Der Künstler und sein Publikum

  • Durch verschiedene Diskussionen der letzten Zeit bin ich auf die Idee zu diesem Thread gekommen. Immer wieder wird mal behauptet der Künstler hätte sich nach seinem Publikum zu richen oder eben auch genau das Gegenteil. Verfolgt man einmal das Gespräch mit Milton Babbitt kann man sehen, wie kompromisslos man an dem Kunstgedanken hängen kann. In der Realität wird es wahrscheinlich immer Kompromisse geben.


    Manche Künstler verkaufen sich und ihre Kunst gerne, auch offensichtlich gerne unter Niveau, andere dann eher nicht. Der Faden soll dazu dienen verschiedene Aspekte des Künstlerwollens und des Publikumswunsches transparent zu machen.

  • Zitat

    ChKöhn:


    Z.B. jemand wie Katia Buniatishvili, die das in Interviews gerne macht, was aber leider nichts an ihren sentimentalen oder dumm effekthascherischen Darstellungen ändert (ich will das hier nicht auch noch durch Verlinkung verbreiten, aber es gibt bei Youtube eine Aufzeichnung des Finalsatzes der siebten Prokofjew-Sonate, die ich wirklich ekelhaft finde).

    Den Begriff "ekelhaft" verbinde ich mit grober ästhetischer Verfehlung, was verstehst du darunter konkret im vorliegenden Fall?

  • Den Begriff "ekelhaft" verbinde ich mit grober ästhetischer Verfehlung, was verstehst du darunter konkret im vorliegenden Fall?

    Eine grobe ästhetische Verfehlung ;).

    Konkret: Sie missbraucht das Stück für eine billige, abgeschmackte Show, indem sie ein Tempo anschlägt, bei dem kein Rhythmus mehr erkennbar sowie keine Artikulation und keine Differenzierung möglich ist, und bei dem sie am Ende völlig versagt und mehr falsche als richtige Töne spielt. Dafür springt sie mit dem Schlusston beifallheischend und wie von sich selbst berauscht auf. Sie sollte sich statt dessen schämen für einen solchen Schund.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Stellt sich nur die Frage, was schlimmer ist:


    das Showgirl oder das klatschende Publikum?

    Das Publikum weiß es nicht besser, und die Musikerin nutzt genau das aus. Für mich ist klar, was schlimmer ist.

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  • Stellt sich nur die Frage, was schlimmer ist:


    das Showgirl oder das klatschende Publikum?


    Das Publikum weiß es nicht besser, und die Musikerin nutzt genau das aus. Für mich ist klar, was schlimmer ist.


    Mittlerweile bin ich fündig geworden und habe mir diesen greulichen Mist angesehen. <X


    Trotzdem sehe ich das Publikum nicht ganz so unschuldig ..... es ist doch eher eine Art unheilige Allianz. Das Publikum oder der Markt gieren nach jungen Leuten, die Liszt, Beethoven oder auch Prokofiev spielen, sogenannten Wunderkindern. Gerade, wenn man jung ist, ist es schwierig, dem etwas entgegenzusetzen. Manchmal kann man in den Biografien dieser im allgemeinen hochbegabten Pianist:innen dann Brüche sehen. Ich interpretiere die gerne als Besinnungsphasen .... :)

  • Ich finde ganz allgemein diese Beziehung sehr spannend. Wir können vielleicht an dem Beispiel sehen, dass man, wenn man zu leicht- und willfährig dem Publikum, was nun sportliche Leistungen sehen will, entgegenkommt, der Kunstt einen schlechten Dienst erweist.


    Auf der anderen Seite ist es aber auch möglich - auch das habe ich schon erlebt - dass das Publikum den Künstler zu Wagnissen treibt, die dann gerade Kunst hervorbringt.


    Auf jeden Fall ein zweischneidiges Schwert!


    Kennt Ihr noch Beispiele und wie seht ihr das?

  • Mittlerweile kommt man an social media nicht mehr vorbei. Es gibt ja sogar einige Künstler, die ihre Karriere über social media deutlich gefördert haben. Auch hier wird man an Kompromissen nicht vorbeikommen. Wer wirklich gerne Sorabji spielen will, sollte sich diesen Weg eventuell abschminken :)


    Sucht man nach youtube Videos zum Thema wird man überschüttet mit (ich überspitze!) "erfolgreich von 1 zu 1.000.000 Followern in 30 Tagen"-Videos. Klar ist da nur, wenn man sich die Zahl der Follower solcher Videos anschaut, die dann auch manchmal älter als 30 Tage sind, dass es so einfach nicht sein kann. ;)


    Werden klassische Karrieren heute noch so ähnlich gebaut wie vor 40 Jahren? Ist das Publikum heute noch dasselbe? Das ist mir, wenn ich etwas nachdenke, mittlerweile ziemlich unklar. Gibt es überhaupt klassische Karrieren für Künstler, also standardisierte Wege?



    Hier ist ein Video für angehende Künstler, die auf social media verzichten wollen. Es richtet sich wohl auch an Autodidakten und ist nicht speziell für Musiker.



  • Auch ich hab mir das "Zirkusstückchen" angesehen -und das ist es hier ganz bewusst. sie will dem Publikum zeigen - wozu sie fähig ist (und das in vielerlei Bedeutung des Ausspruchs)

    Und ich habe den Eindruck - das unterhaltungssüchtige Publikum durchschaut das schon - hat aber dagegen nichts einzuwenden - und wird so zum "Verbündeten"

    Aber solche Zirkusnummern wurden dem Publikum auch schon in vergangenen Jahrhunderten geboten. Das beginnt mit dem "Wunderkind" Mozart und seiner Schwester,die allerlei Kunstückchen produziern musste. Lang- Lang sollte hier auch erwähnung finden. Franz Listzt ???

    Die zahlreichen "Klavierduelle" von Größen vergangener Jahrhunderte ?


    Ich glaube es ging und geht in den seltensten Fällen um "Kunst


    mfg aus Wien

    Alfred


    „So oft du an der Unverschämtheit jemandes Anstoß nimmst, frage dich sogleich: Ist es auch möglich, daß es in der Welt keine unverschämten Leute gibt? Das ist nicht möglich. Verlange also nicht das Unmögliche.“ (Kaiser Marcus Aurelius 121-180 n. Chr)


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  • Auch ich hab mir das "Zirkusstückchen" angesehen -und das ist es hier ganz bewusst. sie will dem Publikum zeigen - wozu sie fähig ist (und das in vielerlei Bedeutung des Ausspruchs)

    Das ist es sicherlich. Man kann natürlich auch darüber diskutieren, ob man einen solchen Satz, er ist immerhin der Schlusssatz einer Sonate, so einfach als Zugabenstückchen spielen sollte, aber selbst, wenn man das akzeptiert, kann man natürlich noch verschiedenen Ansprüche stellen. Wozu ist die junge Dame denn nun technisch fähig ... Yuja Wang, auch eine eher extrovertierte Natur, nutzt dieses Stück als Zugabe, spielt es aber akzentuiert und klar konturiert und fehlerfrei. Sie braucht aber 25 Sekunden länger ... in Internetzeiten eine nicht mehr akzeptable Zeit ;):P


    Yuja Wang auf dem Verbier-Festival 2018 Zugabe: Prokofieffs Precipitato



    Beifall gibt es auch hier. Es ist also schon eine Frage der eigenen Ansprüche, selbst wenn man nur Beifall haben möchte.....

  • Das habe ich, glaube ich, schon mal erzählt. Vor ein paar Jahren ist Buniatishvili in Würzburg mit einem Mozart-Konzert aufgetreten. Es wird gepasst haben, so genau weiß ich das nicht mehr. Und die Zugabe war eben jenes Precipitato, das ich aus genannten Gründen auch damals schon als Zumutung empfunden habe. Aber die Leute sind dann halt begeistert - da spielt vieles mit hinein. Seitdem ist die Dame genauso wie Lang Lang aus meinem Blickfeld bewusst verschwunden - ich muss da nichts kaufen und eigentlich auch nichts mehr anhören. Ganz verstehe ich sie als Pianistin nicht: Es muss ihr doch klar sein, dass so etwas peinlich ist für sie selbst und für ihren Ruf. Selbst die Beifallsklatschenden dürften doch nicht durch die Bank völlig unbedarft gewesen sein.

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Hab jetzt die erste Hälfte davon angehört. Hatte das Stück jedenfalls nicht als so langweilig in Erinnerung.

    Interessant wäre zu wissen, ob die Begeisterten im Publikum das Stück vorher kannten?

  • Es muss ihr doch klar sein, dass so etwas peinlich ist für sie selbst und für ihren Ruf.

    Warum sollte Ihr das peinlich sein.

    Sie ist IMO grade dabei GANZ BEWUSST ihr Publikum auszutauschen......


    Ich hatte, durch eine eigenartige Fügung des Schicksals (habs schon mal erklärt wies dazu kam)

    mit meiner Mutter, ihrer Arbeitkollegin und der Mutter von FALCO (Bürgerlich Johann Hölzl) einen Heurigenbesuch zu absolvieren.

    (Hölzl war in seiner Jugend einst als Ferialpraktikant in der Dienstelle der beiden anderen Damen tätig gewesen, daher kannten sie sich)

    Edit:wie ich soeben sehe ist das (vermutlich um meine Glaubwürdigkeit zu unterstreichen :baeh01: ) bei Wikipedia festgehalten:


    Auf Drängen seiner Mutter begann er bei der damaligen Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft (heutige Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen SVS) als Manipulant zu arbeiten.

    Man plauderte ungezungen und sprach dem Alkohol zu, wir waren "nüchtern" aber auch "locker"

    Wir bekamen Bilder des 6 Jährigen , und einige Aufnahmen wo er am Flügel sass:


    Zu seinem vierten Geburtstag bekam er einen Stutzflügel geschenkt, ein Jahr später einen Plattenspieler, auf dem er bevorzugt Elvis Presley, Cliff Richard und die Beatles hörte. Im Alter von fünf Jahren wurde ihm bei einem Vorspieltermin an der Wiener Musikakademie ein absolutes Gehör bescheinigt.


    Seine Mutter hätte gerne gehabt, daß er eine klassische Karriere eingeschlagen hatte. Und sie konnte sich auch nicht mit seiner Musik anfreunden als er schon erfolgreich war


    "Bua "-(sie sprach einen strengen burgenländischen Dialkt) "Was singst denn imma so an Dreck ?"


    Hölzl hat ihr geantwortet: Mutter - Schau aus Konto - dann wirst es verstehn !!!


    Sie war aber doch auf ihn stolz - das war nicht zu übersehen - und sie hatte auch allen Grund dazu:

    Zum damaligen Muttertag hatte er ihr einen Kleinwagen geschenkt....


    mfg aus Wien

    Alfred






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  • Man kann natürlich auch darüber diskutieren, ob man einen solchen Satz, er ist immerhin der Schlusssatz einer Sonate, so einfach als Zugabenstückchen spielen sollte, aber selbst, wenn man das akzeptiert, kann man natürlich noch verschiedenen Ansprüche stellen.

    Über den künstlerischen Anspruch dieser Darstellung von Katia Buniatishvili kann man nicht diskutieren: Er ist nicht vorhanden. Aber grundsätzlich kann man natürlich auch Einzelsätze aus Sonaten als Zugabe spielen. Es ist auch normal, dass ein Satz dabei einen Teil seiner Aussage verliert, weil er aus dem Zusammenhang gerissen bzw. in einen anderen Zusammenhang gestellt wird. Wenn einem das bewusst ist, wenn man also das Stück als Ganzes durchdrungen und verstanden hat, kann man mit einer solchen "Verfremdung" spielen und sie beim Zugabenblock gezielt ausgestalten.


    Auf der anderen Seite ist es aber auch möglich - auch das habe ich schon erlebt - dass das Publikum den Künstler zu Wagnissen treibt, die dann gerade Kunst hervorbringt.

    Das stimmt, auch das ist möglich. Es setzt aber voraus, dass überhaupt ein künstlerischer Anspruch besteht. Ich finde es übrigens nicht schlimm, wenn das (bei den Zugaben) nicht der Fall ist, aber dann sollte man so etwas wie Arcadi Volodos' Version von "Rondo alla turca" spielen. Den tragischen, katastrophalen Schlusssatz von Prokofjews Kriegssonate dafür zu missbrauchen, ist nicht besser als wenn Anne-Sophie Mutter auf ihrer jüngsten CD Hintergrundmusik zum Holocaust als sentimentale Kitsch-Schmonzette spielt. Auch das finde ich: ekelhaft.

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  • Über den künstlerischen Anspruch dieser Darstellung von Katia Buniatishvili kann man nicht diskutieren: Er ist nicht vorhanden.

    Auweia - jetzt muß ich mich outen!! Als einer, der sehr gerne Konzerte im Konzertsaal besucht muß ich zugeben, daß mir der Besuch z.B. des 2. Klavierkonzertes von Tschaikowski mit Katia Buniatishvili sehr viel willkommener wäre als mit irgendeinem alten weißen Mann. Grund für diese Meinung? Ich bin selbst ein alter weißer Mann und mir ist es angenehm, mich im Konzertsaal nicht im Spiegel sehen zu müssen. Dafür habe ich mein Badezimmer. ;(:hello:

    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Was jetzt aber auch kein künstlerischer Anspruch ist.

    :thumbup::thumbup::thumbup:


    Im Abituraufsatz wäre mir aber evtl. eine positive Note im Ausdruck gewiß gewesen?!

    Die Wahrheit wäre eigentlich die, daß (jetzt war der Ausdruck schlecht!) ich auf die musikalischen Fehler der attraktiven Pianistin gar nicht aufmerksam geworden wäre, da meine fachlichen Kenntnisse über klavierspielende Damen und Herren eher eine mangelhafte Benotung nach sich gezogen hätten. Ich bin da eher bei Franz Liszt und den Worten des Faust aus dem letzten Satz der Faust-Sinfonie!


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • muß ich zugeben, daß mir der Besuch z.B. des 2. Klavierkonzertes von Tschaikowski mit Katia Buniatishvili sehr viel willkommener wäre als mit irgendeinem alten weißen Mann.

    Das ist ein sehr interessanter Gesichtspunkt - und es scheint, daß Du hier kein Einzelfall bist - Die gesamte Werbestrategie heutiger Plattenproduzenten und Veranstlter - vor allem letztere ist darauf ausgerichtet. Allerdings gibt es einen Gegentrend, den ich sehr begrüße.

    Interessanterweise hat gerade Christian Köhn Anstoß an einem Statement von mir genommen, wo ich eine junge Pianistein für ihre elegant-dezente Aufmachung gelobt habe.


    Jetzt Hab ich die Stelle gefunden:


    Hier nun die (georgische ?) Pianistin Mariana Achba. Schon Ihr Erscheinen lässt hoffen: Jung, schlank,überaus schön, mir aristokratischer Attitüde, im schwarzen eleganten Kleid, mit strenger Clara Schumann Frisur strahlt sie eine Aura von erlesener Eleganz aus. Erfreulicherweise trügt der optische Eindruck nicht: Auch ihr Klavierspiel ist elegant und edel, stellenweise auch einen Hauch extravagant. Eine Mozart Interpretation, wie sie IMO geradezu ideal ist.

    darauf die spöttische Antwort:


    Angesichts solcher Qualitäten können Grigory Sokolov und Maurizio Pollini natürlich einpacken.

    Ich hab damals - im Thread über ein Mozart-Klavierkonzert - nicht geantwortet - weil das den Threeadfluss gestört hätte. Hier aber passt es.

    Ich würde den Vergleich nicht in dieser Form ziehen - obwohl alte Pianisten meist ihre beste Zeit in physischer Hinsicht hinter sich haben und der alte Ruhm wie ein Heiligenschein über ihnen schwebt - sakrosankt - unantastbar - legendär.

    Wie sich der Vergleich auf CD anhört - das ist sicher fraglich. Im Konzert punktet eine elegante jugendliche Erscheinung auf alle Fälle.

    Ein mir mit mir einst bekannter/befreundeter Pianist Zwei Jahre älter als ich, behauptete um ca 1973, alte Pianisten seien nicht mehr leistungsfähig (wie er HEUTE zu dieser Aussage steht, weiss ich nicht- der Kontakt ist schon vor zig Jahren eingeschlafen) Ich war damls entsetzt - aber heut weiss ich, das er Prinzipiell recht hat, vo allem, da ich in den letzen Monaten - durch das erstellen neuer Pianistenthreads über Pianisten der kommenden und jetzigen Generation, deren geradezu unheimliche Perfektion kennengelern habe.


    Ob wir das Thema weiterspinnen wollen wird die Zukunft zeigen.

    Indes möchte ich an dieser Stelle festhalten, daß Pianistinnen und andere Interpretinnen , versuchen mittels ähh "erotischer Vorzüge - oder was sie dafür halten - zu punkten, bei mir auf der schwarzen Liste stehen - sie widern mich an. !!! Hier bin ich nicht mit LA Roche d' accord


    mfg aus Wien

    Alfred


    „So oft du an der Unverschämtheit jemandes Anstoß nimmst, frage dich sogleich: Ist es auch möglich, daß es in der Welt keine unverschämten Leute gibt? Das ist nicht möglich. Verlange also nicht das Unmögliche.“ (Kaiser Marcus Aurelius 121-180 n. Chr)


  • Indes möchte ich an dieser Stelle festhalten, daß Pianistinnen und andere Interpretinnen , versuchen mittels ähh "erotischer Vorzüge - oder was sie dafür halten - zu punkten, bei mir auf der schwarzen Liste stehen - sie widern mich an. !!!

    Man muss aber konstatieren, dass diese "Vorzüge" ja ganz offensichtlich Einfluss auf den Erfolg eines Konzertes haben können. Da ich um La Roche s Alter weiß, würde ich äußern, dass das jetzt keine "Errungenschaft" der letzten Jahre ist.


    Aber es ist aber auch genauso leicht zu erkennen, dass auf so einer Basis keine jahr(zehnt)elange Begeisterung für einen Künstler fundieren kann ... ;):P


    da meine fachlichen Kenntnisse über klavierspielende Damen und Herren eher eine mangelhafte Benotung nach sich gezogen hätten.


    Eigentlich brauchst Du ja keine fachlichen Kenntnisse über die Klavier spielenden Damen und Herren, sondern einfach nur Kenntnisse über das vorgetragene Stück, um wahrzunehmen, dass das Ende der Darbietung mit dem von Prokofieff zur Verfügung gestellten Notentext nur noch sporadisch zu tun hat :)

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  • Auweia - jetzt muß ich mich outen!! Als einer, der sehr gerne Konzerte im Konzertsaal besucht muß ich zugeben, daß mir der Besuch z.B. des 2. Klavierkonzertes von Tschaikowski mit Katia Buniatishvili sehr viel willkommener wäre als mit irgendeinem alten weißen Mann.

    Das kannst Du natürlich halten, wie Du willst. Ich hatte ja geschrieben, dass dem Publikum kein Vorwurf zu machen ist, wenn es auf so einen faulen Zauber wie den von Buniatishvili reinfällt.


    Noch einmal zurück zu diesem "Precipitato": Das bedeutet ja so etwas wie "überstürzt", und das ist als Tempo- und Vortragsbezeichnung ein Problem, weil nicht klar ist, worauf es sich eigentlich konkret bezieht. Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten: Die naheliegende ist einfach ein schnelles, "überstürztes" Tempo. Aber es gibt eben auch den 7/8-Takt, hier geführt in 2+3+2. Das heißt, man hat eine Art Dreiertakt, bei dem es aber durch die "zu kurzen" äußeren Zählzeiten zu einer permanenten inneren Unruhe kommt. Für welches Tempo auch immer man sich entscheidet, darf dabei dieses innere Stolpern (noch hervorgehoben durch das permanent wiederholte markante Terz-Motiv mit synkopischem Akzent in der linken Hand) auf keinen Fall überspielt werden. Dass demgegenüber die Tempowahl sogar zweitrangig ist, kann man gut hören, wenn man zwei Interpretationen nimmt, bei denen trotz extrem unterschiedlicher Tempi diese inneren rhythmischen Spannkräfte von Anfang bis Ende präsent sind:




    Ich persönlich bevorzuge Sokolovs grimmige Konsequenz, aber auch Pollinis überwältigende Energie finde ich großartig. Und das sollte doch wohl klar sein: Man braucht angesichts dessen keine besonderen "fachlichen Kenntnisse über klavierspielende Damen und Herren", um zu hören, dass das, was Buniatishvili da von sich gibt, einfach nur großer Mist ist. Wer will, kann sich ja trotzdem an ihren dionysisch in die Kamera gereckten Brüsten berauschen ;).


    Ein mir mit mir einst bekannter/befreundeter Pianist Zwei Jahre älter als ich, behauptete um ca 1973, alte Pianisten seien nicht mehr leistungsfähig (wie er HEUTE zu dieser Aussage steht, weiss ich nicht- der Kontakt ist schon vor zig Jahren eingeschlafen) Ich war damls entsetzt - aber heut weiss ich, das er Prinzipiell recht hat, vo allem, da ich in den letzen Monaten - durch das erstellen neuer Pianistenthreads über Pianisten der kommenden und jetzigen Generation, deren geradezu unheimliche Perfektion kennengelern habe.

    Du misst die "Leistungsfähigkeit" an der "Perfektion", und unter dieser Voraussetzung hast Du natürlich weitgehend recht (wobei es auch Pianisten gibt, die bis ins hohe Alter "perfekt" spielen). Die Frage ist, ob der Maßstab passt...



    Eigentlich brauchst Du ja keine fachlichen Kenntnisse über die Klavier spielenden Damen und Herren, sondern einfach nur Kenntnisse über das vorgetragene Stück, um wahrzunehmen, dass das Ende der Darbietung mit dem von Prokofieff zur Verfügung gestellten Notentext nur noch sporadisch zu tun hat :)

    Diese vollständig versemmelten Sprünge am Schluss sind natürlich nur die Spitze des Eisbergs, sind aber insofern besonders dreist, weil das in dem Satz die einzige Stelle ist, die (für professionelle Pianisten) überhaupt schwer zu spielen ist. Ihre Tempo-Angeberei bei gleichzeitig vollständiger Ignoranz gegenüber dem musikalischen Geschehen fällt also auch noch auf sie zurück, weil sie in genau dem Moment zusammenbricht, als es zum ersten Mal schwer wird...

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  • Die Frage an sich ist ja wohl, ob ein Künstler zu irgendwas verpflichtet ist?


    So wird ein Freischaffender aus wirtschaftlichen Aspekten heraus eher die gebotene Seriösität ablegen und eine zwischenzeitlich oft willkommene Performance anbieten, um die - recht fragliche - Gunst des Publikums zu bekommen.


    Nichts für Klassikinsider, aber so funktionert es mit der Publicity zumindest für eine Dauer.

  • Ich persönlich bevorzuge Sokolovs grimmige Konsequenz, aber auch Pollinis überwältigende Energie finde ich großartig.

    Pollinis kannte ich schon, aber in diesem Fall finde ich Sokolov überwältigend!


    Auweia - jetzt muß ich mich outen!! Als einer, der sehr gerne Konzerte im Konzertsaal besucht muß ich zugeben, daß mir der Besuch z.B. des 2. Klavierkonzertes von Tschaikowski mit Katia Buniatishvili sehr viel willkommener wäre als mit irgendeinem alten weißen Mann

    Ich kann nur hoffen, dass Du Dir die Prokofieffschen Sonaten nicht verderben lässt, weil die guten Einspielungen von alten weißen Männern mit fragwürdigen Frisuren kommen. ;)


    Eine junge hübsche Ukrainerin, Dinara Klinton, hat, ihrem eigenen Wunsche folgend, alle Sonaten eingespielt, und, wie ich finde, mit enormen Gespür für die klanglichen Möglichkeiten, aber auch für das melodiöse Element in Prokofieff, was vielleicht nicht immer wahrgenommen wird. Besonders wichtig finde ich die Einspielung der frühen Sonaten.



    Hier das Precipitato


  • Die Frage an sich ist ja wohl, ob ein Künstler zu irgendwas verpflichtet ist?

    Das ist die Frage. Sollte man die Bezeichnung beim Wort nehmen, ist er natürlich in erster Linie der Kunst verpflichtet. Aber lässt sich die wirklich vermarkten?


    In der Mathe gibt es diese berühmte Anekdote über Euklid


    Eine andere Anekdote kennzeichnet seine grundsätzliche Einstellung zum Erwerb von Wissen: Ein Schüler fragt ihn, was er davon habe, wenn er all diese Dinge lerne. Darauf soll er einen Sklaven angewiesen haben, dem Schüler drei Münzen zu geben, denn dieser habe es offensichtlich nötig, mit dem, was er lernt, Geld zu verdienen.

  • Sollte man die Bezeichnung beim Wort nehmen, ist er natürlich in erster Linie der Kunst verpflichtet. Aber lässt sich die wirklich vermarkten?

    In der neoliberalen Gesellschaft lässt sich alles vermarkten, natürlich auch die Kunst. Ich würde das Problem aber anders beschreiben: Der Künstler, der für ein Publikum arbeitet, braucht am Ende des Schaffens ein "Produkt", aber er hört in genau dem Moment auf, Kunst zu schaffen und also Künstler zu sein. Anders gesagt: Die Existenz des Publikum zwingt den Künstler dazu, den Schaffensprozess, der prinzipiell unendlich wäre, zu beenden. Albert Camus hat das sehr bewegend und leicht ironisch in "La Peste" in Person des Rathausangestellten Grand thematisiert, der einen Roman schreiben will, aber nie über den ersten Satz hinauskommt, weil er an diesem immer noch etwas zu verbessern findet. Dass dieses Problem seinerseits in einem Roman beschrieben wird, kann als origineller Lösungsvorschlag verstanden werden: Wenn man es schon selbst nicht auflösen kann, kann man es wenigstens künstlerisch verarbeiten. Musiker (Interpreten) haben es da noch vergleichsweise leicht, weil ihr "Produkt" im Gegensatz zu denen von bildenden Künstlern, Schriftstellern oder Komponisten gleichzeitig mit der Rezeption entsteht und vergeht. Trotzdem steht eine Konzertaufführung natürlich immer am Ende eines Prozesses und hat deshalb auch etwas End-Gültiges. Das gilt erst recht bei Aufnahmen, zu denen man zwar später Distanz gewinnen, die man aber nicht mehr ungeschehen machen kann.

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  • Unter dem youtube-Video gibt es auch wohlwollende Kritiken, die sich nicht nur auf Begeisterungskundgebung beschränken:

    >>However she is also saying that there is a possibility of a message of loss of control beyond a dangerous threshold beyond a speed which can be controlled.<<

    Sagt sie das mit Absicht?

  • Unter dem youtube-Video gibt es auch wohlwollende Kritiken, die sich nicht nur auf Begeisterungskundgebung beschränken:

    >>However she is also saying that there is a possibility of a message of loss of control beyond a dangerous threshold beyond a speed which can be controlled.<<

    Sagt sie das mit Absicht?

    Grundsätzlich stimme ich mit der Sicht von Christian Köhn überein. Der Satz, den Du zitierst, mag interessant sein als philosophisches Modell des Wollens und Scheiterns - was weíß ich. Aber dann kann auch ich mich hinsetzen als Klavierlaie und dürftiger Dilletant, das Precipitato in dreifacher Verlangsamung einstudieren und dann präsentieren. Als Parodie? Als Satire?


    Worauf bezieht sich Deine Frage "Sagt sie das mit Absicht?" Das ist mir nicht klar.


    Youtube-Kommentare sind nicht immer schlecht, aber oft genug entweder verabsolutierend überzogen im Positiven oder frei von einer sinnvollen Aussage. Und wenn jemand objektiv begeistert ist von Buniatishvilis Vorführung, dann unterstelle ich, dass er oder sie keine Ahnung hat von der Musik, um die es geht.


    :) Wolfgang

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  • Der Satz, den Du zitierst, mag interessant sein als philosophisches Modell des Wollens und Scheiterns - was weíß ich. Aber dann kann auch ich mich hinsetzen als Klavierlaie und dürftiger Dilletant, das Precipitato in dreifacher Verlangsamung einstudieren und dann präsentieren. Als Parodie? Als Satire?

    Es gibt so etwas, dass das Überschreiten technischer, dynamischer oder klanglicher Grenzen einen "Ausdruck an sich" hat, aber das muss dann auch in der Komposition angelegt sein. Ein berühmtes Beispiel ist Robert Schumanns Vorschrift "So schnell wie möglich", der ein "noch schneller" folgt (in der g-Moll-Sonate), oder auch die gefürchteten Sprünge am Ende des zweiten Satzes der C-Dur-Fantasie. In diesem Prokofjew-Satz ist aber nichts dergleichen angelegt, sondern im Gegenteil zieht sich die rhythmische "Fesselung" und das immer wiederkehrende Terz-Motiv von Anfang bis Ende durch. Wer da eine Drauf-los-Fassung samt technischem Versagen am Ende als bewusste "Message" verkaufen will, hat die Sache entweder nicht begriffen oder greift zu einem billigen Argumentationstrick, um die eigenen Unzulänglichkeiten als Kunst zu verkaufen.

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  • Ich glaube eher, das ist die wohlwollende Theorie eines Fans und daher "sagt" die Pianistin das, was er hört, nicht mit Absicht.

    Ah, jetzt verstehe ich! Es gibt so eine unglückselige Geschwindigkeitsvergleichstendenz im Internet, wo diejenigen als die großartigen Pianisten dargestellt werden, die ein gegebenes Stück am schnellsten spielen können. Neben dem Precipitato ist es auch häufig der Hummelflug, der für solche Spurtvergleiche missbraucht wird. Ich vermute, dass allein darin die Motivation begraben liegt .... also durchaus ein Einfluss des Publikums, aber eines, das sie sich selbst wählt ...


    Beifall kriegt auch Sokolov (und meiner Meinung sehr zu recht) und der braucht fast 4 Minuten ... Damit kommt er in bestimmten Internetzirkeln nicht mehr in die Qualifikation ^^

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