Siegfried in Brabant
Einen Thread zur Inszenierung von Calixto Bieito hatten wir im Tamino-Forum vor dreieinhalb Jahren. In diesem Beitrag beschränke ich mich auf ein paar Eindrücke vom gestrigen Abend.
Gekommen war ich, um Andreas Schager in der Titelpartie zu hören, nachdem mich sein Siegfried zu Ostern am Haus begeistert hatte. Um es kurz zu machen: Wo er laut singen kann, ist er mitreißend. Aber im Lohengrin ist nicht alles Attacke, und die lyrischen Passagen sind Schagers Sache nicht. Siegfried hat sich nach Brabant verirrt, und er fühlt sich sichtlich unwohl. Fatalerweise hat er den halben Text der Partie vergessen und improvisiert teilweise sinnentstellend: "Euch Helden soll der Zweifel nicht gereuen,..." Ich bin ein großer Anhänger seiner Kunst, aber das war weder seine Rolle, noch sein Abend. Er kassierte auch ein paar Buhs beim Schlußapplaus.
Vida Miknevičiūtė, Elsa, ist, gemeinsam mit Adam Kutny, Heerrufer, die letzte Verbliebene der Premierenbesetzung. Wann immer ich sie in den letzten zwei Jahren gesehen habe (Elsa, Chrysothemis, Jenufa, Sieglinde, Salome, Marietta), war sie großartig! So auch gestern - packend dramatisch gibt sie die Elsa, sicher in der Wahl ihrer künstlerischen Mittel. Und auch die Innigkeit und Verletzlichkeit des Mädchens macht sie glaubwürdig. Daß sie zum Schluß aller Widersacher triumphiert, Horn und Schwert in die Höhe reckend an der Rampe steht, ist ein passendes Bild!
In dieser Inszenierung kommt dem Heerrufer eine wichtige Rolle zu: Als Conferencier treibt er die Handlung durch die ersten beiden Akte. Kutny singt mit ziemlich großem Vibrato, aber auch sehr laut. Mit seinem giftigen Spiel, seiner Präsenz, seiner Körperbeherrschung gab er ein beeindruckendes Rollenporträt.
Wolfgang Koch sang Friedrich von Telramund und gab einen öligen Ehrgeizling, der das Publikum in der Lohengrin Reality-Show richtig aufreizen will. Ich habe ihn schon in Hamburg und an der Deutschen Oper Berlin in der Partie erlebt, und gestern Abend hat er mir erneut sehr gut gefallen. Marina Prudenskaya, Ortrud, geht im dritten Akt etwas die Kraft aus, als sie die Flucht Lohengrins furios feiern müßte, aber der nächtlichen Szenerie des zweiten Akts hat sie überzeugend agiert.
Günther Groissböck, der in der Holten-Inszenierung an der Deutschen Oper oft als König Heinrich besetzt war und mir dort immer sehr gefallen hat, steht in der Staatsoper etwas am Rand, weil der Heerrufer die Fäden in der Hand hat. René Pape hat Heinrich bei der Premiere als Trinker gegeben, der auf das Nachlassen des Schmerzes, den die ganze Affäre Brabant ihm bereitet, wartet. Groissböck läßt den König von der Hemikranie geplagt sein, obwohl doch kein Rosenöl in der Luft liegt. Gestern war sicher nicht sein stärkster Abend, aber er war ein solider König.
Die Staatskapelle Berlin unter Alexander Soddy bekam viel Beifall. Das Vorspiel klingt sehr sanft an und war mit großer Ruhe geleitet. Soddy dirigiert sängerfreundlich, so, wie es an der Staatsoper nach meinem Eindruck Standard ist.
Obwohl ich mir mit gesenktem Kopf konsequent alle Videosequenzen geschenkt habe, geht Bieitos Ansatz, die Oper als Drama der Kinderlosigkeit, deren Leiden durch gesellschaftlichen Exhibitionismus nicht zu kurieren sind, in den ersten beiden Akten auf. Im dritten quillt Wagners Drama durch alle Lücken, Risse, Poren, Spalten von Bieitos Konzept, das dem Lohengrin nur teilweise gerecht werden kann.