Lohengrin, Staatsoper Berlin, 27.4.2024

  • Siegfried in Brabant


    Einen Thread zur Inszenierung von Calixto Bieito hatten wir im Tamino-Forum vor dreieinhalb Jahren. In diesem Beitrag beschränke ich mich auf ein paar Eindrücke vom gestrigen Abend.

    Gekommen war ich, um Andreas Schager in der Titelpartie zu hören, nachdem mich sein Siegfried zu Ostern am Haus begeistert hatte. Um es kurz zu machen: Wo er laut singen kann, ist er mitreißend. Aber im Lohengrin ist nicht alles Attacke, und die lyrischen Passagen sind Schagers Sache nicht. Siegfried hat sich nach Brabant verirrt, und er fühlt sich sichtlich unwohl. Fatalerweise hat er den halben Text der Partie vergessen und improvisiert teilweise sinnentstellend: "Euch Helden soll der Zweifel nicht gereuen,..." Ich bin ein großer Anhänger seiner Kunst, aber das war weder seine Rolle, noch sein Abend. Er kassierte auch ein paar Buhs beim Schlußapplaus.

    Vida Miknevičiūtė, Elsa, ist, gemeinsam mit Adam Kutny, Heerrufer, die letzte Verbliebene der Premierenbesetzung. Wann immer ich sie in den letzten zwei Jahren gesehen habe (Elsa, Chrysothemis, Jenufa, Sieglinde, Salome, Marietta), war sie großartig! So auch gestern - packend dramatisch gibt sie die Elsa, sicher in der Wahl ihrer künstlerischen Mittel. Und auch die Innigkeit und Verletzlichkeit des Mädchens macht sie glaubwürdig. Daß sie zum Schluß aller Widersacher triumphiert, Horn und Schwert in die Höhe reckend an der Rampe steht, ist ein passendes Bild!

    In dieser Inszenierung kommt dem Heerrufer eine wichtige Rolle zu: Als Conferencier treibt er die Handlung durch die ersten beiden Akte. Kutny singt mit ziemlich großem Vibrato, aber auch sehr laut. Mit seinem giftigen Spiel, seiner Präsenz, seiner Körperbeherrschung gab er ein beeindruckendes Rollenporträt.

    Wolfgang Koch sang Friedrich von Telramund und gab einen öligen Ehrgeizling, der das Publikum in der Lohengrin Reality-Show richtig aufreizen will. Ich habe ihn schon in Hamburg und an der Deutschen Oper Berlin in der Partie erlebt, und gestern Abend hat er mir erneut sehr gut gefallen. Marina Prudenskaya, Ortrud, geht im dritten Akt etwas die Kraft aus, als sie die Flucht Lohengrins furios feiern müßte, aber der nächtlichen Szenerie des zweiten Akts hat sie überzeugend agiert.

    Günther Groissböck, der in der Holten-Inszenierung an der Deutschen Oper oft als König Heinrich besetzt war und mir dort immer sehr gefallen hat, steht in der Staatsoper etwas am Rand, weil der Heerrufer die Fäden in der Hand hat. René Pape hat Heinrich bei der Premiere als Trinker gegeben, der auf das Nachlassen des Schmerzes, den die ganze Affäre Brabant ihm bereitet, wartet. Groissböck läßt den König von der Hemikranie geplagt sein, obwohl doch kein Rosenöl in der Luft liegt. Gestern war sicher nicht sein stärkster Abend, aber er war ein solider König.

    Die Staatskapelle Berlin unter Alexander Soddy bekam viel Beifall. Das Vorspiel klingt sehr sanft an und war mit großer Ruhe geleitet. Soddy dirigiert sängerfreundlich, so, wie es an der Staatsoper nach meinem Eindruck Standard ist.


    Obwohl ich mir mit gesenktem Kopf konsequent alle Videosequenzen geschenkt habe, geht Bieitos Ansatz, die Oper als Drama der Kinderlosigkeit, deren Leiden durch gesellschaftlichen Exhibitionismus nicht zu kurieren sind, in den ersten beiden Akten auf. Im dritten quillt Wagners Drama durch alle Lücken, Risse, Poren, Spalten von Bieitos Konzept, das dem Lohengrin nur teilweise gerecht werden kann.

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Schön, dass außer mir noch ein Tamino im Lohengrin in der Deutschen Staatsoper war. Die Inszenierung ist ja nicht neu, die eigentliche Premiere war zu Corona-Zeiten vor leeren Stuhlreihen, aber von Arte ausgestrahlt. Die Inszenierung ist, nun sag ich mal, gewöhnungsbedürftig. Wer zu Calixto Bieito hin geht, bekommt Calixto Bieito. Das ist ganz gewiss nichts für Puristen und in früheren Zeiten gäbe es hier im Forum einen großen Streit um den Regietheater-Unfug. Ein Schwan kommt im Gegensatz zur Aufführung der Deutschen Oper nicht vor. Die Protagonisten haben ein zeitgenössisches Outfit. Eine große Tribüne beherrscht das Bild, dazu ein Käfig, in dem sich abwechselnd Elsa oder auch der König aufhalten, ein Sinn erschließt sich mir nicht. Es gibt auch kein Schwert, mit dem Lohengrin gegen Telramund kämpft, im Schlussakt, wo er eigentlich niedergestreckt wird, geht er an Lohengrin vorbei. Der Brautchor findet bei geschlossenem Vorhang statt, der vom Titelhelden erlöste Gottfried gar nicht. Bei den geschilderten Videos hab ich nachher auch nicht mehr hingesehen. Ich war am 24. April in der Vorstellung. Da wäre auch Andreas Schager besetzt. Zu Beginn dann die Ansage, er seit plötzlich erkrankt und man freue sich, dass Klaus-Florian Vogt für ihn einspringt, der schon die beiden Vorstellungen zuvor sang. Lebhafter Beifall des Publikums. Ich kenne Vogt von der DOB und auch in der famosen Einspielung des Berliner RSB unter Marek Janowski. Um es kurz zu sagen, er war ein Gewinn für die Aufführung. Das ist seine Rolle. Er singt den Lohengrin mit einer engelsklaren, stets verständlichen Stimme und spielt auch unter den Bedingungen dieser Regie die Rolle sehr überzeugend. Zu den anderen Interpreten stimme ich Heinz Heukenkamp im wesentlichen zu, Groissböck ist nicht mein Favorit für diese Rolle, da fand ich Pape schon treffender. Den Dirigenten kenne ich gar nicht, er hat seine Sache im großen und ganzen gut gemacht, ab und an übertönte das Orchester die Sänger/innen. Am Schluss sehr großer lautstarker Applaus vom Publikum.

    :hello:

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

  • Wir waren auch da.

    Mit Regietheater habe ich keine Probleme, mit Bieito auch nicht. Es hat mich gleichwohl nicht überzeugt.

    Zum einen muss ich wohl einräumen, dass mir der "Lohengrin" die am wenigsten liebe Wagner-Oper ist. Ich hatte den "Lohengrin" lange nicht mehr live gesehen, aber der Eindruck hat sich - nicht mal bei der Inszenierung - geändert. Zunächst also das Problem mit dem Werk an sich. Und ich fand, dass Soddy gerade im ersten Aufzug viel Tschingderassabumm geliefert hat. Ich fragte mich, wo er denn noch hinsteigern will, wenn er so früh schon alles gibt/geben lässt. Überhaupt war mir das Orchester eher zu laut, vielleicht saß ich aber im ersten Rang links auch falsch, weil zu direkt über dem Orchester.

    Wir waren am 21. April in der Aufführung. Vogt konnten wir auch hören. Den mag ich ohnehin, ich finde auch, dass seine Stimme etwas nachgedunkelt ist und wärmer wird, was eine gute Sache ist. Dazu seine absolute Sicherheit in den Tönen, seine Textverständlichkeit - sehr, sehr gut. Darstellerisch berührte er mich hier eher nicht, aber das mag an Rolle und Inszenierung liegen. Camilla Nylund, die wir als Elsa hörten, hatte in etwa die Ausstrahlung einer Rauhfasertapete, ist aber auch vom Typ her schwerlich noch die Unschuld von Brabant. Sie konnte allerhöchstens auf der Bühne herumirren, wenn sie uns nicht frontal ansang. Letzteres gelang ihr namentlich in den leiseren Passagen gut, in der Spitze ist sie eben keine Lise Davidsen. Groissböck machte es gut, schien mir aber ein wenig mit der Regie zu fremdeln, seine Krankheit (Alkoholismus?) wirkte seltsam aufgesetzt. Koch war im ersten Aufzug gut, dann hatte ich das Gefühl, dass er abbaute. Prudenskaya war immerhin sehr lebendig, darstellerisch für mich am überzeugendsten, stimmlich in Ordnung. Kutnys Heerrufer ist tatsächlich eine wichtige Rolle zugekommen. Stimmlich überzeugte er mich weniger, darstellerisch schon, er sprühte Funken. Das Aufschminken des Clownsgesichts fand ich einerseits gelungen, andererseits assoziierte ich den "Joker" damit - solche Querverweise können gelingen, hier blieb ich außen vor.

    Ja, die Inszenierung. Die Personenführung empfand ich als hölzern. Das Bühnenbild ging mir als dauernde Probebühne (oder was auch immer) auf die Nerven, weil es mich nicht ins Spiel zog (aber auch nichts als V-Effekt durchging). Effekte wie ins Publikum gerichtete Scheinwerfer sind nun auch nicht neu. Kinderlosigkeit als Kern des Dramas zu sehen, finde ich interessant. Mir wird das aber nicht dadurch nähergebracht, dass man eine Babypuppe von links nach rechts wirft (Ortrud). Die Videos fand ich als Ergänzung zum Bühnengeschehen auch in diesem Zusammenhang noch am gelungensten. Der Käfig, stimmt, den fand ich zunächst durchaus stimmig, auch für Elsa in der Ehe. Warum dann Heinrich später ebenfalls dort rein musste ... nein, das weiß ich auch nicht.

    Insgesamt ein wenig erfreulicher Opernabend. Aber das mag zum Gutteil an mir liegen. Bis zum nächsten "Lohengrin" lasse ich besser wieder einiges an Zeit ins Land gehen.

    "Jein".

    Fettes Brot

  • Ich war am 24. April in der Vorstellung. Da wäre auch Andreas Schager besetzt. Zu Beginn dann die Ansage, er seit plötzlich erkrankt und man freue sich, dass Klaus-Florian Vogt für ihn einspringt, der schon die beiden Vorstellungen zuvor sang.

    Sehr aufschlußreich! Ich habe mich in der Vorstellung gefragt, warum Hr. Schager den Text nicht kann, wenn er doch drei Tage zuvor schon den L. gesungen hat. Jetzt lese ich bei Dir, daß das gar nicht der Fall war und daß er wirklich nur den einen Abend gesungen hat. Gut, daß ich genau den erwischt habe, denn ich wollte ihn ja als Lohengrin hören.

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Ich verfolge Schager schon seit vielen Jahren, habe ihn zuerst in Meiningen gehört, da war er noch nicht berühmt, und dann auf vielen Bühnen bis Bayreuth. In Meiningen hat er für mich den besten 3. Akt Tristan gesungen, den ich je gehört habe. Im Laufe der Zeit war zu beobachten, daß er die Partien im Dauerforte bewältigt, was nur teilweise beeindruckt und in Folge dessen manchmal auch Abnutzungserscheinungenn zu hören sind. Das ist sehr schade, denn er hat ein tolles Material. Welche wahnsinnge Wirkung ein Forte hat, das sich aus einem Piano entwickelt, kann man auf vielen Aufnahmen von Vickers hören oder auch zuletzt beim leider verstorbenen Stephen Gould.

  • Siegfried in Brabant

    Gekommen war ich, um Andreas Schager in der Titelpartie zu hören, nachdem mich sein Siegfried zu Ostern am Haus begeistert hatte. Um es kurz zu machen: Wo er laut singen kann, ist er mitreißend. Aber im Lohengrin ist nicht alles Attacke, und die lyrischen Passagen sind Schagers Sache nicht. Siegfried hat sich nach Brabant verirrt, und er fühlt sich sichtlich unwohl. Fatalerweise hat er den halben Text der Partie vergessen und improvisiert teilweise sinnentstellend: "Euch Helden soll der Zweifel nicht gereuen,..." Ich bin ein großer Anhänger seiner Kunst, aber das war weder seine Rolle, noch sein Abend. Er kassierte auch ein paar Buhs beim Schlußapplaus.

    Danke für deine interessant geschilderten Eindrücke über Andreas Schager im Lohengrin. Dein Titel würde jedem ironieerprobten Kritiker zur Ehre gereichen. Schön auch, dass sich deine Erkenntnisse durch Tamino-Kollegen vervollständigt haben. Denn auch, dass Schager vorher krank war, verändert das Bild ja.

    Ich selbst werde ihn im Mai bei seinem Otello-Debüt in Wien sehen. Da bin ich gespannt und gehe nicht ohne Skepsis hinein. Abwarten und hoffen, denn dem sympathischen Sänger gönnt man natürlich jeden Erfolg.


    Du, lieber Hans Heukenkamp, reist ja scheinbar ähnlich viel wie unsere Stars. Habe eben einen Post zu einer Scala-Aufführung von dir gelesen.