirklichen Dehnung auf dem Wort „Saal“ eingelagert sind. Nur um Aussage-Akzente zu setzen, steigt sie mit einem Sprung in obere Mittellage auf, um von dort in einen ruhigen Fall überzugehen, so bei den Worten „hunderttausend Büchern“ und „auf altersgrauen Bänden spielt.“

    Das Klavier begleitet hier mit über zwei Takte gehaltenen Oktaven im Bass, wie man sie vom Liedanfang her kennt. Nach einer haltaktigen Pause geht die melodische Linie bei den Worten „erklären elegante Mönche“ zu etwas lebhafteren Bewegungen in Gestalt von Viertel- und Achtelschritten über, wobei sie relativ weit phrasierte Bogenlinien beschreibt, denen das Klavier in Diskant und Bass mit Vierteln folgt. Die Harmonik bewegt sich im Bereich von As-Dur und Ces-Dur. Bei den Worten „dem hergelaufenen Pöbel,/ was zu zeigen sie ihm gut finden“ geht die melodische Linie in ein noch lebhafteres, vom Klavier mit Einzeltönen in Bass und Diskant begleitetes, wellenartiges Auf und Ab in mittlerer Lage über, das am Ende aber, bei den Worten „gut finden“ in lang gedehnte Tonrepetitionen mündet, zu dem das Klavier einen taktübergreifenden c-Moll-Akkord erklingen lässt. Ein wenig Humor, mit leichtem Spott unterlegt, vermeint man hier zu vernehmen.

    Einen fast schon liturgisch anmutenden Ton nimmt die Liedmusik bei den Worten „Kühl entfernen sie sich,/ und unentschleiert bleibt das Geheimnis,/ das in dem Riesenbau du walten fühlst.“ an. Die melodische Linie ist in drei, durch längere Pausen voneinander abgehobene Zeilen untergliedert, und die weist auffällig viele Tonrepetitionen auf. Zweimal werden sie mit einem gedehnten Fall oder Sprung eingeleitet, und die letzte Zeile setzt auf den Worten „das in dem“ mit einer Tonrepetition ein, auf dem Wort „Riesenbau“ ereignet sich nach einem Terzfall eine weitere, und die Zeile klingt aus mit einem Verharren der melodischen Linie auf einem „A“ in mittlerer Lage. Durchweg begleitet das Klavier hier mit taktübergreifende gehaltenen bitonalen Akkorden im Diskant und Einzeltönen im Bass, und die Harmonik rückt von G-Dur über e-Moll und G-Dur nach H-Dur, wobei sich mehrfach dissonant-verminderte Tonarten hineindrängen. Die geheimnisvolle, in sich ruhende und darin auf die Ewigkeit ausgerichtete Welt des Klosters hat hier der Liedmusik ihren Geist aufgeprägt.

  • „Kloster in den Alpen“ (III)

    Mit einer auffallend lapidaren Geste schließt das Klavier diese Liedpassage ab: Aus einem verminderten Quintsprung hervorgehend fallen im Bass über das Intervall einer Duodezime mezzoforte Achtel in die Tiefe. „Brüsk abschließend (kurz)“ lautet diesbezüglich die Vortragsanweisung. Eine lange Pause folgt nach. Die Liedmusik, die danach einsetzt und die letzten beiden Verse umfasst, setzt sich durch ihre leichte Beschwingtheit, in der man erstmals den der Komposition zugrunde liegenden Dreiviertelakt vernimmt, deutlich von der gerade verklungenen ab. „Fließender“ soll die melodische Linie nun vorgetragen werden. Sie entfaltet sich bis zum Ende des Liedes bis auf wenige Ausnahmen im gleichen deklamatorischen Grundgestus: Pro Takt folgt ein Schritt im Wert einer Viertelnote auf einen im Wert einer halben nach. Und das Klavier begleitet das zunächst mit Oktaven im Bass, die den Schritten der melodischen Linie synchron folgen. Bei den Worten des letzten Verses geht das Klavier dann allerdings, darin dem Übergang des lyrischen Textes zur lebensphilosophischen Reflexion entsprechend, zur Begleitung mit lang gehaltenen Akkorden über.

    Die melodische Linie, die sich von Anfang an und gleichförmig in einer Folge von fallend angelegten Einzelschritten in der beschriebenen Rhythmisierung entfaltete, behält diesen Gestus auch im letzten Vers bei, auch sie aber geht dabei zu Variationen über, mit denen sie den reflexiven Charakter des lyrischen Textes aufgreift und reflektiert. Auf den Worten „was für ein“ liegt ein mit einem Sekundsprung eingeleiteter Terzfall in Gestalt einer Duole, der infolge seiner deklamatorischen Struktur dem nachfolgenden gedehnten Quintfall auf dem Wort „sinnlos“ – und damit ihm selbst – einen starken Akzent verleiht. Er wird verstärkt dadurch, dass die Harmonik an dieser Stelle eine Rückung von G-Dur nach a-Moll vollzieht. Danach, bei den Worten „Leben du führst“, geht die melodische Linie in ein gedehntes Verharren auf mittlerer tonaler Ebene in Gestalt eines akzentuierenden Sekundanstiegs auf dem Wort „du“ mit nachfolgendem Terzfall über, der deklamatorisch gewichtig anmutet, weil er in Schritten im Wert von punktierten halben Noten erfolgt.

    Dieses lyrische Ich macht sich so seine Gedanken über all das, was es auf seiner Reise erlebt. Und die Liedmusik bringt das nicht nur mit ihren Mitteln zum Ausdruck, sie gewichtet, akzentuiert und kommentiert es auch, - wie man im zweitaktigen Nachspiel auch darin vernehmen kann, dass das Klavier eine Aufeinanderfolge von zwei den Takt ausfüllenden sechsstimmigen Akkorden erklingen lässt, bei der sich ein Decrescendo von Mezzoforte nach Piano und eine harmonische Rückung von Des-Dur nach g-Moll ereignet.
    Die Sinnlosigkeit des Lebens wird vom lyrischen Ich mit Resignation hingenommen.

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  • Lied 4: „Wetter“

    Unverbindlich ist das Wetter in den Alpen,
    nicht bequem und nicht dem Wunsch des Reisenden entgegenkommend.
    Unverlässlich wie ein Lieferant
    wechselt es von Stunde zu Stunde,
    von Tal zu Tal.
    Niemals lässt es uns vergessen,
    daß wir in einer unwirtlichen Zone hausen,
    daß unser Leben nur ein halbes Leben ist,
    weil ihm die ewige Sonne fehlt.
    Geduld wird hier gelernt,
    wenn wieder und wieder sich die Berge in die grauen Schleier hüllen,
    und der stille Regen niedertropft.
    Dann wird es plötzlich hell des Abends,
    man ist des schönen Morgens sicher,
    doch in der Frühe regnet´s wieder…

    Dass die diesem Zyklus zugrundeliegenden Texte im Grunde Prosa sind, rhythmisierte allerdings und prosodisch strukturierte, lassen diese Verse, die ja doch das genuin lyrische Thema „Natur“ in ihrem wetterhaften In-Erscheinung-Treten zum Gegenstand haben, auf markante Weise erkennen. Höchst unlyrisch mutet es an, das Erlebnis des Morgens, der mit den durch den vorangehenden Abend geweckten Erwartungen kontrastiert, in die geradezu prosaisch-lapidaren Worte zu fassen: „Doch in der Frühe regnet´s wieder“. Die ersten drei Verse sind nackte Prosa, und die Feststellung „daß wir in einer unwirtlichen Zone hausen“ atmet den Geist schierer Sachlichkeit. Daneben finden sich aber auch, wie in den Text hineingestreut, lyrische Verse wie „und der stille Regen niedertropft“.

    Diese ausgeprägte Uneinheitlichkeit in der sprachlichen Gestalt des Textes schlägt sich auch in der Liedmusik nieder. Sie wirkt wie ein Konglomerat strukturell wesensverschiedener und in ihrer Klanglichkeit höchst unterschiedlicher Teile. Rein formal ist das schon an den verschiedenen Tempovorschriften, Vortragsanweisungen und dem zugrundeliegenden Takt zu erkennen. Aber es ist vor allem der durch die jeweilige Struktur der melodischen Linie, den Klaviersatz und die stark modulierende, partiell jegliches Zentrum vermissen lassende Harmonik bewirkte klangliche Eindruck, der den Charakter dieses Liedes als eine in ihrer Binnenstruktur stark kontrastiv angelegte Komposition erscheinen lässt.
    Man möchte vermuten, dass sich darin das Thema des Liedes, die „Unverbindlichkeit des Wetters“, niederschlägt. Und das dürfte durchaus seine Berechtigung haben: Die Liedmusik kommt in der Tat hochgradig wetterwendisch daher.


  • „Wetter“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Geradezu stürmisch entfaltet sich die melodische Linie auf den ersten beiden Versen. „Allegro furioso (stürmisch bewegt)“ lautet hier die Vortragsanweisung. Ein Dreivierteltakt liegt zugrunde, und es geht durchweg in Gestalt von deklamatorischen Achtelschritten zunächst aus tiefer in obere Mittellage aufwärts, danach folgen dreimal Fallbewegungen, die in der tonalen Ebene ansteigen, und mit den Worten „nicht dem Wunsch des Reisenden entgegenkommt“ geht es genauso stürmisch über das Intervall einer Non bis auf die Ebene eines „E“ in tiefer Lage abwärts.
    Auf diesem „E“ wird das Wort „entgegenkommt“ in Gestalt von Repetitionen deklamiert. Das Klavier folgt diesen Bewegungen mit Achteln im Diskant, lässt dazu aber im Bass synchron Achtel erklingen, die sich auf kontroverser Linie bewegen. Das alles steigert sich dynamisch vom anfänglichen Mezzoforte in einem Crescendo bis ins Fortissimo, und die Harmonik moduliert derart stark im Bereich von Moll- und verminderter Harmonik, dass man eine feste Tonart gar nicht ausmachen kann.

    Eine mit einer Fermate versehene Viertelpause für Singstimme und Klavier folgt nach. Der Takt wechselt anschließend von drei zu zwei Vierteln, und die Singstimme deklamiert die mit der Anweisung „Meno mosso, scherzando“ versehene melodische Linie auf den Worten „Unverlässlich wie ein Lieferant“. Ein unüberhörbarer Anflug von Humor ist ihr eigen, dies vor allem durch die Dehnungen, die sie aufweist, und die Bewegungen, die sie am Ende nimmt. Schon die Tatsache, dass diesem Vers eine eigene, durch lange Pausen geradezu exponierte Melodiezeile zugeordnet ist, mutet belustigend an.

    Hinzu kommt, dass die melodische Linie nach einer Dehnung auf der ersten Silbe des Wortes „unverlässlich“ einen rapiden Absturz in tiefe Lage beschreibt und sich dort ausgerechnet auf dem Wort „wie“ einer noch längeren Dehnung überlässt, der kurioserweise ein wiederum rapider Aufstieg auf den Worten „ein Lieferant“ nachfolgt, dem das Klavier eine fallend angelegten Sechzehntel-Figur entgegensetzt und der schließlich mit einem verminderten Quartsprung zu einem hohen „Fis“ unvermittelt abreißt. Die Harmonik moduliert hier wieder vielfältig von einem anfänglichen a-Moll zu einem fis-Moll, mit dem das Klavier in Gestalt eines vierstimmigen Akkordes dieses Abreißen der melodischen Aufstiegslinie akzentuiert.

    Diese kleine Zeile wurde in ihrer Faktur so detailliert beschrieben, weil an ihr in gleichsam repräsentativer Weise die spezifische Eigenart der Liedmusik in diesem Zyklus Kreneks vernehmlich und erfassbar wird. Sie ist in einem hohen Grade wortorientiert, folgt in enger Anbindung dem Gestus des lyrischen Textes und seinem semantischen Gehalt und scheut sich dabei nicht, regelrechte Brüche im Kontinuum der melodischen Linie in Kauf zu nehmen, um die jeweils angezeigten klangmalerischen Effekte voll zur Geltung kommen zu lassen.

    Denn es ist ja geradezu verwunderlich. Dieser Vers, der eine eigene Melodiezeile reklamieren darf, bildet eine syntaktische Einheit mit dem nächsten und dem übernächsten, den Worten „wechselt es von Stunde zu Stunde“ und „von Tal zu Tal“ also. Aber nicht nur, dass die Liedmusik erst nach einer fast eintaktigen (drei Achtel-) Pause neu einsetzt, sie tut es auch auf der Grundlage einer Rückkehr zum Dreivierteltakt und in einem gewandelten melodisch-deklamatorischen Gestus.

    „L´istesso tempo (commodo)“ lautet nun die Anweisung. Die Wechselhaftigkeit des Wetters bringt die melodische Linie in der Weise zum Ausdruck, dass sie, in cis-Moll harmonisiert, in dreimaliger Tonrepetition von einem „Cis“ in oberer Mittellage jeweils um eine Sekunde ansteigt, eine Achtelpause einlegt, in der das Klavier einen Sechzehntel-Bogen im Diskant erklingen lässt, und danach, bei den Worten „von Tal zu Tal“ eine ganze Oktave tiefer neu ansetzt, um einen Sekundanstieg zu beschreiben, der in einen Terzfall mündet. Da sie sich hier in Gestalt einer Aufeinanderfolge von deklamatorischen Schritten im Wert von Achteln und Sechzehnteln entfaltet, erfährt die Anmutung einer gewissen Flatterhaftigkeit eine deutliche Verstärkung.

  • „Wetter“ (II)

    Der meditative Gestus, den der lyrische Text mit den Versen sechs bis neun mit dem Nachsinnen über die „Unwirklichkeit“ des Lebens in nordischen Gefilden bei Abwesenheit der „ewigen Sonne“ annimmt, hat für die Liedmusik zur Folge, dass sich die melodische Linie nun in einer stärker gebundenen deklamatorischen Linie entfaltet und das Klavier durchgehend mit Akkordrepetitionen im Diskant begleitet, denen Achtelbewegungen im Bass zugeordnet sind, die genau der Bewegung der melodischen Linie folgen. Das bewirkt, zusammen mit der Tatsache, dass die sich Harmonik, mit Ausnahme einer kurzen Rückung nach e-Moll, nur im Tongeschlecht Dur (Ces-, Ges-, As-, Es-Dur) bewegt, den Eindruck einer inneren Gebundenheit und Geschlossenheit der Liedmusik. Gleichwohl reflektiert die melodische Linie auch hier wieder die Struktur und die Aussage des lyrischen Textes, indem sie markante Akzente setzt. So beschreibt sie bei den Worten „unwirtlichen Zone“ eine kurzschrittige (Achtel und Sechzehntel) Bogenbewegung, die bei den Silben „unwirtlichen“ in oberer Mittellage in partiell gedehnter Tonrepetition aufgipfelt und danach in einen Sekundfall übergeht.

    Bei den Worten „weil ihm die ewige Sonne fehlt“ beschreibt die melodische Linie – nach einem gedehnten Bogen in hoher Lage auf den Worten „halbes Leben“ – eine über das Intervall einer Dezime fallende und wieder ansteigende Bewegung, die in einen offenen, weil auf der Quinte zum Grundton „Es“ endenden Schluss mündet und in dem bogenhaft gebundenen Schweifen auf geradezu herausragende Weise klangliche Anmut entfaltet.

    Bei dem Wort „Geduld“ wird wieder vernehmlich, wie gekonnt-effektvoll Krenek liedmusikalisch mit dem lyrischen Wort zu spielen vermag. Er nutzt die Wiederholung, um aus dem kleinen Terzsprung „B-D“ dann einen großen von „B“ nach „Des“ zu machen, die Harmonik von B-Dur nach b-Moll rücken zu lassen und die melodische Linie auf den Worten „wird hier gelernt“ mit dem Sekundsprung auf einer Tonrepetition mit kleinem Sekundfall am Ende wie ein kleines Anhängsel klingen zu lassen, bei dem sich allerdings eines harmonische Rückung nach As-Dur ereignet, so dass die beiden Melodiezeilen die Anmutung einer zwar bedeutsamen, aber wie nebenbei getroffenen Feststellung aufweist. Aber der durch die Pausen am Anfang und Ende vermittelte Eindruck, es könne sich hier um eine syntaktisch eigenständige Aussage handeln, täuscht. Der nachfolgende und sehr lange Vers bindet ja mit der temporal-konditionalen Konjunktion „wenn“ an sie an („wenn wieder und wieder…“). Krenek stellt aber liedmusikalisch keine Konjunktion her, weil es ihm darauf ankommt, das Bild von den sich in die „grauen Schleier“ hüllenden Berge und vom „still niedertropfenden Regen“ gleichsam kompositorisch auszugestalten und dabei wieder klangmalerische Effekte einzusetzen.

    Geradezu dramatisch steigt die melodische Linie bei den Worten „wenn wieder und wieder die Berge“ in Sekundschritten über das Intervall eine Sexte in obere Mittellage empor – wobei dieser beharrliche Sekundanstieg das „wieder und wieder“ reflektiert – und geht danach in immer neue, beim Ansatz in der tonalen Ebene sich steigernde und in gleichsam tropfenden Achtel-Sekundschritten erfolgende Fallbewegungen über. Bei dem Wort „niedertropft“ halten sie dann inne, in Gestalt einer anfänglich gedehnten Tonrepetition in tiefer Lage. Das aber nur, um dem Klavier über drei Takte hin Raum zu lassen, die tropfende Fallbewegung in Gestalt einer durch Achtelpausen permanent unterbrochenen Folge von sich repetierend in Sekundschritten absenkenden Achtel-Akkorden fortzusetzen.

  • „Wetter“ (III)

    Bei den Worten „Dann wird es plötzlich hell des Abends,/ man ist des schönen Morgens sicher“ beschreibt die melodische Linie zwei Mal einen deklamatorisch geleichförmigen, beim zweiten Mal in höhere Lage führenden Anstieg, den das Klavier im Bass in Gestalt von Achteln mitvollzieht. Geradezu idyllisch mutet die Liedmusik hier an, auch weil sich harmonisch ungewöhnlich wenig ereignet. Es-Dur herrscht vor, und erst am Ende ereignet sich eine kurze Rückung nach c-Moll, die aber im kurzen Zwischenspiel vor den beiden kleinen Melodiezeilen auf dem letzten Vers durch ein As-Dur kompensiert wird. Aber bezeichnend ist, wo sich diese Rückung nach c-Moll ereignet: Bei der melodischen Tonrepetition auf dem Wort „sicher“. Die Repetition suggeriert Sicherheit, die Harmonik aber stellt sie infrage und nimmt dabei die Aussage der Liedmusik auf dem letzten Vers voraus.

    Und diese reflektiert auf durchaus beeindruckende Weise den prosaisch lapidaren Ton, in dem hier der lyrische Text daherkommt. Das Klavier behält die Repetition von Es-Dur- Achtelterzen, zu der sich die dreistimmigen Akkorde im Zwischenspiel verkleinert haben, bei, und dies beharrlich bis zum Ende der Melodik, ja sogar auch des Nachspiels, bis auf dessen letzten Takt. Und auch die melodische Linie ergeht sich in zwei, durch eine lange (drei Vierte) Pause voneinander abgehobenen kleinen Melodiezeilen, von denen die erste die Worte „doch in der Frühe“ umfasst, in zwei identischen Tonrepetitionen, mit einem verminderten Terzsprung in der Mitte. Der verminderte Terzfall auf dem Wort „wieder“ am Ende mutet dabei, weil er sich in dieser Gleichförmigkeit von Melodik, Klaviersatz und Harmonik ereignet, geradezu sarkastisch an. Und dazu trägt nicht unwesentlich bei, dass das Klavier unter den permanent repetierenden Terzen im Diskant eine staccato hingetupfte, von Achtelpausen unterbrochene und sich darin tonal absenkende Folge von Achteln erklingen lässt.
    Regentropfen. Wieder einer dieser vielen klangmalerischen Effekte, mit denen Krenek den lyrischen Text klanglich zu konkretisieren und damit seine Liedmusik zu würzen versteht.

  • Lied 5: „Traurige Stunde“

    Nicht jeder Reisetag ist schön und festlich,
    manchmal überfällt mich Bangen,
    grundlose Unrast, und das Herz wird schwer.
    Ist es nicht vermessen, nur aus Neugierde zu reisen,
    sich in andrer Menschen Kreis zu drängen,
    nur um nachzuschauen, wie es da ist?
    Wie, wenn sie mich fragen:
    „Nun, du Fremder, Zugereister!
    Was bringst du uns? Was willst du hier?
    Kein nützliches Geschäft? Kein Grund? Nur Neugier?“
    Was dann?
    Und wenn daheim zur Strafe alles fehlgeht,
    Unordnung und Wirrnis meine Heimstätte rasch überwuchern, was geschieht?
    Nachts im fremden Zimmer lieg ich dann
    Und kann nicht schlafen,
    ringsum die Gespenster wachsen immer höher,
    wachsen immer höher, wachsen und ersticken mich.
    Das Wandern bringt uns noch näher dem Tode
    Als die Lebensstunde sonst,
    und jeder Abschied, sei es vom Geringsten,
    ist ein Stückchen Tod,
    dem endgültigen vorgestorben.
    Wieder ein Ding weg aus dem so engen Kreis!
    Alles wird heruntergelebt und ist dann fort,
    unwiederbringlich, unwiederbringlich, unwiederbringlich fort!
    Das frühe Morgenlicht scheucht die Gespenster.
    Nach kurzem Schlaf ruht dann vielleicht die Sonne
    zu der neuen Unternehmung, und das Trübe ist vergessen!

    Der Reisende hat eine „traurige Stunde“, fühlt sich von „Bangen“ überfallen, durchlebt also eine seelische Krise, die ihm in einer Nacht den Schlaf raubt. Aber die seelischen Regungen, die Selenqualen und Ängste fasst er, sie gleichsam nur bekennend, nicht in lyrische Bilder, sie verdichten sich für ihn in Fragen und Problemen, mit denen er sich in einem monologisch-reflexiven Prozess auseinandersetzt, der sich von der Frage nach dem Sinn des Reisens bis hin zur Vergänglichkeit als Wesensmerkmal menschlicher Existenz erstreckt.
    So ist denn der lyrisch-sprachliche Gestus, wie typisch für diesen Zyklus, ein wesenhaft prosaisch-deskriptiver, -reflexiver und monologisch diskursiver. Genuin lyrische Bilder führen eine Randexistenz, - hier in Gestalt der „immer höher wachsenden Gespenster“ und des die verscheuchenden „frühen Morgenlichts“.

    Kreneks Liedmusik, die am 8.7.1929 entstand, spiegelt all das, die thematisch weit ausschweifende Gedanklichkeit, die monologische Rhetorik, die Betroffenheit von der Erfahrung von Zeit und Vergänglichkeit, aber auch die lyrisch-metaphorische Expression des Erlebnisses von „Morgen“ in all ihren Details und in der Sprachlichkeit, in der sie zum Ausdruck kommen.

    Das hat eine liedsprachliche vielfältige, unruhige und wesenhaft uneinheitliche Musik zur Folge, die gleichwohl als kompositorische Ganzheit daherkommt, weil sie sich aus einem melodischen Grund-Gestus generiert. Ein Viervierteltakt liegt ihr zugrunde, eine Grundtonart in Gestalt von entsprechenden Vorzeichen gibt es wie üblich nicht, weil die Harmonik in der Fülle ihrer Modulationen keinerlei Zentrum aufweist, und die Vortragsanweisung lautet „Allegro agtitato (unruhig bewegt)“.


  • „Traurige Stunde“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    Die melodische Linie, die in ihrer ersten Zeile die ersten drei Verse umfasst, setzt ohne Vorspiel ein. In der Art, wie sie sich entfaltet, empfindet man sie als von dem die seelische Befindlichkeit des lyrischen Ichs offenlegenden Begriff „grundlose Unrast“ geprägt. In vier Anläufen stürmt sie regelrecht nach oben, geht bei diesem Begriff dann zu Sprung- und Fallbewegungen über und endet in einer langen Dehnung auf dem Wort „Herz“, die über einen Terz und einen Sekundfall in ein gedehntes „Gis“ auf dem Wort „schwer“ in mittlerer Lage mündet.
    Der Eindruck von stürmischem, ja fast schon gehetztem Vorwärtsdrängen stellt sich auch dadurch ein, dass das Klavier permanent eine Folge von Einzeltönen im Bass und bitonalen Achtelakkorden anschlägt. Moll-Harmonik dominiert. Sie moduliert sehr stark, setzt in f-Moll ein und endet in cis-Moll und mutet darin ebenfalls als musikalischer Niederschlag des Überfallen-Werdens von „Bangen“ an, von dem das lyrische Ich hier spricht.

    In der ganztaktigen Pause, die für die Singstimme auf diese erste Melodiezeile folgt, lässt das Klavier im Diskant eine Kette von in die Tiefe fallenden Achteln erklingen, wohl Ausdruck des Sich-Einfindens des lyrischen Ichs in seine Lage. Denn es beginnt ja nun, sich mit Fragen auseinander zu setzen, die sich ihm in dieser Situation stellen. Das hat aber nicht zur Folge, dass sich der Gestus der melodischen Linie grundlegend ändert. Die zweite Melodiezeile umfasst wie die erste drei Verse (also nun vier bis sechs), und obgleich sie eine andere Struktur aufweist, zeigt sie die gleiche Tendenz, aus tiefer Lage in mehreren Anläufen, die am Ende eine Fallbewegung aufweisen, in hohe Lage aufzusteigen, dich dort, wieder nach einem Sextsprung, einem Auf und Ab über größere Intervalle hinzugeben und am Ende sich wieder abzusenken. Dieses Mal aber nach einer nur kleinen Dehnung auf der ersten Silbe des Wortes „nachzuschauen“ und in Gestalt einer bis in tiefe Lage vordringenden Fallbewegung, die von dort in einem dreifachen Sekundanstieg wieder zu einem „F“ in mittlerer Lage erhebt.
    Der Klaviersatz ist strukturell der gleiche, Moll-Harmonisierung herrscht ebenfalls durchgehend vor, und am Ende erklingt wieder die fallend angelegte Kette von Achteln, die dieses Mals aber in f-Moll steht und staccato ausgeführt wird.

    Weil Krenek – wie grundsätzlich in diesem Zyklus – auch hier die melodische Linie eng an die sprachliche Gestalt und die Semantik des Textes anbindet und es sich bei diesem wesenhaft um Prosa handelt, weisen die verschiedenen Anschnitte der Liedmusik eine jeweils eigene Struktur und einen spezifischen klanglichen Charakter auf. So ist die melodische Linie bei den Versen sieben bis elf, in denen sich der Reisende imaginativ an ihn gerichteten Fragen gegenübergestellt sieht („was bringst du uns?“, „was willst du hier? …), in viele kleine Zeilen untergliedert, und am Ende werden die Worte „was dann?“ in lakonischer Weise auf einem von Viertelpausen begrenzten und vom Klavier mittels zweier Staccato-Akkorde akzentuierten Sekundsprung in mittlerer Lage deklamiert. Das Klavier beschränkt sich in diesem liedmusikalischen Abschnitt ohnehin – ganz der imaginativen Situation entsprechend – auf die Artikulation von bitonalen und dreistimmigen Akkorden im Wechsel zwischen Bass und Diskant.

  • „Traurige Stunde“ (II)

    Wenn der Reisende aber von der Vorstellung gepackt wird, dass „daheim alles fehlgeht“, geht das Klavier im Bass zu permanent über große tonale Räume auf und ab sich bewegenden Achteln über. Und das ist ja auch angebracht, steigert sich doch auch die melodische Linie bei den Worten „Unordnung und Wirrnis“ und „Heimstätte rasch überwuchern“ in kurzschrittige Aufstiegs- und Fallbewegungen. Aber bei der Frage „was geschieht?“ kommt wieder Ruhe in sie, - in Gestalt einer in einen Terz- und einen Sekundfall übergehenden langen Dehnung.

    Zu einer geradezu dramatisch anmutenden Steigerung der Expressivität kommt es in der Liedmusik bei den Versen, in denen der Reisende davon spricht, nicht schlafen zu können und sich von Gespenstern bedroht sieht. Die melodische Linie steigt wieder, wie so oft in diesem Lied, in mehreren Anläufen von tiefer in obere Mittellage empor, wobei sie das Klavier, die Dramatik steigernd, mit einem in der tonalen Ebene ansteigenden Wechsel in Einzelton und bitonalem Achtel-Akkord begleitet. Bei den Worten „wachsen immer höher,
    wachsen immer höher, wachsen…“geht die melodische Linie zu hektisch anmutenden Sprüngen mit nachfolgendem Fall über, und im Klaviersatz steigen Achtel-Einzeltöne und bitonale Akkorde aus tiefer Diskantlage in extreme Höhe empor und gehen von dort aus in einen Fall zurück zur Ausgangslage über. Das geschieht fortissimo und in es-Moll-Harmonisierung. Bei den Worten „und ersticken mich“ senkt sich die melodische Linie in drei ruhigen Schritten in tiefe Lage und geht von dort in einen nervös wirkenden Achtel-Aufstieg in Sekundschritten über, den das Klavier gegenläufig mit Achteln im Diskant begleitet, um danach in der mehr als eintaktigen Pause für die Singstimme einen langen Fall von Achteln im Diskant erklingen zu lassen.

    Bei den Worten „Das Wandern bringt uns noch näher dem Tode / Als die Lebensstunde sonst, / und jeder Abschied, sei es vom Geringsten, / ist ein Stückchen Tod, / dem endgültigen vorgestorben“ nimmt die melodische Linie in ihrer nun deklamatorisch gebundenen Entfaltung einen fast schon schubertisch anmutenden Gestus an, und das Klavier, wie auch die Harmonik fügen sich dem ein, - mit dem Erklingen-Lassen von sprunghaften Achtel-Figuren jenes, mit ruhigen Rückungen im Bereich von F-Dur, B-Dur und C-Dur diese.

    Wenn es im Text um die philosophische Reflektion von Wanderschaft, von Leben und Tod und Zeit und Vergänglichkeit geht, entfaltet sich die melodische Linie zunächst in gleichförmig-ruhigen Tonrepetitionen, vom Klavier mit Akkorden im Diskant begleitet, im Bass freilich mit immer wieder neu ansetzenden und staccato ausgeführten Fallbewegungen von Achteln, - Mahnung daran, dass es hier um existenziell hochrelevante Fragen geht.
    Und so geht denn auch die melodische Linie bei den Worten „Alles wird heruntergelebt“ und der nachfolgend drei Mal in dramatischer Steigerung erfolgenden Deklamation des Wortes „unwiederbringlich“ zu lebhafteren und zu dreimaligem Fall aus hoher Lage führenden Bewegungen über, die in einem hochexpressiven Septsprung mit nachfolgendem, unmittelbar abreißenden Sekundanstieg auf dem Wort „fort“ enden, den das Klavier mit einem vierstimmigen b-Moll-Akkord in hoher Diskantlage akzentuiert.

  • „Traurige Stunde“ (III)

    Ein klanglich herausragendes Ereignis folgt nach: Über sieben Takte lässt das Klavier, während die Singstimme schweigt, den immer gleichen Ton, ein „B“, in tiefer Basslage erklingen, während darüber im Diskant langsam bitonal dissonante Akkorde im Wert von halben Noten in die Höhe steigen, - „tranquillo“ und „pianissimo“. Es ist eine beeindruckende klangliche Evokation des „frühen Morgenlichts“, das nun die Nachtgespenster „scheucht“.
    Nun, bei den letzten drei Versen, hat die Liedmusik zu großer Ruhe gefunden. Behutsam steigt die melodische Linie in deklamatorischen Schritten von Viertelnoten aus tiefer Lage an und verharrt in Tonrepetitionen, vom Klavier mit einem zwei Takte übergreifenden dreistimmigen g-Moll-Akkord begleitet. Auch die Worte „scheucht die Gespenster“ werden auf ruhiger, partiell gedehnter und in einen Sekundfall mündender melodischer Linie deklamiert, was das Klavier wiederum mit einem lang gehaltenen Akkord begleitet.

    Zu lebhafterer Bewegung geht die melodische Linie dann wieder bei den Worten des letzten Verses über, geht es doch hier um die Imagination von „neuer Unternehmung“. Nach einer sprunghaften Aufwärtsbewegung, die in reinem C-Dur harmonisiert ist, folgt eine zweitaktige Pause, in der das Klavier den Aufstiegsgestus in Gestalt von zwei- und dreistimmigen F-Dur-Akkorden fortsetzt. Fast schon pathetisch mutet dann der in eine lange Dehnung in hoher Lage anmutende Anstieg der melodischen Linie auf den Worten „und das Trübe“ an, den das Klavier mit fortissimo angeschlagenen und in hohe Lage aufsteigenden sechsstimmigen Akkorden begleitet.

    Geradezu charmant-witzig aber der Schluss: Ohne Klavierbegleitung deklamiert die Singstimme die Worte „ist vergessen“ auf einer melodischen Figur, die mit einer kleinen Dehnung auf dem Wort „ist“ einsetzt, in einen Sextsprung übergeht und einem Sekundfall endet. Das Klavier hat zu diesem melodisch-lapidaren Ende des Liedes nur noch etwas Gleichwertiges beizutragen: Einen Achtel-Dominant-Septakkord in „C“ und einen in der Tonika „F“.

  • Lied 6: „Friedhof im Gebirgsdorf“

    Selbst die Toten in dem kleinen Kirchhof müssen noch bergabwärts liegen,
    weil der karge ebne Boden den Lebenden dienen muß.
    So ist sogar die letzte Ruh ein halbes Stehn
    Und hart und mühsam wie das saure Leben war.
    Auf der Gräber dürrer Glatze picken magre Hühner,
    an den Kreuzen trocknet Kinderwäsche.
    Und nicht einmal „ewig“ ist die so gestörte Ruhe,
    denn nach zehn Jahren wird, was blieb, von neuem ausgescharrt,
    denn in die Grube drängt der frische Leichnam.
    Im düstren Beinhaus wird sodann das lockere Skelett zerrissen,
    die kahlen Schädel liegen oben,
    unten wirr im Haufen das Gebein.
    Gegen fünfzig Groschen Eintritt könnt ihr euch die Reste anschaun,
    und so arbeiten auch noch die Toten.
    Wie muß einst Auferstehung sein in diesem Tal der Schmerzen
    Wenn all die stumm ertragne Not empor sich reckt
    Und diese Toten ihre Gräber aufsprengen,
    und die Riesenleichensteine, diese ewigen Alpen, einstürzen?
    Verwirrt stolpert man ins Sonnenlicht und versteht,
    daß auch die Lebenden hier nicht sehr lustig sind.

    Auf dem Hintergrund der Art und Weise, wie sich Dichter des achtzehnten und des neunzehnten Jahrhunderts dem Thema Vergänglichkeit, Friedhof und Grab lyrisch gewidmet haben, mutet dieser Text in seiner realistisch-prosaischen, den Sarkasmus streifenden Schroffheit geradezu befremdlich an.
    Man muss ihn, um ihm in seiner dichterischen Aussage gerecht werden zu können, als literarisches Produkt eines Menschen lesen, der dem frühen zwanzigsten Jahrhundert angehört, das gerade den Ersten Weltkrieg hinter sich gebracht hat. Das aber ist noch nicht einmal die gewichtigste Frage, die sich einem bei der Lektüre stellt. Die noch bedeutsamere und im Grunde rätselhafte Frage ist: Wie kann man dergleichen in Liedmusik setzen?
    Das ist bei einem lyrischen Text wie „Die frühen Gräber“ von Klopstock ohne weiteres möglich (den Krenek interessanterweise, neben Gluck und Schubert, ebenfalls vertont hat) oder bei einem Gedicht wie „Auf dem Kirchhofe“ von Liliencron, das Brahms zu einem großartigen Lied hat werden lassen.

    Aber Liedmusik auf derart nüchtern-deskriptive Verse wie „Auf der Gräber dürrer Glatze picken magre Hühner, / an den Kreuzen trocknet Kinderwäsche“, - wie soll das in musikalisch ansprechender Weise möglich sein?
    Es ist möglich gewesen, - wie diese Komposition Kreneks vernehmlich zu machen vermag. Freilich ist das nicht klanglich „ansprechend“, was man da vernimmt, eher ist es verstörend, wenn nicht gar schockierend in dem musikalisch-deskriptiven, sich ganz und gar dem narrativ-berichtenden Gestus des Textes überlassenden Ton der Liedsprache.

    Aber exakt dieses wollte Krenek ja, berichtet die Liedmusik doch von den Überresten eines „sauren Lebens“, die ihm auf diesem „Friedhof im Gebirgsdorf“ auf erschreckende Weise begegnet sind. Bemerkenswert aber: Aus dem, was ihm da an Schrecknissen begegnet ist, macht er in gar keiner Weise eine auf vordergründige Expressivität und schrill-dissonante Klanglichkeit ausgerichtete Liedmusik. Es ist vielmehr eine ruhig sich entfaltende, fast wie ein Grabgesang daherkommende Musik, die einem da begegnet. „Andante sostenuto (düster und schwer) lautet die Anweisung für ihren Vortrag, und bemerkenswerterweise liegt ihr ein Dreivierteltakt zugrunde.


    Erschreckend ist die nüchtern-sachliche Ruhe, in der hier von Leben und Tod in all ihrer Schrecknis gesungen wird. Und nur das Klavier leistet sich in den Zwischenspielen kurze Ausbrüche in emotional aufgeladene Expressivität.


  • „Friedhof im Gebirgsdorf“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage

    „Lugubre“ lautet die Anweisung für den Vortrag des viertaktigen Vorspiels. Im tiefen Bass lässt das Klavier eine Melodie erklingen, die mit zwei leicht rhythmisierten Dreierfiguren einsetzt, die dann in ein gleichmäßiges Auf und Ab von Achteln übergehen, das sich am Ende zu einer Dehnung in sehr tiefer Lage absenkt. Pro Takt wird dazu im Diskant ein vierstimmiger Akkord angeschlagen, so dass sich die Anmutung eines Grabgesangs mit Glockenschlag einstellt.

    Wenn die Singstimme mit der melodischen Linie auf den Worten „Selbst die Toten in dem kleinen Kirchhof müssen noch bergabwärts liegen“ einsetzt, zeigt sich, dass die Bassmelodie des Vorspiels eine Vorlage dazu war, denn sie setzt genauso ein und ist, auch wenn sie bei dieser ersten Zeile in der Folge davon abweicht, in gleicher Weise rhythmisiert. Und die gleichsam programmatische Funktion dieser melodischen Figur geht sogar noch weiter. Bei den Worten“ So ist sogar die letzte Ruh ein halbes Stehn“ greift die Singstimme sie noch einmal auf, und im Nachspiel, nachdem die Singstimme bei den Worten „wie das saure Leben war““ erst einmal für drei Takte innehält, lässt das Klavier sie in akkordischer Gestalt noch einmal erklingen, - und dies in einer dynamischen Steigerung vom Forte zum Fortissimo. Da das Klavier in Gestalt von Achteln in Diskant und Bass der melodischen Linie in deren Bewegung folgt, ist auch der Klaviersatz von dieser rhythmischen Grundfigur geprägt.

    Moll-Harmonik dominiert von Anfang an, und sie ist durch vielerlei Modulationen reich an Dissonanzen. Harmonischer Schwerpunkt ist bei der Liedmusik auf die ersten vier Verse b-Moll, es ereignen sich aber auch kurze Rückungen in den Dur-Bereich. Bei den Worten „weil der karge ebne Boden den Lebenden dienen muß“ rückt die Harmonik vorübergehend nach Des-Dur und nach As-Dur. Besonders der Aufstieg der melodischen Linie in Achtelschritten über eine ganze Oktave bei den Worten „den Lebenden“ erhält durch eine Rückung von Des-Dur nach As-Dur einen starken musikalischen Akzent.

    Auf den Worten „Auf der Gräber dürrer Glatze picken magre Hühner, / an den Kreuzen trocknet Kinderwäsche“ beschreibt die melodische Linie eine weit gespannte, sich über das Intervall einer Oktave erstreckende wellenartige Fallbewegung, die in ihrem deklamatorischen Gestus, dem immer wieder sich ereignenden Einschub eines Sechzehntel-Schritts in die Folge der Achtel, in der Harmonisierung in fis-Moll und cis-Moll und nicht zuletzt auch in der lakonisch wirkenden Kombination von Sekundfall und –sprung in tiefer Lage auf dem Wort „Kinderwäsche“ einen Anflug von Melancholie, wenn nicht gar Sarkasmus aufweist. Bei den nachfolgenden Versen, in denen es um die gestörte Totenruhe geht, beschreibt die melodische Linie hingegen eine konsequente, einen Unterton des Vorwurfs aufweisende Anstiegsbewegung, in die sich mehrfach mehr oder weniger lange Dehnungen einlagern, die relevante Aussagen mit einem Akzent versehen.

    So trägt das Wort „Ruhe“ eines lange Dehnung in tiefer Lage, die bemerkenswerterweise in E-Dur harmonisiert ist, auf den Worten „was blieb“ ereignet sich ein in eine kleine Dehnung mündender verminderter Sextsprung, bei dem die Harmonik nach Fis-Dur rückt, und am Ende, bei den Worten „denn in die Grube drängt der frische Leichnam“ bewegt sich die melodische Linie in Gestalt von markanten Sekundschritten in oberer tonaler Mittellage und reißt mit einem Sekundsprung dort bei dem Wort „Leichnam“ regelrecht ab.
    Im nachfolgenden fast dreitaktigen Zwischenspiel lässt das Klavier nach der mit Oktaven im Bass ausgeführte, für dieses Lied gleichsam leitmotivische rhythmisierte Dreier-Figur dis-Moll-Akkorde in extrem tiefer Basslage erklingen, die wie klanglich finsteres Totengeläut anmuten.
    Eine klanglich sehr beeindruckende Passage des Liedes, und überdies wieder einmal ein Indiz dafür, welch große Bedeutung Krenek klangmalerischen Effekten in diesem Zyklus beimisst.

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