Ich melde mich nach langer Tamino Abstinenz wieder im Forum zurück. Hier einmal vielen Dank an Alfred, dass ich noch beim Forum dabei sein darf.
Die Sinfonien die Haydn zwischen den berühmten Sturm und Drang Werken und den noch berühmteren Parisern und Londonern Sinfonien komponierte sind in gewisser Weise ein Enigma. Einerseits finden sich durchaus populäre Werke in dieser Gruppe, wie zum Beispiel die Sinfonien L‘Imperiale, Roxolane und La Chasse, andererseits wird diese Gruppe kaum von irgendjemanden hervorgehoben und meist als bloßer Übergang von den Sturm und Drang zu den Parisern und Londonern Sinfonien gesehen. Selbst Kommentatoren wie Landon, Larsen und David Wyn Jones sehen diese Sinfonien als „weniger originell“ „routinemäßig“ und „bloß gefällig“ an, während sie die anderen Sinfonien in den Himmel loben. Gewiss haben sie nicht die Leidenschaft und das Drama der Sturm und Drang Sinfonien und sie sind auch nicht großangelegte Werke die sich an ein internationales Publikum richten, wie die Pariser und Londoner Sinfonien (zugegeben sie waren weit zirkuliert, aber komponiert wurden sie eher für den Esterhazischen Hof. Eine Ausnahme sind hier 76-78, die für eine geplante Englandreise geschrieben wurden). Aber heißt das, dass sie weniger originell als ihre Schwesterwerke sind?
Die etwa 25 Sinfonien die Haydn in dieser Zeit schrieb sind keine homogene Gruppe, noch das Resultat eines einzigen Auftrags. Selbst die Abgrenzung zu den Sturm und Drang Werken ist nicht ganz einfach. Ist Sinfonie Nr. 50 eine Sturm und Drang Sinfonie oder schon ein Zwischen Sinfonie (ich werde diese Gruppe einmal als „Zwischen Sinfonien“ betiteln, um einen Namen für diese Werke zu haben)? Sie wird in fast jeder „Sturm und Drang“ Box inkludiert, aber stilistisch gesehen finde ich wenig stürmend und drängend, sondern eher wie die Zwischen Sinfonien. Komponiert wurde das Werk in 1773. Vielleicht ist das ein guter Startpunkt um diese Periode abzugrenzen. Das Ende der Periode ist hingegen klar. Da gab es den Auftrag aus Paris, der die Pariser Sinfonien hervorbrachte und Sinfonie 81 zu der letzten der Zwischen Sinfonie machte.
Was zeichnet diese Sinfonien aus? Alle diese Sinfonien sind natürlich superb gearbeitet (von Haydn würde man sich nichts anderes erwarten), jedoch stechen viele dieser Werke auch durch ihre Originalität hervor. Diese ist anders als die des Sturm und Drangs, aber nicht weniger zwingend. Schlussendlich war Haydn stets an der Weiterentwicklung der Sinfonie interessiert und die Zwischen Sinfonien sind nicht weniger experimentierfreudig wie seine anderen Sinfonien.
Ein neuer Aspekt dieser Sinfonien ist deren Orchestrierung. Viele der Sturm und Drang Werke brachten eine ungeheure Ausdrucksstärke mit einem Minimalorchester zustande. Das war einer der großen Errungenschaften des Sturm und Drangs. In den Zwischen Sinfonien scheint Haydn jedoch mehr an Klangfarbe und einer Expansion seines Orchesters interessiert zu sein. Am spektakulärsten ist das vermehrte Auftreten von Trompeten und Pauken (Nr. 50, 54, 56, 60, 69, 70, 73 & 75?) oder nur Pauken (Nr. 53 & 61). Keine Frage, dass Haydn hier an einem „Big Sound“ dachte, der schon als eine Vorstufe zu der brillanten Orchestrierung der Pariser und Londoner Sinfonien gelten kann. Genauso entscheidend ist der Einsatz der anderen Blasinstrumente. Die Flöte findet nach langer Abstinenz wieder in Haydns Orchester (Nr. 53, 61, 63, 70, 71 & 73-81) und das Fagott wird viel differenzierter als zuvor eingesetzt. In vielen der Zwischen Sinfonien ist die Fagottstimme separat notiert (nicht „col Basso“) und tritt paarweise auf. Selbst in Sinfonie 56, wo das Fagott noch col Basso spielt, finden sich lange Solopassagen für das Instrument im langsamen Satz. Zwei Sinfonien der Periode stechen in diesem Sinn besonders hervor, nämlich Nr. 54 und Nr. 61. 54 weist die größte Besetzung bis zu den Londoner Sinfonien auf und der Einsatz der Blasinstrumente in Nr. 61 (besonders im langsamen Satz) übertrifft alle von Haydns früheren Sinfonien mit Ausnahme der Concerto grosso Sinfonien (Tageszeiten und Nr. 31 & Nr. 72), wo der Einsatz der Bläser aber eher solistisch war.
Auch kennzeichnend für die Zwischen Sinfonien ist die frequente Verwendung von Bühnenmusik (Nr. 50, 53 (einer der Finali), 60, 63 & 73). Die Sinfonie in der Haydn die Bühnenmusik am besten einbaut ist meiner Meinung nach Nr. 73, La Chasse. Das Finale ist die Ouvertüre zu seiner Oper La fedelta premiata und ist mit Trompeten und Pauken besetzt. Haydn orchestriert die dazukomponierten Sätze jedoch nicht mit diesen Instrumenten, sondern lediglich mit Flöte, Oboen, Fagotte, Hörnern und Streichern. Das erlaubt dem Finale als Höhepunkt der Sinfonie zu stehen und die anderen drei Sätze bereiten einen pastoralen Kontext für die Jagd vor.
Die Musik der Zwischen Sinfonien selbst ist um einiges „freundlicher“ als die des Sturm und Drangs. Die Moll Tonart spielt hier eine eher untergeordnete Rolle, gerade mal zwei Moll Sinfonien gegen Ende der Periode (Nr. 78 und 80), die sich beide nach Dur wenden, und auch einzelne Moll Sätze sind hier selten (Nr. 63 langsamer Satz & Nr. 70 langsamer Satz und Finale). Die Themen der Zwischen Sinfonien sind regulärer als die des Sturm und Drangs und auch die Satzfolge ist die standardisierte schnell - langsam - Menuett - Finale Abfolge die wir von den späteren Sinfonien kennen. Ein Sonata di Chiesa Format gibt es hier nicht und nur einmal vertauscht Haydn Menuett und langsamen Satz (Nr. 68). Und trotzdem gibt es auch in dieser Periode ungewöhnliche und experimentelle Musik. Die schroffe Konfrontation von kontrapunktische Strenge in Moll und pompöse Pracht in D-Dur in Nr. 70 ist hier im Forum schon viel diskutiert worden (siehe Thread zu Sinfonie 70) und die Moll - Dur Auseinandersetzung wird in Nr. 78 und Nr. 80 weitergeführt, wobei sie im D-Moll Werk fast schon komische Züge aufweist. Die Doppelvariationen mit einem Dur und einem Moll Thema (oder Umgekehrt) scheint eine Erfindung dieser Periode zu sein (Nr. 53, 63 und 70). Haydn wird sie dann in den Werken für Paris und London noch weiter verfeinern und zu einem Markenzeichen seiner Musik machen. Nr. 67 ist auch ein exzentrisches Werk, das nicht weniger experimentell ist als die Abschiedssinfonie. Ein finalartiger Satz in 6/8 Takt eröffnet das Werk und das ohne der Stabilität einer langsamen Einleitung. Gefolgt wird der Kopfsatz von einem äusserst dichten langsamen Satz in Sonatenform, der aber von einer seltsamen Passage, in der die Streicher col Legno (mit dem hölzernen Teil ihrer Bogen) spielen, abgeschlossen wird. Das folgende Menuett ist sehr knapp und regulär, hat aber ein seltsames balkanähnliches Trio für die beiden ersten Geigen. Das Finale weist aber mit einem langsamen Insert die größte Überraschung auf. Ähnlich wie bei der Abschiedssinfonie kommt die Musik zu einem abrupten Stop und ein langsamer Satz ertönt statt der üblichen Durchführung. Hier wird aber nicht das Orchester zu zwei Violinen abgebaut, sondern das Gegenteil passiert. Das Adagio wird zunächst nur von einem Streichtrio (zwei Violinen und ein Cello) intoniert und das Orchester wird im Verlauf des Inserts mehr und mehr aufgebaut. Nachdem alle Spieler wieder dabei sind, erklingt das Allegro wieder und bringt den Satz zu Ende. Sind Nr. 67, 70 und 80 in ihrer Gesamtheit vielleicht die ungewöhnlichsten der Zwischen Sinfonien, so gibt es abseits dieser Werke auch noch einige exzentrische Sätze, wie zum Beispiel die seltsamen langsamen Sätze von Nr. 62, 68 und 76 oder auch das „Monster Adagio“ von Nr. 54, das mit einer Länge von 18 Minuten (bei allen Wiederholungen) den Ramen des damals üblichen sprengt.
Die Antwort auf meiner oben gestellter Frage muss ich daher aus meiner Sicht mit zu unrecht unterschätzt beantworten. Diese Sinfonien sind genauso experimentell und stellen genauso eine Weiterentwicklung des Genres dar wie die vorangegangenen Sturm und Drang Sinfonien oder auch die späteren Pariser und Londoner. Gewiss hat nicht jede Zwischen Sinfonie das Niveau der Sinfonien 54, 56, 61, 67, 68, 70, 73, 77, 80 oder 81, aber auch nicht jedes Sturm und Drang Werk erreicht das Level der Sinfonien 44 oder 45. Und auch bei den späteren Sinfonien gibt es einige Werke die über die anderen herausragen. Schlussendlich sollte auch die Tatsache, dass einige dieser Sinfonien berühmt geworden sind und sich größter Popularität erfreuen, ein Beleg für die Qualität dieser Werkgruppe sein.
Liebe Grüße aus Wien.