Gefürchtete Stellen im Konzertrepertoire

  • Danke für die Erklärung, für mich als Nicht-Musiker nicht ganz einfach zu verstehen. Immerhin eine gute Einladung, auf solche Aspekte hin die verschiedenen Aufnahmen Vergleich zu hören. Anda und Shukov habe ich noch on der Sammlung gefunden.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Danke für die Erklärung, für mich als Nicht-Musiker nicht ganz einfach zu verstehen.

    Dann versuche ich mal, es allgemeinverständlicher zu formulieren :):

    Ich hatte ja beschrieben, dass diese Oktav-Stelle eine Variation des vorangegangenen Trio-Themas ist, welches zuerst von den Hörnern und dann von den Geigen gespielt wurde. Das Klavier setzt mit zwei Variationen dieses Themas fort. Nun wäre es ja denkbar (und sogar normal), dass dabei nur einzelne Aspekte verändert, weiterentwickelt werden, also z.B. das Tongeschlecht, oder die Artikulation, oder die Klangfarben, oder der Rhythmus usw., andere aber beibehalten werden. Bei dem, was Brahms hier macht, werden aber so gut wie alle charakterisierenden Eigenschaften des Themas in ihr Gegenteil verkehrt: Aus Dur wird Moll, aus marcato wird dolce, aus Akkorden unisono, aus f pp, aus staccato legato, aus Vierteln Achtel. Die einzige Verbindung zwischen Thema und Variation ist der melodische Kern, alles andere steht im radikalen Widerspruch zu dem, was das Orchester vorgegeben hat. Daraus ergibt sich für mich die Richtung der Interpretation: Gerade weil es nur diese eine Gemeinsamkeit gibt, muss man sie durch ein einheitliches Tempo und eine ähnliche Phrasierung zeigen, und weil ansonsten praktisch alles ins Gegenteil verkehrt wird, ist jedes der genannten Elemente wichtig, also auch das (leider extrem schwere) Legato. In der Summe hört man dann so etwas wie die verborgene ("sotto voce") Rückseite desselben Themas.

    Grundsätzlich meine ich, dass man Interpretationen letzten Endes nicht bewerten kann, ohne ihre inneren Gesetzmäßigkeiten und Notwendigkeiten zu verstehen. Wenn man diese Stelle z.B. einfach deutlich langsamer spielt, ist das nicht deshalb "schlechter", weil es mir nicht gefällt, ja nicht einmal allein, weil es "nicht da steht", sondern weil der Zusammenhang zum Thema dann kaum noch zu erkennen ist. Selbstverständlich ist es möglich, dass ich bei dieser Analyse etwas übersehen habe, worauf mich dann ein anderer hinweisen könnte. Bis dahin (oder bis ich selbst anderes entdecke) bleibe ich dabei, dass die Stelle im annähernd selben Tempo wie das Thema zuvor und unter Umkehrung aller charakterisierenden Eigenschaften gespielt werden sollte. Also so, wie es da steht ;).

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Vielen Dank für Deine detaillierten Ausführungen, die ich alle sehr gut nachvollziehen kann und auch in den Schlussfolgerungen sehr schlüssig finde.


    Der in technischer Hinsicht gerne gerügte Edwin Fischer wird in der Furtwängler-Aufnahme meines Erachtens allenfalls ein kleines bisschen langsamer, er bleibt weitgehend im Tempo und er spielt pp legato! Ein offenbar auch technisch bedingtes Bremspedal wie kürzlich bei Andrea Kauten nehme ich bei ihm jedenfalls nicht wahr.

    Im weiteren Verlauf des Satzes spielt Fischer geradezu turbulent und zieht gegen Ende das Tempo mächtig an! So traut sich das heute niemand mehr! Das "Appassionato" in der Satzbezeichnung wird hier sehr konsequent umgesetzt. Der Klang ist allerdings so bescheiden, dass möglicherweise einige Details (und Töne) verschluckt werden. Ich möchte deswegen diese Aufnahme nur bedingt empfehlen, obwohl sie ja doch ein gewisses Renommee hat.


  • Nachdem wir bereits Beethovens Glissandi, Schumanns Stretta und Brahms' Doppelgriffe betrachtet haben, möchte ich auf ein Video von Marc André Hamelin hinweisen mit Ravels "Gaspard".


    Ich poste das Video mit allergrößtem Respekt vor Hamelin, der Schwierigkeiten eher zu suchen scheint, als ihnen aus dem Weg zu gehen.

    Hier fliegt er allerdings bei ONDINE beträchtlich aus der Spur.


    So bewunderswert, wie er das auffängt, unglaublich!


  • Nachdem wir bereits Beethovens Glissandi, Schmanns Stretta und Brahms' Doppelgriffe betrachtet haben, möchte ich auf ein Video von Marc André Hamelin hinweisen mit Ravels "Gaspard".


    Ich poste das Video mit allergrößtem Respekt vor Hamelin, der keinen Schwierigkeiten aus dem Weg geht. Hamelin fliegt hier nicht bei SCARBO aus der Spur, sondern bei ONDINE.


    So bewunderswert, wie er das auffängt, unglaublich!

    Auch, wenn seine Ondine sich an einer Stelle verschluckt, ich mag sie sehr! Ich finde die Einspielung ausgezeichnet, meine aber auch in Scarbo kleinere ungenauigkeiten gehört zu haben. Man muss aber bedenken, dass es offensichtlich ein Konzert ist.


    Auf der anderen Seite bin ich begeistert, wie er bei Ondine und Scarbo die Stimmen behandelt. So differenziert und klar!

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  • Auch, wenn seine Ondine sich an einer Stelle verschluckt, ich mag sie sehr! Ich finde die Einspielung ausgezeichnet, meine aber auch in Scarbo kleinere ungenauigkeiten gehört zu haben. Man muss aber bedenken, dass es offensichtlich ein Konzert ist.


    Auf der anderen Seite bin ich begeistert, wie er bei Ondine und Scarbo die Stimmen behandelt. So differenziert und klar!

    Ich habe jetzt nur Ondine gehört und bin ehrlich gesagt nicht so begeistert. Der kurze Aussteiger kann passieren, aber ich vermisse so etwas wie ein gestalterisches Konzept. Am Anfang gibt es z.B. einen äußerst raffiniert ausgetüftelten rhythmischen Schwebezustand, bei dem man die durchlaufenden 32stel sowohl in Vierergruppen (also als Achtel) als auch in der Teilung drei-drei-zwei hören kann:


    Diese Gleichzeitigkeit zweier grundverschiedener metrischer Modelle ist meines Erachtens der Kern dieses Beginns, und das ist bei Hameling überhaupt nicht hörbar. Michelangeli spielt in dieser Aufnahme nur leicht langsamer, aber bei ihm kann man als Hörer sozusagen zwischen beiden metrischen Varianten wählen oder sich sogar beim Hören von einer zur anderen treiben lassen. Diese in aller Strenge komponierte Uneindeutigkeit erinnert vielleicht an Grafiken von M. C. Escher und ist meines Erachtens ganz wesentlich für den kühlen, eisigen Ausdruck dieses Beginns. Hameling weicht das durch sein extremes Tempo sowie (auch im weiteren Verlauf) mit romantischer Phrasierung und traditionellem Rubato auf. Im Ergebnis ist das eine sehr emotionale Darstellung (der "Unfall" beim Höhepunkt ist so gesehen nicht zufällig ;)), was dem Stück meines Erachtens aber nicht entspricht.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
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    (Theodor W. Adorno)

  • Die Erläuterung des Notentextes leuchtet mir ein, und ich meine, eine Aufnahme zu haben, die genau das "Schwebezustand, bei dem man die durchlaufenden 32stel sowohl in Vierergruppen (also als Achtel) als auch in der Teilung drei-drei-zwei hören kann:" erfüllt. Ist freilich langsamer als jene von MAH. Schierer Zufall übrigens, daß es diese Aufnahme ist, die ich poste: sie erweitert seit gestern meine kleine "Gaspard"-Sammlung (neben jener von Gina Bachauer).



    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

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  • Meines Erachtens - ich bin nun wirklich kein Pianist, sondern nur Hobbyklimperer mit nachlassenden Fähigkeiten - zeigt sich bei diesem Beginn aber vor allem die Relativität der Dynamik-Bezeichnungen. Ganz unabhängig davon, ob man die Musik live hört - ich habe sie live gehört mit Hamelin - und ich besitze natürlich ein paar Einspielungen, die ich über eine anständige, aber auch nicht wirklich teure Stereoanlage hören kann: pp - oder ist es sogar ppp, so genau erinnere ich mich jetzt nicht, könnte natürlich nachsehen - ist verdammt schwer zu realisieren. Vielleicht mag sich Christian Köhn dazu aus der Praxis äußern.


    Im Konzertsaal - so denke ich als Laie - muss die Basislautstärke eine andere sein als im Wohnzimmer, das ist klar, und am Gerät wird zwangsläufig nivelliert. Wie geht man da ran? Worauf achtet man bei einem - wenn ich das richtig sehe - ohnehin unpraktischen Figurenwerk wie bei der Ondine?


    Ich hab mir mal die Noten der Skrjabin-Sonaten zum bequemen Mitlesen gekauft - mehr ist leider nicht drin. Im langsamen, finsteren Finale der Nummer eins heißt es ja so hübsch: Quasi niente - vermutlich ist das auch nicht einmalig in der Profiliteratur.


    Den Gedanken mit M. C. Escher oben fand ich sehr reizvoll.


    :) Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Ich habe jetzt nur Ondine gehört und bin ehrlich gesagt nicht so begeistert. Der kurze Aussteiger kann passieren, aber ich vermisse so etwas wie ein gestalterisches Konzept.

    Ich meine eines zu vernehmen. Dazu gleich etwas mehr.



    Ja der Michelangeli spielt glasklar und noch einmal auf einem anderen Niveau differenziert als Hamelin, aber tatsächlich vermisse etwas den Zauber der Komposition .... :(. Sorry, wegen der vielleicht etwas dämlichen Bezeichnung, aber gemeint ist etwas Verwunschenes, was ich bei den Klängen der Ondine verspüren möchte und wo Michelangeli fast eine Stimmenanalyse dagegen setzt ....


    Um noch einmal auf das Konzept zurückzukommen. Ich vermute tatsächlich eine völlig andere Klangwelt bei beiden Pianisten. Dieses plastische und irgendwo auch etwas neutrale Klangbild von ABM passt wunderbar zu Debussy, bei Ravel vermisse ich eine Art leichten Vorhang ... Noch einmal sorry, wegen des unbeholfenen Formulierens. Ich finde, dass Hamelin diesen Dynamikdifferenzen in den Stimmen einen Sinn verleiht, den ich bei Michelangeli nicht in dem Maße zu hören vermeine. Es ist tatsächlich etwas schade, dass das rhythmische Schweben bei Hamelin am Ende doch etwas verwaschen ist.


    Eine Aufnahme, die für mich eine Art Mediator zwischen diesen beiden Welten sein kann, ist die des jungen Franzosen Chamayou



    PS: Für alle die noch Grosvenor gesehen haben... Ich werde offensichtlich alt. Ich hatte den vorher mit Ondine gehört, wollte aber Chamayou angeben und habe die Pianisten verwechselt .. :( da hilft nur noch cheers

  • Dieses plastische und irgendwo auch etwas neutrale Klangbild von ABM passt wunderbar zu Debussy, bei Ravel vermisse ich eine Art leichten Vorhang ...

    .. . und genau der "Vorhang" gehört auch nicht zu Ravel. :D Michelangeli macht genau das, was Jean Cocteau über Ravel gesagt hat:


    "Ravel hat sozusagen die Kunst der großen impressionistischen Meister der Musik geläutert. (...)


    >Musik ohne <sauce>! Das bedeutet: keine Schleier, die Nacktheit der Rhythmen, die Trockenheit der Linie, die Kraft des Einsatzes und eine gelehrte Naivität des Tonfalls und der Akkorde."


    Hamelin spielt Ravels Ondine schön - nur macht er - mit Schleier und viel Soße - aus Ravel einen Romantiker, der er eben nicht (mehr) ist, sondern ein Komponist des 20. Jhd. Hier bin ich - man lese und staune - ganz auf der Seite von Christian Köhn. :D Michelangeli hat übrigens verschiedene Interpretationen von Ondine gegeben, wie berichtet wird. Ich habe es selbst in Düsseldorf erlebt, wo er die Tremolos mit einer unglaublichen Dichte spielte. Das ist auf keinem Mitschnitt nachvollziehbar leider. Für mich der beste ist der radikal-puristischste und perfekteste aus Lugano (Ondine ungemein rhythmisch gespielt) von 1971 (P.S., s.u.!, korrektes Aufnahmedatum ist 4.6.1968) - bei Youtube leider nicht zu hören.


    Schöne Grüße

    Holger

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  • .. . und genau der "Vorhang" gehört auch nicht zu Ravel. :D Michelangeli macht genau das, was Jean Cocteau über Ravel gesagt hat:


    "Ravel hat sozusagen die Kunst der großen impressionistischen Meister der Musik geläutert. (...)

    Das kann ich nachvollziehen.


    Hameling weicht das durch sein extremes Tempo sowie (auch im weiteren Verlauf) mit romantischer Phrasierung und traditionellem Rubato auf. Im Ergebnis ist das eine sehr emotionale Darstellung (der "Unfall" beim Höhepunkt ist so gesehen nicht zufällig ;) ), was dem Stück meines Erachtens aber nicht entspricht.

    auch das. Trotzdem kann ich mich des Charmes der Einspielung von Hamelin nicht entziehen. Ich bitte da um Entschuldigung. Manches ist bei mir manchmal auch einfach ein Sache der momentanen Lust und Laune.....


    ChKöhn und Dr. Holger Kaletha wie findet ihr denn den Chamayou?


    Für mich der beste ist der radikal-puristischste und perfekteste aus Lugano (Ondine ungemein rhythmisch gespielt) von 1971 - bei Youtube leider nicht zu hören.

    wo findet man denn diese Aufnahme?

  • Das ist die CD - Aufnahmedatum Gaspard de la nuit Lugano 4.6.1968. Sagenhaft - das wäre eine Wiederveröffentlichung als Studioaufnahme wert! Auch aufnahmetechnisch (in Mono!) makellos.


    Michelangeli-HUNTCD904_BIG.jpg


    (War damals auch als LP erschienen) :hello:

  • Die Schallplatte war diese hier:


    Michelangeli-RR404_BIG.jpg


    Discocorp : Michelangeli - Brahms, Ravel (pianistdiscography.com)


    Auf dieser Seite ist auch das Aufnahmedatum vermerkt:


    "June 4, 1968 in Lugano, Teatro Kursaal" - auf der LP selbst steht "1968".


    Auf meiner LP ist noch ein Aufkleber "Import" drauf. Erscheinungsjahr der LP war 1980. :)


    Ich habe die Aufnahme noch auf einer anderen CD vom Label Nuova Era - leider ist die Qualität dieser CD-Überspielung nicht optimal, die bei der oben abgebildeten von HUNT dagegen ist es. :)

  • Trotzdem kann ich mich des Charmes der Einspielung von Hamelin nicht entziehen. Ich bitte da um Entschuldigung.

    Dafür brauchst Du Dich nicht zu entschuldigen. ^^ Hamelin ist ja nicht der Einzige, der Ondine so "schön romantisch" spielt. Zweifellos hat das "Charme". Aber ob das dem Stück wirklich gerecht wird, ist eben eine tiefer gehende, ziemlich komplexe Interpretationsfrage. Selbst Cord Garben, ABMs ehemaliger Schüler und Produzent, hat seinen Lehrer hier überhaupt nicht verstanden, warum er es so macht wie er es macht. ^^ Da Gaspard de la nuit mein Lieblingsstück ist, seit mich der Beginn von Ondine "in den Bann schlug", als ich es in einem Radio-Portrait über ABM als Jugendlicher hörte und mir daraufhin dann 1980 die oben abgebildete Schallplatte kaufte, hätte ich dazu sehr viel zu sagen. Das tue ich vielleicht, wenn ich demnächst die Aufnahme von Yevgeny Sudbin bespreche auf meiner Kolumnenseite. Ansonsten gibt es zu Gaspard de la nuit einen Thread, wo ich auch einiges dazu geschrieben habe. ;)

    ChKöhn und Dr. Holger Kaletha wie findet ihr denn den Chamayou?

    Das höre ich mir noch an. Bin gestern dazu nicht mehr gekommen.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Zweifellos hat das "Charme". Aber ob das dem Stück wirklich gerecht wird, ist eben eine tiefer gehende, ziemlich komplexe Interpretationsfrage

    Ich mache mir das als Laie, aber immerhin doch engagierter Hörer, etwas einfacher. Es gibt Einspielungen, die mich überzeugen, manchmal kürzer, manchmal länger. Wenn mir etwas über dreißig oder sogar fünfzig Jahre bei regelmäßigem Hören gefällt, gehe ich davon aus, dass etwas dran sein muss. Es kann sein, dass mir irgendwelche Interpretationen nach einiger Zeit dann doch zu oberflächlich vorkommen ....


    Bei Hamelin habe ich nun trotz der technischen Fehler, von denen einer sogr in der Interpretation angelegt sein mag, neue und überraschende Linien gehört. So etwas gefällt mir beim ersten Hören fast immer. Selbstverständlich höre ich die eiserne Klarheit bei Michelangeli. Ich habe allerdings keine Idee im Hinterkopf, dass es nur eine einzige Interpretation geben müsste, die dem Werk gerecht würde, bin also ein Verfechter von mehreren Interpretaionen, denen ich etwas abgewinnen kann.


    Auf der anderen Seite bin ich aber auch bereit, musikalischen Erklärungen zu folgen, wenn sie mir beim Hören die Ohren öffnen! :)

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  • Auf dieser Seite ist auch das Aufnahmedatum vermerkt:


    "June 4, 1968 in Lugano, Teatro Kursaal" - auf der LP selbst steht "1968".

    Sehr verdienstvolle Seite. Bei mir in der Sammlung steht "ABM Vol. 5" von Rococo-Records, eine Aufnahme -wie ich dank dieser Seite jetzt weiß- vom 22.03.1969 aus Helsinki. Die Aufnahme aus Lugano ist ganz gut beschaffbar (für Plattenliebhaber jedenfalls). Ist der Unterschied zwischen den beiden Recitals eklatant?


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Ich mache mir das als Laie, aber immerhin doch engagierter Hörer, etwas einfacher. Es gibt Einspielungen, die mich überzeugen, manchmal kürzer, manchmal länger. Wenn mir etwas über dreißig oder sogar fünfzig Jahre bei regelmäßigem Hören gefällt, gehe ich davon aus, dass etwas dran sein muss. Es kann sein, dass mir irgendwelche Interpretationen nach einiger Zeit dann doch zu oberflächlich vorkommen ....

    Das wirklich Gute bewährt sich. Selbst wenn man sich von den Aufnahmen entfernt, mit denen man die Werke kennenlernte durch das Kennenlernen von immer wieder neuen, so kommt man letztlich immer wieder auf die alten prägenden - wenn sie denn überragend waren - zurück. So jedenfalls meine Erfahrung.

    Bei Hamelin habe ich nun trotz der technischen Fehler, von denen einer sogr in der Interpretation angelegt sein mag, neue und überraschende Linien gehört. So etwas gefällt mir beim ersten Hören fast immer. Selbstverständlich höre ich die eiserne Klarheit bei Michelangeli. Ich habe allerdings keine Idee im Hinterkopf, dass es nur eine einzige Interpretation geben müsste, die dem Werk gerecht würde, bin also ein Verfechter von mehreren Interpretaionen, denen ich etwas abgewinnen kann.

    Ich kenne wahrscheinlich zu viele - und darunter auch viele sehr gute - Interpretationen von dem Werk, dass mir da bei Hamelin etwas überraschend Neues aufgefallen wäre. ^^ Insgesamt ist das eine sehr geschlossene Darstellung, die aber Ravel irgendwo im Kontext der Spätromantik verortet, was ja auch Hamelins spezielles Repertoire ist, womit er sich profiliert hat. Er ist auch immer verbindlich und nie flach - poetisch und einnehmend empfindsam gespielt ist das unzweifelhaft. Insofern ärgert mich diese Interpretation in keiner Weise, wie es etwa die von Ivo Pogorelich tut. "Dem Werk gerecht werden" ist schon ein weiteres Streufeld, wo man dann die Frage nach dem "mehr oder weniger" stellen kann bei der Berücksichtigung aller Aspekte. Letztlich finde ich z.B. Martha Argerichs Interpretation wesentlich bedeutender als die von Hamelin. Sie tappt eben nicht in die Falle der Romantisierung, wohl bedingt durch ihren Lehrer Friedrich Gulda, der auch ganz ausgezeichnet ist bei Gaspard de la nuit - in etlichen Aspekten ABM nicht unähnlich. Martha Argerich macht aus Gaspard de la nuit ein impressionistisches Fest von Valeurs. Das ist musikalisch und pianistisch einfach märchenhaft gut, so dass ich mir eigentlich jeden ihrer Mitschnitte immer gerne und mit großer Neugier anhöre - ich habe nicht nur die Studioaufnahme bei der DGG, sondern (fast) alle Konzertmitschnitte. Natürlich kann man sich da fragen, ob das nicht in tieferem Sinne an Ravel vorbei geht und auf einem ästhetischen Missverständnis beruht. Nur sind die Qualitäten so überragend (und das ist eben letztlich kein rückwärts gewandter, sondern auch ein sehr "moderner" Ravel) und sie setzt ihr Konzept so konsequent und mit einem so großen Können um, dass die Argerich-Interpretation allein deshalb unverzichtbar ist. Gerade weil die Umsetzung so überragend ist, führt so eine interpretatorische Auffassung dann dazu, dass man sich die tieferen Interpretationsfragen überhaupt stellt und stellen kann. Und das spricht für sich.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Sehr verdienstvolle Seite. Bei mir in der Sammlung steht "ABM Vol. 5" von Rococo-Records, eine Aufnahme -wie ich dank dieser Seite jetzt weiß- vom 22.03.1969 aus Helsinki. Die Aufnahme aus Lugano ist ganz gut beschaffbar (für Plattenliebhaber jedenfalls). Ist der Unterschied zwischen den beiden Recitals eklatant?

    Lieber Thomas,


    das kanadische Rococo-Label ist ja das, wogegen ABM mal wegen der Verbreitung von Raubkopien prozessierte. Das ist allerdings Geschichte, denn all diese Mitschnitte sind heute legal verbreitet (das ABM-Document-Center in ABMs Geburtsstadt Brescia sorgt auch dafür). Das Helsinki-Konzert (ist in der Aura-Box enthalten) enthält die Kuriosität, dass ABM zu Beginn von Reflets dans l´eau einen dicken Fehler macht. Ausgerechnet - wo er das Stück tausend mal gespielt hat und diese Stelle absolut harmlos ist. Wohl war er irgendwie kurz abgelenkt. Eine Konzentrationsschwäche. Er selbst sagte mal (Humor hatte ABM!): "Man wäre ein großer Esel zu glauben, im Konzert könne nicht etwas Schreckliches passieren." Dagegen die Lugano-Aufnahme ist absolut fehlerlos (wohlgemerkt ist das ein Konzertmitschnitt!) und von einer schier unglaublichen Perfektion und Ausgefeiltheit. Ein Wunder von Konzentrationsfähigkeit und Selbstkontrolle bei diesem immens schwierigen Stück! Dazu noch klangtechnisch hervorragend. Ich verstehe nicht, warum sie kaum veröffentlich wird. Der Vatikan-Mitschnitt dagegen ist doch aufnahmetechnisch sehr mäßig, es gibt ihn aber in zahlreichen CD-Ausgaben. Was natürlich sehr schade ist. Noch bedauerlicher ist, dass ABM nicht Gaspard de la nuit zusammen mit den Debussy-Preludes Heft II in Bielefeld damals für die DGG aufgenommen hat. Aber da wurmt man sich über seine Skrupel genau so wie bei Krystian Zimerman, den ABM sehr hoch schätzte und der ihm in dieser Hinsicht (leider!) sehr ähnlich ist. Wenn Du die LP bekommen kannst, besorge sie Dir unbedingt! :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

  • Wenn Du die LP bekommen kannst, besorge sie Dir unbedingt! :hello:

    Doppelalbum ist bestellt (sogar in nm-Qualität). In den Debussy müsste ich mal genauer hineinhören, offen gestanden habe ich bei der Platte immer den Gaspard aufgelegt.


    Den Teil der Diskusssion über Ravels Undine würde ich gerne in den entprechenden Thread übe "Gaspard de la nuit" kopieren, euer Einverständnis astewes ; Dr. Holger Kaletha und ChKöhn vorausgesetzt; die Beiträge stünden dann in beiden Threads, aber mich würde es freuen, wenn der "Gaspard"-Faden weitergesponnen würde.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

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