Was ist eigentlich modern?

  • Salut,


    Zitat


    Was ist eigentlich modern?


    fragte Martin im "Nachahmungstrieb".


    Ich denke, das ist eine eigene Diskussion wert, oder?


    Wer klärt uns auf?


    Der Mensch gilt umgangssprachlich als "modern", wenn er die neuesten technischen Möglichkeiten ausnutzt. Ist das aber immer vorteilhaft? Oder ist der "moderne Mensch" einfach nur jener, der in diesem Augenblick lebt und damit das Pendant zum "modernden Menschen"?


    :hello:


    Grüßle
    Ulli

    „Vielleicht werden Stockhausen und Boulez für uns mal so sein wie Brahms und Beethoven, aber zum Glück lebe ich dann nicht mehr.“
    (David Oistrach)


  • Lieber Ulli,


    wonach ist hier gefragt? Nach einer Definition des Begriffs "Musikalische Moderne" oder nach dem Begriff "Modern" allgemein?


    Herzliche Grüße,:hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Was modern ist, ändert sich in ähnlicher wie Weise wie wo hier oder wann jetzt ist... :D


    ;)


    JR (um auch mal mein Smilie-Repliken-Konto etwas aufzubessern...)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Wikipedia sagt:


    Zitat

    Der Begriff Moderne bezeichnet einen Umbruch in allen Bereichen des individuellen, gesellschaftlichen und politischen Lebens gegenüber der Tradition."


    Demnach ist der Begriff "Moderne" immer vom jeweiligen Betrachtungs-
    zeitpunkt abhängig und bezeichnet eben die musikalischen Neuerungen
    und Umbrüche zu dieser Zeit.


    Aber wir haben ja Experten im Forum, die dazu bestimmt mehr sagen
    können.

    "Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten" Gustav Mahler


  • Salut,


    natürlich liegt der Schwerpunkt im Bereich "Musik" oder "Kunst" - dennoch meine ich, dass es sich nicht immer so losgelöst betrachten lässt. Man wird sehen...


    :hello:


    Cordialement
    Ulli

    „Vielleicht werden Stockhausen und Boulez für uns mal so sein wie Brahms und Beethoven, aber zum Glück lebe ich dann nicht mehr.“
    (David Oistrach)

  • Hallo,


    Modern ist das, was in der "Gegenwart" als Fortschritt bezeichnen werden kann.


    Damit ist nicht gemeint: Anders sein, verleugnen von Altem, unbedingt zeitbezogen sein oder aktuelle Methoden miteinzubeziehen.


    Modern sein, heißt seine Ideale jetzt zu leben.


    Grüße,
    Daniel :hello:

  • Zitat

    Original von Robert Stuhr
    Ulli, der dürfte Dir evtl. gefallen:


    Aktuell bezeichnet den Gipfel des Unbedeutenden. (Nicolas Gomez Davila)


    Salut,


    der Satz ist sehr interessant und nachdenkswert.


    Die große Kunst ist im allgemeinen zu hoch für die Menge; sie bedarf zuweilen eines oder zweier Jahrhunderte, um jene Jury des Genies zu bilden, welche endlich mit Kenntnis der Sache ohne Appellation und für die Nachwelt entscheidet. [Lorenzo da Ponte]


    Stimmt also...


    :hello:


    Ulli

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    (David Oistrach)

  • Ob ein Musikstück "modern" ist liegt zu einem guten Teil im subjektiven Empfinden des Hörenden. Ich bezeichne z.B. "Lulu" als modern, für andere mag sie bereits zur klassischen Moderne gehören, ich empfinde die Gesualdo Madrigale im Zusammenhang mit anderen Kunstwerken aus dieser Zeit als "modern" im Sinne von, für die Epoche, kühnen Kompositionen, die ihrer Zeit sicher vorraus waren. D.h. man muss die eigene Empfindung beim Hören berücksichtigen, aber auch die Epoche, das Umfeld, bei der Entstehung eines Musikstückes, um letztlich wieder subjektiv dieses für sich selbst als "modern" zu bezeichnen.

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  • Zitat

    Ich bezeichne z.B. "Lulu" als modern, für andere mag sie bereits zur klassischen Moderne gehören


    Da werden zwei Begriffe verglichen, die nichts miteinander zu tun haben:


    Etwas ist für seine Zeit modern.
    und
    Etwas gehört zur Epoche der Moderne.


    Für Lulu trifft beides zu. Die Epoche der Moderne beginnt spätestens 1909 mit dem Verlust der Tonalität als allgemeinverbindlichem "Prinzip". Ob die Moderne zu Ende ist oder nicht, da werden die Meinungen wohl auseinandergehen. Die "Nachkriegsavantgarde" mit Serialismus und Aleatorik gehört in jedem Falle noch zur Moderne dazu. Ob man jetzt einen Teil der Moderne als "klassische Moderne" bezeichnet, oder nicht, ist, glaube ich, auch Ansichtssache (in diesem Forum ist diese letztere Bezeichnung jedenfalls sehr beliebt).

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Etwas ist für seine Zeit modern.
    und
    Etwas gehört zur Epoche der Moderne.


    Salut,


    ist es nicht "unsinnig" über "Moderne" zu reden, wenn sie morgen von gestern ist?


    Die "Wiener Klassiker" haben sich auch nicht als "Wiener Klassiker" bezeichnet, in der Epoche der Romantik galten die "Wiener Klassiker" als "Romantiker". Ich finde den Begriff "Moderne" als Stil- oder Epochalbezeichnung unpassend.


    Cordialement
    Ulli

    „Vielleicht werden Stockhausen und Boulez für uns mal so sein wie Brahms und Beethoven, aber zum Glück lebe ich dann nicht mehr.“
    (David Oistrach)

  • Zitat

    Ich finde den Begriff "Moderne" als Stil- oder Epochalbezeichnung unpassend.


    Ich kenne kaum eine passende Epochenbezeichnung.


    Ars nova?
    Barock (z.B. für Corelli oder Bach)?
    Wiener Klassik?


    Es hat sich etabliert. Da kann man nichts machen. Mir wäre "Generalbaßzeitalter" auch lieber als "Barock" ...

  • Ich würde in Bezug auf die Musik sagen, die Richtung der Moderne beginnt mit der Überwindung der Tonalität, wobei der Begriff auf jene Komponisten angewendet werden kann, die der Tradition der Materialdisziplin der 2. Wiener Schule stehen bzw. aus dem reflektierten Umgang damit herauswachsen.
    Die Postmoderne ermöglicht darüber hinaus den reflektierten Umgang mit der Tradition auf der Basis des Wissens um die Materialdisziplin der 2. Wiener Schule.

    ...

  • Salut,


    ja, es hat sich etabliert - aber immer erst "hinterher"...


    Zu dem kommt, dass die Größen der jeweiligen Epochen gerade die [stilistische] Ausnahme sind.


    :hello:


    Grüßle
    Ulli

    „Vielleicht werden Stockhausen und Boulez für uns mal so sein wie Brahms und Beethoven, aber zum Glück lebe ich dann nicht mehr.“
    (David Oistrach)

  • Zitat

    Zu dem kommt, dass die Größen der jeweiligen Epochen gerade die [stilistische] Ausnahme sind.


    Aber das stimmt doch nicht! - Das würde ich heftigst bestreiten. Die Größen sind eher die, die durch ihre Errungenschaften eine Epoche umreißen, nicht die Ausnahmen.

    ...

  • Salut,


    M. E. doch! Gerade wollte ich noch ergänzen, dass gerade die Größen meist moderner sind, als ihre Zeitgenossen...


    :hello:


    LG
    Ulli

    „Vielleicht werden Stockhausen und Boulez für uns mal so sein wie Brahms und Beethoven, aber zum Glück lebe ich dann nicht mehr.“
    (David Oistrach)

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Ich würde in Bezug auf die Musik sagen, die Richtung der Moderne beginnt mit der Überwindung der Tonalität, wobei der Begriff auf jene Komponisten angewendet werden kann, die der Tradition der Materialdisziplin der 2. Wiener Schule stehen bzw. aus dem reflektierten Umgang damit herauswachsen.
    Die Postmoderne ermöglicht darüber hinaus den reflektierten Umgang mit der Tradition auf der Basis des Wissens um die Materialdisziplin der 2. Wiener Schule.


    Na, ob "Richtung" oder "Strömung" oder "Stil" oder "Epoche" ...
    Was ist denn die Romantik? Auch "nur" eine "Richtung"?


    Dass der Neoklassizismus nicht zur "Moderne" gehört, halte ich für eine etwas skurrile Sichtweise.


    Ebenso, dass die Postmodernen die Wiener Schule so genau kennen müssen.

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    Die Größen sind eher die, die durch ihre Errungenschaften eine Epoche umreißen


    Tag,


    das mag formal so richtig sein, ist aber inhaltlich überhaupt nicht aussagefähig. Meisterwerke der Moderne/der zeitgenössischen Moderne zeichnen sich m.E. daduch aus, daß der "richtige Ton" getroffen wird. Das haben sie aber auch mit Meisterwerken aus anderen Epochen gemeinsam. Sie erreichen einen hohen Grad an Richtigkeit, indem sie aus einer inneren Norwendigkeit hinsichtlich der Form, der Sprache und des Ausdrucks die daraus resultierenden Parameter selbst aufstellen. Diese Werke sind einer sensibilisierten Zuhörerschaft zugänglich, wirken gewissermaßen verbindend.


    LG

  • Zitat

    Die Größen sind eher die, die durch ihre Errungenschaften eine Epoche umreißen, nicht die Ausnahmen.


    Das schließt sich ja überhaupt nicht aus. Johann Sebastian Bach ist am Ende seines Schaffens auf jeden Fall eine Ausnahme. Mozart ist keine Ausnahme, sondern ein sehr typischer Repräsentant seiner Generation.

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  • Zitat

    Na, ob "Richtung" oder "Strömung" oder "Stil" oder "Epoche" ...


    "Epoche" ist umfassend, "Strömung" oder "Richtung" ist ein Teil einer Epoche.
    Natürlich kann man das 20. Jahrhundert cum grano salis die "Epoche der Moderne" nennen, aber man sollte dabei im Hinterkopf haben, dass die Moderne nur ein Teil, wenn vielleicht auch der prägende Teil der Epoche war. Sonst kommt noch einer und erklärt, dass Malcolm Arnold zur Moderne gehört...

    ...

  • Zitat

    "Epoche" ist umfassend, "Strömung" oder "Richtung" ist ein Teil einer Epoche.


    OK. Dann ist "Moderne" aber auf jeden Fall eine Epoche. Dass es gleichzeitig noch die Nachromantik gibt, ist kein Hindernis. Neben der Romantik gibt es ja auch den Belcanto, der nicht zur Romantik gehört (Rossini, Donizetti, zum größten Teil Verdi, der erst spät "romantisch" wird).


    Zur Moderne gehören dann die Strömungen: Expressionismus, freie Atonaliät, Neoklassizismus, Zwölftontechnik, Futurismus, Bruitismus, Dadaismus, Serialismus, Aleatorik, Klangkomposition. Das kann man nicht alles zwingend mit der Wiener Schule in Zusammenhang bringen.


    Dann wird es schwierig (irgendwo in den 60er Jahren). Hier kann man dann zu diskutieren anfangen. Vorher sind die Begriffe meines Dafürhaltens ausreichend fest definiert.

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    OK. Dann ist "Moderne" aber auf jeden Fall eine Epoche.


    Salut,


    das beruhigt mich, denn auch irgendwann wird diese Epoche zu Ende sein [damals in der 'Moderne' :D ]. Und was kommt dann?


    :hello:


    Cordialement
    Ulli

    „Vielleicht werden Stockhausen und Boulez für uns mal so sein wie Brahms und Beethoven, aber zum Glück lebe ich dann nicht mehr.“
    (David Oistrach)

  • Zitat

    Und was kommt dann?


    1300 - 1430 Ars nova und Ars subtilior
    1430 - 1600 Renaissance und Manierismus
    1600 - 1750 Barock und Rokoko
    1750 - 1900 Klassik und Romantik
    1900 - 2050 Moderne und Postmoderne
    2050 - ?


    Vielleicht erleben wir es noch :D

  • Zitat

    OK. Dann ist "Moderne" aber auf jeden Fall eine Epoche.


    Nach kulturphilosophischer Definition nicht. Dass eine Strömung in Untergruppen unterteilt werden kann, macht sie nicht zur Epoche.


    Es gibt jetzt nur das Definitionsproblem zwischen Kurzstueckmeister und mir: Er splittert eine Richtung in zahllose weitere zu ihr gehörige Untergruppen auf (die Neoklassizisten zu der Moderne zählen - das wäre in Darmstadt lebensgefährlich gewesen; auf einem IGNM-Kongress auch).


    Aber ich halte das nicht für eine wesentliche Auseinandersetzung. Für den Kurzstueckmeister ist die Moderne in seiner Definition eine Epoche, für mich eine Strömung. In unserer pluralistischen Gesellschaft (Segen der Postmoderne!) können beide Standpunkte nebeneinander existieren ohne einender falsifizieren zu müssen. :D


    Zitat

    Das kann man nicht alles zwingend mit der Wiener Schule in Zusammenhang bringen.


    Kurzstueckmeister, manchmal ist der Widerspruch um seiner selbst Willen (zu dem ich auch manchmal tendiere) wenig zielführend: Womit willst Du die von Dir genannten Unterströmungen denn sonst in Beziehung bringen als mit der Materialdisziplin der 2. Wiener Schule? Auch die bewusste Abkehr von der Materialdisziplin steht schließlich mit der Materialdisziplin in Zusammenhang.


    Es gibt aber auch Strömungen, die an den Postulaten der 2. Wiener Schule entweder absolut vorbeigegangen sind oder sie bis zur Unkenntlichkeit verfälscht haben. (Ich würde z.B. William Alwyn, einen mittelmäßigen Kitscherzeuger, nicht zur Moderne rechnen, nur weil er stellenweise Zwölftonreihen verwendet hat. Es geht nicht ums Material selbst, sondern um die Denkrichtung.)

    ...

  • Zitat

    Kurzstueckmeister, manchmal ist der Widerspruch um seiner selbst Willen (zu dem ich auch manchmal tendiere) wenig zielführend: Womit willst Du die von Dir genannten Unterströmungen denn sonst in Beziehung bringen als mit der Materialdisziplin der 2. Wiener Schule? Auch die bewusste Abkehr von der Materialdisziplin steht schließlich mit der Materialdisziplin in Zusammenhang.


    War kein Widerspruch um seiner selbst Willen. Ich habe nur in meiner Naivität den Begriff der Moderne so verstanden, wie ich es beschrieben habe. Außerdem glaube ich, dass etwa Varese, Antheil, Cowell, Russolo, Schwitters (Ursonate) sich nicht um die "Materialdisziplin" der Wiener Schule geschert haben. Gehören sie darum nicht zur Moderne?


    Und der Neoklassizismus wäre dann eine Strömung neben der Moderne?


    ;(

  • Ich würde mit aller gebotenen Vorsicht weder Schwitters noch Russolo zur Musik rechnen. Schwitters ist visuelle Poesie, Russolo (von dem keine einzige Note existiert!) arbeitete in einem Grenzbereich, den ich als Klanginstallation bezeichnen würde.
    Das wertet die Richtungen nicht ab, es verschiebt sie lediglich.


    Antheil? - Ich nehme an, Du redest vom"Ballet mechanique", der restliche Anteil ist sicherlich nicht Moderne, sondern Kitsch übelster Sorte, ob das jetzt "Transatlantic" ist (habe ich ihn Bielefeld "genossen" im irrigen Glauben, ich würde eine Avantgardeoper erleben) oder seine Symphonien.


    Ich habe ausdrücklich gesagt, es geht ums Denken, nicht um das Material.
    Somit ist der einzige Komponist, mit dem Du mich in Argumentationsnotstand bringst, Varèse - der natürlich zur Moderne gehört, aber keinen Berührungspunkt zur Wiener Schule hat.
    Es gibt noch andere, über die man streiten könnte: Ives, Ruggles, der frühe Strawinskij ("Swesdoliki") etc.
    Natürlich integriert eine Richtung auch gesonderte Ausprägungen. Allerdings wird die Regel bekanntlich durch die Ausnahme bestätigt, während es eher selten vorkommt, dass Ausnahmen zur Regel werden.


    Ad Neoklassizismus: Das halte ich für eine Geschmacksfrage. Wenn ich es entscheiden müsste: Eine Strömung parallel zur Moderne. Denn wenn ich daran denke, dass David Diamond (und ich nenne da nur einen Namen stellvertretend für den ganzen neoklassizistischen Mist jenseits von Strawinskij und den paar tauglichen Hindemith-Werken) Neoklassizist ist und infolge dessen zur Moderne gehören müsste, tut mir die Moderne doch gar zu leid...

    ...

  • Jetzt habe ich mich schlau gemacht.


    Es gibt den Begriff der musikalischen Moderne nach Dahlhaus, der in Analogie zur literarischen Moderne von Bahr den Zeitraum von ca. 1890 bis ca. 1914 meint. Das geht los z.B. mit "Don Juan" von Strauss und umfaßt das gesamte Spätwerk von Reger, Debussy, Mahler und Skrjabin sowie das Frühwerk von Schönberg, Berg, Webern und Strawinsky inklusive der ersten atonalen Stücke. Die aus dem Verlust des gemeinsamen Fundaments "Tonalität" (also Verlust des allgemeingültigen Fundaments) resultierende Vielfalt an Stilen, die wenig miteinander zu tun haben müssen, gehört nicht mehr zur Moderne nach Dahlhaus.


    1919 wurde der Begriff der Neuen Musik erstmals geprägt, gemeint waren Werke von Schreker, Reger und Schönberg aus den damals letzten zehn Jahren. In den 20er Jahren galt oftmals Hindemith als Hauptvertreter der Neuen Musik in Deutschland. Adorno hat das anders gesehen, bis heute ist dieser Begriff völlig uneindeutig.


    Der Begriff "Moderne" kann aber auch als Synonym für diese von jedem anders verstandene "Neue Musik" verwendet werden (z.B. Dibelius "Moderne Musik 1965-1985"). Somit war mein Moderne-Begriff durchaus vertretbar und genauso richtig wie der von Edwin.


    Künftig möchte ich den Begriff der "Moderne" nur mehr im Sinne von Dahlhaus verwenden und dementsprechend schreiben "Moderne nach Dahlhaus". Ein Modernebegriff, der Zwölftonmusik beinhaltet, Neoklassizismus aber nicht, bleibt mir sehr, sehr unsympathisch, da er suggeriert, dass Zwölftonmusik viel "fortschrittlicher" sei als der "rückwärtsgewandte" Neoklassizismus, was ich nicht für richtig erachte.

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Jetzt habe ich mich schlau gemacht.


    Es gibt den Begriff der musikalischen Moderne nach Dahlhaus, der in Analogie zur literarischen Moderne von Bahr den Zeitraum von ca. 1890 bis ca. 1914 meint. Das geht los z.B. mit "Don Juan" von Strauss und umfaßt das gesamte Spätwerk von Reger, Debussy, Mahler und Skrjabin sowie das Frühwerk von Schönberg, Berg, Webern und Strawinsky inklusive der ersten atonalen Stücke. Die aus dem Verlust des gemeinsamen Fundaments "Tonalität" (also Verlust des allgemeingültigen Fundaments) resultierende Vielfalt an Stilen, die wenig miteinander zu tun haben müssen, gehört nicht mehr zur Moderne nach Dahlhaus.


    Alles nach Brahms modern? ich dachte, dass sei die "Moderne nach Alfred" ;)
    Mir scheint der Begriff meist doch ein wenig weiter gefaßt zu werden...auch auf dem literarischen Gebiet: Ulysses, Zauberberg, Berlin Alexanderplatz wären dann alles nach der "eigentlichen Moderne" entstanden? ?(
    Ich tendier auch dazu den Neoklassizismus (jedenfalls manches davon) für mindestens so modern wie die Zwölftonmusik zu halten. Schönerg wollte "eine Art etwas anspruchsvollerer Tschaikowsky sein", also eine Fortsetzung der Spätromantik mit anderen Mitteln. Der junge Hindemith oder der neoklassizistische Strawinsky wollten möglichst verschieden von der Spätestromantik sein. Wenn "modern" zumindest teilweise einen gewissen Hang zur Nüchternheit, Technik, Technokratie impliziert, paßt das hier sehr viel besser als der expressionsitische Stil der Wiener Schule...


    viele Grüße


    JR

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  • Hallo Kurzstueckmeister,
    danke, Du hast mir einige Arbeit erspart. Ich wusste, dass Dahlhaus etwas dazu gesagt hat, konnte es aber nicht gleich finden. Wäre eine Wochenendbeschäftigung geworden.


    Die Abwertung des Neoklassizismus sehe ich eigentlich nicht - aber das liegt wahrscheinlich an mir, weil ich auch Begriffe wie "Neue Musik" und "Moderne" wertfrei gebrauche.



    Hallo Johannes,
    es geht um eine Kluft zwischen Ästhetik und Kompositionstechnik. Ästhetisch ist der Neoklassizismus mit seiner Abkehr von der Romantik weiter vorne als der Expressionismus mit seiner übersteigerten Weiterführung der Romantik.
    Kompositionstechnisch führt der Expressionismus aber zu den prägenden Errungenschaften der Musik des 20. Jahrhunderts, nämlich Lösung von den Tonarten und Reihenverfahren, die in abgewandelter Form bis in die Gegenwartsmusik wirksam bleiben, während der Neoklassizismus nach und nach versickert.
    Übrigens haben auch die Komponisten der 2. Wiener Schule Elemente des Neoklassizismus in ihre Musik integriert: Wenn Schönberg auf alte Formen und Kontrapunkttechniken zurückgreift und Berg sogar Opernszenen absoluten Formen unterwirft, ist das technisch ein neoklassizistisches Verfahren (ästhetisch natürlich nicht).


    LG

    ...

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